5,49 €
Dieses Buch ist der Versuch, den Glauben rational zu überdenken. Theologie, so Holm Tetens, verdient nur dann rational genannt zu werden, wenn sie "die ›Sache mit Gott‹ mit vernünftigen Überlegungen ausfechtet"? mit Überlegungen also, die geschult sind an klarem philosophischen Denken. Tetens Fazit: Es wird erst dann um die Philosophie "besser bestellt sein als gegenwärtig, wenn Philosophen mindestens so gründlich, so hartnäckig und so scharfsinnig über den Satz ›Wir Menschen sind Geschöpfe des gerechten und gnädigen Gottes, der vorbehaltlos unser Heil will‹ und seine Konsequenzen nachdenken, wie Philosophen zurzeit pausenlos über den Satz und seine Konsequenzen nachzudenken bereit sind: ›Wir Menschen sind nichts anderes als ein Stück hochkompliziert organisierter Materie in einer rein materiellen Welt‹".
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 115
Holm Tetens
Gott denken
Ein Versuch über rationale Theologie
Reclam
Für Frank Mau
mit herzlichem Dank für die nachhaltige Ermutigung
Alle Rechte vorbehalten
© 2015 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen
Made in Germany 2015
RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMSUNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-960690-3
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019295-5
www.reclam.de
»Der Gedanke, dass die Gebete der Verfolgten in höchster Not, dass die der Unschuldigen, die ohne Aufklärung ihrer Sache sterben müssen, dass die letzten Hoffnungen auf eine übermenschliche Instanz kein Ziel erreichen und dass die Nacht, die kein menschliches Licht erhellt, auch von keinem göttlichen durchdrungen wird, ist ungeheuerlich.«
Max Horkheimer1
»Persönlich glaube ich, dass zumindest die Hoffnung auf Gott rational gerechtfertigt werden kann.« 2 Mit diesem Satz endet ein überaus scharfsinniges Buch, das den Titel trägt »Die Unverzichtbarkeit natürlicher Theologie«. Der Satz beschreibt exakt, worum es im vorliegenden Buch gehen soll. Wir wollen eine komplexe Argumentation entfalten, wonach es im Vergleich mit der heute vorherrschenden naturalistischen Sicht auf die Welt und unser Leben keineswegs unvernünftig ist, auf Gott zu hoffen. Der Vergleich mit dem Naturalismus ist entscheidend, ist doch der Naturalismus heutzutage der gewichtigste Widersacher eines Gottesglaubens. Deshalb tut man gut daran, Argumente zugunsten des Theismus wesentlich dialektisch anzulegen: Schwierigkeiten des Naturalismus sind in Stärken des Theismus umzumünzen.
Dieses Buch offeriert einen Versuch über rationale Theologie. Theologie verdient nur dann rational genannt zu werden, vermag sie die »Sache mit Gott« 3 mit vernünftigen Überlegungen auszufechten. Was heißt in diesem Kontext »vernünftig«? Das müssen und können wir nicht grundsätzlich beantworten. Wir nennen lediglich einige wichtige Bedingungen, denen die nachfolgenden Überlegungen gerecht zu werden versuchen. Würden wir sie verfehlen, ließe das sofort legitime Zweifel an der Vernünftigkeit unseres Gedankengangs aufkeimen.
Erstens unterstellen wir, dass die Erfahrungswelt im wesentlichen genauso ist, wie die Wissenschaften sie beschreiben und erklären. Das auferlegt einer rationalen Theologie, mit ihren Thesen und Argumenten keinen anerkannten Ergebnissen der Wissenschaften zu widersprechen. Zweitens erteilen wir jedem Wunderglauben eine Absage. 4 In der uns zugänglichen Erfahrungswelt ereignet sich nichts, was sich nur so erklären lässt, dass anerkannte Naturgesetze oder andere strukturelle Gesetzmäßigkeiten der Erfahrungswelt einmalig außer Kraft gesetzt sind. Rationale Theologie sollte deshalb nicht mit der These liebäugeln, dass Gott in dieser empirischen Welt Wunder wirkt und sich durch sie offenbart. Drittens gelten für die rationale Theologie von vornherein alle fundamentalen Prinzipien vernünftigen Denkens. Demnach kann zum Beispiel selbst Gott nicht Junggesellen verheiratet machen und der rationale Theologe hat den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch zu respektieren und gültig hergeleitete Widersprüche sollten ihn veranlassen, mindestens eine Prämisse in der Herleitung zu verwerfen.
Erfüllt sie diese drei Bedingungen, scheint rationale Theologie erst einmal eine Weggefährtin des Naturalismus zu sein. Doch die Wege der beiden trennen sich alsbald. Rationale Theologie will sich einem Territorium der Wirklichkeit nähern, das nicht am Wegesrand der Erfahrungswissenschaften liegt. Diese Terra incognita, die die rationale Theologie »Gott« nennt und die der Naturalismus auf keiner seiner Landkarten von der Wirklichkeit verzeichnet, sollte mehr sein als bloß eine logische Möglichkeit, die bisher noch niemand widerlegt hat. Logisch ist allzu viel möglich; es für wirklich zu halten, ist deshalb in hinreichend vielen Fällen schlicht abstrus. Freilich nehmen wir heute den Naturalismus ernst, und das durchaus zu Recht, wenngleich er sich nicht beweisen lässt, ja obwohl er nicht unerhebliche Probleme aufwirft. 5 Doch auch ein mögliches Dasein Gottes ist so ernst zu nehmen wie der Naturalismus, falls sich eine Lehre von Gott aus bestimmten Schwierigkeiten und Problemen des Naturalismus dialektisch herleiten lässt. 6 Ein durchgängig dialektischer Bezug auf die Ungereimtheiten des Naturalismus ist eine vierte Anforderung an die rationale Theologie. Fünftens jedoch lässt sich die rationale Theologie durch die Geschichte und das Schicksal der Gottesbeweise gewarnt sein: Sie träumt nicht davon, die Probleme, die sie dialektisch für sich ausbeutet, könnten den Naturalismus definitiv widerlegen 7 und den Theismus im Gegenzug definitiv beweisen. 8
Wie weit kommt eine rationale Theologie, die sich den genannten fünf Bedingungen unterwirft? Sagen wir es mit den Worten eines antiken Textes:
»Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde. […] Ich glaube an den Heiligen Geist, […] Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und das ewige Leben.« 9
Den Gottesglauben, der sich in diesen Sätzen artikuliert, vermag eine rationale Theologie als vernünftige Hoffnung zu rechtfertigen, wohlgemerkt: als vernünftige Hoffnung. Gleichwohl ist das, sollte es gelingen, nicht wenig. 10 So viel vorweg zur zentralen These, für die das vorliegende Buch eine Begründung zwar ausführlich, aber gleichwohl am Ende lediglich skizziert. Mehr als eine Skizze lässt das vorgeschriebene Format nicht zu.
Wer heute fragt, wie vernünftig es ist, an Gott zu glauben, dem schallt ein »Indiskutabel unvernünftig!« von der Mehrheit der Intellektuellen, zumal von der Mehrheit der Philosophen unter den Intellektuellen entgegen. Die meisten Intellektuellen, vor allem aber die meisten Philosophen glauben heutzutage an den Naturalismus. Was glaubt ein Naturalist? Ich zitiere den Naturalisten Ansgar Beckermann (*1945):
»1. Die gesamte Realität besteht nur aus natürlichen Dingen; in der Realität gibt es weder Götter noch Geister noch Seelen noch andere übernatürliche Mächte und Kräfte. 2. Philosophie und Wissenschaft gehören enger zusammen als gemeinhin angenommen wird; letztlich sind es die Wissenschaften, die uns sagen, was es in der Welt gibt und wie das, was es gibt, beschaffen ist.« 11
Den Glauben von Erwachsenen an Gott hält der Naturalist intellektuell für beschämend, so wie wir alle es vermutlich für intellektuell beschämend hielten, glaubte ein Erwachsener ernsthaft an Frau Holle. Am Ende seines Aufsatzes sagt Beckermann:
»Es gibt kein methodisches a priori, das bewirkt, dass sich die Wissenschaften nur mit bestimmten Aspekten der Welt befassen oder dass sie die Welt nur aus einer bestimmten Perspektive erfassen können. Denn Wissenschaft ist nicht durch eine bestimmte Methode definiert; vielmehr ist sie der systematische Versuch, herauszufinden, welche Hypothesen am besten gestützt sind.« 12
Das heißt ja wohl im Klartext: Allein die Wissenschaft ist erkenntnistheoretisch vorurteilsfrei offen für die Wirklichkeit, nur die Wissenschaft hat kein Brett vor dem Kopf, im Gegensatz zu den Anti-Naturalisten aller Couleur.
Allerdings ist falsch, was Beckermann über die wissenschaftliche Vorgehensweise behauptet. Die Wissenschaften kennen sehr wohl ein methodisches Apriori. Wissenschaft verpflichtet sich auf methodologische Standards. Sie einzuhalten entscheidet mit darüber, ob etwas als Wissenschaft gelten darf oder nicht. Zu diesen Standards zählen unter anderem zwei Verbote und ein positives Gebot: In den empirischen Wissenschaften soll außerhalb des Kontextes menschlichen Handelns 13 nichts mit der Wirksamkeit von Zwecken oder Zielen erklärt werden. Dieses Verbot teleologischer, auf das Ziel einer Entwicklung ausgerichteter Erklärungen ist eine methodologische Maxime. Auf sie haben sich die Wissenschaften verständigt, nachdem sich der Darwinismus und die Evolutionstheorie Ende des 19. Jahrhunderts durchgesetzt hatten. Der Ausschluss teleologischer Erklärungen geht einher mit einem methodischen Atheismus: Nichts darf mit dem Wirken und den Absichten einer erfahrungstranszendenten Intelligenz erklärt werden. »Die Hypothese Gott benötigen wir in der Wissenschaft nicht«, so lautet seit Laplace in den Wissenschaften der Schlachtruf des methodischen Atheismus. Diesen beiden methodologischen Verboten stellen die Wissenschaften ein Gebot positiv zur Seite: Außerhalb des Kontextes menschlicher Handlungen ist alles letzten Endes und auf lange Sicht naturgesetzlich zu erklären.
Die drei methodologischen Maximen sind legitim. Die Wissenschaften haben alles Recht der Welt, sich selber auf das zu beschränken, was sich mit bestimmten methodologischen Prinzipien und Regeln erforschen lässt. Trotzdem muss man an ein elementares wissenschaftshistorisches Faktum erinnern: Die drei Maximen sind nicht in Geltung gesetzt worden, weil und nachdem man zuvor die Existenz Gottes widerlegt und darüber hinaus wissenschaftlich bewiesen hat, dass sich abgesehen von menschlichen Handlungen ausnahmslos alles am besten naturgesetzlich erklären lässt, sodass teleologische Erklärungen wegfallen können.
Weil das so ist, mutet Beckermanns folgende Behauptung naiv an:
»Wenn man die Welt wissenschaftlich untersucht, findet man de facto in der Regel nichts, was für die Existenz nicht-natürlicher Phänomene spricht. Wenn man die Welt unvoreingenommen beobachtet, zeigen sich in ihr weder Götter noch Geister, noch andere übernatürliche Mächte und Kräfte.« 14
Nachdem sich die Wissenschaften auf den Ausschluss teleologischer Erklärungen und auf den methodischen Atheismus eingeschworen haben, soll eine unvoreingenommene wissenschaftliche Betrachtung der Wirklichkeit – also methodologisch genauer und ehrlicher formuliert –, soll eine Betrachtung der Wirklichkeit unter strikter Beachtung des methodischen Atheismus auf nichts stoßen, was für die Existenz von Göttern oder die Existenz des Gottes der Monotheisten spricht? »Kunststück!« möchte man Beckermann zurufen. Wer bereits im methodologischen Vorfeld Gott für die Wissenschaften als nicht-existent erklärt, kann ihn nicht finden. Ist damit das Dasein Gottes widerlegt? Wohl kaum. Wer mit der Wahl seiner Beweismittel Gott von vornherein als akzeptable Erklärung für irgendetwas ausschließt, für den existiert Gott offensichtlich nicht als eine Größe, mit der ernsthaft zu rechnen ist. Er hält das methodisch a priori, also aufgrund der Wahl seiner methodischen Mittel von vornherein für eine ausgemachte Sache.
Nein, mit den zugelassenen Erkenntnismitteln der Wissenschaften lässt sich ersichtlich nicht nachweisen, dass es nichts gibt, was sich nicht mit den zugelassenen Erkenntnismitteln der Wissenschaften nachweisen lässt. So ein vermeintlicher Beweis wäre selbstwidersprüchlich. Deshalb hat ihn die Wissenschaft wohlweislich bisher nicht präsentiert, und das dürfte auch in Zukunft so bleiben. 15
Der Naturalismus folgt nicht aus den Resultaten der Wissenschaften. Er ist selber eine metaphysische Position, indem er die Wissenschaft zur Metaphysik erhebt. Was genauer heißt hier Metaphysik?
Philosophie fragt nach der besonderen Stellung des Menschen im Ganzen der Wirklichkeit, und sie fragt danach vor dem Hintergrund der Suche des Menschen nach dem Glück und einem gelingenden Leben. 16 Diese Leitfrage verlangt von Philosophen, sich darüber im klaren zu werden, welche grundlegenden Arten von Gegenständen es gibt und wie diese so miteinander zusammenhängen, dass sie Bestandteile ein und derselben Welt bilden. Es ist die Metaphysik, die auf die Frage nach den grundlegenden Arten von Gegenständen und nach ihrem Zusammenhang in ein und derselben Welt zu antworten versucht.
Überaus anspruchsvoll ist diese Aufgabe der Metaphysik. Denn so, wie wir über die Welt reden, scheint es sehr viele verschiedene Arten von Gegenständen in der Welt zu geben. Jedenfalls dienen sehr verschiedene Gegenstände als logische (grammatische) Subjekte unserer Rede über die Welt. Konzentriert man sich auf die ganz grundlegenden Arten von grammatischen Subjekten menschlicher Rede, lassen sich mindestens die folgenden Arten auflisten 17: konkrete materielle Dinge und Prozesse; seelische und geistige Zustände bei Tieren und Menschen; abstrakte Gegenstände, wie zum Beispiel Eigenschaften oder mathematische Gegenstände wie Zahlen oder Mengen; Bedeutungen von Zeichen und Symbolen, insbesondere Bedeutungen sprachlicher Zeichen; moralische, ästhetische und andere Werte; Raum und Zeit; Möglichkeiten und andere Modalitäten; nicht materiell verkörperte geistige Wesen wie Götter oder wie Gott.
Sind wir nur deshalb, weil all die aufgeführten Gegenstände unzweifelhaft als grammatische Subjekte in unserer Rede vorkommen, auch schon darauf verpflichtet, ihre eigenständige Existenz zu unterstellen? Mitnichten. Oder besser gesagt: Genau darüber streiten Metaphysiker. Sie streiten über zweierlei: Erstens darüber, welche der aufgeführten Arten von Gegenständen tatsächlich existieren. So scheiden für einen Naturalisten nicht materiell verkörperte geistige Wesen wie Götter von vornherein aus. Ebenso leugnen Naturalisten, dass moralische und ästhetische Werte eine eigenständige Seinssphäre bilden. Zweitens debattieren Metaphysiker darüber, wie die Arten von Gegenständen, deren Existenz sie nicht rundweg abstreiten, in ihrer Sicht von der Wirklichkeit im Ganzen unterzubringen sind. Dabei geraten Metaphysiker immer wieder bei der Frage aneinander, ob bestimmte Arten von Gegenständen so etwas wie die »eigentliche« oder »primäre« Realität bilden, während die übrigen Arten von Gegenständen dann auf irgendeiner Weise auf die jeweils für primär gehaltene Realität zurückzuführen sind. Etwa muss ein strikter Materialist zeigen, wie seelische und mentale Zustände, abstrakte Gegenstände, Wortbedeutungen, Möglichkeiten und Werte so aufgefasst werden können, dass zugleich verständlich wird und bleibt, warum im eigentlichen Sinne nur materielle Dinge und Prozesse existieren.
Das Herzstück einer jeden Metaphysik bildet daher eine Auskunft über das Ganze der Wirklichkeit in der Form:
»Es existieren (von den oben unterschiedenen und möglicherweise weiteren Gegenstandsarten) nur die wenigen 18Arten A1,…,An von Gegenständen, die auf die Weise W miteinander verbunden eine Welt bilden; die meisten anderen Arten von Gegenständen, die wir zumindest sprachlich erst einmal unterscheiden, existieren entweder nicht oder lassen sich jeweils auf die Weise W’ auf die wenigen Gegenstandsarten A1,…,An zurückführen.«
Solche grundlegenden Auskünfte einer Metaphysik über das Ganze der Wirklichkeit haben einen besonderen Status. Sie lassen sich durch Erfahrung weder beweisen noch widerlegen. Warum?
Die Kernbehauptung einer jeden Metaphysik ist ein Allsatz. Er lässt sich nicht durch Erfahrung beweisen. Wer könnte ein für alle Mal ausschließen, eines Tages auf Gegenstände zu stoßen, die sich jedem Versuch widersetzen, sie auf die als grundlegend unterstellten Arten von Gegenständen sinnvoll zu reduzieren?
Die Allsätze lassen sich aber auch empirisch nicht widerlegen. Das ist einer Eigentümlichkeit jeder Metaphysik geschuldet. In der Metaphysik geht es um das Ganze der Wirklichkeit. Angenommen, wir glauben, dass p tatsächlich der Fall ist. Dann gehört freilich zur Wirklichkeit nicht nur diese Tatsache p, vielmehr gehört zu ihr auch die erkenntnistheoretische Tatsache, dass wir glauben, dass p