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Mitten in der Routine des Alltags lässt sich Gottes Gegenwart entdecken und erfahren. Tish Harrison Warren zeigt, von welchen geistlichen Übungen und Gewohnheiten wir uns prägen lassen können. Jedes Kapitel beleuchtet eine kleine, scheinbar bedeutungslose Routine. Ob es darum geht, das Bett zu machen, die Zähne zu putzen oder verlegte Schlüssel zu suchen - jede dieser Situationen kann ein wunderbares Sinnbild für eine geistliche Übung sein, die den Glauben stärkt. Dieses wertvolle Buch eröffnet einen praktischen Weg, Kraft aus dem Glauben zu schöpfen und im Alltag zu leben.
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Seitenzahl: 225
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Über die Autorin
Tish Harrison Warren hat einige Jahre als Pfarrerin und Seelsorgerin an verschiedenen Universitäten gearbeitet, bevor sie Pfarrerin einer anglikanischen Kirchengemeinde im US-Bundesstaat Pennsylvania wurde. Die Mutter von zwei Kindern schreibt regelmäßig für verschiedene Magazine.
Tish Harrison Warren
Gott wohnt in deinem Alltag
Entdecke das Heilige im Alltäglichen. Praktische Impulse
Deutsch von Renate Hübsch
FÜR JONATHAN
Meine Liebe, mein Freund – wie war dein Tag?
Wie kann man Gott zwischen Emails und Küchenarbeit begegnen und was hat der Sonntagsgottesdienst mit unserem banalen Alltag zu tun? Sehr viel, sagt die Autorin. Sie nimmt die Leser mit in ihren Alltag – und erzählt auch von ihren peinlichen und „unheiligen“ Momenten.
Dieses Buch ermutigt die Leser, für Gottes Wirken und seine Geschenke im Alltag empfänglich zu werden. Glaube bedeutet, sich verändern zu lassen, sich weiterzuentwickeln hin zu einem tiefen Vertrauen in Gott. Nach der Lektüre werden Leser vermutlich einen anderen Blick auf ihren Tagesablauf werfen. Und vielleicht in etlichen Situationen Gottes Handschrift erkennen.
Ellen Nieswiodek-Martin, Chefredakteurin des Frauenmagazins Lydia
Inhalt
Vorwort (Andy Crouch)
1 Aufwachen
Getauft – lernen, dass wir geliebt sind
2 Das Bett machen
Rituale, die dem Leben Gestalt geben
3 Zähne putzen
Stehen, knien, sich verneigen und ganzheitlich leben
4 Schlüssel suchen
Beichte und die Wahrheit über uns selbst
5 Reste essen
Wort, Sakrament und übersehene Lebensmittel
6 Mit meinem Mann streiten
Den Frieden weitergeben und die Alltagsaufgabe des Schalom
7 Mails checken
Segnen und senden
8 Im Stau stehen
Ein Gott, der es nicht eilig hat
9 Mit meiner Freundin telefonieren
Gemeinde und Gemeinschaft
10 Tee trinken
Heilige Räume und Lebensgenuss
11 Schlafen
Sabbat, Ruhe und das Wirken Gottes
Anmerkungen
Vorwort
Andy Crouch
Die Struktur dieses Buches ist einfach, aber genial.
Sie umfasst von der ersten bis zur letzten Seite einen ganzen Tag, vom Aufwachen bis zum Schlafengehen. Nicht mehr und nicht weniger. Mit der Begabung der Autorin (die zugleich eine Dichterin ist), innezuhalten und sehr aufmerksam hinzusehen, verknüpft Tish Harrison Warren die Augenblicke eines ganz gewöhnlichen Tages mit dem nicht so gewöhnlichen Ablauf eines klassischen christlichen Gottesdienstes.
So räumt Tish mit einer Irrlehre auf, die sich äußerst hartnäckig unter Christen hält: die Vorstellung, dass es irgendeinen Teil unseres Lebens gäbe, der säkular ist und keinerlei Verbindung oder Berührung zu den eigentlich heiligen Aufgaben hat – Gebet und Gottesdienst. Diese Fehldeutung des Menschseins hat im Lauf der Jahrhunderte viele Formen angenommen, obwohl doch bereits das irdische, sehr bodenständige Leben von Jesus, dem Menschensohn und Gottessohn, ihr den entscheidenden Schlag hätte versetzen sollen. Auch in unserer Zeit lebt sie in vielen Gestalten fort – manche davon sind offensichtlicher als andere. Da gibt es die Tendenz unter uns, so zu reden, als sei der Gottesdienstraum für Gott irgendwie wichtiger als unser Arbeitsplatz oder unser Zuhause oder als seien die Leute mit einem „geistlichen“ Beruf (wie Tish) Gott näher als die, die im Büro oder im Supermarkt arbeiten.
Aber es gibt auch das weniger offensichtliche Bestreben, ein ausreichend „radikales“ Leben zu führen, ein Leben mit unübersehbaren Opfern und beeindruckendem Einsatz – eben ein Leben, das erkennbar für Höheres bestimmt ist als das banale und (so meinen wir jedenfalls) unwichtige Durchschnittsleben. In dieser Version des alten Irrtums ist ehrenamtlicher Einsatz geistlich wertvoller als unsere Erwerbstätigkeit; Wohnen in der Innenstadt ist geistlicher als ein Häuschen in einem Vorort und Fahrräder sind geistlicher als Kombis.
Tish ist ordinierte Pfarrerin. Sie hat ihr Leben radikal dem Dienst an den materiell und geistlich Armen gewidmet. Daher ist sie perfekt geeignet, uns zu zeigen, wie verkehrt die Trennung der Lebensbereiche in heilig und profan ist. Jesus, das Wort, wurde Mensch. Das Wort ging fischen. Das Wort schlief. Das Wort wachte morgens auf und roch aus dem Mund. Das Wort hat sich die Zähne geputzt – oder hätte es getan, wenn das Wort kein Jude im 1., sondern ein Westeuropäer oder Amerikaner im 21. Jahrhundert gewesen wäre. Dieser spezifisch christliche Glaubenssatz ist höchst erstaunlich, ein bisschen erschreckend und lebensverändernd.
Noch etwas ist wundervoll an diesem Buch: Es räumt auch in anderer Richtung mit einem Irrtum auf. So wie Tish es darstellt, und auch in der Erfahrung jedes aufrichtigen Christen, ist umgekehrt die feierliche Liturgie des Gottesdienstes die meiste Zeit so gewöhnlich, wie sie nur sein kann. Wir sprechen immer wieder dieselben Gebete, machen dieselben Gesten, kommen und gehen ganz ähnlich wie am vorigen Sonntag oder am nächsten Sonntag. (Das gilt selbstverständlich auch für Christen, die zu Gemeinden gehören, die weniger liturgisch sind.)
Es ist nicht nur so, dass das Säkulare vom Heiligen durchdrungen ist. Der Gottesdienst selbst setzt sich aus ganz gewöhnlichem Stoff zusammen. Wir verwenden schlichte Worte. Etliche Worte aus der Sonntagsliturgie sind gewöhnlich, aber sie können uns zu Tränen rühren: „Wir haben Gutes unterlassen und Böses getan; wir stehen als Sünder vor dir.“ Wir werden mit ganz normalem Wasser getauft. Wir essen normales Brot und trinken gewöhnlichen Wein. Und all dies wird von gewöhnlichen Menschen auf den Altar gelegt.
Und doch ist all dies alles andere als gewöhnlich. Unser Leib, unsere Freuden, unsere Ängste, unsere Erschöpfung, unsere Freundschaften, unsere Kämpfe – genau dies ist das Material, aus dem wir geformt werden. Dies ist der Stoff, der verwandelt wird in die schwachen, aber mit unendlicher Würde beschenkten Geschöpfe, als die wir gedacht sind und die wir werden sollen. Unsere ergriffensten Momente und unser verstohlenes Gähnen gehören zusammen; beide sind Teil des Lebens, das wir Gott täglich – und auch sonntäglich – hingeben sollen. Es ist das Leben, das er in Christus selbst angenommen und so gerettet und erlöst hat.
In diesem Buch gibt es Momente, in denen man herzhaft lachen muss, aber auch berührende Beschreibungen eines Lebens, das nicht perfekt, aber doch gut gelebt wird. Und deshalb eignet sich dieses Buch ganz wunderbar zum Verschenken – es ist einerseits ganz gewöhnlich, aber letztlich doch höchst ungewöhnlich. Nimm und lies. Schmecke – nicht nur Brot und Wein, sondern auch das Nutellabrot – und sieh, wie freundlich der Herr ist. Jeder Quadratzentimeter unseres Lebens, jede Sekunde gehört ihm.
Wir dürfen nicht vergessen, dass das Leben nicht aus einer Reihe glorreicher Taten oder außergewöhnlicher Freuden besteht; der größte Teil unserer Zeit vergeht damit, sich den Notwendigkeiten zu fügen, alltägliche Pflichten zu erfüllen, kleine Unannehmlichkeiten zu beseitigen und sich an trivialen Kleinigkeiten zu erfreuen.
DR. JOHNSON
Es ist ein alltägliches Mysterium, dass Alltägliches uns in tiefe Verzweiflung stürzen kann und doch zum Kern unserer Erlösung gehört … Wir wollen, dass unser Leben Sinn ergibt, wir wollen Erfüllung, Heilung, ja sogar Ekstase, aber das Paradox des Menschseins ist, dass wir all das finden, indem wir dort beginnen, wo wir sind … Wir müssen die Segnungen an den unwahrscheinlichsten, alltäglichen Orten erwarten.
KATHLEEN NORRIS
Wir dürfen nicht müde werden oder gar aufhören, etwas Geringes aus Liebe zu Gott zu tun, der nicht die Größe des Werks ansieht, sondern die Liebe, aus der es kommt. Wir sollten uns auch nicht darüber wundern, dass wir anfangs oft Fehler machen. Zuletzt werden wir doch routiniert in unserem Handeln, ohne groß darüber nachzudenken, und das mit wunderbarem Vergnügen.
BRUDER LORENZ
1
Aufwachen
Getauft – lernen, dass wir geliebt sind
Ich wache nur langsam auf. Auch wenn der Tag verlangt, dass ich rasch mobil bin – wenn meine Kinder quietschfidel in mein Bett springen oder mein Wecker rasselt –, liege ich erst einmal ein paar Sekunden still. Ich bin noch benommen, die Gedanken schwerfällig, und muss mich orientieren. Und dann dämmern mir – langsam – die Pläne, die ich machen muss, und die Ziele für den Tag. Aber in diesen ersten kostbaren Sekunden, in der noch nachtschweren Phase vor dem Aufwachen, bevor die Aufgaben beginnen, bevor ich mich ins Spiel einklinke, begrüßt mich erneut die Wahrheit darüber, wer ich im innersten Kern meines Wesens bin.
Wir mögen Kinder sein oder Staatsoberhäupter, aber wir sitzen alle für einen Moment mit zerzaustem Haar und schlechtem Atem im Schlafanzug auf der Bettkante, gähnen und tasten uns dem Tag entgegen. Schon bald schlüpfen wir in unsere Rollen als Mütter, Geschäftsleute, Studenten, Freunde, Staatsbürger. Wir sind konservativ oder liberal, reich oder arm, ernst oder zynisch, heiter-beschwingt oder bedächtig. Aber in den ersten Momenten nach dem Aufwachen sind wir einfach nur Menschen, wenig beeindruckend, verletzlich, gerade neu in den Tag hineingeboren, und blinzeln ins Licht, an das die Pupillen sich erst gewöhnen müssen, während unser Hirn langsam zum Bewusstsein erwacht.
Ich versuche immer, noch ein wenig länger im Bett zu bleiben. Mein Körper ist hungrig nach Schlaf: „Nur noch ein paar Minuten!“
Aber nicht nur nach Schlaf hungere ich – es ist vielmehr dieses Niemandsland, dieses Schwellenbewusstsein, in dem es so behaglich ist, wo ich noch nicht bereitstehe für die Anforderungen, die auf mich warten. Ich möchte mich den Kämpfen – klein oder groß – noch nicht stellen, die heute vor mir liegen. Ich möchte noch in keine Rolle schlüpfen. Ich möchte nur noch ein klein bisschen länger unter meiner kuscheligen Decke liegen.
Es ist bemerkenswert. Als Gott, der Vater, bei der Taufe von Jesus erklärt: „Dies ist mein geliebter Sohn, über den ich mich von Herzen freue“, geschieht dies zu einem Zeitpunkt, an dem Jesus noch nicht viel getan hat, was irgendjemanden beeindruckt hätte. Er hat noch niemanden geheilt und auch noch nicht den Versuchungen des Widersachers widerstanden. Er ist noch nicht gekreuzigt worden und auferstanden. Es würde doch viel mehr Sinn ergeben, wenn die stolze Ansage des Vaters auf etwas Grandioses und Ruhmreiches folgte – im Moment des Triumphs nach der Speisung einer großen Menschenmenge oder nach der Auferweckung des Lazarus.
Aber nachdem wir kurz von der Geburt Jesu und einer knappen Episode seiner Kindheit hören, finden wir ihn bald als Erwachsenen am Ufer des Jordan. Er ist einer in der Menge, die Augen vor der blendenden Sonne zusammengekniffen, Sand zwischen den Zehen.
Der Einzige, der würdig ist, Anbetung, Ruhm und Lobpreis zu empfangen, lebt Jahrzehnte in der Verborgenheit und Gewöhnlichkeit. Als wäre die Menschwerdung von Jesus Christus an sich nicht schon unfassbar genug, verbringt der Mensch gewordene Gott seine Tage still, unauffällig; als Mensch, der zur Arbeit geht, der müde wird und der mit ganz gewöhnlichen Menschen durchs Land wandert.
Als Mensch wie jeder andere steigt Jesus aus dem Wasser, nass, das Haar zerzaust. Und plötzlich taucht der Geist Gottes auf, und das tiefe Geheimnis des Universums hallt durch die Luft: Dies ist der Sohn Gottes, der Sohn, den der Vater liebt, an dem er seine Freude hat.
Jesus wird zuerst in die Wüste geschickt und anschließend beginnt er sein öffentliches Wirken. Aber die Sendung beginnt mit einer öffentlichen Erklärung der Liebe des Vaters.
Jesus ist der ewig vom Vater Geliebte. Und aus dieser Identität als geliebter Sohn ergibt sich alles, was er tut. Er liebt die Menschen, heilt, predigt, lehrt, tadelt und erlöst die Menschheit – all das nicht, um die Anerkennung des Vaters zu gewinnen, sondern aus seiner tief verwurzelten Gewissheit, dass der Vater ihn liebt.
Die Taufe ist das erste Wort der Gnade, das die Kirche über uns ausspricht.
In meiner Tradition, der anglikanischen Kirche, taufen wir Säuglinge. Bevor ihr Verstand begreifen kann, wer Christus ist, bevor sie sich zu einem Glauben bekennen können, bevor sie sitzen, aufs Klo gehen oder irgendetwas Sinnvolles zum Gemeindeleben beitragen können, wird ihnen Gottes Gnade zugesagt, und sie werden als Teil der Gemeinde angenommen. Sie gelten als zu Gott gehörig, bevor sie selbst irgendetwas vorzuweisen haben.
Als meine Töchter getauft wurden, haben wir groß gefeiert, mit Kuchen und Sekt. Mit der ganzen Gemeinde haben wir über dem Täufling gesungen: „Jesus liebt mich ganz gewiss.“ Es war eine Proklamation: Bevor du es weißt, bevor du es bezweifelst, bevor du es bekennst, bevor du es dir vorsingen kannst, bist du von Gott geliebt, nicht aufgrund deines eigenen Bemühens, sondern aufgrund dessen, was Christus für dich getan hat. Wir sind schwach, aber er ist stark.
In vielen liturgisch geprägten Kirchen steht das Taufbecken direkt im Eingangsbereich der Kirche. Die Menschen, die den Gottesdienst besuchen, gehen daran vorbei – ein Symbol dafür, dass die Taufe der Eintritt ins Volk Gottes ist. Es erinnert uns daran, dass wir, noch bevor wir beten oder uns auch nur dazu hinsetzen können, gekennzeichnet sind als Menschen, die zu Jesus gehören. Allein durch seine Gnade. Es erinnert uns daran, dass wir hineingenommen sind in die gute Nachricht des Evangeliums, die wir als Geschenk von Gott und von den Glaubenden, die uns vorangingen, empfangen haben.
Wenn die Gottesdienstbesucher die Kirche betreten und am Taufbecken vorbeikommen, tauchen sie einen Finger hinein und machen das Kreuzzeichen. Die Geste ist ein Akt der Erinnerung – Erinnerung an die eigene Taufe und ein Sich-bewusst-Machen, dass sie durch das, was Jesus für sie getan hat, geliebt und angenommen sind. Als meine älteste Tochter noch sehr klein war, habe ich sie zum Taufbecken hochgehoben, damit sie den Finger ins Wasser stecken konnte. „Du bist getauft!“, habe ich ihr zugeflüstert. Sie kannte weder die Worte der Liturgie noch verstand sie etwas von der Theologie der Sakramente, aber diese ganz körperliche Erfahrung – das massive Taufbecken, das kühle Wasser an ihrer Hand – war ihr erster Zugang zum Gottesdienst.
Der lutherische Theologe Martin Marty hat Martin Luthers Empfehlung wieder ins Bewusstsein gerufen, jeden Tag mit dem Kreuzzeichen als Symbol für die Taufe zu beginnen.1 Die Kirchenhistorikerin und Autorin Dorothy Bass erklärt diese Praxis folgendermaßen: „Für Christen verkörpert die Taufe, von der Sünde von gestern befreit zu sein und Verheißungen für morgen zu empfangen: Im Untertauchen wird der alte Mensch mit Christus in den Tod gegeben; mit dem Auftauchen aus dem Wasser ist der Mensch neu geworden und mit dem auferstandenen Christus verbunden.“ Martin Luther hat gesagt, jeder Christ solle die Taufe verstehen „als das Alltagsgewand, das wir allezeit tragen sollen“.2
So, wie wir uns an unsere Taufe erinnern, wenn wir die Kirche betreten, sollten wir jeden neuen Tag beginnen. Martin Marty beginnt den Tag mit dem Kreuzzeichen – er nennt es sein „Gebet ohne Worte“. Er erinnert sich daran, dass alles Vergangene vergeben ist und dass es für alles, was vor ihm liegt, Gnade genug gibt.3
Ich war ungefähr sechs Jahre alt, als ich in einer kleinen Kirche in einer Kleinstadt in Texas getauft wurde. Ich erinnere mich kaum daran. Woran ich mich erinnere – ich glaube zumindest, dass es eine Erinnerung ist –, ist das komische Gefühl, als mein langes Gewand sich im warmen Wasser aufbauschte; ich weiß noch, dass ich hinterher die Umarmungen und die Aufmerksamkeit von den Erwachsenen genossen habe und dass ich begeistert war, dass ich in der Kirche jetzt auch Traubensaft trinken durfte. Und ich erinnere mich an ein altes Album mit Fotos von einer sehr kleinen Tish mit nassen Haaren und einem schiefen Lächeln vor einem niedrigen Backsteingebäude mit Turm.
VonunseremerstenwachenAugenblickansindwirmiteinerIdentitätgezeichnet,dieunsdieGnadeschenkt.EineIdentität,dietieferundrealeristalsjedeRolle,indiewirandiesemTagschlüpfenwerden.
Wenn ich sage, wir sollen uns an unsere Taufe erinnern, heißt das natürlich nicht, dass ich alle Einzelheiten eines Ereignisses in meinem Leben wachrufen soll, an das ich mich kaum noch erinnern kann. Was ich mir aber bewusst mache, ist, dass es einen Sonntagmorgen gab, an dem ich „im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ mit Wasser besprengt oder tatsächlich untergetaucht wurde. Und so wurde ich gekennzeichnet. In der anglikanischen Liturgie wird dem Neugetauften zugesprochen, dass er „in der Taufe mit dem Heiligen Geist versiegelt und für immer als Christi Eigentum gekennzeichnet“ ist. Im Galaterbrief heißt es, in der Taufe „haben wir Christus angezogen wie ein Gewand“ (Galater 3,27), ihn, den geliebten Sohn, an dem der Vater seine ganze Freude hat. Oder, um ein drastischeres Bild zu verwenden, das wir bei Paulus finden: An jenem Tag als Sechsjährige bin ich gestorben und begraben worden und dann, in Umkehrung der Grundordnung des Universums, wurde ich mit Christus neu geboren (Römer 6,3–5).
Als Christen wachen wir jeden Morgen als Menschen auf, die getauft sind. Wir sind mit Christus verbunden und die Anerkennung des Vaters ist uns zugesprochen. Von unserem ersten wachen Augenblick an sind wir mit einer Identität gezeichnet, die uns die Gnade schenkt. Eine Identität, die tiefer und realer ist als jede Rolle, in die wir an diesem Tag noch schlüpfen werden.
Meine nassen Finger, die ich ins Taufbecken tauche, erinnern mich daran, dass alles, was ich gleich in der Liturgie tun werde – mein Bekennen und Singen, Knien, den Frieden weitergeben, meine Ablenkung, Langeweile, Ekstase, Andacht und Hingabe –, zuerst Antwort auf das ist, was Gott getan hat. Und bevor wir in unseren Alltag mit Gott starten – kochen, im Stau stehen, Mails schreiben, Ziele erreichen, arbeiten, ruhen –, beginnen wir als Geliebte. Ich habe keinen Anspruch auf irgendetwas wegen meiner Arbeit oder meines Gottesdienstes. Nein, sie entspringen der Liebe Gottes, seiner Gabe und seinem Handeln für mich. Was mich ausmacht, sind nicht meine Fähigkeiten, nicht mein Familienstand oder welche Partei ich wähle. Auch nicht meine Erfolge und Misserfolge, meine Berühmtheit oder meine Bedeutungslosigkeit, sondern dass ich ein Mensch bin, der mit dem Heiligen Geist versiegelt, in Christus verborgen und vom Vater geliebt ist. Mein tiefstes, innerstes Selbst ist ein Mensch, der getauft ist.
Diese Gewissheit vergisst meine Seele immer wieder. Manche Tage vergehen in einem Wirbel aus Geschäftigkeit, Ungeduld und Ablenkung. Ich arbeite, um den Segen selbst zu bewirken, um einem selbst gemachten Geliebtsein nachzujagen. Aber in den ersten zarten Momenten jedes neuen Morgens, in denen ich einfach das schlaftrunkene, ungewaschene geliebte Kind Gottes bin, empfange ich Gnade, Leben und Glauben erneut als Gabe von Gott. Die Gnade ist ein Mysterium und die wunderbarste Unglaublichkeit im ganzen Universum.
In diesem Buch werden wir bestimmte Arten ansehen, wie wir unsere Tage verbringen und wie wir Gottesdienst feiern. Aber bevor wir beginnen, sollten wir uns klarmachen, dass diese Rituale und Gewohnheiten uns zwar zu Menschen formen können, die von der Liebe und dem neuen Leben gezeichnet sind, die Jesus schenkt, aber sie sind nicht der Grund dafür, dass wir geliebt sind. Die Wirklichkeit, die hinter allem Tun in unserem Leben steht, ist der dreieinige Gott und seine Geschichte, seine Gnade, Fülle, Großzügigkeit, Initiative und Freude.
Heute Morgen erwache ich langsam an einem gewöhnlichen Tag, einem kühlen Frühlingsmorgen im März. Ich weiß nicht, was vor mir liegt, aber ich erwache in einem Bett, das mir vertraut ist, in dem Haus, in dem ich wohne. Ich erwarte einen vertrauten Tagesablauf meines besonderen Lebens, mitten im Alltagstrubel.
Der Psalmist erklärt: „Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat“ (Psalm 118,24). Dieser Tag. Wir erwachen nicht zu einem vagen oder allgemeinen Erbarmen vonseiten eines fernen Gottes. Gott in seiner Freude und seiner Weisheit hat diesen gewöhnlichen Tag geschaffen, benannt und gesegnet. Was ich in meiner Schwachheit als einen weiteren monotonen Tag im Ablauf vieler gleichartiger Tage sehe, hat Gott mir als besonderes Geschenk gegeben.
Als Jesus für die Menschen starb, kannte er mich beim Namen, und er kannte mich in der Besonderheit dieses Tages. Jesus hat mein Leben nicht theoretisch oder abstrakt erlöst – das Leben, von dem ich geträumt habe, oder das Leben, von dem ich meine, ich sollte es idealerweise leben. Er hat gewusst, dass ich diesen Tag heute so erleben würde, wie er ist, in meinem Zuhause genau da, wo es ist, in meinen Beziehungen mit ihrer eigenen Schönheit oder Gebrochenheit, in meinen speziellen Schwächen und Kämpfen.
Gott formt uns zu neuen Menschen. Das geschieht in den scheinbar unscheinbaren Momenten dieses Tages.
In seinem Buch The Divine Conspiracy erinnert der evangelikale Philosoph Dallas Willard uns daran, dass der Ort, an dem „unsere Verwandlung tatsächlich passiert, unser reales Leben ist, dort, wo wir es mit Gott und mit unseren Nächsten zu tun haben … Zuerst müssen wir die Umstände, in denen wir uns regelmäßig wiederfinden, als den Ort annehmen, an dem Gott herrscht und uns segnet. Bisher jedenfalls hat Gott noch niemanden irgendwo gesegnet, wo er gar nicht ist.“4
Das neue Leben, in das wir hineingetauft sind, leben wir in unseren Tagen, Stunden und Minuten. Gott formt uns zu neuen Menschen. Das geschieht in den scheinbar unscheinbaren Momenten dieses Tages.
Der Regisseur und Filmproduzent Alfred Hitchcock hat gesagt, Filme seien „Leben, aus dem die langweiligen Passagen herausgeschnitten sind“.5 Verfolgungsjagden und erste Küsse, spannende Handlungsverläufe und gute Gespräche. Wir wollen nicht sehen, wie unsere Lieblingsfigur spazieren geht, im Stau steht oder sich die Zähne putzt – jedenfalls nicht lange und nicht ohne einen guten Soundtrack.
Und wir wünschen uns tendenziell auch für das christliche Leben, dass die langweiligen Passagen herausgeschnitten werden.
Aber Gott hat uns dazu geschaffen, unsere Tage mit Ruhe, Arbeit und Spiel zu verbringen, etwas für unsere Gesundheit zu tun und für unsere Familien, Nachbarn, unser Zuhause zu sorgen. Was, wenn all diese langweiligen Dinge Gott tatsächlich etwas bedeuten? Was, wenn Tage, die in unseren Augen nur mit Kleinigkeiten und Unwichtigem vergehen, in Wirklichkeit voller Sinn sind und zu dem Leben in Fülle gehören, das Gott uns schenken will?
Die verborgenen Jahre im Leben von Jesus sind Teil der Erlösungsgeschichte. Wegen der Menschwerdung und der langen Jahre im Leben Jesu, über die uns nichts berichtet ist, hat unser kleines, normales Leben eine Bedeutung. Wenn Jesus Zimmermann war, können wir als Menschen, die mit Christus verbunden sind, entdecken, dass unsere Arbeit geheiligt und heilig ist. Wenn Jesus viele Jahre in der Verborgenheit gelebt hat, dann liegt in der Verborgenheit ein unendlicher Wert. Wenn Jesus den größten Teil seines Lebens mit Alltäglichkeiten und auf alltägliche Weise verbrachte, dann untersteht alles im Leben seiner Herrschaft. Keine Aufgabe ist zu klein oder zu banal, um nicht Gottes Ruhm und Herrlichkeit zu spiegeln.
Ein Freund von mir hat in Kalkutta unter den Ärmsten der Armen gearbeitet. Er hat erzählt, dass er betroffen war zu entdecken, wie banal das Leben selbst an einem so exotischen und herausfordernden Ort ist. Seine Entscheidung, dorthin zu gehen, empfand er als kühn und gewagt. Aber dann stellte er zu seiner Überraschung fest, dass er auch dort den größten Teil seines Tages damit verbrachte, mit Menschen zu reden, sich um die eigenen Angelegenheiten zu kümmern, etwas für seinen Körper zu tun, die Nachbarn kennenzulernen und sich zu bemühen, die Menschen zu lieben – manchmal mit mehr, manchmal mit weniger Erfolg. Ob ich Mutter Teresa bin oder eine Mutter mit kleinen Kindern, Revolutionärin, Studentin oder Steuerberater, das Leben wird in 24-Stunden-Tagen gelebt. Wir haben einen Leib; wir werden müde; wir lernen langsam; wir wachen jeden Morgen auf und wissen nicht, was uns erwartet.
In diesem Buch sehen wir uns das Leben im Verlauf eines Tages an. Wir sehen uns den Glauben in den kleinen Momenten an, geistliches Wachstum in seiner molekularen Form – nicht, weil es nur darauf ankommt, sondern weil das einzige Leben, das wir alle leben können, sich Tag für Tag im Fußgängertempo und in unserer normalen Menschlichkeit abspielt.
Ich mag große Ideen. Ich kann mich geradezu berauschen an Gesprächen über Rechtfertigung, Ekklesiologie, Pneumatologie, Christologie und Eschatologie. Aber diese großen Ideen bestätigen sich in den kleinen Augenblicken unseres Tages, an den Orten, zu den Zeiten, in den Häusern und Gemeinschaften, die unser Leben ausmachen. Genau da werden sie gelebt, geglaubt und verleiblicht. Die Dichterin und Hochschullehrerin Annie Dillard schrieb den klugen Satz: „Wie wir unsere Tage verbringen, so verbringen wir natürlich auch unser Leben.“6 Ich stieß vor ein paar Jahren auf diese Worte, noch bevor ich mein Studium begann, und behielt sie all diese Jahre voller kopflastiger theologischer Studien im Hinterkopf. Sie erinnern mich bis heute daran, dass der jetzige Tag das Bewährungsfeld dafür ist, was ich glaube und wen ich anbete.
Und an jedem neuen Tag muss sich mein Herz einen Ruck geben: Ich lebe das Leben, das hier und heute vor mir liegt. Das Leben, in dem Ehepartner es schwer miteinander haben. Das Leben, das wir nicht so leben, wie man es uns gelehrt hat oder wie wir gehofft hatten. Dieses Leben, in dem wir müde werden; durch das wir gern die Welt verändern würden, aber nicht sicher sind, wo wir anfangen sollen; wo wir mittags das Essen für die Kinder auf den Tisch bringen oder ihnen die Zähne putzen müssen, dieses Leben mit Rückenschmerzen und Langeweile; das Leben, das uns manchmal klein und bedeutungslos vorkommt, in dem wir zweifeln, uns mit Sinnlosigkeit herumschlagen, uns um Menschen sorgen, die wir lieben, und in dem wir Mühe haben, unsere Nächsten und unsere Allernächsten zu lieben, in dem wir trauern und warten.
Genau an diesem Tag kennt Jesus mich und erklärt, dass ich zu ihm gehöre. An diesem Tag erlöst er die Welt, breitet sein Reich aus, ruft uns zur Umkehr und zum Wachstum, lehrt seine Kirche ihn anzubeten, kommt uns nah und macht uns ganz zu seinem Volk.
Wenn ich mein Leben damit verbringen soll, durch die gute Nachricht von Jesus verwandelt zu werden, muss ich lernen, wie die großen übergreifenden Wahrheiten – Dogmatik, Theologie, Ekklesiologie, Christologie – sich in der Struktur eines normalen Alltags auswirken. So, wie ich diesen gewöhnlichen Tag mit Christus lebe, so werde ich mein ganzes christliches Leben leben.
2
Das Bett machen
Rituale, die dem Leben Gestalt geben
Vor ein paar Jahren machte ich mir zu Beginn der Fastenzeit Gedanken über das Bettenmachen. Genauer gesagt, mir kam plötzlich der Gedanke, dass Tausende oder eher Millionen von Erwachsenen morgens ihr Bett machen – und ich war geschockt, denn ich tat das so gut wie nie.
Ich war immer davon ausgegangen, dass die meisten Menschen, die nicht gerade zur kleinen Gruppe der elitären Pinterest-perfekten Supermenschen gehören, ihr Bett nicht machen, außer sie kriegen Besuch oder Mama kommt vorbei. Ich weiß, für hingebungsvolle Bettenmacher und Bettenmacherinnen ist das schwer vorstellbar, aber für mich gehörte Bettenmachen zu den Dingen, die jeder aufgibt, sobald er nur kann, so wie das Tragen einer Zahnspange, die Mathehausaufgaben oder andere lästige Dinge.
Wozu denn das Ganze? Man würde das Bett am Abend doch wieder zerwühlen. Es ist eine Sisyphus-Arbeit. Das Bett machen, es zerwühlen, es wieder machen und so weiter und so weiter. Wozu soll das gut sein? Geschirr muss man waschen, wenn man es wieder benutzen will; Wäsche auch, damit man saubere Klamotten hat (aber auch das schiebe ich so lange wie möglich auf). Aber ins Bett kann man sich genauso gut mit zerknittertem Bettzeug legen, wie wenn alles glattgezogen ist. Verstehen Sie mich nicht falsch – ich genieße es schon, in ein frisch bezogenes und gemachtes Bett zu steigen. Allerdings nicht so sehr, dass ich in Betracht zog, mein Bett tatsächlich täglich zu machen.
Aus meiner plötzlichen Neugier heraus fragte ich eine Freundin, ob sie morgens ihr Bett macht. Ja, macht sie. Nicht täglich, aber doch meistens und lustigerweise meist erst am Abend, bevor sie hineinsteigt. Tja, das ergab überhaupt keinen Sinn und machte mich erst recht neugierig. Also suchte ich Zuflucht bei Facebook und startete eine informelle Umfrage, wer und wenn ja wie oft sein Bett macht. Und die Leute antworteten – zahlreich – und erstaunlich leidenschaftlich.