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Das Christentum hat seit der Antike faszinierende Bilder hervorgebracht, die die Heilsgeschichte vergegenwärtigen und die Betrachter religiös inspirieren wollen. Johann Hinrich Claussen erzählt an herausragenden und teils überraschenden Beispielen die Geschichte der christlichen Bilder. Er erklärt, warum sie zu Objekten der Anbetung oder der Zerstörung wurden und wie in der Moderne ganz neue Bildsprachen gefunden wurden, die doch an die großen Traditionen anknüpfen. Das meisterhaft geschriebene Buch zeigt, wie wir christliche Bilder entschlüsseln können und was sie uns bis heute über Grundfragen des Menschseins verraten. Jesus als guter Hirte, der ein Schaf auf seinen Schultern trägt: Mit diesem anrührend schlichten Motiv beginnt im 3. Jahrhundert die Geschichte christlicher Bilder. Bald schon kommen Darstellungen des Gekreuzigten und des Weltherrschers hinzu. Maria, Apostel, Propheten, Märtyrer und Heilige rücken ins Bild. Die Bilder selbst werden verehrt und darum bekämpft. In der Spannung zwischen Religion und Kunst entstehen in der Renaissance Meisterwerke, die auch der Verherrlichung ihrer Auftraggeber – und der Künstler selbst – dienen. Johann Hinrich Claussen zeigt eindrucksvoll, wie die großen ikonografischen Traditionen bis zum Barock weitergeführt werden, um in der Moderne eine radikale Umformung zu erfahren. Dafür kann nun ein einsamer Mönch am Meer religiös ergreifen. Neue Symbolsprachen und abstrakte Formen kommen im 20. Jahrhundert auf. Die alten religiösen Bildsprachen hingegen werden heute kaum noch verstanden. Das meisterhaft geschriebene Buch bietet einen einzigartigen Schlüssel, um diese Sprache wieder zu verstehen.
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Johann Hinrich Claussen
Gottes Bilder
Eine Geschichte der christlichen Kunst
C.H.Beck
Cover
Inhalt
Textbeginn
Titel
Inhalt
Widmung
Motto
Einlass
Erster Saal: Bilder im antiken Israel – Verehrung und Verbot
Im Anfang war das Bild
Der göttliche Stier
«Die Bildermacher sind nichts wert»
Zweiter Saal: Die Christusbilder der Anfangszeit
Auf der Suche nach einem Bild für den neuen Glauben
In den Priscilla-Katakomben
Die Kraft der Amulette: Der Roger-Pereire-Stein
Blasphemie und Spott: Das Alexamenos-Graffito
Der Sieg des Gekreuzigten: Die Maskell-Tafeln
Aus dem Bildreservoir der Johannesoffenbarung: Das Lamm
Dritter Saal: Antike Bildwelten in Syrien, Ägypten und Äthiopien
Orientierung: Die Mosaikkarte von Madaba
Das syrische Christentum
Symeon, der Säulenheilige
Das Farbspektakel im Roten Kloster
Aksum: Die Evangeliare von Abba Garima
Die Kraft der Kreuze
Vierter Saal: Das Neue Rom und seine heiligen Ikonen
Bilderstreit in Byzanz
Triumph der Orthodoxie?
Bildpropaganda: Der Chludow-Psalter
Ikonen, Abbilder des heiligen Urbilds
Bedarf und Massenproduktion
Der Siegeszug der Madonna des Leidens
Fünfter Saal: Bildhauerkunst des westeuropäischen Mittelalters
Die Wunder wirkende Reliquie der Sainte Foy
Epochaler Wandel: Der Naumburger Lettner
Geflügelte Altarbilder
Sechster Saal: Fresken der Frührenaissance
Die Bekehrung eines reichen Jünglings
Giotto malt den heiligen Franziskus
Florenz, Hauptstadt der Renaissance
In Masaccios Zentralperspektive: Die Brancacci-Kapelle
Stille zum Anschauen: Fra Angelico
Siebter Saal: Große Gemälde der Hochrenaissance
Entfesselte Schönheit
Das Schöne als religiöses Erlebnis: Der Neuplatoniker Ficino
Schönheit und Schmerz: Botticellis Beweinungen
Andachtsbilder
Schönheit als Gnade: Raffaels Madonnen
Die Schrecken des Matthias Grünewald
Achter Saal: Grafiken der Reformationszeit
Dürers apokalyptische Reiter
Protestantische Bilderstürmer
Luther als Massenware
Gesetz und Gnade
Rembrandts Kindersegnung
Neunter Saal: Barocke Bildermissionen
Triumph und Überwältigung
Die Gegenreformation kämpft gegen den Teufel
Rubens und der katholische Triumph
Der Messias der Neuen Welt
Die Jungfrau von Guadalupe
Das «Erstlingsbild» der Herrnhuter Brüdergemeine
Zehnter Saal: Sehnsuchtsbilder der Romantik
Novalis und die Kunst als religiöses Medium
William Blakes Nachtgedanken
Goyas Nachtgestalten
Philipp Otto Runges geheimnisvoller Zeiten-Zyklus
Caspar David Friedrichs Tetschener Altar
Elfter Saal: Erbauung im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit
Fromme Bilder in der Moderne
Thorvaldsens zugewandter Christus
Segen und Macht: Christusmonumente
Herz-Jesu-Frömmigkeit
Das Jesusbild der Nonne Faustina
Weihnachten im Krieg: Die Stalingrad-Madonna
Zwölfter Saal: Christliche Kunst in der Moderne
Grenzgänge
Harriet Powers’ textile Bilderbibel
Stanley Spencers Auferstehung
Jawlenskys einsame Gesichter
Chagalls versöhnende Kirchenfenster
Paula Regos Agonie
Ausgang
Dank
Literatur
Einlass
Erster Saal
Zweiter Saal
Dritter Saal
Vierter Saal
Fünfter Saal
Sechster Saal
Siebter Saal
Achter Saal
Neunter Saal
Zehnter Saal
Elfter Saal
Zwölfter Saal
Ausgang
Bildnachweis
Namenregister
Zum Buch
Vita
Impressum
Für Dagmar
Die Alten Meister
kamen ohne Namen aus
ihre Signaturen waren
weiße Madonnenfinger
oder die rosa Türme
di città sul mare
auch Szenen aus dem Leben
della Beata Umiltà
sie lösten sich auf
im sogno
miracolo
crocifissione
fanden Zuflucht
unter dem Lid der Engel
hinter Hügeln aus Wölkchen
im dichten Gras von Eden
sie ertranken restlos
im goldenen Himmelszelt
ohne Entsetzensschrei
ohne Ruf um Gedenken
die Oberflächen ihrer Bilder
sind glatt wie ein Spiegel
es sind keine Spiegel für uns
es sind Spiegel für Auserwählte
ich rufe euch Alte Meister
in schweren Momenten des Zweifels
macht dass die Schlangenhaut
des Hochmuts von mir abfällt
lasst mich taub werden
für die Versuchung des Ruhms
ich rufe euch Alte Meister
Maler des Manna-Regens
Maler Gestickter Bäume
Maler der Heimsuchung
Maler des Heiligen Blutes
Zbigniew Herbert
Einlass
Theodor Galle, Aspicientes in Auctorem fidei
Erster Saal
Jungstier, Bronzefigur aus dem Samarischen Bergland
Wettergott auf einem Stier, Amulettstein
Unbekannte Göttin, Siegel aus Lachish
Thomas Lehnerer, Figurenkreis
Zweiter Saal
Der gute Hirte, Wandmalerei in den Priscilla-Katakomben in Rom
Der Gekreuzigte, Amulett aus Blutjaspis
Alexamenos-Graffito
Passion, Maskell-Tafel (Nr. 2), Elfenbein
Das Lamm, Mosaik in San Vitale, Ravenna
Judas-Kapitell in Sainte Marie-Madeleine, Vézelay
Dritter Saal
Mosaikkarte, St. Georg zu Madaba
Symeon der Stylit, Silberrelief
Das Rote Kloster in Ägypten, Apsis
Markus-Evangeliar, Abba Garima
Äthiopischer Priester mit Prozessionskreuz
Vierter Saal
Triumph der Orthodoxie, Ikone
Der Chludow-Psalter, Byzanz
Lukas malt die Ikone der Maria Hodegetria, Byzanz
Christus Pantokrator, Katharinenkloster auf dem Sinai
Andreas Ritzos, Die Muttergottes der Passion
Daniel Paul Mitsui, Our Lady of Perpetual Help
Fünfter Saal
Reliquienfigur der Sainte Foy von Conques
Tympanon an der Klosterkirche von Conques
Lettner im Naumburger Dom
Kreuzigungsgruppe im Naumburger Lettner
Mühlenaltar von St. Thomas, Tribsees
Pierre Soulages, Glasfenster in Conques
Sechster Saal
Giotto, Lossagung vom Vater, Florenz
Bernardo Daddi, Stadtansicht von Florenz
Brancacci-Kapelle in Santa Maria del Carmine, Florenz
Masaccio, Der heilige Petrus verteilt Almosen, Brancacci-Kapelle
Fra Angelico, Die Geburt Christi, San-Marco-Kloster
Paula Rego, Weihnachten
Siebter Saal
Sandro Botticelli, Beweinung Christi, München
Sandro Botticelli, Beweinung Christi, Mailand
Bartolomeo di Giovanni, Illustration zu Savonarola
Raffael, Madonna im Grünen
Sofonisba Anguissola, Selbstporträt mit Madonna und Kind
Matthias Grünewald, Isenheimer Altar, Colmar
Bill Viola, Emergence, Video
Achter Saal
Albrecht Dürer, Die vier apokalyptischen Reiter
Erhard Schön, Kirchenausräumung
Anonymus, Lutherus Triumphans
Anonymus, Gesetz und Gnade
Rembrandt, Christus heilt die Kranken
Gustave Doré, Jesus stillt den Sturm
Neunter Saal
Luisa Roldán, Der Erzengel Michael besiegt den Teufel
Peter Paul Rubens, Die Wunder des heiligen Franz Xaver
Cristóbal de Villalpando, Das letzte Abendmahl des hl. Franziskus
Anonymus, Gottvater malt die Jungfrau von Guadalupe
Johann Valentin Haidt, Erstlingsbild
Frida Kahlo, Moses oder Der Schöpfungskern
Zehnter Saal
William Blake, The Christian Triumph
Francisco de Goya, Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer
Philipp Otto Runge, Die Nacht
Friedrich Overbeck, Christus am Ölberg
Caspar David Friedrich, Das Kreuz im Gebirge
Vincent van Gogh, Die Sternennacht
Elfter Saal
Bertel Thorvaldsen, Christusstatue in Potsdam
Jilma Madera, Der Christus von Havanna
Anonymus, Das Heilige Herz Jesu
Adolf Hyła, Gnadenbild vom barmherzigen Jesus
Kurt Reuber, Stalingrad-Madonna
Christoph Fischbach, Segensengel
Zwölfter Saal
Harriet Powers, Pictorial Quilt
Stanley Spencer, The Ressurection, Cookham
Alexej von Jawlensky, Große Meditation: Glut
Marc Chagall, Glasfenster im Chor des Zürcher Fraumünsters
Paula Rego, Agony in the Garden
Andrea Büttner, Beggar
Ausgang
Micha Ullman, Stufen, Matthäuskirche, Berliner Kunstforum
Einlass
Selten kann man sich so fremd fühlen wie beim Besuch eines Museums mit alten christlichen Bildwerken. Man geht von Saal zu Saal, vorbei an all diesen Altären, Kruzifixen, Madonnen, Heiligen, sakralen Gerätschaften und fühlt sich eigentümlich verloren. Oft hat man gehört, dass solche Artefakte eine der wichtigsten Quellen unserer Kultur seien und die heutige Kunst immer noch prägten, aber man mag es kaum glauben. Denn man versteht sie nicht, sie sprechen nicht zu einem, man erkennt nicht, was sie zeigen und sagen.
Man kann aber auch die gegenteilige Erfahrung machen, wenn jemand diese verdunkelten Bilder zu sehen lehrt, einem die Augen für das öffnet, was auf ihnen abgebildet ist, ihre Geschichten erzählt, ihren Sinn aufschließt. Dann kann man darüber ins Staunen geraten, was es hier alles zu entdecken gibt. Manches davon wird einen überraschend berühren, anderes dürfte einem fremd bleiben, über anderes wiederum würde man gern streiten – Grund genug, sich mit unbefangener Neugier diesen Bildern anzunähern.
Deshalb versucht dieses Buch, eine Art Ausstellung zu gestalten. Sie besteht aus zwölf Sälen, die einen Weg von den Anfängen durch die wichtigsten Epochen bis zur Gegenwart anbieten und einen Überblick über wesentliche Formen, Gattungen, Motive und Themen geben. Die Ausstellung möchte sich auf wichtige Beispiele konzentrieren und verzichtet auf eine dicht gedrängte «Petersburger Hängung». Denn es braucht Zeit und Raum, um auch nur ein einziges Bild zu erfassen. Im Studium der Kunstgeschichte lernt man, dass man ein Bild eine Stunde lang betrachtet haben müsse, bevor man es tatsächlich «gesehen» habe. Das klingt seltsam in einer Zeit, die eine einmalige Bilderflut entfesselt hat. Aber es ist eine schlichte Wahrheit und zugleich ein ästhetisch-meditatives Versprechen: Wer sich in Ruhe mit diesen Bildern auseinandersetzt, dessen Blick wird verwandelt, erweitert und vertieft.
Zugegeben, das Vorhaben dieser «Ausstellung», mit der gesamten christlichen Bildgeschichte in einem gar nicht so umfangreichen Buch bekannt zu machen, mag vermessen erscheinen. Es lässt sich nur durchführen, wenn kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird. Dieses Buch sagt und zeigt bei weitem nicht alles. Es beschränkt sich auf wenige Beispiele, die es für exemplarisch und besonders sehenswert hält. Zugleich aber soll diese Auswahl eine größtmögliche Vielfalt vor Augen führen: Uraltes und Hochmodernes, Unbekanntes und Vertrautes, Meisterwerke und Volkskunst, Schönes und Hässliches, Hinreißendes und Problematisches.
Das Buch greift dankbar auf die reichen Erkenntnisse der kunstgeschichtlichen Forschung zurück, versucht aber auch eigene Akzente zu setzen. Ein besonderes Interesse gilt etwa dem kollektiven und individuellen Gebrauch der vorgestellten Bildwerke. Das Buch folgt nicht den gewohnten Routen über die «Höhenkämme» der christlichen Kunstgeschichte, sondern rückt hier und da auch sonst Vernachlässigtes in den Vordergrund. Jedes Kapitel endet mit einem Postskriptum, das von der behandelten Epoche aus einen Ausblick in andere Zeiten bietet und so Verbindungen deutlich macht, die sonst übersehen werden.
Es soll keine universale These über den Sinn und Zweck christlicher Bildwerke formuliert werden, aber es werden einige grundsätzliche Themen und Fragen behandelt, die den Gang durch die zwölf Säle dieses Buches bestimmen.
Da ist zunächst das widersprüchlich anmutende Phänomen, dass das Christentum zwar dem alttestamentlichen Bilderverbot verpflichtet ist, aber zugleich eine reichhaltige Bilderwelt geschaffen hat. Das führt zu der Frage, was mit dem Bilderverbot im Alten Israel gemeint war und wie es in den folgenden Jahrhunderten verstanden wurde. Natürlich hat es keine allgemeine Bild- und Kunstfeindlichkeit zum Gesetz erhoben. Abbildungen von Pflanzen, Tieren und Menschen hat es nicht verboten, auch nicht die Darstellung von Personen und Episoden der Heilsgeschichte, wie schon die Archäologie des frühen Judentums beweist. Es richtete sich primär gegen die Darstellung und Verehrung von anderen Göttern. Zugleich ist das Bilderverbot getragen von der monotheistischen Einsicht, dass sich das Wesen und Wirken des einen, unendlichen und unsichtbaren Gottes nicht abbilden lässt. Doch was bedeutet dies, wenn Gläubige für ihr gemeinschaftliches und persönliches spirituelles Leben Bildwerke benötigen? Was kann hier als möglich, sinnvoll oder problematisch gelten? Das war zu keinem Zeitpunkt der christlichen Bildgeschichte eindeutig geklärt und ist es auch jetzt nicht. Deshalb lohnt es sich immer noch, über das Recht und den Nutzen christlicher Bilder ebenso zu diskutieren wie wie über den Sinn einer christlichen Bilderkritik.
Es gibt ein Bild, das wie kein anderes diese Grundfrage der christlichen Bildgeschichte vorstellt. Man findet es an versteckter Stelle, nämlich in einem Erbauungsbuch mit dem Titel «Veridicus Christianus» (Christlicher Wahrsager), das 1601 veröffentlicht wurde. Verfasst hat es der niederländische Jesuit Joannes David. In einem Kapitel denkt er darüber nach, wie Christen sich ihre inneren Christusbilder «malen». Dies hat der flämische Grafiker Theodor Galle illustriert.
Zehn Künstler malen zehn verschiedene Christusbilder. Welches ist das richtige? Theodor Galle (1571–1633) stellte um 1600 den kreuztragenden Christus umgeben von zehn Malern an Staffeleien dar, die Szenen aus seinem Leben malen. Titelkupfer aus: Joannes David, «Veridicus Christianus» (Christlicher Wahrsager), Antwerpen 1601.
Man sieht den sein Kreuz tragenden Christus ganz allein auf einem Hügel, so als würde er Modell stehen. Um ihn, in einem Halbkreis versammelt, sitzen zehn Maler mit Pinseln und Paletten vor ihren Staffeleien. Intensiv betrachten sie ihn, lehnen sich vor und zurück, achten aber nicht darauf, was sie da gemalt haben. Dabei weicht dies – mit einer Ausnahme – erheblich von dem ab, was sie tatsächlich vor sich sehen. Der Künstler rechts oben hat die Anbetung der Könige gemalt, der Kollege unter ihm die Speisung der Fünftausend, der nächste Künstler den Besuch des Christusknaben im Tempel. Auf der anderen Seite sieht es nicht besser aus. Der oberste hat die Hochzeit zu Kana gemalt, der nächste den Einzug in Jerusalem, der dritte die Verklärung Jesu. Doch das ist noch harmlos im Vergleich zu den folgenden drei Bildern. Sie zeigen Judas mit seinem Geldbeutel, den Teufel sowie eine Frau (vielleicht eine allegorische Darstellung der «luxuria», der sündhaften Verschwendungssucht) mit zwei Hundeköpfen. Nur der Maler im Vordergrund hat ein Bild geschaffen, das wahrheitsgetreu das zeigt, was hier tatsächlich zu sehen ist: Christus, der sein Kreuz trägt. Vielleicht liegt es daran, dass er den größten Abstand hat.
Fast komisch wirkt diese Illustration: So viele begabte, engagierte Maler, und bis auf einen einzigen versagen sie alle. Jeder malt, was er sehen will. Autor und Illustrator des «Veridicus Christianus» sehen darin ein gravierendes Problem. Aber andererseits: Es scheint nun einmal diesen Drang zu geben, sich ein Bild des Göttlichen und Heiligen zu machen. Und wie sollte man dies tun, wenn nicht aus dem eigenen Blickwinkel? So ist es unvermeidlich, dass viele unterschiedliche Christusbilder entstehen. Man kann dies sogar als Ausweis künstlerischer Freiheit und religiöser Kreativität ansehen. Aber natürlich sollte dies von einem kritischen Nachdenken begleitet sein, damit krasse Fehlbildungen erkannt werden und niemand sein eigenes Bild zum einzig wahren erklärt. Dieses spannungsgeladene «Zugleich» von Bildkreation und Bildkritik ist nicht nur ein Problem von professionellen Bildproduzenten, sondern müsste alle Christenmenschen angehen, die Christus nachfolgen wollen und sich dabei von einem inneren Bild leiten lassen, das immer etwas Persönliches und Begrenztes ist.
Eine zweite Leitfrage des vorliegenden Buches richtet sich auf den ästhetischen und religiösen Charakter christlicher Bilder. Bis weit in die Neuzeit waren sie nicht «Kunst» im heutigen Sinne. Es handelte sich eher um – wenn auch hochklassiges – Kunsthandwerk, in Auftrag gegeben von kirchlichen oder weltlichen Personen und Institutionen, hergestellt von anonymen Meistern und ihren Werkstätten. Diese Bilder sollten angeschaut, genossen, aber auch gebraucht werden. Doch wer sie heute in einem Museum betrachtet, nimmt diesen Funktionszusammenhang nicht mehr wahr, sondern sieht in ihnen Kunstwerke und verbindet damit ganz andere Seh-Erwartungen. Wie lässt sich die heutige mit der ursprünglichen Rezeption in ein Verhältnis setzen?
Drittens stellt sich die Frage, wie die Zukunft der weit zurückreichenden christlichen Bildgeschichte aussieht. Sie hat eine Fülle von prägenden Motiven hervorgebracht. Aber in der Moderne haben Bildzweifel und Bildkritik die ikonografischen Traditionen aufgebrochen, verflüssigt und durch offene Formen ersetzt. Man besuche nur einen zeitgenössischen Kirchenbau – egal ob katholisch oder evangelisch –, und man wird kaum noch Bilder finden, außer einem Kreuz und einer besonderen Gestaltung des Raumlichts. Heißt das, dass die christliche Bildgeschichte an ein Ende gekommen ist und gegenständliche Darstellungen des christlichen Glaubens nicht mehr möglich sind? Bemerkenswert ist immerhin dieser Widerspruch: Während die Gegenwartskultur – man denke nur an die Konsumökonomie und die digitale Kommunikation – immer stärker auf Bilder setzt, scheint in den meisten heutigen Christentümern eine Bildaskese vorzuherrschen. Auch deshalb mag eine Erinnerung daran, wie alles begann und sich entwickelte, nicht nur für das Verständnis des Christentums wichtig sein. Sie kann auch für das Nachdenken über die eigene Gegenwart hilfreich sein, die mit einer unvergleichlichen Bilderseligkeit gesegnet beziehungsweise geplagt ist und sich vor die epochale Frage gestellt sieht, was noch als gutes, schönes und wahres Bild gelten darf.
Zum Schluss ein Wort zu den Abbildungen in diesem Buch: Es war der Anspruch, möglichst gute Reproduktionen angemessen zu präsentieren. Aber auch die beste Aufnahme- und Drucktechnik ersetzt nicht die direkte Begegnung von Angesicht zu Angesicht. Jede Reproduktion ist eine Manipulation. Sie löst ein Bild aus seinem Zusammenhang, verändert seine Größe, reduziert seine Farbigkeit, filtert seine Struktur, glättet seine Oberfläche, blendet seine Körperlichkeit aus. Auch deshalb möchte dieses Buch ein Reiseverführer sein. Wer es gelesen hat, möge sich sogleich aufmachen zu den großen und kleinen Museen, den berühmten Kathedralen oder zur Kirche in der Nachbarschaft.
Erster Saal
Zu den Ursprüngen der israelitischen und damit auch der christlichen Bildgeschichte gibt es zwei Erzählungen. Die erste und bekanntere findet sich in der Hebräischen Bibel, die zweite wurde erst in den vergangenen Jahren von der Archäologie ans Licht gehoben.
Die biblische Erzählung geht, abgekürzt, so: Der Prophet Mose hatte das Volk Israel aus der ägyptischen Sklaverei in die gefährliche Freiheit der Wüste geführt. Als sie an den heiligen Berg Sinai gelangt waren, ließ er die Israeliten ein Lager aufschlagen und ging allein hinauf. In der Höhe, mitten in einer Feuerwolke, gab Gott ihm ein Grundgesetz für den Bund, den er mit diesem Volk schließen wollte. Die zehn wichtigsten Gebote meißelte Mose auf zwei Steintafeln. «Du sollst keine anderen Götter haben», lautete das erste, und das zweite: «Du sollst dir kein Gottesbild machen.» Sehr lange war Mose auf dem Vulkan Gottes. Die Israeliten wurden unruhig. Ohne ihren Propheten fühlten sie sich verlassen. Deshalb bedrängten sie seinen Bruder, den Priester Aaron, dass er ihnen einen Ersatz verschaffe. Der ließ alles Gold sammeln, das die Israeliten besaßen, und schuf daraus das Standbild eines Jungstiers. Alle jubelten, denn nun hatten sie ein Bild heiliger Stärke vor Augen. Das würde ihnen Kraft für den weiten Weg durch die Wüste und in das Land geben, das Gott ihnen versprochen hatte. Doch da kehrte Mose von seiner Gottesbegegnung zurück. Als er sah, wie das Volk um den goldenen Jungstier tanzte, erfasste ihn blinde Wut. Er warf die Steintafeln zu Boden, so dass sie zu Bruch gingen. Danach zerstörte er das Götzenbild. Es folgte ein Massaker, dem dreitausend Männer zum Opfer fielen. Das Grundgesetz Gottes war gebrochen, bevor es überhaupt in Geltung gesetzt worden war. Dennoch, an diesem Gebot sollte sich von nun an das Schicksal Israels entscheiden. Immer wenn Israel fremden Göttern folgte und deren Bilder anbetete, sollte ein Verhängnis über es kommen. Nur wenn es dem einen, unsichtbaren, nicht darstellbaren Gott treu blieb, konnte es auf Rettung hoffen. Alles hing am Verbot von Götterbildern (vgl. Exodus 20, 24 und 32).
Ein anderes Bild gewinnt man, wenn man sich die jüngere Geschichte der archäologischen Forschungen in Palästina/Israel erzählen lässt. Bisher hat sie in der Öffentlichkeit, ja selbst in der Theologie kaum Gehör gefunden. Das mag auch daran liegen, dass sie nicht – à la Schliemann – den einen spektakulären Fund zu Tage gebracht hat, sondern viele, oft unscheinbare Bruchstücke, mühsam-sorgfältig aus dem Staub geborgen. Versucht man jedoch, sie zusammenzusetzen, eröffnen sie einen überraschenden Blick auf die Anfänge Israels. Es handelt sich zumeist um religiöse Kleinkunst, von namenlosen Handwerkern mit einfachen Mitteln geschaffen, oft von schlichter Qualität, noch häufiger beschädigt und versehrt, immer schwer zu entziffern und zu deuten: Figuren von Frauen, Männern, Tieren oder Mischwesen, Bilder von Sonne, Mond und Sternen, Bäumen und Zweigen. Keines dieser Stücke lässt sich direkt einem Vers oder einer Gestalt der Bibel zuordnen. Alle zusammen aber bezeugen eindeutig: «In Israel gab es Bilder» (Silvia Schroer). Das beweist ja auch indirekt das Bilderverbot: Untersagt werden muss nur etwas, das üblich ist.
Diese Einsicht mag heute immer noch für Verblüffung sorgen, doch kann es damals gar nicht anders gewesen sein. Israel unterschied sich im Glauben über lange Zeit kaum von seinen Nachbarn. Das sollte sich erst grundsätzlich ändern, als zunächst das Königreich Israel im Norden und dann das Königreich Juda südlich davon von mächtigen Feinden unterworfen, zerstört und die Oberschicht verschleppt wurde. Vor diesen beiden Traumata aber – und noch lange danach – wurden in Israel wie selbstverständlich Götterbilder geschaffen und verehrt. Die Religion lebte in Bildern und in den Riten, die mit ihnen verbunden waren. Etwas anderes wäre nicht denkbar gewesen; das heilige Buch war ja noch nicht geschrieben. Dafür gab es noch den einen Tempel in Jerusalem und die vielen Heiligtümer überall im Land, die jeweils für ihren Kult Bilder des Göttlichen benötigten.
Die Forschung unterscheidet drei Ebenen der altisraelitischen/palästinischen Bildwelt. Da ist zunächst die «nationale» Ebene mit den Tempeln der Könige im Nord- und Südreich, an denen Priester und Propheten ihren Dienst taten. Diese müssen größere Sakralbauten gewesen sein. Mit welchen Bildwerken sie ausgestattet waren, lässt sich nicht mehr bestimmen. Gerade sie waren ja Zielobjekte der ägyptischen, assyrischen und babylonischen Aggressoren und wurden von diesen vollständig zerstört. Allerdings scheint es im palästinischen Raum und seinen benachbarten Regionen so gewesen zu sein, dass die lokalen Hochgötter wie El oder Baal nicht direkt abgebildet wurden, vielleicht aus einem Gefühl heiliger Scheu. Deshalb kann man vermuten, dass zum Beispiel im Tempel von Beth-El eher kein Götterbild, sondern eine Massebe, also ein massiver, heiliger Stein, aufgestellt war.
Etwas mehr wissen wir über die zweite, die regionale Ebene. Als man Heiligtümer von lokaler Bedeutung ausgrub, fand man viele Darstellungen des Göttlichen. Das meiste davon aber wies nichts spezifisch Israelitisches auf, sondern folgte den Grundmodellen einer damals gebräuchlichen, sozusagen internationalen Bildsprache. Es waren symbolische Darstellungen von Göttinnen und Göttern oder gottähnlichen Wesen, wie man sie auch in benachbarten Ländern finden konnte. Schwer zu bestimmen sind jeweils ihr präziser Sinn und ihre kultische Funktion.
Die dritte Ebene bildet die Familienreligion. Es wurde ja nicht nur in Tempeln und an heiligen Orten in der Natur gebetet, sondern auch im privaten Raum: um Schutz und Segen, Fruchtbarkeit der Frauen und Gesundheit der Kinder, gute Ernten und Heilung bei Krankheit. Auch in der Großfamilie wurden die Feste des Jahres begangen, wurde der Ahnen gedacht. Von dieser privaten Frömmigkeit zeugt eine Fülle archäologischer Funde, von denen die meisten natürlich recht einfach und wenig individuell gestaltet sind, eine Art Massenware.
Die gefundenen Bilder stellen verschiedene Götter nicht direkt, sondern symbolisch vor: El, Baal, Jahwe, auch Göttinnen wie Anat und Astarte oder dämonenartige Halbwesen. Sie wurden häufig durch Tiere repräsentiert, die jeweils bestimmte Eigenschaften sichtbar machten: der Löwe als Bezwinger der Feinde und Garant der königlichen Ordnung oder die Schlange als Trägerin der Weisheit. Anders als die Mose-Geschichte erwarten ließe, besaß der Stier gerade für den Jahwe-Kult eine positive Bedeutung. Jahwe scheint ursprünglich ein lokal verehrter Wettergott gewesen zu sein, der sich dann aber zum Hauptgott Israels entwickelte. Als seine hervorstechende Eigenschaft galt eine überwältigende Stärke. Sie ließ sich am besten durch das Bild eines vitalen, kraftstrotzenden, fruchtbaren Jungstiers vorstellig machen. So erzählt die Bibel, dass der König Jerobeam zwei goldene Jungstiere schaffen ließ, von denen er einen im Tempel von Beth-El und den anderen in Dan aufstellen ließ (vgl. 1. Könige 12,28 f.).
Das Goldene Kalb war in Wahrheit ein Jungstier, Symbol für Kraft und Fruchtbarkeit. Die etwa 12 Zentimeter hohe Statue eines Jungstiers aus dem 12. Jahrhundert v. Chr. wurde in Samarien gefunden.
Der wohl bedeutendste Fund der vergangenen Jahrzehnte ist eine Bronzefigur, die einen Jungstier darstellt. Ausgegraben wurde sie 1978 auf einem Hügel im Samarischen Bergland, östlich des Dothan-Tals. Dort hatte es ein Freilichtheiligtum gegeben: eine einfache, runde Anlage mit einer Massebe. Die Stierfigur ist deutlich kleiner, nur 17 Zentimeter lang und 12 Zentimeter hoch. In welchem Verhältnis sie zur Massebe stand und was ihre rituelle Funktion in diesem Höhenheiligtum war, lässt sich nicht mehr sagen.
Die Figur stellt ein junges, männliches Buckelrind dar. Die Eigenheiten dieser Gattung, vor allem der charakteristische Buckel, sind präzise herausgearbeitet. Alles ist sorgfältig gestaltet: die gleichmäßig geschwungenen Hörner, darunter die ausgestellten Ohren, der Schwanz, der locker auf der Kuppe liegt, die gespaltenen Hufe, die großen Augen, die ursprünglich bemalt gewesen sein dürften, Mund und Nasenlöcher, sogar die Geschlechtsteile und der Anus sind naturgetreu wiedergegeben. Unrealistisch – oder besser gesagt: stilisiert – erscheint die flache Gestalt des Körpers. Andererseits besitzt sie eine eigentümliche Spannung dadurch, dass die beiden Vorderbeine ausgestellt sind. So wirkt es, als würde sich der Jungstier gleich in Bewegung setzen.
Sicherlich wurde diese Figur nicht in der Nähe des Fundorts hergestellt, sondern von irgendwoher importiert. Wahrscheinlich im 12. Jahrhundert v. Chr. wurde sie von einem fähigen Kunsthandwerker zunächst in Wachs oder Ton geformt und dann im Wachsausschmelzverfahren in Bronze gegossen. Anschließend wird sie durch viele Hände gegangen und noch im 11. Jahrhundert in Gebrauch gewesen sein. Die genaue rituelle Funktion lässt sich nicht mehr bestimmen. Die Forschung ist sich nur darüber einig, dass diese Figur einen starken und vitalen Gott repräsentiert, der von seinen Verehrern um Kraft und Fruchtbarkeit gebeten wurde. Aber ließe sich dieser bronzene Jungstier direkt als Jahwe-Bild bezeichnen? Diskutiert wird in der Forschung, ob diese und ähnliche Figuren selbst einen Gott symbolisch vorstellen sollten oder – was wahrscheinlicher ist – nur dessen Sockel. So zeigt es ein Amulettstein in wenigen Strichen: ein Stier, auf dem ein Gott in Männergestalt steht.
War der Stier ein Abbild Gottes oder diente er nur einem unsichtbaren Gott als Sockel? Das Amulett aus schwarzem Stein, das einen auf einem Stier stehenden Wettergott zeigt, wurde in Samarien gefunden. Das Original aus dem 9./8. Jahrhundert v. Chr. ist verloren. Erhalten ist nur eine Umzeichnung.
Neben dieser und anderen männlichen Figuren hat man einige wenige Darstellungen weiblicher Gestalten gefunden. Wie man sie männlichen Gottheiten wie El oder Baal genau zuordnet und ob man zum Beispiel Aschera, die mehrfach in der Bibel genannt wird, als die «Ehefrau Jahwes» bezeichnen darf, wird sich nie ganz klären lassen. Unleugbar aber ist, dass es sich hier keineswegs um «Fremdgöttinnen» handelt. Auch wenn man später, nach der Zerstörung Jerusalems, nichts mehr von ihnen wissen wollte, gehörten sie doch ursprünglich und über sehr lange Zeit zum Kernbestand des israelitischen/palästinischen «Himmels» und wurden im Heiligen Land hingebungsvoll verehrt. So zeigt es ein in Lachish gefundenes – allerdings singuläres – Siegel. Zu sehen ist in der Mitte eine Göttin, die als Zeichen ihrer Fruchtbarkeit und Zugewandtheit mit beiden Händen ihre Brüste vorzeigt. Als Göttin ist sie durch eine kostbare Frisur – nach dem Vorbild der ägyptischen Hathor – und die geflügelte Sonne über ihrem Kopf gekennzeichnet. Zu ihrer Linken ist ein Baum dargestellt, ebenfalls ein Zeichen der Fruchtbarkeit, vielleicht auch der Beständigkeit. Darauf sitzt eine Tiergestalt, die an einen Pavian denken lässt. Was sie dort zu suchen hat? Vielleicht wollte der Siegelschneider bloß den leeren Platz auf der rechten oberen Bildfläche füllen. Zur Rechten der Göttin steht ein Verehrer in Gebetshaltung. Wie und was mag er gebetet haben?
Im antiken Israel wurden auch Göttinnen verehrt. Hier betet ein Mann eine unbekannte Göttin an, die als Zeichen der Fruchtbarkeit mit beiden Händen ihre Brüste hält. Das Siegel mit diesem Motiv wurde in Lachish gefunden. Das Original ist verloren. Erhalten ist nur diese Zeichnung.
Außer solchen Göttinnen und Göttern hat man deutlich mehr Bilder von Misch- und Zwischenwesen ausgegraben: Kerubim, Dämonen, Sphingen, geflügelte Schlangen. Man nimmt an, dass sie als Nothelfer und Glücksbringer genutzt wurden, die vor bösen Mächten und Schicksalsschlägen schützen sollten.
Überschaut man die archäologischen Funde, fällt eine große Vielfalt auf, inhaltlich, aber auch in den Gestaltungen und Materialien. Es gibt Skulpturen, Reliefs, Stelen, Siegel, Amulette, Talismane, Gemmen, Grab- und Votivgaben aus Metall, Keramik, Stein, Elfenbein – im 8. Jahrhundert vor Christus sind die syrischen Elefanten allerdings ausgestorben – und, wenn auch selten erhalten, aus Holz und Textilien. Bilder konnten dem allgemeinen Kult dienen bei Gebeten, Opferungen, Weihehandlungen oder Prozessionen. Für die familiäre und persönliche Frömmigkeit wurden sie genutzt, um Böses abzuwehren, Segen zu spenden, Dank zu sagen, in die Zukunft zu schauen oder die Ahnen zu vergegenwärtigen. Einige hatten auch administrative und rechtliche Funktionen, zum Beispiel die Siegel, die man mit einer Kette am Hals oder Handgelenk trug und mit denen man Briefe und Verträge beglaubigte. Monumentale und kostbare Bilder besaßen auch eine politische und soziale Bedeutung. Sie waren Machtzeichen, die einen Herrschaftsanspruch markierten, oder Statussymbole, die Ansehen und Wohlstand ausstellten. Andererseits wird man annehmen dürfen, dass gerade die kleinen, bescheidenen Bilder, die der persönlichen Frömmigkeit dienten, für ihre Eigentümer einen hohen emotionalen Wert besaßen, waren sie ihnen doch beseelte Lebensbegleiter.
Gern wüsste man mehr darüber, wer sie hergestellt hat. Waren es gewöhnliche Handwerker oder auch ausgewählte Künstler? Gab es Voraussetzungen, brauchte es bestimmte Weihen oder die Zugehörigkeit zu einer Art Zunft, um solche Bilder herstellen zu dürfen? Man weiß nur, dass die Siegelschneider einen eigenen Berufsstand bildeten. Haben auch Frauen Götterbilder geschaffen? Und wie wurden die inhaltlichen und bildlichen Traditionen entwickelt und weitergegeben? Das lässt sich im Einzelnen nicht mehr nachvollziehen. Deutlich ist aber, dass die israelitische/palästinische Bildwelt Teil eines größeren Kosmos war. Einflüsse der wechselnden Großmächte – Ägypten, Assur, Babylon, später Persien – oder der Nachbarvölker – Phönizier, Hethiter, Edomiter, Moabiter – sind überall nachweisbar. Denn das Heilige Land war zu keiner Zeit eine Insel. Eroberung, Vertreibung, Einwanderung, Handel und damit unablässiger Religions- und Kulturaustausch, zu dem ein grenzüberwindender Im- und Export von Bildern gehörte, waren hier die Normalität. Deshalb ist es wenig sinnvoll, nach spezifisch israelitischen Bildern zu fahnden.
Doch als sich im 6. Jahrhundert, nach der Zerstörung Jerusalems, im Exil langsam aus dem Alten Israel das Judentum zu entwickeln begann, wurde eine bis dahin menschheitsgeschichtlich einmalige Kritik an Gottesbildern laut. Sie hängt zusammen mit dem traumatischen Verlust von Tempel, Königtum und Heimatland, vor allem aber mit dem sich herausbildenden Glauben an den einen Gott der ganzen Welt, der von menschlichen Händen nicht abgebildet werden kann. Der erste konsequente Botschafter dieses neuen Glaubens war ein namenloser Prophet, dessen Verse sich im Jesaja-Buch finden, weshalb man ihn Deuterojesaja nennt. Indem er fern der verlorenen Heimat den alten Bilderkult für ungültig erklärte, wurde er zu einem der ersten Kult- und Bildkritiker der Weltgeschichte:
«Die Bildermacher sind nichts wert. Woran sie ihr Herz hängen, ist zu nichts nütze. Es sind nur Menschen, die Götterbilder anfertigen. Der Schmied macht ein Messer in der Glut und formt es mit Hammerschlägen. Er arbeitet daran mit der ganzen Kraft seines Arms. Dabei wird er irgendwann hungrig und müde, durstig und matt. Der Zimmermann spannt die Schnur und zeichnet mit dem Stift vor. Dann behaut er das Holz, zirkelt es ab und macht daraus die Figur eines Mannes. In einem Haus soll sie thronen. Der Zimmermann schlägt Zedern, nimmt Kiefern und Eichen. Er hat Fichten gepflanzt, der Regen ließ sie wachsen. Das gibt den Leuten Brennholz. Davon nimmt er, zündet ein Stück Holz an, wärmt sich daran oder backt Brot damit. Aus genau demselben Holz macht er sich auch einen Gott und betet ihn dann an. Die eine Hälfte verbrennt er im Feuer, brät Fleisch darauf, isst vom Braten, wärmt sich und spricht: ‹Ah! Ich bin satt und warm geworden, ich spüre das Feuer.› Und die andere Hälfte macht er zu seinem Gottesbild, kniet davor nieder und betet: ‹Errette mich, denn du bist mein Gott!›» (Vgl. Jesaja 44,6–17 i. A.)
Dies ist eine unerhörte Entzauberung aller Götterbilder. Man könnte auch von einem polemischen Verriss sprechen. Ganz fair ist er nicht, denn den meisten antiken Bildherstellern und -verehrern wird durchaus bewusst gewesen sein, dass ihre Skulpturen, Reliefs oder Amulette keineswegs mit den durch sie symbolisch repräsentierten Gottheiten identisch waren. Dennoch hat Deuterojesaja ein theologisches Recht auf seiner Seite: Ein konsequenter Monotheismus ist mit der kultischen Verehrung einzelner Werke nicht vereinbar. Er braucht eine andere Ausdrucksform und Ausrichtung – und sollte sie schließlich in einem heiligen Buch finden. Dieses ersetzte die religiösen Kreationen der bildenden Kunst, schuf statt ihrer Sprachbilder Gottes und wurde so zur Grundlage einer neuen Gemeinschaft, nämlich des biblischen Judentums. Lange handelte es sich dabei um eine kleine Avantgarde von Schriftgelehrten, die kaum Einfluss auf die immer noch bildreiche Volksfrömmigkeit der Mehrheit hatte. Doch als in den ersten beiden Jahrhunderten nach Christus das Rabbinentum zur bestimmenden Kraft des Judentums wurde, war das Bilderverbot durchgesetzt – mit weitreichenden Folgen auch für das Christentum, den Islam und sogar die spätere säkulare Kunstgeschichte.
Der religiöse Sinn des Bilderverbots besteht in einer tiefen Ehrfurcht vor der Überweltlichkeit des Ewigen und damit in einer grundsätzlichen Skepsis gegenüber allen Versuchen, Gott zu verbildlichen und zu verdinglichen. Menschen können gar nicht anders, als ihren Glauben in Bilder zu fassen, und müssen diese Bilder doch immer wieder zerstören, damit diese nicht an die Stelle des Geglaubten treten. Dadurch kann das Bilderverbot eine befreiende, machtkritische Wirkung entfalten. Denn feste Gottesbilder sind in Gefahr, Instrumente menschlicher – politischer, religiöser, sozialer – Herrschaft zu werden. Das Bilderverbot besitzt aber auch einen ästhetischen Sinn. Es ist nicht darauf angelegt, menschliche Kreativität zu hemmen, sondern kann diese auch befördern. Indem es althergebrachte Bilder und Bildproduktionen durchstreicht, nötigt es zu erfinderischen Umwegen und neuen ästhetischen Schöpfungen – man denke nur an die Ornamentik in der muslimischen Kultur. Trotz seiner epochalen Bedeutung sollte man allerdings nicht den Fehler begehen, das Bilderverbot der Bibel und die Bildkritik der Theologen für das Ganze zu nehmen. In allen monotheistischen Religionen hat das Bedürfnis der Gläubigen nach sinnlicher Veranschaulichung Wege und Mittel gefunden, sich Ausdruck zu verschaffen. Deshalb wird eine unauflösliche Spannung zwischen Bilderschöpfung und Bilderverbot, zwischen bildseliger Volksfrömmigkeit und bildkritischer Intellektuellentheologie auch die Geschichte der christlichen Kunst durchziehen.
P. S.: «Figurenkreis» heißt das letzte Werk des früh verstorbenen Künstlers und Theologen Thomas Lehnerer (1955–1995). Auf einem weiten, nicht ganz geschlossenen Kreissockel, etwa hüfthoch und sechs Meter im Durchmesser, hat er vierundsiebzig handgroße Figuren versammelt. Einige hat er selbst gefertigt, andere gefunden. Es sind europäische, afrikanische, asiatische, archaische und moderne Kleinskulpturen aus Wachs, Bronze, Ton oder Holz: menschenähnliche Gestalten mit einer religiösen Bedeutung oder zumindest einer sakralen Aura – Geister, Göttinnen und Götter, Engel und Heilige. Manche sind kaum zu identifizieren und zuzuordnen, namenlose ecce-homo-Gestalten, andere wirken altvertraut: eine Madonna mit Christuskind, ein heiliger Franz, ein Plastik-Buddha. Gemeinsam bilden sie einen Kreis. Man kann in ihn hineintreten, sich dann zu dieser oder jener Seite drehen, die eine oder andere Figur näher in den Blick nehmen. Eine Ordnung oder gar Hierarchie wird dabei nicht sichtbar werden. Vielmehr begegnet man all dem religiös Menschenmöglichen, das sich in Bildern Ausdruck verschafft. Doch wie sie da so nebeneinanderstehen, erwecken sie einen Eindruck von Friedlichkeit und Solidarität. Keine Figur drängt sich vor oder eine andere zurück. Sie alle wirken arm, zerbrechlich, verletzt oder beschädigt. Der Jungstier aus dem Dothan-Tal oder die Göttin aus Lachish würden sehr gut in diesen Kreis passen.
Der Mensch braucht Bilder, um zu glauben. Hier formen sie auf gleicher Höhe einen offenen Kreis: Göttinnen und Götter, Heilige und Geister aus unterschiedlichen Kulturen, Menschenfiguren – vom Künstler gefunden oder selbst geformt. Thomas Lehnerer (1955–1995) schuf 1995 diesen «Figurenkreis».