Gottes Gegenwart in Welt und Sakrament - Gerhard Kardinal Müller - E-Book

Gottes Gegenwart in Welt und Sakrament E-Book

Gerhard Kardinal Müller

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Beschreibung

Im Zentrum des christlichen Glaubens an einen transzendenten Gott steht die Erkenntnis, dass dieser Gott mit den Menschen in ein personales Verhältnis der Liebe eintreten will: Jesus Christus ist der Mensch gewordene Sohn des ewigen Vaters, der bleibend bei uns ist »alle Tage bis zum Ende der Welt«. In seinen in den USA gehaltenen Exerzitien führt Kardinal Müller in diesen christlichen Glauben ein und leitet dazu an, ihn denkend und meditierend nachzuvollziehen. Gegen die Kritiker des Christentums und der Kirche zeichnet die Spuren der Gegenwart Gott nach von der Schöpfung über die Inkarnation bis hin zur wahrhaften und wesenhaften Gegenwart des Gott-Menschen im Sakrament der Eucharistie.

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Gerhard Kardinal Müller

Gottes Gegenwart in Welt und Sakrament

Exerzitien

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2023Alle Rechte vorbehaltenwww.herder.deUmschlaggestaltung: Verlag HerderUmschlagmotiv: © mauritius images / Jaroslav Girovsky / Alamy / Alamy Stock PhotosSatz und E-Book Konvertierung: SatzWeise, Bad WünnenbergISBN Print 978-3-451-39478-2ISBN E-Book (PDF) 978-3-451-82976-5ISBN E-Book (E-Pub) 978-3-451-82977-2

Inhalt

Einführung: Wozu Geistliche Exerzitien?

Prolog: Sein Name ist Immanuel – Gott mit uns (Mt 1, 23)

1. Im Anfang war das Wort (Joh 1,1)

2. Und das Wort ist Fleisch geworden (Joh 1,14)

3. Es werde Licht (Gen 1,3)

4. Lasst uns den Menschen machen (Gen 1,26)

5. Ich bin der Herr, dein Gott (Ex 20,2)

6. Ich bin das Brot des Lebens (Joh 6,35)

7. Das ist mein Leib (Mk 14,22)

8. Das ist mein Blut (Mk 14,24)

9. Und nicht schaute sein Leib die Verwesung (Apg 2,31)

10. Der Leib aber ist die Kirche (Kol 1,18)

11. In der Welt seid ihr in Bedrängnis; aber habt Mut (Joh 16,33). Seht ich bin bei euch alle Tage (Mt 28,20)

12. Ich gebe euch Hirten nach meinem Herzen (Jer 3,15)

13. Mit der Erlösung unseres Leibes als Söhne offenbar(Röm 8,23)

14. Seht Gottes Zelt unter den Menschen (Offb 21,3)

Predigt zum Abschluss der Geistlichen Exerzitien

Epilog

Anmerkungen

Einführung: Wozu Geistliche Exerzitien?

In die Clear Creek Abbey (Oklahoma) war ich 2021 eingeladen, ihren 60 Mönchen die jährlichen Exerzitien zu predigen. Das Leitmotiv war die reale Präsenz Gottes in der Schöpfung, der Kirche und der Eucharistie. Im Herbst des folgenden Jahres führte ich in der polnischen Diözese Tarnóv mit 400 Priestern die gleichen Geistlichen Übungen durch. Warum predigen wir die Exerzitien, statt sie bloß zu geben, so wie man in der christlichen Kunst die Ikonen nicht – wie man annehmen könnte – malt, sondern schreibt?

Die Antwort ist einfach. Es geht nicht um die intellektuelle Darlegung eines theologischen Sachverhaltes, sondern um die Hin-führung zu einer Person, auf die man im Leben und Sterben seine ganze Hoffnung setzt. Exerzitien sind ein Wechselspiel zwischen Prediger und Hörer in der Verkündigung und Bezeugung des Mysteriums unserer Erlösung durch Jesus Christus und unserer Erhöhung zur Gotteskindschaft und Gottesfreundschaft. Es ist so wie zu Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu. Ein Jünger führte den anderen zu Jesus mit den Worten „Komm und sieh!“ (Joh 1,42.48). Das Ziel hingegen unserer Begegnung mit Jesus von Nazareth kann nur die Erkenntnis sein: „Rabbi, Du bist der Sohn Gottes, der König von Israel!“ (Joh 1,49). Und Jesus, das Fleisch gewordene Wort, der Sohn des Vaters, lässt uns bei sich wohnen, damit wir mit ihm vertraut werden. Es tröstet uns in der Not dieser Weltzeit mit der Aussicht auf die Erlösung: „Im Hause meines Vaters gibt es viele Wohnungen … Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten, mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und bei ihm Wohnung nehmen“ (Joh 14,2.23).

Diese Wahrheit gilt es sich geistlich und real anzueignen in einem Leben der Nachfolge des gekreuzigten und auferstandenen Herrn. Die Gestalt Jesu, soll sich unserer Seele ein-prägen und in unserem Leben aus-prägen.

Jeder Prediger der Exerzitien möchte den Hörern seiner Worte, die nur Medium des unmittelbaren Wortes Gottes an jeden Gläubigen sein können, von Herzen bitten: „Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht“ (Phil 2,5).

Dem hl. Ignatius von Loyola verdanken wir die methodische Ausführung der „Geistlichen Übungen, um über sich selbst zu siegen und sein Leben zu ordnen.“ Zu Beginn seines Exerzitien-Buches bietet er uns folgende Definition an:

„Unter dem Namen geistliche Übungen versteht man jede Art, das Gewissen zu erforschen, sich zu besinnen (meditar), zu betrachten (contemplar), mündlich und rein geistig (mental) zu beten und andere geistliche Tätigkeiten … Denn so wie Spazierengehen, Marschieren und Laufen körperliche Übungen sind, gleicherweise nennt man geistliche Übungen jede Art, die Seele vorzubereiten und diese bereit zu machen (disponer), alle ungeordneten Neigungen (affecciones) von sich zu entfernen und nachdem sie abgelegt sind, den göttlichen Willen zu suchen und zu finden in der Ordnung (disposición) des eigenen Lebens zum Heil der Seele … nicht das Vielwissen sättigt und befriedigt die Seele, sondern das Verspüren (sentir) und Verkosten (gustar) der Dinge von innen her (internamente).“1

Unverkennbar greift Ignatius hier auf das paulinische Bild vom Wettlauf (1Kor 9,24–27; Hebr 12, 1–3) oder geistlichen Kampf (der militia Christi) auf (Eph 5,14–20). Das Ziel dieser Kraftanstrengungen und Opfer aber ist nicht der Triumph über „andere Menschen aus Fleisch und Blut“ (Eph 6,12) wie in einem „Krieg“2, sondern der Sieg über sich selbst und seinen Egoismus, über das Gefühl die Verlorenheit in die Welt und die Not der Gottvergessenheit.

Es geht in den Geistlichen Exerzitien nur um das Eine und Ganze, was wir mit dem hl. Paulus so ausdrücken: „Christus will ich erkennen und die Macht seiner Auferstehung und die Gemeinschaft mit seinem Leiden, indem ich seinem Tod gleichgestaltet werde. So hoffe ich, auch zur Auferstehung von den Toten zu gelangen. Nicht, dass ich es schon erreicht hätte oder dass ich schon vollendet wäre. Aber ich strebe danach, es zu ergreifen, weil auch ich von Christus ergriffen worden bin … Ich vergesse, was hinter mir liegt, und strecke mich nach dem aus, was vor mir ist. Das Ziel vor Augen, jage ich nach dem Siegespreis: der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesu“ (Phil 3,10– 14).

Geistliche Exerzitien sind Heilmittel gegen das Gefühl nihilistischer Verlorenheit in der grenzenlosen Ausdehnung von Raum und Zeit. Wir werden gewarnt vor dem trügerischen Gefühl der Nirwana-haften Verschmelzung mit dem absoluten All-Einen, wie in Baruch de Spinozas (1632– 1677) göttlicher ALL-Natur (Deus sive substantia sive natura). Christliche Mystik und Aszese sind das Gegenteil von einem selbst-referentiellen Narzissmus und dem frommen Selbstgenuss auf Egotrip. Es geht nicht um Wellness-Programme für die Seele, die sich in der Hängematte des Subjektivismus „baumeln“ lässt. Von der östlichen Mystik der über-personalen, in Wahrheit aber a-personalen Transzendenz ins Nichts können wir nur das eine lernen, wie sie nämlich zugunsten der personalen Begegnung mit dem Gott der dreifaltigen Liebe radikal zu überwinden ist.

Die Kirchenväter haben die neuplatonische Mystik des großen Plotin (205–270 n. Chr.) von dem überpersonal Einen jenseits des Seins als Ahnung und Sehnsucht der Philosophen verstanden, die die Weisheit lieben und sie nur erstreben können, weil sie schon von ihr (anfänglich) erfüllt sind. Sie überwanden damit das heidnische Ressentiment gegen die Gegenwart Gottes in unserem Fleisch in eine Mystik der personalen Liebe von Du zu Du. Durch die Vermittlung seiner angenommenen menschlichen Natur sind wir (sakramental und personal) einbezogen in die Relation des ewigen Sohnes zum Vater in der Gemeinschaft des Heiligen Geistes. Die christliche Spiritualität hat ihren Ursprung im ewigen Sein und Wesen Gottes. Sie nimmt ihr unmessbares Maß an der Liebe, die Gott in der Einheit von Vater und Sohn und Heiligem Geist ist. Wir würden Gott nicht suchen, wenn er uns nicht schon gefunden hätte, damit wir uns selbst in ihm finden. Auf dem Areopag Athens, der die ganze Wahrheitssuche des griechischen Geistes vom Mythos der Orphiker zum Logos der Vorsokratiker, bis zu Sokrates, Platon und Aristoteles repräsentiert, formulierte Paulus die Vermählung von Vernunft und Offenbarung, von Natur und Gnade: „Sie sollten Gott suchen, ob sie ihn ertasten und finden könnten; denn keinem von uns ist er fern. Denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir; wie auch einige von euren Dichten gesagt haben: Wir sind von seinem Geschlecht – seinem génos“ (Apg 17,27 f.).

Wir sind nicht mehr „Sklaven der Elementarmächte“ – wie es uns die neuheidnische „Religionen“ von neuem aufdrängen möchten. Wir sind vielmehr freigekauft vom nihilistischen Gesetz der Vergänglichkeit, weil wir die Gottes- Sohnschaft erlangt haben. Paulus sagt uns Christen: „Weil ihr aber Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen, den Geist, der ruft: Abba, Vater. Daher bist du nicht mehr Sklave, sondern Sohn; bist du aber Sohn, dann auch Erbe, Erbe durch Gott“ (Gal 4,4–7).

Nicht die bigotte Rührung der Gefühle, sondern die Befreiung des Verstandes und Willens aus dem goldenen Käfig der Selbstreferenz ist das Ziel und damit der Weg in die freie Luft des Objektiven, des Realen, des Seienden, des Konkreten und Leiblichen. Im dreifaltigen Gott sind die theologia cognitiva und die theologia affectiva in der Gemeinschaft des Wortes und des Geistes ur-sprünglich vereint.

Mit Jesus erheben wir unsere Augen zum Himmel und hören seine Stimme, wenn er sagt: „Vater, die Stunde ist gekommen. Verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrlicht! Denn du hast ihm Macht gegeben über alle Menschen, damit er allen, die du ihm gegeben hast, ewiges Leben schenkt. Das aber ist das ewige Leben: dass sie dich, den einzigen und wahren Gott, erkennen und den, den du gesandt hast, Jesus Christus“ (Joh 17,1–3). Es geht um die Erkenntnis Gottes in seinem WORT und um die schenkende Liebe seines GEISTES. Er wartet auf unsere antwortende Liebe zu IHM im Geist des Vaters und des Sohnes.

„Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern lasst euch verwandeln durch die Erneuerung des Denkens, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: das Gute, das Wohlgefällige und Vollkommene!“ (Röm 12,2).

Wir sind bereit zur Ein-Formung des inneren und äußeren Menschen in der Gleichgestalt mit Christus im Heiligen Geist. „Ahmt Gott nach als seine geliebten Kinder und führt euer Leben in Liebe, wie auch Christus uns geliebt und sich für uns hingegeben hat als Gabe und Opfer, das Gott gefällt!“ (Eph 5,1 f.).

Betrachten wir das ganze Sein und Leben des irdischen Jesus als die menschliche Vermittlung in die Unmittelbarkeit zu Gott. Denn er sagt zu uns: „Wer mich sieht, sieht den Vater“ (Joh 14,9).

Der hl. Ignatius hat an den Beginn seiner Exerzitien das Gebet „Anima Christi“ gestellt. Damit öffnen wir unser Herz für den „Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich dahingegeben hat“ (Gal 2, 20) – „als Gabe und Opfer, das Gott gefällt“ (Eph 5,1).

Seele Christi, heilige mich.

Leib Christi, rette mich.

Blut Christi, tränke mich.

Wasser der Seite Christi, wasche mich.

Leiden Christi, stärke mich.

O guter Jesus, erhöre mich.

Birg in deinen Wunden mich.

Von dir lass nimmer scheiden mich.

Vor dem bösen Feind beschütze mich.

In meiner Todesstunde rufe mich,

zu dir zu kommen heiße mich,

mit deinen Heiligen zu loben dich,

in deinem Reiche ewiglich. Amen

Prolog: Sein Name ist Immanuel – Gott mit uns (Mt 1,23)

Gegen das Konzept der Weltferne Gottes oder seiner Nähe in weltloser Innerlichkeit ist festzustellen, dass die Transzendenz Gottes im christlichen Sinne nicht seine Beziehungslosigkeit zur Welt meint, wie das beim ersten unbewegten Beweger des Aristoteles der Fall ist. Die Erkenntnis der Transzendenz Gottes ist die Erfahrung der Freiheit des absolut von der Welt unabhängigen Gottes, der mit uns in ein personales Verhältnis der Liebe eintreten will. Er allein kann von sich souverän sagen: „Ich bin ein Gott aus der Nähe und aus der Ferne.“ (Jer 23,23)

Gott, der ganz Andere – totaliter aliud – ist derselbe, der den Namen trägt:

Immanuel – Gott mit uns.

Der ganz Andere ist auch der Nicht-Andere, non-aliud. Er ist einer von uns.

Christus Jesus „war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen.“ (Phil 2,6 f.). Das ist das Mysterium der Menschwerdung Gottes, das sich in der Gott-menschlichen Einheit Christi, des Sohnes Gottes, der zweiten Person der Trinität offenbart. Der Glaube der Kirche fasst dieses theandrische Mysterium in die Formel des Dogmas von der hypostatischen Union der beiden Naturen der wahren Gottheit und wahren Menschheit Christi.

Der vom Heiligen Geist empfangene und geborene Sohn der Jungfrau Maria ist der Mensch gewordene Sohn des ewigen Vaters. In seiner menschlichen Natur (mit individueller Seele und Leib) erfahren und erkennen wir die Nähe des dreifaltigen Gottes. Jesus der Christus ist der Gott-mit-uns, der Deus nobiscum (vgl. Mt 1,23).

Als der auferstandene Herr seine Jünger aussendet zur Predigt des Evangeliums und zur zeichenhaften und wirksamen Vermittlung der Gnade in der Taufe und den anderen Sakramenten, offenbart er sich als der Christus praesens, als Haupt der Kirche und des ganzen Kosmos: „Und siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt – et ecce ego vobiscum sum omnibus diebus, usque ad consummationem saeculi!“ (Mt 28,20).

Nach katholischem Glauben sind die Sakramente Zeichen, die das bewirken, was sie bezeichnen. Und darum ist die leibliche, sinnenhaft vermittelte reale Präsenz in der Kirche, dem Leib Christi, instrumentaliter heilsnotwendig. „Wie nämlich die angenommene Natur dem göttlichen Wort als lebendiges, ihm unlöslich geeintes Heilsorgan dient, so dient auf eine ganz ähnliche Weise das gesellschaftliche Gefüge der Kirche dem Geist Christi, der es belebt, zum Wachstum seines Leibes.“3 Denn die Kirche ist der Leib Christi sowohl in seiner sozialen Gestalt als Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, als auch in seiner hierarchisch-sakramentalen Verfassung. In einer Predigt zum Fest Christi Himmelfahrt gab Papst Leo der Große die Antwort auf die Frage, wie die sichtbare Präsenz des Mensch gewordenen Sohnes Gottes, der nach seiner Auferstehung von den Toten zur Rechten des Vaters im Himmel sitzt: „Was also an unserem Erlöser sichtbar war, ist übergegangen in die Sakramente. Damit unser Glaube verdienstlicher und fester würde, ist an die Stelle der sinnlichen Wahrnehmung die Lehre getreten, deren gewichtigem Worte die vom himmlischen Strahlen erleuchteten Herzen der Gläubigen folgen sollen.“4

Der inneren Gnadenwirklichkeit der Sakramente kann der einzelne gläubige Christ ausnahmsweise nur dann rein geistig teilhaftig werden in den göttlichen Tugenden von Glauben, Hoffnung und Liebe, wenn er aus einem gerechten und schwerwiegenden Grund nicht leibhaftig in der kirchlichen Versammlung und ihrer Göttlichen Liturgie präsent sein kann. Die Gnade in ihrer sakramentalen Gestalt wird aber nur vermittelt, wenn der Kandidat für die Taufe, für die Firmung und für das Sakrament der Weihe persönlich leibhaft präsent ist und wenn der Spender der Sakramente ihn mit der Materie der Sakramente, dem Wasser, dem Salböl, der Handauflegung leiblich berührt. „Wir haben Gemeinschaft mit dem Vater und seinem Sohn Jesus Christus“ nur, indem die Apostel und ihre Nachfolger uns verkünden und bezeugen, was sie mit ihren Augen gesehen, mit ihren Ohren gehört und mit ihren Händen berührt haben: „Das Wort des Lebens … das ewige Leben, das beim Vater war und uns erschienen ist“ (1Joh 1,1.3).

Nur in einem platonisch-dualistischen oder gnostischen- manichäischen oder Geist-Natur-dialektischen Vorverständnis überhaupt kann die Inkarnation abgewertet werden als eine bloße Metapher für die Präsenz Gottes in unserer subjektiven Ideenwelt. Die Sakramente gelten dort folglich nur als sekundäre Stützen einer transzendentalen Einheit mit Gott im Bewusstsein oder der Intuition religiöser Gefühle und nicht als das, was sie in Wahrheit sind, die leibliche Berührung und reale Gemeinschaft mit Gott in unserem Fleisch.

Auch die Wirkweise der Gnadenvermittlung bei Präsenzgottesdiensten und virtuellen Liturgien ist verschieden. Während die leibhaftige Teilnahme am Messopfer ex opere operato, also objektiv, die heiligmachende Gnade erwirkt, kann die intentionale Teilnahme an der Messe über das Fernsehen nur ex opere operantis, also in subjektiver Frömmigkeit, helfende Gnade vermitteln. In der Präsenzliturgie wird die heiligmachende Gnade sakramental mitgeteilt, während bei einer virtuellen Teilnahme uns nur kraft der frommen Gesinnung helfende Gnade zuteil wird. Denn wir haben nicht sakramental teil am Kreuzesopfer Christi und können nicht mündlich die hl. Kommunion empfangen.

Nicht zu vergessen ist aber die Glaubenswahrheit, dass die res sacramenti dem Glaubenden zuteil werden können, wenn er ohne eigene Schuld etwa die sakramentale Taufe und Absolution nicht empfangen kann, aber den Vorsatz hat, die sakramentale Heilsvermittlung bei nächster Gelegenheit nachzuholen. Dies beschränkt sich allerdings nur auf die Sakramente, die zum persönlichen Heil notwendig sind, und bezieht sich nicht auf die Firmung, Eucharistiefeier oder gar auf die Priesterweihe.

Das Wesentliche des Christseins besteht nicht in einer theoretischen Erfassung der Wirklichkeit und ihrer Darstellung in unseren Gedanken, in einem ethischen Lebensentwurf oder in einer sozialethischen Agenda zur Weltverbesserung. Was den Christen ausmacht, ist die Erhebung zur realen Teilnahme an der göttlichen Natur, die sich in den Relationen von Vater und Sohn und Heiligem Geist vollzieht. Durch die eingegossenen göttlichen Tugenden von Glauben, Hoffnung und Liebe erkennen wir im Logos Gott so, wie er sich selbst erkennt. Wir lieben mit dem Heiligen Geist in unseren Herzen Gott so, wie er in der Einheit von Vater und Sohn im Heiligen Geist selber Liebe ist und sich uns mitteilt. So haben wir es im Glauben mit der Realität Gottes zu tun, indem wir aktuell und real bestimmt sind durch die drei wesentlichen Heilsgeheimnisse: das Mysterium Trinitatis, das Mysterium Incarnationis Verbi Divini und das Mysterium inhabitationis Dei in cordibus nostris.

Wir berühren hier die fundamentalsten Seins- und Erkenntnisprinzipien des katholischen Glaubens: die Realität Gottes in sich und seine Präsenz bei uns. Im Hinblick auf ihre äußerste Verdichtung und Synthese sprechen wir von der Realpräsenz Christi in der Eucharistie, wenn der Gott- Mensch in der Kirche, seinem sozialen Leib, gegenwärtig ist unter den Gestalten von Brot und Wein mit der ganzen Substanz seiner menschlichen Natur, die in der göttlichen Person des Logos – untrennbar von seiner göttlichen Natur – mitten unter wohnt. Die vollständige Realität des Heils und der Erlösung ist ausgesprochen im Wort seiner Selbstoffenbarung: „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird leben in Ewigkeit. Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt“ (Joh 6,51).

Das katholische Prinzip ist in höchster Kühnheit ausgesprochen, wenn das Konzil von Trient im 1. Canon des Eucharistie-Dekretes die geschichtliche Gegenwart Gottes im historischen Menschen Jesus von Nazareth und seine aktuale Präsenz im ekklesialen Leib, der Kirche, gipfeln lässt in der sakramentalen Realpräsenz des ganzen Christus in seiner Gottheit und Menschheit. Katholisch ist nur, wer bekennt, dass im Sakrament der allerheiligsten Eucharistie der Gott-Mensch „wahrhaft, wirklich und wesentlich gegenwärtig ist – vere, realiter et substantialiter.“5 Ausgeschlossen von der katholischen Gemeinschaft ist jeder, der behauptet, dass Christus in der Eucharistie nur in einem Zeichen und Abbild oder lediglich der Wirkung nach, d. h. virtuell, in den Elementen von Brot und Wein enthalten sei und der damit ihre Wesensverwandlung – die Transsubstantiation – in die Substanz des Fleisches und Blutes Christi leugnet.

Gott geht nicht auf Distanz zu uns. Er vermeidet nicht den Kontakt mit uns. Er berührt und umarmt uns. „Mit Küssen seines Mundes bedeckt er uns“ (Hld 1,2). Und der am Kreuz erhöhte Sohn Gottes zieht alle an sich (vgl. Joh 12,32) und öffnet ihnen sein göttliches Herz (vgl. Joh 19,34). „Denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben ist.“ (Röm 5,5) Zum zweifelnden Apostel Thomas sagt der auferstandene Herr: „Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig“ (Joh 20,27). Möchten wir doch überwältigt von solcher Zuwendung antworten: „Mein Herr und mein Gott“ (Joh 20,28). Ja, wir dürfen Gott berühren in dem menschlichen Leib, den sein Sohn aus der Jungfrau Maria angenommen hat. „Denn uns ist die Erkenntnis des göttlichen Glanzes aufgestrahlt auf dem (menschlichen) Antlitz Christi.“ (2Kor 4,6) Dass die leibliche Präsenz Gottes in Christus, dem verbum incarnatum, Medium und Ziel des Heilshandelns Gottes und damit das Wesentliche des christlichen Glaubens ist, hat schon Tertullian in seiner Schrift „Über die Auferstehung der Toten“ in das bekannte Wort gefasst:

Caro cardo salutis –Das Fleisch ist der Dreh- und Angelpunkt des Heils.6

1. Im Anfang war das Wort (Joh 1,1)

In einem überragenden Werk der Weltliteratur lässt Johann Wolfgang Goethe (1749–1832), der größte deutsche Dichter, den Helden seiner Tragödie sich abmühen an der Übersetzung des fundamentalsten Satzes der Heiligen Schrift und der gesamten Geistesgeschichte der Menschheit: Ἐν ἀρχῇ ἦν ὁ λόγος – in principio erat verbum. „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott.“ (Joh 1,1) Darin ist die ganze Wahrheit des christlichen Glaubens beschlossen und der „Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, Gottes Sohn“ (Mk 1,1).

Der Magister ‚Faust‘ ist ein mittelmäßiger Professor, der auch Magie, Esoterik und die Gnosis oder New Age nicht scheut, ein Grübler, der „erkennen will, was die Welt im Innersten zusammenhält.“7 Seine Schule, die ihm die tiefsten Einsichten in das Sein vermitteln soll, ist aber nicht das wirkliche Leben, so wie es Millionen Menschen zu bewältigen haben zwischen dem Alltag voller Mühen und Leiden und den Hoch-Zeiten von Hoffnung und Liebe. In seinem engen und staubigen Studierzimmer schraubt sich der Eigenbrötler von trockenem Bücherwissen hoch in den luftleeren Raum der Ideologie. Im Zwielicht von Wissenschaft und Magie verliert er den Boden der Wirklichkeit unter den Füßen. Seine Seele schwingt sich in einem Höhenflug der Gedanken und Gefühle aus den Niederungen des Alltags auf zu den hohen Ideen des Wahren, Guten und Schönen. Im sentimentalen Höhenrausch öffnet sich ihm plötzlich der Sinn für das Überirdische. Seine Sehnsucht nach der Erkenntnis des Seins drängt ihn, den Grundtext der Offenbarung aufzuschlagen. Er will das Neue Testament gemäß dem griechischen Original in sein „geliebtes Deutsch“ übertragen. Gemeint ist hier nicht „deutsch“ im philologischen Sinn als eine beliebige europäische Sprache, sondern die Bildungs-Welt des subjektiven, objektiven und absoluten Idealismus in der Deutschen Philosophie, der Romantik und Klassik in Literatur und humanistischer Kultur. Man hatte die christliche Botschaft als vermeintlich überwundene Stufe in der Evolution des menschlichen Bewusstseins hinter sich gelassen. Aufgeklärt war man vernunftstolz und fortschrittsgläubig aus dem dunklen Mittelalter hineingeschritten in die neue und helle Zeit des vorurteilsfreien Denkens. Endlich war die moralische Höhe des autonomen Menschen erklommen, der sich selbst Schöpfer und Gott ist. Man lebte nicht mehr dankbar-eucharistisch aus der Fülle der Gnade, durch die Gott uns vollkommen macht. Um die Notwendigkeit der Gnade für die Vollendung des Menschen zu umgehen, beschränken wir uns – so lautete das neue Credo – bescheiden auf das unendliche Streben nach dem Göttlichen. Dem Göttlichen jenseits des personalen Gottes der jüdisch-christlichen Tradition ist es aber verwehrt, uns mit einem konkreten Wahrheitsanspruch auf den Leib zu rücken und so nahe zu kommen, dass wir uns entscheiden müssen, ob wir uns in kindlichem Vertrauen und Gehorsam ihm ganz in Verstand und Willen übereignen.8 Auf dem Weg zu Selbstvervollkommnung der Menschheit wird der Glaube an den Gott Jesus Christi ersetzt durch den Glauben an den grenzenlosen moralischen und technischen Fortschritt. Erinnert sei nur an das Drei-Stadien-Gesetz des französischen Religionskritikers und des selbstberufenen Hohenpriesters der neuen Religion des Positivismus Auguste Comte (1798–1857). Die Menschheit entwickle sich in Analogie zum menschlichen Reifungsprozess vom unmündigen Kind zum autonomen Erwachsenen in drei Schritten: vom theologisch-fiktiven Stadium über die metaphysische- abstrakte Phase schließlich zum positiv-wissenschaftlichen Endzustand. Dann wird die Menschheit sich selbst ihr Gott sein. Dann hätten wir den Gott der Metaphysik und der Offenbarung als ein pädagogisches Hilfsmittel hinter uns gelassen. Wem entgeht hier der spöttische oder mitleidige Zwischenton, zu dem sich aufgeklärte Intellektuelle den Christen gegenüber berechtigt fühlen?

Es ist eine bildungsbürgerliche Welt, die den Wahrheitsanspruch des christlichen Glaubens mit maliziöser Skepsis hinter sich gelassen hat und die Welt pankosmisch oder das Göttliche pantheistisch interpretiert. Oder man identifiziert Gott und die Welt miteinander als den unendlichen Horizont, der sich nur in poetischen Metaphern und symbolischen Repräsentationen erschließt.

Der Doktor Faust, der die nachchristliche Kultur vertritt, spielt auf das ewige Problem an, ob in einer Übersetzung der ursprüngliche Sinn objektiv erschlossen oder subjektiv als je meine Wahrheit konfiguriert wird. Die höhere Möglichkeit einer inneren Beziehung von ontologischer und logischer Wahrheit, dass also das Sein der Wahrheit in ihrer eigenen Gelichtetheit begründet und darum auch mitteilbar ist, zieht er nicht in Betracht.

Die Wahrheit ist dagegen nicht ein unerreichbarer leerer Horizont, sondern Gott als Person, die mit anderer Person kommuniziert. Die Wahrheit ist kein Horizont, in dem das Licht endlicher Geister niemals die Dunkelheit über dem Abgrund des Nichts vertreiben oder „die Tragödie des Humanismus ohne Gott“9 verhindern könnte. Denn nach Nietzsches Feststellung „Gott ist todt! Gott bleibt todt. Wir haben ihn getödet!“10, bleibt nur der Nihilismus „in seiner furchtbarsten Form: das Dasein, so wie es ist, ohne Sinn und Ziel, aber unvermeidlich widerkehrend, ohne ein Finale ins Nichts: ‚die ewige Wiederkehr‘. Das ist die extremste Form des Nihilismus: das Nichts (‚das Sinnlose‘) ewig!“11

Nach den Exzessen des „Übermenschen“12 seit seiner Geburt im Laboratorium der Selbstvergötzung sollten wir es bescheidener versuchen mit dem „Neuen Menschen, der nach dem Bild Gottes geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit“ (Eph 4,24; vgl Kol 3,10).

Die Wahrheit ist kein Produkt, sondern die Gabe der Erleuchtung. „Der Herr aber ist der Geist, wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit. Wir alle aber schauen mit enthülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wie in einem Spiegel und werden so in sein eignes Bild verwandelt, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, durch den Geist des Herrn.“ (2 Kor 3,17 f.).

Konkret wirkt die Wahrheit als das Licht Gottes in der Person des Wortes, das in die Welt gekommen ist. Christus ist „wahrer Gott von wahrem Gott und wahres Licht von wahrem Licht.“ Deshalb konnte der Apostel den Ephesern schreiben: „Einst wart ihr Finsternis, jetzt aber seid ihr Licht im Herrn. Lebt als Kinder des Lichts! Denn das Licht bringt lauter Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit hervor … Alles Erleuchtete ist Licht. Deshalb heißt es: Wach auf, du Schläfer, und steh auf von den Toten, und Christus wird dein Licht sein“ (Eph 5,8 f.; 13 f.).

Gott ist selbst die Wahrheit, in der er sich unendlich erkennt und in der er sich auch einem endlichen Verstand mitteilen kann. So ist seine Wahrheit auch in menschlicher Sprache aussagbar und – abgeleitet davon – auch sowohl in einem gedruckten als auch in einem digitalen Medium darstellbar. Die analogia entis als Grundlage der analogia fidei ist deshalb kein philosophisch getarnter Anthropomorphismus, weil der Schöpfer der Sprache selbst das Wort ist. Gott spricht zu uns in unserer Sprache, die als Selbstausdruck des geistigen Ich-Seins unser Menschsein ausmacht. Erst sekundär wird die transzendentale Sprachlichkeit kategorial in den tatsächlichen gesprochenen Einzelsprachen. Gott „sieht“ uns mit seinen „Augen“, weil er sich im Wort selbst erkennt. Er „hört“ unser Rufen und „fühlt“ in seinem göttlichen „Herzen“ mit uns Freuden und Leiden, weil er als Sym-pathie die Liebe des Vaters zum Sohn im Heiligen Geist wesenhaft ist. Weil unser geschaffener Leib mit seinen Sinnen Ausdruck unseres Geistes ist, sind wir durch die Vermittlung der sinnenhaft erfassten Welt hörend und sehend ganz offen für Gottes Selbstmitteilung in seinem WORT und GEIST. Den Vertretern der Projektionstheorie rief schon der Psalmist entgegen: „Begreift doch, ihr Toren im Volk! Ihr Unvernünftigen, wann werdet ihr klug? Sollte der nicht hören, der das Ohr gepflanzt hat, sollte der nicht sehen, der das Auge geformt hat?“ (Ps 94,8 f.).