Gratwanderung - Marcel Hegetschweiler - E-Book

Gratwanderung E-Book

Marcel Hegetschweiler

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Beschreibung

Gratwanderung, eine Geschichte über einen Manager zwischen Berg und Tal, Licht und Schatten, Alleinsein und Team, Erfolg und Misserfolg. Je weiter der Weg ihn führt, desto tiefer dringt er in sein Selbst vor, bis er bei seiner ältesten Angst angekommen ist.

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Inhaltsverzeichnis

EINS

ZWEI

DREI

VIER

FÜNF

SECHS

SIEBEN

ACHT

NEUN

ZEHN

ELF

ZWÖLF

DREIZEHN

VIERZEHN

FÜNFZEHN

EINS

Drei Mal krächzte der Rabe. Bereits das erste Krächzen erreichte ihn in der Tiefe seines Traumes. Mit dem zweiten Krächzen spürte Albers Wendo den Wind auf seinem Gesicht, und beim dritten öffnete er seine Augen und blickte auf die Felder und Wiesen des weiten Tals, das sich vor ihm ausbreitete. «Wie lange habe ich wohl geschlafen?», dachte er und blickte auf seine Armbanduhr. Vor einer guten Stunde hatte ihn die Bergbahn auf dem Gipfel hinter ihm abgesetzt. Nachdem er eine Weile die Aussicht genossen hatte, hatte er sich auf einen Felsvorsprung gelegt, der ihn vom morgendlichen Hangaufwind abschirmte. Irgendwann musste er eingeschlafen sein. Er tastete nach seinem Rucksack, kramte einen Apfel hervor und biss hinein. Während er kaute, blickte er auf die Häuserwüste der Stadt am Fusse des Berges. Aus unzähligen Schornsteinen stiegen kleine weisse Rauchsäulen auf. Ab und zu trug der Wind ein Hupen zu seinem Felsvorsprung hinauf. Er blickte sich um, um den Raben, der ihn geweckt hatte, zu sehen, doch er konnte ihn nirgends finden.

Seit bald drei Jahren wohnte Wendo in der Stadt, die nun zu seinen Füssen lag. Noch nie hatte er es auf ihren Hausberg geschafft. Als er sich heute Morgen aus dem Bett gewunden hatte, entschied er spontan, die halbstündige Seilbahnfahrt auf sich zu nehmen, um diese Stadt endlich einmal von oben zu sehen. In den letzten drei Jahren hatte Albers ausser seinem Büro, seiner Wohnung, dem Fitnessstudio sowie ein paar Bars und Restaurants nicht viel gesehen. Albers Wendo war aufgrund eines Jobangebotes in die Stadt gekommen. Es hatte viel zu tun gegeben in den letzten drei Jahren. Seine Firma hatte ihn angestellt, um im Nachbarland mit einem neuen Produkt Fuss zu fassen. Zeit für anderes hatte es in den letzten drei Jahren kaum gegeben. Heute Morgen hatte ihn nun plötzlich das Gefühl befallen, als müsste er Abstand gewinnen. Albers war leistungsmüde geworden, doch konnte er dies selbst noch nicht erkennen. Irgendwann im Verlaufe der letzten drei Jahre hatte er die Deutungshoheit über die Geschehnisse in seinem Leben verloren. Er verstand zwar einwandfrei, was die Zahlen auf seinen Bildschirmen, die Worte seiner Geschäftspartner und die Sätze in den E-Mails und Rapporten seiner Mitarbeitenden bedeuteten. Aber warum er nach einem erfolgreichen Geschäftsabschluss, der ihn mehrere Monate harte Arbeit mit vielen Überstunden gekostet hatte, nicht wie alle anderen nach Hause in seine geräumige Loft in der Innenstadt wollte, verstand er nicht. Warum er nur ein schiefes Grinsen zustande brachte, wenn er versuchte, das Lächeln des jungen Zeitungsverkäufers vor seinem Haus zu erwidern, oder warum er es – obwohl er früher ein begeisterter Berggänger war – in den drei Jahren in dieser Stadt noch nie auf diesen Berg geschafft hatte, diese Dinge konnte er nicht deuten.

Es war, als würde das Leben, das bei Wendo vornehmlich aus Arbeit bestand, Albers Wendo bestimmen statt umgekehrt. Die Menschen, die etwas von ihm wissen wollten und die Zahlen auf seinen Bildschirmen bestimmten ihn. Je mehr Stellen die Zahlen anzeigten, desto ruhiger fühlte sich Albers. Je mehr Telefonanrufe er erhielt, desto gebrauchter fühlte er sich – obwohl ihm weder das Geld hinter den Zahlen noch die Menschen am anderen Ende der Telefonleitung wirklich etwas bedeuteten. Es waren die Deutungen der Datenanalyse-Software, die jeden seiner Klicks, jeden seiner Anrufe registrierten und analysierten, die ihm etwas bedeuteten. Aus vielstelligen Zahlen und einer hohen Anzahl von Anrufen, Anfragen oder Projekteingaben zeichneten diese Programme schöne Kurven; Kurven, die nach oben zeigten und in hellen und freundlichen Farben die Konferenzräume und Büros von denjenigen Menschen erleuchteten, die ihn dadurch als wichtig,gut, effizient – als wertvollen Wertschöpfungsfaktor erkannten. Deren Werterkenntnisse waren zum Treibstoff für seine Selbstwertschätzung geworden. Dabei war es weniger die direkte Anerkennung, wenn ihn sein direkter Vorgesetzter Fenon Hauker vor der versammelten Abteilung lobte und ihm für seinen Einsatz dankte, die Albers Wendo so gut tat. Es waren vielmehr die kleinen Gesten, wenn der alte Heino Kaspis, Vorsitzender des Verwaltungsrates der Medmeritum AG, mit einem sanften Lächeln die Lifttür für ihn aufhielt oder wenn ihm der sonst strikt Privat- und Geschäftsleben trennende Fenon Hauker beim Mittagessen unvermittelt von seinen beiden Töchtern zu erzählen begann. In solchen Momenten wusste er, dass seine Firma seinen Wert erkannt hatte und ihn zu schätzen wusste, dass sie ihm vertraute. In solchen Momenten fühlte er sich dazugehörig, war er davon überzeugt, dass er der Medmeritum AG etwas bedeutete, und dafür liess er sich gerne bewerten und verwerten. In solchen Momenten machte es Sinn, dass er damals in diese fremde Stadt in ein fremdes Land gekommen war und alles von heute auf morgen hinter sich gelassen hatte.

Als Albers Wendo vor drei Jahren sein Studium abgeschlossen hatte, hatte er nach wenigen Wochen drei Stellenangebote vor sich liegen. Er erinnerte sich an seinen Einstieg in die Berufswelt, während er die Überreste seines Apfels in hohem Bogen über die Kante des Felsvorsprunges warf, auf dem er sass. Das erste Stellenangebot war damals von seinem alten Arbeitgeber gekommen, für den er schon während seines Studiums gearbeitet hatte. Obwohl ihm sein damaliger Chef versprochen hatte, dass er ihm mehr Kompetenzen und Verantwortung übergeben würde, hatte ihn der Job als Verkaufsmanager in diesem Unternehmen nicht mehr gereizt. Er hatte es in- und auswendig kennengelernt. Wenn er ehrlich war, dann hätte ihn nicht mal der Posten seines Chefs in diesem Betrieb wirklich interessiert. DieKunden waren zu anspruchslos, das Geschäftsmodell zu sicher und die Prozesse zu eingefahren. Hier hätte er weder das Unternehmen noch sich selbst weiterentwickeln können. Das zweite Jobangebot hingegen war von einer jungen Firma auf einem schnell wachsenden Markt gekommen. Doch leider hatte Albers mit ihren Produkten gar nichts anfangen können. Das Unternehmen hatte eine Buchhaltungssoftware entwickelt, die das Online-Banking der entsprechenden Firma in deren Buchhaltungssoftware integrieren konnte. Jetzt war sie auf der Suche nach einem Betriebsökonomen, der dabei half, den Betrieb aufzubauen und auf dem Markt für Geschäftsapplikationen zu etablieren. Eine spannende Sache, ohne Zweifel, und obwohl Wendo sich als Betriebsökonom sowohl für diese Buchhaltungssoftware selbst als auch für die Aufgabe eines Geschäftsaufbaus interessierte, war ihm das Produkt Software zu wenig fassbar.

Albers Wendos Vater, Björn Wendo, war Maschinenmechaniker gewesen. Er hatte in der Garage seine eigene kleine Werkstatt und tüftelte dort Samstag für Samstag, bis er die Haushaltgeräte der Familie Wendo nach seinen Vorstellungen umgebaut hatte. Dies war bei Björns Frau nicht immer auf Begeisterung gestossen – sie hätte etwa lieber einen Staubsauger statt einen Staubbläser fürs Putzen verwendet – doch Albers Wendo liebte diese Samstage mit seinem Vater in der kleinen nach Öl und Holz duftenden Garage. Zuerst war er dafür verantwortlich gewesen, seinem Vater die richtigen Werkzeuge an die Hand zu geben, Schrauben zu sortieren, zu schleifen oder zu sägen. Später dann durfte er selbst kleinere Maschinen auseinandernehmen und wieder zusammenbauen; und als Albers zum Teenager herangereift war, war die Garage auch zu seiner Werkstatt geworden und die gemeinsamen Samstagnachmittage waren Vater und Sohn heilig geworden.

Als Albers sein Studium abgeschlossen hatte, war für ihn klar, dass er in einer Unternehmung arbeiten wollte, die greifbare, handfeste Produkte herstellte und dabei gleichzeitig genug gross war, um Aufstiegsmöglichkeiten und einflussreiche, mächtige Positionen zu bieten. Albers wollte an die Spitze, eine hohe Spitze, und er wollte den Weg dahin nicht missen. Eine Software war für Albers zu wenig greifbar. Aus diesem Grund hatte er auch dieses Stellenangebot ausgeschlagen und die Stelle bei der Medmeritum AG, der jungen Tochterfirma eines internationalen Technologie-Konzerns, angetreten.

Doch all dies lag zurzeit über sechshundert Höhenmeter unter Wendo, und seine Gedanken waren weit entfernt von Kaspis, Hauker und der Medmeritum Aktiengesellschaft. Gerade war Albers sehr angetan von diesem Berg und seiner Atmosphäre, ja es schien ihm geradezu unvorstellbar, wie er es drei Jahre lang fertiggebracht hatte, seinen Kopf nie zu heben, um diesem prachtvollen Berg seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken. Ich sollte wieder öfter auf Berge steigen. Um Abstand zu kriegen. Dachte er sich. Die Vogelperspektive auf die Stadt, der frische Wind und die Menschenleere hier oben taten Wendo gut. Die Willensgier der Menschen in der Stadt, die sich in den Hochhäusern manifestierte, in den Glaspalästen der Innenstadt spiegelte, sich auf den Strassen- und Schienennetzen rund um die Uhr entrollte, lag nun unter ihm. Diese Willensgier, die die Menschen dazu brachte, sich in Gesprächen endlos um sich selbst zu drehen oder sich stundenlang durch die Informationen der virtuellen Weite zu klicken – und dabei die Weltweite vor ihren Fensterscheiben vergassen. Diesen Jagdtrieb nach einem erfüllten Leben, das alle Möglichkeiten genutzt und nichts verpasst, nichts ausgelassen hat, gab es hier oben nicht. Diesen Lebensdurst, der dem nie versiegenden Durst eines Rauschtrinkers glich, den jedes getrunkene Glas nur noch durstiger machte,verspürte er hier oben nicht. Die Lebensgier der Menschen in der Stadt da unten war zwar auch hier oben sicht- und hörbar, wurde aber von der Ruhe des Berges gedämpft und von seiner majestätischen Grösse auf Abstand gehalten. Schwere erzeugt man nicht durch Tempo und Stille, nicht durch Fülle, dachte sich Wendo und lehnte seinen Rücken an den kühlen Felsen. Hier oben, auf der Spitze des Berges, jenseits der Schubladen des sozialen Nahraums, gab es nur Wolken, Wind, Steine, eine alles überschaubar machende und relativierende Aussicht – und sein Bewusstsein, um all dies zu erfahren. Schloss Albers Wendo seine Augen, dann ging in der Schatzkammer seines Bewusstseins ein Licht an. Dann konnte er all seine Gedanken, Ideen, Gefühle und Intuitionen wahrnehmen. Er schloss die Augen, wartete, bis das Licht anging, und wusste, dass es nun an der Zeit war aufzubrechen. Weltling Wendo war vom Weltweg abgekommen und machte sich nun auf zum Höhenweg, der ihn – dem Grat entlang – irgendwann wieder nach unten ins Tal, zurück zu seinem Leben bringen würde, zurück in die Stadt und zu ihren Menschen, zurück zu Hauker, Kaspis und der Medmeritum Aktiengesellschaft.

ZWEI

Albers stieg die letzten paar Meter hinter der Bergstation zum Berggrat hoch. Hier war er am höchsten Punkt seiner Wanderung angelangt. Von jetzt an würde es nur noch abwärts gehen. Beinahe senkrecht fielen die Felswände vor ihm über mehrere hundert Meter ab in die Tiefe. Die letzten Ausläufer der grauen Felswände mündeten in eine gelbgrüne Wiese mit vielen kleinen, bemoosten Felsbrocken. Noch weiter unten wurde die Wiese von einem Wald aus Kiefern, Fichten, Tannen und einigen wenigen kleinen Birken verschluckt, der ein wenig weiter hintenabbrach. Dort musste das bewaldete Plateau zu Ende sein, dachte sich Wendo und drehte sich um. Die Seite des Berges, auf der er mit der Gondelbahn hochgefahren war, bot einen freundlicheren Anblick. Sie senkte sich in gleichmässigen und sanften Wellenformen über Wiesen mit Polarweiden, Eisenhüten und Weidenröschen, bis sie kurz vor der Stadt vor einer Felswand endete.

Inzwischen hatte sich der Wind gelegt, die Sonne war beinahe am höchsten Punkt ihrer Tagesreise angekommen und strahlte von einem tiefdunkelblauen Himmel. Ein Wanderfalke segelte über Wendo hinweg und begann über der Bergspitze zu kreisen. Alber Wendos Plan war es, von hier dem Berggrat entlang hinunter ins Tal zu steigen. Wenn er seinen Weg richtig vorausgeplant hatte, sollte ihn der Grat über die erste Flanke des Berges auf das Plateau mit dem Nadelwald bringen. Dann würde ihn ein weiterer Grat über die zweite Flanke hinunter ins Tal bringen. Von dort aus waren es noch etwa zwei Stunden Wegzeit bis zu jenem Dorf, in dem er anschliessend übernachten wollte, um am nächsten Tag wieder in seine Stadt zurückzukehren.

Der Wegweiser neben der Bergstation deutete in dieselbe Richtung, in der sich auch der Grat des Berges sanft und gleichmässig in die Tiefe senkte. Früher war Albers öfter in den Bergen unterwegs gewesen; er hatte es geliebt, seinen eigenen Weg zu finden – querfeldein. Erst mit der Zeit hatte er die Führung der Pfade und Wege schätzen gelernt. Auf den Wanderwegen konnte er sich ganz aufs Sehen, Hören, Riechen, auf seinen Körper oder sein Denken konzentrieren. Wenn er hingegen seinen eigenen Weg im Gelände finden musste, dann blieb für solche Dinge wenig Zeit. Sein Sehen war dann für vorausschauende, auskundschaftende und rückversichernde Blicke reserviert. Sein Hören galt den Geräuschen des Berges und sein Denken kreiste um Routenziele, Routenwahlen, Schritttempi und die passende Auflagefläche fürden nächsten Fusstritt. War er aber auf Wanderwegen unterwegs, dann konnte er seine Sinne und seinen Geist schweifen lassen. Je besser die Beschaffenheit des Weges war, umso besser liess es sich mit Blicken oder in Gedanken schweifen. Begannen die Gedanken immer wieder um dieselben Dinge zu kreisen, konzentrierte er sich auf seinen Atem und versuchte die Gedanken ins Leere laufen zu lassen, ohne sie aufzuhalten. Ihm war aufgefallen, dass alle Arten von Gedanken die natürliche Tendenz zum Gehen hatten. «Ein Danke dem Gedanken!», rief Wendo laut zum Himmel. «Für sein Kommen und sein Gehen!»

Nach ein paar Minuten blickte er nochmals zurück zur Bergspitze und dem Felsvorsprung, auf dem er gerastet hatte. Höhepunkte und Bergspitzen teilten sich eine Gemeinsamkeit, dachte er, als er der Bergstation endgültig seinen Rücken kehrte: Man hielt sich dort meist nicht lange auf. Zwar hatte Albers einst gelesen, dass sich die sexuellen Höhepunkte von Schweinen bis zu einer halben Stunde hinziehen konnten. Andererseits waren seines Wissens die Zeniterreichungen bei Menschen – egal ob in sexueller, sportlicher, künstlerischer oder beruflicher Hinsicht – meistens schnell wieder vorbei. Sei es, weil die Natur es so wollte, ein anderer den höchsten Höhenflügler von der Spitze drängte oder weil schlicht der Treibstoff ausging. Auch die Aufenthalte auf Bergspitzen waren meistens nur von kurzer Dauer. Sei es, weil es die Natur mit ihren Licht- und Windverhältnissen so bestimmte, die nächste Seilschaft nachdrängte oder der Proviant ausgegangen war. «What goes up must come down» – den Gravitationsgesetzen schien niemand entkommen zu können. Ja, schien nicht letztendlich auch das Leben selbst dem gravitätischen Grundkonzept einer Bergwanderung zu folgen? Von der Geburt im fruchtbaren Talgrund stieg der junge Mensch den steinigen Berg soweit hoch, wie er konnte, um als erwachsener Mensch von der Berghöhe wieder hinunter in den schattigenGrund zurückzukehren. Dieser dunkle, schattige Talboden, dieser Mutterschoss des Lebens, in dem sich Geburt und Tod so unergründlich zu vereinen schienen. Das Leben als ein Versuch, der Gravitation dieses Grundes soweit wie möglich zu entfliehen? Diesem Gedankengang entlang wandelnd, gelangte Wendo alsdann zur Frage, wo dann wohl der erste Talgrund liegen möge, aus dem das erste Leben, ja gar der Raum und die Zeit selbst ihren Anfang nahmen. «Früher hat man geglaubt, wenn alle Dinge aus der Welt verschwinden, so bleiben noch Raum und Zeit übrig; nach der Relativitätstheorie verschwinden diese aber mit den Dingen», hatte einst Albert Einstein auf die Frage eines Reporters nach seinem Bild des Kosmos sein Raum- und Zeit-Verständnis zusammengefasst. Doch musste der Raum und die Zeit nicht vor den Dingen existiert haben? «In welchen Raum sollte der Urknall dann wohl geknallt haben?», dachte sich Albers und sowieso, was oder wer hat wen nochmals beim Urknall geknallt? Wessen Kind war das Universum?

Albers Wendo kam gut voran. Er war nun bereits eine gute Stunde unterwegs, und der Weg führte ihn, immer noch sanft abfallend, dem Grat entlang in die Tiefe. Die grüngelben Wiesenstücke auf seiner rechten Seite waren inzwischen verschwunden. An ihre Stelle traten Geröllfelder mit allen Formen von kleinem und grossem Gestein, die immer wieder von schmalen Streifen mit gelbem Gras, grünorange bemoosten Steinen und grünem Buschwerk unterbrochen wurden. Hier musste Wendo seinen Schritt etwas verlangsamen, sein Blick konzentrierte sich dann auf die paar Meter vor seinen Wanderschuhen. Bereits als kleines Kind war Albers aufgefallen, dass sich auch in einem halben oder einem Viertelmeter des Bodens ganze Gebirge erstreckten. Selbst die kleinsten Gesteinsanordnungen hatten winzige Gebirgsmassive geformt, und was ihn zwanzig Schritte gekostet hatte, war für eine kleine