Grenchnernacht - Iris Minder - E-Book

Grenchnernacht E-Book

Iris Minder

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Beschreibung

In ihrem zweiten gemeinsamen Fall stehen die Grenchner Polizistin Hedy Steiner und der verdeckte Ermittler Toni Morand vor einer grausamen Herausforderung. Ein psychopathischer Mörder treibt in der beschaulichen Stadt Grenchen sein Unwesen und stürzt die Gemeinschaft in Angst und Schrecken. Während sich die Einwohner auf die alljährliche «Gränchner Chürbisnacht» freuen, wird die festliche Stimmung jäh zerstört. Statt die Feierlichkeiten zu genießen, müssen Hedy und Toni sich um einen bizarr inszenierten Mord kümmern: Eine zur Schau gestellte Leiche wird im Herzen der Stadt entdeckt, und das Verbrechen trägt die unverwechselbare Handschrift eines gefährlichen Psychopathen. Doch dies ist nur der Anfang eines Albtraums, der die Ermittler tief in die Abgründe der menschlichen Psyche führt. Der Mörder hinterlässt verstörende Botschaften und fordert Hedy und Toni zu einem mörderischen Katz-und-Maus-Spiel heraus. Während die beiden fieberhaft nach Hinweisen suchen, um den Täter zu stoppen, offenbaren sich immer dunklere Geheimnisse. Mit jedem Schritt, den sie dem Mörder näherkommen, wird klar, dass nichts und niemand so ist, wie es scheint. Die Ermittlungen bringen die beiden an ihre Grenzen und stellen nicht nur ihre berufliche Partnerschaft, sondern auch ihre persönliche Belastbarkeit auf eine harte Probe.

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GRENCHNERNACHT

 

Für Jenny und ihre Chürbisgeister

2. Auflage

 

 

 

 

 

IRIS MINDER

Wie groß aber die Zahl der Bösen auf Erden auch sein mag, so gibt es doch wenige von diesen leichenhaften Seelen, die, abgesehen von ihrem Eigeninteresse, für all das unempfindlich geworden sind, was gerecht und gut ist.

Jean-Jacques Rousseau

 

 

Ein Eisen, das der Rost zerfressen,machst du nicht mit der Feile rein.Was nützt's den Bösen zu ermahnen?Der Nagel dringt nicht in den Stein.

Saadi (um 1210 – 1292) persischer Dichter

 

 

Im April

 

Beim gemeinsamen Essen ist es beschlossen worden. Ein verhängnisvoller Entscheid, wie sich sehr bald herausstellen wird.

 

Eigentlich hätte an diesem Abend, der den Start für die diesjährige Chürbisnacht bedeutet, das ganze OK anwesend sein sollen. Aber einmal mehr fehlt der Präsident Damian von Burg - ein grosser, sportlicher und attraktiver Mann, ein Frauenversteher - mit einem fadenscheinigen Grund. Wieder liegt es an der Vizepräsidentin Erika Büttler, eigentlich zuständig für Werbung und Sponsoring, die Sitzung zu leiten. Büttler ist eine rundliche Frau in den Vierzigern, ihre vollen, grauen Haare sind kurz geschnitten und machen Erika attraktiv. Sie hilft gerne, nur verliert sie langsam die Geduld mit dem lahmen Präsidenten. Jeder fragt sich inzwischen, warum von Burg überhaupt diese Aufgabe angenommen hat. Einige vermuten, dass er sich mit Kulturförderung ein gutes Image verpassen möchte. Andere wiederum sind der Meinung, der habe gedacht, so ein bisschen was mit Kultur tun, sei keine Arbeit und mache man mit links. Dann habe er gemerkt, was für einen Aufwand und für ein Engagement man für eine gelungene Veranstaltung investieren müsse, und jetzt ziehe er sich deshalb stillschweigend zurück. Einige wenige meinen einfach nur, der sei ein schleimiger Schönling und habe genügend mit seinen weiblichen Eroberungen zu tun. Erika kann einfach nicht verstehen, wie jemand mit salbungsvollen Worten ein Präsidium annehmen könne, grosse Versprechen machen könne, aber dann nicht einmal mehr heisse Luft ins Projekt hauche. Damian kommt ihr manchmal vor wie einer dieser aufgeblasenen Fregattvögel, die während der Balz ihren Kehlsack zu einem grossen roten Ballon aufblasen, aber dann wieder zu einer unbedeutenden Erscheinung zusammenschrumpfen. Halt mehr Schein als Sein. Wie dem auch sei, Erika bleibt nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Das fällt ihr allerdings schwer, weil sie wirklich sehr angepisst ist. Einmal mehr macht ihr wieder mal ihre Harmoniesucht einen Strich durch die Rechnung. Aber sie kann einfach nicht über ihren Schatten springen. Deshalb schweigt sie lieber, als Konflikte anzusprechen, auch zuhause bei ihrem Mann Fred und ihrem Sohn Tobias. Probleme und Konflikte verlaufen mit der Zeit im Sand, ohne, dass man einen grossen Krach anzetteln muss, ist sie der Meinung. Im Übrigen sind die andern eh eloquenter, und sie zieht am Schluss immer den Kürzeren. Also, lieber nichts sagen und abwarten. Alles verraucht mit der Zeit und dann kehrt ja immer wieder Frieden ein.

 

Die Sitzung findet im familiären Restaurant «Gärtli» von Reto Lüthi und seiner Frau Chong statt. Die ehrenamtlichen Organisatoren prosten sich mit einem Glas Sekt zu. Helga Beck mit ihren wilden, roten Haaren leuchtet aus der aufgeräumten Runde heraus. Sie unterhält sich leidenschaftlich mit Oliver Häusler, einem ernsthaften, grossen Mann, der ihr interessiert zuhört und immer wieder zustimmend nickt. Etwas abseits steht Fritz Lang, ein kleiner, muskulöser Mann mit einer rasierten Vollglatze. Er trägt Springerstiefel, deren Absätze ihn etwas grösser werden lassen. Neben ihm Sabine Schild, eine magere, eher unscheinbare Frau. Es sieht fast so aus, als ob sie sich durch die pastellbeige Kleidung und die sandblonden, dünnen Haare unsichtbar machen möchte. Die beiden stehen nebeneinander und finden keinen richtigen Gesprächsstoff. Erika Büttler bespricht mit dem Wirt den Ablauf ihres Abschlussessens mit der anschliessenden Sitzung und gesellt sich dann zu den andern. Nachdem sie mit jedem angestossen hat, bittet sie alle an den gedeckten und gediegen dekorierten Tisch. Das Wirtepaar hat sich grosse Mühe gegeben und ist mit dem Schmuck auf die Gränchner Chürbisnacht eingegangen. So strahlt der Tisch in orangenen Farbtönen.

 

Bei Sitzungsbeginn entschuldigt Erika offiziell zuhanden des Protokolls den Präsidenten, Damian von Burg. Er habe einen nicht verschiebbaren beruflichen Termin und bedauere unendlich, beim Start nicht dabei sein zu können. Sie ist stolz auf sich, wie neutral und sachlich sie diese Botschaft überbringt. Sie bemerkt natürlich, dass alle die Köpfe senken und sich jeder seine Sache denkt. Nur eine reagiert.

 

«Wer’s glaubt», giftelt Helga Beck mit ihrer tiefen, rauchigen Stimme und wirft hässig ihre rote Haarpracht zurück. «Der wird sicher wieder eine neue Flamme aufgegabelt haben.» Man muss wissen, dass Helga vor einem Jahr auch eine der Auserlesenen von Damian war. Sie versprach sich eine feste Beziehung mit diesem attraktiven Mann. Seine Worte hallen noch immer in ihr nach und hinterlassen einen mehr als bitteren Nachgeschmack: «Du bist wirklich die grosse Liebe, auf die ich schon so lange gewartet habe. Alles an dir entspricht meinem Traum von einer Frau. Endlich habe ich dich, meinen Engel, gefunden. Ich hole dir die Sterne vom Himmel, schwebe mit dir zum Mond, trage dich auf Händen.» Ha, von wegen. Nach drei Monaten hat sie ihn zufällig in Solothurn bei einem tête à tête in der Kaffeehalle mit einer jungen, dunkelhaarigen, mandeläugigen Schönheit ertappt. Dann schaute er auf, ihr direkt in ihre zusammengekniffenen Augen und wandte sich, wie wenn nichts wäre, wieder zärtlich seiner Begleitung zu. Er erschrak nicht einmal oder wurde verlegen. Ja, sie hatte sogar das Gefühl, dass er schmunzelte. Das macht Helga heute noch rasend. Erika versucht sie zu beschwichtigen.

«Ach, weisst du, Helga, ich denke, er ist halt mit seiner leitenden Position bei der Post sehr beschäftigt. All die Sparmassnahmen, die Schliessungen von Filialen, der ganze personelle Druck. Denken wir doch nicht immer gleich das Schlechteste, bitte!»

«Beschäftigt? Ja. Aber womit ist hier die Frage», kontert Helga gehässig.

«Ich schlage vor, dass wir jetzt unser Abschlussessen servieren lassen und dann uns nach dem Dessert noch Zeit nehmen, um über die nächste Chürbisnacht zu diskutieren. Ich hätte da eine Idee, über die wir jetzt schon abstimmen müssen, wenn die Durchführung in Frage käme.» Erika gibt dem Wirt, Reto Lüthi, dem engagierten, jungen Gastgeber ein Zeichen, dass sie das vorbestellte Essen nun servieren können. Erika hat ein italienisches Menü bestellt. Es wäre auch möglich gewesen, originale, thailändische Köstlichkeiten zu ordern. Die Frau von Lüthi, Chon, ist Thailänderin und kocht an bestimmten Tagen Menüs aus ihrer Ursprungsheimat. Abende, die immer sehr schnell ausgebucht sind und einem grossen Bedürfnis entsprechen.

 

Die kleine Gruppe lässt sich in der gemütlichen Ambiance des «Gärtli» genüsslich die mit Olivenöl extra vergine getränkten Antipasti munden, und tut es sich am Brassato mit Polenta und frischem Frühlingsgemüse gütlich. Und dann strahlen alle noch immer glücklich und zufrieden über das köstliche Tiramisu. Sabine erlaubt es sich sogar heimlich, den Dessertteller mit dem Finger bis auf den letzten Rest aufzuputzen. Der Chianti hat die Köpfe rot anlaufen lassen und die Stimmung zum Höhepunkt gebracht. Es wird laut gelacht und ebenso laut werden Anekdoten aus früheren Chürbisnächten zum Besten gegeben. Das Organisationskomitee, die Chürbisgeister, haben während des Desserts die Probleme der früheren Chürbisnächte, hinter sich gelassen und stellen sich nun auf die kommenden Freuden und möglichen Schwierigkeiten, des am letzten Freitag im Oktober stattfindenden Lichterfests, ein.

 

Und Probleme wird es geben! Ungeahnte. Rückblickend würden sie alle auf keinen Fall mehr dem Vorschlag von Erika Büttler zustimmen. Aber eben, im Nachhinein ist jeder klüger, wie man zu sagen pflegt. Und, wer denkt schon an so etwas Absurdes, Unglaubliches, das sie alle erschüttern wird.

 

Wie jedes Jahr im Sommer wird nach diesem Abschlussessen im Grundsatz, ohne Details oder genaue Planung, beschlossen, wie die nächste Grenchner Chürbisnacht durchgeführt werden soll, was man an neuen Attraktionen anbieten wolle und wer wofür zuständig sein wird. In diesem Zusammenhang bringt Erika diesen verhängnisvollen Antrag ein, dass sie schweizweit einen Wettbewerb ausschreiben sollen, damit die Chürbisnacht eine noch grössere Ausstrahlung bekomme. Deshalb schlage sie vor, den schwersten Schweizer Kürbis zu küren. Helga Beck, die zuständig für den kulturellen Teil ist, gibt zu bedenken, dass es solche Wettbewerbe bereits sowohl in der Schweiz wie auch im Ausland gäbe. Ebenfalls der Kassier Oliver Häusler, zuständig auch für die Stände, schüttelt den Kopf. Ihn beschäftigt vor allem die zur Verfügung stehende Fläche und die Logistik: «Denkt daran, dass wir mit all den Ständen bereits den ganzen Marktplatz belegt haben. Und», mit Blick zu Helga, «die Zufahrt zum «Stadtdach» muss für die kulturellen Darbietungen offen sein. Ich weiss, dass grosse Kürbisse ein paar hundert Kilo schwer werden. Ja, einige der schwersten, vor allem von der Sorte Cucurbita maxima, Atlantic Giant, können über eine Tonne wiegen und einen Umfang von über vier Metern erlangen. Da braucht es einiges an Platz für die Lieferwagen und die Waage. Zusätzlich müssen wir dann auch die entsprechenden Werkzeuge und Geräte zum Heben der Kürbisse bereitstellen. Ich bezweifle, dass wir das hinkriegen. Aber ich will nicht der Spielverderber sein.»

 

«Ich sehe das nicht so eng», meldet sich Fritz Lang, der immer hilfsbereite Kommandant der lokalen Zivilschutzorganisation, mit einem kurzen um Anerkennung heischenden Blick zu Erika. «Ich könnte mir gut vorstellen, dass wir das Wägen mit allem Drum und Dran, integriert in eine Übung, übernehmen können. Im oberen Teil der Marktstrasse wäre Platz genug. Die Zufahrt zum Platz können wir problemlos von oben, von der ETA her, gewährleisten. Im Übrigen sind wir ja eh vor Ort, um in Zusammenarbeit mit der Polizei den Verkehr zu regeln. Die notwendigen Geräte und Werkzeuge zum Heben der Kürbisse, inklusive Waage, liegen in unserem Materialdepot für verschiedene Notfälle eh bereit. Wir sind für alles eingerichtet und vorbereitet. Ich übernehme das mit meinen Mannen gerne.»

 

Erika lächelt ihn an. Eigentlich hat sie schon im Vornherein mit seiner Zusage gerechnet. Wenn es was zu krampfen gibt, wenn männliche Muskelkraft gefragt ist, dann kann man auf Fritz zählen. Manchmal schämt sie sich, dass sie sich so ohne weiteres auf Fritz verlässt, eben, weil er so berechenbar hilfsbereit ist.

 

Helga meldet sich erneut und gibt wie immer ihren obligaten negativen Kommentar ab: «Was wollen wir jetzt noch mehr. Dann verliert mein kulturelles Programm immer mehr an Bedeutung und alle rennen nur noch zu diesem oberflächlichen Wettbewerbszeug. Ich bemühe mich, etwas Niveau in dieses Volksfest zu bringen. Und dann so was …» Zu Fritz gewandt, fügt sie gehässig hinzu: «Von dir kann man ja nichts anderes als Oberflächlichkeit erwarten. Zivilschutz! Ha! Ist doch nichts anderes als Machtspielchen von halben Männern, die nicht fähig sind, echten Militärdienst zu leisten.»

«Das lasse ich mir nicht bieten, Madame. Von dir nicht! Du mit deinen grauen Deux-pieces und den langweiligen dunkelblauen Blusen. Aber wieder typisch! Während der Pandemie damals, da waren wir gut genug, um die Gesellschaft zu retten. Ja, retten, grinse nur so überheblich! Es ist erwiesen, dass wir damals allein in unserem Kanton mehr als 15 000 Manntage Dienst …»

«Ha, ha! Manntage, wenn ich das nur schon höre. Manntage!! ..»

«Ja, Manntage! Ihr Frauen engagiert euch ja nicht im Zivilschutz. Ohne uns wäre während der Pandemie das ganze Gesundheitssystem zusammengebrochen. Und unsere Mannen haben bis zur Erschöpfung gearbeitet. Das ist nun mal Tatsache, und die kannst auch du nicht wegschwätzen!»

Beck holt tief Atem und macht ihrem Ärger und ihrer Frustration Luft: «Hör mal, mein Lieber. Solche klein gewachsenen Männlein wie du, kenne ich zur Genüge. Ich denke da nur schon an meinen Mathematiklehrer, der seine Winzigkeit mit Zynismus und Erniedrigung der weniger Begabten überspielen musste. So einer bist auch du! Einer, der sich wie Napoleon, ebenfalls ein Zwerg, wie ein General in einer lächerlichen Organisation benimmt. Euch geht es nur um oberflächliches Machtgehabe. Ihr versteht ja nicht einmal, was Tiefe und Niveau ist. Ich, ich bringe das ein. Dank mir ist die Chürbisnacht nicht einfach ein Fest zum Saufen und Grölen, wie es dir entsprechen würde. Und wenn ich schon dabei bin: Grenchen wird durch all die Streichungen an Unterstützung und Personal je länger, je mehr eine kulturelle Wüste. Gut, ich bin jetzt etwas ungerecht. Auch regionale und schweizerische Politik investiert lieber in Strassen und Militär. Wenn man von Budgetkürzungen spricht, dann steht an erster Stelle die Kultur, dann soziale Unterstützung und die Landwirtschaft. Oder noch schlimmer: Die Schulen. Allen voran diese unsägliche Volkspartei. Volk! Ha! Alle diese Finanzer auf der Welt sehen nur ihre Zahlen. Die checken nicht, dass die Mitfinanzierung von Kunst, Kultur und kultureller Bildung eine Investition ist. Sie haben herausragende Bedeutung für die gesellschaftliche Entwicklung, fördern beispielsweise auch die Integration und ein friedliches Zusammenleben. Aber das sehen diese Zahlenmenschen nicht. Wie leer müssen deren Seelen sein! Wertvolle Kultur ist für die nichts anderes als das Geschreie und aggressive Toben an Fussballmatchen. Fussball ist ja schliesslich eine Geldmaschinerie. Millionen. Milliarden. Es zählt nur, was viel kostet. Schon Saint-Exupéry hat gesagt, dass das wirklich Wertvolle nicht das Materielle ist, sondern all das, was man mit dem Herzen sehen, spüren und erfassen kann. Mit dem Herzen und nicht mit dem Portemonnaie. Kultur ist Sinn und Frieden stiftend, verbindet und fördert Verständnis für andere, bildet Identität und Identifikation. Nur noch das: Wenn das Geld zum sinngebenden Ziel wird, wirkt es zerstörend auf das den Menschen ausmachende Zusammenleben, die Kultur, aus. Man kann das Geld mit der Sonne vergleichen. Die Sonne ist wichtig, damit Leben sein kann. Zuviel Sonne oder nur Sonne zerstört, trocknet aus, hinterlässt lebensfeindliche Wüste. Genauso ist es auch mit dem Geld. Jawohl! Ach, ich mag jetzt nichts mehr sagen. Was rege ich mich so auf. Es bringt ja eh nichts. Schaut mich doch nicht mit offenem Mund an! Ich bin nicht verrückt. Wann erkennt man in der Politik endlich, was wirklich wichtig für uns Menschen ist! Aber ich bin schockiert, dass auch bei euch der kulturelle Teil nur etwas Nettes nebenbei ist. Und du, Fritz, bist genauso leer wie all die Steinseelen der Zahlenmenschen! Die sind wie bei Endes «Momo» nur ein fades Räuchlein. Du mit deinem elenden Machozivilschutzgehabe!»

 

Fritz’ Ohren strahlen in einem noch intensiveren Rot als sein Kopf vom Chianti bereits ist. Er holt tief Luft für eine weitere Entgegnung, aber Erika, die völlig perplex ob diesem aggressiven Wortwechsel ist und sich nicht erklären kann, was da bei den beiden gerade abgeht, kommt ihm schnell zuvor. «Was die Kultur betrifft, sind wir hier alle deiner Meinung. Deine Anschuldigungen sind etwas unangebracht, Helga. Ich verstehe euch jetzt nicht ganz, aber lassen wir es stehen. Wenn ihr Probleme miteinander habt, könnt ihr gerne im Nachhinein zu mir kommen. Der Zivilschutz leistet hervorragende Dienste. Danke, Fritz. Und du, Helga, brauchst keine Angst zu haben, dass dein kulturelles Engagement nicht gewürdigt wird. Wie gesagt, für uns ist Kultur wie für dich das Zentrale für das menschliche Zusammenleben. Der Wettbewerb dauert ja höchstens eine halbe Stunde und der kulturelle Teil füllt den ganzen Abend aus.»

Helga schüttelt leicht den Kopf und verdreht die Augen. Es kann als stummes «Ja, ja, schon gut, ich bin ja friedlich» interpretiert werden. Sie äussert sich dann aber doch noch: «Sorry, ich weiss, es geht manchmal mit mir durch. Ich kann einfach nicht verstehen, warum Gemeindevertreter nicht einsehen wollen, dass es Aufgabe einer modernen, verantwortungsbewussten Gemeinde ist, den Kulturauftrag mit allen Mitteln zu erfüllen, Kultur zu unterstützen, zu fördern, um damit das Miteinander der Bürger zu stärken. Eine kulturaffine Gemeinde wird doch auch Zuwachs von zahlungskräftigen Menschen bekommen und dann würden doch die zahlengeilen Finanzmenschen auch was davon haben. Kultur ist unser Lebensnerv und nicht Zahlen. Und jetzt schweige ich. Sorry, aber das musste jetzt doch noch sein.»

 

Erika schaut jetzt wegen der Abstimmung für den Wettbewerb fragend zu Sabine Schild, der Aktuarin. Diese schüttelt nur den Kopf. Wie immer enthält sie sich eines Kommentars. Sie will nicht anecken und hat deshalb keine Meinung.

Erika: «Was machen wir nun? Helga und Oliver?»

«Ja, wenn Fritz mit dem Zivilschutz das Ganze übernehmen wird, will ich nicht, wie vorhin gesagt, der Spielverderber sein», lenkt Häusler ein. «Und wenn das Ganze im oberen Teil der Marktstrasse stattfindet, können wir die Zufahrt zum Marktplatz über die Bettlachstrasse und die Schild-Rust-Strasse gewährleisten.» Helga zuckt nur mit ihren kräftigen Schultern und signalisiert auf diese Weise, dass sie tun sollen, was sie wollen. Dann meint sie doch noch kurz: «Und der Preis?»

«Was, Preis? Die Arbeit vom Zivilschutz wird als offizielle Übung ausgeschrieben und gehört in den normalen Betrieb unsrer Organisation. Preis? Was soll das?» Fritz schüttelt missbilligend den Kopf und runzelt die Stirne.

«Eh, für einen Wettbewerb braucht es doch einen attraktiven Preis. Fühl dich nicht gleich angegriffen! Dafür haben wir kein Geld zur Verfügung. Irgend so eine Schachtel Pralinen vom «Coq au vin» holt keine Kürbisgärtner nach Grenchen. Ich werde sicher nicht bei den kulturellen Darbietungen Abstriche machen, weil jetzt dieser Preis angeschafft werden muss. Wenn ihr so was beschliesst, könnt ihr mich filmen. Dann gebe ich auf der Stelle mein Amt ab!»

Erika greift ein: «Du hast recht, Helga. Natürlich braucht es einen attraktiven Preis. Und, da stimme ich dir zu, auf keinen Fall auf Kosten der Kultur. Wir müssen einen Sponsor finden.»

«Wird nicht so leicht sein», gibt Oliver zu bedenken.

«Dann lassen wir es einfach mit diesem Wettbewerb. Ich war ja von Anfang an dagegen», meldet sich triumphierend Helga zu Wort.

«So schnell geben wir nicht auf. Wir finden sicher einen Sponsor. Toll wäre es, wenn wir eine Uhr anbieten könnten. Wir als Uhrenstadt mit Breitling, Fortis, Certina, ETA und Titoni sollten es doch schaffen, eine schöne Uhr gesponsert zu bekommen. Ich werde das übernehmen. Gerade Titoni ist ja eine der Firmen, der Grenchen und vor allem Grenchens Kultur sehr am Herzen liegt. Also, ich übernehme das und gebe euch dann umgehend Bescheid. Einverstanden?»

«Von mir aus», meint Helga schulterzuckend.

«Also, dann werden wir diesen Wettbewerb mit Hilfe des Zivilschutzes von Fritz durchführen, und ich kümmere mich um einen tollen Preis», fasst Erika zusammen. «Die anderen Aufgaben sind jedem hinlänglich bekannt. Ich werde in den nächsten Tagen eine Medienmitteilung für den Wettbewerb verfassen. Und Sabine, du hast ja die Liste der Schweizer Medien und kannst ihnen dann meinen Text mailen. Schon jetzt grossen Dank dafür. Wir sollten gerade so attraktive Zeitschriften wie «Schweizer Garten», «Landliebe» und schliesslich auch die «Betty Bossi-Zeitung» nicht vergessen. Also, nochmals, ihr Lieben, einverstanden?» Alle, und jetzt, da alle derselben Meinung sind, auch Sabine, nicken.

«Wollen wir gleich noch die nächsten Sitzungen definieren? Also, wir haben April. Bisher haben wir sie jeweils am Mittwoch angesetzt. Gilt das noch für alle?» Erika schaut in die Runde. Da alle schweigen, fährt sie fort: «Gut. Dann schlage ich jeweils den ersten Mittwoch des Monats vor. Das sind dann sechs Termine bis zum letzten Freitag im Oktober, unserer Gränchner Chürbisnacht. Es ist ja auch möglich, jederzeit bilateral miteinander zu verhandeln. Hoffen wir, dass Damian dann jeweils auch dabei sein kann.»

Wie erwartet, zeigt Helga mit einem abschätzenden Schnauben ihren Unmut.

«Dann danke ich euch für die tolle Zusammenarbeit. Ich freue mich unheimlich auf unser Grenchner Lichterfest, die Chürbisnacht.»

Fritz hält den Finger hoch und fragt: «Liegt es finanziell drin, Oliver, dass wir uns noch einen kleinen Absacker genehmigen? Ich nehme ja an, dass dieses Essen auf Rechnung der Chürbisnacht geht?»

«Was soll diese überflüssige Frage, he?», stichelt Helga. «Ist ja klar, dass das Essen über unsere Kasse geht. War ja immer so. Wir haben schliesslich keinen Lohn für unsere Arbeit. Da ist so ein Essen das Mindeste.»

«Ein Absacker liegt drin», stimmt Oliver, nach einem aufmunternden Blick von Erika, etwas widerwillig zu. Man kennt es halt, die Finanzchefs möchten am liebsten keine Ausgaben verzeichnen. Da ist der sympathische Oliver Häusler keine Ausnahme. Eine volle Kasse erfüllt auch ihn mit Stolz.

 

Mit einem Enzian-Schnaps - Jänzene genannt - lassen die fünf den Abend feuchtfröhlich und aufgeräumt ausklingen. Helga gesellt sich zu Fritz und streckt ihm die Hand entgegen. Zögerlich ergreift er sie und beide beginnen dröhnend zu lachen. Der Rest vom Vorstand wendet erstaunt den Blick zu ihnen. Wenn sie schon nicht die Streiterei vorher verstanden haben, so sind sie jetzt noch ratloser über diese grölende Versöhnung. Was läuft da bei den beiden ab? Erika schüttelt den Kopf und denkt liebevoll: «Wie können Erwachsene bloss so kindisch sein? Kindergartenkinder, seid ihr», und nimmt einen letzten Schluck des Enzianschnapses vom Jura. Niemand ahnt in diesem Moment, dass der heutige Entscheid europaweit für Schlagzeilen sorgen wird. Und es werden keine positiven sein. Getreu der Redewendung «only bad news is good news».

 

 

Im Oktober

 

Ein düsteres Zimmer. Isoliert. Totenstille. Schwarze Wände mit goldenen Sternen. Ein Altar. Schwarze, unruhig brennende Kerzen. Die kleinen Flammen malen überdimensionale flirrende und gespenstige Figuren an die Wände und lassen die Sterne unheimlich leuchten. Totenstille. Da betritt eine Person den bedrückenden Raum. Das Licht von aussen entzaubert die schaurige Atmosphäre für den kurzen Moment, in dem die Türe offensteht. Dann ist wieder alles finster. Die schwarze Person kniet vor den kleinen Altar nieder und schaut zur Fotografie einer Frau. Rund um die Foto sind künstliche schwarze Rosen drapiert. Die Frau lächelt nicht. Ihre Augen schauen verächtlich und abweisend in die Kamera. Ihre Lippen sind schmal. Zusammengekniffen. Jedem Betrachter muss das Herz gefrieren, wenn er vor dieser Foto steht. Die kniende Person schaut dieser Frau direkt in die Augen. Sie kennt es nicht anders. Hat das alles erlebt. Direkt. Über all die prägenden Jahre.

«Mutter, wie geht es dir heute? Gut? Schön. Ich bin froh. Was? Du bist nicht zufrieden? Ich weiss, Mutter, ich brauche noch etwas Zeit. Ich verspreche dir … Bitte, beschimpf mich nicht. Sag das nicht. Ich kann es nicht mehr hören, dass du mich hättest abtreiben sollen oder gleich bei der Geburt totschlagen. Nein, ich bin nicht wie Vater, der Versager, nein, das bin ich nicht. Im Gegenteil. Du hast unrecht. Ich werde dir beweisen, dass ich es schaffe. Weisst du, ich will unbedingt spüren, wie es sich anfühlt, jemanden zu ermorden. Was du gefühlt hast, als du Vater vergiftet hast. Ich bin wie du, Mutter. Lach nicht so böse. Nein, das ist nicht einfach nur eine Träumerei. Du wirst sehen, wozu ich fähig bin. Du musst zugeben, dass ich viel erreicht habe im Leben. Ich werde dich übertreffen. Ja, brülle nur vor Lachen. Jetzt muss ich gehen. Drück mir die Daumen. Dann halt nicht. Du wirst schon sehen. Und dann wirst du nicht mehr lachen. Dann wirst du lächeln. Ja, das wirst du. Und stolz auf mich sein. Stolz Mutter, zum ersten Mal, seit du mich auf diese Schweisswelt gepresst hast!»

Die Person bläst schnell die Kerzen aus und tastet sich durch die drückende Dunkelheit dieses Raumes hinaus ins Leben. Hinaus zu einem makabren Vorhaben.

 

 

Es ist die Nacht vor der Chürbisnacht. Grenchen ist menschenleer. Die Marktstrasse ist abgesperrt. Fritz Lang hat zusammen mit seinen Zivilschutzleuten die Waage für den Wettbewerb an der morgigen Chürbisnacht aufgestellt. Daneben ein Rolli, um die zu wägenden Riesenfrüchte auf die Waage zu stellen.

 

Es ist kurz nach Mitternacht. Da nähert sich vom Kreisel bei der ETA ein kleiner Lastwagen, biegt in die Kapellstrasse ein und dann in die Marktstrasse. Langsam kehrt er und fährt rückwärts in Richtung Kürbiswaage. Der Laster fährt ohne Licht und lässt jetzt den Motor im Leergang laufen. Der Renault Master rollt langsam rückwärts aus, da die Strasse eine leichte Neigung aufweist. Ein paar Minuten bleibt alles still. Dann steigt eine grosse, voluminöse Person, von Kopf bis Fuss eingepackt, mühselig und tollpatschig von der Kabine hinunter. Die Türe lehnt sie nur geräuschlos an. Mühsam entfernt er die rot-weisse Absperrung. Er steigt wieder ein und lässt den Wagen langsam bis zur Waage weiterrollen. Wieder ein paar Minuten Stille. Es scheint, als ob die Person sich versichern würde, dass niemand sie sieht. Tollpatschig, mit dem Hintern voran, steigt diese schwerfällige Figur wieder aus und schaut angestrengt zu den dunklen Fenstern der Wohnhäuser, die die Strasse säumen, hoch. Alles dunkel. Keine verdächtigen Bewegungen. Doch da, auf einem der Balkone, glimmt ein kleines Licht auf. Aha, ein Zigarettenraucher, der selbst während des Schlafs aufstehen muss, um wieder Nikotin und die anderen Gifte in die Lungen und seinen Körper zu inhalieren. Die voluminöse Person - man kann nicht erkennen, ob es eine Frau oder ein Mann ist - erstarrt einen Moment. Als der mitternächtliche Raucher die noch glimmende Zigarette über den Balkon segeln lässt und mit einem Knall die Balkontüre schliesst, atmet die Person unten auf der Markstrasse auf. Der Riese geht um den Lieferwagen herum und lässt die Hebebühne sorgfältig herunter. Ein riesengrosser Kürbis mit einem geschätzten Umfang von über drei Metern wird sichtbar. Er liegt auf einer Palette. Diese wiederum steht auf einem Rolli. Die massige Person lässt die Hebebühne bis auf den Boden gleiten. Sie setzt den Rolli in Bewegung und manövriert das Ganze zur Waage. Langsam senkt sich die kolossale Herbstfrucht auf die Waage. Mit Handschuhen entfernt die massige Figur den Rolli unter der Palette und stellt ihn zurück auf die Hebebühne. Leise wird diese wieder hoch gelassen und die Hecktüre des weissen Lieferwagens schliesst sich automatisch. Der unförmige Typ steigt mit grosser Anstrengung wieder in die Kabine hoch. Da hält er nochmals kurz inne und verlässt mühsam den weissen Renault. Der monströse Kürbis wird kritisch umkreist. Die Schale wird begutachtet. Die Person freut sich diebisch, dieses Kürbisgeschenk zu präsentieren. Schmunzelnd betrachtet sie ein auf die Schale geklebtes, quadratisches Plakat. Es misst sicher auf jeder Seite mindestens eineinhalb Meter. Darauf steht in grossen, schwarzen Lettern: «Eine fröhliche Chürbisnacht». Die schwerfällige Person überprüft auch die breite um den Kürbis gespannte rote Schlaufe. Alles sitzt perfekt und hält sicher noch ein paar Stunden. Länger soll es ja auch nicht kompakt bleiben. Zufrieden mit sich und dem Kunstwerk als Geschenk an Grenchen nickt der Typ mit dem Kopf und steigt wieder in die Kabine hoch. Er stellt den Motor an. Das laute Drehen zerreisst die Dunkelheit und die nächtliche Stille. Im Vorwärtsgang fährt der Riese seinen Lastwagen sorgfältig zurück auf die Kapellstrasse, dreht Richtung Süden ab und gibt Gas. Er überfährt die Kreuzung, bei der die Ampeln nur gelb blinken, und wendet sich auf der Solothurnstrasse Richtung Osten. Man hört den auf Hochtouren brummenden Motor schnell in der Ferne verhallen.

 

 

 

Letzter Freitag im Oktober

 

Heute, am letzten Freitag im Monat Oktober, findet die inzwischen zu einem richtigen Volksfest herangewachsene Chürbisnacht endlich statt. Niemand denkt mehr daran, dass diese in den 90er Jahren durch die damalige Leiterin des Amtes für Kultur eingeführt wurde. Sie, die von Bern nach Grenchen gewählt wurde, wollte für Grenchen ein Fest wie den Berner Zibelemärit realisieren. Sie hat über diesen historischen Markt ihre Lizentiatsarbeit an der Uni Bern geschrieben. Damals begannen die Bauern wieder vermehrt Kürbisse anzupflanzen und die Kulturchefin hat intuitiv das Potential dieser wieder in Mode gekommenen Frucht erkannt und so einige Interessierte an einen Tisch geladen, um die erste Gränchner Chürbisnacht durchzuführen. Es sollte ein Fest werden mit Musik, Essen, Marktständen, Feuer und Licht. Es sollte ein stilles Fest werden, ein Fest mit natürlichen Lichtern und gemütlichem Zusammensein. Ihr Ziel war es, dass der immer am letzten Freitag im Oktober stattfindende Anlass mit den Jahren zu einem Volksfest mit Tradition werden sollte. Ein eigenständiges, kreatives Fest, das sich von dem damals wieder aufkommenden Halloween abgrenzen soll. Nach Jahren würde niemand mehr wissen, dass die Chürbisnacht aus einer Idee von ihr gewachsen war, so die damalige Intention der Kulturchefin. Und genau so ist es heute nach bereits einem Vierteljahrhundert gekommen. Die Gränchner Chürbisnacht ist zu einem weit herum beliebten und bekannten Winterlichterfest geworden. Dieses Volksfest entwickelte sich immer auch wieder durch grosses Engagement der jeweiligen Verantwortlichen weiter. Gleich schon am Anfang initiierte jemand einen Lichterumzug der Schulen. Dieser wurde mit grossen Bildern, durch Quartierbewohner in tagelanger Arbeit mit dem warmen Licht von geschnitzten und beleuchteten Kürbissen und Räben aufgebaut, zu einer echten Attraktion. Ebenso richtete der Grenchner Förster mit Kollegen auf dem «Zytplatz» einen wunderschönen «Brätliplatz» ein. Ja, und jetzt, in diesem Jahr, können die Besucher diese Riesenkürbisse bewundern, die sich für den Wettbewerb angemeldet haben.

 

Schon von Anfang an hat man das «Netzwerk Grenchen», eine Institution für Arbeitsintegration, beauftragt, aus Holz gefertigte orangene Kürbisse mit dem jeweiligen Jahr als Abzeichen herzustellen. Die Vorlage kreierte Christine Cslovjecsek für die erste Chürbisnacht 1997. Diese Abzeichen sind inzwischen ein beliebtes Sammelobjekt geworden und helfen mit die Chürbisnacht mitzufinanzieren.

 

Was bei einem Volksfest auf keinen Fall fehlen darf, sind die vielen Angebote an Esswaren, die natürlich alle etwas mit Kürbissen zu tun haben: So findet man Kürbissuppe, Kürbisbratwürste, Kürbiswaffeln, Kürbismuffins, Kürbispudding, Kürbisragout, Kürbiscrèpes, heisse Kürbisgetränke und vieles mehr. Dank diesem vielfältigen Angebot herrscht auf dem fast übervollen Marktplatz bei schönem Wetter jeweils ein fröhliches Treiben. Es ist zur Tradition geworden, dass zu Beginn des Marktes viele Bewohner von Altersheimen mit Zivildienstleistenden genüsslich an den Tischen sitzen und sich über die Abwechslung und das rege Treiben freuen. Und dann während des Umzugs! Tausende von Menschen säumen die Strasse entlang der Umzugsroute. 900 Schulkinder mit über 1000 Laternen, 70 Marktstände und über 2000 Besucher demonstrieren den Erfolg der Gränchner Chürbisnacht. Einmal hat das Regionaljournal von SRF1 als Titel auf seiner Webseite geschrieben: «Attraktion in Grenchen. Das Ausmass der Chürbisnacht ist einzigartig.» Der Traum der Kulturchefin der 90er Jahre hat sich somit um ein Vielfaches erfüllt.

 

Ja, die Fasnächtler - haben in den ersten Jahren - der Chürbisnacht sogar vorgeworfen, dass sie ihnen mit dem Lichterumzug die Show stehlen würde und die Leute an die Chürbisnacht gingen statt an die traditionelle Fasnacht. Neid findet man halt überall, auch dort, wo es nun wirklich keinen Grund dazu gibt. Vermutlich sollte es eigentlich grundsätzlich keinen Grund zu Neid geben. Aber eben, der Mensch kann nicht aus seiner Haut!

 

Das kulturelle Programm von Helga Beck lässt sich sehen: Jodlerklub Bärgbrünneli, eine kurze Vorstellung des Kindertheaters BLITZ von Nadja Rothenbühler, Auftritt der Jabahe-Band von Thesi Frei mit Musikerinnen mit einer geistigen Beeinträchtigung oder die Livermountain-Steelband unter der Leitung von Susi Reinhart, die Breakdancer mit halsbrecherischen Tanzfiguren oder die Streetdancer, beide von der Tanzschule Move, eine Show der Judokas, eine traditionelle Tanz- und Gesangsdarbietung von Sri Lanker oder ein Konzert des Jugendorchesters von Ruwen Kronenberg, auch Feuerkünstler fehlen nicht. Die Vielfältigkeit ist gewaltig und zeigt, was Grenchen alles an Kultur zu bieten hat.

 

Es ist Freitagmorgen. Grenchnerinnen und Grenchner füllen den Marktplatz beim Einkauf auf dem Wochenmarkt mit frischen Produkten der lokalen Gemüsebauern. Vor deren Ständen sind jeweils lange Schlangen an Kunden anzutreffen. Weitere Produkte aus der Region werden ebenfalls feilgeboten: Brot, Käse, Fisch, Fleisch, Blumen und Oliven, um nur einige zu nennen. Da und dort kann man hochgestellte Verkaufsstände bemerken. Die sind nicht unbenutzt, weil gewisse Marktfahrende nicht gekommen sind, sondern wurden durch Mitarbeiter des städtischen Werkhofs bereits für die Chürbisnacht bereitgestellt. Sobald die Marktfahrenden am Mittag ihre Stände geräumt haben, beginnt ein emsiges Treiben: Neue Stände werden aufgestellt. Tonanlagen, Lautsprecher, Lichter werden installiert. Bald schon kommen Vereine, Kürbisbauern und andere Gruppen, um ihren Verkaufsstand aufzubauen, ihn zu dekorieren und in Betrieb zu nehmen.

 

Erika hat mit den andern vom OK abgemacht, dass sie sich um 13 Uhr unter dem «Stadtdach» treffen. Mit «Stadtdach» meint man den überdachten und leicht erhöhten Platz auf der Südseite des Marktplatzes. Es ist auch der Ort, wo all die verschiedenen kulturellen Veranstaltungen unter dem Jahr stattfinden, beispielsweise «Rock am Märetplatz», gegründet von Kurt Gilomen und der Band «Light Food».

 

Erika hat an der Sitzung vom Juni im «Gärtli» – zwar widerwillig – den Posten des Präsidenten angenommen. Diese Sitzung damals war sehr emotional. Damian von Burg hat diese – von ihm nie wirklich wahrgenommene Aufgabe – abgegeben, weil er eine neue Aufgabe als Postleiter im ostschweizerischen Hallau übernommen hat. Fritz Lang ist damals, als dies bekannt geworden ist, völlig ausgerastet. Mit hochrotem Kopf und vorstehenden Halsschlagadern hat er gewütet: «Es ist einfach eine verdammte Sauerei, dass es immer wieder Menschen gibt, die irgendwas annehmen, meinen, sie könnten damit brillieren, dann nichts tun, nur alles blockieren, keine Führung übernehmen, kaum an Sitzungen teilnehmen und wenn, dann völlig unvorbereitet erscheinen, und dann einfach verschwinden, sozusagen auf Französisch. Solche Typen richten einfach nur eines an: Frustration, Unheil und Mordgedanken!» Nach diesem Ausbruch machte sich einen Moment lang Totenstille bei den Chürbisgeistern breit. Alle versuchten dann in einem verbalen Durcheinander ihrem Entsetzen über den letzten Ausbruch von Fritz Ausdruck zu verleihen. Erika hatte ihre liebe Mühe den Zivilschutzchef und die andern im Team zu beruhigen. Nachdem sich dann die Wogen geglättet hatten, wurde Erika einstimmig und mit grossem Applaus zur Präsidentin gewählt. Erika nahm den Applaus fast ein wenig verlegen entgegen. Tief innen dachte sie, dass sie den gar nicht verdient hätte, weil sie das Präsidium nur notgedrungen und nicht mit grosser Überzeugung angenommen hatte. Und dann kam noch hinzu, dass sie nicht wusste, wie sie es ihrem Mann beibringen würde. Er fand sowieso, dass sie sich viel zu viel Freiwilligenarbeit zumute. Er befürchtete, dass sie dann weniger Zeit für ihn und vor allem für ihren 16jährigen Sohn hätte. Dabei war es Tobias nur recht, wenn die Mutter nicht immer zuhause war und nach seiner Ansicht nur nörgelte und nervte. Und ihr Mann! Nach 20 Jahren Ehe hatte sich alles irgendwie abgeschliffen. Liebe und gegenseitiger Respekt waren da und das gab Geborgenheit und Sicherheit. Aber dieses Schmetterlingsflattern im Bauch hatte schon lange ausgeflattert. Es war ihr recht so und sie vermisste nichts. Ihr Mann ist ein Workaholic. Und vielleicht war da möglicherweise eine andere Frau. Aber solange er sich diskret verhielt, war es Erika gleich. Jedenfalls gegen aussen wahrte sie das Gesicht. Die Angst, es könnte jemand bemerken, dass sie halt nicht die heile Familie seien, wie alle sie bewundern, ist bei ihr gross. Es wäre für sie unerträglich, wenn man mit Fingern auf sie zeigen würde. Deshalb: Fassade Wahren. Sie wollte, wie es ihre Art war, ihren Mann nicht zur Rede stellen, um dann noch einen Streit auszulösen. Es lief ja rund so wie es gerade war. Also, warum was ändern. Sie befürchtete nur, wenn sie ihm vom Präsidium erzählte, dass er dann ihr Engagement als Ausrede für seine Aussenbeziehung benützen würde. Dies alles ging Erika beim Applaus zu ihrer Wahl in Sekunden durch den Kopf. Sie lächelte und versprach, ihre Aufgabe nach bestem Wissen und Gewissen zu erledigen und mit Herzblut dieses Fest mit ihnen zusammen zu organisieren.

An der damaligen Sitzung liess Helga eine kleine Bombe platzen: «Wisst ihr es schon?» Sie schaute ihre Mitkämpfer gespannt an. Da alle abwartend schwiegen, erzählte sie die Sensation: «Der von Burg hat seine Stelle in Hallau nicht angetreten.» Sie wartete auf eine Reaktion und schaute nur in staunende Augen. Deshalb fuhr sie fort: «Ja, er ist einfach verschwunden. Er hätte am 1. Juni die Stelle antreten sollen. Aber niemand hat eine Ahnung, wo er ist. Seine Wohnung in Grenchen hat er gekündigt, aber nie geräumt. In Hallau ist er nicht erschienen.»

«Typisch. Passt zu dem. Eine Pfeife. Den wird eh niemand vermissen. Ein aufgeblasener Geck. Und dann wird er erst noch von vielen bewundert. Und wofür? Für nichts als heisse Luft. So etwas könnte ich mir nie im Leben erlauben», ereiferte sich Fritz mit einem tomatenroten Kopf.

Die andern hörten ihm gar nicht zu, sondern schauten sich nur ratlos an. Erika holte ihr Team aus dieser Sprach- und Ratlosigkeit heraus und meinte: «Das ist tragisch. Aber ich denke, dass er vielleicht bei einer neuen Eroberung ist und die Zeit vergessen hat. Ihr Lieben, das ist aber nicht unser Problem. Ich möchte jetzt gerne die detaillierte Planung für die Chürbisnacht vornehmen.» Das waren die Ereignisse an der Junisitzung.

 

Jetzt, am Morgen der Chüribsnacht, stehen alle vom Komitee unter dem «Stadtdach» und besprechen nochmals den genauen Ablauf der Chürbisnacht, die um 16 Uhr beginnen soll. Die Chürbisnacht kann wieder wie vor der damaligen Pandemie in vollem Umfang durchgeführt werden. Erika informiert, dass heute ein Fernsehteam von SRF aus Zürich angereist sei. Man wolle sie in einer Stunde interviewen und sie wäre froh, wenn sie da nicht alleine vor der Kamera stehen müsse. «Also, ich kann da unmöglich dabei sein», wehrt Fritz ab. «Wir haben noch ein Problem mit dem Strom in der Zivilschutzanlage Eichholz. Und denkt daran, wir vom Zivilschutz bereiten die Kürbissuppe für alle freiwilligen Helfenden zu. Und dann sind wir daran, in Zusammenarbeit mit der Polizei die Absperrungen, Umleitungen und Hinweise zu den Parkplätzen zu stellen. Ich weiss nicht, wie ich das alles in so kurzer Zeit schaffen kann. Und dann führen wir vom ZS ja erst noch den Kürbiswettbewerb durch! Deshalb bin ich froh, wenn diese Besprechung hier nicht allzu lange dauert.»

«Tut mir leid, Erika. Ich bin den ganzen Nachmittag mehr als ausgelastet mit all den Marktständen und den vielen Extrawünschen deren Inhaber», entschuldigt sich Oliver.

 

Sabine schaut sich verängstigt in der Runde um und muss eigentlich kein Wort sagen, denn es ist jedem klar, dass sie lieber die Flucht ergreift, als öffentlich ein Wort zu sagen und dann erst noch im Fernsehen, wo die ganze Welt sie sehen könnte. Erika schaut Helga bittend an. Diese hat ungeduldig darauf gewartet, dass sich die offiziell gewählte Präsidentin an sie wendet. Schliesslich ist sie die Einzige, die für so eine Aufgabe in Frage kommt und bei einem Fernsehauftritt auch eine Gattung macht. Trotzdem ziert sie sich ein wenig. Schliesslich soll keiner merken, wie sehr sie sich darauf freut, sich im Fernsehen, und erst noch schweizweit, zu zeigen und dadurch ihre Ansichten vertreten zu können. «Ja, gut, ich will nicht so sein. Ich begleite dich. Vielleicht ist es sogar eine grosse Chance Werbung für unsere Kulturschaffenden zu machen. Dann merkt endlich jemand, dass Grenchen Kultur hat. Was ja von Solothurn und dem übrigen Kanton, selbst vom Kulturamt, kaum gesehen wird. Die denken vermutlich, dass die Grenchner heute immer noch in Säcken herumlaufen. Wir müssen uns aber noch kurz absprechen.»

 

Das Team geht die To-Do-Liste Punkt für Punkt durch und klärt noch offene Fragen. Man hat während all der Jahre eine gewisse Routine entwickelt und so läuft alles professionell und zügig ab. Fritz entschuldigt sich sofort, um in die Anlage Eichholz zu eilen. Aber er wird von einem Zivilschützer aufgehalten. Dieser zeigt aufgeregt in Richtung Marktstrasse. Neugierig hören die OK-Mitglieder zu.

«Ich weiss nicht, ob Sie das schon gesehen haben. Aber auf der Waage steht ein riesengrosser Kürbis. Die Wirtin vom Tea-Room «Bambi» hat mir gesagt, der sei schon am frühen Morgen dort gewesen. Was soll ich nun? Es war doch abgemacht, dass die Riesenkürbisse für den Wettbewerb erst ab 16 Uhr anfahren dürfen.»

Fritz streicht über seine glänzende Glatze. «Das geht so nicht. Was ist denn das wieder für eine Schweinerei. Heute meint jeder, er könne machen, was er wolle!» Da meldet sich sein Handy mit dem Radetzkymarsch als Klingelton. «Ja. Ich bin unterwegs», schreit er den Anrufer an. «Leute, ich muss gehen. Ich löse das Problem vom Kürbis auf der Waage später. Jost, sie stellen sich dort auf und beobachten das Objekt. Ich selber kann mich doch nicht teilen. Verdammt noch mal. Immer dieser Stress!» Er rennt davon. Helga kommentiert ironisch: «Oh je, unser Zivilschutzgeneral ist jetzt schon überfordert. Behüte uns Gott, falls die Stadt wirklich mal in einer ernsten Notsituation auf diese Zivilschützer angewiesen sein sollte!»

«Das habe ich gehört», schreit der rennende Fritz und zeigt ihr hinter seinem Rücken den Stinkefinger.

 

Der junge Zivilschützer zieht die Schultern hoch und geht zurück in die Marktstrasse zur Waage. Seine Aufgabe lautet, das Wiegen der Kürbisse zusammen mit zwei andern Kollegen durchzuführen. Er kann allerdings nicht verstehen, warum er bereits um 13 Uhr vor Ort hat sein müssen, wenn das Spektakel ja erst um 16 Uhr beginnt. Die andern Kollegen sind erst auf 15 Uhr aufgeboten. Da er weiss, dass der Kommandant in der Anlage Eichholz beschäftigt ist, setzt er sich an einen Tisch des Tea-Rooms «Bambi» auf dem Trottoir. Sie haben Glück heute. Der letzte Oktoberfreitag ist überdurchschnittlich warm. Es gab auch schon Chürbisnächte mit Dauerregen oder mit eisiger Kälte. Oder dann während der zwei Jahre damals, als man wegen diesem verdammten Coronavirus nur ein Bonsaifest organisieren durfte. Aber in diesem Jahr scheint die Sonne und verspricht, dass es ein fröhliches Fest werden wird. Er bestellt ein Bier und ein Schinkensandwich. Ein schlechtes Gewissen hat er nicht, weil er ja die Waage und diesen heimlich hingestellten Kürbis im Auge behalten kann. Etwas stimmt mit diesem Monstrum nicht. Er hat ein sonderbares Gefühl. Aber das ist nicht seine Sache. Er ist nur Befehlsempfänger.

 

Vier pensionierte, italienisch sprechende Männer schlendern mit den Händen heftig gestikulierend vom Marktplatz in Richtung Waage. Der junge Zivilschützer, ein Lehrer für Geschichte und Italienisch, denkt, das könnten vier waschechte Neapolitaner sein. Klein, gedrungen und äusserst temperamentvoll. Genau das macht Grenchen ja so interessant, diese vielen Menschen aus allen Teilen der Welt. Die lassen Grenchen zu einer bunten Weltstadt werden, mit all dem Schönen, aber auch mit den entsprechenden Problemen. Aber das ist Leben. Ist Herzschlag. Das hat Grenchen schon immer ausgezeichnet, seit weitsichtige Politiker die Uhrenindustrie im damaligen Bauerndorf eingeführt hatten. Dank der florierenden neuen Industrie musste sich Grenchen schon bald mit der ganzen Welt verbinden: Flughafen, zwei Bahnhöfe. Ja, der Nordbahnhof wurde zum Ausgangsort für die Waren durch den Grenchenberg-Tunnel bis hin nach Hamburg zum Meer und von da in die ganze Welt. Und es waren die italienischen Arbeiter, alles hervorragende Maurer, die diesen Tunnelbau ermöglichten. Seither gibt es in Grenchen eine lebendige Gemeinde von Italienern. Die vier Kollegen bleiben immer wieder stehen und diskutieren gestenreich und lautstark. Einer aus der Gruppe zeigt auf den Riesenkürbis. Sie erhöhen ihr Schritttempo und betrachten mit Kennerblick die orangene Frucht. Mit Armen und Beinen messen sie Umfang und Höhe ab und ratschlagen, welche Ausmasse dieses Ding wohl hat. Der Zivilschützer schaut ihnen belustigt zu. Einer aus der Gruppe versucht unter dem Gelächter seiner Kollegen den Kürbis mit ausgebreiteten Armen auf einer Seite hochzuheben, rutscht ab, reisst das breite, rote Geschenkband ab und fällt mit dem Kopf voran in dieses quadratische, auf die Schale des Kürbisses geklebte Plakat mit der Aufschrift «Eine fröhliche Kürbisnacht». Der Unglückliche zieht seinen Kopf sofort zurück und starrt verstört auf den Kürbis, wo anstelle der guten Wünsche ein dunkles Loch klafft, daraus auf einmal etwas Langes herausragt. Faules Kürbisfleisch klebt an den schwarz-grauen Haaren und an den Augenbrauen des perplexen Italieners. Es sorgt für einen lachhaften Anblick. Aber: Alle vier weichen erschreckt einen Schritt zurück. Der Zivilschützer steht auf, um besser sehen zu können, was die Italiener dermassen entsetzt. Sein Bier lässt er stehen und nähert sich mit festen Schritten dem Quartett. Dieses schaut synchron mit grossen Augen zu ihm und deutet sprachlos auf den Kürbis. Der Zivilschützer denkt noch, wenn es Italienern die Sprache verschlägt, dann muss etwas Schockierendes geschehen sein. Er schaut in Richtung ihrer ausgestreckten Arme und runzelt die Stirne. Da klafft ein Loch in dieser papierenen Nachricht und man sieht Fasern von Kürbisfleisch dahinter. Das alleine ist noch kein Grund in Schockstarre zu geraten. Vermutlich hat der Kürbis darunter zu faulen begonnen. Das Papier ist feucht geworden und nun gerissen. Das ist doch keine grosse Sache, denkt er noch und will zurück zu seinem Bier auf dem Tisch vor dem Tea-Room. Aber da erstarrt auch er. Das gibt es doch nicht. Er schliesst die Augen und schluckt. Er öffnet sie wieder. Das Ungeheuerliche ist jedoch nicht weg. Die Italiener haben ihre Stimmen wieder gefunden und ihr aufgeregtes Durcheinander scheint eine Lautstärke von gespürten 100 Dezibel erreicht zu haben, was einem Rockkonzert oder einer Motorsäge entspricht. Dem Zivilschützer kommt gar nicht in den Sinn, dass das, was er da sieht, ein makabrer Jux sein könnte. Von wegen «Eine frohe Chürbisnacht»! Seine Haare stellen sich auf und er zieht fassungslos, ja geschockt, sein Handy aus der Uniformhose und stellt die Nummer 117 ein. Die ersten Zuschauer bleiben vor dem Loch stehen und halten mit vor Schreck geweiteten Augen die Hand vor den Mund.

 

 

Für die Fahnderin Hedy Steiner hat sich in den letzten Jahren einiges geändert. Es erstaunt sie immer wieder, wie sich unerwartet alles in ihrem Leben zum Guten gewendet hat.

---ENDE DER LESEPROBE---