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Von verletzenden zu Halt gebenden Grenzen Immer mehr Paare gehen grenzverletzend miteinander um, leiden unter Beziehungsstress und suchen deshalb schließlich eine Paartherapie auf. In ihrer Kindheit waren diese Menschen oft aus- oder eingrenzenden Bedrohungen ausgeliefert oder wurden in der Eltern-Kind-Interaktion zerrieben. Sie konnten sich weder schützen noch andernorts Zuwendung suchen. In ihren späteren Beziehungen setzen sie keine Grenzen, akzeptieren oder etablieren nur wenige Rahmenbedingungen, führen hierüber keine Gespräche, treffen erst recht keine verbindlichen Entscheidungen. Die Grenzpaartherapie ist eine Reise in fünf Etappen und etliche nützliche Instrumente geben Orientierung auf dem Weg: - Der Integritäts-Kompass sorgt dafür, dass das Paar nicht mehr vom Weg abkommt und das Traum(a)-Schloss erreicht. - Das Beziehungsmodell der vier Grenzverletzungswunden bietet therapeutischen Begleiter:innen ein diagnostisches Instrument, um Loyalitäts- und Verstrickungsfallen zu erkennen. - Die vier Integritätsfaktoren bieten eine klare Orientierung für den Erfolg der Beratung. In Form zahlreicher erklärender Videos stellt die Autorin den Leser:innen eine digitale Reisebegleitung zur Verfügung.
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Seitenzahl: 561
Katharina KleesGrenzpaare in der traumasensiblen PaartherapieKrisen meistern mit dem Integritätskompass
Von verletzenden zu Halt gebenden Grenzen
Immer mehr Paare gehen grenzverletzend miteinander um, leiden unter Beziehungsstress und suchen deshalb eine Paartherapie auf. In ihrer Kindheit waren diese Menschen oft aus- oder eingrenzenden Bedrohungen ausgeliefert. In ihren späteren Beziehungen setzen sie keine Grenzen, akzeptieren oder etablieren nur wenige Rahmenbedingungen, führen hierüber keine Gespräche, treffen erst recht keine verbindlichen Entscheidungen.
Die Grenzpaartherapie, eine Reise in fünf Etappen, bietet nützliche Instrumente:
Der Integritätskompass sorgt dafür, dass das Paar nicht mehr vom Weg abkommt und das Traum(a)-Schloss erreicht. Das Beziehungsmodell der vier Grenzverletzungswunden bietet ein diagnostisches Instrument, um Loyalitäts- und Verstrickungsfallen zu erkennen. Die vier Integritätsfaktoren bieten eine klare Orientierung für den Erfolg der Beratung.In Form zahlreicher erklärender Videos stellt die Autorin den Leser:innen eine digitale Reisebegleitung zur Verfügung.
Dr. Katharina Klees, Therapie und Weiterbildung für Trauma & Paare seit 1995. Zertifizierte Ausbilderin der DeGPT und BAG Traumapädagogik für traumaspezifische Fachberatung. http://www.aufwindinstitut.com
Copyright: © Junfermann Verlag, Paderborn 2023
Coverfoto: Drobot Dean – Adobe Stock
Covergestaltung / Reihenentwurf: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn
Satz, Layout & Digitalisierung: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn
Alle Rechte vorbehalten.
Erscheinungsjahr dieser E-Book-Ausgabe: 2023
ISBN der Printausgabe: 978-3-7495-0434-3
ISBN dieses E-Books: 978-3-7495-0435-0 (EPUB), 978-3-7495-0436-7 (PDF).
Zu diesem Buch stellt die Autorin Online-Begleitmaterial zur Verfügung; mehr dazu siehe in diesem Abschnitt. Einiges davon finden Sie zusätzlich auf http://www.junfermann.de, zu erkennen an diesem Icon . Gehen Sie dafür auf die Einzelansicht dieses Titels und scrollen Sie nach unten in den Bereich „Mediathek“.
Das Paar im Blick! Darauf weist uns Katharina Klees mit dieser Veröffentlichung hin und zeigt auf, wie das gehen kann. Denn so schwer und herausfordernd es auch der Paartherapeutin oder dem Paartherapeuten erscheinen mag: Jedes Paar, das Hilfe sucht, hat ein Anrecht darauf, gesehen zu werden. Mit seiner Not, mit der Geschichte des Einzelnen, die im Miteinander zu einer Geisterbahn kumuliert.
Über die Besprechung ihres Buchs Traumasensible Paartherapie (2018) habe ich Katharina Klees kennengelernt. Sie hatte sich bedankt, etwas, das bei meinen Rezensionen für Beratung Aktuell – Fachzeitschrift für Theorie und Praxis der Beratung selten vorkommt, und so kamen wir in einen guten fachlichen Austausch. Mittlerweile sind wir, wenn es darum geht, einen Beitrag für eine Qualitätsoffensive der Paarberatung in Deutschland zu leisten, Gefährten.
Mit diesem Buch zu Grenzpaaren ist ihr wieder ein großer Wurf gelungen. 2019 veröffentlichte Christian Roesler eine Evaluation der Paarberatung in katholischer Trägerschaft in Deutschland, was mit 554 Paaren hierzulande die bislang größte prospektive Untersuchung zur Paartherapie war. Roesler konnte feststellen: Paarberatung in katholischer Trägerschaft in Deutschland ist insgesamt so effektiv wie die Paartherapie unter realen Praxisbedingungen im internationalen Vergleich. Das hört sich gut an, gleichzeitig musste er jedoch konstatieren, dass nur 40 % der Paare in einem klinisch bedeutsamen Sinne von der Intervention profitierten. Insbesondere bei Paaren mit anfänglich hoher Belastung zeigte sich keine Verbesserung, sie brachen oftmals vorzeitig ab und trennten sich in der Folge. Wie man genau mit jenen 60 % der Paare arbeitet, dafür zeigt Katharina Klees einen zielorientierten und wissenschaftlich fundierten Weg in dieser Veröffentlichung auf.
Paare mit hoher Belastung berichten von häufigen negativen Emotionen und emotionaler Labilität. Sie haben Probleme damit, ihre Emotionen zu regulieren, was sich in der Impulsivität ihres Verhaltens ausdrückt. Sie können sich schwer in den Partner / die Partnerin einfühlen und erleben sich emotional distanziert. Manche leiden darunter, dass der andere perfektionistisch und rigide ist oder zu exzentrischen und ungewöhnlichen Überzeugungen neigt. Manche zeigen aus Verzweiflung manchmal ein selbstschädigendes Verhalten. Und vor allem wird deutlich, dass beide Partner:innen über ein geringes Selbstwertgefühl verfügen und häufig den anderen für das eigene Gefühlschaos, für destruktive und gewalttätige Verhaltensweisen und Aussprüche verantwortlich machen. Was all diese Verhaltensweisen kennzeichnet, sind Grenzverletzungen – Verletzungen der eigenen Würde oder der des Partners / der Partnerin, nicht selten gespeist von Verachtung.
Meistens sind derart verletzte Menschen auch ich-synton, was sich in der Hoffnung zeigt: Könnte der / die Berater:in den anderen nur ändern, würde sich alles zum Guten wenden. Auch in paartherapeutischen Ansätzen herrscht nicht selten die Idee vor, dass es wichtig sei, zunächst einmal mit den Einzelnen zu arbeiten, also an deren Störung, um überhaupt mit beiden arbeiten zu können.
Genau das tut Katharina Klees nicht, sie arbeitet mit beiden Partner:innen zusammen. Nur so können Störungen der Interaktion und Kommunikation geklärt und durch die Bahnung neuer Erlebens- und Verhaltensmuster bewältigt werden, wo sie sich aktualisieren (Grawe 1998). Eine Einzeltherapie hilft bei Grenzverletzungshintergründen eher nicht, im Gegenteil: Die Polarisierung würde damit zementiert.
Meine eigenen Erfahrungen decken sich mit denen von Katharina Klees, denn Grenzpaare finden zueinander, um gemeinsam zu heil zu werden, und nicht, um sich absichtlich zu quälen. Katharina Klees zeigt sehr schlüssig auf, wie qualifizierte Fachpersonen grenzverletzte und grenzverletzende Paare auf den in diesem Buch vorgestellten fünf Stationen des Behandlungsplans so begleiten können, dass sie beieinanderbleiben und eine integre Paarbeziehung entwickeln. Wesentlich für die erfolgreiche Umsetzung dieses Ziels ist ein klar umrissenes Verständnis von Integrität und gesunder Beziehungsfähigkeit. Hiervon haben grenzverletzte Menschen keine Vorstellung. Ihnen wurde von klein auf vermittelt, dass Ausbeutung, Ausgrenzung, Eingrenzung, Hohn, Ignoranz und Verachtung normale Reaktionen auf ihre „unmöglichen“ Bedürfnisse und Wünsche seien. So mündet dann der Weg von der aktuell reinszenierten „Geisterbahn“ über das Traum(a)-Schloss in die erklärte Absicht zur Integrität. Mit dieser Vorgehensweise wird ein sich selbst verstärkender Entwicklungsprozess in Gang gesetzt.
Mir ist es ein großes Anliegen, dass Paare in der Paarberatung auch wirklich das bekommen, was sie dort suchen. Deshalb freue ich mich, dass mit der Grenzpaartherapie ein weiteres Modell vorliegt, das sich am Kontextmodell der Beratung (Wampold et al. 2018) orientiert. In der Grenzpaartherapie kommt den Therapeut:innen die zentrale Rolle zu, glaubhaft Hoffnung auf Verbesserung zu vermitteln, um damit die Selbstheilungskräfte zu aktivieren (Grawe 1998). Es liegt ein klar strukturierter Behandlungsplan vor, mit der Zielorientierung, eine integre Paarbeziehung aufzubauen. Durch strukturierte Fragen, den Einsatz von „Strichmännchen“ bei der Darstellung von Problemsituationen (Aktivierung des limbischen Systems) und die anschließende Deutung der Szene (Einbezug des präfrontalen Cortex) werden die Klient:innen selbst aktiv. Und selbstverständlich stehen die Therapeut:innen, ganz im Sinne des aktivierten Bindungsbedürfnisses, freundlich und wohlwollend als sichere Basis zur Verfügung.
Last, but not least, ist das Buch wirklich spannend zu lesen. Durch viele ausführliche Beispiele aus der paartherapeutischen Praxis werden die einzelnen Schritte sehr anschaulich. Man fühlt sich mittendrin und fiebert geradezu mit, wie es denn weitergeht.
Paaren, die in ihrer Kindheit schwerste Verletzungen ihres Bindungsbedürfnisses erfahren haben, eröffnet sich mit diesem Ansatz eine adäquate Möglichkeit, einen Weg zu Glück und Zufriedenheit im Miteinander zu finden. Ich wünsche deshalb diesem Buch ein gutes Ankommen in der Kolleg:innenschafft.
Dr. Rudolf Sanders
Begründer der Partnerschule – Paartherapie im Integrativen Verfahren
Literatur
Grawe K. (1998): Psychologische Therapie. Göttingen: Hogrefe.
Roesler, C. (2019): Die Wirksamkeit von Paarberatung in Deutschland: Ein Überblick über die Wirkungsforschung und Ergebnisse einer aktuellen bundesweiten Studie. Beratung Aktuell, 20 (2), S. 4–25.
Wampold, B. E., Imel, Z. E. & Flückiger, C. (2018): Die Psychotherapie-Debatte. Was Psychotherapie wirksam macht. Bern: Hogrefe.
Immer mehr Paare gehen grenzverletzend miteinander um und suchen wegen des dadurch entstehenden Beziehungsstresses eine Paartherapie auf. In ihrer Kindheit waren diese Menschen oft Bedrohungen ausgeliefert, sie wurden aus- bzw. eingegrenzt oder in der Eltern-Kind-Interaktion zerrieben. Es war ihnen nicht gestattet, sich zu schützen, Nähe zu suchen oder eigene Wege zu gehen und anderenorts Zuwendung zu suchen. In ihren späteren Paarbeziehungen sind Grenzverletzungen, unstillbare Sehnsüchte oder Befreiungsaktionen an der Tagesordnung.
Grenzpaare setzen meist keine Grenzen, akzeptieren oder etablieren nur wenige Rahmenbedingen, sie führen hierüber keine Gespräche und treffen erst recht keine Entscheidungen. Und wenn sie Grenzen setzen, werden diese übertreten oder umgangen. Menschen mit traumabedingten Grenzverletzungserfahrungen sind auf der anderen Seite grenzenlos in ihren Ansichten, sie überschreiten die Grenzen der Möglichkeiten und sind von daher offen für neue Wege. Sie sind oft unkonventionell und charismatisch, außergewöhnlich und zu vielem bereit. Wenn diese Menschen einen schützenden Umgang mit Grenzen, Struktur und Halt bietende Rahmenbedingen schätzen lernen, könnten die Buntheit, Vielfalt und Kreativität in konstruktive Bahnen fließen und in Beziehungen zu Geborgenheit und Wachstum führen.
Die Grenzpaartherapie ist eine Reise, die fünf Stationen umfasst. Die Geisterbahnkindheiten werden überwunden, und es werden vier typische Grenzverletzungsdynamiken aufgedeckt: Abhängigkeit von den alten Eltern, Trennungsambivalenz, Affärenneigung und sexuelle Fixierungen. Die fehlende Regulation von Nähe und Distanz wird ausbalanciert und die „Monster“-Übertragungen werden aufgelöst. Der Integritätskompass hilft dem Paar, nicht vom Weg abzukommen, und so erreicht es mithilfe der Traum(a)-Schloss-Metapher das Endziel der Reise: die integre Halt gebende Liebe.
Fachpersonen, die Grenzpaare auf ihrer Reise begleiten, erhalten durch das Beziehungsmodell der vier Grenzverletzungswunden ein diagnostisches Instrument, um Loyalitäts- und Verstrickungsfallen zu erkennen. Die vier Integritätsfaktoren bieten eine klare Orientierung für den Erfolg der Beratung. Gerade Therapeut:innen mit eigenen Grenzverletzungserfahrungen zweifeln sehr an ihrer Qualifikation. Wer jedoch selbst in einer Geisterbahn aufgewachsen ist und einst im Geisterschloss der Verachtungsdynamik verloren ging, kann Grenzpaare wirklich verstehen, will alles geben und kann gutes Rüstzeug (ein)schätzen.
Die traumasensible Paartherapie (TSPT) hat bereits sehr vielen Paaren mit Traumahintergrund zu einer glücklichen Beziehung verholfen. Mittlerweile bieten gut ausgebildete Therapeut:innen die Methoden des Trauma(a-)Haus-Konzepts in Beratungseinrichtungen, Praxen, in der Jugendhilfe oder in Mediationen an und sind damit sehr erfolgreich. Dennoch gibt es Paare, die vor besonderen Herausforderungen stehen und eine spezielle Begleitung benötigen. Paare, die sich trennen wollen, die zu Dreiecksbeziehungen neigen oder bei denen sexuelle Probleme im Vordergrund stehen, verdienen an ihre Situation angepasste Methoden.
Fassungs- und hilflos stehen die Fachpersonen insbesondere vor hochstrittigen Paaren, die sich weigern mitzuwirken, die in der Beratungssituation zusammenbrechen, die die Fachperson angreifen oder an Persönlichkeitsstörungen leiden. Auch solche Paare wünschen sich eine traumasensible Paartherapie und sehen darin oft ihre letzte Hoffnung, wenn z. B. eine Traumaeinzeltherapie nicht hilfreich war und in anderen Beratungsangebote, nicht auf ihre Hintergründe eingegangen wurde. Im Austausch mit Teilnehmer:innen aus der Ausbildung in traumasensibler Paartherapie und auch durch meine eigene Erfahrung wird deutlich: Hier müssen wir anders, strukturierter, organisierter und grenzsetzender vorgehen.
In meinem Buch Traumasensible Paartherapie (Klees 2018) unterscheide ich, ausgehend von fünf Basisemotionen, fünf Interaktionsstrukturen in Partnerschaften. Diese fünf Dynamiken beziehen sich auf bestimmte Entwicklungsaufgaben: Annahme, Verbindung, Wertschätzung, Ausgleich und Würdigung. Eine eigene sehr tiefgreifende berufliche Wachstumsphase konfrontierte mich mit den schmerzlichen Ausprägungen der Verachtung, die ich in jenes Buch nicht einbezogen hatte. Die intensive Nachbereitung führte zu wesentlichen und richtungsweisenden neuen Erkenntnissen. Offensichtlich berühren die Themen Grenzverletzung und Verachtung sowie deren Gegenpol Integrität ein gesellschaftliches Tabu. Literatur oder Debatten gibt es hierzu kaum. Weder in der Psychologie, noch in der Psychotherapieforschung und erst recht nicht in den unterschiedlichen Richtungen der Paartherapie.
Die Basisemotion der Verachtung, die dem Ekel entspringt, führt zu dem, was vielfach als „toxische“ Beziehungen umschrieben wird. Die Not dieser Paare ist hoch. Dies zeigt sich an der ungeheuren Resonanz auf die, nicht immer fundierte, Darstellung in Social-Media-Kanälen zum Phänomen der „Beziehung mit Narzissten, Borderlinern oder Psychopathen“. Mir ist diese Zuschreibung zu polarisierend. Seitdem ich mich der Problematik der Verachtung, Missachtung, Ausbeutung, Ignoranz und Ausgrenzung in Paarbeziehungen intensiver angenommen habe, erfährt die traumasensible Paartherapie einen unglaublichen Aufschwung. Videos speziell zu diesem Thema stoßen auf meinem YouTube-Kanal bei Zehntausenden von betroffenen Paaren und Fachpersonen auf Interesse. Die Therapeut:innen, die bereits mit den in diesem Buch vorgestellten Methoden angefangen haben zu arbeiten, berichten zunehmend von Paaren mit Verachtungskonflikten und bringen eigene belastende Beziehungserfahrungen mit.
Es gibt etliche Therapieansätze zum Umgang mit traumabedingten Persönlichkeitsstörungen in der Einzelbehandlung. Diese psychische Disposition zeichnet sich vor allem durch die Störung der Beziehungsfähigkeit aus. Dennoch gibt es kaum Hilfe für Paare, wenn einer von beiden oder oft beide von dieser „Störung“ betroffen ist bzw. sind. Diese Menschen machten in ihrer Kindheit grausame, erschütternde, unfassbar schreckliche oder diffus gespenstische Erfahrungen. Wenn die Paare diese zeichnerisch in sieben überblicksartigen Szenen (dem Emotions-Skript) darstellen, schockieren sie nicht selten auch die Fachperson. Traumatisierte Eltern gehen offenbar alles andere als integer miteinander um und quälen ihre Kinder auf kaum vorstellbare Weise. Von daher wird nachvollziehbar, warum es zu krisengeschüttelten On-off-Beziehungen, zu Betrug, Lügen, Kämpfen, Intrigen und Dramen bei diesen Paaren kommt.
Die Grenzverletzungsdynamik wird in diesem Buch umfassend erörtert. Es gibt erstaunliche Parallelen zur Affärenneigung sowie zur Trennungsambivalenz, und sogar in sexuellen Problemen zeigt sich die Wunde der Grenzverletzung. In öffentlichen Debatten oder Fachpublikationen wird oft die entsprechende Komplementärstörung vernachlässigt. Bei einem Dreiecksbeziehungs-Paar etwa trägt auch die betrogene, belogene und hintergangene Person einen Teil der Verantwortung, durch ungute Nähe, distanzierte Interaktionen oder die Weigerung zum Wachstum. Trennungen werden häufig erst dann vollzogen, wenn unzumutbare Bedingungen in der Partnerschaft zu diesem letzten Schritt nötigen. Traumabedingte Sexualstörungen sind vielfach durchzogen von Erpressung, Grenzverletzung, Selbstverachtung oder tief sitzenden emotionalen Hemmungen. All diese Ausprägungen gehen auf den grenzverletzenden Umgang miteinander zurück, und die Wurzeln reichen weit hinein in die Herkunftsfamilien. Ein toxischer Partner oder eine kalt distanzierte Partnerin findet sein / ihr Pendant in der fehlenden Grenzsetzung, der Missachtung oder im Kümmersyndrom der „besseren“ Hälfte.
Über dieses Buch
Wie schon sein Vorgänger (Klees 2018) richtet sich auch dieses Buch an Fachpersonen, die mit den Problemen traumatisierter Paare konfrontiert sind, an Menschen, die in Beratungsstellen und freien Praxen arbeiten, an Frauenärzt:innen, Anwält:innen, Mitarbeiter:innen in der Jugendhilfe sowie in Ehe-, Familien- und Erziehungsberatungsstellen. Diese Zielgruppe hat sehr von dem Vorgängerbuch profitiert und wird speziell beim Umgang mit den erwähnten Fragestellungen Unterstützung erhalten. Zugleich werden sicherlich wieder ganz viele betroffene Paare dieses Buch lesen und nach dem sehnlich erwünschten Ausweg aus ihren Dilemmata suchen. Deshalb bemühe ich mich, bei aller wissenschaftlichen Fundierung, um eine verständliche Sprache. Etliche Fallbeispiele werden die fachliche Darstellung wie gewohnt beleben und veranschaulichen; damit werden die Methoden nachvollziehbarer und die Theorie verständlicher. Die Illustrierung der Methoden durch die bereits bewährten Krisen- und Emotions-Skripte nimmt wieder – zur besseren Verständlichkeit – einen entscheidenden Raum ein. Die Paaranalysen wurden aus verschiedenen Paartherapien zusammengestellt, um die Anonymität der Betroffenen zu wahren.
Im ersten Kapitel werden die Grundlagen gelegt, um die Beziehungsstile traumabedingter Grenzverletzungen von denen seelisch gesunder Reaktionen zu unterscheiden. Um die Richtung zu umreißen, die für die traumasensible Grenzpaartherapie notwendig ist, wird das Modell der Grenzverletzung mit dem des traumazentierten sowie des integren Beziehungsmodells verglichen. Im Vorfeld der Behandlung ist zu klären, wie Grenzpaare in der Paartherapie wirken, warum die Auftragsklärung sich mit diesen Klientenpaaren so schwierig gestaltet und warum ein Rahmenvertrag für die Struktur und die Einhaltung von Regeln so wichtig ist. Die formelle Diagnostik über Grad, Schwere und Ausprägung der Grenzverletzung wird mithilfe des Grenzpaartests und des strukturierten Grenzpaarinterviews angegangen. Der Reiseplan mit dem Integritätskompass, bestehend aus den vier Anteilen der Grenzverletzung und den vier Aspekten der Integrität, umfasst Startpunkt, Stationen, Unwägbarkeiten und das Ziel der Reise. Ziel der Grenzpaartherapie ist die Etablierung einer integren Partnerschaft für das einzelne Paar, aber zugleich geht es auch um ein Metamodell von Paartherapie.
Im zweiten Kapitel geht es in die Praxis. Vier typische Grenzpaardynamiken, die Fachpersonen in der traumasensiblen Grenzpaartherapie besonders herausfordern, werden anhand von Fallgeschichten dargestellt. Diese Fallanalysen lesen sich spannend, heben die Verstrickungen plastisch hervor und stehen für das Charakteristische dieser Konstellationen. Jedes der vier Paare steht für eine spezielle Grenzverletzungsthematik, die auf ähnliche Strukturen weiterer Paare verweist. Die Themen der Abhängigkeit von grenzverletzenden Eltern, der Dreiecksbeziehung, der Trennungsambivalenz und das Spezifische an traumabedingten sexuellen Störungen werden von Hypothesen begleitet und durch Fachliteratur untermauert. Jedem der vier Unterkapitel liegt ein angepasster Behandlungsplan zugrunde, der von Methodenvorschlägen abgerundet wird, damit Fachpersonen eigene Klientenpaare bei der Überwindung der Grenzverletzung adäquat begleiten können.
Im dritten Kapitel geht es um viele Metaphern: Zug, Reise, korrekte Schienenabstände und Entgleisungsmöglichkeiten. Viele Paare, die sich in Argumenten, verzweifelten Geschichten und grenzverletzenden Emotionen verstricken, erlangen hierdurch ein tieferes Verständnis ihrer Problematik. Die komplexen Theorien über die primäre Affektspiegelung, den Aspekt der Kongruenz, zu Triangulierungsstörungen oder zu Mentalisierungskompetenzen werden in diesem Kapitel hergeleitet und anhand von Paardynamiken nachvollziehbar beschrieben. Die Trauma-Triade zwischen den Eheleuten / Eltern und dem Kind zeigt auf, wie es zu Zerrbildern in der Zweierbeziehung kommt und wie die Triade durch Kongruenz ausgleichen oder durch Inkongruenz den Schaden vertiefen kann. Bedeutsam sind diese Zusammenhänge vor dem Hintergrund, dass eine Grenzpaartherapie immer auch traumatische triadische Konstellationen reinszeniert, wodurch die Qualifikation der begleitenden Fachperson besonders herausgefordert wird.
Im vierten Kapitel bieten zwei Metaphern Orientierung, um die dysfunktionale Beziehungsdynamik von Grenzpaaren besser einordnen zu können: die Geisterbahn und das Traum(a)-Schloss. Diese beiden Zuordnungen markieren den Start- und den Endpunkt der Grenzpaartherapie und sind zugleich geeignet, um die Feindbildintrojekte und negativen Projektionen dieser Paare zu verdeutlichen. Sechs grenzverletzende Interaktionsstrukturen zeigen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der vier typischen Grenzverletzungswunden auf, die in den Geisterbahnkindheiten entstanden sind und das Beziehungsschloss in ein wahres Gruselkabinett verwandeln. Zur Entschlüsselung der Grenzverletzungsenergien werden je vier Monsterakteure für das innere Beziehungsmodell benannt, um mit dieser Methode die traumatisierenden Gefühlsbotschaften der Eltern oder Großeltern, die in den Gängen des Schlosses spuken, zu erlösen.
Den vier Grenzverletzungswunden werden im fünften Kapitel vier Integritätsfaktoren gegenübergestellt. Erst durch die Definitionen der vier Integritätstugenden, über die Grenzpaare in der Regel eher nicht verfügen, wird der Gesamtzusammenhang zwischen Grenzverletzung und Integrität deutlich. Jede Tugend wird mittels spezieller Methoden aufgebaut, um damit die Mentalisierungskompetenz zu erhöhen, die Entscheidungsfähigkeit zu stärken, die Integration von Lebensbrüchen zu ermöglichen und Grenzen setzen zu können.
Der fünf Stationen umfassende Behandlungsplan der traumasensiblen Grenzpaartherapie wird im sechsten Kapitel vorgestellt, um die Reise von den Geisterbahnkindheiten zum Traum(a)-Schloss aufzuzeigen. Damit erhalten Fachpersonen eine klare Anleitung, wie sie die Grenzpaartherapie Schritt für Schritt angehen können. Zugleich wird deutlich, wie wichtig eine fundierte Ausbildung, Supervision und die Evaluation von Fallanalysen sind.
Egal ob in Fachbüchern oder Selbsterfahrungsberichten: Bei der Thematisierung toxischer Beziehungen wird meist eine Täter-Opfer-Polarisierung vorgenommen, was den Gedanken nahelegt, es ginge darum, die Opfer zu unterstützen, sich aus der schädigenden Beziehung zu lösen. Die Hypothesen der traumasensiblen Grenzpaartherapie gehen in eine andere Richtung:
Grenzpaare zeichnen sich durch eine hohe Abhängigkeit voneinander aus und wollen oder können sich nicht trennen, da sie wegen der Notwendigkeit der Abwehr früher Traumata aufeinander angewiesen sind.
Diese Abwehr der grenzverletzenden Erfahrungen aus der Kindheit führt zu unterschiedlichen Grenzverletzungstypologien, bei der weder eine Opfer- noch eine Täterzuschreibung hilfreich ist.
Einzeltherapie hilft bei Grenzverletzungshintergründen eher nicht, da die Polarisierung damit zementiert wird.
Grenzpaare finden zueinander, um gemeinsam zu heilen, und nicht, um einander absichtlich zu quälen.
Qualifizierte Fachpersonen können grenzverletzten und grenzverletzenden Paaren mit dem in diesem Buch vorgestellten Fünf-Stationen-Behandlungsplan helfen, beieinander zu bleiben und eine integre Paarbeziehung einzugehen.
Wenn Paare oder Eltern mit traumatisierenden Erfahrungen eine Paartherapie, einen Träger der Jugendhilfe oder eine Beratungsstelle aufsuchen, sich in Sorgerechtsstreitigkeiten verwickeln oder ihre Kinder gefährden, haben diese Menschen die beste, optimalste und qualifizierteste Begleitung verdient. Die Verletzungen in den eigenen Herkunftsfamilien machen aus ihnen weder Monster noch Wracks. Auch wenn die Krisenenergie so manches Mal einen anderen Eindruck vermittelt, haben grenzverletzte und grenzverletzende Paare unseren vollen Respekt und Einsatz verdient.
„Beziehungsstörungen betreffen die (beiden) beteiligten Personen und eine gestörte ‚Verbindungsstelle‘. Die Störung ist nicht nur auf ein Problem in einem Mitglied der Beziehung zurückzuführen, sondern eine pathologische Interaktion von jeder der an der Beziehung beteiligten Personen.“1
Wie ich schon sagte: Immer mehr grenzverletzend miteinander umgehende Paare suchen wegen ihres Beziehungsstresses eine Paartherapie auf. Leider fällt speziell die Grenzpaarproblematik den Fachpersonen viel zu spät auf, und von den Paaren werden gut gemeinte und aufrichtige Hilfeangebote angezweifelt und infrage gestellt. Oder sie bewirken das Gegenteil dessen, was sie eigentlich bewirken sollten: sie schaden.
Im Interesse eines von Anfang an strukturierten und stringenten Beratungsprozesses beginne ich dieses Kapitel mit einer vorläufigen Definition der Grenzpaarthematik und mit Beobachtungen aus der Praxis. Ob man es mit einem Grenzpaar zu tun hat, zeigt sich erfahrungsgemäß bereits während der Auftragsklärung. Therapeut:innen und Fachpersonen fühlen sich oft von der Vielzahl der problematischen Themen des Paares überwältigt und von den überhöhten Erwartungen geradezu überfahren.
Ein klarer Rahmenvertrag bietet hier Schutz vor Ausuferung, Eskalation und Grenzüberschreitung. Für Grenzpaare ist ein solcher Vertrag häufig eine Zumutung, während anders strukturierte Menschen diesen Minimalbedingungen ohne Bedenken zustimmen können. Erst danach kann eine umfassende Diagnostik erfolgen, um nach möglichst objektiven Kriterien einen gemeinsamen Handlungsplan zu entwickeln.
Nach den Formulierungsvorschlägen für eine Vertragsvereinbarung erkläre ich die diagnostischen Instrumente: Auftragsklärung, den Test zur Persönlichkeitsstruktur und das strukturierte Interview mit dem Paar. Sie alle liefern uns wertvolle Informationen über das Ausmaß einer möglichen Grenzpaardynamik, und mit der gebotenen Vorsicht können wir anschließend mit dem Paar alles besprechen. Das Wissen über Grad oder Schwere hilft beiden Seiten – dem Paar und der Fachperson –, sich für oder gegen die gemeinsame Beratung zu entscheiden.
Um die Beziehungskonstellationen von grenzverletzten Menschen zu verstehen, nutzen wir die vier inneren Anteile, die auch in der traumasensiblen Paartherapie helfen, Beziehungsmuster, Interaktionen und Herausforderungen für die Partnerschaft zu verdeutlichen. Von einer seelisch gesunden Beziehungsfähigkeit ausgehend, skizzieren wir außerdem das Ziel der Behandlung.
Für die traumasensible Paartherapie hat sich das Traum(a)-Haus-Konzept bewährt. Den Grenzverletzungen in der Kindheit werden wir jedoch eher mit der Metapher des Aufwachsens in einer Geisterbahn gerecht; dies klingt weniger nach Störung, Pathologie oder gar Krankheit. Der Fokus richtet sich so eher auf das Leid und weniger auf individuelles Versagen. Die Geisterbahnmetapher hilft, Ursache und Ausprägung der speziellen Interaktionsstörung bei Grenzpaaren zu verstehen. Wie aber kam ich auf diese Metapher? Einer Klientin waren als Kind von ihrer Mutter zur Bestrafung körperliche Verletzungen zugefügt worden. Von ihrem Partner wurde sie später jahrelang ausgenutzt, was dieser voller Reue zugab. Auch er hatte als Kind furchtbare Qualen erlebt, denn seine Mutter sperrte ihn stundenlang im dunklen Keller ein. Beide hatten keinerlei Ahnung, was gesund und was schädigend für eine Partnerschaft ist. „Wenn man in einer Geisterbahn aufwächst, kommt einem all dieser Horror völlig normal vor,“ meinte die Klientin.
Mit dieser Aussage findet sich das Paar in bester Gesellschaft, denn kaum eine traumatisierte Person kennt die Gesetzmäßigkeiten gesunder Beziehungen. Wenn wir uns vorstellen, ein Kind sei in einer Art Geisterbahn aufgewachsen, gelingt es uns, die befremdlichen Verhaltensmuster im Kontext der Paarbeziehung nicht zu stigmatisieren. Den Geisterbahnkindern wurden die Knochen gebrochen, sie wurden in Kisten gesperrt, mussten zur sexuellen Abreaktion herhalten, wurden wie Dienstpersonal ausgebeutet, lebten in einer kalten Garage oder auf dem leeren Dachboden, wurden täglich geschlagen oder wie Püppchen ausstaffiert, zurechtgestutzt, hochgejubelt und wieder fallen gelassen. In dieser oder anderer Weise degradiert, waren sie für ihre Eltern jedoch die Rettung vor den eigenen Abgründen. Für die Kinder wurde es zu etwas ganz Normalem, jederzeit erschreckt, wie ein Gegenstand gebraucht oder als Hilfspolizei benutzt zu werden. Kommen sie im späteren Leben in eine Paartherapie, berichten sie voller Überzeugung, eine ganz normale Kindheit verbracht zu haben. Ihr zentrales Anliegen ist häufig, „das absonderliche Wesen“ des Partners / der Partnerin zu korrigieren: Da werde gelogen, betrogen, gesüchtelt oder gezwängelt. Es werden Schulden gemacht, Kinder schlecht behandelt, Tobsuchtsanfälle ausgelebt, Kontaktsperren oder Stalking-Attacken mit wildem Versöhnungssex ausgeglichen, und man sei nach all dem Hoch-und-runter mit den Kräften am Ende.
Um die Besonderheit dieser Beziehungskonstellation für eine gemeinsame Verständigungsbasis und eine fundierte Diagnostik zu erfassen, beschäftigen wir uns in den einführenden Betrachtungen mit folgenden Fragen:
Was zeichnet Grenzpaare besonders aus?
Welche Bedeutung haben grenzsetzende Rahmenbedingungen?
Mit welchem Auftrag erscheinen Grenzpaare?
Was ist bei der Diagnostik zu beachten?
Der Selbstkonzepttest: Durchführung und Auswertung
Das strukturierte Grenzpaarinterview
Welche Beziehungsmodelle verdeutlichen Ausgangspunkt und Ziel?
Wie sieht das Beziehungsmodell bei Grenzverletzung aus?
In diesem Kapitel geht es also um die Grundlagen, die den Beziehungsstil der grenzverletzenden Interaktionsstörung von seelisch gesunden Reaktionen in einer Partnerschaft unterscheiden helfen. Hierzu habe ich eine vorläufige Definition des Beziehungsmodells von Menschen mit Grenzverletzungen erstellt, damit wir in etwa wissen, wohin die Reise geht – nämlich in die bizarre Welt grenzverletzender Beziehungserfahrungen. Im Weiteren bezeichne ich diese Paare als „Grenzpaare“.
Grenzverletzte Personen hatten in ihrer Kindheit keinen eigenen Raum oder keine Möglichkeit zur ruhigen Entwicklung ihrer Persönlichkeit. Wegen ihrer grenzverletzenden, grenzzerstörenden, ignoranten, missachtenden und ausbeutenden Eltern waren sie nirgendwo sicher und ständig den Vorstellungen, Anforderungen, Projektionen und Stimmungen ihrer Bezugspersonen ausgeliefert. Sie wurden ausgegrenzt, eingegrenzt, eingesperrt und ausgeschlossen; nirgends fanden sie Schutz, und es war ihnen nicht gestattet, Nähe zu suchen, freie eigene Wege zu gehen und vielleicht anderenorts Zuwendung zu finden. Grenzen und Abhängigkeit, Nähe und Schutz hatten wenig Bedeutung, da es kaum Akzeptanz oder Verständnis für das Eigene gab.
Später, als Erwachsene, sind in den Paarbeziehungen, die sie eingehen, ebenfalls Grenzverletzungen, unstillbare Sehnsüchte oder Befreiungsaktionen an der Tagesordnung. Sie sprechen nicht darüber, welche Grenzen es in ihrer Beziehung gibt, und wenn sie doch Vereinbarungen treffen, dann nur, um sie früher oder später zu brechen oder zu umgehen. Diese Herausforderungen führen bei Grenzpaaren bisweilen zum Zusammenbruch der kaum herausgebildeten inneren Strukturen. Deswegen können sie sich nicht konsequent an etwas halten, oft nicht einmal daran denken, es zu tun. Andererseits sind Menschen mit einer traumabedingten grenzverletzten Persönlichkeitsstörung grenzenlos in ihren Ansichten, unkonventionell und nicht selten charismatisch. Dort, wo für andere Grenzen sind, gehen sie weiter und sind deshalb offen für neue Wege.
Dieser Wagemut, diese Kreativität und Buntheit brauchen konstruktive Bahnen, um in Beziehungen Geborgenheit und Wachstum fördern zu können. Deshalb ist es so wichtig, dass diese Menschen einen schützenden Umgang mit Grenzen schätzen lernen, genauso wie Struktur und Halt bietende Rahmenbedingungen.
Grenzverletzende Klientenpaare zeigen eine besondere Art verschleiernder Attacken. Um diese ein wenig besser zu verstehen, will ich einige besonders eigentümliche Situationen auflisten, aus meiner eigenen Beratungspraxis sowie Begebenheiten, die mir von angehenden Paartherapeut:innen berichtet wurden.
Situation 1: Gegen Ende der vereinbarten Sitzungszeit – wir hatten gerade die wesentlichen Punkte zur Verantwortungsübernahme aufgelistet – rutschte Margita zunehmend nervös auf ihrem Platz herum. Ich sprach sie an, ob wir uns noch Zeit für ihr Unbehagen nehmen sollten, da sprang die junge Frau unvermittelt auf und verbarrikadierte sich auf der Toilette. Erst einmal beschwichtigte mich Tobias, das sei typisch für seine Partnerin. Doch die Zeit verging, das Sitzungsende rückte immer näher, und Margita machte keine Anstalten, ihre „Trutzburg“ zu verlassen. Ich hatte die Vermutung, dass sie kurz vor Schluss erscheinen würde, um hierdurch eine besondere Aufmerksamkeit zu erhalten. Ich hatte im Anschluss eine private Verabredung und wollte mich deshalb nicht darauf einlassen, gleichzeitig kam ich mir ziemlich herzlos vor. Tatsächlich öffnete Margita die Tür des WCs, als ich bereits an der Haustür stand. Ein wenig fluchtartig verließ ich meine Praxis und brachte nur noch einen höflichen Abschiedsgruß zustande.
Während der gesamten Therapiezeit war Margita immer wieder kurz vor dem Zusammenbruch gewesen. Ich konnte sie stets stabilisieren und einen erwachsenen Anteil in ihr erreichen. Doch die Entscheidung, vor der sie nun stand, war offenbar zu viel für sie. Sie neigte dazu, sich von Tobias rundum versorgen zu lassen und brachte ihren Partner damit an den „Rand des Wahnsinns“, so seine Worte. Nach dem verunglückten Abschied hielt ich per SMS Kontakt mit Tobias und wollte wissen, wann er mit Margita meine Praxis verlassen würde. Kurze Zeit später bekam ich diese Nachricht: „Sie hat mich verprügelt, aus Ihrem Haus geworfen und zugesperrt.“ Alarmiert wollte ich wissen: „Neigt Margita dazu, Gegenstände zu zerstörten?“ Sofort kam seine Antwort: „Ja, sie hat bei uns zu Hause schon viel zertrümmert.“ Diese „Angewohnheit“ von Margita hatte das Paar mir verschwiegen. Ich war am Ende fast zwei Stunden damit beschäftigt zu klären, wann und vor allem wie ich meine Praxis zurückerhalten würde.
Situation 2: Wie aus donnernden Kanonen drosch Linda verbal auf den eingeschüchterten Ludwig ein. Ich gebot ihr Einhalt, und es war zunächst wieder ein Gespräch möglich. Wir besprachen die ungute Wirkung des Streitens, und ehe ich mich versah, war ich in ein „Fachgespräch“ verstrickt über die Schädlichkeit unterdrückter Gefühle. Nun richtete Linda ihren zornigen Blick auf mich. Wiederholt setzte ich eine Grenze und erklärte ihr: „Hier in diesem Raum möchte ich keinen Streit unterstützen. Sie dürfen Ihre Gefühle gerne nach draußen tragen und zurückkommen, wenn Ihnen ruhiges Reden wieder möglich ist.“ Linda setzte ihre erboste Attacke fort. Schließlich hielt ich ihr entgegen: „Wenn Sie mit den Angriffen fortfahren möchten, dann sollten wir den Termin jetzt beenden. Ich bin jedoch gerne bereit, weiter mit Ihnen zu arbeiten, wenn Sie ruhiger sprechen können.“ Linda prustete herablassend, riss ihre Jacke und Tasche hastig an sich und verließ mit stampfenden Schritten den Therapieraum, marschierte protestierend die Treppe herunter, polterte wieder hoch und forderte wutentbrannt, Ludwig möge ihr folgen. Dieser wollte jedoch lieber die Paartherapie fortführen. Nachdem sich der lautstarke Abgang wiederholt hatte, seufzte Ludwig. „Das macht sie bei uns zu Hause fast jeden Tag so. Sie waren unsere letzte Hoffnung. Wir haben schon fünf Therapeuten durch, wo es nicht anders ablief.“ Ludwig kam noch mehrmals allein. Leider war er nicht bereit, sich mit seinem Anteil an den Problemen auseinanderzusetzen. Auf die Begleichung der Therapieeinheiten warte ich noch heute.
Situation 3: Ein Paar hatte sich zu einem Exklusiv-Paarseminar angemeldet, verbunden mit der Bitte, direkt vor dem Praxishaus im Schatten parken zu dürfen. Der ängstliche Hund könne dann im Auto bleiben. Zum ersten ausgemachten Treffen führte Gabia einen nervös bellenden ziemlich großen Hund an mir vorbei und riss ihn, bevor ich intervenieren konnte, die Treppen hoch. Ich setzte mich vorsichtig dem Dreiergespann gegenüber in meinen Sessel. Das verunsicherte Tier stand knurrend vor mir. „Bitte bringen Sie den Hund wie verabredet ins Auto, damit wir uns auf Ihre Partnerschaft konzentrieren können.“ Darauf folgte ein Wortschwall über meine Unverantwortlichkeit und Tierquälerei. Ich als Traumatherapeutin, wie könne ich nur so herzlos sein, das arme Tier die ganze Zeit ins Auto zu verbannen, es sei so misstrauisch, es müsse sein Frauchen beschützen, es wäre selbst traumatisiert und so fort. Ich wiederholte meinen Satz mehrfach, und am Ende bellte der Hund lautstark und ohne Unterlasse. Ich verließ den Raum mit dem Hinweis: „Wir können loslegen, wenn der Hund den Raum verlassen hat.“ Unten harrte ich der Dinge und lauschte auf das Stakkato-Gebell. Ich musste meinen Mann um Unterstützung bitten. Vor der verschlossenen Tür zur Küche brüllte die Klientin: „Und das nennt sich Traumatherapeutin. Ich werde das Haus nicht verlassen. Wir haben schließlich bezahlt.“ Um meine Bereitschaft und mein Entgegenkommen zu signalisieren, öffnete ich die Tür, und sofort baute Gabia sich drohend vor mir auf. „Das werden Sie bereuen.“ Ich schob sie auf Abstand. „Sie haben mich tätlich berührt. Edgar, ruf die Polizei. Das kann doch nicht wahr sein.“ Erst als mein Mann ebenfalls mit einem Anruf bei der Polizei drohte, ließ sich die inzwischen tobende und schreiende Frau von ihrem Mann hinausbegleiten. Da Gabia und Edgar mich tatsächlich wegen Körperverletzung anzeigten, musste ich mit meinem Anwalt klären, ob ich korrekt gehandelt hatte.
Situation 4: Ein Klientenpaar verschob ständig die ausgemachten Termine, kam zu früh oder zu spät, stand irgendwann im privaten Garten und bestand darauf, durch das Wohnzimmer in die Praxis geführt zu werden, da der Klienteneingang ungünstig läge.
Situation 5: Eine von mir ausgebildete Therapeutin wurde vom Klientenpaar umfassend darüber informiert, wie genau die Sitzungen ablaufen sollten. Alle Methoden seien ja bestens aus dem Internet bekannt, und man wolle keine Zeit verschwenden. Nach Durchsicht ihrer mitgebrachten und unordentlich auf den Tisch geworfenen Unterlagen und dem Hinweis, dass die Fachperson hier einiges nicht verstanden und anderes unvollständig angegangen sei, wurde die Therapeutin für unfähig erklärt und die Praxis wutentbrannt verlassen.
Situation 6: Zu einem ausgemachten Paartermin erschien nur der Mann und sagte, seine Partnerin sitze vor der Haustür. Nach einem fürchterlichen Streit während der Fahrt sei sie nicht in der Lage, teilzunehmen. Sie bestehe darauf, die Therapeutin alleine zu sprechen, habe jedoch entschieden, dass ihr Partner 30 Minuten für sich mit der Therapeutin nutzen solle. Als die Frau ihren Part der Zeit in Anspruch nahm, schimpfte sie ohne Unterlass über den furchtbaren Fahrstil ihres Gatten. Die Therapeutin versuchte daraufhin, den Anteil der Frau am Konflikt in den Fokus zu nehmen, was aber vergeblich war, denn die Klientin verließ weinend den Therapieraum. Kurz darauf klingelte der Mann Sturm und überschüttete die Therapeutin mit Vorwürfen über ihr herzloses Benehmen gegenüber seiner armen Partnerin. „Ihretwegen muss ich meine Frau nun in die Psychiatrie fahren.“
Situation 7: Ein weiteres Paar hatte sich vorgenommen, alle Koryphäen auf dem Gebiet der Paartherapie aufzusuchen, damit beide endlich die dringend benötigte Hilfe erhalten würden. Der folgsame Ehemann betrat an der Hand seiner Gattin den Therapieraum. Die Frau kommentierte großspurig und lautstark den Stil der Einrichtung, nahm mit ihrem Mann den gesamten Behandlungsraum in Beschlag und betrat ungefragt die Küche, um Tee für alle zu kochen. Kein Grenzsetzungsversuch konnte sie davon abbringen, die Therapeutin für jede Regung zu bewerten. Wegen des grenzüberschreitenden Verhaltens verlangte die Therapeutin mehrfach, den Termin vorzeitig zu beenden. Als sich dann noch herausstellte, dass es wohl nicht möglich sein würde, eine Erstattung von der Krankenkasse zu erhalten, kochte bei der Klientin eine wilde Empörung hoch.
Solche oder ganz ähnliche grenzverletzende Reaktionen zeigen Grenzpaare im Rahmen des therapeutischen Settings. In ihrer Kindheit waren diese Menschen Bedrohungen ausgesetzt, sie wurden ein- oder ausgegrenzt oder in der Eltern-Kind-Interaktion zerrieben. Die Triade „Eheleute- / Eltern-Kind“ wurde für sie zum Gefängnis, zum Verhängnis oder zur seelischen Zwickmühle. In der Paartherapie findet sich die grenzverletzte Person erneut einer undurchschaubaren Triade gegenüber, in diesem Fall der „Ich-Du-Therapeut:in-Triade“. Schon sehr früh in der Beratungsarbeit treten die Schreckensgestalten der frühen Trauma-Triade in Erscheinung und treiben ihr Unwesen nun innerhalb der therapeutischen Rahmenbedingungen. Gegen jede Regel wird gekämpft, es werden Bündnisse geschlossen, und es wird um Kontrolle gerungen. Für ein gutes Gelingen der Therapie mit Grenzpaaren ist es deshalb sehr relevant, die Bedingungen des Zusammenarbeitens zu Beginn der gemeinsamen therapeutischen Reise zu besprechen und mit einigem Nachdruck auf die Einhaltung der Vorgaben zu bestehen. Ein paartherapeutischer Rahmenvertrag sollte so beschaffen sein, dass er alle Eventualitäten des Ausweichens, Übertretens, Verweigerns oder unfruchtbare Debatten um Sonderbedingungen möglichst verhindert.
Die Grenzpaarproblematik zeigt sich in den folgenden Ausprägungen:
Angriffe gegen den / die Partner:in, das Setting, die Themen oder Methoden und den / die Therapeut:in, die kaum zu stoppen sind
Distanz, beharrliches Schweigen und die Verweigerung von Mitwirkung
Verstrickung in unfruchtbare Diskussionen zur Art und Weise der Behandlung und des korrekten Vorgehens
Sich über die Fachperson stellen, diese ad absurdum führen, sie belügen, ihr wichtige Informationen vorenthalten
ausgemachte Honorare nicht, zu spät oder unzureichend zahlen, den Betrag infrage stellen
zu spät kommen, nicht absagen, zu falschen Zeiten oder gar nicht erscheinen, Ausfallhonorare nicht akzeptieren
Häufige Telefonanrufe, in E-Mails für Verwirrung sorgen, diese mit Vorwürfen spicken, Loyalitäten schaffen, Therapeut:innen gegeneinander ausspielen, Geheimnisse offenbaren und Tabus errichten
Anweisungen nicht einhalten, Aussagen bagatellisieren, Aufforderungen ignorieren, für emotionalen Druck sorgen, Eiltermine für „Feuerlöschaktionen“ erwirken
Den / die Partner:in gegen die Fachperson aufbringen, ausgrenzende Zusammenschlüsse forcieren, das bereits Erreichte durch destruktive Diskussionen infrage stellen
Die abwertende Aufforderung, zwischen sich und der / dem Partner:in zu wenig konstruktiven Fragestellungen zu vermitteln und dabei die Unfähigkeit der Fachperson bereits voraussetzen
Anfang, Schluss, Urlaubsabsprachen, Unterbrechungen oder die Fortführung der Therapie boykottieren
Grenzpaare suchen für die Bewältigung ihrer Probleme eher nach einer Fachperson, die sich beeinflussen und kontrollieren lässt. Eine integre Fachperson, die in der Lage ist, klare Grenzen zu setzen, wäre sicherlich die geeignetere Unterstützung, doch es wäre schwieriger, sie zu gängeln. Menschen mit Grenzverletzungen leiden an den Dramen ihrer Beziehung und suchen nach Halt, Richtung und Struktur. Solche auf unberechenbare Weise hin und her gestoßenen ehemaligen Kinder aus Geisterbahnfamilien werden den Sinn eines Vertrags zu den „Bedingungen und Voraussetzungen der Seelenexpedition“ aufs Heftigste anzweifeln. Sie befürchten, erneut ausgenutzt, betrogen und hintergangen zu werden. Und dennoch ist eine schriftliche Abmachung immens wichtig, um die uneingestandene Abneigung gegen Autoritäten im Zaum zu halten und den Kern des wahren Selbst zu beschützen.
Vor Beginn des Rettungsmanövers sollten also Vorschriften für die Abenteuerreise zur Gesundung des Paares beschlossen werden. Befinden wir uns erst einmal in unwirtlichem Gelände, wird jede Nachbesserung den Argwohn nur erhöhen.
Ich empfehle für die Arbeit mit Grenzpaaren aus eigener, durchaus leidvoller Erfahrung, einen paartherapeutischen Rahmenvertrag zu verschriftlichen, diesen mit dem Klientenpaar ausführlich zu besprechen und anschließend unterschreiben zu lassen. Die Regelungen und Absprachen sollten die unten aufgelisteten Schwerpunkte aufgreifen. Diese Vorschläge können von jeder Fachperson je nach eigenem Bedarf verändert und an die persönliche Überzeugung angepasst werden.
Erstgespräch und Entscheidung für die gemeinsame Arbeit
Das Paar vereinbart mit der FP ein Erstgespräch. Dieser erste Kontakt dient der gemeinsamen Entscheidung, ob eine TSGPT der richtige Weg für das Paar ist. Im Erstgespräch werden das Anliegen und der Auftrag geklärt. Das Paar erhält von der FP Zugang zu verschiedenen Tests zur Diagnostik der Beziehungsdynamik. Nach Vorliegen der Testergebnisse kann die Therapie beginnen. Im Erstgespräch erhält das Paar explizit noch keine Hinweise zur Verbesserung der Beziehungsprobleme.
Das Setting der TSGPT
Ist die Entscheidung für eine gemeinsame Arbeit von beiden Seiten, dem Paar und der FP, getroffen, gilt der Auftakt zur TSGPT der Absprache und Klärung des Rahmenvertrags. Dies mag dem Paar merkwürdig, unnötig oder umständlich erscheinen. Beide Partner:innen werden jedoch bald erkennen, wie wichtig die Absprache von Regeln und Konsequenzen für die Basis einer guten Partnerschaft ist und dass dies eine zentrale Bedingung für die TSGPT ist.
Zeiten und Absprachen über Dauer und Abstände
Es werden verbindliche Zeiten vereinbart: fest einzuhaltender Beginn, Ende und Dauer jeder Einheit sowie die Abstände zwischen den Einheiten. Es wird zusätzlich festgelegt, dass Ausfallhonorare zu entrichten sind, wenn diese Vereinbarungen seitens des Paares nicht eingehalten werden. Die Absprache enthält klar definierte Ausnahmen von dieser Regel. Abgebrochene Treffen, sei dies nun auf Veranlassung der FP oder des Paares, müssen in vereinbarter Weise bezahlt werden. Hier sind die Einschätzung und Vorgabe der FP wichtig, und hierfür gelten nicht die speziellen Lebensumstände oder Ideen der Klienten.
Offenheit, Aufrichtigkeit und Mitwirkung
Die Mitwirkung, Offenheit und Authentizität des Klientenpaares bei der Bearbeitung relevanter Themen ist notwendige Voraussetzung für den Erfolg der TSGPT. Beide Partner:innen werden dazu angehalten, weder zu lügen noch etwas zu verschweigen oder die Inhalte der TSGPT weiterzutragen. Das Paar wird darauf aufmerksam gemacht, nicht an einem anderen Ort (in einer anderen Beratung oder Therapie, in Seminaren oder bei Freunden) Hilfe für ungeklärte Themen zu suchen. Für den Zeitraum der vereinbarten Treffen hat die TSGPT Priorität und Exklusivität. Als Maßstab hierfür gelten die Einschätzung und Vorgabe der FP und nicht die Vorstellungen der Klient:innen.
Honorar und Zahlungen
Das Honorar wird von der FP festgelegt und steht nicht zur Disposition. Aushandlungen über andere Preise, Vergünstigungen oder Ausgleichsleistungen sind nicht sinnvoll. Die Höhe des Ausfallhonorars bei Absagen, Abbrüchen oder verschobenen Terminen wird im Vertrag festgehalten. Das Paar verpflichtet sich mit seiner Unterschrift, das ausgemachte Honorar fristgerecht in berechneter Höhe zeitnah zu begleichen. Idealerweise entrichten Grenzpaare das ausgemachte Honorar vor dem Termin, um der FP Unannehmlichkeiten zu ersparen.
Kontakte außerhalb des Settings der TSGPT
Telefonate, Anfragen per Kurznachricht oder E-Mails sind auf ein Minimum zu reduzieren und sollten vor allem nicht zur Aufarbeitung oder Beeinflussung therapeutisch relevanter Themen dienen. Wichtige Klärungen werden in Gegenwart und unter Einbezug beider Partner:innen angegangen. Insbesondere wird die FP nicht zur Verschwiegenheit gegenüber dem / der anderen Partner:in verpflichtet oder in einem Einzelgespräch über Umstände informiert, die beide betreffen. Das Paar gestattet der FP mit seiner Unterschrift, den / die Partner:in jederzeit in wichtige Sachverhalte einzubeziehen. Auch hier liegt die Entscheidung bei der FP.
Der Einsatz von Methoden, Abläufen und Behandlungsansätzen
Die FP wählt auf Grundlage ihrer fachlichen Kompetenz die geeigneten Übungen, Methoden und die Abfolge der Behandlung. Hierüber wird nicht mit dem Grenzpaar debattiert und der Ablauf nicht nach Ermessen der Klient:innen verschoben oder verändert. Die FP übernimmt die volle Verantwortung für die Struktur der Einheiten und ausgewählten Strategien der Behandlung. Die Führung der Sitzungen und die Auswahl der Themen liegen bei der FP. Vor allem unangenehme Klärungen werden nicht aufgeschoben oder abgebrochen.
Verweigerung, beziehungsschädigende Emotionen und Abwertungen
Ist es einem oder beiden Parts des Paars emotional nicht möglich mitzuwirken, unterbricht die FP den Ablauf der Einheit und thematisiert diesen Umstand als vordringlich zu untersuchende Störung, um für eine konstruktivere Lösung zu sorgen. Die FP schlägt Unterbrechungen, Pausen oder im Extremfall den Abbruch der Therapieeinheit vor, damit die überforderte Person sich durch adäquate Methoden beruhigen und emotional festigen kann. Dieses Vorgehen gilt insbesondere für Abwertungen, Klagen, Kritik oder aggressive Handlungen gegen sich selbst, gegen den / die Partner:in oder die FP.
Bündnisse, Solidarisierung und Ausgrenzungen
Wenn ein Part des Paars den / die Partner:in gegen die FP ausspielt oder sich das Grenzpaar gegen die FP verbündet oder eine außenstehende Person (aus einer anderen Therapie, einem Seminar oder dem Freundeskreis) benutzt wird, um die FP zu bewerten oder eine bessere Behandlung zu erhalten, wird diese Störung unmittelbar zum Anlass genommen, diesen Umstand genauer zu betrachten. Der therapeutische Rahmenvertrag enthält möglichst eindeutige Formulierungen, dass während der traumasensiblen Grenzpaartherapie keine weitere Behandlung, Therapie oder Beratung angegangen werden sollte. Nach der Beendigung der TSGPT steht dieser Weg dem Paar selbstverständlich jederzeit wieder offen.
Beendigung, Abschluss, Stornierung oder Abbruch
Das Grenzpaar verpflichtet sich durch die Unterschriften beider zur Einhaltung dieses paartherapeutischen Rahmenvertrags. Sollten die Regeln des Vertrags mehrfach gebrochen werden, liegt es im Ermessen der FP, den Kontakt zu beenden. Eine Erstattung für ausgemachte, aber nicht einhaltbare Therapieeinheiten besteht in diesem Fall nicht. Da Grenzpaare oftmals die im Rahmenvertrag aufgelisteten Grenzen überschreiten, könnte eine „Abbruch-Kaution“ vereinbart werden.
Auf Basis dieser zehn Punkte kann jede Fachperson eigene Formulierungen für einen Vertrag mit einem Paar finden. Je massiver sich das Paar gegen solche Vereinbarungen und Rahmenbedingungen wehrt, desto eher ist mit einer Grenzpaardynamik zu rechnen. Deswegen ist es für das Paar und die Fachperson wichtig, in dieser Vorphase der Paarberatung gut zu prüfen, ob es zu einer gemeinsamen Absprache kommt oder ob keine weitere Behandlung möglich ist. Die Fachperson ist nur dann in der Lage, eine gute Begleitung anzubieten, wenn alle Beteiligten sich sicher und im Vollbesitz der geistigen Kräfte fühlen.
Der therapeutische Rahmenvertrag, den ich selbst nutze und allen Paaren zu Beginn der gemeinsamen Arbeit überreiche, enthält neben den wichtigen Formalitäten zu den beiden Personen, dem Honorar, den Zeiten, der Dauer, dem Abschied und den Ausfallregelungen auch eine Seite für die eigenen Ziele und die wichtigsten Regeln.
Regeln für den reibungslosen Ablauf der gemeinsamen Arbeit und zur Anregung für eine gelingende Paarbeziehung
Kritik ist besser in einem umgewandelten Wunsch oder in Vorschlägen zur Lösung untergebracht. Dieser Wunsch und auch Fragen sind stets achtsam und wertschätzend zu formulieren und ausreichend Zeit und Raum für eine überlegte Reaktion einzuräumen.
Die gemeinsame Arbeit lebt von der Mitwirkung aller Beteiligter. Optimalerweise erfüllt jede:r die gestellten Aufgaben und nutzt die eingebrachten Methoden. Erst danach können Verbesserungsvorschläge eingebracht werden.
Die begleitende Fachperson hat eine Sonderstellung, ihr obliegt die Führung des gemeinsamen Geschehens. Sie übernimmt nach bestem Wissen und Gewissen die Anleitungen. Wünsche an die Fachperson sind in gleicher Weise wie unter Punkt 1 beschrieben vorzubringen
Es ist wichtig, das festgelegte Honorar der Beratung in exakt dieser Höhe und regelmäßig zu zahlen. Bei Verzug gerät die gemeinsame Arbeit in eine Schieflage, was zu einer vorzeitigen Beendigung führen könnte.
Es ist für unsere gemeinsame Arbeit wichtig, pünktlich zu erscheinen, bis zum Ende dabeizubleiben und regelmäßig teilzunehmen. Wenn das Paar sich daran nicht hält, wird dieser Umstand vorrangig von der Fachperson thematisiert.
Kontakte wie E-Mail-Berichte, gewünschte Telefonate oder Kurznachrichten außerhalb der gemeinsamen Arbeit sollten nur nach Aufforderung durch die Fachperson erfolgen.
Es ist wichtig, emotionale Reaktionen sorgfältig zu beachten. Unsere gemeinsame Arbeit kann Gefühle, Verletzungen und Abwehr auslösen. Auch emotionale Reaktionen, die Kritik enthalten, sollten wie unter Punkt 1 angegangen werden.
Wer sich in einer emotional instabilen Situation befindet und unbeabsichtigt verletzend reagiert, nimmt sich eine Auszeit von ca. 15 Minuten. Der / die Partner:in darf die emotionale Person auffordern, sich bitte kurz zurückzuziehen. Insbesondere die Fachperson achtet auf den wertschätzenden Umgang aller Beteiligten untereinander.
Für die gemeinsame Arbeit ist es wichtig, dass es keine Verbündung oder Solidarisierung gegen jemanden bzw. mit jemandem gibt oder dass negativ über abwesende Personen gesprochen wird. Dies ist für eine vertrauensvolle Arbeitsatmosphäre wesentlich.
Für einen guten Fortschritt der Behandlung ist es von zentraler Bedeutung, alle angekündigten und ausgemachten Termine einzuhalten. Sollte dies umgangen werden, wird dieser Umstand vorrangig von der Fachperson thematisiert.
Im Interesse eines guten beidseitigen Kontakts ist es zudem wichtig, möglichst offen und authentisch in den Einheiten dabei zu sein. Themen, die die Beziehung betreffen, intensiver Kontakt zu anderen Personen, insbesondere in anderen Therapien oder Beratungen, sind in der Paarberatung zu reflektieren. Sollte dies umgangen werden, wird dieser Umstand vorrangig von der Fachperson thematisiert.
Sollte eine Person nicht in der Lage sein, diese Regelungen einzuhalten, behält die Fachperson es sich vor, die Beratungseinheit zu beenden, den Kontakt zu verkürzen oder sogar die Behandlung ganz abzubrechen. Dies ist zum Schutz der gemeinsamen Arbeit wichtig.
Mit ihrer Unterschrift stimmen die Klientenpaare diesen Rahmenbedingungen zu.
Die Entscheidung zu einer Paarberatung steht in der Regel am Ende einer langen Abfolge von Streit, Krisen und wachsender Hilflosigkeit. Bei der ersten Kontaktaufnahme zeigen sich die Paare meist voller Entschlossenheit, etwas ändern zu wollen, sich selbst zu entwickeln und gemeinsam einen Weg aus dem Tal der Dramen zu finden.
Bei Grenzpaaren ist das auf verwirrende Weise anders. Am Anfang jeder fundierten Paarbegleitung steht für gewöhnlich eine gut abgestimmte Auftragsklärung, und bereits hier befinden wir uns mit diesen Paaren schnell auf dünnem Eis. An einem Beispiel aus der Praxis lässt sich diese spezielle Herausforderung nachvollziehen.
Natalie betritt forschen Schritts das Beratungszimmer und gibt Anweisungen für die beste Sitzordnung aller Beteiligten. Niemand könne schließlich von ihr verlangen, direkt neben ihrem unmöglichen Mann auf der Therapiecouch zu sitzen. Ich besorge für die resolute Klientin einen eigenen Stuhl und stelle mit Unbehagen fest, dass ich von meinem Behandlungssessel zu Natalie aufblicken muss. Mit auffordernd strengem Blick wartet Natalie meine einleitenden Worte nicht ab, sondern übernimmt sogleich die Führung. „Also, wenn Sie mir jetzt erzählen wollen, es sei besser für eine Partnerschaft, nicht zu streiten, sage ich Ihnen gleich: Nicht mit mir! Ich lasse mir von niemandem verbieten, wie ich mit meinem Mann zu reden habe. Streit gehört nun mal zu jeder Beziehung dazu. Sie sollten das am besten wissen.“
Bevor es zu einer unfruchtbaren Kabbelei kommen kann, wende ich mich an Kurt. Griesgrämig sitzt er auf der äußersten Ecke des Sofas und demonstriert Desinteresse am Verlauf des Gesprächs. „Ich bin nur mitgekommen, weil meine Frau darauf bestanden hat. Ich sehe keinerlei Sinn darin, hier zu sein. Ich habe sowieso vor, mich zu trennen.“
Nach einigen erfolglosen Versuchen, Natalies Schimpfattacke gegen den stoisch schweigenden Kurt (er lässt den Ansturm klaglos über sich ergehen) zu stoppen, gelingt es mir schließlich, das Ruder wieder zu übernehmen. „Halt! Stopp! Vielleicht darf ich kurz zusammenfassen? Oder kommen Sie besser allein zurecht?“ Missbilligend und gleichzeitig huldvoll nimmt Natalie sich zurück und bedenkt mich mit einem herablassenden Blick.
Ich weise beide auf das gemeinsame Dilemma hin: „Ihre Frau besteht darauf, zu streiten, und Sie, Kurt, haben vor, sich zu trennen. Wie geht es Ihnen, Kurt, wenn ich sage, hier würden Sie lernen, nicht mehr zu streiten und sich auch nicht von Ihrer Partnerin angehen zu lassen? Und wir könnten gemeinsam prüfen, ob eine Trennung die richtige Entscheidung für Sie beide ist.“ Natalie schnappt empört nach Luft. „Immer langsam, das muss ich mir nicht bieten lassen …“ Doch Kurt unterbricht an dieser Stelle: „Das wäre tatsächlich ein Grund, um einen nächsten Termin mit Ihnen zu vereinbaren. Ansonsten würde ich mich trennen. Ich bin es leid, von Natalie wie ein Schulbub in die Ecke gestellt zu werden.“
Das Blatt wendet sich. Natalie sitzt abweisend mit überkreuzten Armen auf ihrem Extra-Sitz und starrt abwechselnd Kurt oder die Decke an. Schließlich erklärt sie unwirsch: „Ich werde hier gar nichts ändern. Du hast dich zu ändern.“ Ich frage nach: „Würden Sie lieber einer Trennung zustimmen?“ Natalie schnaubt abfällig. „Sie könnten hier lernen, wichtige Themen ohne Streit anzugehen.“ Kurt lehnt sich entspannt zurück und beginnt mit einer Aufzählung der positiven Aspekte seiner Angetrauten. Nach einem wohlwollenden Kommentar meinerseits in Natalies Richtung scheint diese ein wenig besänftigt.
Dieses erste Treffen endet damit, dass Natalie murrend einem nächsten Termin zustimmt. Kurt leitet sogar Zeit und Datum per Handy an seine Frau weiter, damit beiden auch ja nichts dazwischenkommt. Wohin die Reise gehen soll – darüber kann jedoch noch nicht gesprochen werden.
Am Verlauf dieses exemplarischen ersten Zusammentreffens wird deutlich, dass es grenzverletzten und zugleich traumatisierten Menschen aus verschiedenen Gründen kaum möglich ist, eine klare Stellungnahme zum eigenen Anliegen vorzubringen. Wegen des immensen Misstrauens gegenüber Personen, die Kontrolle ausüben könnten, verbergen sich diese Klienten hinter einem bestimmten Image. Sie signalisieren oder betonen, sich in keiner Weise von außen beeinflussen zu lassen, verhalten sich jedoch wie von einer inneren Macht gesteuert. Wie Beziehungen zu laufen haben, dafür scheint es eine Art verdecktes Drehbuch zu geben, dem unbedingt zu folgen ist. Wenn die Fachperson nicht entsprechend der ihr zugedachten Rolle reagiert, zieht das Gekränktheit, Ärger oder Kontaktabbruch nach sich. Ob die grenzverletzte Person den Part der Aufopferung, des Kümmerns, der Gebrechlichkeit oder den Part des Betrügens, Lügens, der Verweigerung oder Ausbeutung besetzt, selten wird eine Metaebene der Reflexion oder Innenschau eingenommen. Die Motivation zur Mitwirkung bei Veränderungs- oder Wachstumsprozessen ist entsprechend gering. Im Großen und Ganzen soll die eigene Idee, wie der / die Partner:in oder die ideale Beziehung zu sein habe, bestätigt werden.
Für Natalie und ebenso für Kurt ist die Vorstellung zunächst abwegig, jede:r müsse an der eigenen Entwicklung arbeiten, um die Beziehung nicht zu verlieren. Vor uns liegt der schwierige Prozess, die eigene Verantwortung für das Gelingen der Partnerschaft zu erkennen und zu übernehmen. Hierdurch gerät das Paar an den gefürchteten seelischen Abgrund der Generalfrage aus der Kindheit: Wer hat Schuld? Ich, meine vereinnahmende oder ausgrenzende Mutter, mein ausbeutender oder ignoranter Vater? Das Kind hat es irgendwie geschafft, sich mit der Strategie des Verbergens, Täuschens, So-tun-als-ob zu retten.
Die Fachperson sollte dieses Arrangement nicht vorschnell infrage stellen, sondern eher den enormen Überlebenswillen würdigen. Eine aktive Mitwirkung bei der Lösung der Partnerschaftskonflikte darf – insbesondere zu Beginn der gemeinsamen Arbeit – nicht von den betroffenen Klient:innen gefordert oder verlangt werden. Dies würde aller Voraussicht nach zu Entrüstung, zum Zusammenbruch einer Person oder zum Abbruch des Kontakts führen.
Beim ersten Kontakt ist es zudem wesentlich, der Aufforderung, eine eigene Meinung zu einem vorgebrachten Thema zu vertreten, nicht nachzukommen. Gerade Personen mit dieser Art von Beziehung erwarten dringend von der Fachperson ein loyales Statement. Die vorgebliche Notwendigkeit, einen raschen Ratschlag zu erhalten, ist eine Art Test. Die Zurückhaltung der Fachperson, hilfreiche Tipps zu vermeiden, mag zwar ungeduldig aufgenommen werden, die klare Abgrenzung wird in der Regel insgeheim erleichtert registriert. Der gesunde Anteil in diesen Menschen nimmt wahr, dass die Fachperson sich nicht bedrängen, gängeln und manipulieren lässt. Da eine diagnostische Einschätzung der zugrunde liegenden Problematik aus den dargestellten Gründen schwierig ist, macht es Sinn, die ersten Eindrücke in einem Protokoll festzuhalten und die Beobachtungen sowie Aussagen beider Klient:innen in einer Checkliste aufzulisten. Da Grenzpaare dazu neigen, ihre Vorstellungen über die Beschaffenheit von Beziehungen im Kontakt zu zeigen, sollten die sorgfältig dokumentierten Beobachtungen der Fachperson in die Diagnostik einfließen.
Das Anfangsprotokoll: Welche Aussagen werden getroffen über …
die eigene Person (Selbstbild)
den Partner / die Partnerin (Partnerbild)
die Fachperson (Appell und Test)
die Beschaffenheit von guten / schlechten Beziehungen (Beziehungsüberzeugungen)
gewünschte Tipps und Ratschläge (innere Motive und Bedürfnisse)
Rahmen und Gesetzmäßigkeiten (innere Gebote)
Bündnisse und Ausgrenzungen (Triangulierung)
Es gibt nur wenig Hintergrundwissen und kaum Weiterbildungen zur korrekten Diagnostik oder zu passenden Behandlungsmethoden für Grenzpaare. Etliche Fachbücher und klinische Publikationen handeln lediglich vom therapeutischen Setting der Einzeltherapie. In diesem Bereich gibt es, für unterschiedliche therapeutische Schulen, umfangreiche Anleitungen zur Entstehung, Ausprägung, Behandlung und Heilung von Persönlichkeitsstörungen. Einigkeit herrscht darüber, dass diese Art der Störung durch ein frühkindliches Bindungstrauma verursacht wurde und von daher vor allem negative Auswirkungen auf die Beziehungsfähigkeit hat. Lange Zeit habe ich erfolglos nach einem therapeutischen Konzept zur Begleitung von Paaren mit den beschriebenen Wesensausprägungen gesucht und mich schlussendlich entschieden, meine umfangreichen Erfahrungen mit Grenzpaaren für diese diagnostische Anleitung zu bündeln. Man sollte meinen, solche Partnerschaften seien eher eine Seltenheit. Leider machen die Anfragen dieser Paare in den Beratungsstellen, sozialen Diensten, freien Trägern der Jugendhilfe oder Paartherapiepraxen mittlerweile mehr als die Hälfte aller Konsultationen aus. Die Fachkräfte sind von den Problematiken, Grenzverletzungen und Eskalationen dieser Klientel oftmals überfordert. Es wird zu spät realisiert, wie verwirrend, traumatisierend und kräftezehrend sich diese Beratungen gestalten können. Eine klare Diagnostik ist demzufolge die Grundvoraussetzung. Sie bietet Schutz und Orientierung.
Für die Paartherapie kommt eine Betrachtung der Einzelpersonen weniger infrage. Für unseren Zweck soll es auch nicht um eine individuelle Störung oder gar Charakterpathologie gehen. Damit werden wir dem Charisma, der Besonderheit des Grenzpaares und ihres Miteinanderverbundenseins nicht gerecht. Ich persönlich tendiere eher dazu, eine Grenzpaarproblematik als Interaktionsstörung zu betrachten, und schließe mich Reiner Sachse, dem Experten für Persönlichkeitsstörungen, an, der schreibt: „Im Grunde wäre es sinnvoll, auf den Begriff der Persönlichkeitsstörungen zu verzichten oder ihn durch den Begriff der Interaktionsstörung zu ersetzten“ (Sachse 2019, S. 2). Um die Beziehungsdynamik von Menschen mit traumabedingten Grenzverletzungen zu umreißen, können wir uns nur bedingt auf die diagnostischen Manuale wie die ICD-11 oder das DSM-5 berufen, da hier vor allem individuelle Symptomatiken definiert werden. Eine Interaktionsstörung ist oftmals die Folge einer Persönlichkeitsstörung, wie dies auch in den Zuordnungen festgehalten wird. Für die Therapie oder Beratung mit Paaren brauchen wir ein gemeinsames Verständnis, eine Art Klassifikation, wie genau sich Grenzverletzungen in der Kindheit auf die spätere Paarbeziehung auswirken.
Um Grenzpaare optimal begleiten zu können, starten wir mit einer gründlichen, wissenschaftlich fundierten Diagnostik. Aus meiner Sicht ist das Strukturierte Interview der Persönlichkeitsorganisation (STIPO)2, welches von den bekannten Forschern und Klinikern wie Clarkin, Kernberg, Caligor und Stern (2004) entwickelt wurde, besonders geeignet, um daraus eine Befragung für Paare zu gestalten. Das Original umfasst 100 Fragen, die den Einzelklient:innen in einem mündlichen Interview gestellt werden. Für unsere Grenzpaare ist dies zu lang, zu aufreibend und kaum akzeptabel. Ein qualitativer Fragebogen hingegen würde die Überforderung durch eine zu lange Befragung auf ein Minimum reduzieren, und die wechselseitige Beantwortung (jeder führt den Test für sich und für den / die Partner:in durch) könnte als entlastend erlebt werden. Die Fragen zur Partnerschaft und Sexualität werden für unsere Absicht aus dem STIPO ausgekoppelt, direkt mit dem Paar besprochen und im Anschluss an den Selbstkonzepttest erörtert. Um herauszufinden, wie sich grenzverletzende Erlebnisse aus der Kindheit auf die Beziehungsfähigkeit auswirken und zu einer Grenzpaarneigung führen, in welcher Weise oder Schwere, ist der Selbstkonzepttest für eine erste Orientierung und optimale Einschätzung hilfreich.
Die Zusammenstellung der Fragen speist sich aus zwei Quellen: Zum einen wurde der Liebestyptest der Traumasensiblen Paartherapie3 mit den fünf Basisemotionen Angst, Trauer, Ärger, Schuld und Scham erweitert, und zwar um die Basisemotion Verachtung, die dem Ekel entspringt. Verachtung ist ein zentrales Empfinden zwischen Grenzpaaren, die vermehrt zu toxischen Beziehungen neigen. Der Liebestyptest existiert seit mehr als 20 Jahren und wurde von vielen Paartherapeut:innen mit etlichen Paaren durchgeführt. Der Test bildet zuverlässig ab, wie, je nach Grundkonflikt, das Beziehungsmuster beschaffen ist. Da der Liebestyptest nicht nur die Grenzpaarproblematik abbildet, sondern vor allem Traumatisierungen wie Vernachlässigung, Verlust, Ausbeutung, Misshandlung oder Manipulation, wurden als zweite Quelle für den Selbstkonzepttest Anteile aus dem Strukturieren Interview zur Persönlichkeitsorganisation (STIPO) (Clarkin et al. 2004) hinzugenommen. Es gibt zudem eine hohe Übereinstimmung zwischen dem Liebestyptest und STIPO; etliche Fragestellungen finden sich in ähnlicher Form in beiden Erhebungen. Die Autoren des STIPO stellen heraus, dass mit den Fragen die Struktur einer Person in ihren Beziehungen zu anderen Menschen optimal erfasst werden kann: „Die Strukturdiagnose stellt ein höchst stabiles und bedeutsames Beschreibungsmerkmal von Persönlichkeit dar und erlaubt eine zuverlässige Vorhersage des Verhaltens eines Patienten und seiner Eignung für eine psychotherapeutische Behandlung“ (ebenda, S. 7). Das STIPO konzentriert sich vor allem auf Beziehungen, Selbstwahrnehmung und Identität sowie auf den Umgang mit Emotionen und die Fähigkeit zum Engagement im Beruf und in der Partnerschaft. Im Wesentlichen orientiert sich der Selbstkonzepttest auf die drei Dimensionen der Beziehungsgestaltung.
Abbildung 1.1: Drei Dimensionen der Beziehungsgestaltung
Otto Kernberg und sein Team, die als Spezialisten für die Feststellung des Vorliegens einer Persönlichkeitsstörung gelten, sehen in diesem Schaubild „die Bausteine psychischer Strukturen (…) die als Organisatoren von Motivation und Verhalten dienen“ (Clarkin, Yeomans & Kernberg 2018, S. 1). Diese Strukturen geraten bei Menschen mit grenzverletzenden Eltern aus dem Gleichgewicht und führen dazu, dass die Entwicklung eines stabilen Selbstkonzepts erschwert wurde.
Sinnigerweise stellt die Fachperson dem Klientenpaar zwei PDF-Versionen des Selbstkonzepttests (SK-Test) zur Verfügung und bittet das Paar, die Fragen doppelt zu beantworten: einmal für sich selbst und ein zweites Mal für den / die Partner:in. Dadurch erhalten wir ein besseres Bild von beiden. Eine Beantwortung nur aus der eigenen Sicht könnte geschönt ausfallen und der Wahrnehmung des Partners / der Partnerin widersprechen, selbst wenn auch diese nur subjektiv ausfallen kann.
Die Fragen werden für sich selbst und für den / die Partner:in beantwortet, und der zutreffende Wert wird in die Kästchen unter der Frage eingetragen.
Später werden die Werte für die eigene Person und für den anderen nach den drei Zuordnungen für Identität (16 Fragen), Beziehung (20 Fragen) und Emotionen (19 Fragen) zusammengezählt, um ein differenziertes Bild zu bekommen. Eine Auswertungstabelle befindet sich im Anschluss an die 55 Fragen.
Das Paar bringt zur nächsten Beratungseinheit die Ergebnisse der Befragung mit, und die Fachperson spricht mit dem Paar über die Auswertung, das Empfinden während der Beschäftigung mit den Fragen und wie die Beziehung davon tangiert wurde.
Nach Beantwortung der Fragen werden Auswertungen zu den drei Bereichen – Ich-Identität, Beziehung, Emotionen – sowie die Ausprägungen nach vier Kategorien zusammengestellt. Bei den Ausprägungen wird einmal zwischen schwerer und deutlicher Grenzpaarproblematik unterschieden; außerdem wird in zwei weiteren Ausprägungen zwischen Krisenpaar und normaler Beziehung unterschieden.
Identität
I 1.
Berufliche Ziele zu verfolgen ist kein zentrales Ziel in meinem Leben. Oft fühle ich mich zu kraftlos oder es ist mir zu entfremdet und anstrengend. Es gibt auch Zeiten, in denen ich keinem Beruf nachgehe.
ICHDU
I 2.
Meine Arbeit entspricht nicht wirklich meinen Fähigkeiten. Ich entwickle kaum Initiative, habe keinen Wunsch, voranzukommen, und mein Beruf gibt mir keine Erfüllung.
ICHDU
I 3.
Ich habe wenig Kontakte zu Freunden, es kommt schon mal zu Konflikten. Lieber bin ich für mich.
ICHDU
I 4.
Ich bin ein Mensch, der sich lieber an den Werten und Vorstellungen anderer orientiert und das tut, was allgemein erwartet wird. Mir wird auch nachgesagt, dass meine Persönlichkeit nicht so leicht zu fassen ist.
ICHDU
I 5.
Ich bin nicht gerne allein. Ich ziehe mich zwar eher zurück, fühle mich dann aber einsam und angespannt.
ICHDU
I 6.
Manchmal fühle ich mich anderen überlegen. Ich bin zu etwas Höherem bestimmt und bin frustriert, wenn andere meine Fähigkeiten nicht erkennen oder schätzen.
ICHDU
I 7.
Ich denke im Vergleich zu anderen Menschen öfter schlecht über mich selbst, fühle mich minderwertig und unterlegen. Ich bin auch überrascht, wenn andere meinen, ich solle mich selbst besser behandeln.
ICHDU
I 8.
Ich fühle mich schnell überreizt, alles stürzt auf mich ein, ich werde unruhig, kann die Eindrücke kaum filtern und es fällt mir schwer, zur Ruhe zu kommen. Dennoch gehe ich des Öfteren über meine Grenzen oder andere gehen über meine Grenzen.
ICHDU
I 9.
Ich strenge mich nicht so gerne an. Mir wird es dann zu viel, zu schnell. Dann ziehe ich mich raus. Lieber ist mir, wenn es geregelte Strukturen gibt, an denen ich mich orientieren kann. Oder ich gebe die Strukturen vor, die dann aber auch eingehalten werden sollten.
ICHDU
I 10.
Ich mag Herausforderungen, Veränderungen oder Unvorhergesehenes gar nicht. Das bringt mich aus dem Konzept. Mir ist es lieber, wenn alles seinen gewohnten Lauf nimmt.
ICHDU
I 11.
Ich sehne mich sehr danach, mich im Leben nicht immer so anstrengen zu müssen, um alles und jeden im Gleichgewicht zu halten. Es sollte einfach mal nichts Unvorhergesehenes passieren. Ich möchte so, wie ich bin, gesehen und akzeptiert werden.
ICHDU
I 12.
So manches in meinem Leben gerät immer wieder aus dem Lot. Entweder habe ich Probleme mit Geld, leide an Stimmungsschwankungen, innerer Leere, verausgabe mich zu sehr oder schlage über die Stränge.
ICHDU
I 13.
Glücklich zu sein ist eher ein fremder oder seltener Zustand in meinem Leben.
ICHDU
I 14.
Ich fühle mich unruhig, getrieben, überanstrengt, unterfordert und gequält.
ICHDU
I 15.
Es kann vorkommen, dass ich unvernünftige Dinge tue, zu viel Alkohol, zu viel Konsum, zu viel Mediengebrauch, zu viel Essen etc.
ICHDU
I 15.