Griechische Kulturgeschichte, Band 2 - Jacob Burckhardt - E-Book

Griechische Kulturgeschichte, Band 2 E-Book

Jacob Burckhardt

0,0

Beschreibung

Burckhardts Werk gehört auch heute noch zu den absoluten Klassikern der Kulturgeschichte und ist ein unerschöpfliches Referenzwerk. Dies ist Band 2 mit folgendem Inhalt: Inhalt: Einleitung Dritter Abschnitt. Religion und Kultus I. Die Metamorphosen II. Die Griechen und ihre Götter III. Der griechische Heroenkultus Vierter Abschnitt. Die Erkundung der Zukunft Fünfter Abschnitt. Zur Gesamtbilanz des griechischen Lebens Nachträge

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 819

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Griechische Kulturgeschichte – Zweiter Band

Jacob Burckhardt

Inhalt:

Jakob Burckhardt – Biografie und Bibliografie

Griechische Kulturgeschichte – Zweiter Band

Einleitung

Dritter Abschnitt. Religion und Kultus

I. Die Metamorphosen

II. Die Griechen und ihre Götter

III. Der griechische Heroenkultus

Vierter Abschnitt. Die Erkundung der Zukunft

Fünfter Abschnitt. Zur Gesamtbilanz des griechischen Lebens

Nachträge

Griechische Kulturgeschichte Zweiter Band, Jacob Burckhardt

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849606305

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Jakob Burckhardt – Biografie und Bibliografie

Schweizer Kultur- und Kunsthistoriker, geb. 25. Mai 1818 in Basel, gest. daselbst 8. Aug. 1897, studierte auf der Universität seiner Vaterstadt Theologie, deutsche Literatur und Geschichte und setzte diese Studien in Berlin fort. Hier ward er mit Franz Kugler befreundet, für den er später die zweite Auflage seines »Handbuchs der Kunstgeschichte« (Stuttg. 1848) besorgte. In die Heimat zurückgekehrt, wurde B. in der Folge zum Professor der Geschichte und Kunstgeschichte an der Universität zu Basel ernannt, dann bei der Gründung des Polytechnikums in Zürich in gleicher Eigenschaft an diese Anstalt berufen, kehrte jedoch bald wieder an die Universität seiner Vaterstadt zurück. 1893 trat er in den Ruhestand. B. zeichnet sich als Schriftsteller ebenso durch lichtvolle Darstellung und Feinheit der Auffassung wie durch gründliche Literatur- und Quellenkenntnis aus. Er begann seine Laufbahn mit den Werken: »Die Kunstwerke der belgischen Städte« (Düsseld. 1842); »Jakob von Hochstaden, Erzbischof von Köln« (Bonn 1843) und »Erzbischof Andreas von Krain und die letzte Konzilsversammlung in Basel 1482–1484« (Basel 1852). Ihnen folgten seine Hauptwerke: »Der Cicerone, eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens« (Basel 1855; 8. Aufl. von W. Bode, Leipz. 1901, 2 Tle.), worin in trefflicher Charakteristik die wichtigeren Meisterwerke Italiens aus älterer und neuerer Zeit dargestellt sind; »Die Zeit Konstantins des Großen« (Basel 1853; 3. Aufl., Leipz. 1898); »Die Kultur der Renaissance in Italien« (Basel 1860; 8. Aufl., besorgt von L. Geiger, Leipz. 1902) und die »Geschichte der Renaissance in Italien« (Stuttg. 1867; 3. Aufl., bearbeitet von Holtzinger, 1891). Aus seinem Nachlass erschienen: »Erinnerungen aus Rubens« (Basel 1898); »Beiträge zur Kunstgeschichte von Italien. Das Altarbild-Das Portrat in der Malerei-Die Sammler« (das. 1898); »Griechische Kulturgeschichte« (hrsg. von Oeri, Berl. 1898–1900, 3 Bde.). Vgl. Trog, Jakob B., biographische Skizze (Basel 1898).

Griechische Kulturgeschichte – Zweiter Band

Einleitung

Die griechische Religion hat die Kraft in sich, ein großer und unerschöpflicher Gegenstand der Forschung und Ahnung zu sein und wahrscheinlich noch lange zu bleiben. Sie ist nicht nur die Religion eines der wichtigsten Völker aller Zeiten, sondern der merkwürdigste und späteste Polytheismus der alten Geschichte. Auch kann sie gründlich nur behandelt werden in ihrem Zusammenhang und Gegensatz mit den andern Polytheismen der alten Welt, sowie der Germanen, Slaven und Kelten.

Gerne beschränken wir uns hier auf eine einzige Seite des Phänomens: nämlich auf die Frage, was diese Religion und diese Götter den Griechen der historischen Zeit waren. Wie sie entstanden, von wannen her sie gekommen, darf uns hier nur in Kürze beschäftigen, und über dilettantisches Dafürhalten werden unsere Andeutungen nicht hinausgelangen.

Schon die ganze ethnographische Grundlage dieser Forschung ist eine höchst ungewisse. Die Bildung der nachher als hellenisch geltenden Nationalität aus Bestandteilen der Pelasger, Karer, Tyrrhener, Leleger usw. bleibt die Sache einer Reihe von Vermutungen; ungezählte Jahrhunderte, vielleicht Jahrtausende gehen damit vorbei; dazwischen liegen uralte phönizische Okkupationen, und jenseits von diesem allem wissen wir nicht, was für eine Urbevölkerung jene später griechisch gewordenen StämmeA1 antrafen1. Daß eine solche von ihnen völlig zernichtet worden wäre, ist an sich nicht notwendig vorauszusetzen. Womit wird nun ein seßhaftes Volk auf die Eingedrungenen am ehesten Eindruck machen? Vielleicht mit demjenigen Glauben und Kultus, der sich auf die Fortdauer nach dem Tode bezieht? mit seinem Dienst des Grabes und der unterirdischen Gewalten? Denn für die lichten Götter des Lebens wird ja das siegreiche Volk zunächst keiner Ergänzung bedürfen? Neuere Forscher2 haben eine über Griechenland und Italien verbreitete Urreligion des Grabes und des Herdes angenommen, welche als Hauskult allem andern Kult zeitlich vorangegangen sei, beginnend mit Verehrung der ursprünglich im Hause bestatteten Toten, als man noch die Seele mit dem Leibe zu begraben glaubte; ja es wird für einen viel weitern Umkreis die Frage aufgestellt, ob nicht vielleicht beim Anblick des Todes alle Religion überhaupt ihren Anfang genommen3. Wie dem auch sei, jedenfalls wird eine älteste Bevölkerung oder Volksgestalt vorzugsweise mit ihrem Gräberwesen einen dauernden Eindruck hervorbringen. Auf griechischem Boden hatte die früheste Bevölkerung möglicherweise auch schon die frühesten Orakelstätten gekannt.

Übrigens mangeln uns in betreff des religiösen Austausches zwischen Bevölkerungen früher Kulturperioden zu sehr die psychologischen Handhaben. Die einen können sich höchst ausschließlich verhalten, nur ihre Götter überall durchgesetzt und nichts anderes daneben geduldet haben; andere aber huldigten vielleicht sehr willig, wo sie eine fest bestehende Verehrung antrafen und fügten sich in gegenseitige Ergänzung als in eine Bereicherung. Der Polytheismus hat seine äußerst nachgiebigen Seiten und kann sich aus Vorgefundenem vervollständigen; Altes und Neues lebt dann nebeneinander fort, und eine mächtige Volksphantasie kann das Ganze so beseelen, daß es wie ein großes gleichartiges Gesamtbild erscheint.

Zu dem möglicherweise von einer Urbevölkerung Übernommenen gehört auch der Verwandlungsglaube. Ohne uns im mindesten über das rein Hypothetische dieser Annahme zu täuschen, schicken wir hier in Parenthese ein Kapitel über diese Erscheinung der Behandlung der sonstigen religiösen Vorstellungen voran.

Fußnoten

1 Vorausgesetzt, daß sie wirklich eingewandert seien. Daß die Götter von draußen gekommen, liegt wie in einem Dämmerschein etwa in einer Sage angedeutet, z.B. in dem Glauben der Athener, wonach sie zuerst den Zeus und den Apollon ins Land aufgenommen und mit Opfern verehrt hätten. Eudocia Violar. 756. Die allgemeine Ansicht aber ist durchaus für Autochthonie der Götter.

2So Fustel de Coulanges, la cité antique.

3 So wie laut Schopenhauer auch alle Philosophie, vgl. die Welt als Wille usw. Buch IV, Kap. 41.

Anmerkungen

A1 Oeri: Männer.

Dritter Abschnitt. Religion und Kultus

I. Die Metamorphosen

Im VII. und VI. Jahrhundert vor Christus suchte bekanntlich der Seelenwanderungsglaube in die griechische Anschauung einzudringen. Diese Metempsychose wurde dann, so sehr sich Plato dafür bemühte, von der Nation mit der Zeit völlig abgelehnt; dieselbe verharrte beim Glauben an ein bleibendes Jenseits irgendwelcher Art.

Aber aus den ältesten Zeiten dämmert uns etwas wesentlich anderes, nämlich die Metamorphose entgegen. Bei manchen Völkern findet sich die Meinung, daß die Seelen der Verstorbenen dauernd in gewissen Tieren weilen, und im Bewußtsein der Griechen muß einst die Beschäftigung mit solchen Wandelungen oder Metamorphosen einen gewaltigen Umfang gehabt haben, sonst hätte sie nicht noch spät eine ganze Reihe von Sammlern und Dichtern1 begeistern können.

Die ursprünglichen Umrisse mögen etwa folgende gewesen sein: Die ganze Natur, nicht bloß Menschen und Tiere, sondern auch Pflanzen, Gestein und Gewässer sind belebt, ja bewußt gedacht, wie dies noch hie und da bei wilden Völkern nachgewiesen ist; der Mensch hat "seine Brüder im stillen Busch, in Luft und Wasser" kennengelernt, und drüber waltend denkt man sich die Götter, welche vielleicht nichts zernichten, ja kaum etwas schaffen2, wohl aber das Einzelleben aus einer Form in die andere magisch überleiten können. Was Mensch, Individuum gewesen, wird dann (sei es aus Rache oder aus Mitleid und Gunst), der Fülle der Natur, dem Konstanten, dem Nichtindividuellen zurückgegeben, und nun ahnt das Volk in Tieren, Bäumen, Quellen und absonderlich gebildeten Felsblöcken überall alte Verwandte3.

Wie geläufig demA1 Griechen schon der Gedanke an Verwandlung überhaupt war, zeigt die Sage von den Göttern selbst. Es ist so viel als gewiß, daß einst in alter Zeit dieselben in Tiergestalt verehrt wurden wie in Ägypten, ja laut der spätern Sage sollten die vor Typhon flüchtenden Griechengötter, mit einziger Ausnahme des Zeus und der Athene, sich sogar nach Ägypten geflüchtet und erst dort Tiergestalt angenommen haben4. Man glaubte zu wissen, Apoll sei dort ein Habicht geworden, Hermes ein Ibis, Ares ein großer Fisch, Artemis eine Katze, Dionysos ein Bock, Herakles ein Hirsch, Hephästos ein Rind, Leto eine Spitzmaus. Daß man in Athen noch zur Zeit der Perserkriege die Burgschlange im Stillen für Pallas Athene selber hielt, verrät Herodot (VIII, 41) ganz deutlich 5, und ähnlich war es mit den Schlangen in den Heiligtümern des Asklepios6. Noch viel später galt in dem berühmten Heiligtum am sizilischen Eryx die dunkelfarbige Taube, welche alljährlich aus Afrika dem übrigen Schwarm vorangeflogen kam, offenbar als Aphrodite selbst7. Die bloß zeitweiligen Verwandlungen der Götter sind im Mythus vollends zahllos, wobei freilich letzterer in allen Farben spielt und zumal die elementarische Bedeutung des Herganges noch oft erraten läßt. Die Götter treten auf in Gestalt bestimmter Menschen, als Tiere, ja als Wolke und goldener Regen, insbesondere aber als Vögel; in merkwürdig schillernden Ausdrücken läßt Homer8 sie erscheinen und verschwinden, man kann kaum genau sagen: wie solche, oder: als solche. – Daß die Wassergottheiten im höchsten Grade von den Verwandlungen Gebrauch machen, nämlich in einer ganzen Reihe von Gestalten, ist der sinnbildliche Ausdruck für den ewig wechselnden Anblick des wallenden oder strömenden Wassers; diese Wandelbarkeit aber können sie auch ihren Günstlingen mitteilen, wie Poseidon seinem Enkel Periklymenos9. Außerdem können die Götter auch bloße Scheingestalten schaffen: Zeus bildet aus einer Wolke diejenige der Hera, durch welche dann Ixion betört wird; n.A. hätte Hera selber die Gestalt hervorgebracht.

Indes kommen die Metamorphosen derjenigen Wesen, welche sich bei Anlässen des Augenblicks stets von neuem verwandeln können, für die Metamorphose, von der wir hier sprechen, nicht in Betracht; auch sind hier auszuschließen die bloß zeitweiligen Verwandlungen, welche von Göttern zu bestimmten Zwecken über Menschen verhängt werden10; wir haben uns vielmehr auf definitive und totale Wesensverwandlungen von nichtgöttlichen Wesen zu beschränken.

Für die Verwandlungen von Menschen in andere Wesen wird zunächst in mehrern Fällen ein Motiv zugestanden, welches der griechischen Religion in ihrer echten alten Gestalt vorzüglich eigen ist: Da nicht die Götter, sondern die Schicksalsmächte über die Lebensdauer des Menschen entscheiden, so ist die Verwandlung oft das einzige Mittel der Rache oder Strafe11, über welches die Götter verfügen. Konsequente Anschauungen sind übrigens hier so wenig zu erwarten, als auf irgend einem Gebiete dieser herrenlosen, von keiner Theologie gehüteten griechischen Religion. Phantasien der verschiedensten Herkunft geben dem Glauben an die Metamorphosen diese oder jene Richtung und eine bald mehr schöne, bald mehr düstere und schreckliche Ausdrucksweise. Die erhaltenen Aufzeichnungen sind großenteils aus sehr später Zeit, und das Ursprüngliche kann darin mannigfach mißverstanden sein. Namentlich erwecken bei einem so dunkeln, ahnungsbedürftigen Hergang gerade die präzisesten Aussagen eher Mißtrauen. Nachdem Diomeds Gefährten auf jener Insel des adriatischen Meeres durch illyrische Barbaren getötet worden, verschwanden durch Zeus' Ratschluß ihre Leiber, ihre Seelen aber verwandelten sich in Vögel – so Antoninus Liberalis (c. 37) im II. Jahrhundert n. Chr., während die echten Sagen das Schicksal des bisherigen Leibes zu beschweigen pflegen.

In der Regel sind es die Götter, welche die Verwandlung bewirken durch Berührung mit dem Stab12, und damit offenbart sich auch die Zauberin Kirke als ehemalige Göttin. Auch untergeordnete Gottheiten üben diese Macht gerne, selbst die Musen, wenn jemand mit ihnen im Gesang wetteifern will13, und die Nymphen, welche doch selber jeden Augenblick in Quellen und Bäume übergehen14. Häufig aber wird nur die Metamorphose ohne den Urheber erwähnt, als hätte die Natur aus eigenen Kräften das Individuellgewesene wieder in eine ihrer Gattungsformen zurückgenommen. – In einzelnen Fällen wird deutlich der natürliche Tod abgewartet, meist aber das Leben durch einen plötzlichen Eingriff in ein anderes umgestaltet.

Die Mehrheit der Verwandlungen erfolgen wohl als Strafe, ja als Rache; andere Male aber ist es eine hohe Gunst oder ein Mitleid der Götter, ja eine einzig mögliche Rettung. Myrrha, die von ihrem Vater geschwängert worden, erfleht von den Göttern die Verwandlung in ein anderes Wesen und wird zu dem Baum dieses Namens15. Mehr als einmal geschieht die Metamorphose ausdrücklich, um den Menschen vor noch schlimmerm Schicksal zu bewahren16.

Bisweilen verschwistert sich der Verwandlungsglaube sichtbar mit dem eigentümlichen Pandämonismus, welcher bei den Griechen in verschiedenen Zeiten emportaucht, ohne je eine andere bindende Formel zu finden als etwa das dunkle Wort des Thales panta plhrh teon einai (daß alles mit Göttern erfüllt sei). Daß einzelne besonders merkwürdige Gegenstände der Natur ehemalige Menschenseelen in sich fortlebend enthalten können, wird erst völlig verständlich durch den Hintergrund eines allgemeinernA2 Glaubens an die Beseelung der Natur überhaupt. Dieser Zusammenhang wird besonders sprechend bei den Verwandlungen in größere landschaftliche Objekte, in Gewässer und Felsen. Das Meer ist von Gottheiten jedes Ranges völlig erfüllt bis nahe an die Identität mit denselben, sowie Fluß und Flußgott bisweilen kaum zu scheiden sind; in den Wogen eines bestimmten Strandes aber erkennt man das besondere Leben einer Nymphe, wie z.B. der Argyra (unweit von Ägion in Achaia); der von ihr geliebte, dann verlassene und aus Gram gestorbene Hirte Selemnos wird von Aphrodite in einen Küstenfluß dieses Namens verwandelt17. Ein zweiter ganz naher Küstenfluß war die "unsterblich" gewordene Gestalt einesA3 Mädchens Bolina, die vor Apoll floh und von ihm verwandelt wurde. Arethusa sowohl als der ihr nachströmende Alpheios waren verwandelte Menschen18, wie schon die Leidenschaft des Flusses beweist; in der Quelle Sybaris bei Krissa erkannte man ein verwandeltes Ungetüm19; Euenos, der seine entführte Tochter verfolgt, stürzt sich in den Fluß Lykormas "und wird unsterblich"; der Fluß heißt seither Euenos20. An felsigen Gebirgen ist hie und da der höchste Gipfel ein ehemaliger Mensch, wie z.B. die "Warte des Battos" in Arkadien; Battos hatte dem Hermes, als dieser mit den geraubten Rindern Apolls vorüberzog, versprochen, ihn nicht zu verraten und es dann gleichwohl dem Hermes selbst, als dieser verwandelt vorsprach, um das Geschenk eines Kittels ausgeschwatzt; nun als Fels "wird er nie mehr verlassen von Frost und Hitze"21. Wegen Diebstahls wurde Pandareos in einen Fels verwandelt22. Daß Gestein, welches vollends obenhin einer menschlichen Gestalt ähnlich sah, als ein durch Rache der Gottheit versteinerter Mensch galt, war unvermeidlich; so der Hirt Kragaleus, welchen Apoll an der Hand ergriff und versteinerte, wo er stand, weil ihm derselbe als Schiedsrichter zwischen drei Gottheiten um den Besitz von Ambrakia Unrecht gegeben hatte23. Des berühmten Beispiels der Niobe wollen wir nicht weiter gedenken24. – Wenn im allgemeinen die Verwandlung in ein Gewässer eine Belohnung, ja eine Vergöttlichung andeutet, so ist dagegen die Versteinerung meist eine Rache, und eine um so schrecklichere, wenn das Bewußtsein dabei als fortdauernd, ja als ewig gilt25. Auch einzelne Tiere wurden damit heimgesucht, wie z.B. jener Wolf, der noch lange der Grenzstein zwischen Lokris und Phokis war; einst hatte er eine Herde des Peleus gefressen26. Ja Klippen im Meer gelten als verwandelte Schiffe, und zwar in den uns überlieferten Beispielen als Opfer des gemeinen Grolls einzelner Götter. Bekannt ist aus der Odyssee die Versteinerung des Phäakenschiffes; laut einer milesischen Sage versteinerte Apoll das Schiff des Pompilos und machte ihn zum Fisch dieses Namens, weil Pompilos ein von dem Gotte verfolgtes Mädchen hatte retten wollen27.

Bei der Verwandlung von Menschen in organische Wesen ist vorweg der weitverbreitete Wahn von den Wehrwölfen zu erwähnen. Die Arkader z.B. hatten den Aberglauben, daß beim Opfer (wahrscheinlich beim Jahresopfer) des lykäischen Zeus jedesmal ein Mensch – offenbar einer der Anwesenden – in einen Wolf verwandelt werde, wenn er sich dabei des Menschenfleisches enthielt, nur auf zehn Jahre, wo nicht, auf immer. Man nannte einen Athleten Damarchos, der solche zehn Jahre durchgemacht28. Noch unter Marc Aurel handelte der ArztA4 Marcellus von Side in seinem großen medizinischen Lehrgedicht von der Lykanthropie29. Hatte doch der Wolf auch Göttern zur Hülle gedient und Leto die Gestalt einer Wölfin getragen, als sie den Apoll gebar30.

Die übrigen Verwandlungen in Tiere erhalten ihre vollständige Bedeutung erst, wenn man sich gewisse griechische Volksmeinungen über das Tierleben im allgemeinen vergegenwärtigt, welche sich freilich niemals deutlich an den Tag gewagt haben. In Älians Tiergeschichte dämmert, wie es scheint, die Ansicht von einer zweiten durchgehenden Metamorphose oder doch Verwandtschaft zwischen gewissen Landtieren und Seetieren, welche denselben Namen und einzelne Ähnlichkeiten der Gestalt haben, ja vielleicht zwischen Landpflanzen und Seepflanzen31. Besonders intelligente oder gegen die Menschen zutunliche Tiere werden in einer Weise besprochen, welche auf verwandelte Menschen hindeutet, auch wo dies nirgends gesagt wird; so der ägyptische Vogel Asterias, welcher die menschliche Rede versteht (V, 36), der Elephant (V, 49, VII, 44), die Hyänengattung Korokottas (VII, 22), von den Pferden wenigstens die Rasse der Lykospades (XVI, 24), welche die Griechen liebt und die Barbaren haßt und flieht; auch die Hunde in jenem unteritalischen Athenentempel (XI, 5)32, welche sich ähnlich benahmen, sind ebenso gewiß verwandelte Griechen als die Reiher auf den Diomedesinseln, von welchen Letzteres ausdrücklich geglaubt wird (I, 1)33. Die häufige Liebschaft von Schlangen (VI, 63, VIII, 11) und anderen Tieren (XII, 37) mit Menschen34 läßt wenigstens vermuten, daß man es auch hier mit verwandelten Menschen zu tun habe, und ebenso die ungesprochenen Verträge und Opfer, wodurch einzelne Völker mit Vögeln in Verkehr35 treten (XVII, 16, 19). Unter den Fischen war der als ihr König geltende (XV, 17) Delphin anerkanntermaßen das Opfer einer Metamorphose36, und der sechste homerische Hymnus, welcher die Verwandlung der tyrrhenischen Seeräuber in Delphine erzählt, ist vielleicht nur eine von verschiedenen Sagen ähnlichen Inhaltes. Von der Rettung Arions, von der Liebschaft eines Delphins mit einem Epheben von Jasos37 sprach das ganze Altertum, und die Jasier prägten den auf dem Fische sitzenden Jüngling auf ihre Münzen. Ein völlig menschliches Benehmen tritt auch sonst an den Tag: im Hafen des thrakischen Ainos ertrotzen die Delphine die Freilassung eines der ihrigen, welcher verwundet und gefangen war (V, 6, vgl. XI, 12, aus Aristoteles). Diskrete Fischer lassen überhaupt das Tier entwischen, zumal wenn die übrigen massenhaft herbeischwimmen, und in ihren heftigen Bewegungen etwas wie flehentliches Bitten liegt38. Ja die Delphine bringen ihre Toten an den Strand (XII, 6), damit die Menschen sie begraben, und es finden sich Musikverehrer, welche dies wirklich tun aus Rücksicht auf die seit Arions Zeiten berühmte "Philomusie" des Delphins39. Auch der Feind desselben, der Fisch Pompilos, ist (wie erwähnt) ein verwandelter Mensch. Von den Thunfischen wird dies zwar nicht deutlich gesagt; wenn aber regelmäßig gefütterte und geschonte die wilden täglich an die Fischer zu verraten pflegten, wie bei der Insel der Athene vor Epidamnos geschah, so liegt wenigstens hierin ein Benehmen, welches sonst nur unter Menschen vorkommt40. In dem Teich beim Poseidonstempel von Augeiai (in spartanischem Gebiete) wagte man nicht zu fischen, weil unter den dortigen Fischen ein verwandelter Mensch sein konnte, und zwar als Raubfisch Halieus41.

Eine vermutlich ziemlich allgemeine Anschauung ließ die Menschenseelen ohne Unterschied in Gestalt von Vögeln weiter leben, welche ja auch für die Götter eine häufige Erscheinungshülle waren. Noch in den frühesten christlichen Katakombenmalereien bedeutet der Vogel oft die Seele42. Dieser Vorzug der Vögel vor allen übrigen Tiergattungen hing offenbar an der Meinung, daß sie klüger seien als andere Tiere und daß sie miteinander sprechen könnten. An einzelne Vögel knüpften sich aber eine Anzahl berühmter Mythen, und zwar wird dann der verwandelte Mensch in allen Exemplaren der betreffenden Gattung weiterlebend gedacht, als stammten diese von ihm ab: Prokne lebt in allen Schwalben, Philomela in allen Nachtigallen fort. Die Verwandlung gilt als eine zum Glück oder zum Unglück, aus Gnade oder aus Rache geschehene, je nachdem der betreffende Vogel bei den Menschen in Gunsten ist, je nachdem er für fröhlich gilt oder nicht. Hie und da mischt sich der Scherz ein: Alektryon war ein von Ares im Hause des Hephästos aufgestellter Wächter, welcher warnen sollte, wenn dieser käme; als er es einst verschlief und Hephästos seine Gemahlin bei dem Kriegsgott überraschte, verwandelte dieser den Alektryon zur Strafe in einen Hahn, und seither stimmt derselbe immer seinen Gesang an zu der Stunde vor Sonnenaufgang, da Hephästos heimzukehren pflegte43. Immerhin gab es noch spät gewissenhafte Leute, welche das Fleisch solcher Vögel, die von verwandelten Menschen abstammten wie z.B. das des Perlhuhnes (der Meleagris) nicht genossen44, so wie man auch gewisse Tiere, die als bestimmten Göttern heilig oder als Ergötzlichkeit (atyrmata) derselben galten, weder zu fangen noch zu essen pflegte, wohl aber dieselben, wenn sie tot gefunden wurden, förmlich bestattete, wie es die Ägypter mit manchen Tieren machten.45

Es ist nicht zu verwundern, daß auch die Verwandlung besonders tugendhafter Tiere in Menschen wenigstens denkbar war. Die Störche galten als ehrfurchtsvolle Pfleger ihrer Eltern und als höchst liebevoll gegen ihre Jungen, und deshalb kommen sie, wenn sie selber alt geworden, auf die Inseln des Ozeans und werden dort zu Menschen46.

Auch die in Pflanzen verwandelten Menschen leben eigentlich in allen Bäumen oder Blumen der betreffenden Art weiter, nur sind Motiv und Hergang der Metamorphose hier bisweilen sehr wandelbar. Von den Varianten des Mythus der Daphne ist besonders auffallend die folgende: die von Apoll verfolgte und bereits ergriffene Jungfrau fleht zu ihrer Mutter, der Gäa, sie aufzunehmen, und es öffnet sich ein Erdspalt, in welchem sie verschwindet, dann läßt Gäa, um Apoll zu trösten, eine Lorbeerpflanze emporsprießen47. Im Mythus von Narkissos ist es, nachdem der Jüngling ertrunken, ebenfalls die Erdgöttin, welche die Blume wachsen läßt, die dessen Namen trägt. In beiden Fällen tritt an die Stelle der Identität des verschwundenen Menschen mit dem Gewächse eher ein Ersatz jenes durch dieses, indem sich das Gefühl geltend macht, daß eine Verwandlung aus Mensch in Pflanze schon keine Wohltat und vollends keine Verklärung mehr sei; daher sie nur noch als Strafe und Rache deutlich festgehalten wird; so z.B. gegen die messapischen Hirten, die zu Bäumen wurden bei dem Heiligtum derselben epimelischen (herdenbeschützenden) Nymphen, mit welchen sie um die Wette getanzt hatten48, indem sie dieselben für sterbliche Weiber hielten. Aus jenen Bäumen um das Nymphenheiligtum tönte es noch in der Römerzeit nachts hervor wie ein Weinen. Die Baumnymphen selbst, wie sie der homerische Hymnus auf Aphrodite (V. 258 ff.) darstellt, gehören freilich einer Vorstellung an, welche zum Verwandlungsglauben einen völligen Gegensatz bildet, indem gleichzeitig mit der Geburt jeder derselben eine Fichte oder Eiche erwächst, welche also neben und außer ihr existiert, und deren Abdorren das Zeichen ist, daß dem zwar sehr langen, aber nicht ewigen Leben der Nymphe durch die Moira ein Ziel gesetzt sei. Wo sich dann diese Anschauung mit der Metamorphose kombiniert, wie z.B. in dem Mythus der Dryope49 geschieht es so, daß die Nymphen die Jungfrau aus Wohlwollen "entführen" und im Walde verbergen, jetzt als eine der Ihrigen, statt ihrer aber (oder als ihren Lebensbaum?) eine Pappel aus der Erde wachsen und eine Quelle dabei entspringen lassen. Und in ähnlicher Weise machen sie aus Mitleid die verzweifelnde Byblis, während sie dieselbe in Schlaf versenken, zu ihrer Genossin, zur göttlichen Hamadryade50. Daß sie aber auch eigentliche Verwandlungen ausüben können, wurde bereits gesagt, wie denn zwei Mädchen, welche jene Entführung der Dryope den Leuten des Ortes gemeldet hatten, von ihnen in Fichten verwandelt wurden. – Neben diesem allem jedoch findet sich noch eine Meinung, wonach die Baumnymphe nicht von ihrem Baume getrennt, sondern in demselben lebe.

Im Echo erkannte die alte Welt irgendein verschwundenes und in einen bloßen Hall verwandeltes Wesen, nach der gewöhnlichen Meinung eine Nymphe als Geliebte des lärmenden Pan, laut einer Variante aber den Knaben Hylas51. Die Nymphen, die ihn entführt, fürchtenA5, Herakles möchte ihn bei ihnen finden und verwandelnA6 ihn in das Echo; nun tönt dem Hyla! rufenden Helden jedesmal ein Hyla! zurück; noch in späten Zeiten, wenn dort am Bache Askanios die Umwohner opferten, rief der Priester ihn dreimal, und dreimal antwortete der Widerhall.

Auch Verwandlungen von Mensch zu Mensch hat der alte Seelenwanderungsglaube hie und da gelten lassen. Auf vieles Flehen einer Mutter hin, zur Vermeidung drohenden Unglückes, verwandeltA7 Leto ein Mädchen in einen Jüngling52.

Ausdrücklich von der Metamorphose geschieden53 ist die Substitution, wodurch die Gottheit einen Menschen aus Gefahren rettet; statt Iphigeniens erscheint eine Hindin, statt der Helena ein Scheinbild, so wie einst Zeus dem Ixion statt der Hera eine Wolke überließ. Um der Vorstellung den Hergang zu erleichtern, wird z.B. beim Opfer Iphigeniens erzählt, die achäischen Anführer hätten dabei ihre Augen abgewendet54.

Das Gottwerden eines Menschen tritt bisweilen bei seinem natürlichen oder gewaltsamen aber freiwilligen Tode ein; Ktesylla, von der sonst nichts Außergewöhnliches überliefert ist, wird beim Austragen auf der Bahre zur Taube, und ihre Landsleute werden durch ein Orakel angewiesen, sie als Aphrodite zu verehren55. Die junge Aspalis aus dem thessalischen Melite hat sich einem Tyrannen durch Selbstmord entzogen; indem man sie aber herrlich bestatten will, findet sich statt der Leiche ein Xoanon oder Holzbild vor neben einem (bereits vorhandenen) der Artemis, und jenes erhält nun seine Verehrung unter dem Namen Aspalis Ameiletos Hekaerge56. Wahrscheinlich gilt sie fortan wie eine Schwester der Artemis. Lebend verschwand Britomartis, indem sie auf Ägina vor ihrem zudringlichen Schiffmann in einen Hain entwich; seither wurde sie göttlich verehrt als Aphae, die Unsichtbare57. Laut andern sprang sie ins Meer, und beide Sagen mögen wohl ursprünglich Sinnbilder des untergehenden Mondes gewesen sein. Eine deutliche Beförderung eines Menschen zum Gotte ist die des Fischers Glaukos von Anthedon, nachdem er von einem gewissen Kraut gegessen, zum weissagenden Dämon des Meeres58. Auch Ino und Melikertes gehören hierher, die, nachdem sie ins Meer gesprungen, zu den Gottheiten Leukothea und Palämon geworden sind und den Seefahrern im Sturme helfen, und ebenso der zum Gotte gewordene Amphiaraos. Wir haben es hier mit einer frühen Art von Euhemerismus zu tun.

Die Versetzung unter die Gestirne des Fixsternhimmels dürfte hier übergangen werden, da sie erst in einer verhältnismäßig späten Zeit vorkommt, die des rein mythischen Ausdruckes schon nicht mehr fähig war, daher denn auch gerade die eigentliche Verwandlung in das betreffende Sternbild zweifelhaft ist oder völlig ausbleibt. Wenn die Götter, um z.B. den Sieg des Herakles über den nemeischen Löwen zu feiern, die Gestalt eines Löwen an den Himmel malen59, oder wenn sie den Asklepios als Schlangenhalter (Ophiuchos) am Himmel "weihen" (anierosan), so ist damit kaum mehr als eine Ehrenbezeugung gemeint. Über Orion und seine ganze Gruppe verweisen wir auf die treffliche Darstellung in Prellers Mythologie; der Grad wirklicher Gegenwart dieser mythologischen Wesen am Himmel bleibt eben doch der schwankenden Ahnung überlassen. Eine echteA8 Metamorphose findet sich aber in der Sage der Aonen im böotischen Orchomenos, und diese60 scheint volkstümlich überliefert zu sein. Zwei Jungfrauen hatten sich bei einer Pest auf Spruch eines Orakels hin freiwillig mit ihren Haarnadeln erstochen; Persephone und Aïdes ließen aus Mitleid ihre Leichen verschwinden und dafür zwei Sterne – und zwar Kometen – aus der Erde aufsteigen.

Die Göttlichkeit der größern Himmelskörper, Sonne und Mond, versteht sich von selbst und hat mit den Metamorphosen nichts gemein; auch Morgenstern und Abendstern sind nicht Verwandlungen der Dioskuren, sondern vielleicht ihre ursprünglichsten Gestalten61.

Fußnoten

1 Außer den Erhaltenen, Antoninus Liberalis, Ovid und der hierin sehr reichen Tiergeschichte des Älian finden sich die Verlorenen genannt u.a. Plutarch Parall. 5. 22. 25, Antonin. Lib. 23, Hesych. s.v. Nestor usw. Ovid mit seiner reich daherströmenden Erzählung ist gerade in den Motiven des Mythus am wenigsten zuverlässig und hat manche Metamorphose erst selbst ersonnen.

2 Zeus kann auf Ägina eigentlich keine Menschen schaffen, sondern nur Ameisen in Menschen (d.h. offenbar die ersten oder wenigstens die ersten, welche Schiffe bauten) verwandeln. Hesiod. fragm. 36.

3 Wie ferne oder nahe diese Anschauungen mit denjenigen mancher Naturvölker verschiedener Rassen verwandt waren, mag hier unerörtert bleiben und ebenso auch das umgekehrte Phänomen, daß Völker als von bestimmten Tieren abstammend gedacht, ja als doppellebig betrachtet werden: Die Bakairi (brasilianische Indianer) glauben, daß die Trumai zugleich eine Art von Raubfisch seien und nachts auf dem Grunde der Gewässer schlafen, während sie selbst ihre Abstammung vom Jaguar ableiten. R. Hotz, Geographische Nachrichten, IV. Jahrgang, Nr. 19.

4 Antonin. Liberal. 28.

5 Die Identität der Göttin und der Schlange überhaupt erhellt auch aus Apollodor I, 9, 11, zusammengehalten mit III, 6, 6 bei Anlaß des Melampus und des Tiresias.

6 Pausan. II, 10, 3 erzählt, wie Asklepios aus Epidauros nach Sikyon in Schlangengestalt auf einem Wagen kam, den eine Sikyonierin lenkte. Ebendort befanden sich nach Paus. II, 11, 8 im Asklepieion von Titane mit Scheu verehrte Schlangen (man konnte nicht wissen, welche der Gott war). Auch die nach Paus. III, 23, 4 auf einem epidaurischen Schiffe mitgekommene Schlange ist offenbar wieder Asklepios. Vgl. auch die Pausan. VI, 20, 3 von dem Dämon Sosipolis berichtete Geschichte, der im elisch-arkadischen Krieg den Eliern als Kind übergeben, vor der Front in eine Schlange verwandelt wird, welche die Arkader zur Flucht bewegt und dann in der Erde verschwindet, und die von dem als Schlange den Salamiskämpfern erschienenen Heros Kychreus. Pausan. I, 36, 1.

7Älian Hist. animal. IV, 2. – Vgl. auch Var. Hist. I, 15.

8Il. XIII, 62. XIX, 350. Od. I, 321. III, 372. V, 44, 337. XXII, 236 ff.

9 Hesiod fragm. 31, bei Kinkel fragm. epicor. Graec. p. 98. Apollodor I, 9, 9. Hygin. fab. 10. – Eine ähnliche Gabe verlieh Zeus der Lamia, vgl. Eudocia Violar. 596. – Die vielen Verwandlungen der vor Zeus fliehenden Nemesis, vgl. Athen. VIII, 10.

10 So wenn z.B. nach Hygin fab. 188 Poseidon die schöne Theophane nach der Insel Krumissa (Krionesos?) versetzt und wegen der auch dorthin ihr nachdringenden Freier sie in ein Schaf, sich selber in einen Widder und die cives Crumissenses in pecora verwandelt. Als nun wiederum Freier kamen und auf der Insel nur Tiere fanden und zu schlachten und zu essen anfingen, verwandelte Poseidon diese Freier in Wölfe und vollzog als Widder seinen Beischlaf mit der Theophane. Ihr Kind war dann der goldfellige Widder, welcher später den Phrixos nach Kolchis trug.

11 Antonin. Lib. 19. – Daß auch die Moiren Verwandlungen verfügen können, sobald jemand in ihr Amt greifen will, ebd. 29, da sie die Galinthias, Dienerin der Alkmene, in eine Katze verwandeln, welche jedoch von Hekate aus Mitleid als ein ihr geweihtes Tier zu Gnaden angenommen wird.

12 Antonin. Lib. 2. 10. – Demeter verwandelt [verwandelte] einen Spötter in eine Eidechse durch Bespritzen mit Wein, ebd. 24.

13 Ebd. 9.

14 Ebd. 22 die Erzählung eines boshaften Hirten, wonach Poseidon über die Zeit, da er mit einer von den Nymphen Beilager hielt, die übrigen in Pappeln verwandelte.

15 Laut dem nicht ganz deutlichen Worte Plutarchs (Parall. 22) wurde sie verwandelt kata pronoian Aprodiths. Laut Ant. Lib. 34 flehte sie mhte para zosi mht en nekrois panhnai, was ebenso gut auf völlige Zernichtung als auf Verwandlung in ein anderes Wesen gehen kann. – Eine fernere Darstellung ihrer Verwandlung Apollodor III, 14, 4. – Höchst merkwürdig ist in der Sage das Weitere: als die Zeit ihrer Schwangerschaft um war, barst die Rinde des Baumes, und geboren wurde Adonis. – Vgl. Pauly s.v. Myrrha.

16 Antonin. Lib. 11. 21.

17 Pausan. VII, 23, 1 ff. – Daß außerdem noch eine nahe Quelle Argyra heißt, daß Selemnos dann noch als Fluß die Argyra liebt, bis ihm Aphrodite das Vergessen derselben verleiht, zeigt, daß der Mythus noch seine Varianten hatte. – Über Bolina ist Pausanias kurz und nicht ganz deutlich.

18Pausan. V, 7, 2 ff.

19Antonin. Lib. 8.

20Plut. Parall. 40. Apollodor I, 7, 8.

21Antonin. Lib. 23.

22 Ebd. 36.

23 Ebd. 4.

24 Über die verschiedenen Anschauungen und die wirklichen Kunden vgl. Witzschel bei Pauly Realenc. s.v. Niobe. – Die prosaische Erklärung, Eudocia Violar. 703. – Bei Sophokles Antig. 825 ff. ist Niobe ein ganz hohes Gebirge und ebenso bei dem Augenzeugen Pausanias; erst aus der Ferne glaubte man ein klagendes Weib in den Linien des Berges zu erkennen. Schon bei Homer (Il. XXIV, 617) fühlt Niobe, obwohl versteinert, noch das Leid, das ihr die Götter angetan.

25 Daß das versteinerte Wesen als irgendwie empfindungsfähig galt, zeigt die Geschichte von der Priesterin Jodameia, Pausan. IX, 34, 1.

26Antonin. Lib. 38.

27Athen. VII, 19. – Älian hist. anim. XV, 23.

28Pausan. VI, 8, 2. VIII, 2, 1-3. Vgl. bei Herodot IV, 105 den Wahn der skythischen Neuren und den Mythus von Lykaon in seinen verschiedenen Wendungen.

29Eudocia Violar. 662.

30Älian hist. anim. 26. Wenn es nicht ein bloßer Rückschluß aus Apolls Beinamen Lykhgenhs ist, der richtiger den Lichtgeborenen bezeichnet. Bei Menschen sind die Verwandlungen in vierfüßige Tiere immer als Leiden, Strafe oder Rache aufzufassen. S. unten Odysseus, der als Pferd endet. Artemis "vertiert" die Kallisto (zur Bärin) wegen Schwängerung. Eratosth. Catasterism. 1. Atalante und ihr Geliebter werden in Löwen verwandelt (apoleontothnai), weil sie den heiligen Bezirk des Zeus entweiht hatten.

31Älian hist. anim. XIII, 3. XIV, 21. XVI, 19. Vgl. Var. hist. I, 5, wo außer dem Fuchs ein ebenso schlaues Seetier, der Meerfuchs, vorkommt. Vgl. auch Antigonus § 49. Der in Dornen nistende Vogel aigitos fliegt auf eine Ziege (aix) und saugt an ihr, ebd. § 45.

32 Vgl. auch Aristot. mirab. ausc. 109. Sonstige Parteinahme von Tieren in betreff von Einheimischen und Fremden. Apollonius § 11. 12.

33 Über diese Reiher handelt noch umständlicher Antigonus § 172. Wenn Griechen kommen, lassen sie sich von ihnen berühren, fliegen ihnen in den Schoß und tun freundlich mit ihnen. Laut Aussage der Bewohner sind es verwandelte Gefährten des Diomedes. Näheres über ihr Verhalten, z.B. gemeinsame Verteilung ihrer [der] Beute Tzetzes ad Lycophr. 602.

34 Hierzu auch Älian V.H. XIII, 46. In Paträ kaufte ein Knabe eine kleine Schlange und hielt sie sorgfältig, und als sie heranwuchs, sprach er zu ihr wie zu einer hörenden und ergötzte sich mit ihr und schlief mit ihr. Als die Schlange aber groß und mächtig gedieh, wurde sie von den Bürgern in die Einöde gejagt (zu töten wagte man sie wohl nicht). Natürlich rettet sie später den von Räubern angegriffenen Jüngling. Hier wird nichts von einer Metamorphose gesagt, wohl aber eine solche fast deutlich vorausgesetzt.

35 Aristoteles mirabil. 118 f. weiß von gemeinsamer Jagd von Menschen und Habichten auf Beuteteilung zu Kedripolis in Thrakien. Ebd. umständliche stumme Verhandlung zwischen den adriatischen Enetern und den Dohlen zur Zeit der Aussaat. Dieselben Aussagen bei Antigonus § 28 und § 173.

36 Die Delphine sagen es selbst, Lucian deor. marinor. dial. 8, 1. – Ihr menschenähnlicher Laut des Seufzens Solinus c. 22, wo noch einiges Merkwürdige.

37 Wozu eine Parallelgeschichte aus römischer Zeit bei Plinius epist. IX, 33. Weitere Delphingeschichten aus der Römerzeit bei Plin. H.N. IX, 8, A. Gellius VI, 8. – Delphine bringen die Leiche des ermordeten und ins Meer versenkten Hesiod am dritten Tage an den Strand, Hesiodi certamen. – Laut dem ältern Philostratus (Imag. I, 19) brachte Dionysos in den Tyrrhenern, indem er sie verwandelte, zugleich eine Wandelung vom Bösen ins Gute hervor, so daß in der Folge ein Delphin den schlummernden Palämon trug, ein anderer den Arion rettete.

38 Vgl. auch Antigonus § 55.

39 Die Geschichte des Arion findet sich bei Hygin fab. 194 mit sehr eigentümlichen, von Herodot abweichenden Zügen. Als Vorbedeutung [Vorbereitung] eines Seekrieges galt es, als Delphine einander eine heftige Schlacht lieferten. Dio, Cass. XLVIII, 52.

40 Von Verwandlungen in Muscheln erwähnt Älian (XIV, 28) die des einzigen Sohnes des Nereus, Neritos, an welchem Aphrodite wegen unerwiderter Liebe diese Rache übte.

41 Pausan. III, 21, 5.

42 Die Taube hat hierbei von alters her einen bemerkenswerten Vorzug. Z.B. am Athos, wo die Flotte des Xerxes Schiffbruch gelitten, erschienen nachher weiße Tauben. Älian V.H. I, 15.

43Eudocia Violar. 42 aus Libanios, Lucian somnium c. 3.

44Älian hist. anim. IV, 42.

45Älian hist. anim. XIII, 26. – Die Schwäne des Eridanos sollten verwandelte gesangliebende Menschen sein, ein Glaube, dessen die dortigen Barkenschlepper freilich spotteten, Lucian de electro c. 4. 5. Die Verwandlung der schönen in den Endymion verliebten Myia durch ihre Nebenbuhlerin Selene (Lucian muscae encomium c. 10) ist wohl ein Scherz späten Ursprunges.

46 Älian l.c. III, 23 aus Alexander dem Myndier. – Daß die Störche eigentlich Menschen sind, vgl. die Sagen bei Liebrecht: des Gervasius von Tilbury [Tilburg] otia imperialia, S. 157, wo noch anderer, ähnlicher Aberglaube berichtet wird. – Babrios fab. 13 sagt der Storch von sich: pthnon pelargos eysebestaton zoon ton emon tithno patera kai noshleyo.

47 Eudocia Violar. 259, 593.

48 Antonin. Lib. 31. – Freilich auch Nymphen selbst konnten durch eine Gottheit in Bäume verwandelt werden, wenn auch nur für den Augenblick. Vgl. die oben (S. 10, Anm. 14) erwähnte Erzählung von den durch Poseidon in Pappeln verwandelten Nymphen am Othrys.

49 Ebd. 32.

50 Ebd. 30. – Jede Aufnahme unter die Nymphen wird als eine Art von Seligkeit gegolten haben.

51 Ebd. 26. – Das Folgende ist die einfachste Aussage, womit zu vergleichen die Darstellungen bei Theokrit (XIII) und Apollonius Rhodius I, 1206, bes. [6 f.] 1239 ff.

52 Antonin. Lib. 17. – Des Tiresias nicht zu gedenken.

53 Abgesehen von jenen oben erwähnten, mehrdeutigen Verwandlungen in Pflanzen, wo bereits die Substitution mit hineinspielt.

54 Antonin. Lib. 27.

55 Antonin. Lib. 1. – Hier ist wichtig: Pauly Realenc. Art. Acontius, mit den Untersuchungen von Buttmann.

56 Ebd. 13.

57 Ebd. 40.

58 Pausan. IX, 22, 6. – Athen. VII, 47 f., eine merkwürdige Stelle für die Vielgestaltigkeit der Sagen über eine einzelne Figur.

59 So drückten sich die Spätesten aus, z.B. Eudocia, Violar. 602. 740, nachdem die Frühern überhaupt nicht gesagt hatten, wie die betreffenden Tiere und Helden ans Firmament gelangt seien. – Bei Lucian (de saltatione c. 44) heißt es auch merkwürdig unbestimmt von Kassiepeia [Kassiopeia], Andromeda und Kepheus: oys kai astrois egkatelexen h ton meta tayta pistis.

60 Antonin. Lib. 25.

61 Weiteres zu den Metamorphosen siehe Nachtrag 1.

Anmerkungen

A1 Oeri: den.

A2 Oeri: allgemeinen.

A3Oeri: des.

A4Oeri: letzte.

A5 Oeri: fürchteten.

A6 Oeri: verwandelten.

A7 Oeri: verwandelte.

A8 Oeri: Eine Metamorphose.

II. Die Griechen und ihre Götter

Andere Polytheismen sind in großen geistigen Krisen der betreffenden Völker einer Systematisierung, einer theologischen Vereinfachung anheimgefallen. Ein starkes, zusammenhängendes Priestertum, wie es die Griechen in keiner Periode ihres Daseins besaßen (so wenig als ein gemeinsames Staatswesen), hat sich erhoben und die Religion mehr oder weniger der Reflexion und Spekulation untertan gemacht. Wo eine solche Kraft Meister wird, macht sie der Mythenbildung ein Ende und stellt an die Spitze der Religion ein Götterpaar mit einem jährlich neu erzeugten und früh gestorbenen Göttersohn oder eine Trimurti oder zwei Weltprinzipien mit dämonischem Gefolge usw.; das übrige reduziert sie auf Lokalgötter, Nebendämonen und Märchengestalten. Der griechische Polytheismus hat sich dieser Systematisierung erwehrt und seine alte, aller Reflexion vorangehende Gestalt behauptet; der Theogonie blieb es unbenommen, in die gewaltige Vielheit des Götterlebens einen Zusammenhang zu bringen, aber auch sie war nicht das Werk von Theologen, sondern von volkstümlichen Sängern und änderte nichts am Wesen der Götter. Die religiöse Spekulation der Orphiker und des Pythagoras kam viel zu spät, und sie konnten dem Homer und dem Hesiod nur einen ohnmächtigen Haß widmen. Die Philosophen der Folgezeit aber, so vieles sie auch über Götter und Gottheit vorbrachten – bis zum Monotheismus und anderseits bis zur völligen Leugnung der Götter – haben auch nicht einen kleinen Gott oder Heros von seiner Stelle im Volkskultus entfernen können.

Zunächst wird allgemein zugegeben, daß die griechischen Anschauungen zu dem großen Grundkapital des Glaubens der arischen Völker gehören. Weit über viele Länder hinaus hat man in dem Götterwesen der Vedas nicht nur alte Verwandte von Griechengöttern erkannt, sondern sogar eine Anzahl von Namensanklängen verfolgen können; nicht zu gedenken einer großen Menge von Sagen und mythischen Anschauungen, welche die Griechen mit andern Ariern teilen. Im Grunde läge also die Forschung über den Ursprung der Griechengötter um eine große Stufe höher rückwärts. Immerhin bescheiden wir uns, in diesen bestrittenen Fragen keine eigene Ansicht zu haben.

Allein in den alten Stämmen, aus welchen die Hellenen hervorgegangen sind, lebte noch eine solche Bildkraft, daß auf dem Boden Griechenlands und des vordern und südlichen Kleinasiens die ganze Gestaltenwelt der Götter und göttlichen Kräfte neu umgeschaffen oder geschaffen werden konnte. Und nun knüpfen sich an den Orakelsitz von Dodona zweierlei Ansichten, welche scheinbar ein Anrecht auf hohes Alter und Ursprünglichkeit haben.

Die eine, von Herodot (II, 52 ff.) vertretene geht dahin, daß die als Vorfahren der Griechen geltenden Pelasger die Götter verehrt hätten, ohne deren Namen zu kennen, welche ihnen erst später aus Ägypten zugekommen seien.

Dies wäre unrichtig schon wegen derjenigen namentlich bekannten Götterwesen der Vedas, welche mit griechischen verwandt sind, ja deren Namen mit griechischen zusammenklingen sollen. Sodann mußte man Einzelnamen der Götterwesen haben, sobald eine Anzahl von solchen unterschieden und verehrt wurde; auch wenn die Pelasger sie nicht einmal mit Namen laut angerufen hätten, mußten sie doch unter sich von denselben sprechen und sie einzeln deutlich bezeichnen können. Auch möge man erwägen, wie unglaublich fruchtbar die Griechen schon nach den frühesten vorhandenen Zeugnissen im Erschaffen von bestimmten Einzelgestalten und deren Namen gewesen sind. Die Übertragung ägyptischer Namen endlich ist ein Irrtum, den niemand verficht.

Die zweite Lehre von Dodona, wie sie uns aus dem Gesang der Priesterinnen, der sogen. Peleiaden1, entgegentönt, scheidet das Göttliche und die Welt in zwei große Mächte:

"Zeus war, Zeus ist, Zeus wird sein, o gewaltiger Zeus du!

Ge bringt Früchte hervor, drum preiset als Mutter die Erde!"

Also vermutlich ein Zeugendes und ein Empfangendes; noch Pausianas kannte (I, 24, 3) ein Bildwerk: Gäa, den Zeus um Regen flehend. In erweiterter Auffassung mag Zeus den Äther, die großen und kleinen Himmelslichter und alles Meteorische umfaßt haben2, Gäa, die Herrin der unterirdischen Kräfte und der in den Gräbern noch lebend gedachten Menschen, auch der Orakel geworden sein. Wahrscheinlich eine jener in sehr alter Zeit mit gewaltiger Mühe gewonnenen Abstraktionen, welche doch nicht ein ganz Ursprüngliches sind. Solche können dann nahe und ferne großen Eindruck auf das Volk machen3, ohne doch dessen sonstigen Glauben aus den Angeln zu heben. Dieser aber wird bei den Griechen (soweit wir überhaupt mit unsern Ahnungen reichen) doch eher ein Polytheismus gewesen sein; Naturreligionen, wie es die arischen im Grunde sind, werden wohl am ehesten begonnen haben mit Sonne und Mond, mit Wetterdämonen schrecklicher und günstiger Art, mit Gottheiten des Krieges und der Entbindung, mit der Verehrung von Quellen und Flüssen, und wo man an einem Strande lebte, mit den Gestalten der Meeresflut. Diese alle mögen vorhanden gewesen sein vor und neben jener Weltteilung zwischen Zeus und Gäa.

Immerhin hat die neuere Forschung4 wenigstens an jenes Wort des Herodot wieder anzuknüpfen gesucht: "Zeus war für jene Zeit nicht bloß der oberste Gott, sondern er war auch der einzige, dem dieser Name zukommt. Denn die namenlosen Götter, von welchen Herodot berichtet, was konnten sie anders sein als eine Schar pandämonischer Vorstellungen zweiten Grades? Und als sie dann Namen erhielten, da waren es Hermes, Poseidon und die Dioskuren, Hera, Hestia und Themis, die Chariten und Nereiden – elementare Gestalten und Gattungswesen." Allein namenlose höhere Einzelmächte sind wohl, wie gesagt, überhaupt für keine Zeit anzunehmen, und selbst, wenn diese Einzelmächte, welche später Hermes, Poseidon usw. geworden sein sollen, keine Namen gehabt hätten, wer will beweisen, daß sie nicht bereits ihre Kulte der Verehrung oder der Angst genossen? d.h. wer kann ihnen das Prädikat der Göttlichkeit streitig machen und überhaupt "Grade" unterscheiden? Mit Unrecht aber sind hier in der nämlichen Reihe auch Chariten und Nereiden mitgenannt, denn diese, samt unzähligen andern Wesen meist elementarischer Bedeutung, lebten in der griechischen wie in andern Religionen als ganze Kategorien, und auf diese Kollektivwesen pflegt man auch wohl den Namen "Dämonen" zu beschränken. Diese haben dann allerdings entweder nie oder erst beträchtlich später, und nicht durch den Glauben, sondern durch Poesie und Kunst Namen, d.h. Individualität erhalten, bis zuletzt die Vasenmaler sogar den einzelnen Satyrn Eigennamen beischrieben.

Höchst wahrscheinlich lebten und bestanden in jenen Urzeiten der noch nicht völlig ausgeglichenen griechischen Nationalität sehr verschiedene Gestalten von Götterglauben und Götterdienst je nach Gegenden und Bevölkerungsschichten nebeneinander, ein Vorbehalt, welchen man nie wird aus den Augen lassen dürfen. Und nun wird zuzugeben sein, daß Zeus in alter Zeit wirklich ein Primat anderer Art besessen habe als später. Es ist möglich, daß dieser Glaube in Dodona zuerst eine Art von abstrakter theologischer Fassung annahm und jenes Bild eines Weltgötterpaares hervorbrachte, während vielleicht anderswo andere Verherrlichungen Geltung erlangten. Zu einer "reinern Urreligion" aber, womit man die ältesten Griechen hat beehren wollen, reicht jene wesentlich höhere Stellung des Zeus noch bei weitem nicht hin. Neben allen sonstigen Ungewißheiten wird man überdies durch eine konkurrierende Gestalt beständig irre gemacht. Derjenige Zeus nämlich, dessen Geburt und Jugend (seit der Höhle auf Kreta und ihren Wundern) erzählt und an mehrern Orten lokalisiert wurde, ist offenbar von Hause aus ein ganz anderes Wesen als der Himmels- und Äthergott. Noch Spätern dämmerte etwas hiervon, und es hieß, der Zeus von Kreta sei nur der Großonkel des Weltherrschers Zeus gewesen5.

Die älteste zusammenhängende Überlieferung griechischer Religiosität, welche wir überhaupt besitzen, ist wichtig für Zeus sowohl als für den Glauben an dämonische Kollektivwesen. Auch, was wir hier erfahren, braucht keineswegs eine allgemeine Ansicht gewesen zu sein; sicher ist nur, daß in alter Zeit böotische Landleute so glaubten, und daß Hesiod in seinen "Werken und Tagen" der Dolmetsch dieser Lehre ist.

Zwar sind bei ihm schon große andere Götter vorhanden; der Wein ist (V. 612) das Geschenk des freudenvollen Dionysos, und der Dorfschmied heißt (429) der Knecht der Athene; Poseidon kann die Schiffe verderben (665), auch ist von der Gesamtheit der Götter die Rede, "welche den Olymp inne haben". Allein Zeus ist der große allgemeine Gott, der Führer des Jahres, besonders der Regenspender, der Herr des Menschenlebens und aller seiner Schicksale und Mühen6, wenn auch dazwischen die Unsterblichen, die Glückseligen, die Ewigen insgesamt als Lebensherrscher genannt werden. Neben Zeus ist dann die Erde, die ehemalige Gäa, bereits zur Demeter geworden, und ihnen beiden gilt das Gebet um Gedeihen der Saatfrucht7; Demeter, die Schönbekränzte, füllt dem Fleißigen die Scheune. Gott des Rechtes auf Erden ist Zeus nicht von sich aus, sondern er bedarf dazu (256 ff.) seiner Tochter Dike, welche, wenn irgendwo gefrevelt wird, sich erst neben ihn setzt und klagt8. Jedenfalls ist die Aufsicht, welche Zeus und die übrigen Unsterblichen üben, in den "Werken und Tagen" eine viel größere und die Scheu vor derselben bei weitem ernster als bei den spätern Griechen.

Außerdem aber atmet das Gedicht noch einen besondern "Polydämonismus", einen Glauben an die Allgegenwart zahlloser übermenschlicher Wesen, mögen sie auch im Bewußtsein nicht völlig ausgeschieden sein von den Unsterblichen oder Glückseligen. Das sind u.a. die dreißigtausend9 Wächter der sterblichen Menschen (250), mit welchen Hesiod besonders den ungerechten Richtern bange macht; in Duft gehüllt schreiten sie über das Land dahin und beobachten sowohl das Rechte als das Unrechte; vielleicht sind es dieselben, welche vorher (122) genannt werden als die Gestorbenen des goldenen Zeitalters, "geweihte, auf der Erde verkehrende Dämonen, edle, das Übel abwehrende Hüter der sterblichen Menschen"; auch das übrige lautet wie bei jenen, nur daß sie dann noch mit einer freundlichernA1 Wendung Reichtumspender heißen, ein Königsrecht, welches sie schon (bei Lebzeiten) gehabt. Auch sonst überall aber lehrt der Dichter die Scheu vor unsichtbar anwesenden Mächten; auf Weg und Steg, an Fluß und Quelle, bei jedem Tun denkt er an ihre Gegenwart (722, 734, 740, 754 f.); vor allem aber (728) "die Nächte gehören den Seligen".

Der spätere griechische Dämonenglaube hat zwar vielerlei reiche Gestaltungen hervorgetrieben, aber von einer solchen beständigen Aufsicht unsichtbarer Wesen, welche bis heute in den Religionen anderer Rassen eine so große Rolle spielen, ist bei den Griechen kaum mehr eine Spur vorhanden10. Eine Vermutung mag hier noch Platz finden: wenn in der Folge der Pantheismus bei den Griechen trotz der Anläufe mehrerer Philosophen gar nie zu Kräften hat kommen können, so hing dies vielleicht mit an der einstigen Herrschaft jenes Polydämonismus, welcher der ausschließende Gegensatz davon ist. Es konnte nicht alles voll von Gott sein, denn alles war voll von Göttern, und die Welt war nicht deren Ausdruck, sondern deren Wohnsitz. Als sich dann die Einzelkulte enge mit dem jeweiligen Staatswesen der einzelnen Polis verflochten, war ohnehin für den Pantheismus jede Aussicht verloren. Gerade die hie und da vorkommenden Pantheen oder Tempel aller Götter haben mit Pantheismus am wenigsten zu schaffen: sie entstanden, und zwar einzelneA2 schon frühe11, wenn man etwa bei Sicherung einer Stadt oder Landschaft keinen Gott vergessen oder übergehen wollte und sie doch nicht alle kannte, oder auch dem Zwölfgötterkreise zu Ehren.

Für die weitere Geschichte des Zeus hier nur einige Andeutungen. So oft sich bei den Griechen die Reflexion erhebt, sehnt man sich nach einer Einheit des göttlichen Wesens, welches dabei oft nur als Gottheit, meist aber geradezu als Zeus benannt wird. Es war gar nicht schwer, einen Monotheismus zu postulieren, wohl aber ihn geltend zu machen. Aus Lyrikern und Tragikern hat man schon öfter12 erhabene Worte zusammengestellt, welche eine verklärte Auffassung des Zeus als Weltherrn atmen. Die "Schutzflehenden" des Äschylos scheinen ganz eigentlich zum Preise des Gewaltigen gedichtet13, des Königs der Könige, des Seligsten der Seligen, dem der Balken der Waage (der Entscheid aller Schicksale) gehört, dessen Tat so schnell ist wie ein Wort, dessen Weisheitspfade dicht verwachsen, schattig, unsichtbar laufen, bis er die Übermütigen von hohen Türmen herunterstürzt, ja der auch in der Unterwelt als "anderer Zeus" richtet und herrscht. Immerhin ist schon hier daran zu erinnern, daß Äschylos und seine Athener sich ein anderes Mal, im Prometheus, auch einen ganz andern Zeus gefallen ließen, welcher den übrigen Handelnden als böse, nur aber als sehr mächtig erscheint, so daß, wer zu Prometheus spricht, dies im Sinne einer klugen Fügsamkeit tut. Keine Ausgleichung in der dazu gehörenden, verlorenen Tragödie vom "gelösten Prometheus" kann diesen furchtbaren Eindruck wieder verwischt und in eine besondere Verherrlichung des Zeus umgewandelt haben14.

Auch bei den Philosophen, von Xenophanes und Empedokles an, bringt das Verlangen nach einer sittlichen und allmächtigen Gottheit, nach einer einheitlichen und weltbildenden Kraft monotheistische Erklärungen hervor15, mit oder ohne Nennung des Zeus, mehr oder weniger verbunden mit Kautelen wegen der Volksreligion, und fast ohne solche bei der stoischen Schule und ihrem Welt-Zeus.

Sodann hat man in der so gewalttätigen Polis oft laut nach dem Recht geschrien und dann dem Zeus als Hort dieses Rechtes die allerhöchsten Ehren gegeben16. Überhaupt ist er im gewöhnlichen Leben der allgemeine Supplementargott und Wünschgott, wofür u.a. Theognis belehrend ist.

Im Volksglauben jedoch war Zeus mit der Zeit kaum mehr der Himmelsgott, eher nur noch der Wettergott, welcher regnet, donnert, blitzt und hagelt17. Beim Blitzen ruft man: o großer Äther! o Zeus18! Selbst bei einem von der Stoa angewehten Dichter wie Aratos sind alle die großen Prädikate, womit Zeus am Eingang der Phänomena und der Diosemeia verherrlicht wird, im Grunde verträglich mit einem bloßen Äthergott und Gestirngott. Zu der erstern Qualität gehört auch, daß hohe Berggipfel, als dem Äther am nächsten, Zeusaltäre trugen19, und es ist bemerkenswert, daß die christlichen Zerstörer sich am spätesten an diese wagten20.

Das griechische Bewußtsein aber war inzwischen längst in die stärkste Abhängigkeit von den Sängern geraten, welche das Wesen der Götterwelt in mächtigen Gebilden dargestellt hatten. In Hesiods Theogonie lebt Zeus mitten in einer höchst unruhigen Genossenschaft von Wesen, die mit ihm durch ihre Herkunft gleichen Ranges sind, als noch nicht ganz sicherer Usurpator, und hiegegen hat in der Folge der griechische Geist wohl noch, wie wir sahen, stellenweise sich auflehnen, aber nicht mehr dem Zeus eine dauernde Alleinhoheit schaffen können. Von Homer vollends haben sich Zeus und die übrigen Götter gar nicht mehr erholt, wozu der achte Gesang der Ilias allein schon genügen würde21. Zeus bleibt nun wohl der König und Vater eines Hofes, des Olymp, aber nicht mehr. Wohl werden ihm hie und da, wenn eine Polis schon eine große Anzahl von Tempeln hat, nachträglich noch Heiligtümer, bisweilen riesig große, errichtet wie in Athen, Megara, Selinunt, Agrigent, Korinth, Sparta; aber schon der Name derselben: "Olympieion", deutet nur auf den König und nicht mehr auf den Alleingott22.

Sodann hatten offenbar schon in sehr früher Zeit ganze Landschaften andere Haupt- und Schutzgötter als Zeus23, und diese heißen dann in jenen Gegenden groß. "Athen und das ganze attische Land", sagt Pausanias (I, 26, 7) "sind der Athene heilig; so vielen Göttern auch in den Demen Verehrung widerfährt, verehren sie gleichwohl auch die Athene"; das erste, was man vom Meere her sah, war ihr Tempel am Vorgebirge von Sunion. Und dies in einem Gau, wo doch die meisten hohen Berggipfel Altäre des Zeus trugen. Und im attischen Gau der Kephalier hinwiederum hießen die Dioskuren "groß". Vom Peloponnes glaubte man seit alters her, er gehöre gänzlich dem Poseidon24, als sein ursprünglicher Wohnsitz. Die Sikelioten hatten von ihren Vorfahren gehört, es sei von unvordenklicher Zeit her unter den Einwohnern überliefert, daß die Insel der Demeter und der Kore heilig sei; allerdings gab es bei Dichtern einen Ausgleich, dahin lautend, daß bei der Hochzeit des Pluton und der Persephone Sikelien von Zeus der letztern als Brautgeschenk sei gegeben worden25. Allein auch dies wird wiederum aufgewogen durch übermächtige Lokalkulte wie den der Paliken26, und die Gegend um Himera war der Athene heilig, und die Insel Ortygia vor Syrakus war von den Göttern der Artemis geschenkt worden27. An der trojanischen und äolischen Küste erwähnt Strabo lauter Apolltempel und hier wird Apollon "groß" gewesen sein; in Lykien war er der eigentliche Nationalgott. Allerdings zwischenhinein in Karien herrschen dann die Zeustempel, und auch die beiden Bundestempel aller Karer waren dem Zeus geweiht28, während z.B. der Bundestempel der Ionier, das Panionion von Mykale, dem helikonischen Poseidon gehörte, und drei Städte von Achaia einen gemeinsamen Tempel der "dreilosigen Artemis" besaßen29. – In Arkadien und Messenien scheint der mächtige Kult der "großen Göttinnen" alles andere, selbst Zeus und Poseidon, in Schatten gestellt zu haben. Daß in einzelnen Ortschaften ein Lokalkult eine ganze sonstige Religion übertönen kann, ist auch in andern Zeiten und Ländern vorgekommen30. "Groß ist die Artemis der Ephesier." – Dieser Ruf galt wenigstens einer Gottheit, welche "ganz Asien und der Erdkreis" verehrte31, aber "groß" hießen auch in kleinen Städtchen einzelne Götter, in einem Sinne, wobei im Grunde jede andere Andacht nichts mehr bedeutete32.

Dies alles wäre unmöglich eingetreten, wenn Zeus in irgendeiner Zeit der griechischen Geschichte wirklich durchgängig als der alleinige Gott wäre verehrt worden. Und so hat ihm auch der monotheistische Aufschwung einzelner Dichter und Philosophen nicht mehr emporgeholfen. Zur Zeit der Römerherrschaft besaß er seinen obligaten Kult als Reichs-Jupiter und wurde etwa auch in feierlicher Deklamation von einem Dion Chrysostomos33, einem Aristides Rhetor als Weltgott gepriesen. Wenn wir aber dem Lucian34 glauben wollen, war damals Zeus zufrieden, wenn außer dem olympischen Feste ihm noch sonst Jemand in der Zwischenzeit opfern mochte.

Wenn der Polytheismus eine solche Kraft und Fülle zeigt wie bei den Griechen, so ist die stärkste Wahrscheinlichkeit dafür vorhanden, daß er das Ursprüngliche gewesen. Man wird die größte Mühe haben, sich einen entgegengesetzten Hergang konkret vorstellig zu machen, und ungemessener Zeiten würde es bedürfen, bis neben einem frühern Alleingott Zeus die reiche und große Ausbildung so vieler anderer Götter möglich erschiene.

Die Griechen besaßen nichts schriftlich Geoffenbartes, nichts irgend von außen Auferlegtes über ihre Götter, und ebensowenig eine auferlegte Lehre über die Religion. Diese beiden Hauptstücke der Theologie fehlten von alters her vollständig. Auch die Götter selbst offenbarten eine solche nicht; dasselbe Delphi, welches so zahlreiche Bescheide über Verehrung einzelner Gottheiten gab, hat niemals eine religiöse Wahrheit von allgemeiner Bedeutung ausgesprochen, auch setzt, wenigstens in der rein griechischen Zeit, kein Fragender voraus, daß der Gott auf dergleichen eingehen würde. Wenn er gestattete, daß die in Sprüche gebrachte Lebenserfahrung der sieben Weisen mit goldenen Buchstaben in seinem Tempel angebracht wurde, so geschah dies in einer Zeit, da sich überhaupt alles, was die Nation bewegte, nach Delphi drängte; daß aber in späteren, reflektierenden Jahrhunderten hie und da Fragen allgemein religiöser Art mögen an die Orakelstätten gerichtet worden sein, ist nicht undenkbar.

Der griechische Glaube ist reine Schöpfung der Nation als solcher, und in zweierlei Sinn vielgestaltig wie diese: durch den enormen Gestaltenreichtum an sich und durch die Verschiedenheit der Sage über die nämlichen Gestalten und Hergänge. Er ist Polytheismus von vornherein, woneben jene einzelnen Versuche zur Einheit des göttlichen Wesens kaum in Betracht kommen.

Die fremden Zutaten werden von der neuern Forschung mehr und mehr beschränkt, abgesehen natürlich von jenen Gottheiten, deren Grundform die Griechen mit andern arischen Völkern gemeinsam haben könnten. Die "allein Fremde", welche als solche in Griechenland Eingang gefunden35, ist die phönizische oder überhaupt semitische Astarte-Aphrodite, welche wohl schon über griechischen MeeresbuchtenA3 ihre Heiligtümer besaß, als das Volk noch in sehr urtümlichem Zustande lebte. Vermutlich hatte sie auch ihren Adonai schon mit sich.

Während nun die Götter fast ausschließlich national und Schöpfungen des griechischen Volkes sind, gelten sie doch naiver Weise für Herrn der ganzen Welt, indem man in der Zeit der Fixierung der Religion von dieser Welt noch nicht viel mehr als die eigenen Wohnsitze kannte. Die Götter baden in dem soA4 weit entfernt gedachten Okeanos, sie schmausen bei den Aethiopen, und Apollon fährt periodisch zu den Hyperboreern, während Proteus in Ägypten haust. Mit der Zeit lernte man dann die Götter weiterer Nationen kennen, und zwischen den ägyptischen und den griechischen wurde bald nach Verwandtschaft gesucht, während sich anderseits auch in die so schwach gehütete griechische Religion Fremdes und namentlich Halbfremdes hie und da eindrängte, nämlich halbgriechische Seitengestalten der Gottheiten, wie Bendis, die thrakische Gestalt der Artemis, Kotytto die phrygische, Sabazios als kleinasiatischer Verwandter des Dionysos usw., welche aus den Kulten der Sklaven und Metöken auch in den Kult der Griechen hineingerieten, wenigstens in den größern Städten. Gar nicht zu entschuldigen war das Eindringen der phrygischen Göttermutter (Kybele), welche bei den Griechen schon reichlich ersetzt gewesen wäre durch Gäa, Demeter und Rhea. Der erste, welcher nach Attika kam und die Weiber die Weihen der Göttermutter lehrte, wurde zwar getötet und in die "Schlucht", das Barathron, geworfen, aber infolge einer Pest mahnte einA5 Orakel, den Getöteten zu versöhnen36, und wahrscheinlich schon unter den Peisistratiden erhob sich der Tempel dieser Göttin, das Metroon. Sie suchte sich freilich als Demeter zu geben und auch Euripides ging auf diese Fiktion ein, die Athener aber mußten sich sagen lassen: so wie sie in andern Dingen das Fremde liebten, so auch in betreff der Götter37; überhaupt fand man, diejenigen Staaten, welche am leichtesten das Bürgerrecht an Fremde gäben, ließen auch am leichtesten fremde Götter zu. Nicht jedermann war so entschlossen wie die Kaunier38, welche einst mit vollständigem Aufgebot auszogen und bis an die Landesgrenze mit Speeren in der Luft fuchtelten, in der Meinung, damit die fremden Götter auszutreiben39. Der Form nach behielt sich wohl der Staat die Verfügung über fremde Kulte vor, allein die Praxis war eine ungleiche. Wenn vollends eine Hauptklage gegen Sokrates auf Einführung neuer Götter lautete, womit sein unschuldiges Daimonion gemeint war40, so weiß man ja, daß der Haß gegen ihn von einer ganz andern Seite stammte. Die spätere allgemeine Göttermischung seit Diadochen und Römern mag hier einstweilen nur erwähnt werden.

Wie die große nationale Schöpfung der griechischen Religion im einzelnen zustande kam, darüber wird es stets nur Vermutungen geben, und diese werden noch lange miteinander streiten. Auch die Kunde der jetzigen Naturvölker und Halbkulturvölker und ihrer Götterwelt lehrt uns nicht viel über den Hergang bei diesem ganz einzig begabten Griechenvolk, welches dieser seiner Hervorbringung die hingebendste Teilnahme widmete viele Jahrhunderte hindurch. Was wir ahnen dürfen, ist ein Doppelprozeß: Während einzelne Stämme gewisse Götter und Götterpaare besonders verehrt und sich nachher gegenseitig vervollständigt haben mögen, kann sich dies von der andern Seite ausgeglichen haben, indem ursprünglich verschiedene Gestalten in eine Göttergestalt zusammenflossen, auf welche sich die verschiedenen Mythen häuften. Genug, daß alles national war, und daß die Götter, welches auch ihre Herkunft sein mochte, für autochthon galten, Griechen wurden, wie das Volk selbst. Ihr Mythus ist an zahllosen Stellen lokalisiert, ja von mehrern wollte man die heilige Geburtsstätte kennen, sogar an verschiedenen Orten. Diese Religion ist, wie gesagt, nicht durch eine Kraft von außen dem Volke vorgeschrieben oder als heilige Satzung auferlegt, sondern sie ist ein Produkt der höchsten Bildkraft desselben.

Ihre Ausbildung ist nicht geschehen durch Priester. Wohl gab es solche von frühe an bis in die spätesten griechischen Zeiten, aber es gab niemals einen Priesterstand und vollends kein Priestertum