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Burckhardts Werk gehört auch heute noch zu den absoluten Klassikern der Kulturgeschichte und ist ein unerschöpfliches Referenzwerk. Dies ist Band 4 mit folgendem Inhalt: Inhalt: Neunter Abschnitt. Der hellenische Mensch in seiner zeitlichen Entwicklung I. Einleitendes II. Der heroische Mensch III. Der koloniale und agonale Mensch IV. Der Mensch des V. Jahrhunderts V. Der Mensch des IV. Jahrhunderts bis auf Alexander VI. Der hellenistische Mensch
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Griechische Kulturgeschichte - Vierter Band
Jacob Burckhardt
Inhalt:
Jakob Burckhardt – Biografie und Bibliografie
Griechische Kulturgeschichte - Vierter Band
Neunter Abschnitt. Der hellenische Mensch in seiner zeitlichen Entwicklung
I. Einleitendes
II. Der heroische Mensch
III. Der koloniale und agonale Mensch
IV. Der Mensch des V. Jahrhunderts
V. Der Mensch des IV. Jahrhunderts bis auf Alexander
VI. Der hellenistische Mensch
Griechische Kulturgeschichte Vierter Band, Jacob Burckhardt
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849606282
www.jazzybee-verlag.de
Schweizer Kultur- und Kunsthistoriker, geb. 25. Mai 1818 in Basel, gest. daselbst 8. Aug. 1897, studierte auf der Universität seiner Vaterstadt Theologie, deutsche Literatur und Geschichte und setzte diese Studien in Berlin fort. Hier ward er mit Franz Kugler befreundet, für den er später die zweite Auflage seines »Handbuchs der Kunstgeschichte« (Stuttg. 1848) besorgte. In die Heimat zurückgekehrt, wurde B. in der Folge zum Professor der Geschichte und Kunstgeschichte an der Universität zu Basel ernannt, dann bei der Gründung des Polytechnikums in Zürich in gleicher Eigenschaft an diese Anstalt berufen, kehrte jedoch bald wieder an die Universität seiner Vaterstadt zurück. 1893 trat er in den Ruhestand. B. zeichnet sich als Schriftsteller ebenso durch lichtvolle Darstellung und Feinheit der Auffassung wie durch gründliche Literatur- und Quellenkenntnis aus. Er begann seine Laufbahn mit den Werken: »Die Kunstwerke der belgischen Städte« (Düsseld. 1842); »Jakob von Hochstaden, Erzbischof von Köln« (Bonn 1843) und »Erzbischof Andreas von Krain und die letzte Konzilsversammlung in Basel 1482–1484« (Basel 1852). Ihnen folgten seine Hauptwerke: »Der Cicerone, eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens« (Basel 1855; 8. Aufl. von W. Bode, Leipz. 1901, 2 Tle.), worin in trefflicher Charakteristik die wichtigeren Meisterwerke Italiens aus älterer und neuerer Zeit dargestellt sind; »Die Zeit Konstantins des Großen« (Basel 1853; 3. Aufl., Leipz. 1898); »Die Kultur der Renaissance in Italien« (Basel 1860; 8. Aufl., besorgt von L. Geiger, Leipz. 1902) und die »Geschichte der Renaissance in Italien« (Stuttg. 1867; 3. Aufl., bearbeitet von Holtzinger, 1891). Aus seinem Nachlass erschienen: »Erinnerungen aus Rubens« (Basel 1898); »Beiträge zur Kunstgeschichte von Italien. Das Altarbild-Das Portrat in der Malerei-Die Sammler« (das. 1898); »Griechische Kulturgeschichte« (hrsg. von Oeri, Berl. 1898–1900, 3 Bde.). Vgl. Trog, Jakob B., biographische Skizze (Basel 1898).
Über das Physische des griechischen Menschen würden wir nähern Aufschluß vor allem von der bildenden Kunst erwarten. Aber unser Wunsch nach einem solchen wird hier nur bedingt befriedigt; denn die Kunst gibt nicht den Durchschnitt, sondern das Besondere, ideal Gesammelte und Dargestellte; sie beweist nur, was als hoch und herrlich galt, und wie man gerne ausgesehen hätte. Immerhin ist sie auch so schon ein starkes Zeugnis für die Schönheit der Rasse. Eine häßliche Nation hätte sie bloß durch die Sehnsucht nicht hervorbringen können, und das als schön Geltende muß in der Wirklichkeit auch oft vorgekommen sein. Abgesehen von den Gräberfunden, welche wenigstens für eine hohe Normalität der Skelettbildung immer zahlreichere Beweise liefern werden, sind wir nun aber doch hauptsächlich auf literarische Aussagen angewiesen, und da uns Beteuerungen der Griechen selbst über ihre Schönheit nicht glaubhaft wären, müssen wir warten, bis ein anderes Volk sich darüber ausspricht. Ein solches Zeugnis, wenn auch erst vom Anfang des fünften Jahrhunderts n. Chr., ist die von O. Müller1 entdeckte hochwichtige Stelle der Physiognomika des Adamantios (c. 24), an der uns ein getaufter Jude von den damals schon als eine seltene Spezies geltenden Hellenen außer einigem allgemein Geltendem sagt, "sie seien gerade hinlänglich (aytarkos) groß gewachsen, fest, weiß von Teint, Hände und Füße seien wohl gebildet, der Kopf mittelgroß, der Hals stark, das Haar braun, zart und sanft gewellt, das Gesicht viereckig (prosopon tetragonon), also nicht mandelförmig, sondern mit ziemlich starken Backenknochen); die Lippen seien fein, die Nase gerade, die Augen mit glänzendem, mächtigem Blick (optalmoys ygroys, xarpoys, gorgoys); sie seien das schönäugigste Volk der Welt".
Diese ganz merkwürdige Aussage ist die einzige in ihrer Art; alle andern haben nur partielle Geltung. Sie melden entweder nur, daß innerhalb der Nation einzelne Bevölkerungen, zumal die Ionier, als besonders schön gegolten hätten2, oder sie zählen Schönheitsrequisite, d.h. einzelne Züge eines idealen Kanons auf, und zwar gerade als das Ausgezeichnete, nicht als das Durchschnittliche und Nationale3, oder endlich sie sind zeitlich relativ, indem sie die Abnahme der Schönheit konstatieren, wie denn z.B. Cicero angibt, bei seinem Aufenthalt in Athen habe es daselbst kaum einige wenige schöne Epheben gegeben4. Wichtig aber ist der Standpunkt, welchen der Schönheit gegenüber Aristoteles einnimmt. An einer Stelle, wo niemand es erwarten würde, nämlich in der Politik (V, 7) lehrt er mit derselben Logik, wie er das Gleiche für den Staat lehrt, daß verschiedene Typen berechtigt sind: bei der Nase könne neben der schönsten, geraden auch die etwas einwärts gebogene Form und die Adlerform noch schön sein, wofern die Abweichung ein gewisses Maß nicht überschreite. Auch ist ihm die Schönheit teilweise eine erst erworbene, so daß von einer Doppelschönheit die Rede sein kann, indem z.B. die Kämpfer am Pentathlon sowohl in Hinsicht auf Schnelligkeit als auf Kraft ausgebildet sind, und ebenso ist ihm die Schönheit nach Altersstufen eine verschiedene: neben dem Jünglinge und dem kräftigen Mann kommt sie auch dem Greis zu5. – Daß außerhalb der Theorie im Leben von jeher verschiedene Formen für schön angesehen wurden, ist selbstverständlich6.
Nun übte die Schönheit nicht nur die höchste Wirkung auf den Griechen, sondern im Gegensatz zur neuern Zeit, die sich bemüht, sie vom ethischen Standpunkte aus als ein höchst hinfälliges Gut zu betrachten, wurde auch die Überzeugung von ihrem Werte ganz allgemein und laut ausgesprochen. Zunächst durfte ganz ungescheut darum gebetet werden. Ein spartanisches Kind, die spätere Gemahlin des Demaratos, wird z.B., weil es häßlich ist, täglich von seiner Amme in den Tempel der Helena zu Therapne getragen, wo sich die Amme vor das Bild der schönsten Frau hinstellt und fleht, daß die Mißgestalt von ihm möchte genommen werden. Eines Tages erscheint dann eine weibliche Gestalt, streichelt das Haupt des Kindes und verheißt ihm die größte Schönheit von allen Spartanerinnen, die ihm denn auch gleich zuteil wird7. Ferner kann nach seinem Tode ein schöner Mensch halbgöttliche Ehren genießen, ja seine Schönheit erweckt bei den Feinden eo ipso den Gedanken an einen Halbgott, welchen erlegt zu haben der Sühne bedarf. So erbauen die (doch nur halbgriechischen) Egestaner Philippos dem Krotoniaten, einem Olympioniken und dem schönsten der Hellenen zu seiner Zeit, nachdem er im offenen Feldstreit gegen sie und die Karthager (um 510) gefallen, um seiner Schönheit willen ein Heroon und bringen ihm Opfer dar8. Auch kommt es vor, daß ein in jugendlicher Schönheit daherstürmender Krieger von den Feinden verschont wird, weil sie in ihm etwas Übermenschliches zu erkennen glauben9. Daß man in solchen Fällen national unbefangen ist, lehrt das Herumführen des in der Vorschlacht von Platää gefallenen persischen Feldherrn Masistios, dessen Leiche alle Griechen wegen ihrer Schönheit sehen wollten10. Sogar dem Xerxes wird zugegeben, daß, was Schönheit betraf, unter so vielen Myriaden seines Heeres niemand würdiger war, diese Macht zu besitzen, als er selbst11. – Besonders auffällig erscheint uns das unbefangene Lob der eigenen Schönheit: in Xenophons Gastmahl (IV, 10 f.) sagt Kritobulos deutlich und umständlich, wie hoch er dieselbe schätzt; er würde sie nicht um die Macht des Perserkönigs hingeben. Und für Söhne, die zur Herrschaft bestimmt sind, wünscht man vor allem andern ein entsprechendes Äußeres; denn das erste sei, daß der Körper den Anspruch auf hohe Stellung habe12.
Gewiß sehr frühe sahen eben die Griechen das Innere des Menschen in seinem Äußern und bildeten sich physiognomische Voraussetzungen, welche dann zu Überzeugungen wurden. Hierauf beruht die Wissenschaft der Physiognomik, wie wir sie aus Aristoteles kennen13. Zumal der Zusammenhang der Schönheit mit innerm Adel aber war eine Sache des festesten Glaubens.
Wie fremd uns bei alledem die Griechen wären, zeigt sich an der Kleinigkeit des Salbens am ganzen Leibe, welches uns unerträglich sein würde. Anderseits aber gewann ihre äußere Erscheinung auch stark durch die Schönheit der vereinfachten Tracht. Auch das vom Armen um einen halben Obol auf den Tag beim Walker entlehnte Himation14 saß ohne Zweifel so schön als das des Reichen, wenn der Betreffende es zu tragen wußte.
Hier wäre nun noch ein Wort über die gute Gesundheit der Hellenen zu sagen. Daß diese kein leerer Traum ist, sagt uns schon das hohe Alter, das ihrer viele erreicht haben. Merkwürdig ist bei den berühmten Hellenen zumal auch das gänzliche Mangeln der Alter schwäche. Schon Nestor macht dem Alter keine KonzessionenA115; besonders aber wurde eine Menge berühmter Dichter und Philosophen sehr alt, und wie bei einzelnen großen italienischen Künstlern stammt bisweilen das Wichtigste, was sie geschaffen, aus ihren letzten Lebensjahren. Sophokles dichtete in diesen seinen Philoktet und seinen Ödipus auf Kolonos und Euripides seine Bakchen; es sind die nämlichen Dichter, die das Alter auf alle Weise bejammern und in den schwärzesten Farben schildern; über sie selbst aber hatte es keinen Griff, so wenig als über manchen der Philosophen, die uns Lukian in den Makrobioi vorführt16. Freilich muß auch eine staunenswerte Kraft in der hellenischen Rasse vorhanden gewesen sein, die ihr z.B. ohne Rücksicht auf Erkältung das Unglaublichste zu wagen gestattet. Als Odysseus und Diomedes schweißbedeckt von nächtlicher Fahrt zurückkommen, stürzen sie sich gleich in das Meer, und Nestor (der Greis) stellt sich mit Machaon (dem Feldarzt), als sie verschwitzt aus der Schlacht zurückgekehrt sind, zum Schreck aller heutigen Rheumatiker an den Strand, um sich dem Winde auszusetzen17. Es ist eine erlaubte Frage, ob überhaupt die Alten für Zugluft empfänglich gewesen seien.
Freilich hielt man nun auch die Rasse mit den gewaltsamen Mitteln einer Welt oben, welche nicht mehr die unsrige werden kann. Vor allem ist hier wieder18 der Überzeugung zu gedenken, daß nur das Gesunde zu leben verdiene. Vor allem Abnormen besteht bei den Griechen (wie auch den Römern) eine tiefe Angst. Eine Mißgeburt ist nicht nur, wie heute, ein Unglück für die Familie, sondern ein Schrecken, der Versöhnung der Götter heischt, für die ganze Stadt, ja für das Volk. Man sollte also nichts Verstümmeltes aufziehen; schon der Verwachsene tat ja gut, wenn er sich stille hielt, weil er sonst einem Aristophanes in die Hände fallen konnte19. Aber nach Plato20 sollten auch kränkliche Leute nicht leben und jedenfalls keine Nachkommenschaft hinterlassen. Von der sonstigen Beschränkung der Volksmenge durch Abtreibung, von der Nullität der Sklavenehen, die jedenfalls massenhafte Kindertötung mit sich brachte, von der Kindertötung der Armen war in diesem Werke früher schon die Rede21.
Hier kommen wir nun auch auf die Namen der Griechen22. Während der Römer die Person in erster Linie nach ihrem Geschlechte (gens) und in zweiter nach dem Zweige des Geschlechts benennt, dem sie angehört, begegnet uns bei ihnen einfach der Eigenname, näher spezialisiert nur durch den Namen des Vaters und des Demos23. Die griechischen Namen sind also im Gegensatz zu den römischen individuell. In Athen pflegte das Kind den seinen bekanntlich am zehnten Lebenstage zu bekommen, wobei ein Schmaus stattfand24. Der erste Sohn mag meist nach dem väterlichen, der zweite nach dem mütterlichen Großvater, der dritte nach dem Vater benannt worden sein, wie denn z.B. Euripides, der Sohn des Mnesarchos und Schwiegersohn des Mnesilochos, einen MnesarchidesA2, einen Mnesilochos und einen Euripides zu Söhnen hat25; doch wurden auch Namen von andern Verwandten und von Freunden, besonders Gastfreunden gegeben, und schließlich wurde der Name oft neu geschaffen und war die freie Erfindung des Vaters oder auch der Mutter, auf die man sich einigte.
Hierbei möge man sich der leichten und massenhaften Namenschöpfung schon für die Gestalten des Mythus erinnern. Auch die alten Germanen leisteten hierin hie und da etwas26; aber den griechischen Dichtern ist es eine wahre Wonne, mit einem Namenreichtum zu Felde zu ziehen, den keine neuere Sprache aufbieten könnte. Jedes göttliche und menschliche Wesen bekam hier, auch wenn es in einer Gruppe von Zwölfen, Vierzigen oder Fünfzigen mitging, und wenn man von ihm sonst gar nichts Besonderes wußte, seinen Namen. So zunächst die vielen halbgöttlichen Wesen, die wir bei Hesiod treffen27. Diese sind z.T. unmittelbare Abstracta wie Nike (Sieg), Kratos (Gewalt), Zelos (Rivalität), Bia (Zwang), während andere, etymologisch aus Sachen zu Personen gebildet, adjektivisch und appellativ zwischen Abstractum und Eigennamen in der Mitte schweben. Die fünfzig Nereidennamen schütteltA3 er nur so aus dem Ärmel28, Sie sind großenteils erklärbar durch Beziehung zum See leben und zu Meer, Wetter, Küste usw., während die Töchter des Okeanos und der Tethys, an Zahl einundvierzig, meist minder deutsam und wie aus verschiedenen Lebensgebieten zusammengerafft sind29. Aber er kennt auch die Einzelnamen der Moiren, Horen, Chariten, Musen usw., ja sogar die der Harpyien. Und ebenso weiß auch Homer nicht bloß die Namen von Penelopes Freiern, sondern er hat auch für sämtliche Phäaken eine Menge von Namen mit lauter Bedeutung von See und Schifffahrt. Als leichtes Spiel erscheint die Namenschöpfung in der Batrachomyomachie, und aus der Poesie, wo der Name, besonders im Hexameter, so leicht migleitet, ging diese Freude an der Namengebung auf die Mythographen über. Pausanias30 gibt nach den großen Eöen ein Verzeichnis der von Önomaos getöteten und von Pelops bestatteten Freier Hippodameias; Apollodor weiß die fünfzig Danaiden und ihre fünfzig Freier zu benennen, die doch außer einem Paar alle tatlos sterben; er kennt die fünfzig Söhne, die Herakles mit den Thestiaden erzeugte, die fünfzig Söhne des Lykaon, die sofort fast alle vom Blitz erschlagen werden, und die ebenso vielen des Priamos und gibt die ausführliche Stammtafel der Äoliden; auch Diodor31 gibt eine Menge von Amazonennamen und Hygin32 die der tyrrhenischen Seeräuber, welche von Dionysos in Delphine verwandelt wurden. Schließlich erfand auch ein Künstler wie Polygnot für seine Figuren in der Lesche zu Delphi eine ganze Anzahl von Namen eigenmächtig33. Man sieht hier überall in eine Sache hinein, die für uns eine Pönitenz ist, die aber für die Griechen ein wahres Vergnügen war.
Nun hatten auch andere Völker bedeutungsvolle Namen, z.B. die Perser, von denen bezeugt wird, daß ihre Namen sich auf ihre körperlichen Vorzüge und ihre Prachtliebe bezogen34. Aber der des Griechen bedeutete in der Regel etwas mehr. Abgesehen davon, daß man in der Namengebung schlimme Omina zu vermeiden, gute zu wecken suchte35, erhielt er durch den verbalen oder adjektivischen Bestandteil, der zu seiner Bildung verwandt wurde, eine aktivische Kraft, und diese Komposita, in deren Hervorbringung die Namengebung unerschöpflich war, indem Götter, Heroen, Personen und Dinge aller Art in Masse in sie aufgenommen wurden, zeigen große Schönheit36. Zeitweise wirkte freilich auch die Mode ein. Z.B. zur Zeit der vornehmen Hippotrophie (des Haltens von Luxuspferden) wurden die Namen gerne mit Hippos (Pferd) komponiert, was bekanntlich Aristophanes37 schön verspottet, indem er seinen Strepsiades erzählen läßt, wie er sein Söhnchen nach dem väterlichen Großvater Pheidonides (Spärling) nennen wollte, der aristokratischen Mutter aber ein Name wie Xanthippos, Charippos, Kallippides im Kopfe steckte, und man sich zuletzt auf Pheidippides einigte. Mit der vollen Demokratie erscheinen dann die vielen an Volksversammlung und Volksrede erinnernden Namen auf – agoras: Aristagoras, Diagoras, Athenagoras u.a. und mit – demos: Charidemos, Nikodemos, Demosthenes u.a. Sehr merkwürdige Specialissima sind die ambitiosen, zum Teil geographischen Tendenznamen, welche Themistokles und Kimon38 ihren Kindern gaben. Die jenes hießen Archeptolis, Mnesiptolema, Italia, Sybaris, Nikomache, Asia; Kimons Söhne: Lakedaimonios, Eleios, Thessalos; auch die Töchter des korinthischen Admirals Adeimantos führten Namen, die sich auf siegreichen Kampf bezogen: Akrothinion, Nausinike, Alexibia. Ambitios klingt es ferner, wenn der ältere Dionys eine Tochter Sophrosyne und eine Arete, Pyrrhos eine Nereis, der Molosserkönig Neoptolemos eine Olympias und eine Troas hatte39, oder wenn Namen wie Achilleus öfter gegeben wurden40.
Abgeschmackte Leute mochten auch ihren Sklaven berühmte Namen geben, wie jener bei Lysias41 erwähnte Mann, der die seinen Musäos und Hesiod nannte; sonst waren die Sklavennamen42 für den praktischen Zweck des Rufens meist kurz und vorherrschend Simplicia, teils nach der Heimat, wie Lydos, Syros, Japyx, teils nach Eigennamen, welche dort vorherrschten, so daß der Phryger Manes oder Midas, der Paphlagonier Tibios hieß43. Elegantere Kosenamen kommen etwa bei Zofen der Diadochenhöfe vor44. Im ganzen dürften sich vielleicht unter den Weibernamen mehr Simplicia finden als unter denen der Männer.
Auch an Tiernamen war man unerschöpflich, wie denn Xenophon im Kynegetikos siebenundvierzig Hundenamen zur Auswahl gibt, alle zum leichten Rufen nur zweisilbig. Pferdenamen von Olympioniken aus historischer Zeit überliefert Pausanias, der daneben auch die Rosse des MarmaxA4 und des Adrastos zu benennen weiß45. Überhaupt war der Mythus auch auf diesem Gebiete nicht sparsam. Nicht nur kennen wir aus Homer46 Hektors vier Rosse: Xanthos, PodargosA5, Aithon und Lampos mit Namen, sondern wir wissen auch aus verschiedenen Quellen, wie die des Poseidon, der Dioskuren, des Phöbos, der Eos hießen. Die Schlangen, welche Laokoons SohnA6 töteten, waren Porkes und Chariboia47, der von Herakles getötete Hund des Geryones Orthos48; von den Hunden Aktäons werden vier namhaft gemacht49; es fehlt nur, daß alle fünfzig ihren Namen haben. – Schließlich möge hier noch das alte Grabepigramm50 Erwähnung finden, das neben dem Namen des gefallenen Kriegers Hippaimon den seines Pferdes Podargos, seines Hundes Lethargos und seines Dieners Babes nennt.
Zum Namenluxus gehört auch die Schaffung von zwei oder mehr Namen für eine und dieselbe Örtlichkeit, die man sich aus dem Wechsel der Ansiedler erklären mag, und wobei der ältere Name etwa als der von den Göttern gebrauchte galt. So hieß die nämliche Insel Parthenia, Anthemus, Melamphyllos und endlich Samos, Rhodos hatte noch drei, Euböa noch vier andere Namen51. Umgekehrt findet sich allerdings der Name Larissa für mehrere Städte52, und auffallend ist auch die Armut an Flußnamen, indem ein Asopos, Acheloos, Kephissos an vier bis fünf Orten vorkommen53.
Von der Begabung der Griechen wurde das Wesentliche schon im IV. Abschnitt dieses Werkes gelegentlich ihres Gegensatzes zu den Barbaren berührt54. So fraglich uns die Mischung ist, aus welcher das Hellenenvolk entstand, so unmöglich wird es sein, das auszuscheiden, worin die Phönizier dessen Vorgänger gewesen sind; wir können nie mehr ermitteln, wie weit in den phönizischen Poleis die unvermeidliche Folge freistädtischen Lebens: die Weckung individuellen Geistes gediehen war. Sonst, gegenüber dem ganzen übrigen alten Orient, sind die Griechen wie lauter Geist gegenüber der Materie oder wie lauter freier Geist gegenüber von rassenhaft oder despotisch gebundenem Geist. Indem mit den Poleis eine Menge neuer Mittelpunkte des Lebens geschaffen werden, wird die Vielheit ihrer Staaten und ihrer Kulte zur geistigen Freiheit. Mit dem Gefühl der Zusammengehörigkeit und der freundlichen Ausgleichung verbindet sich hier eben frühe ein Höheres: das Schauen und Erkennen des andern, Verschiedenen und doch auch Berechtigten, bald nicht bloß innerhalb, sondern auch außerhalb der Gesamtnation, und es wird hierin eine Bestimmung des Menschen erkannt. Auch in der Genesis (II, 19) bringt Jehova alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels zum Menschen, zu sehen, wie er sie nennete, und wie er sie nennete, so sollte ihr Name sein. Die Griechen sind aber noch in einem ganz andern Sinne meropes (Teile nennend oder schauend). Während in der Folge die ganze Judenphantasie sich um ein Zentrum, den theokratischen Staat, bewegt, spielt die griechische Anschauung und Bildlichmachung schön an allen Rändern der Dinge. Freilich steht das Individuum fest auf dem Boden seiner besondern Polis, der es hier mehr angehört als so leicht irgendwo sonst. Aber weil im hellenischen Geiste zugleich die Notwendigkeit erwacht ist, über diese Polis hinwegzuschweben, verbindet sich das stärkste Bürgertum mit der frühsten allgemeinen Teilnahme am Welt ganzen. – Hierzu kommt nun noch das große plastische Vermögen in Poesie und Kunst. Früh erscheinen dem Griechen die Menschen in ihrer Vielartigkeit merkwürdig und des Gesanges wert; die Schilderung der bewegten lieblichen Erscheinung und der Seelenbewegung ist schon bei Homer vollendet. Die Poesie wird von allem Anfang an zum idealen Weltbilde, und die bildende Kunst schafft die herrlichsten Formen auf dem Gebiete des Sichtbaren.
Wieweit daneben die Griechen nach der gemütlichen Seite begrenzt waren, läßt sich fragen. Ihre subjektive Lyrik, die uns den wichtigsten Aufschluß geben würde, ist untergegangen; wir besitzen nichts als die Fragmente, in denen sie, wie auch in Epos, Elegie und Epigramm, bisweilen das Süßeste und Herrlichste haben. Aber daneben dringen die Konsequenzen der Polis auf die schrecklichste Vergeudung des Menschenkapitals, auf die förmlichen Ausrottungen, die sie gegeneinander verhängen. Über diese dürfen wir wohl klagen, wenn wir die Größe des Verlustes bedenken. Aber hindern darf uns das nicht, dieser Nation, der so unermeßlich viel gegeben ist, das abzugewinnen, was ihr abgewonnen werden kann. Nicht nil, sondern multum admirari heißt es hier.
Hier müssen wir auch nochmals55 der griechischen Sprache gedenken. Es könnte dies überflüssig erscheinen nach dem wunderbaren Abschnitte, den Curtius56 ihr gewidmet hat; aber auch der außerhalb der Philologie Stehende hat hier Ursache, sich dankbar gegen die Griechen zu äußern. Diese Sprache ist, wie Curtius sagt, "die erste geschichtliche Tat der Hellenen, und diese erste Tat ist eine künstlerische". Bei keinem Volke trägt der Gedanke eine so reiche, einfache und klare Gestalt. Zumal das Gebäude der Verbalformen ist "ein für alle Zeiten gültiges System der angewandten Logik, deren Verständnis noch heute die volle Kraft eines geübten Denkers in Anspruch nimmt". Das Entscheidende dabei ist aber nicht der quantitative Reichtum an Flexionsformen, der tatsächlich ein Luxus sein kann, sondern das glückliche Gleichmaß und die Brauchbarkeit dieses Reichtums.
Dadurch nun, daß zu dem reichen System der verbalen noch das völlig genügende der nominalen Formen kommt, und somit alle Flexionen in großer Vollständigkeit vorhanden sind, ergeben sich für das Griechische im Satzbau die größten Vorteile. Vor allem hört man im ganzen Satze sogleich, was zusammengehört, ohne mühsame Beihilfe von Umschreibungen, RelativpronominaA7 usw.57; noch eine entfernte Apposition wird gleich durch ihre Kasusendung auf kenntliche Weise demjenigen Satzteil angeeignet, auf welchen sie sich bezieht. Nur im Griechischen sind schöne Parenthesen möglich; denn hier wirken Zwischensätze als kurze Interjektionen verdeutlichend, wo sie in andern Sprachen stören und unterbrechen. Dem Numerus und in der Poesie dem Vers zu Gefallen kann daher der Satz freier und schöner geordnet werden als in andern Sprachen; es ist z.B. zur Vermeidung des Hiatus und zur Erzielung oder Vermeidung von Silbenlänge durch Konsonantenhäufung leicht, die Wörter ohne Schaden für die Deutlichkeit zu versetzen. Die Stellung von Subjekt und Objekt im Satz folgt schon völlig dem Gesetz des höhern Akzentes oder dem Wohllaut.
Zu den Spezialien des Griechischen gehört dann besonders seine Verwendung der Partizipien, die unendlich vollständiger als im Lateinischen und vollends im Deutschen vorhanden sind. Indem diese in allen Tempora ihre durchgeführten, in Genus und Zahl vollständigen Kasusendungen und dabei doch ihre volle (dem Deutschen fast ganz abhanden gekommene) verbale Kraft haben, vermöge deren sie einen ganzen Nebensatz regieren und an der richtigen Stelle an den Hauptsatz anschließen können, sind sie bald im Anschluß an ein Substantiv, bald absolut gebraucht, weitaus der Haupthebel in der Gliederung des griechischen Satzes. Hierfür kann die erste beste Stelle eines Redners oder Philosophen den Beweis liefern. Man frage sich z.B., was aus Isokrates würde, wenn man diese verdeutlichende Kraft der Partizipien aus ihm hinwegnehmen könnte. Einen hohen sprachlichen Wert hat auch das substantivisch gebrauchte neutrale Partizipium, welches nicht bloß wie die Endungen -sis, -ma und -ths Tätigkeit, Resultat oder Eigenschaft sondern, eine aktive, resp. passive Kraft bezeichnet, sowie als postulierende Form das adiectivum verbale (lekteon, prakteon). Aber auch schon das bloße Adjektiv ist kräftiger als in irgendeiner andern europäischen Sprache und führt leicht und gerne seinen Akkusativ mit sich; man ist z.B. agatos ta polemika. Außerdem ist seine Umbildung ins Adverb eine leichte und deutlich kenntliche und wird reichlicher verwandt als im Lateinischen und Deutschen58.
Überaus wertvoll für alles abhängig Gesagte ist der accusativus cum infinitivo, indem dasselbe durch diese einfachste Schattierung vom übrigen Satze deutlich als abhängig ausgeschieden wird. Man reicht damit darum weit, weil diese Konstruktion auch Genus, Modus und Tempus des Verbums mit angibt; im Deutschen würde sie uns, auch wenn wir sie hätten, wegen unseres Morastes von Hilfsverben nicht viel helfen. Auch im Infinitivus loco substantivi zeigt das Griechische seine volle Superiorität. Von den auf die erwähnten Suffixe ausgehenden Substantiven, welche den deutschen auf – ung – heit – keit entsprechen, hat er den großen Vorzug, daß er gleichfalls Passiv und Aktiv, sowie die Tempora unterscheidet59; auch er ist im Deutschen nur sehr viel ärmlicher vorhanden. Endlich erinnern wir noch daran, wie die Partikeln in Verbindung mit den Modis für alle Schattierungen des Gedankens die adäquate Form möglich machen, und daran, wie sich das Raschere und Leidenschaftlichere im Wesen des Griechen gegenüber dem streng besonnenen und juristisch genauen Römer in der Behandlung der Negationen ausspricht, die, doppelt gesetzt, meist nur stärker verneinen, während im Lateinischen die Verdopplung zur Affirmation wird.
Von der Wortbildung erwähnen wir hier die Leichtigkeit der Komposition, vor allem das leichte Anschließen der Präpositionen vorn an die Worte. Mit solchen verbinden auch das Lateinische und das Deutsche das Verbum; aber wenigstens im letztern dürfen sie ihm wieder davonlaufen, während im Griechischen der Zusammenhang in der Prosa gewahrt bleibt, und fast nur der Vers die ursprüngliche Trennung gestattet 60. Man denke ferner an die leichte Zusammensetzung eines Wortes aus zwei Begriffen, zumal in komischer Absicht. Aristophanes bildet in den Fröschen (207) aus batraxos (Frosch) und kyknos (Schwan) die batraxokyknoi (Froschschwäne), aus kraipalh (Rausch) und komos (Nachtschwärmerei) (218) kraipalokomos (im Rausche die Nacht durchschwärmend) und ähnlich (230) kalamoptoggos (schalmeigeblasen) und anderes61. Und wie hier die Sprache des Komikers, die in dieser Beziehung vom übrigen Griechisch freilich getrennt zu halten ist, sich in sehr weit getriebenen Möglichkeiten ergeht, so tut dies anderseits auch die Breviloquenz des Äschylos in seinen zusammengesetzten Adjektiven und Substantiven, die oft einen ganzen Satz ersetzen, und die wir auseinanderschrauben und auf zehnerlei Arten neu kombinierenA8 müssen, um sie unserer Redeweise zu nähern; schon der bloße Agamemnon hat deren die Fülle62.
Das Schicksal der Sprachen ist ein verschiedenes; aber einen großen Vorteil hat jedenfalls eine von dem betreffenden Volke beibehaltene Ursprache; nur sie wird organische Wahrheit haben, während hingegen adoptierteA9 Sprachen sich verstümmelt und mit Trümmern von Eigentümlichkeiten und Denkweisen der VolksspracheA10 vermengt darstellen; die Völkermischung ist anderweitig oft fruchtbar und segenbringend, aber in Sachen der Sprache gewiß nicht. Während nun aber alle, auch die ärmern Ursprachen, diejenige Bestimmtheit des Baues haben, die uns berechtigt, sie als organisch zu bezeichnen, zeichnen sich einige dadurch aus, daß sie organisch schön und reich sind. DaA11 deren frühste erhaltene Gestalt die reichste zu sein pflegt, und wir tatsächlich nie das Werden, sondern nur das Abblühen und Abstumpfen kennen lernen, bleibt die Entstehung der Sprachen ein freies philosophisches oder auch physiologisches Problem, ein Reich der Hypothesen. Hierbei beweisen aber ärmere Ursprachen deshalb nichts für den Hergang bei den reichern, weil sie nicht bloß par malbeur am Reifwerden verhindert worden und so auf einer einfachern Stufe stehen geblieben, sondern a priori auf größere Armut angelegt sind.
War es eine allmähliche Entwicklung, etwa vom Verbum aus, oder eine gleichzeitige, mit dem plötzlichen Anschießen von Kristallen vergleichbare? Wille und Kraft zu einer bestimmten Entfaltung bis in alles einzelne hinein muß ja doch potentialiter schon im Keim gelegen haben, so gewiß als der Vogel im Ei63. Aber selbst die vorhandene und zwar im ganzen Volke gleichmäßig verbreitete Prädisposition und Anlage vorausgesetzt, muß doch vielleicht noch ein besonders bevorzugter Stamm mit einer besonders bevorzugten Hauptfamilie angenommen werden, von welchen dann das ganze Volk sukzessive die vollendeten Formen, weil ihm höchst gemäß und in seinem angeborenen Sinne geschaffen, angenommen hat. Auch zugegeben sodann, daß die Entwicklung vom Verbum ausging, erhebt sich die neue Frage, ob die Flexionen oder der Wortschatz das Frühere waren, oder ob sich beide zugleich fixierten, und jedenfalls melden sich auch wieder beim lexikalischen Reichtum die gleichen Fragen wie bei der Formenwelt: wieweit er sukzessive oder durch ein plötzliches Reifen oder durch provinziale Ausgleichung entstand.
Es wird stets überaus schwierig sein, sich den Hergang irgendwie vorstellig zu machen. Man fragt: Wozu dieser enorme Reichtum des Organismus in früher Zeit, da man ihn nach unserm Maßstab noch gar nicht brauchen konnte? Wozu dieses Spiel mit jener Fülle von Formen? Wozu z.B. der Luxus des Dual? Man muß sich in eine Zeit versetzen, da Ohr und Sinn unendlich frisch und fein waren, da die Sprache um ihrer eigenen Wonne willen so reich als möglich, so lebendig als möglich zu sein begehrte. Wäre das Werkzeug erst mit seinem praktischen Gebrauch (im Sinne der Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit) entstanden, so hätte es schwerlich seine Gleichartigkeit beim ganzen Volke erreicht. Es würde eine Sprache der Intelligenten und eine Sprache der Stumpfen gegeben haben, und die Sprache würde die Spuren eines so pauvren Ursprungs tragen, namentlich durch kenntlich entlehnte Fremdausdrücke. Überhaupt schafft der Gebrauch die Sprache gewiß nicht, sondern stumpft sie nur ab.
Innerhalb der reichen Ursprachen fragt es sich dann, in welchem Momente sie durch große und dauernde Geisteswerke oder heilige Schriften fixiert werden, und hier pflegen wir zu dem Satze hinzuneigen, daß das Griechische sich literarisch in einer noch sehr günstigen Entwicklungszeit, wesentlich mit Homers Vorgängern und mit ihm selbst fixiert habe; ein solcher Moment der Entwicklung werde dann eben festgehalten. Indes ist der Begriff einer Fixierung durch solche Werke doch etwas präziser zu prüfen. Die populäre Änderung resp. Korruption der Sprache wäre vielleicht auch durch Homer nicht aufgehalten worden, wenn sie hätte eintreten wollen, wie denn die Vedas trotz ihrem hohen Ansehen schon frühe die stärkste Umwandlung des Altindischen nicht gehindert haben, und die heutigen Kopten sogar ihre koptischen Ritualien nicht mehr verstehen, und im Grunde handelt es sich bei Homer doch besonders um eine Fixierung in bezug auf die Betrachtung der Nachwelt. Das Entscheidende liegt vielmehr darin, daß die große Kultur überhaupt in eine Zeit fiel, da die Sprache noch ihren ganzen Reichtum, ihre volle Schönheit besaß. Dies ist nicht bloßA12 eine Sache der Anlage, sondern wesentlich des Glückes. Zu all dem vielen, was wir Germanen gehabt und doch nicht haben festhalten können, gehört, wie das Gotische beweist, der Reichtum der Formen und der reiche Wohllaut, den die Sprache in einer Zeit hatte, die noch keine höhere literarische Fixierung erleben konnte; die mittelhochdeutschen Meisterwerke dagegen sind in einer Sprache verfaßt, die lange nicht mehr die primitiven Vokale besitzt, überhaupt viel mehr eingebüßt hat, und dies war eben bei den Griechen anders.
Nun hat es in einer stumpfern Ursprache einen Jesajas und in einer abgeleiteten Sprache einen Shakespeare gegeben, und diesen mag es genügen, daß sie Höhepunkte des nationalen Vermögens sind. Sagen kann man gewiß auch in diesen Sprachen vieles, aber man kann keine Seite Plato ins Hebräische übersetzen64, und ein stumpfes Organ überwinden zu müssen verlangt schon eine Kraft, welche dann dem direkten Verkehr mit dem Geistigen verloren geht. Bei den Griechen aber kann die Rückwirkung der einmal vorhandenen Sprache auf die Nation gar nicht groß genug gedacht werden; hierin sind sie gegen alle andern Nationen im Vorteil. Wenn von ihnen gar keine andere Kunde als ihre Sprache erhalten wäre, würde dies von psychologischer Seite schon das erstaunlichste Phänomen sein, und der Historiker, der die Gabe des Erstaunens, wie dies seine Pflicht ist, möglichst lang in sich erhält und pflegt, wird angesichts eines so rauschenden Spiels, wie es die griechische Sprache bei Aristophanes mit ihren eigenen Mitteln übt65, stets konstatieren müssen, daß hier etwas vorliegt, was gar keine andere Sprache vermocht hat.
Ganz auffallend spät erst löste sich von der Sprache selbst ein Wissen von der Sprache, ein grammatisches Bewußtsein los66. Der Sophist Protagoras war der erste, der – und zwar bei Gelegenheit seiner rhetorischen Bestrebungen – die grammatischen Formen: Genera, Genusendungen, Tempora, unterschied; auch erkannte er, wie sich die vier Modalitäten der Aussage: Frage, Antwort, Befehl und Wunsch oder Bitte in den Modis des Verbums ausprägen67. Es gab (in Sizilien) um ein Menschenalter früher eine Rhetorik, ehe die ersten Elemente der Grammatik gefunden wurden. Aus dieser so späten Entwicklung des grammatischen Bewußtseins erklärt es sich, daß noch Aristoteles es im 20. und den folgenden Kapiteln der Poetik nötig findet, in einer Theorie der Dichtkunst die ersten Elemente der Grammatik und Linguistik als Grundlage der Bestimmungen über poetische Diktion zu besprechen, wobei freilich noch manches mangelhaft und in der Erklärung streitig ist. Noch hundert Jahre später hat sich dann die Stoa das Verdienst erworben, die auch zu den Römern übergegangenen, jetzt noch herrschenden grammatischen Termini zu schaffen. Erst sie also ist mit der Grammatik einigermaßen fertig geworden.
Schließlich noch ein Wort über die Dialekte. Das Dasein derselben ist ein Phänomen, das die griechische Sprache mit allen möglichen andern gemein hat. Sie hatte derselben ziemlich viele und stark untereinander abweichende, wie, abgesehen von den literarischen und inschriftlichen Monumenten, die Hauptstelle über ihren Bestand am Beginn von Strabos VIII. Buche lehrt68. Bei neuern Völkern nun erhebt sich entweder, wie dies im XII. und XIII.A13 Jahrhundert der Fall war, eine höfische Sprache zur Sprache der Dichter, oder ein örtlicher Dialekt wird (wie seit dem XIV. Jahrhundert das Hochdeutsche) durch günstige Lage und politische Umstände allmählich zur Schriftsprache für die ganze Nation. Die Dialekte leben daneben mit provinzialer Geltung im Munde des Volkes als Patois weiter, daneben etwa auch in der volkstümlichen Predigt und in öffentlichen Aktenstücken usw. Es kommt dann auch die Zeit, da man sie für eine Unehre hält, und Jedermann zur einen offiziellen Sprache gehören will, und erst später erfolgt wieder eine absichtliche, aber bloß lokale Pflege derselben, in scherzhafter und gemütlicher Absicht und sehr beschränkt. Nur in Italien ist ihre wirkliche Vertretung in der Literatur nie ganz ausgestorben.
Bei den Griechen ist es ein Analogon zu einem Stück dieser Entwicklung, daß durch politische Gewalt ein Dialekt von einem andern verdrängt werden konnte. Wenigstens sagt Strabo69 von den Megarern, daß sie, nachdem die Herakliden ihr Land genommen und die Polis Megara gegründet hätten, aus Ioniern zu Doriern gemacht worden seien, und so spricht denn richtig der Megarer in den Acharnern des Aristophanes dorisch. Auch das ist ferner bei ihnen normal und erinnert an die Verbreitung des höfischen Mittelhochdeutschen, daß das sogenannte Episch-Ionische, welches sich lange vor Homer imA14 Hesiod fixiert hatte, bereits vor der Gründung der Kolonien in Kleinasien die Sprache der Bildung und der Poesie war70. Zumal Homer muß dann zu sehr in alle Ohren eingedrungen sein, als daß ein Epiker sich von seiner Sprache hätte losmachen können, und diese hat denn auch sicher von früh an ausgleichend gewirkt; ohne das Dasein des Heldengesanges würden die Dialekte sich vielleicht überhaupt viel schroffer und geschiedener behauptet haben.
Den Griechen eigentümlich ist nun aber das Phänomen, daß auch Nichtangehörige eines Dialekts in demselben dichten oder schreiben, wenn die Gründer der betreffenden Gattung demselben angehört haben, und daß die ganze Nation deren einige aus wesentlich ästhetischen Gründen nebeneinander behauptet und darüber als über ein ästhetisches Element verfügt. So schien das Episch-Ionische dergestalt auf alle Zeit untrennbar mit dem erzählenden Hexameter verschwistert, daß Alexandriner, wie Apollonios von Rhodos, sogar eine mehr als Homerische Sprache affektierten, und gerade die allerspätesten Dichter, wie Nonnos, hierin am meisten taten. Im mehr eigentlich ionischen Dialekte sodann, welcher der der Elegie wurde, ließen sich nicht nur die spartanischen Erzdorer die Gesänge des Tyrtäos gefallen71, sondern der dorische Megarer Theognis dichtete seine Distichen in dieser Sprache. Während weiter die subjektive Lyrik sich an das durch epische Elemente gemilderte und veredelte Äolische72 hält – Anakreon mit seinem Ionisch macht freilich eine Ausnahme – ist überaus merkwürdig das Vorrecht des Dorischen auf die chorische Lyrik, deren sonst im wesentlichen epische Sprache mit einer Menge von Dorismen durchsetzt erscheint73; der wichtigste Repräsentant dieser chorisch-dorischen Sprache ist der Thebaner Pindar, welcher derselben seine Popularität in der engern Heimat geopfert haben soll74. Das Stärkste aber ist, daß die attische Tragödie in ihren lyrischen Bestandteilen zwar nicht eigentlich dorisch redet, aber doch, weil die chorische Lyrik überwiegend dorischen Ursprungs war, dorisiert, während der iambische Dialog attisch ist. Eine Tradition, die zu stark war, als daß man von ihr hätte abgehen können, wird somit die Veranlassung, daß die Dialekte als eine Sache des Kolorits ästhetisch verwendbar werden; man wird dadurch an die Kombination des dorischen und ionischen Baustils in den Propyläen und andern Gebäuden erinnert75; auch für die Dialekte hieß es eben exo, oyk exomai (ich habe sie, sie nicht mich). Die Griechen haben sie als ein freies ästhetisches Element verwandt und sind nicht Knechte, sondern Herrn derselben geblieben, und so konnte Theokrit schließlich die epischen Stücke in völlig homerischer Sprache verfassen, die lyrischen und dramatischen ähnlich, doch schon mit zahlreichen Dorismen, die pastoralen, weil er hier das Kostüm des überwiegend dorischen Siziliens festhalten will, rein dorisch und endlich zwei Idylle (XXVIII u.f.) in der äolischen Sprache des Alkäos und der Sappho76.
Ähnlich ging es aber auch mit der Prosa. Weil die prosaische Geschichtsdarstellung in dem ionischen Milet ihren Anfang genommen hatte, schrieb nicht nur Herodot von Halikarnaß, sondern auch Akusilaos von Argos in der ionischen Mundart mit ihren gedehnten Endungen, gehäuften Vokalen und weichen Formen77, und weil er den Ionier Demokrit bei näherer Bekanntschaft aufs höchste bewunderte, soll dasselbe der Dorer Hippokrates aus Kos getan haben78. Während aber die zwei größtenA15 Schriftsteller dorischen Stammes ionisch schrieben, ist umgekehrt die pythagoreische Literatur ein für allemal dorisch, die einzelnen Verfasser mögen angehören welchem Stamme sie wollen.
Nur erinnern wollen wir daran, wie schließlich das Attische vermöge seiner zentralen Eigenschaften und seiner großen Repräsentanten für die griechische Bildung bestimmend wurde. Es wird die Hofsprache der Diadochen und die Grundlage des spätern Gemeingriechisch (der koinh), und daneben dauert bis in die späte Zeit das Bemühen einzelner fort, den reinstenA16 Attizismus festzuhalten79. Die alexandrinische Zeit aber mit ihrer gewaltigen Ausdehnung der grammatischen und stilistischen Studien kam dann besonders auch den Dialekten zugute80. Es entstanden eine Menge Schriften sowohl über die alten Volksdialekte als über die Sprechweise moderner Städte wie Syrakus und Alexandrien.
Fußnoten
1 Archäologie 328 ff.
2 So die Stelle Lukian, imag. 2, wonach in Ionien wieder Smyrna die schönsten Frauen hat.
3 Wie alt ist wohl die Quelle, aus welcher Älian V.H. XII, 1 die Schilderung der jüngern Aspasia, der Geliebten des jüngern Kyros und des Artaxerxes Mnemon entnahm? Oder stammt dieselbe von Älian selbst?
4Cic. de nat. deor. I, 28, 79. – Vgl. auch Dio Chrysost. "Melankomas oder über die Schönheit", wo für die Abnahme der männlichen Schönheit das Maß an den Statuen von Olympia genommen wird; wo sie vorkomme, würdige man sie auch nicht mehr oder mißbrauche sie, worauf dann das Verhalten der Barbaren zur Schönheit besprochen wird.
5 Aristot. Rhet. I, 5, 5. – Ebd. 6 heißt es bei Anlaß der Qualitäten, die eine Sache zieren: thleion dAareth somatos men kallos kai megetos pyxhs de syprosynh. Also zur Frauenschönheit gehört auch eine gewisse Größe. – Über das raschere Verblühen der weiblichen Schönheit vgl. Eurip. Äolos, fragm. 24 (Nauck).
6 Man vgl. z.B. die Stelle Plato, de re p. V. 19, p. 474, wo von der Bewunderung der Liebhaber für verschiedene Formen die Rede ist.
7 Herodot. VI, 61.
8 Ebenda V, 47.
9 Vgl. die Band I, S. 318 angeführte Erzählung von Isadas aus Plut. Ages. 34.
10 Herodot. IX, 25.
11 Ebenda VII, 187.
12 Äolos, Eurip. fragm. 15 (Nauck).
13 Vgl. Band III, S. 22. Physiognomisches, wahrscheinlich aus Aristoteles, findet sich auch bei Antigonos 114 (bei Keller, Paradox).
14 Athen. V, 62. – Zum Aussehen des Griechen gegenüber dem Barbaren, von dem er sich besonders auch durch seine Bartlosigkeit unterscheidet, vgl. Lukian, Scytha 3.
15 Il. X, 79 epei oy men epetrepe ghrai lygro.
16 Zum Jammer über das Alter vgl. Band II, S. 374.
17 Ilias X, 572 ff., XI, 621 ff.
18 Vgl. Band I, S. 72. – Über den Zusammenhang der physischen Kraft und Schönheit mit dem Töten und Aussetzen kränklicher und verkrüppelter Kinder vgl. Hellwald, Kulturgesch. S. 276.
19 Was das verwachsene Bein im Leben des Agesilaos für eine Rolle spielte, vgl. Plut. Ages. 1 f.
20 Vgl. Band II, S. 361.
21 Band 1, S. 67, 156, II, S. 352.
22 Vgl. darüber K.F. Hermann, Griech. Privataltert. § 32.
23 Dieser konnte freilich ein alter Geschlechtsname sein; so heißt Kimon nach einem Demos Lakiadai Lakiadhs.
24 Vgl. Aristoph. Vögel 494.
25 Daß man den Mangel der Familiennamen doch mag empfunden haben, dürfte daraus erhellen, daß Namen vom gleichen Stamme für den Vater und mehrere Söhne vorkommen. So hat bei Lysias XVII, 3 ein Eraton die drei Söhne Erasiphon, Eraton und Erasistratos.
26 Man denke z.B. an die Namen der Zwerge, Völuspa Nr. 11-16 in Simrocks Edda, S. 5 (eine Variante S. 286).
27 Wenn einst namenlose Götter verehrt worden wären (vgl. Band II, S. 21), so hätte man sich jedenfalls dafür später reichlich schadlos gehalten.
28 Theog. 243 ff. Es sind teils Simplicia, teils schön gebildete Komposita. Homers Nereidenkatalog Ilias XVIII, 39 ff., augenscheinlich der ursprünglichere, weicht verschiedentlich davon ab. In dieser reichen Namengebung brauchen die einzelnen Aöden gar nicht immer übereingestimmt zu haben.
29 Theog. 349 ff. – Es sind darunter berühmte Namen wie Dione, Metis, Kalypso, Tyche, Styx, "die vornehmste von allen".
30 Paus. VI, 21, 7.
31 Diod. IV, 16.
32 Hygin, fab. 134.
33 Welcker, Die Komposition der Polygnotischen Gemälde in der Lesche zu Delphi. Abh. d. Berl. Ak. 1847, S. 116.
34 Herodot I, 139. – Es dürfte dies wohl eine zweite Namengebung, etwa bei der Erklärung der Mannbarkeit, voraussetzen.
35 Artemidor III, 38 führt aus, was der Name der in den Träumen erscheinenden Personen für eine Vorbedeutung mit sich hatte.
36 Auch die Simplicia sind übrigens oft schön. – Daß gegenüber dem Stammwort oder der Abkürzung das volle Derivatum als vornehmer galt, lehrt Lukian, somn. 14, wo der reichgewordene Simon, vom Schuster Mikyllos noch als Simon begrüßt, sich hierüber entrüstet und "Simonides" heißen will. – Über die von Göttern abgeleiteten Namen vgl. Lukian, pro imagin. c. 27. – Ein Versuch, die Namen nach ihrem Inhalt zu sortieren, findet sich bei Athenäus X, 69.
37Aristoph. Wolken 60 ff.
38Plut. Them. 32.Kimon 16.
39Plut. Dion 6. Paus. VI, 12, 2. Justin. VII, 6.
40 Ptolem. Hephäst. VI kennt außer dem großen Achilleus noch vierzehn andere, "on oi dyo kynes hsan kai taymasioi ta kynon erga".
41 Lys. fragm. 67.
42 Vgl. über dieselben Hermann, Privataltert. § 13, 13 ff.
43 Dies nach Strabo VII, 3, 13, p. 304. – Lukian, Timon 22 zitiert als häufige Sklavennamen: Pyrrhios, Dromon, Tibios. – Ein Verzeichnis echt nationaler Namen von phrygischen Flötenbläsern gibt Athenäos, XIV, 18.
44 Polyän VIII, 50 kennt am seleukidischen Hofe eine Panariste, Mania und Gethosyne. Die auch sonst (ebd. 54) in Kleinasien vorkommende Mania dürfte übrigens mit Manes zusammengehören, sie findet sich auch Aristoph. Thesm. 754.
45 Pausan. VI, 10, 2. VI, 21, 6. VIII, 25, 5.
46 Ilias VIII. 185.
47 Tzetzes, Lykophr. 344.
48 Eudocia, Violar. 356.
49 Pollux V, 47, nach Äschylos.
50 Bergk, lyr. S. 8.
51 Strabo XIV, 1, 15, p. 637. 2, 7, p. 653. X, 1, 3, p. 445.
52 Ihr Verzeichnis bei Strabo IX, 5, 19, p. 440.
53 Zu den Namen von Bächen mit ihrer zum Teil sehr schönen Deutung vgl. Preller I, S. 343.
54 Band I, S. 290 ff.
55 Über das Griechische als Organ der Philosophie vgl. Band III, S. 277 ff.
56 Griech. Gesch. Band I, S. 16 ff.
57 Man denke an Sätze wie das Wort des Perikles bei Thuk. II, 64: Ellhnon Ellhnes pleiston hrxamen.
58 Man denke an Wendungen wie epitymhsas monarxias alogos kai manikos.
59 Vgl. Fälle wie meizon kakon to adikein h to adikeistai, wo wir mit "Schädigung" nicht ausreichen.
60 Vgl. z.B. Odyss. XI, 425 Xersi katA optalmoys eleein, syn te stomA ereisai.
61 Ach. 390 skotodasypyknotrila tinA Aidos kynhn vereinigt er zwei Substantive und zwei Adjektive in einem Wort. An seine ganz langen Wortschlangen möge hier nur erinnert sein.
62 Schon V. 12 klagt der Wächter über seine nyktiplagktos eynh. – Nur haben diese Komposita (wie teknopoinos, nympoklaytos) bisweilen den Übelstand, daß man ihre aktive oder passive Bedeutung erst erraten oder sonst schon wissen muß.
63Renan, de l'origine du langage, p. 16, betrachtet die Sprache comme formé d'un seul coup, et comme sorti instantanément du génie de chaque race.
64 Vgl. Band III, S. 278.
65 Man vgl. z.B. Frösche 814 ff.
66 Es möge hier auf Steinthal, Gesch. der Sprachwissenschaft bei den Griechen und Römern, Berlin 1863, verwiesen sein.
67 Vgl. Susemihl, Anmerk. 214 zu Aristoteles Poetik.
68 Was für eine Menge ganz abweichender Wörter z.B. die Thebaner für die gewöhnlichsten Gegenstände hatten, lehrt Athen. XIV, 15 mit dem Zitat aus Strattis, und ähnlich muß es in Sparta gewesen sein.
69 Strabo IX, 1, 7, p. 393.
70 O. Müller, Lit.-Gesch. I, 142.
71 Lykurg sollte sie ja schon an den homerischen Dialekt gewöhnt haben.
72 O. Müller I, S. 299.-Vgl. S. 355: "Die Dialekte stellen nie eine Volksmundart rein dar, sondern immer mehr oder minder veredelt und gehoben durch den Dialekt der epischen Poesie, die als die Mutter und Erzieherin aller Gattungen der Dichtkunst bei den Griechen galt."
73 Ebenda S. 296.
74 Pausan. IX, 22, 3 berichtet von einer Malerei zu Tanagra, welche Korinna darstellte, die sich wegen ihres Sieges im Gesange, den sie zu Theben über Pindar davongetragen, die Tänia ums Haupt legt, und erklärt diesen Sieg mit ihrem Dialekt, "weil sie nicht, wie Pindar, in dorischer Sprache sang, sondern so, daß es die Äolier verstehen konnten".
75 Vgl. Band III, S. 45.
76 In der spöttischen Verwendung verschiedener Dialekte, um eine Gegend lächerlich zu machen, weil sie nicht betont wie die unsrige, welche ja die trefflichste sein muß, stimmt das Griechische mit den Literaturen aller Völker überein. Bei komischer oder sonst realistischer Absicht mußte man sie knechtisch genau und täuschend vortragen, und so läßt Aristophanes seinen Megarer, Böoter, Lakonier und den Skythen der Thesmophoriazusen mit seinem gebrochenen Griechisch in voller Breite ihre Sprache reden. (Kein echtes Triballisch, sondern ein Abracadabra mit korrupten griechischen Wörtern sind die Worte des Triballergottes in den Vögeln.)
77 O. Müller I, S. 496.
78 Dies nach der Hauptstelle, Älian V.H. IV, 20.
79 In Athen galt eine gelehrte Nuancierung des Dialekts stellenweise für ehrwürdiger als die gewöhnliche Rede. Man gehorchte nach Alexis bei Athen. XIV, 15, dem Arzte eher, wenn er ptisana kai tryblion, als wenn er ptisanhs tryblion und eher, wenn er seytlon als wenn er teytlion verordnete.
80 Zu der Menge von Arbeiten späterer Grammatiker über die Dialekte vgl. u.a. die Erwähnungen bei Westerm. biogr. S. 378 ff. bei Anlaß von Tryphon, Tyrannion und Philoxenos.
Anmerkungen
A1 Oeri: Konzession.
A2Oeri: Mnesarchidas.
A3Oeri: schüttet.
A4Oeri: Oenomaos.
A5 Oeri: Podarges.
A6 Oeri: Söhne.
A7 Oeri: Relativpronominibus.
A8 Oeri: komponieren.
A9 Oeri: während abgeleitete und gemischte Sprachen.
A10 Oeri: Denkweisen eines fremden Elementes vermengt.
A11 Oeri: sind, und da.
A12 fehlt bei Oeri.
A13 Oeri: XIII. und XIV.
A14 Oeri: und.
A15 Oeri: diese zwei.
A16 Oeri: reinen.
Neuere gehen bei Taxierung des Wertes der einzelnen Zivilisationen etwa von "Fortschritten" und "Erfindungen" aus, wobei dann die Griechen sehr kurz zu kommen. Ägypter und Babylonier sind schon Jahrtausende her sehr fleißige Leute gewesen und haben technische, mechanische, chemische Leistungen der höchsten Art aufzuweisen, bevor sie ihr Tagediebeleben begannen. "In materieller Beziehung haben die Griechen auch nicht eine nennenswerte Erfindung hinterlassen", sagt Hellwald; "ja auch in ihrer Gedankenwelt und Formenwelt haben sie sich den stärksten vorderasiatischen Einflüssen gar nicht entzogen".
Es ließe sich auf die letzte Behauptung entgegnen, daß sie eben nur allem ihre Fasson gegeben haben. Was aber jene "Fortschritte" betrifft, so ist darüber zweierlei zu sagen. Erstlich ist die Ansicht erweislich falsch, daß sich erstA1 mit der materiellen Bereicherung und Verfeinerung des Lebens auch der geistige Fortschritt einstelle, indem erst mit der Armut auch die Roheit verschwinde. Hie und da offenbart bei bevorzugten Rassen, auch wenn die materielle Kultur sehr mäßig ist und der von Hellwald so hochgeschätzte und vom Luxus so sorglich unterschiedene1 "Komfort" gänzlich fehlt, alles, was von der Seele eines Volkes abhängt, schon die höchste und reichste Schönheit, und nun geht ja über die Geschichte der Nausikaa an Seelenschönheit und Zartheit nichts mehr hinaus2. Sodann aber garantiert die materielle Bereicherung und Verfeinerung des Lebens nicht gegen die Roheit. Diejenigen Klassen, welche mit ihr emporgekommen, sind oft unter luxuriöser Tünche erst recht roh und gemein und die, welche unten bleiben, vollends. Und ferner führt sie mit sich auch die Ausnützung und Erschöpfung der Erdoberfläche, sowie die Vermehrung, gleichA2 Verpöbelung der städtischen Menschheit, d.h. alles, was auf den Untergang hindrängt, auf jenen Zustand, da sich die Welt doch wieder nach "Erfrischung" durch noch unverbrauchte Naturkräfte, also nach einer neuen "Roheit" umsieht.
Da wir nun hier die Griechen nicht nach ihrem äußern, materiellen Dasein zu schildern haben, dürfen wir auch die materielle Tradition, die sie von Vorderasien empfingen, glücklicherweise übergehen. Sie selbst haben ja andern Völkern ihre Erfindungen und Entdeckungen im ganzen gerne gelassen3, wenn auch etwa einmal ihr Ehrgeiz erwachte und fand, es wäre doch schön, dergleichen auch gemacht zu haben4; für die mythische Anschauung der Kulturfortschritte hatten sie neben andern Verbildlichungen5 ihren Prometheus, der der Menschheit das Feuer gebracht und sie vom Verzehren des rohen Fleisches (omopagia) befreit hatte.
Überhaupt ist hier nicht von den ersten Anfängen zu sprechen. Vor allem nicht von der hypothetischen allgemeinen Urgeschichte der Menschheit, wovon Lucrez6 – wahrscheinlich nach epikureischer Doktrin – ein immerhin lesenswertes Bild gibt, ebenso nicht von den prähistorischen Menschen, den Troglodyten und makedonischen Pfahlbaumenschen usw., auch nicht von den indogermanischen (über Phrygien gekommenen) vermutlichen Einwanderungsschichten usw.A3, zumal auch nicht von den verrufenen. Pelasgern. Da ferner lebendig doch nur der mythisch-heroische Mensch überliefert ist, und die archäologische Forschung täglich neue Resultate bringen kann, beschäftigt uns auch die Frage, wer die Herrschenden und Dienenden von Alt-Ilion, Orchomenos, Tiryns, Mykenä waren, hier nicht7, und nur kurz wollen wir auch darauf hinweisen, daß die Griechen außerhalb ihres Landes urkundlich waren, bevor sie auf eigene Rechnung in ihrem Lande selbst mythisch sind. Wir denken dabei an die ägyptischen Inschriften des XIV. Jahrhunderts, welche die Namen der DardaniA4 (Dardaner), Daanau (Danaer), Tekkra (Teukrer), AchaiuschaA5 (Achäer) usw. als Gefangener der Ägypter enthalten und, wenn die Namendeutung richtig ist, auf Raubfahrten gegen Ägypten schließen lassen, die, was die Entfernung betrifft, nur an den Wikingszügen ihr Gegenstück haben8. Der Heroenmythus trennt diese uralte Welt von der historischen, bald nur wie ein zarter Schleier, bald wie ein dichter, fester Vorhang; wir sehen von jenseits her etwas schimmern oder hören auch nur Waffenklang und Rossestampfen, dumpfen Ruf und Ruderschlag; es ist das alte Tatsächliche, das aber nicht mehr als solches zu uns hindurchdringen kann. Und es ist kaum ein Schade drum; die alten Piraten dürften vielmehr froh sein, daß man von ihnen nichts Näheres weiß; es würde kaum erbaulich lauten. Der Vorhang allein macht das Tatsächliche, also Vergängliche, zum Unvergänglichen.
Im weitern sind hier auch die Wandersagen und die frühesten mythischen Städteeroberungen zu übergehen. Von jenen ist das für uns Brauchbare schon bei früherer Gelegenheit erörtert worden9; was diese betrifft, so sind die Städteeroberungen des Herakles sachlich und zeitlich von sehr verschiedenem Ursprung10. Jedenfalls aber wollen einzelne Städte, wie Athen und Theben11, schon enorm viel erlebt haben, bevor sie in die urkundliche Geschichte eintretenA6, und es ließe sich fragen, ob die ganze übrige Welt noch eine einzige Stadt von so schicksalsreichen Präcedentien, wie Theben, besessen habe.
Schließlich ist hier auch eine Charakteristik nach Stämmen zu unterlassen, so stark auch die Gegensätze beim KoloniegründenA7 und später noch im Peloponnesischen Kriege betont werden, und wenn schon z.B. bei Thukydides (I, 124) die Korinther meinen: "man muß den Potidäaten helfen, weil sie Dorer sind und von Ioniern belagert werden". Diese Gegensätze wurden, wenigstens in der spätern Zeit, nur wieder aufgerufen, wo es diente12.
Das Volk, das in der Welt die Griechen hieß, hat nun in den verschiedenen Epochen seines Lebens eine ganz ungemein verschiedene Ausdehnung gehabt, und man hat sich bei ihm immer wieder den stark veränderten geographischen Horizont klarzumachen. So erhebt sich denn auch schon für den Mythus sowohl der vortroischen als der troischen Generation und der Nostoi die Frage nach dem Schauplatze, wobei wir davon absehen wollen, daß das Terrain selbst noch in Wanderung begriffen ist, indem der Hellespont, der Euripus, der Faro von Sizilien ein früher zusammenhangendes Land durchrissen haben sollen, und Lesbos als ein Fragment des Ida, der Ossa als eines des Olymp gilt usw.13. Als Gaue der Sage kommen natürlich vor allem der Peloponnes mit den westlichen Inseln, Hellas und Thessalien in Betracht; aber auch noch Ätolien ist damals berühmt14, und sogar Epirus. Ferner wird ein ansehnlicher Küstenrand in Makedonien und Thrakien als griechisch vorausgesetzt: in dem perrhäbisch-magnetischen Gyrton am Fuße des Olymp herrschten Peirithoos und Ixion; auf der Halbinsel Pallene hausten die Giganten, welche Herakles erlegte; Asteropaios, der Sohn des Pelegon, stammt aus dem spätern Makedonien; Abdera hieß nach Abderos, welchen die Rosse des Diomed fraßen; auf Samothrake waren Iasion und Dardanos zu Hause, zu geschweigen des Orpheus, der nach dem Thrakien der Sänger, d.h. Pierien gehört, und u.a. im Dorf Pimpleia bei Dion wohnte. Ferner ist die nordwestliche Ecke von Kleinasien nebst Lesbos im Mythus hochberühmt. Die Ilias zeigt eine ganz spezielle Kenntnis der ganzen Gegend am Ida; an den dortigen Höfen mögen Homers Vorgänger ihre Lieder gesungen haben15; auch der Weg der Argonauten bis Kolchis ist in den großen, heroischen Mythos aufgenommen, und südlich reicht derselbe über das wenigstens durch die späteren Schicksale der Auge und des Telephos bekannte mysischeA8 Pergamos bis an den Berg Sipylos, wo Tantalos, Pelops und Niobe hausen16. Dagegen ist ganz Ionien, wo doch Homer lebte und sang, nebst KarienA9 von dem Gesamtmythus wie abgeschnitten, obschon es dort an der ganzen Küste an religiösen Einzelmythen nicht fehlte. Die Bevölkerung muß irgendwie nicht die Kräfte gehabt oder den Moment verpaßt haben, sich in denselben hineinzuflechten, weshalb die von Curtius vertretene Annahme, daß sie schon vor der dorischen Wanderung urgriechisch gewesen sei, uns nicht ganz sicher erscheint. Erst Rhodos ist dann wieder schon von alters her der Sitz der aus Kreta gekommenen Telchinen, und das Heiligtum der Athene zu Lindos ist von den Danaiden gestiftet; zumal aber folgt nun ganz unvermutet als eine mythenberühmte Gegend Lykien mit seinem alten Apollsdienst, seinen Sagen von Leto, die mit ihren Kindern hier Pflege gefunden, und dem Mythus von Bellerophontes und der Chimära17. Mythisch hochberühmt sind auch eine Anzahl von Inseln, und besonders wird die Bedeutung Kretas für den Mythus immer merkwürdig sein. Was aber die weiteren Gründungen am Strand von Pamphylien, in Kilikien und auf Zypern betrifft, so werden wir nie mehr in den Prozeß hineinsehen, wodurch sie griechisch waren oder wurden; neben denjenigen, die sich durch Anknüpfung an die Nosten als nachheroisch zu erkennen geben, gibt es auch etwa eine, welche deutlich älter sein willA1018. Wo dann der Mythus nach Phönizien und nach Ägypten züngelt (Andromeda, Busiris, Proteus), ist er nur schön fabelhaft.
Wie bei der kleinasiatischen Südküste, so könnte sich auch im Westen die Frage erheben, wieweit der Mythus uralt, und wieweit er erst ein Reflex der späteren Kolonisation sei; doch ist es meist handgreiflich, daß er erst mit den Kolonisten hinübergewandert ist. Hier kommen in Betracht die Leute des Iolaos auf Sardinien19, die verschiedenen Lokalisationen des Herakles bis an die nach ihm benannten Säulen20, die Sagen von geflüchteten Troern, wie Antenor als Gründer Pataviums21, Äneas, der Sizilien berührt und bis Latium gelangt22, den troischen Elymern auf Sizilien23, ferner die Nostoi der achäischen Helden, zumal Diomeds, dessen Herrschaft am Adriatischen Meere durch die insulae Diomedeae bezeugt wurde, und der bei den Venetern noch zu Strabos Zeit göttliche Ehren genoß24. Auch hatte man für den Westen einen König, Latinos, vorrätig, welcher für beliebige Ankömmlinge Töchter bereit hatte, wie z.B. die Laurine für den Lokros25, zu geschweigen von Phaethon am Eridanos26, den aus Thessalien kommenden Pelasgern als Gründern von Cäre-Agylla27, den Pisaten Nestors als solchen des italischen Pisä28, Iason auf Elba und den Argonauten in Istrien29, Euander auf dem Palatin, dem Odysseusgefährten Polites bei Temesa30, der Gründung des lukanischen Petelia und Krimissas durch Philoktet31, der Lokalisierung des homerischen Äolos auf den liparischen Inseln32 u.a.m. – Überall fand eben eine doppelte Operation statt, indem einesteils die Griechen Sagen von weitgereisten Leuten ihrer Nation, sowie den Wunsch, diese Sagen festzuhalten, besaßen, anderseits die sämtlichen anderen Nationen, wo immer die hellenische Kultur hinkam, den Mythus als ein wundervolles Produkt aufnahmen und mit demselben zusammenzuhangen wünschten; den Grad aber des Wunsches der Griechen, sich zu verbreiten, und des Entgegenkommens der anderen wird man nie mehr bestimmen können.
Nun ist aber überhaupt alles Lokale mythisch empfunden, und an den Rändern der Welt wird der Dichtung erst recht heimisch zumute. Schon an den Halbfabel- und Fabelvölkern: den Lapithen, Kentauren, Pygmäen usw. hat die heroisch-hellenische Menschheit eine aller Wirklichkeit Trotz bietende Bordüre; dann aber kommt das Hyperboreerland mit seiner uns von Sophokles so wunderbar geheimnisvoll geschilderten Gegend, es kommt die von Stesichoros besungene Fahrt des Helios, den der goldene Becher über den Okeanos trägt33, und wir blicken in eine große, mythische Welt, worauf Erde und Meteorisches in mächtigem, fabulosen Zusammenhange stehen. Jenseits des Okeanos wohnen die Gorgonen, am äußersten Gestade, bei der Nacht, wo die Stimmen der Hesperiden ertönen, und an den Enden der Erde, über diese Stimmen hinaus, steht Atlas und hält mit dem Haupt und den unermüdlichen Händen den Himmel34. Der Okeanos überhaupt umgibt die Erde samt dem Meere, in sich selbst zurückströmend (aporroos)35; von ihm stammen alle Gewässer: Meere, Flüsse und Brunnen, und zwar erklärte man sich dies wohl durch ein unterirdisches Zuströmen; die Sonne geht in ihm auf und unter, und die Gestirne (wie auch die Götter) baden sich in ihm. Am Okean findet sich Glückliches wie Schreckliches: die Äthiopen, die Kimmerier, das Elysion, die Haine der Persephone und dann wieder, wie gesagt, die Gorgonen, und das Wasser der Styx ist ein Zehntelsabfluß von ihm. Zumal aber sind hier die Inseln der Seligen, auch sie, wie Pindar sagt, von den Lüften des Okeanos umweht36.
Die Räume von Dantes Jenseits kann man ausrechnen und abbilden, diese nicht. So besonders auch nicht den Tartaros der Theogonie (721 ff.). Neun Tage und neun Nächte würde ein eherner Amboß brauchen, um von der Erde dorthin zu fallen; er selbst ist von einer ehernen Umfriedung umgeben und um seinen Nacken ist die Nacht ausgegossen; über ihm (wohl wie ein Gewölbe zu denken) wachsen die Wurzeln der Erde und des Meeres, und in neblichter Nacht sitzen dort die Titanen gefangen. Auch sind dort die Quellen (also der Ursprung) und Enden der Ge, sowie des Tartaros selbst, des Pontos und des gestirnten Himmels; sie heißen schrecklich, modrig, den Göttern selbst ein Greuel. Und dieser Raum, der ein gewaltiger Schlund ist, ist fortwährend von einem schrecklichen Sturme bewegt, der von allen Seiten kommt, und es steht daselbst das furchtbare Haus der Nacht; davor trägt wiederum Atlas das Himmelsgewölbe, da wo (offenbar an einem Tor des Tartaros) Nacht und Tag, schnell wandelnd, einander anreden, indem sie, die eine hin, der andere her, die große Schwelle überschreiten.
Hier nun noch ein Wort über den Ausbildungsgrad des griechischen Mythus und über die Vielartigkeit seiner Überlieferung. Die Griechen besaßen ihn: im weit vorzüglichsten epischen Gedichte der Welt, in einer großen Reihe zyklischer Epen, in einem sehr reichen Drama, im örtlichen, dramatisch gestalteten Kultus, in einer bildenden Kunst höchsten Ranges, endlich in sammelnden Schriftstellern, Scholien zu Dichtern usw. Dazu war keine systematisierende Theologie darüber gekommen, keine tendenziöse Umdeutung oder wenigstens keine, die etwas bewirkt hätte, keine absichtliche Einschränkung oder Verstümmelung.