Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Der Schlüssel zum Verständnis von Burckhardts Werk liegt vor allem in seinen "Weltgeschichtlichen Betrachtungen", einer Vorlesungsreihe, die er unter dem Titel "Über das Studium der Geschichte" gehalten hat, und die dreißig Jahre später von seinem Neffen Oeri unter dem neuen Titel herausgegeben wurden. Sie stellen einen Versuch dar, die Aporien des Historismus durch ein typologisches System historischer Konstanten zu überwinden und ein universalgeschichtlich begründetes Urteil über die eigene Zeit zu gewinnen. Und dies unternimmt er nicht als Kulturhistoriker, sondern als Geschichtsphilosoph und Universalhistoriker.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 368
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Jacob Burckhardt (1818-1897), studierte Philologie, alte Geschichte, Theologie, Kunstgeschichte und Geschichte in Basel, Neuenburg, Berlin und Bonn. 1843 Promotion und später Habilitation in Basel. 1848-52 war er Lehrer am Pädagogium in Basel, 1853-54 Italienaufenthalt, 1855-58 Professor für Archäologie am Polytechnikum Zürich, ab 1858 schließlich ordentlicher Professor für Geschichte an der Universität Basel und Lehrer am Pädagogium. 1883 Rücktritt vom Pädagogium, 1886 Rücktritt vom Lehrstuhl für Geschichte, 1893 Entlassung aus dem akad. Dienst als Professor für Kunstgeschichte. Burckhardt war neben Leopold von Ranke und Theodor Mommsen einer der größten Historiker deutscher Sprache.
Der Schlüssel zum Verständnis von Burckhardts Werk liegt vor allem in seinen »Weltgeschichtlichen Betrachtungen«, einer Vorlesung, die er unter dem Titel »Über das Studium der Geschichte« gehalten hat, und die dreißig Jahre später von seinem Neffen Oeri unter dem neuen Titel herausgegeben wurden. Sie stellen einen Versuch dar, die Aporien des Historismus durch ein typologisches System historischer Konstanten zu überwinden und ein universalgeschichtlich begründetes Urteil über die eigene Zeit zu gewinnen. Und dies unternimmt er nicht als Kulturhistoriker, sondern als Geschichtsphilosoph und Universalhistoriker.
»In kritischer Distanz zu Technisierung, Industrialisierung und Fundamentaldemokratisierung opponierte er gegen die moderne Großstaatsentwicklung – besonders des neuen Deutschen Reichs – und prognostizierte scharfsinnig Konstellationen der politischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts. [...] Universalgeschichtlich denkend relativierte er die Bedeutung von Nation und Nationalstaat und baute seine Vorstellung der geschichtlichen Welt anthropologisch von drei Grundbedürfnissen auf, von denen sich die ersten beiden auch institutionell verfestigten: dem politischen (Staat), dem metaphysischen (Religion) und dem kritischen (Kultur) Bedürfnis. Diese Potenzen-Lehre ermöglichte es ihm, über das Individualitätsdenken des deutschen Historismus hinauszukommen und Ereignisse, Zustände und Artefakte typologisch zu erfassen und zu ordnen.« Wolfgang Hardtwig: Über das Studium der Geschichte, München 1990, S. 119f.
»Vor allem durch seine anthropologische Grundlegung, aber auch durch sein typisierendes Verfahren hat Burckhardt der Geschichtswissenschaft entscheidende neue Perspektiven gegeben.« Gangolf Hübinger in: Rüdiger vom Bruch/Rainer A. Müller (Hg.): Historikerlexikon. Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München 1991, S. 43.
»Eine unersättliche psychologische Neugierde, ruhelos und beunruhigend, von einem untrüglichen Spürsinn für das Fremdeste und Seltenste, Verschollenste und Versteckteste geleitet, war die geistige Zentraleigenschaft Burckhardts. Und dazu kam noch eine geradezu olympische Unparteilichkeit des Urteils, die alles lächelnd als berechtigt anerkennt, weil sie alles versteht.« Egon Friedell
I.
Die Aufgabe, die wir uns für diesen Kursus gestellt haben, besteht darin, eine Anzahl von geschichtlichen Beobachtungen und Erforschungen an einen halb zufälligen Gedankengang anzuknüpfen, wie ein andermal an einen andern.
Nach einer allgemeinen einleitenden Darlegung unserer Ansicht über dasjenige, was in den Kreis unserer Betrachtung gehört, werden wir von den drei großen Potenzen Staat, Religion und Kultur zu sprechen haben, dann zunächst deren dauernde und allmähliche Einwirkung aufeinander, besonders die des Bewegten (der Kultur) auf die beiden stabilen behandeln, weiterhin zur Betrachtung der beschleunigten Bewegungen des ganzen Weltprozesses übergehen, der Lehre von den Krisen und Revolutionen, auch von der sprungartigen zeitweisen Absorption aller anderen Bewegungen, dem Mitgären des ganzen übrigen Lebens, den Brüchen und Reaktionen, also zu dem, was man Sturmlehre nennen könnte, darauf von der Verdichtung des Weltgeschichtlichen, der Konzentration der Bewegungen in den großen Individuen sprechen, in welchen das Bisherige und das Neue zusammen als ihren Urhebern oder ihrem Hauptausdruck momentan und persönlich werden, und endlich in einem Abschnitt über Glück und Unglück in der Weltgeschichte unsere Objektivität gegen Übertragung des Wünschbaren in die Geschichte zu wahren suchen.
Wir wollen nicht eine Anleitung zum historischen Studium im gelehrten Sinne geben, sondern nur Winke zum Studium des Geschichtlichen in den verschiedenen Gebieten der geistigen Welt.
Wir verzichten ferner auf alles Systematische; wir machen keinen Anspruch auf »weltgeschichtliche Ideen«, sondern begnügen uns mit Wahrnehmungen und geben Querdurchschnitte durch die Geschichte, und zwar in möglichst vielen Richtungen; wir geben vor allem keine Geschichtsphilosophie.
Diese ist ein Kentaur, eine contradictio in adjecto; denn Geschichte, d.h. das Koordinieren, ist Nichtphilosophie und Philosophie, d.h. das Subordinieren, ist Nichtgeschichte. Die Philosophie aber, um uns zunächst mit ihr selbst auseinanderzusetzen, steht, wenn sie wirklich dem großen allgemeinen Lebensrätsel direkt auf den Leib geht, hoch über der Geschichte, welche im besten Falle dieses Ziel nur mangelhaft und indirekt verfolgt.
Nur muss es eine wirkliche, d.h. voraussetzungslose Philosophie sein, welche mit eigenen Mitteln arbeitet.
Denn die religiöse Lösung des Rätsels gehört einem besonderen Gebiet und einem besonderen inneren Vermögen des Menschen an.
Was nun die Eigenschaften der bisherigen Geschichtsphilosophie betrifft, so ging sie der Geschichte nach und gab Längendurchschnitte; sie verfuhr chronologisch.
Sie suchte auf diese Weise zu einem allgemeinen Programm der Weltentwicklung durchzudringen, meist in höchst optimistischem Sinne.
So Hegel in seiner Philosophie der Geschichte. Er sagt (S.12f.), der einzige Gedanke, den die Philosophie mitbringe, sei der einfache Gedanke der Vernunft, der Gedanke, dass die Vernunft die Welt beherrsche, dass es also auch in der Weltgeschichte vernünftig zugegangen sei, und das Ergebnis der Weltgeschichte müsse (sic!) sein, dass sie der vernünftige, notwendige Gang des Weltgeistes gewesen sei was alles doch erst zu beweisen und nicht »mitzubringen« war. Er spricht (S.18) von dem »von der ewigen Weisheit Bezweckten« und gibt seine Betrachtung als eine Theodizee aus, vermöge der Erkenntnis des Affirmativen, in welchem das Negative (populär: das Böse) zu einem Untergeordneten und Überwundenen verschwindet; er entwickelt (S.21) den Grundgedanken, die Weltgeschichte sei die Darstellung, wie der Geist zu dem Bewusstsein dessen komme, was er an sich bedeute; es soll eine Entwicklung zur Freiheit stattfinden, indem im Orient einer, dann bei den klassischen Völkern wenige frei gewesen seien und die neuere Zeit alle frei mache. Auch die behutsam eingeleitete Lehre von der Perfektibilität, d.h. dem bekannten sogenannten Fortschritt, findet sich bei ihm (S.54).
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!