Großbaustelle digitale Transformation - Andreas Holtschulte - E-Book

Großbaustelle digitale Transformation E-Book

Andreas Holtschulte

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Beschreibung

Dass an der digitalen Transformation kaum ein Unternehmen vorbeikommt, ist inzwischen allgemein bekannt. Trotzdem bleibt die Frage, wie eine Digitalstrategie konkret aussehen und umgesetzt werden kann. Andreas Holtschulte zieht als Vergleich die Sanierung seines Hauses heran und ermöglicht so einen einfachen Zugang zu dem sehr abstrakten Thema. »Großbaustelle digitale Transformation« zeigt praxisnah, welche Unternehmensbereiche von digitalen Innovationen wie künstlicher Intelligenz profitieren können, wie die Umsetzung gelingt, welche Fallstricke es zu vermeiden gilt und wie die neuen Systeme sicher werden. Dazu schöpft Andreas Holtschulte aus seinem persönlichen Erfahrungsschatz als Digitalisierungsexperte und Haussanierer.

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ANDREAS HOLTSCHULTE

GROSSBAUSTELLE DIGITALE TRANSFORMATION

Wie Unternehmen zukunftsfähig bleiben

CAMPUS VERLAGFRANKFURT/NEW YORK

Über das Buch

Dass an der digitalen Transformation kaum ein Unternehmen vorbeikommt, ist inzwischen allgemein bekannt. Trotzdem bleibt die Frage, wie »das mit der Digitalisierung« konkret aussehen und umgesetzt werden kann. Andreas Holtschulte zieht als Vergleich die Sanierung seines Hauses heran und ermöglicht so einen einfachen Zugang zu dem sehr abstrakten Thema.»Großbaustelle digitale Transformation« zeigt praxisnah, welche Unternehmensbereiche von digitalen Innovationen wie künstlicher Intelligenz profitieren können, wie die Umsetzung gelingt, welche Fallstricke es zu vermeiden gilt und wie die neuen Systeme sicher werden. Dazu schöpft aus seinem persönlichen Erfahrungsschatz als Digitalisierungsexperte und Haussanierer.

INHALT

Kapitel 1Mi casa, su case

1.1 Was mein Hausbau mit Ihrem Unternehmen zu tun hat

1.2 Machen sie nicht die gleichen Fehler wie ich beim Sanieren

Kapitel 2Die Kunst der Veränderung

2.1 Wie ich mich selbst verändert habe

2.2 Warum Zuschauen nicht mehr reicht

2.3 Veränderungsbereitschaft vor und nach Corona

2.4 Gute und schlechte Innovationsstrategien

Kapitel 3Die Digitale Transformation: viele kleine Baustellen

3.1 Das Internet der Dinge

3.2 Big Data

3.3 Künstliche Intelligenz

3.4 Automatisierung und Robotics

3.5 Virtual Reality und Augmented Reality

3.6 Cloud-, Edge- und Fog-Computing

3.7 Blockchain

3.8 Predictive Maintenance und Predictive Analytics

3.9 Mobilität und Tracking

Kapitel 4Das Fundament legen: Wie fange ich an?

4.1 Gustav, Geschäftsführer (Fall 1)

4.2 Peter, Produktionsleiter (Fall 2)

4.3 Paula, Produktmanagerin (Fall 3)

Kapitel 5Die Baustelle managen: agile Methoden

5.1 Wie mir agile Methoden beim Hausbau geholfen hätten

5.2 MVP und Rapid Prototyping

5.3 Scrum

5.4 Kanban

5.5 Design Thinking

5.6 Agiler werden, aber wie?

Kapitel 6Die richtigen Werkzeuge: Hardware und Software

6.1 Retrofitting

6.2 3-D-Druck

6.3 Software as a Service

6.4 Enterprise Resource Planning – ERP

6.5 Lagerverwaltungssoftware – LVS

6.6 Transportmanagementsoftware – TMS

6.7 Produktionsleitsystem – MES

6.8 Customer Relationship Management – CRM

Kapitel 7Sicherheit auf dem Bau (und danach)

7.1 Datenschutz in Zeiten von Big Data und IoT

7.2 Security by Design

7.3 Cloud-Sicherheit und Blockchain

7.4 Gesetze und Rahmenbedingungen

7.5 Wie viel Sicherheits(be)denken ist gut?

Kapitel 8Handwerker und andere Partner

8.1 Partner suchen und finden

8.2 Formen der Zusammenarbeit

8.3 Arbeitskultur und Führungsstil

8.4 Vorsicht mit Start-ups

Kapitel 9Die Einweihungsparty: Wann bin ich denn endlich fertig?!

HOLTSCHULTES CHECKLISTE

ÜBER DEN AUTOR

ANMERKUNGEN

Kapitel 1Mi casa, su case

Jedes Jahr werden in Deutschland Hunderte Häuser gebaut, saniert und verschönert. Weil es den Wert steigert, weil sich jemand den Traum vom Eigenheim erfüllt, weil die Ruine ein Schnäppchen war, oder weil es eben gemacht werden muss und nicht länger aufgeschoben werden kann. Einer von diesen Häuslebauern bin ich, genauer gesagt einer von den Häusle-Umbauern: Andreas Holtschulte, Jahrgang 1983, aufgewachsen im und geprägt vom Ruhrgebiet, seit 2015 Eigenheimbewohner in einer kleinen Stadt in Baden-Württemberg.

Dazu eine kleine Anmerkung: Meine Frau meint, meinen Werdegang, wie es mich nach Ilvesheim verschlagen hat und dass ich da jetzt ein Haus besitze, interessiere doch keinen. »Willst du die Leute mit deinem Lebenslauf zu Tode langweilen?«, gibt sie zu bedenken. Da hat sie natürlich einen Punkt. Guter Hinweis (Daumen-hoch-Icon). Ich möchte mich an dieser Stelle herzlich für ihre vielen, vielen klugen Warnungen und Ratschläge bedanken, die mir im Leben schon viel Ärger erspart haben. Allerdings kann ich das jetzt auch nicht einfach so stehen lassen. Klar schaffe ich es mit meiner Biografie nicht in die Bild-Zeitung ; Sie werden auch kein Video über mich finden, das jemand mit den Worten »Unglaublich, was als Nächstes passiert« anpreist. Aber wenn ich schon ein Buch schreibe, das nun Menschen wie Sie lesen, stellt sich beim Lesen für den einen oder anderen doch sicher irgendwann die Frage: »Was ist das denn für einer?« Deshalb geht es auf diesen Seiten nicht immer nur um die digitale Transformation, die deutsche Wirtschaft und das große Ganze, sondern manchmal eben einfach nur um mich. Und um meine Haussanierung, denn ich bin überzeugt, dass sich der Umbau eines Hauses und der eines Unternehmens gar nicht so sehr unterscheiden. Aber dazu später mehr. An dieser Stelle nur so viel: Wenn ich heute mein erfolgreich saniertes Domizil verlasse und zu meinem ehemaligen Arbeitgeber SAP SE nach Walldorf fahre, dauert das keine Viertelstunde. Ich kann während der Fahrt zum Beispiel ein paar Hörbuchabschnitte hören. Hätten wir schon autonom fahrende Autos im ganz normalen Stadtverkehr, könnte ich auch an meinem nächsten Buch schreiben. Oder noch besser: Ich würde einfach drauflos referieren, und die smarte Autosoftware jagt das alles durch eine Textsoftware und schickt mir direkt die fertigen Kapitel auf meine Geräte! Mann, irgendwie kann ich die Zukunft kaum erwarten.

Bei SAP, wo ich insgesamt zehn Jahre gearbeitet habe, endete meine Reise als Angestellter. Um meine Frau zu ärgern, könnte ich über diese Jahre schreiben: Ich war als Global Product Owner mit meinem Team verantwortlich für drei Industrieausprägungen der Lagerverwaltungssoftware SAP Extended Warehouse Management (meine Frau: »Gäähn …«). Meine Kunden kamen in dieser Zeit aus allen möglichen Branchen: Automobilkonzerne, Maschinenbauer, Pharma und Chemie, Unternehmen, die Getränke, Nahrung oder Textilien produzieren, Händler und Firmen aus dem Bereich Öl und Gas. Fragen, die ich beantworten sollte, waren zum Beispiel: Wie führen wir eine neue ERP-Software ein? Wann setzen wir auf Standards, und wo haben wir Alleinstellungsmerkmale, die uns von der Konkurrenz abheben? Welche Innovationen sind beim Aufbau neuer Geschäftsmodelle und bei Qualitätssteigerungen hilfreich?

Solche Fragen zu beantworten ist immer noch mein Job, auch wenn ich mittlerweile selbstständig bin. SAP hat in unzähligen Bereichen die besten Softwarelösungen für Unternehmen, die ich kenne. Zum Gesamtbild gehört aber natürlich noch mehr, über das man sprechen kann und in einigen Fällen auch sprechen muss. Wenn ich mit meinem Team digitale Transformationsprojekte unterstütze, bin ich mal in der Rolle des Solution Architect, mal in der Rolle des unabhängigen Gutachters, mal als Qualitätssicherer oder Trusted Advisor und auch als Projektleiter beteiligt.

An dieser Stelle möchte ich Ihnen eine zweite Bedenkenträgerin vorstellen, der es nicht gelungen ist, dieses Buch zu verhindern: meine Tochter Marlene. Sie zählt weniger Lebensjahre als ich Finger, und sie hatte ihr erstes Buchprojekt schon vor mir fertig. Es war ein viel beachteter Beitrag in einer sehr bekannten Buchreihe. Vielleicht kennen Sie selbst das eine oder andere Werk aus der bekannten Markenwelt »Meine erste Schulklasse«. Marlene hat sich darin auf unerwartete Weise in die deutsche Digitalisierungsdebatte eingebracht und einen Punkt herausgestellt, den wir digitalen Transformierer oft vergessen: »Es ist voll langweilig«, steht in diesem Buch der Freundschaft, geschrieben in der schönen Krakelschrift eines Digital Natives, »dass mein Vater immer über Datenschutz und Digitalisierung spricht.« Ja, gut. Der hat gesessen.

Für dieses Buch habe ich mir vorgenommen, meine Lieblingsthemen so zu behandeln, dass der Spaß nicht zu kurz kommt. Ich habe zwar jetzt schon Schiss, wie meine Familie mir das Ding um die Ohren hauen wird, aber Sie, liebe Leserinnen und Leser, haben ja einen entscheidenden Vorteil: Wir wohnen nicht zusammen, und wenn es Ihnen zu viel wird, können Sie das Buch einfach weglegen und sagen: Ist ja alles schön und gut mit der Transformation, aber für heute reicht’s!

In diesem Buch wird es immer wieder darum gehen, dass ich ein Haus saniert habe, in dem meine beiden Bedenkenträgerinnen, mein Sohn, unser Kater und ich heute wohnen, und wie ich dabei vorgegangen bin. Keine Sorge: Ich bin nicht etwa mit meinen Dokumenten durcheinandergekommen, während ich parallel an einem ganz anderen Buch schreibe. Beim Verlag hat auch niemand gepennt. Im Gegenteil, es ist so: Aus unserer Sicht ist eine Haussanierung, wie meine Familie und viele andere Haushalte sie hinter sich gebracht haben, wunderbar dazu geeignet, die Chancen und Risiken zu veranschaulichen, die die digitale Transformation und den Unternehmensumbau im Jahr 2021 betreffen. Wenn Sie vor der Situation stehen, Ihr Arbeitsumfeld oder sogar Ihr gesamtes Unternehmen strukturell an neue Bedürfnisse anpassen zu müssen, liefert das Projekt Haussanierung viel hilfreiches Futter für solch einen Anwendungsfall. Irgendwann ist jede Firma mal eine Baustelle. Mi casa, su casa heißt die bekannte Redewendung – machen wir doch »Mein Haus, Ihr Case« daraus! Wir reden bei der Umsetzung von Anwendungsfällen, die mit Innovationstechnologie umgesetzt werden, von Use Cases. Ihr Case umfasst somit alle Prozesse in Ihrem Unternehmen, die wir uns anschauen sollten.

Wenn ich auf den folgenden Seiten von meinen Erfahrungen als Häuslebauer berichte, soll Ihnen das helfen, die digitale Transformation besser zu verstehen. Ich will Sie außerdem für einige Fehler sensibilisieren, die ich selbst als Häusle-Umbauer gemacht habe. So oder so ähnlich kann das nämlich auch bei der Erneuerung in Unternehmen passieren. Also machen Sie es wie ich, aber besser! Willkommen auf der Baustelle.

1.1 Was mein Hausbau mit Ihrem Unternehmen zu tun hat

Seit 2015 leben meine Frau, meine Tochter und ich jetzt in unserem Eigenheim in Ilvesheim. Natürlich nicht zu vergessen mit unserem Sohn (und dem Kater), den ich Ihnen später auch noch vorstellen werde (nein, nicht den Kater). Der deutsche Klassiker: Familie gründen, Haus beziehen. Jahr für Jahr entscheiden sich neue Familien dafür, ein Haus zu kaufen, sei es zahlen und einziehen oder die Variante Bruchbude zu Traumhaus machen, wie bei uns. So gesehen war unsere Entscheidung für die eigene Hütte nichts Ungewöhnliches, auch wenn Deutschland im internationalen Vergleich noch immer ein Land der Mietwohnungen ist und es fast überall sonst in Europa mehr Eigentumswohnungen und Eigenheime gibt. Gekauft haben wir das Haus schon im Jahr 2012, vollkommen abgeschlossen war die Sanierung im Wesentlichen aber erst 2016. »Im Wesentlichen« schreibe ich bewusst, denn noch heute gibt es einige Stellen, die nicht fertig sind. Irgendwie hört es nie auf. Das kauft man mit ein, wenn man ein eigenes Haus haben will. Man kann ja auch nicht einfach ein Unternehmen gründen, und zack, läuft es ewig wie von selbst.

Nicht alle, mit denen ich spreche, können nachvollziehen, warum es für mich ein Eigenheim sein musste. Und dann auch noch selbst Hand anlegen, so viel Arbeit neben dem Job – ist der eigentlich bescheuert, der Holtschulte? Aber wenn ich mir meine Biografie so anschaue, hatte ich wohl keine andere Wahl. Im Grunde träumte ich schon lange Zeit davon, in einem eigenen Haus zu leben. Bis heute liebe ich den Gedanken, jedes Detail meines Hauses selbst zu bestimmen. Zu wissen, dass mir eigentlich niemand mein Zuhause wegnehmen kann. Es ist wahrscheinlich das Bedürfnis nach etwas Sicherheit in dieser von Veränderung geprägten Welt, was das selbst bewohnte Eigenheim so attraktiv für mich und viele andere macht. Außerdem hängt es mit meiner Familiengeschichte zusammen. Sollten Sie zufällig in einem Familienbetrieb arbeiten, verstehen Sie das vielleicht. Ich stamme aus einer sehr bodenständigen Familie aus dem Ruhrgebiet. Mein Großvater mütterlicherseits hatte nach dem Krieg einen großen Volkswagen-Betrieb in Wanne-Eickel eröffnet. In seinem »Autohaus Rudolf Urginus« arbeitete er als fleißiger und sehr erfolgreicher Kfz-Meister. Schrauben, Benzin, Öl und der Sound von Verbrennungsmotoren – das hatte mich schon als sehr kleiner Junge begeistert, weshalb ich meistens in der Werkstatthalle zwischen den Schlossern und den Hebebühnen herumflitzte. Auch mein anderer Opa konnte anscheinend alles reparieren, was es gibt. Er war handwerklich ein Ass. Es gab nichts, was ich nicht mit meinem Opa wieder zum Laufen gebracht hätte. Während andere Kinder in meinem Alter ihr erstes Fahrrad aus dem Laden aussuchten, schraubte mir mein Opa mein erstes Fahrrad und meinen ersten Tretroller aus vielen kaputten zu einem richtigen Unikat zusammen. Meine Großmutter wiederum hatte bereits mit Immobilien zu tun. Sie hatte nach dem Krieg einige Sozialwohnungen erbaut, die den Menschen eine Heimat boten.

In der nächsten Generation setzte sich das fort. Mein Vater ist einer von diesen Typen, die sich für keine Arbeit zu fein sind. Er hat mir gezeigt, wie wichtig harte Arbeit ist. Von ihm habe ich gelernt, wie man spart und wie man mit Geld umgeht. Neben seiner eigentlichen Arbeit als Diplomingenieur für Chemie hat er sehr viel an den Häusern meiner Großmutter gearbeitet: repariert, saniert und instandgehalten. Dieses Bild des Handwerkers, der alles allein hinbekommt, hat mich geprägt. Jedes Wochenende, während meine Kumpels sich noch von der Party am Vorabend erholten, klingelte er mich aus dem Bett. Während die anderen schön auspennten, durfte ich mir verkatert während der Fahrt zur Baustelle von meinem alten Herrn anhören: »Na, ist gestern wieder spät geworden?« Was habe ich geflucht über den Kerl! Naja. Ich bin inzwischen der Überzeugung, dass man in gewissen Phasen des Lebens einfach mal Kreide fressen muss, um die einfachen Dinge schätzen zu können. Heute habe ich selbst Kinder, die ich rumkommandieren kann, und verstehe das alles ein bisschen besser. Gerade heutzutage, wo man im Arbeitsleben wegen flacher Hierarchien, Team-Building und dergleichen auch als gestandener Mann oft nicht durchregieren kann wie Louis XIV., kann der Kommandoton zu Hause schon irgendwie verlockend sein. (Zwinker-Icon) Ich kann mich ja sogar mit dem Argument verteidigen, dass ich selbst auf die harte Tour Nützliches gelernt habe, das mir heute weiterhilft. Denn durch die unbarmherzige Fahrerei zu den Baustellen hatte ich schon sehr früh mit der Arbeit an Häusern zu tun. Seitdem ich denken kann, ging es gefühlt jedes Wochenende in die Sozialwohnungen meiner Großmutter. Bei der Vater & Sohn-Maloche reparierten, sanierten, verputzten und fliesten wir. Am schönsten war aber das Einreißen von Wänden und Abkloppen von Fliesen von der Wand. Das ging schnell und machte ordentlich Staub. Oder wir verschweißten Dachbahnen und verlegten elektrische Leitungen oder Rohre. Schon als Kind lernte ich den Geruch von frisch angerührtem Mörtel und den Sound von Baumaschinen kennen. In dem Hollywood-Film über mich, der nie gedreht werden wird, verkündet eine coole Erzählerstimme: »Manchmal müssen wir Staub schlucken, um unsere Ziele zu erreichen«. Es ist vielleicht anstrengend, schmerzhaft, dreckig und kalt. Aber wenn es geschafft ist, dann ist es geschafft

Als abwägender Mensch, der schon einmal etwas von Arbeitsteilung und Kosten-Nutzen-Rechnung gehört hat, fragen Sie sich an dieser Stelle möglicherweise: Warum haben die denn solche Arbeiten nicht an Handwerker vergeben, die genau damit ihr Geld verdienen? Das hätten wir sicher gerne getan. Meine Großmutter war zu dieser Zeit aber ein extremer Pflegefall. Wir hatten die Wahl, entweder in Handwerker oder in die Pflege zu investieren. Außerdem sind solche Entscheidungen wohl auch ein Stück weit eine Frage der Generation. Nicht umsonst gibt es Bücher über die Kriegskinder, die sich von den Nachkriegskindern unterscheiden, die sich wiederum anders verhalten als diejenigen, die im Frieden als EU-Bürger auf die Welt kamen. Sie kennen sicher auch Etiketten wie Generation Golf oder Babyboomer. Ich selbst bin 1983 geboren. Damit gehöre ich zu den Millennials, beziehungsweise der Generation Y, wie vermutlich mehr Leute sagen würden. Ich spreche das englisch aus, also Generation »Why«, zu Deutsch »Warum«. Auf mich passt es gut: Es ist mir wichtig zu verstehen, warum wir etwas tun, den Zweck, den Sinn, das Ziel zu sehen. Ob meine Altersgenossen auch so drauf sind, dazu dreht sich die Debatte der Soziologen, Psychologen und Personaler im Kreis. Die einen behaupten, Selbstverwirklichung und sinnhaftes Handeln seien ein starker Motor. Dazu gehören dann, bezogen auf Karriere und Arbeitsleben, Forderungen nach Work-Life-Balance, erfüllender Arbeit und guter Atmosphäre im Team. In Anlehnung an dieses Verständnis der Generation Y gibt es eine Methode, die 5-times-why heißt und die wirklichen Beweggründe von Menschen offenbaren soll: Frage einfach fünfmal in Folge »Warum?«, dann gelangst du zur Wahrheit. Ein paar Leute halten diese Idee der Generation Y für Quatsch und schreiben ihr andere, deutlich unsympathischere Züge zu: Stressgeplagt und unsicher sollen wir sein, risikoscheu, spießig, egoistisch.

In mir steckt eher der beschriebene »Warum ist das so? Was ist der Sinn des Ganzen?«-Trieb, plus dem familiären Malocher-Gen. Wenn ich selbst mit anpacken kann, bin ich irgendwie in meinem Element. Durch meine Mutter kamen noch andere Eigenschaften hinzu, die sicher nicht die schlechtesten Zutaten im Gesamtcocktail sind. Sie ist Lehrerin, und als Sohn einer Pädagogin liegt mir die Idee, zu lernen und Wissen zu teilen, am Herzen. Das könnte jedenfalls einer der Gründe sein, warum ich eine Akademie für »IIoT« (nein, das ist kein Schreibfehler, hier fehlt kein »d«), dem Industrial Internet of Things, gegründet habe und ein Buch wie dieses hier schreibe. Außerdem ist meine Mutter Künstlerin. Wahrscheinlich habe ich, wie meine Geschwister auch, einiges von ihrer Kreativität abbekommen. Der nie gedrehte Hollywood-Film über mich würde diese Mischung aus Nachfragen, Ärmel-Hochkrempeln und Kreativwerden sicher ganz wunderbar inszenieren. Ich höre meine Frau einwenden: »Was erzählst du den Leuten denn von Hollywood? Gucken doch eh alle Serien.« Dann lassen Sie es mich so sagen: Bei Game of Thrones wäre meine Familie vermutlich eher Haus Stark (während ihr Odenwälder Clan wohl eher den Lennisters oder den Flusslanden angehörte). Das Hollywood-Klischee mit dem Traum, der Wirklichkeit wird, ist in meinem Fall eine wahre Begebenheit. Zum ersten Mal wohnte ich als Kind und Jugendlicher in einem Eigenheim. Es war ein Haus, das meine Eltern gekauft hatten und – das hätten Sie nun nicht erraten – selbst vollständig in Eigenleistung renoviert haben. Später, als ich dort auszog, lernte ich die Welt der Mietwohnungen kennen. Erst mal aus der WG-Perspektive als Student, später dann auch aus der Familiensicht. In unserer ersten Zeit lebten meine Frau und ich noch zusammen in einem Appartement in Ilvesheim. Ich kannte also verschiedene Wohnsituationen, und der Wunsch nach einem eigenen Haus wuchs und gedieh. Als unsere Tochter geboren wurde, wohnten wir auf weniger als 50 Quadratmetern Neubau. Da ich als Berater und Softwarearchitekt immer wieder von zu Hause aus arbeiten durfte, hatte ich eine Art Büro in dieser kleinen Wohnung – »Abstellkammer« in den Worten meiner Frau. Meine Tochter, die schon damals wenig Verständnis für meine Karriereambitionen hatte, kannte kein Pardon. Wenn ich mich in kritischen Kundentelefonaten befand, kam sie mit der Klobürste in mein Büro gestürmt, während ich gerade versuchte, dem Klienten zu erklären, dass es leider keine Standardlösung in SAP für sein Problem gebe. Tja. Gespräch beendet, Auftrag vertagt.

Mit Mitte 20 sollte dann endlich der Moment kommen, den Traum vom Eigenheim wahr zu machen. Wobei »Moment« der Sache nicht ganz gerecht wird – im Rhein-Neckar-Kreis im Dunstkreis von Mannheim und Heidelberg, so stellten wir schnell fest, war es gar nicht so einfach, sich diesen Traum zu erfüllen. Schon damals waren die Preise für Einfamilienhäuser irrational hoch. Wir haben drei Jahre gesucht und uns jedes Wochenende Häuser angesehen. Einerseits wollten wir unbedingt in Ilvesheim bleiben. Andererseits war es unmöglich, im Rahmen unseres gesetzten Budgets etwas zu finden. Unter keinen Umständen wollten wir uns für ein Haus verschulden. Und dann war da noch die Erfahrung mit den Maklern. Wenn ich heute einen Mittelständler dabei unterstütze, einen geeigneten Partner aus dem Start-up-Umfeld zu finden, denke ich an einige Begegnungen zurück und schärfe den Firmen ein, sich nichts vom Pferd erzählen zu lassen. Natürlich sind die meisten jungen Unternehmen seriös, die Immobilienbranche ist per se ja auch in Ordnung. Aber es gibt eben auch schwarze Schafe, auf die man nicht hereinfallen will. Ich weiß noch genau, wie wir uns ein Haus anschauten, dem das halbe Dach fehlte. Während meine Frau mit ihrem feinen Näschen kämpfte, weil es so muffig und feucht roch, versicherte uns die Maklerin ganz cool, dass die vielen Spinnen in dem Haus kein Grund zur Sorge, sondern zur Freude seien, weil sie nämlich der lebende Beweis dafür wären, dass das Haus schön trocken sei. Nun ja. Manchmal muss man eben Nein sagen.

Schließlich, nach drei Jahren der Suche, fanden wir ein Haus, das zu unseren finanziellen Vorstellungen passte. Es war völlig heruntergekommen, Baujahr 1938. »Ruine« umschreibt den Zustand der Immobilie treffend. Manch einer sprach vom runtergerocktesten Haus in ganz Ilvesheim. In diesem maroden Anwesen war 30 Jahre lang keine Reparatur mehr gemacht worden (jedenfalls keine erfolgreiche). Die Risse in den Grundmauern verrieten von außen, wo Abwasser und Stromleitungen verliefen. Wir aber haben in dem Haus und dem beschaulichen Grundstück etwas Besonderes gesehen. Ein enormes Potenzial. Trotz der vielen offensichtlichen Mängel verliebte sich meine Frau sofort in die Hütte. Hinter der bröckeligen Fassade war der Baustil der »Hamburger Kaffeemühle« mit Erker und Zeltdach und einem kleinen Garten (der noch keiner war) zu erkennen. Diesen Charakter wollten wir wieder zum Leben erwecken. Weil ich denjenigen kannte, der es in einer Zwangsversteigerung erworben hatte, fragte ich, ob es zum Verkauf stünde. Wir bekamen den Zuschlag und machten uns an die Arbeit.

Um es kurz zu machen: Es war wahnsinnig viel Arbeit und das Haus eine immer sprudelnde Quelle an neuen Herausforderungen und diversen Umbaumöglichkeiten. Schnell stellten wir fest, dass unter den Vorbesitzern am Bau gepfuscht worden war. Tragende Wände waren geschwächt, weil dort Rohre und Stromkabel verlegt waren. Das Dach war undicht. Im Keller hatte es sich eine dicke flauschige Schicht Schimmel gemütlich gemacht. Das ganze Projekt war insgesamt eine Großbaustelle, bestehend aus vielen, vielen kleinen Bauplätzen. Lassen Sie uns das Haus in der Hauptumbauphase als Hydra bezeichnen. Mit jedem Problem, das wir gelöst haben, wuchsen neue Probleme an einer anderen Stelle hervor. Wie die Schlange, der man einen Kopf abschlägt und an derselben Stelle zwei neue Köpfe aus der Wunde wachsen. Wollte man einen Wanddurchbruch machen, stellte sich heraus, dass die komplette Wand entfernt werden musste, weil der Bimsstein die Last der Decke gar nicht halten konnte, und zack! – schon war die To-do-Liste wieder um einige Punkte länger. Mein Vater hat unser Haus gerne als »Wundertüte« bezeichnet, schließlich wussten wir am einen Tag nie genau, welche Sanierungen morgen vorzunehmen waren. Langweilig wurde uns nicht.

Warum erzähle ich Ihnen das alles so ausführlich? Sie haben jetzt vielleicht nicht den Eindruck, dass diese Haussanierung für mich eine Erfolgsgeschichte darstellt. Ist sie aber. Die Großbaustelle anzupacken hat sich gelohnt, das Ergebnis kann sich sehen lassen. Wir wohnen heute in einem fantastischen Haus, dessen Wert gegenüber dem, was wir dafür bezahlt haben, um ein Vielfaches höher liegt. Wir fühlen uns dort daheim, und das haben wir aus eigener Kraft geschafft. Tagtäglich erlebe ich unser Zuhause und freue mich darüber. Bei der Digitalisierung und der digitalen Transformation stehen solche Erfolgserlebnisse vielen Unternehmen aus dem Mittelstand noch aus. Für alle, die den Firmenumbau noch vor sich haben, kann meine Haussanierung eine Schablone, ein Lehrstück, ein Anwendungsfall sein. Denn zwischen dem Umbau eines Hauses und der Transformation eines Unternehmens gibt es einige interessante Parallelen.

Unternehmen wie auch Gebäude mögen wie solide, funktionierende und sichere Sphären wirken. Tatsächlich müssen sie von ihren Bewohnern und Besitzern aber immer wieder verändert und weiterentwickelt werden, damit das so bleibt und sie in einer Umgebung, die sich ebenfalls verändert, ihren Zweck erfüllen können. Ein Unternehmen mit veralteter Infrastruktur und in die Jahre gekommenen Services wird auf dem Markt ebenso Anteile verlieren wie ein Gemäuer ohne Barrierefreiheit in einer Region mit überwiegend älteren Menschen an Wert. Häuser wie Firmen müssen gepflegt und modernisiert werden, damit sie dauerhaft bestehen.

Auch strukturelle Umbauten können in beiden Bereichen notwendig werden. So wie beim Haus ein Anbau für den Nachwuchs oder die Umgestaltung zum teilweise vermieteten Lebensraum anstehen können, sollte das System für die Unternehmens-IT auch eine flexible Weiterentwicklung ermöglichen, zumal die Computer- und Maschinentechnik heute so rasante Sprünge machen.

Wenn wir über Sicherheit reden, sind sich Einbrecher und Hacker gar nicht so unähnlich. Ein Haus sichern wir mit Türen, Fenstern, Alarmanlagen und Bewegungsmeldern. Neuerdings wird Smart Home auch immer mehr zum Thema, weil die Einbrecher ebenfalls mit der Zeit gehen. So wie man sich in ein Einfamilienhaus hacken kann, kann man sich natürlich auch in ein KMU hacken – je nachdem, wie es dort um Passwörter, Datenbanken, Cloud-Sicherheit und dergleichen bestellt ist (mehr dazu in Abschnitt 7.3).

Geschäftsführer reagieren, wie Vermieter und Eigentümer, auf gesetzliche Rahmenbedingungen. Was für die einen die Wärmedämmung und energetische Sanierung ist, ist für die anderen die Datenschutzreform mit Blick auf die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) oder eine Anpassung der Labels und Barcodes auf Produkten (mehr in Abschnitt 7.4).

So wie ein Haus letzten Endes für die Bewohner funktionieren muss, sollten sich Unternehmen an den Bedürfnissen der Kunden, auch der eigenen Belegschaft orientieren. Bei den Häusern ändern sich die Raumgestaltung und die Inneneinrichtung mit dem Zeitgeist. Die modernen Einzimmerwohnungen von heute (Loft, Galerie, offenes Apartment) haben zum Beispiel nur noch wenig mit den früheren Ein-Zimmer-Angeboten zu tun. Außerdem verändern sich die Bedürfnisse von Familien, was sich in einer veränderten Raumgestaltung und -nutzung niederschlägt. Wir haben bei uns zu Hause zum Beispiel keinen geschlossenen Wohn- und Küchenbereich mehr. Damit sind wir nicht die einzigen, wie wir immer wieder feststellen. Auch Unternehmen verändern ihren Grundriss, richten neue Räume ein, nutzen und verändern alte Räume oder lassen Geräte einbauen, wenn sich in ihren Reihen neue Arbeitsweisen oder gar neue Berufe etablieren.

Sie sehen: Häuser und Firmen haben in Bezug auf Digitalisierung durchaus eine Menge gemein. Im Grunde kann man die gleichen Dinge richtig oder falsch machen. Über das Falschmachen möchte ich im nächsten Kapitel einige Worte verlieren. Zu meiner Erfolgsgeschichte gehört nämlich auch ein »loser learning«: Ich habe einige Fehler gemacht. Lernen Sie daraus!

1.2 Machen sie nicht die gleichen Fehler wie ich beim Sanieren

Die Rundumerneuerung des Hauses war – trotz der Einblicke, die ich durch meinen Vater von früher hatte – Neuland für mich. Mein Bauprojekt hat mich physisch und psychisch an meine Grenzen gebracht. Im Nachhinein muss ich zugeben, dass ich völlig unterschätzt habe, wie hoch die Sanierungskosten und der zeitliche Aufwand sein würden und wie stark so ein Projekt eine junge Familie belasten kann. Ich schreibe das nicht, um Sie zu erschrecken oder mir gar Mitleid zu ergaunern. Es geht mir vielmehr um die Erkenntnis, dass man solche Baustellen, also auch die Transformation Ihres Unternehmens, entspannter und strukturierter angehen kann, als ich es selbst getan habe. Hätte ich damals die erfolgreichen Methoden von smarten Projektlenkern und Change-Managern angewendet, die tollen und kosteneffiziente Tools, die ich mittlerweile selbst in meinem Werkzeugkasten habe und immer wieder anderen empfehle – Mann, was wäre mir nicht alles erspart geblieben. Ich wünsche mir, dass Sie nicht in die gleichen Fallen tappen wie ich, sondern aus meinen Fehlern lernen, damit die Umgestaltung in Ihrem Unternehmen möglichst angstfrei und effizient abläuft.

Zunächst hatten meine Frau und ich den Plan, dass wir uns die Sanierungsarbeit einkaufen. Wir sind ja nicht völlig mit dem Klammerbeutel gepudert. Uns war schon klar, was das für ein Zeit- und Energiefresser werden würde. Mein Malocher-Gen haben Sie ja bereits kennengelernt. Außerdem bin ich nicht gerade dafür bekannt, dass ich Dinge laufen lasse, ohne zu kontrollieren, wie der Fortschritt und der Status sind (meine Frau nennt mich deswegen gerne mal Kontrolletti). Aber – Malocher-Gen hin, Kontrolletti her – auf ihr Bitten habe ich mich am Anfang aus der ganzen Angelegenheit herausgehalten. Vier Monate, zwei Wochen und fünf Tage lang. Dann machten wir die erste Begehung, um mit unserem ersten Architekten einige Details abzustimmen.

Als wir die Baustelle betraten, trauten wir unseren Augen nicht. Die Handwerker waren gerade dabei, die 80 Jahre alte Holztreppe auszubauen. Durchbrüche waren dort, wo Wände hätten stehen bleiben sollen. Die morschen Deckenbalken unter der alten Duschtasse, die jahrelang kontinuierlich von der undichten Dusche gewässert wurden, waren zerfressen und sicher nicht mehr ausreichend tragfähig. Die Gipser hatten sie trotzdem von unten bereits wieder verkleidet, um den angekündigten Einzugstermin zu halten. Ein Blick hinter die Trockenbauwände offenbarte, dass die alten, teilweise löchrigen Gussrohre nicht ausgetauscht, sondern weitere Entwässerungen mit HT-Rohr daran angeschlossen worden waren. Die Verblechung der Fenster in den Gauben leitete das Regenwasser zu den Fenstern. Und in der Ecke befand sich ein Loch, durch das das Wasser ins Gebälk und in die Zwischensparrendämmung lief. Ich könnte die Liste hier noch eine Weile fortsetzen, aber meine Frau hat schon recht: Wer jetzt noch nicht gähnt, muss wohl mit mir verwandt sein.

Letztlich baten wir den Architekten und den Generalunternehmer noch am selben Nachmittag, umgehend die Baustelle zu verlassen und uns die Schlüssel auszuhändigen. Ich konnte es nicht fassen. Es hieß doch, dass wir uns um nichts kümmern müssten und am Ende nur noch einzuziehen bräuchten. Tja, falsch gedacht. Bezogen auf die Großbaustelle digitale Transformation möchte ich Sie deshalb warnen: Machen Sie sich früh genug Gedanken darüber, wie Sie das eigene Fachwissen, die Ziele, Ihre Qualitätsansprüche und die Qualitätskontrollen miteinander in Einklang bringen. Was muss in Vorgesprächen geklärt werden? Wo braucht es Verträge oder Schriftstücke? Sind Zwischenberichte sinnvoll? Aber auch: Sind Sie sich über Ihre eigene Rolle während des Umbaus im Klaren, und können Sie diese Rolle beibehalten?

In meinem Fall hat der holprige Start bald zu weiteren Fehlern geführt. Sie ahnen es schon: Das Pendel schlug in die andere Richtung aus, und der Kontrolletti wollte jetzt möglichst viel selbst machen. Ich änderte meine Einstellung zur Übertragung von Verantwortung an Dritte vollkommen. Lieber nahm ich die Sache selbst in die Hand, trotz Vollzeitjob bei SAP. Also beantragte ich die Auflösung meiner Arbeitszeitkonten und meiner Urlaubsansprüche und war fortan mindestens zwei Tage plus Wochenende und Abende auf meiner Baustelle. Der Workload und die Belastung waren so schon ungesund hoch. Und dann kündigte sich während der Bauphase auch noch unser zweites Kind an. Musste einfach sein, Sie wissen schon, wie in der Sparkassen-Werbung aus den 90er-Jahren: mein Haus, mein Auto, meine Frau, meine Tochter, mein Sohn. Außerdem kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass Kindheit und Jugend viel interessanter sind, wenn man Geschwister zum Streiten hat (Zwinker-Icon). Als unser Kurti auf die Welt kam, hatten Huawei-Handys noch keine Leica-Kameras. Mann, wie die Zeit vergeht …

Für den gemeinsamen Lebensabschnitt mit den beiden Bedenkenträgerinnen und dem kleinen Kurti wollte ich natürlich sicherstellen, dass das Haus tipptopp ist und die grundlegenden Anforderungen auch auf lange Sicht erfüllt sein würden. Zum Beispiel dass die Kabel und Rohre, die hinter den Wänden liegen, nicht in den nächsten zehn Jahren ausgetauscht werden müssen. Bis auf die Aushubarbeiten habe ich fast alles selbst gemacht. Ich stellte die Schalung für die Bodenplatte her, betonierte das Fundament des Anbaus, mauerte Stockwerk für Stockwerk, schalte ein, armierte und betonierte auch die Deckenplatten bis tief in die Nächte hinein. Bei teils klirrender Kälte und unter meinem 2 000-Watt-Scheinwerfer, der aus dem Dachfenster an einem Balken herausragte. Dabei saß mir oft die Angst im Nacken, dass der Beton bei der Kälte nicht ordentlich abbindet oder die Schalung der Deckenplatten reißt und mir 25 Tonnen flüssiger Beton in den Garten fließen.

Besondere Aufmerksamkeit erforderten die ersten Steine, die auf einer frisch durchgehärteten Betondecke gesetzt wurden. Sie werden in den Ecken gesetzt, und das muss alles 100-prozentig im Niveau sitzen. Mit Schlauchwasserwaage messend klopfte ich mit einem Gummihammer die Steine in den weichen Mörtel. Jeder kleine Fehler bei diesem Schritt hätte den Anbau zum unfreiwilligen Hundertwasser-Kunstwerk oder zum schiefen Turm von Pisa werden lassen. Den Beton, den ich mir in Mischerfahrzeugen anliefern und in die Schalung laufen ließ, musste ich verdichten. Dafür nutzte ich einen sogenannten Flaschenrüttler, den man in den Beton hält. Durch die Vibration sanken Sand- und Steinanteile im Beton nach unten und verdrängten das Wasser nach oben. Dabei entsteht ein unglaublicher Druck, der auf die Schalung wirkt. Jeden Augenblick hätte sie krachen können. Damit das nicht passiert, hatte ich in den Nächten, bevor der Betonmischer kam, noch einige Extrabalken und Verschraubungen eingezogen. Besonders herausfordernd war es, die Schalung über den großen Fensteröffnungen herzustellen, da sie hier kaum Halt bekommen.

Sie sehen: Es war eine spannende Zeit, in der ganz schön viel Fachwissen und Sachverstand gefragt war, plus gutes Zeit- und Energiemanagement. Um zu verstehen, wie professionelle Bauunternehmen derartige Probleme lösen, fuhr ich mit meinem Fahrrad durch den ganzen Ort. Ich sah mir andere Baustellen an und wurde zum genauen Beobachter der drei S: Stützung, Sicherung, Schalung. Auch in dieser Zeit gab es schon von unterschiedlichen Seiten Bedenken wegen ›chinesischer‹ Bauspionage. Mich, den überneugierigen Neu-Ilvesheimer, hatte aber nie jemand in Verdacht. Ich fotografierte die Schalungstechniken der anderen und baute sie nach, wobei ich versuchte, extra-sicher und extra-vorsichtig vorzugehen. Ich weiß nicht, wie viel meiner Umsicht und wie viel dem schlichten Glück geschuldet war, jedenfalls hielt die Schalung bei jeder Decke und bei jeder Wand dem Druck stand. So wie mein Vater sein Geschick immer selbst in die Hand genommen hatte, lag es nun an mir, das Bauprojekt zum erfolgreichen Abschluss zu bringen.

Es war eine Herausforderung wie gemacht für mich: Organisieren, Machen, Tun und immer ein festes Ziel vor Augen. Es war aber gleichzeitig eine gefährliche Mischung, die mich antrieb: Befähigung, Ehrgeiz, der Wunsch, etwas Sinnvolles zu erschaffen, Kostenbewusstsein und Ärger über die schlechte Leistung von anderen. Probleme gab es zum Beispiel mit Absprachen, mit der Aufteilung der Arbeit, mit der Qualitätskontrolle. Ich organisierte die Arbeit frei nach der Keine-Methode: keine Gnade für mich, kein Spaß für meine Helfer und kein Vertrauen in die Handwerker. (Workshops mit mir zur Keine-Methode kosten kein Vermögen, kontaktieren Sie mich einfach!) Es war sicher gut, die Aussagen und die Arbeitsweise einiger Handwerker kritisch zu hinterfragen und im Gegenzug durch den kritischen Austausch mit ihnen etwas dazuzulernen. Und es war gut, dass ich Verantwortung übernommen habe. Aber streckenweise war der Kontrolletti wohl auch auf dem Holzweg unterwegs. Die Unterstützung durch Freunde, die aushalfen, konnte ich nicht immer angemessen würdigen, weil ich so unter Druck stand. Wenn der starke Typ fürs Grobe aus meinem Freundeskreis mit anpackte, blieb ich in der Nähe, um sicherzustellen, dass er nicht über das Ziel hinausschoss und gegebenenfalls tragende Wände und tragende Teile herauskloppte. Aus meiner Perspektive. Aus seiner Perspektive wirkte das wohl eher wie die unangenehme Überwachung durch einen gestressten Bauherrn, der sich zu wenig Zeit für Absprachen und Einweisung genommen hatte und jetzt zu nervös war, um die Leute machen zu lassen.

Im Rückblick kann ich darüber lachen: Klar war das total übertrieben, mehr als die Hälfte der gesamten Arbeiten vom Fundament über das Mauern und Deckenbetonieren bis hin zum Abfangen von Wänden wie der kompletten Rückwand des Hauses im Erdgeschoss auf meine Art und allein mit einigen Freunden durchzuführen! Heute kann ich die ganzen Anekdoten mit einem Grinsen erzählen, und meine Frau mag mich auch wieder ein bisschen. Aber während der Haussanierung war es zeitweise gar nicht lustig. Einmal saß ich verzweifelt auf der Baustelle und dachte: »Wie willst du das jemals schaffen?« Glauben Sie mir, in diese Lage wollen Sie nicht kommen, wenn Sie Ihr Unternehmen umbauen! Meine Baustellenprobleme mit Vertrauen auf der einen und Effizienz auf der anderen Seite dürften vielen von Ihnen aus der eigenen Firma bekannt vorkommen. Zusammenarbeit und Personalmanagement in Unternehmen werden nicht etwa unwichtiger, weil man jetzt die digitale Transformation anpackt. Im Gegenteil! Es ist wichtig, für sein »Haus« Verantwortung zu übernehmen. Es ist auch wichtig, dass der Bauherr versteht, warum bestimmte Arbeiten auf eine bestimmte Weise durchgeführt werden. Und mit Sicherheit schadet es nichts, wenn der Bauherr später die eine oder andere Reparatur oder Erweiterung selbst durchführen kann. Ich bin froh, dass ich heute sehr genau weiß, wo welche Kabel und Rohre in der Wand verlaufen und wie die Haustechnik funktioniert und erweitert werden kann. Außerdem fühle ich mich sicherer, weil ich weiß, wie ich reagieren kann, wenn doch mal ein Defekt auftritt oder eine Wartung ansteht. Aber wie gesagt: Man sollte sich und andere nicht überfordern. Man sollte nicht alles allein entscheiden. Man sollte sich beraten lassen. Sich abstimmen. Man sollte die notwendigen Arbeiten klug und effizient aufteilen, mit Sinn und Verstand, mit den richtigen Werkzeugen ans Werk gehen. Vielleicht sollte man sich auch früh und ehrlich genug fragen: Wie kriege ich es hin, dass mir die Transformation möglichst viel Spaß macht?

Transformation ist schließlich eine Form der Veränderung, und Veränderung ist selten leicht. Wir Menschen sind Gewohnheitstiere. Bringt man viele Menschen zusammen, hat man viele Gewohnheitstiere. Die interagieren miteinander, im Verein, am Stammtisch oder eben im Unternehmen. Für die Firmen ist es durchaus eine Managementaufgabe, solche Interaktionen in neue Bahnen zu lenken, wenn das notwendig wird. Deshalb heißt das nächste Kapitel »Die Kunst der Veränderung«.

Kapitel 2Die Kunst der Veränderung

Ich behaupte: Der Mensch ist kein Gewohnheitstier, uns liegt die Veränderung im Blut.

Das glauben Sie nicht? Lassen Sie es mich anders ausdrücken: Wenn wir uns anschauen, was passiert, nachdem ein Mensch geboren wird, dann erleben wir sehr viel Veränderung, die wir als normal und sinnvoll akzeptieren. Als Babys ertasten wir die Welt, erfühlen sie, probieren aus. Wir erforschen die Dinge im nahen Umfeld, sammeln unsere Erfahrungen, lernen dazu, verwerfen. Bevor wir laufen lernen, fallen wir Hunderte Male auf den Hosenboden, wie mein Opa es ausdrücken würde. Der kleine Mensch probiert es immer weiter, so lange, bis es klappt. Ähnlich verhält es sich mit der Sprache. Auch da treibt uns ein unsichtbarer Motor zur Veränderung an: Anfängliche Laute werden zu Kauderwelsch, die Wörtern eher ähneln. Und daraus wiederum entstehen die ersten Wortgruppen und Sätze. Ich weiß noch genau, wie sehr ich mich über die ersten Worte meiner Kinder gefreut habe. Und jetzt, gefühlte vier Wochen später, kann meine Tochter schon schriftlich zu Protokoll geben, wie langweilig es ist, wenn ich über Digitalisierung und Transformation der Geschäftsmodelle rede. Alter Schwede!

Diesen Veränderungswillen, diese Weiterentwicklungslogik finden wir für kleine und größere Kinder selbstverständlich. Für Erwachsene bewerten wir sie aber erstaunlicherweise oft anders, obwohl wir ja alle Menschen sind und die Menschen als extrem anpassungsfähige Spezies gelten. Ich habe es bereits erwähnt, das Gewohnheitstier, das in uns allen steckt. Irgendwann verschwinden der Entdeckergeist und die kindliche Unbedarftheit. Sie werden überlagert oder sogar komplett abgelöst von Vernunft, Ordnung, Struktur. Weiterbildung im Arbeitsleben trifft oft auf starke Widerstände, ganz ähnlich wie vermeintlich unbequeme Veränderungen im Privatleben. Bloß nichts verändern, heißt die Devise – ob es um den Schreibtisch, die Software auf dem Arbeitscomputer, um die Teams geht oder um die Essenszeiten und andere Routinen daheim. Wahrscheinlich spielt dabei auch die Angst vor dem Scheitern oder Versagen eine Rolle, mit der wir Erwachsenen offenbar deutlich mehr Schwierigkeiten haben als die Kinder. Ich rede jetzt nicht nur davon, mit dem Rauchen aufzuhören, sondern auch von eingeübten Verhaltensweisen in Bezug auf neue Herausforderungen und Problemlösungen – sei es in der Familie oder im Arbeitsleben.

Obwohl es eine elementare Facette unserer Menschlichkeit ist, sich zu verändern und weiterzuentwickeln, ist Veränderung offensichtlich auch eine Kunst. Ich selbst habe schon einige Entscheidungen getroffen, die mir gar nicht so leicht fielen, über die ich heute aber froh bin. Hin und wieder habe ich mit meinen Veränderungen neben dem inneren Schweinehund auch mein engeres Umfeld überrascht. Meine Frau meint, dass ich an dieser Stelle zu langatmig sei. Es ist mir aber wichtig. Da müssen Sie jetzt durch. Wie dem auch sei: Ich weiß, dass es für Unternehmen wie Menschen nicht immer einfach ist, mit der Zeit zu gehen. Es ist aber wichtig. Wahrscheinlich ist Veränderungsbereitschaft heute sogar wichtiger denn je, weil die Welt schneller geworden ist. Oder würden Sie da widersprechen?

Auf den folgenden Seiten gebe ich Ihnen ein paar Beispiele dafür, wie man sich auch als vermeintlich fertiger Mensch noch verändern kann. Sie bekommen ein paar Argumente, warum man sich auch als scheinbar perfekt funktionierendes Unternehmen weiterentwickeln und zu Veränderungen bereit sein muss. Wir schauen uns an, ob sich durch die Corona-Pandemie etwas bei der Veränderungsbereitschaft getan hat. Und wir beschäftigen uns damit, wie gut sich strategische Planung und Innovation eigentlich vertragen. Kleiner Spoiler: Man kann beide durchaus in Einklang bringen, sonst würde es ja nicht digitale Transformation heißen, sondern eher spontandigitale Mutation oder etwas in der Art.

2.1 Wie ich mich selbst verändert habe

1983. Das ist mein Geburtsjahr. Für Kinder bin ich also steinalt. Und auch aus Erwachsenensicht könnte man sagen: Der Holtschulte hat die magische 30 lang überschritten, ab jetzt geht es mit dem Haaransatz bergauf, mit den Kräften bergab und vor allem: Umerziehen kannste den nicht mehr groß! – Na klasse, meine Frau fängt gerade an, heftig mit dem Kopf zu nicken. In einem Punkt kann ich zustimmen: Ja, ich bin über dreißig. Das heißt aber nicht, dass es nun mit dem Dazulernen und dem Neustarten vorbei wäre. Im Gegenteil: Für mich sind neue Herausforderungen und neue Methoden spannend, Flexibilität und ein offenes Mindset sind mir heute eher noch wichtiger als mit Anfang zwanzig. Ach so, Sie mögen sich fragen: »Mindset? Watt is dat denn?« Setzen wir dafür einfach »Offenheit oder geistige Flexibilität« ein.

Wenn ich zurückdenke, war ich schon immer ein umtriebiger Typ. Ich kann mich erinnern, dass ich in meinem ersten Zimmer regelmäßig die Möbel und Einrichtung neu arrangiert habe, was einige meiner Freunde eher ungewöhnlich fanden. Gleichzeitig haben auch meine Freundschaften und Beziehungen natürlich von Ritualen gelebt, die man zusammen etabliert und teilt.

Wann ist eine Veränderung besonders groß, ungewöhnlich, bemerkenswert? Ich habe gelernt, dass die Leute das ganz unterschiedlich bewerten und dass auch die Selbstwahrnehmung und die Fremdwahrnehmung hier, wie so oft, total unterschiedlich sein können. Für mich war es zum Beispiel eine größere Sache, aus dem Ruhrgebiet wegzuziehen, weil ich immer enge Verbindungen zu meinen Eltern hatte. Wenn Sie nicht auch ein paar kritische Jahre Tür an Tür mit Ihren Alten gewohnt haben, können Sie wahrscheinlich nicht nachvollziehen, welche Emotionen, Erwartungen und Gewohnheiten sich aus so einer Nähe entwickeln. Im Grunde sind wir noch immer ein Stück weit in der familiären Transformation, obwohl das jetzt mehr als zehn Jahre her ist und ich mittlerweile zwei eigene Kinder habe.

Zwei andere Entscheidungen, die ich getroffen habe, sind mir etwas leichter gefallen – die Reaktionen darauf sind aber meistens umgekehrt proportional. Die einen finden es krass, die anderen könnten sich das für sich selbst nicht vorstellen, und wieder andere schauen mich an, als hätte ich ihnen gerade erzählt, dass ich meine Kinder zu Satanisten erziehe. Dabei habe ich mich bloß erstens selbstständig gemacht und zweitens begonnen, mich vegan zu ernähren.

Fangen wir mal mit dem Veganer-Sein an: Es war für sehr viele Menschen in meinem direkten Umfeld ein Schock und schier nicht denkbar, dass der Holtschulte, der sich doch stets gleich mehrere Portionen Fleisch auf einmal bestellte, aus Sorge, nicht satt zu werden, nun völlig auf Fleisch, Fisch, Milch, Butter, Eier und allem, was sonst aus Tieren hergestellt wird, verzichtet. Eigentlich ist es wie bei jeder anderen Veränderung, wie es zum Beispiel Erfolgs-Coaches wie Brian Tracy, Dale Carnegie, Bodo Schäfer, Jürgen Höller und Co. predigen: Du musst die Veränderung einfach radikal vollziehen. Sonst bleibst du gedanklich immer wieder in den alten Gewohnheiten hängen. Nehmen wir das Thema »mit dem Rauchen aufhören«. Auch so eine Übung, die durch ihren Suchtfaktor noch einmal etwas schwieriger ist. Auch hier spreche ich aus eigener Erfahrung. Es bringt nichts, den Zigarettenkonsum zu reduzieren, aber grundsätzlich weiterhin Raucher zu sein. Aufhören und die Entscheidung treffen, Nichtraucher zu sein: Das ist meiner Ansicht nach der einzige Weg, der das Dilemma beendet. Heftiger, aber kurzer Schmerz. Vegan zu leben in einem Haushalt mit drei Allesfressern ist gar nicht so einfach. Seit meiner Entscheidung muss ich mich deutlich mehr mit meiner Nahrungszubereitung befassen als zuvor, da ich in unserer Wohngemeinschaft ein Sonderling bin, benötige ich meist eine Extrawurst … Die Entscheidung, aufgrund des Tierleids auf tierische Produkte zu verzichten, ist sicher einfacher, wenn man alles in seinem Umfeld selbst entscheiden kann. Aber zu akzeptieren, wie sich Frau und Kinder weitgehend unabhängig und teilweise unbeeindruckt von meiner Entscheidung ernähren, ist mitunter etwas herausfordernd. Ich denke, es ist eine extreme Art zu lernen und zu akzeptieren, dass sogar die Menschen, die man über alles liebt, teilweise sehr stark abweichende Glaubenssätze haben. Sicher wäre es einfacher gewesen – und es würde auch weniger Diskussionen daheim geben –, wenn ich wie zuvor meine Essensgewohnheiten beibehalten hätte. Um Einfachheit geht es aber nicht, wenn man von einer Idee überzeugt ist. Andersherum ist es toll, wenn ich merke, dass ich durch mein Verhalten und meine Argumentation derart überzeugen konnte, dass heute deutlich weniger tierische Produkte bei uns daheim konsumiert werden.

Dass ich mittlerweile selbstständig unterwegs bin, habe ich Ihnen schon auf den ersten Seiten verraten. Möglicherweise gehören Sie zu der Fraktion, die sich als Erstes fragt: Wie kann man nur einen sicheren, gut bezahlten Job bei einem global führenden Softwareunternehmen aufgeben?

Nun, den einen Job, den man sein Leben lang ausübt, gibt es meiner Meinung nach nicht mehr. Diese Zeiten sind vorbei. Dies sagend, sehe ich mich in einer hitzigen Diskussion mit meiner Frau beim Abendessen: Mit dem Wort »vorbei« knalle ich mit der flachen Hand auf den Tisch, meine Tochter gähnt, der Sohn verdreht genervt die Augen. Meine Frau murmelt irgendwas mit »Gorilla«…

Selbstverständlich kann man sich auch als fest angestellter Arbeitnehmer konsequent weiterbilden und -entwickeln, wenn der jeweilige Arbeitgeber das nicht zu sehr torpediert. Folgendes Gedankenspiel hilft, das Dilemma und dessen Lösung zu verstehen. So fragt sich der Geschäftsführer eines mittelständischen Maschinenbauunternehmens: »Was passiert denn, wenn ich in die Entwicklung meiner Mitarbeiter viel Geld und Aufwand investiere und sie dann mein Unternehmen verlassen?« Darauf antwortet der Personalverantwortliche mit der Gegenfrage: »Was passiert, wenn wir nicht in die Entwicklung unserer Mitarbeiter investieren – und sie dann bleiben?«

Mittlerweile haben die meisten Firmen erkannt, wie wichtig Weiterbildung ist, deshalb bekommt man hier in der Regel auch die nötige Unterstützung. Weiterbildung scheint also nicht wirklich ein Argument für die Selbstständigkeit zu sein. Wenn ich es aber etwas weiter gefasst die persönliche und berufliche Weiterentwicklung nenne, sieht es schon etwas anders aus: Sagen wir, Sie besuchen auf Betreiben Ihrer Firma eine Fortbildung, um in Ihrem Bereich auf dem Laufenden zu bleiben – eigentlich würden Sie aber lieber in einem anderen Bereich arbeiten, sich mehr in eine andere Richtung entwickeln.

Wenn ich es mir näher ansehe, war ich auch im Angestelltenverhältnis bereits Unternehmer in meinem kleinen Bereich. Dann es ging stets darum, Kunden davon zu überzeugen die Projekte und Softwareentwicklungen mit uns durchzuführen. Wie ich dies erreichte, blieb, sofern ich es erfolgreich umsetzte, stets mir überlassen.

Dennoch – ich wollte mehr – ich wollte selbst entscheiden, was ich anbiete, und vor allem wollte ich die gesamte Verantwortung von der Akquise von Kunden über die Umsetzung und die angebotenen Produkte sowie die Lieferung und den Support. Ich kann jetzt vollständig selber entscheiden, in welchen Bereichen ich mich und mein Unternehmen weiterentwickeln will. Ich suche mir meine Partner und meine Kunden selber aus und gründe neue Unternehmen und Geschäftsbereiche, wenn ich dies für richtig halte. Die große Herausforderung, die ich derzeit in der Selbstständigkeit sehe, ist, dass man sich selber zwingen muss, fokussiert zu bleiben. Dies ist insbesondere dann ungewohnt, wenn man aus dem Korsett einer Rolle in einem Konzern kommt und nun von den unendlichen Möglichkeiten nahezu überwältigt wird.

In meinem derzeitigen Projekt machte mich der CFO darauf aufmerksam, welche Unterschiede es macht, statt mit einem reinen Berater oder Mitarbeiter mit einem Unternehmer wie mir zusammenzuarbeiten. Ich muss mich jeden Tag neu erfinden, und es gibt keinen Tellerrand, über den ich nicht hinausblicke – für mich gibt es einfach nur eine faszinierende und spannende Welt mit unendlich vielen Möglichkeiten, die wir einfach nur ergreifen müssen.

Warum erzähle ich Ihnen das alles? Weil ich keiner von denen bin, die Wasser predigen und Wein trinken. Ich habe für mich selbst die Erfahrung gemacht, dass Veränderungsbereitschaft etwas Positives ist. Wenn ich in meiner Funktion als unternehmensberatender Unternehmer ähnliche Dinge sage, wie Sie sie auf den folgenden Seiten lesen können, dann muss ich dafür nicht in eine Rolle schlüpfen, die eigentlich nicht zu mir passt. Aussagen wie »Es wird nicht ewig so weitergehen« oder »Ein wenig Veränderung kann erstaunliche Kräfte freisetzen« sind auch für mich selbst als Privatmensch und Unternehmer gültig.

2.2 Warum Zuschauen nicht mehr reicht

Besonders Unternehmen, die seit 30 Jahren und länger am Markt sind, haben das traditionelle Geschäftsmodell schätzen gelernt: Dienstleistungen oder Produkte anbieten, Angebotspreis berechnen, produzieren, liefern, Rechnung senden – läuft. Auf diese Weise erschaffen Baufirmen Häuser für ihre Auftraggeber, Maschinenbetriebe produzieren Maschinen, und Reiseveranstalter vertreiben Pauschalreisen. Dadurch erzielten die exemplarisch aufgezählten Unternehmen so wie viele andere Branchenzweige auch zum Teil hohe Margen. Schon kurz nach dem Geschäftsabschluss konnten die Umsätze verbucht werden. Nach dem Verkauf ist vor dem Verkauf – betriebswirtschaftlicher Erfolg ist keine Rocket Science. Vermutlich wäre das noch eine ganze Weile so weitergegangen, hätte das Internet mit seinen gigantischen Möglichkeiten nicht einen beispiellosen Einzug ins Leben und Wirken der Menschheit gehalten.

Durch das Internet, die immer flächendeckendere Online-Versorgung und immer nahtlosere Vernetzung ändern sich Märkte und Geschäftsmodelle, Produktionsbedingungen, die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, die Beziehungen zwischen Firmen und Kunden, das Verkaufen und Abrechnen von Waren und Dienstleistungen. Ja, was hat sich eigentlich nicht verändert in den zurückliegenden 20 Jahren?