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Das Phänomen Religion wird gegenwärtig von vielen verschiedenen Wissenschaften untersucht. Der neunte Band der erfolgreichen Reihe »Grundkurs Philosophie« konzentriert sich auf die philosophische Diskussion der wichtigsten theologischen Positionen »Theismus«, »Atheismus« und »Agnostizismus«., Hierbei interessieren insbesondere die unterschiedlichen Gottesbegriffe und Gottesbeweise im Theismus und ihre Kritik im Rahmen des Atheismus und Agnostizismus. Auch dieser Grundkurs beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den gegenwärtigen Debatten und bietet sich auf diese Weise in bewährter Manier für Universität und Selbststudium an.
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Philosophie der Religion
Reclam
RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 14413
2023 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2023
RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN978-3-15-962205-7
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014413-8
www.reclam.de
Einleitung
Philosophie der Religion im weiten Sinn
Philosophie der Religion im engen Sinn und rationale Theologie
Rationale Theologie und erkenntnistheoretischer Minimalismus
Die Tradition der rationalen Theologie
Die Verborgenheit der rationalen Theologie
Die Kontur des Geistes
Arten von Erklärungen
Teil 1Theismus
1.1 Gottesbegriffe
1.2 Gottesbeweise
Teil 2Atheismus und Agnostizismus
2.1 Atheismus und klassischer Agnostizismus
2.2 Semantischer Agnostizismus und Atheismus
Ausblick: Religiosität und die Grenzen der Vernunft
Verborgene Transzendenz
Religion und Politik
Übungsaufgaben
Literaturhinweise
Allgemeine Einführungen
Einleitung
Teil 1 Theismus
Teil 2 Atheismus und religiöser Agnostizismus
Glaubst Du an Gott? Diese Frage wird häufig gestellt. Würde sie im Zusammenhang mit einem Multiple-Choice-Verfahren auftauchen, so könnte man wahrscheinlich »ja« oder »nein« oder »weiß nicht« ankreuzen.
Tatsächlich stehen hinter diesen kurzen Antworten die drei wichtigsten theologischen Theorien, die diese Frage nicht nur beantworten, sondern auch begründen wollen: der Theismus, der Atheismus und der religiöse Agnostizismus.
Doch wer sich die Mühe macht, das vorliegende Buch durchzulesen, wird am Ende wissen, dass die einfache Frage nach Gott ohne nähere Qualifikationen wenig Sinn macht und nicht seriös beantwortet werden kann. Welche der vielen, heiß diskutierten Gottesbegriffe sollen wir unserer Frage nach Gott zugrunde legen? Und wie könnten wir unsere Wahl begründen? Denn erst dann, wenn wir unsere Wahl eines Gottesbegriffs begründet und tatsächlich auch getroffen haben, befinden wir uns in der Position, ernsthaft den Versuch zu unternehmen, die Frage nach der Existenz Gottes zu beantworten. Doch dieser Versuch muss den zahlreichen Denkern Respekt zollen, die seit der klassischen Antike bereits sehr viele interessante und durchdachte Antworten vorgeschlagen haben, und zwar in allen drei Lagern, also den Theisten, Atheisten und religiösen Agnostizisten.
Am Ende müssen wir alle, jeder und jede Einzelne von uns, die sich für theologische Fragen interessieren, aber selbst entscheiden, welche der vielen und zum Teil sehr unterschiedlichen Argumente uns am meisten überzeugen. Mit dieser Thematik beschäftigt sich dieser neunte Band eines Grundkurses Philosophie, der in die Grundlagen der wichtigsten philosophischen Teildisziplinen einführt.
Der Band bleibt der Anlage und den Zielen der bisherigen acht Bände treu. Die Darstellung ist überwiegend systematisch [8]und bemüht sich um eine möglichst knappe und verständliche Form. Nummerierte Beschreibungen fassen die wichtigsten Begriffe und Thesen zusammen. Einige Übungsaufgaben sollen das Lernen der wichtigsten Inhalte unterstützen. Das knapp gehaltene Literaturverzeichnis verweist auf weiterführende Literatur.
Im Gegensatz zu den meisten der bisherigen Bände wird im vorliegenden Grundkurs-Band zum Teil auch auf historische Positionen, jedoch stets in systematischer Absicht, Bezug genommen. Denn einige der systematischen Lösungsvorschläge im Rahmen der rationalen Theologie, die auch heute noch erwägenswert sind, sind am prägnantesten von Autoren früherer Jahrhunderte ausgearbeitet worden.
Der Titel dieses Buches – Philosophie der Religion – ist im Rahmen gegenwärtiger theologischer und philosophischer Debatten zweideutig: Religionen sind ein verbreitetes und vielfältiges Feld. Dementsprechend gibt es eine Philosophie der Religion im weiten Sinn (9.1), die sich möglichst vielen Aspekten der Religion (unter anderem auch der sozialen, moralischen und praktischen Dimension der Religionen) widmet. Philosophie der Religion im engen Sinn konzentriert sich demgegenüber auf die Artikulation, Begründung und kritische Prüfung religiöser Thesen. Dieses Unternehmen wird rationale Theologie genannt (9.4).
Das Interesse an Religionsphilosophie ist in letzter Zeit gewachsen. Insbesondere erschienen zahlreiche neuere Einführungen in die Religionsphilosophie. Viele dieser Einführungen umreißen Auffassungen einflussreicher Philosophen zu theologischen Fragen im Rahmen der Geschichte der Philosophie. Dabei werden zum Teil auch moderne religionsphilosophische Diskurse thematisiert, allerdings oft in komprimierter Form. Andere Einführungen bemühen sich um die Begriffe »Religion« und »Religiosität«, um die Unterscheidung zwischen [9]wissenschaftlichen Theorien oder Meinungen und religiösem Glauben sowie im allgemeinsten Sinn um religiöse Kulturen.
Diese Einführungen widmen sich also der Philosophie der Religion im weiten Sinn und liefern in diesem Rahmen meist interessante und wichtige Informationen zu historischen und kulturellen Aspekten. Im Gegensatz zu allen bisherigen Einführungen in die Religionsphilosophie konzentriert sich der vorliegende Grundkurs-Band 9 jedoch ausschließlich auf die rationale Theologie, also auf die Philosophie der Religion im engen Sinn.
Daher ist die Unterscheidung zwischen einer Philosophie der Religion im weiten und im engen Sinn für die Konzeption des vorliegenden Buches von grundlegender Bedeutung und wird in den folgenden beiden Abschnitten genauer erläutert.
Die Philosophie der Religion im weiten Sinn ist, wie bereits bemerkt, thematisch breit aufgestellt:
9.1Philosophie der Religion im weiten Sinn
Philosophie der Religion im weiten Sinn behandelt unter anderem
(i) religiöse Überzeugungen aller Art,
(ii) religiöse Praktiken und Traditionen,
(iii) religiöse Lebensentwürfe,
(iv) Ursachen der Entwicklung und Verbreitung von Religionen,
(v) evolutionäre Vorteile von Religionen für menschliche Gemeinschaften,
[10] (vi) soziale Aspekte von Religionen,
(vii) Beziehungen zwischen Religion und Politik,
(viii) Beziehungen zwischen Religion und Moral,
(ix) religiöse Glaubensgewissheit und wissenschaftliche Erkenntnis,
(x) Wert und Relevanz religiöser Überzeugungen für einzelne Menschen,
(xi) die Geschichte der Religionen sowie
(xii) die Beziehungen der Theologie zu anderen Wissenschaften.
Die meisten dieser Themen und Probleme kann die Philosophie nicht allein aufgrund eigener Kompetenz behandeln (und zwar (ii)–(viii), (x)–(xi)). Aufgrund von (i) behandelt die Philosophie der Religion im weiten Sinn auch Themen, die sich mit der institutionell von der Philosophie getrennten Theologie überschneiden. Theologie geht von einem festen religiösen Glauben aus und kann daher »glaubensorientiert« genannt werden. Sie wird in religiösen oder kirchlichen Institutionen, aber auch an Schulen und Universitäten gelehrt.
9.2Glaubensorientierte Theologie
(1) Die glaubensorientierte Theologie, wie sie seit längerem in Schulen, Universitäten und religiösen Institutionen gelehrt wird, setzt einen Glauben an eine Art von Gott voraus, dessen Existenz und Eigenschaften nicht angezweifelt werden.
Die drei abrahamitischen Religionen der Juden, Christen und Moslems gehen etwa von einem All-Gott aus, der eine Person ist, die mit Menschen kommuniziert, sich ferner um die Menschen sorgt und allmächtig, allwissend und allgütig ist.
[11] Die glaubensorientierte Theologie hat die Aufgabe, den vorausgesetzten Glauben an einen Gott (siehe (1)) zu unterstützen und zu bestärken.
Die in (3) genannte Aufgabe kann auch die Form rationaler Argumente annehmen.
Die glaubensorientierte Theologie beruft sich auch auf Offenbarungsschriften, vertritt eine Lehre vom Leben nach dem Tod, spekuliert nicht selten über Gottes Wünsche und betrachtet ihre zentralen Doktrinen als letztlich unerschütterliche Dogmen.
Eine radikale Version der glaubensorientierten Theologie ist der Fideismus, der die in 9.2 (3)–(4) genannte Aufgabe zurückweist und damit eine strikte Trennung zwischen religiösem Glauben und rationaler, empirisch gestützter Argumentation vertritt:
9.3Fideismus
Fideismus ist die theologische Lehre, die behauptet,
(1) dass Vernunft und Rationalität für die Ausübung religiöser Praktiken sowie für die Sicherung und Festigung des religiösen Glaubens unnötig, ja sogar hinderlich sind, und
(2) dass religiöse Überzeugungen wegen (1) dem wissenschaftlichen und rationalen Diskurs entzogen werden müssen.
Unter den Philosophen haben etwa Blaise Pascal (1623–1662), Søren Kirkegaard (1813–1855), William James (1842–1910) und Ludwig Wittgenstein (1889–1951) den Fideismus verteidigt. Einige Interpreten zählen auch Immanuel Kant (1724–1804) zu [12]den Fideisten, weil er glaubte, nachweisen zu können, dass wir Menschen aufgrund unserer kognitiven Ausstattung nicht in der Lage sind, gesichertes Wissen über Gott und seine Eigenschaften zu erlangen. Doch steht seine Position eher dem religiösen Agnostizismus nahe (siehe unten 2.1, letzter Abschnitt, und 2.2, Abschnitte 1–3).
Im Gegensatz zur Philosophie der Religion im weiten Sinn (9.1) konzentriert sich die Philosophie der Religion im engen Sinn auf die kritische Diskussion religiöser Meinungen:
9.4Rationale Theologie und Philosophie der Religion
(1) Die rationale Theologie (auch natürliche Theologie [natural theology] genannt) lässt sich durch fünf Prinzipien kennzeichnen:
(P1) Rationalismus: Religiöse Thesen müssen als begründungspflichtig verstanden werden. Die Berufung auf Autoritäten oder sogenannte Offenbarungsschriften zählt nicht als Begründung, es sei denn, diese Personen oder Autoritäten haben sich ihrerseits der Begründungspflicht gestellt. Die Begründung religiöser Thesen muss dieselbe Art von logischer Rationalität aufweisen wie eine Begründung in den anderen modernen Wissenschaften.
(P2) Wissenschaftskompatibilismus: Religiöse und theologische Annahmen sollten den jeweils besten wissenschaftlichen Theorien nicht widersprechen.
(P3) Erkenntnistheoretischer Minimalismus: Religiöse [13]Annahmen sollten die Grenzen der menschlichen Erkenntnismöglichkeiten nicht überschreiten. Diese Grenzen sind im Falle von Aussagen über die Welt und ihre Teile unter anderem durch Logik und empirische Erfahrungen bestimmt.
(P4) Anti-Dogmatismus: Religiöse und theologische Annahmen stehen ebenso wie wissenschaftliche Theorien grundsätzlich unter einem fallibilistischen Vorbehalt: Auch wenn sie zu irgendeinem Zeitpunkt gut begründet zu sein scheinen, kann nie ausgeschlossen werden, dass sie sich doch noch als falsch erweisen.
(P5) Terminologische Klarheit: Die religionstheoretische Sprache sollte so klar, explizit und transparent wie möglich sein. Vage Analogien oder Metaphern reichen nicht aus.
(2) Die Philosophie der Religion im engen Sinn konzentriert sich ausschließlich auf rationale Theologie. Die Philosophie der Religion kann nur in Gestalt einer rationalen Theologie als philosophische Disziplin verstanden und in einen Grundkurs Philosophie aufgenommen werden.
Aus 9.4 (2) folgt insbesondere, dass glaubensorientierte Theologie und Fideismus mit der rationalen Theologie unvereinbar sind und daher in diesem Grundkurs nicht zu behandeln sind.
Aus der Konzeption 9.4 der rationalen Theologie folgt, dass ihre Diskussionen, anders als in der glaubensorientierten Theologie, uneingeschränkt ergebnisoffen sind. Daraus wiederum folgt, dass die rationale Theologie
einerseits den Theismus zu prüfen hat, der behauptet, dass es mindestens einen Gott gibt, und zwar nicht nur [14]Varianten des Theismus, die wie zum Beispiel die abrahamitischen Weltreligionen (9.2 (2)) von einem persönlichen Schöpfergott ausgehen, sondern auch Konzeptionen von Göttern, die keine Personen sind oder keinen Geist haben, und
andererseits auch den Atheismus, der davon ausgeht, dass es keine Götter gibt, sowie auch den religiösen Agnostizismus, der behauptet, dass wir nicht wissen können, ob es Götter gibt oder nicht, zu behandeln hat.
Der erkenntnistheoretische Minimalismus (P3) besagt nicht, dass wir alle Dinge und Prozesse in Begriffen unserer empirischen Erfahrungen zu beschreiben haben. Viele anerkannte Wissenschaften postulieren Dinge und Prozesse, die wir nicht empirisch erfahren können. Wir können verfolgen, wie Steine, die wir hochgehoben haben, zu Boden fallen, wenn wir sie loslassen. Doch die Gravitation, als physikalische Kraft gefasst, sehen wir nicht. Sie wird als Postulat zur Erklärung dessen herangezogen, was wir sehen. In der modernen Physik wird die sogenannte Gravitationskraft letztlich auf die Raumkrümmung zurückgeführt, die (im physikalischen Sinn) durch das Auftreten von Massen verursacht wird. Die Raumkrümmung können wir ebenso wenig wahrnehmen, doch hat ihre Annahme Erklärungskraft und ist in empirisch gut begründete Theorien eingebettet. Dasselbe verlangt die rationale Theologie mit (P3) auch von einer Hypothese über die Existenz und Eigenschaften Gottes. Auch der Hinweis auf die Logik in (P3) sollte nicht zu restriktiv aufgefasst werden, denn er impliziert auch die formale Wahrscheinlichkeitstheorie.
[15]Die rationale Theologie arbeitet also mit denselben Grundlagen und Methoden wie andere Wissenschaften auch. Fideisten und glaubensorientierte Theologen machen demgegenüber abweichend vom erkenntnistheoretischen Minimalismus (P3) oft geltend, dass Theologie nur apriorisches Wissen erlangen kann und von empirischen Befunden unabhängig ist, weil Gott ein übermächtiges und übernatürliches Wesen ist, das sich einem empirischen Zugriff entzieht. Eine der Prämissen für diese Einschätzung (die auch von vielen philosophischen Positionen geteilt wird, beispielsweise von der analytischen Philosophie) ist die Annahme, dass sich apriorisches (also rein begriffliches) Wissen von empirischem Wissen klar unterscheiden lässt.
In der wirkungsmächtigen analytischen Philosophie wurde diese Unterscheidung in Begriffen einer Differenzierung zwischen analytischen und synthetischen Sätzen (bzw. Gedanken) pointiert artikuliert. Analytische Sätze sind wahr oder falsch lediglich aufgrund der Bedeutung der in ihnen vorkommenden Wörter, das heißt: aufgrund ihrer semantischen Gehalte und vermöge eines Blicks in unseren Geist; synthetische Sätze sind dagegen wahr oder falsch aufgrund ihrer empirischen Bestätigung oder Widerlegung und vermöge eines Blicks hinaus auf die externe Welt.
Diese Prämisse ist jedoch in der post-analytischen Philosophie der letzten fünf Jahrzehnte unter erheblichen Druck geraten. Einer der einflussreichsten Vertreter der analytischen Philosophie, Willard van Orman Quine (1908–2000), hat bereits im Jahre 1953 vernichtende Argumente gegen die Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Sätzen vorgebracht. Diese Vorbehalte wurden von so bedeutenden Philosophen wie Hilary Putnam (1926–2016) und Donald Davidson (1917–2003) (Schüler von Quine), aber auch von Wilfrid Sellars (1912–1989) und John McDowell (geb. 1942) entschieden [16]verstärkt und kulminierten in der Position des semantischen Externalismus.
Diese Position geht davon aus, dass semantische Gehalte von Gedanken nicht rein privat und subjektiv sind, sondern sich aufgrund von zwei Faktoren formieren:
durch den Bezug auf Fakten in der Welt, von denen unsere Gedanken meist hervorgerufen werden, und
durch gegenseitige Interpretationsversuche und andere soziale Aktivitäten, in denen andere Wesen als geistige Wesen wie der Interpret selbst angesehen und repräsentationale Perspektiven auf die Welt aneinander angeglichen werden.
Semantische Externalisten gehen von einer Unterscheidung zwischen engen und weiten semantischen Gehalten aus. Nehmen wir an, zwei Menschen haben eine Narbe, die zufälligerweise dieselben physischen und biologischen Eigenschaften E aufweisen, bis auf die Tatsache, dass die eine Narbe letztlich durch einen Insektenbiss IB und die andere Narbe dadurch, dass jemand sich an der scharfen Kante KD einer Dose geschnitten hat, verursacht worden ist. In diesem Fall hätten beide Narben denselben engen semantischen Gehalt »E«, die eine Narbe aber den weiten semantischen Gehalt »E und verursacht durch IB«, die andere Narbe dagegen den weiten semantischen Gehalt »E und verursacht durch Schnitt an KD«. Der semantische Externalismus behauptet üblicherweise, dass die meisten Repräsentationen weite semantische Gehalte aufweisen, die angeben, unter welchen externen Umständen die semantischen Gehalte formiert worden sind. Und das würde bedeuten, dass semantische Gehalte, oder genauer: Gedanken und Äußerungen, mit semantischen Gehalten (»Repräsentationen«), nicht rein mental, privat oder subjektiv sind, sondern auch auf [17]externe, oft empirische Bedingungen zurückgehen. Was bleibt dann noch vom Subjekt und vom Subjektiven? Zum einen bleiben Gedanken subjektiv in dem schwachen Sinne, dass wir im Allgemeinen wissen können, welche Gedanken in uns auftreten. Und dieses Wissen bedarf keiner weiteren Belege, sondern wird auf introspektive und infallible Weise gewonnen. Zum anderen bleibt die Erlebnisqualität von Gefühlen subjektiv in dem Sinne, dass sie jeweils nur von einem bestimmten Subjekt erfahren werden kann und weitgehend erklärt, warum es uns in unserem Leben überhaupt um etwas gehen kann. Der semantische Externalismus und der moderne Begriff des Geistes erschüttern, wie sich herausstellt, einige Varianten der rationalen Theologie, zum Beispiel die rationale Theologie von Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831). Vor allem aber widerlegt der semantische Externalismus die Konzeption einer apriorischen Theologie.
Philosophie der Religion im weiten Sinn wird erst seit kurzer Zeit betrieben. Glaubensorientierte Theologie ist dagegen ein Phänomen, das in der einen oder anderen Form in allen bekannten Kulturen und Gemeinschaften begegnet. Doch auch die rationale Theologie kann auf eine lange Tradition zurückblicken und hat in Europa bereits in der klassischen Antike ihren Eingang in die Philosophie gefunden.
Platon (428–348 v. Chr.) formulierte das Programm der rationalen Theologie um 350 v. Chr. erstmals im 10. Buch seiner letzten großen Schrift über die Gesetze des Stadtstaates (Nomoi) ausdrücklich und führte dieses Programm auch aus.
Schaut man auf die Geschichte der rationalen Theorie, so wurden überwiegend Positionen des Theismus, zuweilen aber [18]auch ein religiöser Agnostizismus vertreten (9.5 (3)). So vertritt Aristoteles (384–322 v. Chr.) eine überaus rigorose Variante der rationalen Theologie. Die Theologie, also die Lehre von Gott, ist für ihn ein genuiner Teil der Metaphysik und muss daher im technischen Vokabular der allgemeinen essentialistischen Metaphysik beschrieben werden. In den Büchern XII–XIV seiner Metaphysik erörtert und beweist Aristoteles, dass es eine ewige und immaterielle göttliche Substanz geben muss, die selbst unbeweglich und zugleich letzte Ursache aller Bewegungen ist. Und in seiner Physik Buch VIII, Kap. 10, leitet Aristoteles die zentralen Eigenschaften dieses göttlichen unbewegten Bewegers aus Grundsätzen seiner Physik ab.
In seiner Schrift De natura Deorum (Über die Natur der Götter) beschreibt der Redner und Philosoph Cicero (106–43 v. Chr.) demgegenüber ein mehrtägiges Zusammentreffen von drei Philosophen, die verschiedenen philosophischen Schulen angehören und daher verschiedene theologische Auffassungen vertreten. Sie nehmen sich vor, endlich zu einer einheitlichen Meinung über die Götter zu gelangen, und diskutieren diese Angelegenheit mit Nachdruck und in allen Details – um am Ende zu resignieren und zu konstatieren, dass sich die Natur der Götter allem Anschein nach mit Hilfe des menschlichen Erkenntnisvermögens nicht klären lässt. In dieser Schrift wird also nicht nur behauptet, sondern auch zu begründen versucht, dass wir Gott oder die Götter nicht erkennen können. Es handelt sich hier demnach um ein prominentes frühes Beispiel des religiösen Agnostizismus. Der Atheismus ist dagegen als explizit formulierte und begründete Position erst im Europa des 16. Jahrhunderts entstanden.
Aristoteles hat unter anderem Thomas von Aquin (1225–1274) und die Deisten des 17. Jahrhunderts (Vertreter der sogenannten natürlichen Religion) beeinflusst, Cicero dagegen hat David Hume (1711–1776) zu seinen Dialogues on Natural [19]Religion (Dialoge über natürliche Religion) angeregt, die von vielen Gelehrten als eine der besten Schriften zur rationalen Theologie angesehen werden, die je verfasst worden sind.
9.5Rationale Theologie von der Antike bis zur Gegenwart
(1) In der Antike waren etwa Platon, Aristoteles, Cicero und der Neuplatoniker Plotin (204/5–270), im Hochmittelalter Albert der Große (ca. 1200–1280) und Thomas von Aquin, in der frühen Neuzeit die Deisten (9.22), später David Hume, Immanuel Kant (9.40.1) und Hegel (9.61) Vertreter der rationalen Theologie.
(2) Die Rehabilitation der Metaphysik und die Entwicklung der postanalytischen Philosophie im 20. Jahrhundert haben den Spielraum für eine rationale Theologie erweitert, die auf hohem Niveau operiert.
(3) Die moderne rationale Theologie beschäftigt sich nicht nur mit dem Theismus (der Überzeugung, dass es einen Gott gibt), sondern auch mit dem Atheismus (der Überzeugung, dass es keinen Gott gibt) und dem religiösen Agnostizismus (der Überzeugung, dass wir nicht wissen können, ob es einen Gott gibt oder nicht).
Die rationale Theologie blickt nicht nur auf eine lange Tradition zurück, sondern wird auch gegenwärtig intensiv betrieben. Dabei spielen weitere philosophische Teildisziplinen in die rationale Theologie hinein, wie etwa Erkenntnistheorie und Philosophie des Geistes.
Rationale Theologie wird trotz ihrer einflussreichen historischen Tradition und des beachtenswerten theoretischen Niveaus ihrer gegenwärtigen Debatten allenfalls von Spezialisten wahrgenommen. In der Öffentlichkeit ist sie weitgehend unbekannt. Das ist kein Zufall, denn es gibt einflussreiche theologische Positionen, die zu einer Ausklammerung der rationalen Theologie geführt haben. Zwei der wichtigsten dieser Positionen sollen in diesem Abschnitt kritisch dargestellt werden.
Zuvörderst ist in diesem Kontext die radikale Unterdrückung der gesamten Tradition der rationalen Theologie durch die offiziellen führenden Vertreter der abrahamitischen Religionen zu nennen. In seiner Enzyklika Fides et Ratio ([»Christlicher] Glaube und Rationalität«) von 1998 beschwört Papst Johannes Paul II. (1920–2005) eine enge Kooperation von Theologie und moderner rationaler Philosophie und kritisiert den Fideismus. Ähnlich fordert Papst Benedikt XVI. (1927–2022), der sogenannte Gelehrte auf dem Papst-Thron, in seiner berühmten Regensburger Rede aus dem Jahre 2006 die Rehabilitierung der Theologie als wissenschaftlicher Disziplin. Beide Autoren erinnern daran, dass es in der klassischen Antike und im christlichen Mittelalter bereits eine enge Synthese von Theologie, Philosophie und Wissenschaft gegeben habe. In diesem Kontext wäre es naheliegend gewesen, explizit an die rationale Theologie anzuknüpfen. Doch beide Päpste erwähnen das Programm und die Geschichte der rationalen Theologie mit keinem Wort.
Neuere offizielle Schriften zur Ausrichtung der Theologie im Rahmen der führenden Religionen lassen die Gründe für dieses historische Versäumnis deutlich werden. So beruht die katholische Lehre etwa nach Auskunft der Schrift Theologie heute: Perspektiven, Prinzipien und Kriterien, die 2011 von der [21]offiziellen katholischen theologischen Kommission veröffentlicht wurde, auf dem Hören des Wortes Gottes, das in den christlichen Offenbarungsschriften (Altes und Neues Testament) festgehalten wird. Die katholische Theologie wird als wissenschaftliche Reflexion der göttlichen Offenbarung bezeichnet, die sie als universelle Wahrheit voraussetzen darf. Daher ist ihre erste Pflicht die angemessene Textauslegung bzw. Exegese und Interpretation der Testamente, die den Kriterien der Geschichtswissenschaft entsprechen kann und soll. Theologie ist primär Verstehen des Glaubens. Sie soll die christliche Offenbarung in einen rationalen wissenschaftlichen Diskurs übersetzen und dadurch offenbar die Akzeptanz des Glaubens erhöhen. Dabei wird unterstellt, dass sich die religiösen und wissenschaftlichen Wahrheiten letztlich nicht widersprechen können, weil sie beide in Gottes Vernunft gründen. Der gegenwärtige christliche Katholizismus gibt sich in dieser Schrift und vielen weiteren Dokumenten als glaubensorientierte Theologie (9.2) zu erkennen und ist daher mit dem Programm der rationalen Theologie unvereinbar.
Im Rahmen des christlichen Katholizismus und der islamischen Theologie werden zwar Gottesbeweise und andere rationale Mittel eingesetzt, dies jedoch nicht, um ernsthaft und ergebnisoffen zu prüfen, ob es Gott überhaupt gibt und welche Eigenschaften ihm zukommen (wie es in der rationalen Theologie üblich wäre), sondern um den feststehenden und unbezweifelbaren religiösen Glauben, dass es Gott gibt, zusätzlich zu stützen. Der Glaube an den christlichen oder islamischen Gott sowie die Wahrheit der Offenbarungsschriften (Bibel und Koran) werden dabei immer schon vorausgesetzt und daher gegenüber einem begründeten Zweifel oder einem atheistischen Standpunkt immunisiert.
Eine weitere religionstheoretische Position, die der Thematisierung der rationalen Theologie im Kontext der [22]modernen Philosophie entgegensteht, kommt aus der Philosophie selbst. Es handelt sich um die weithin rezipierte zweibändige Auch eine Geschichte der Philosophie von Jürgen Habermas (geb. 1929). Habermas entwickelt seine Geschichte der Philosophie im Blick auf den Diskurs zwischen christlichem Glauben und europäischer Wissenschaft. Dabei geht er ähnlich wie Johannes Paul II. und Benedikt XVI. davon aus, dass die antike, spätantike und mittelalterliche Symbiose von Glauben und Wissenschaft im späteren Verlauf der europäischen Philosophiegeschichte immer mehr aufgelöst worden ist, und zwar, wie Habermas über die von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. angestellten Überlegungen hinausgehend ausführt, durch einen dreifachen Prozess, nämlich
durch Säkularisierung,
durch den Übergang zum Paradigma der Subjektphilosophie und
durch die Eröffnung eines nachmetaphysischen Zeitalters.
Die moderne Philosophie nimmt zwar, stimmt man dieser Diagnose zu, gelegentlich immer noch implizit Motive aus dem religiösen Glauben auf, hat sich aber als systematische Disziplin offiziell aus theologischen Diskursen zurückgezogen. Dieses Bild entspricht den Auffassungen über Prozesse der frühneuzeitlichen Modernisierung und die zentrale Rolle des kantischen Denkens für die Zertrümmerung der Metaphysik, die Habermas in früheren Arbeiten ausgeführt hatte.
Diese historische Diagnose ist offensichtlich unvereinbar mit dem Anliegen des vorliegenden Grundkurs-Bandes, ja droht diesem Anliegen den Boden zu entziehen. Eine umfassende Diskussion dieses Problems kann hier nicht geleistet werden. Doch soll kurz auf einige Probleme hingewiesen werden.
[23]Zum einen steht fest, dass die Metaphysik als philosophische Disziplin keineswegs untergegangen ist. Es hat tatsächlich nie ein nach-metaphysisches Zeitalter gegeben. Seit geraumer Zeit stellt die Metaphysik sogar wieder eine blühende philosophische Disziplin dar. Zu dieser Entwicklung hat auch die Überwindung der klassischen Subjektphilosophie nachhaltig beigetragen, die – wie Habermas zu Recht betont hat – stets ein Fundament der Metaphysik-Kritik war. Dies belegen unter anderem Arbeiten von Rudolf Carnap (1891–1970) und anderen Vertretern der analytischen Philosophie, also der historisch letzten Variante der Subjekt-Philosophie.
Die einflussreiche Kritik sowohl postmoderner Denker wie Michel Foucault (1926–1984) als auch post-analytischer Philosophen wie Donald Davidson oder John McDowell am traditionellen Subjektbegriff (d. h. am »Mythos des Subjektiven«, wie der Titel einer Schrift von Davidson übersetzt lautet) hat jedoch zu einem philosophischen Paradigmenwechsel hin zu einer post-analytischen, anti-subjektivistischen Philosophie geführt, die wieder die großen philosophischen Fragen aufgreift und oft auf einem bemerkenswerten Niveau diskutiert. Die neue Metaphysik und die post-analytische Philosophie haben den Spielraum für ernstzunehmende religionsphilosophische Debatten auf hohem systematischem Niveau eröffnet, und dieser Spielraum wird gegenwärtig genutzt.
Zudem ist in den letzten Jahrzehnten die rationale Theologie von scharfsinnigen Religionsphilosophen in einen aktiven Forschungsbereich transformiert worden.
Kurz: Die Philosophie hat sich bis heute nicht aus der Theologie zurückgezogen. Dies gilt umso mehr, als mittlerweile, wie bereits erwähnt, auch der religiöse Agnostizismus und der Atheismus als erwägenswerte Positionen gewürdigt werden, die im Rahmen der rationalen Theologie lebhaft und kontrovers diskutiert werden.
[24]Hinzu kommt, dass die angebliche Synthese von Theologie und Wissenschaft im Mittelalter, von der sowohl Vertreter abrahamitischer Religionen als auch Philosophen wie Habermas ausgehen, genauer betrachtet nicht wirklich gelungen ist. Am engsten gestaltete sich diese Synthese in der frühen Geschichte des Islam. Bereits vom 9. Jahrhundert an beschäftigten sich islamische Gelehrte intensiv mit der aristotelischen Philosophie und legten die Grundlage für die spätere islamische rationale Theologie. Al’Kindi (gest. gegen 870), Mathematiker, Arzt und Philosoph, schrieb Kommentare zu den logischen Schriften des Aristoteles und war selbst ein theologischer Rationalist. Dasselbe gilt für Al’Farabi (Abunazar) (gest. 950). Ibn Sina (Avicenna) (980–1038), Theologe, Philosoph und Arzt, traktierte Logik, Metaphysik, Physik auf aristotelische Weise. Avempace (Ibn Badja, gest. 1138), Mediziner, Mathematiker, Astronom und Philosoph, sowie Abu Bekr Ibn Tufayl (Abubacer, gest. 1185), Leibarzt des Kalifen von Bagdad, Mathematiker, Philosoph, Dichter und Schüler Avempaces, legen in ihren Schriften Leitung des Einsamen (Tadbir al-mutawahhid) bzw. Der Lebende, der Sohn des Wachenden (Ḥayy ibn Yaqẓān) dar, dass der Mensch auf natürliche Weise ohne Offenbarung, nämlich durch Verbesserung des Denkens, zur Erkenntnis von und zum Glauben an Gott gelangen kann. Die positive Religion, wie sie im Koran formuliert wird, ist für diese Autoren eine notwendige Erziehung für die Menge: Religiöse Lehren sind bildliche Hüllen der Wahrheit, die von der (aristotelischen) Philosophie im Denken explizit erfasst wird. Ibn Ruschd (Averroes) (1126–1198), Theologe, Jurist, Arzt, Mathematiker und Philosoph, verfasste im Auftrag des damaligen Kalifen von Bagdad eine umfassende und genaue Kommentierung der meisten aristotelischen Schriften und schloss sich eng an die aristotelische Lehre an. Er vertrat einen voll ausgebildeten Rationalismus, bezeichnete philosophische Einsicht als höchstes [25]Wissen und die wissenschaftliche Erkenntnis als Religion des Philosophen.