Grundlagen der Visuellen Kommunikation - Marion G. Müller - E-Book

Grundlagen der Visuellen Kommunikation E-Book

Marion G. Müller

4,9

  • Herausgeber: UTB
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

Wie lassen sich Bilder beschreiben, analysieren und interpretieren? Marion G. Müller und Stephanie Geise geben anhand zahlreicher Beispiele aus den Bereichen Bildjournalismus, Wahlkampfkommunikation, Werbung, Onlinekommunikation oder auch der bildenden Kunst eine praktische Einführung in die Analyse visueller Phänomene. In einem zweiten Schritt stellen sie spezifische Ansätze der Visuellen Kommunikationsforschung vor, die sich als Teildisziplin der Medien- und Kommunikationswissenschaft in den letzten Jahren theoretisch und methodisch enorm weiterentwickelt hat. Mit 85 Farbabbildungen, Übungsaufgaben und Zusatzmaterial im Internet.

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Seitenzahl: 491

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Marion G. MüllerStephanie Geise

Grundlagen derVisuellen Kommunikation

2., völlig überarbeitete Auflage

UVK Verlagsgesellschaft mbH · Konstanzmit UVK/Lucius · München

Prof. Dr. Marion G. Müller lehrt Kommunikationswissenschaft an der Jacobs University Bremen.

Dr. habil. Stephanie Geise ist Akademische Rätin am Seminar für Empirische Kommunikationsforschung und Methoden an der Universität Erfurt.

Online-Angebote, elektronische Ausgaben sowie zusätzliche Materialien zum Buch sind erhältlich unter www.utb-shop.de.

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

1. Auflage: 20032. Auflage: 2015

© UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2015

Einbandgestaltung: Atelier Reichert, StuttgartTitelfoto: vector photo video/Shutterstock.com

UVK Verlagsgesellschaft mbHSchützenstr. 24 · 78462 Konstanz · DeutschlandTel.: 07531-9053-0 · Fax: 07531-9053-98www.uvk.de

UTB-Band-Nr. 2414ISBN 978-3-8252-2414-1 (Print)ISBN 978-3-8463-2414-1 (EPUB)

eBook-Herstellung und Auslieferung:Brockhaus Commission, Kornwestheimwww.brocom.de

Inhalt

Vorwort

Teil 1:Bildanalyse und Bildwirkung

1 Wozu Visuelle Kommunikationsforschung?

2 Was ist ein Bild?

2.1 Gestalttypen und Kontexte des Bildes

2.2 Bildnis – Porträt – (visuelle) Repräsentation

2.3 Ikone – Inszenierung – Image

3 Die assoziative Logik der Visuellen Kommunikation

3.1 Deutung – Bedeutung – Bildeinsatz

3.2 Digitales Bild und globale Verbreitung

4 Von der Bildbeschreibung zur Bildinterpretation

4.1 Wie beschreibe ich Bilder?

4.2 Wie analysiere ich Bilder?

4.3 Wie interpretiere ich Bilder?

5 Bildnutzung, Bildrezeption und Bildwirkung

5.1 Wie werden Bilder rezipiert?

5.2 Wie wirken Bilder?

5.3 Bild versus Text?

6 Das Bild als Quelle

6.1 Das Bild als journalistische Quelle

6.2 Das Bild als wissenschaftliche Quelle

Teil 2:Medien- und kommunikationswissenschaftliche Forschungsansätze

7 Visuelle Kompetenz

8 Politische Ikonografie und Ikonologie

9 Bildinhaltsanalyse

10 Bildtypenanalyse

11 Visuelle Kontextanalyse

12 Nonverbale Medienkommunikation

13 Visual Agenda-Setting

14 Visual Priming

15 Visual Framing

Bildnachweis

Literatur

Index

Vorwort

Die vergangene Dekade, seit der Veröffentlichung der ersten Auflage dieses Lehrbuchs, war von einer ungewöhnlichen Innovationsdichte technologischer und sozialer Kommunikatiosmöglichkeiten und einer stetigen Visualisierung unserer Lebenswelt geprägt. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der ersten Auflage dieses Lehrbuchs waren die sozialen Internet-Netzwerke FACEBOOK und TWITTER sowie die Online-Video-Plattform YOUTUBE noch nicht gegründet. Die digitale Fotografie steckte noch in den Kinderschuhen, Programme der digitalen Bildbearbeitung waren teuer, wenig selbsterklärend und damit primär Profis zugänglich. Der mobile Bilderaustausch erfolgte vorwiegend über das Brennen von CDs. Drahtlose Bluetooth-Verbindungen zwischen digitalen Geräten sowie visuelle Datenspeicherung und -übertragung vermittels Cloud Computing ersetzten erst vor wenigen Jahren das mühsame und zeitraubende Recherchieren, Kopieren, Scannen und Übertragen von digitalen Bildern. Auch auf der Bildebene hat sich einiges verändert: Mit der technisch möglichen »Erweiterung des Sichtbaren« entstanden auch neue Typen von Bildern mit neuen, spezifischen Charakteristika (z. B. dreidimensionales Kino, computergenerierte oder maschinell erstellte Bilder).

Mit diesen und anderen neuen technologischen Möglichkeiten der Bildherstellung, Bildverarbeitung und Bildspeicherung änderten sich nicht nur die privaten, sondern besonders auch die professionellen Bildproduktions- und Bildrezeptionskontexte in Journalismus und Politik, in Werbung und Unterhaltung. Dabei veränderte sich auch die Art und Weise, wie wir mit Bildern umgehen und mit ihnen bzw. über sie kommunizieren. Dies war auch mit einem institutionellen Wandel verbunden: Die Veränderung der Medienformate, Inhalte und Kommunikationsformen führte auch zu einer Entgrenzung zuvor voneinander eher getrennter Bereiche in der Kommunikationswissenschaft: Interpersonale soziale Kommunikation ist nicht mehr eindeutig von Massenkommunikation zu unterscheiden, die Übergänge zwischen Informations- und Unterhaltungsformaten sind fließend, Produzenten und Rezipienten verschmelzen zu digitalen Prosumern, das Lokale kann global wirken und auch umgekehrt haben viele Aspekte der globalen Kommunikation unmittelbare lokale Rückwirkungen. Die qualitativ und quantitativ zunehmende Bedeutung Visueller Kommunikation erfordert eine systematische methodische Fundierung der Bildanalyse, der Produktions-, Rezeptions- und Wirkungskontexte des Bildes sowie der Bildkritik. Auch institutionell hat sich diese im vergangenen Jahrzehnt weiterentwickelt: Die damals gerade gegründete Fachgruppe »Visuelle Kommunikation« ist heute in der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft fest verankert. Sie versteht sich als ein kommunikationswissenschaftlich orientiertes, explizit auch interdisziplinär ausgerichtetes, Forum für alle Forschungsfragen, die sich aus theoretischer, methodischer, empirischer und/oder auch gestaltungspraktischer Perspektive auf Formen visuell vermittelter Kommunikation beziehen. Auch diese institutionelle Professionalisierung hat in den letzten Jahren enorm dazu beigetragen, die Visuelle Kommunikationsforschung als Forschungsfeld weiterzuentwickeln und als integrale Teildisziplin der Kommunikationswissenschaft zu etablieren.

Bei all diesen Veränderungen ist unser wichtigstes Ziel, im Vergleich mit der ersten Auflage, gleich geblieben: Studierenden und Forschenden eine systematische Einführung in die gängigen visuellen Methoden und Forschungsansätze an die Hand zu geben. Dabei ist der Forschungsstand im interdisziplinären Forschungsfeld »Visuelle Kommunikation« im vergangenen Jahrzehnt derart expandiert, dass ein Überblick über mehr als zehn unterschiedliche Disziplinen, wie in der ersten Auflage noch erfolgt, kaum sinnvoll erscheint; über jeden einzelnen Zugang zur Visuellen Kommunikationsforschung ließe sich ein eigenes Lehrbuch schreiben. Unser Lehrbuch konzentriert sich auf die Kommunikations- und Medienwissenschaft, und dort auf die einschlägigen Methoden der Bildanalyse, der Bildproduktions-, der Bildrezeptionsund der Bildwirkungsanalyse sowie auf eine kurze Vorstellung der wichtigsten Forschungsansätze.

Mit Stephanie Geise ist eine ausgewiesene Expertin im Bereich der visuellen Wirkungs- und Rezeptionsforschung als Ko-Autorin beteiligt. Sie fügt dem Lehrbuch eine wesentliche Dimension hinzu, die der ersten Ausgabe fehlte. Die gemeinsame Konzeption und Ausarbeitung des Lehrbuchs war eine Herausforderung, die uns weit mehr Zeit gekostet hat als ursprünglich geplant, die aber auch zu einem großen wechselseitigen Verständnis und einer Kohärenz des Lehrbuchs geführt hat, die sich hoffentlich auch unseren Lesern erschließt.

Das Lehrbuch hat insgesamt 15 Kapitel und ist in zwei große Teile gegliedert: Im ersten Teil (Kapitel 1 bis 6) wird anhand von Übungsbeispielen in die Methode der Bildanalyse sowie in Theorie und Empirie der Bildwirkung eingeführt. Teil zwei (Kapitel 7 bis 15) veranschaulicht neun konkrete Forschungsansätze der Visuellen Kommunikations- und Medienwissenschaft. Während beide Autorinnen sämtliche Kapitel wechselseitig und in verschiedenen Stadien kommentiert und korrigiert haben, ist die Autorenschaft eindeutig aufgeteilt: Kapitel 1–4 und Kapitel 6–8 sowie Kapitel 11 wurden von Marion G. Müller verfasst, während sich Stephanie Geise für die folgenden Kapitel verantwortlich zeichnet: Kapitel 5 – Bildrezeption und Bildwirkung, Kapitel 9 und 10 – Bildinhaltsanalyse, Bildtypenanalyse sowie Kapitel 12 bis 15 Nonverbale Medienkommunikation, Visual Agenda-Setting, Visual Priming sowie Visual Framing.

Um das Lehrbuch nicht noch umfangreicher werden zu lassen, sind zusätzliche Abbildungen, Praxistipps und die Links zu den Online-Bildquellen auf www.utb-shop.de einsehbar, wenn man den Buchtitel aufruft und auf »Zusatzmaterial« klickt. Im Buch wird dies jeweils mit dem Icon angezeigt.

Für die Inhalte wie auch für die Verfehlungen des Lehrbuchs tragen die Autorinnen gemeinsam die Verantwortung. Wir wünschen unseren Lesern eine spannende Lektüre und freuen uns, dass wir nunmehr unser Werk als nützliches »Augen- und Handwerkzeug« in die Lern- und Forschungspraxis entlassen können.

Bremen und Erfurt im Juli 2015

Marion G. Müller und Stephanie Geise

Teil 1:Bildanalyse und Bildwirkung

1   Wozu Visuelle Kommunikationsforschung?

Bilder prägen, Bilder verändern unsere Realität. Bilder beeinflussen unsere Selbstwahrnehmung, aber auch die Wahrnehmung unserer Umwelt. Dabei sind wir den Bildeindrücken ausgesetzt, ob wir dies wollen oder nicht. Visuelle Kommunikationsforschung macht die Prozesse visueller Wahrnehmung und visueller Kommunikation transparent, versucht sie theoretisch zu erklären und empirisch zu analysieren. Dabei gilt zu beachten, dass visuelle Eindrücke vom menschlichen Sinnesapparat anders verarbeitet werden als Informationen in Textform. Bilder werden auch auf andere Art und Weise erinnert und im persönlichen wie auch im kulturellen Gedächtnis gespeichert.

Visuelle Kommunikation ist, medienhistorisch betrachtet, ein prä-modernes Phänomen: Mit der Gestaltung der ersten Höhlenmalereien um etwa 30.000 v. Chr. entstehen bildliche Mitteilungen lange vor der Entwicklung der Schrift und wahrscheinlich auch lange vor der verbalen Sprache (vgl. Pandel 2009) – und von diesem Zeitpunkt an drücken sich Menschen durch alle Epochen hindurch (auch) über Formen visueller Kommunikation aus und geben in Bildern gespeicherte Botschaften bzw. Wissen an räumlich und zeitlich Abwesende weiter. Während visuelle Kommunikation damit eine Konstante menschlicher Kultur darstellt, sind die jeweiligen visuellen Kommunikate, ihre Struktur und Funktion vielschichtig, denn sie werden auch durch die zeitlichen, räumlichen, sozialen, kulturellen, individuellen oder medialen Kontexte geprägt, in denen sie entstehen (vgl. Mitchell 2005). Das zeigt sich besonders in den heutigen »Mediengesellschaften«: In kaum einem anderen Zeitalter zuvor waren die Vielfalt visueller Kommunikationsmittel sowie der quantitative Output von alten und neuen Bildern so groß.

Im Laufe seiner jahrtausendelangen Geschichte hat sich das Bild von seiner ursprünglichen Funktion als seltene, kostbare, stark lokal verortete und religiös-rituell eingebundene menschliche Kommunikationsform zu einem omnipräsenten, vertrauten, jederzeit technisch reproduzier-, modifizier- und verfügbaren Alltagsgut entwickelt (vgl. Raab 2008: 21; vgl. Raab 2001). Dabei ist die Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts durch einen technologischen Quantensprung geprägt, der zur Gleichzeitigkeit multimedialer Kommunikationsformen geführt hat: Visuelle Kommunikationsmedien, die bereits im 19. Jahrhundert populär waren, wie etwa Zeitungskarikatur und Straßenplakat, stehen neben Hochglanzfotografien und Homevideos, neben Fernsehbildern und Internet-Images. Die Möglichkeit digitaler Bearbeitung von Bildern wirft zusätzlich die Frage nach dem Verhältnis von Original und Kopie, von Täuschung und (Ver-)Fälschung visueller Informationen auf.

»Visuelle Kommunikation« ist damit ein hochaktuelles Forschungsgebiet, das ebenso facettenreich ist wie sein Forschungsgegenstand (vgl. Knieper/Müller 2001; Müller 2007; Geise 2011a; Lobinger 2012; Geise/Lobinger 2012) und seine Methoden (vgl. Petersen/Schwender 2011). Die Visuelle Kommunikationsforschung bezieht sich auf visuelle Phänomene, die sich meist, aber nicht ausschließlich, in Form von medial fixierten Bildern materialisieren und fragt nach deren Selektion, Produktion, Rezeption, Aneignung und Wirkung. Sie legt dabei einen Fokus auf visuelle Formen der indirekten, medienvermittelten Kommunikation. Dabei ist der Bild- sowie der Medienbegriff möglichst weitgefasst (vgl. Kapitel 2) und beinhaltet Tafelbilder ebenso wie Fotografie und Druckgrafik. Auch Film und Fernsehen werden als audiovisuelle Medien unter den Bildbegriff subsumiert, insofern es sich bei ihnen um »moving pictures« – bewegte Bilder – handelt. Im weitesten Sinn umfasst Visuelle Kommunikationsforschung auch dreidimensionale Artefakte, also beispielsweise Architektur und Skulptur.

Dabei nimmt Visuelle Kommunikationsforschung im Unterschied zur Kunstgeschichte keine ästhetische Wertung vor. Entscheidend für die Qualifikation als Forschungsobjekt ist die visuelle Form und nicht die gestalterische Qualität. In gewisser Weise interessiert sich Visuelle Kommunikationsforschung sogar besonders für die »niederen« Bildprodukte, die außerhalb eines elitären Kunstbegriffs stehen, aber eine große Popularität, einen hohen Verbreitungsgrad und damit ein großes Publikum haben.

Visuelle Kommunikationsforschung untersucht visuelle Phänomene, die sich in Form von Bildern materialisieren sowie deren Selektion, Produktion, Rezeption, Aneignung und Wirkung.

Mit der Festlegung auf das Kriterium der Bildlichkeit und deren Materialisierung grenzt sich die Visuelle Kommunikationsforschung von dem größeren Forschungsbereich interpersonaler nonverbaler Kommunikation ab. Nonverbale Kommunikation bezieht sowohl auditive Elemente mit ein als auch visuelle Eindrücke, wie etwa Gesten, die nicht in irgendeiner Form – sei es in Öl, Stein, Zelluloid oder in Pixeln – als materialisiertes Bild visualiert werden (müssen) (vgl. Abb. 1, Kapitel 2 und 12).

Die Logik der Bilder ist eine andere als die Logik der Texte. Mit sprachwissenschaftlichen Begrifflichkeiten wie »Syntax« oder »Grammatik« ist der Eigenart Visueller Kommunikation nicht beizukommen. Bereits die Produktionslogik und die Produktionsstrukturen, ganz zu schweigen von Inhalt und Wirkung, unterscheiden sich von den Strukturen textlicher Kommunikation, wobei sich Bild- und Textkommunikation nicht selten wechselseitig durchdringen oder zumindest überlagern. Dabei können sich Bild und Text in ihrer Aussage ergänzen bzw. diese spezifizieren. Sie können sich aber auch widersprechen. Um die möglichen Bildwirkungen bei den Rezipienten zu ermitteln, ist jedoch eine analytische Unterscheidung in die spezifischen Funktions- und Wirkungsweisen von Bildern und verbaler Kommunikation sinnvoll (vgl. Lobinger/Geise 2013).

Visuelle Kommunikationsforschung ist eine recht junge, expandierende Teildisziplin der Kommunikationswissenschaft, die sozialwissenschaftliche Methoden anwendet, um die Produktions-, die Distributions-, die Rezeptions-, Aneignungs- und Wirkungsprozesse, aber auch die Bedeutungspotenziale von massenmedial kommunizierten Bildern in ihren sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Kontexten zu analysieren, zu verstehen und zu erklären (vgl. Müller 2007: 24). Der Tradition der empirischen Sozialwissenschaften folgend ist Visuelle Kommunikationsforschung dabei problemorientiert und nimmt durchaus auch eine kritische Perspektive auf visuelle Kommunikationsphänomene und deren Implikationen ein (ebenda).

Die Fragestellungen und die Methodenansätze, denen sich Forscher in der Analyse visueller Kommunikationsphänomene widmen, variieren beträchtlich und sind stark durch ihre jeweilige fachliche Herkunft geprägt. Diese oft auch an der aktuellen Entwicklung orientierte Offenheit ist eine Stärke der Visuellen Kommunikationsforschung. Sie macht jedoch den Einstieg nicht gerade leicht. Insbesondere das Fehlen einer etablierten, fest institutionalisierten Forschungsdisziplin Visual Communication Science hat zu einer Vielzahl an unverknüpften Entwicklungs- und Forschungssträngen geführt. Die Vielschichtigkeit der Auseinandersetzung ist dabei Chance und Last zugleich (vgl. Müller 2007: 7), denn sie eröffnet zwar facettenreiche methodische und inhaltliche Zugänge, steht aber auch einer inhaltlichen und institutionellen Integration des Forschungsbereichs entgegen.

Zur groben Systematisierung können die diversen Fragestellungen und Methodenansätze in drei unterschiedliche Analyseebenen Visueller Kommunikationsforschung unterteilt werden. Ein ganzheitlicher Kommunikationsansatz würde idealerweise alle Ebenen Visueller Kommunikation untersuchen. Dies ist jedoch aus arbeitspraktischen Gründen sowie aufgrund mangelnder Vernetzung der Forschenden bislang kaum geleistet worden (vgl. Müller/Kappas/Olk 2012). Die in der Forschungspraxis oft notwendige Konzentration auf einen der drei Analysebereiche Produktionsanalyse, Produktanalyse oder Wirkungsanalyse führt dabei zu unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen.

Die drei Ebenen Visueller Kommunikationsforschung sind: Produktionsanalyse – Produktanalyse – Wirkungsanalyse

Die Produktionsanalyse fragt nach dem Warum und dem Wie der Entstehung des visuellen Kommunikats. Beispielsweise bedeutet dies bei der Analyse einer Pressefotografie (vgl. Abb. 35, 62, 74–75, S. 110, 151, 164–165), nach den Arbeitsbedingungen des Pressefotografen zu fragen, der das Foto geschossen hat, nach den Strukturen der Presseagentur sowie nach ihrem Verhältnis zur Bildredaktion der jeweiligen Zeitung. Unter welchen Bedingungen wurde die Fotografie aufgenommen? Wie und warum wurde sie von der Bildredaktion zur Publikation ausgewählt? Wie viel wurde für die Fotografie bezahlt? Warum wurde gerade dieses Foto ausgewählt und kein anderes?

Die Produktionsanalyse stellt immer auch die Frage nach der Motivation und Intention der Bildproduzenten: Handelt es sich bei den Bildern um künstlerische oder um kommerziell motivierte Produkte? Ist eine Einzelperson für die Bildschöpfung verantwortlich, wie dies bei Kunstwerken meist der Fall ist, oder ist das Bild Ergebnis kreativer Teamarbeit, wie beispielsweise ein Wahlplakat (vgl. Abb. 26, S. 71)? Die Produktion, Auswahl und Veröffentlichung von Bildern ist insofern ein hochkomplexer Prozess, der viele unterschiedliche Akteurs- und Entscheidungsebenen einschließt. Produktionsanalysen erfordern deshalb methodisch meist einen historisch-sozialwissenschaftlichen Zugang, der nach den Entstehungsbedingungen sowie dem Wandel der spezifischen Produktionsbedingungen und -kontexte fragt. Hierbei können auch Interviews mit den Bildproduzenten und -herausgebern eine sinnvolle methodische Ergänzung bieten.

Die Produktionsanalyse untersucht die Entstehungsbedingungen und die Produktionsstrukturen visueller Kommunikation. Sie fragt nach dem Entstehungskontext:

Wann ist das Bild wie entstanden?

Bei der Produktanalyse liegt der Schwerpunkt auf der Ebene der Bedeutungspotenziale des analysierten Bildes. Hierbei wird von dem Bildmaterial ausgegangen. Die erste Herausforderung der Produktanalyse besteht darin, das Bild zunächst detailgenau und intersubjektiv nachvollziehbar zu beschreiben. Form, Größe, Produktionstechnik, Materialität und Motiv müssen bestimmt werden. Während der Motivanalyse kommt automatisch die Frage nach Vorbildern auf (vgl. Abb. 19–24, S. 66–67).

An dieser Stelle ist von »Produktanalyse« und nicht von dem auch naheliegenden Begriff der »Inhaltsanalyse« die Rede, weil Letzterer in der Kommunikations- und Medienwissenschaft eine ganz spezifische Bedeutung hat, die zudem mit einer speziellen Methode verknüpft ist (zur standardisierten Inhaltsanalyse vgl. Merten 1995; Rössler 2010; Früh 2011; zu qualitativen Ansätzen vgl. Mayring 2010; Schreier 2012). Zwar wurde die Methode der Inhaltsanalyse gerade auch in ihrer Anwendung auf Bilder in den letzten Jahren erheblich weiterentwickelt (vgl. Grittmann/Lobinger 2011; Geise/Rössler 2012; vgl. Kapitel 9) – und stellt gegenwärtig eine der wichtigsten Methoden der Visuellen Kommunikationsforschung dar (vgl. Lobinger 2012) – doch ist die hier gemeinte Form der Inhaltsanalyse als Produktanalyse noch weiter gefasst und soll sowohl der Kommunikationswissenschaft als auch anderen Disziplinen den Zugang zur Thematik erleichtern, ohne ihn zugleich auf eine spezifische kommunikationswissenschaftliche Analysemethode einzuengen. Beispielsweise können im Bereich der Produktanalyse, jenseits der Inhaltsanalyse, auch Formen der qualitativen Befragung (z. B. Leitfadeninterviews, Fokusgruppen) mit den Bildproduzenten oder Bildsortierstudien eine hilfreiche methodische Ergänzung bzw. Informationsquelle für den Forscher sein. Vorsicht ist jedoch geboten, die Aussagen der Bildproduzenten, etwa hinsichtlich ihrer Produktinterpretationen, als absolut zu setzen. Denn die meisten Bilder sind mehrdeutig und werden von unterschiedlichen Publika ganz verschieden interpretiert. Insofern sind sowohl die Motivgeschichte als auch der mit den Bildmotiven verbundene Bedeutungswandel für eine komplexe Interpretation zu berücksichtigen. Zudem gibt es neben bewussten Vorbildern auch unbewusste bzw. nur implizit wahrgenommene Bildtypen bzw. Bildstereotypen (vgl. Marquardt 2005; Grittmann 2007), die auf den Produktions- und Selektionsprozess erheblichen Einfluss haben können. Methodisch erscheinen sowohl kommunikationswissenschaftliche, zeichentheoretische, psychologische als auch kunsthistorische Ansätze für die Ebene der Produktanalyse besonders geeignet.

Die Produktanalyse untersucht Materialität und Motiv des Bildes. Sie fragt nach den bildimmanenten Bedeutungen:

Was ist auf dem Bild wie dargestellt?

Die Rezeptions- und Wirkungsforschung untersucht die Formen, Strukturen und Prozesse der Wahrnehmung und Rezeption des Bildes sowie die damit verbundenen Wirkungen auf Rezipienten. Wirkungsanalyse wird im Folgenden als übergeordneter Begriff verstanden, der sowohl die wirkungs- als auch die rezeptionsspezifischen Fragestellungen umfasst. In diesem Sinn fragt die visuelle Wirkungsanalyse nach den Adressaten bzw. nach den Rezipienten der Bilder: Was machen die Menschen mit den Bildern? – aber auch: Was machen die Bilder mit den Menschen?

Da die hiermit implizierten Fragen zu einem Großteil empirischer Natur sind, werden bei der Wirkungsanalyse quantitative und/oder qualitative Methoden der empirischen Sozialforschung eingesetzt. Insbesondere kommunikationswissenschaftliche sowie psychologische und kognitionswissenschaftliche Methoden bieten sich zur Bearbeitung des Rezeptions- und Wirkungsaspektes von Bildern an (vgl. Kapitel 5). So ist eine bislang immer noch ungeklärte – und vermutlich aufgrund der Komplexität der Kommunikationssituation niemals vollständig zu klärende – Frage im Bereich der visuellen politischen Kommunikationsforschung die nach dem Einfluss von Visueller Wahlkampfkommunikation auf die Wahlentscheidung. Warum sich Wählerinnen und Wähler für eine bestimmte Partei oder einen bestimmten Kandidaten entscheiden, ist von sehr vielen unterschiedlichen Faktoren abhängig (vgl. Brettschneider 2002, 2005). Insofern kann der konkrete Einfluss eines bestimmten Wahlplakats auf die Wahlentscheidung (vgl. Abb. 26, 30–32, S. 71, 89) kaum isoliert gemessen werden. Dieses Beispiel verdeutlicht die enorme wissenschaftliche Herausforderung, handlungs- und einstellungsrelevante Wirkungen von Bildern nachzuweisen. Wo die Forschung hingegen bereits größeren Erfolg hat, ist bei dem Nachweis wahrnehmungsrelevanter bzw. physiologischer und affektiver sowie auch kognitiver Wirkungen von Bildern (vgl. etwa Geise 2011a, b, 2013; Müller/Kappas/Olk 2012).

Die Wirkungsanalyse untersucht Formen, Strukturen und Prozesse der Wahrnehmung und Rezeption von Bildern sowie die damit verbundenen Wirkungen auf Rezipienten. Sie fragt dabei nach den Adressaten und Rezipienten Visueller Kommunikation:

Was machen die Menschen mit den Bildern?

Was machen die Bilder mit den Menschen?

Ungleich komplexer als die Analyse der Rezeption und Wirkung von Einzelbildern ist die Analyse bewegter Bilder. Obwohl hier die Bildanalyse um Text- und Audioanalyse ergänzt werden muss, gilt die prinzipielle Dreiteilung in Produktions-, Produkt- und Wirkungsanalyse auch für filmisches Bildmaterial. Diese Dreiteilung ist eine idealtypische Unterscheidung, die für das Begreifen visueller Kommunikationsstrukturen hilfreich ist. In der Realität vermischen sich diese Ebenen, weshalb es sinnvoll erscheint, die drei Analyseebenen zumindest in der Gesamtbetrachtung zu integrieren und dabei die zuvor in ihre Einzelteile zerlegten Elemente zu einem komplexen Ganzen zusammenzufügen. Wie oben bereits angedeutet, steht jedoch am Beginn jeder visuellen Kommunikationsanalyse die Bildbeschreibung, die in Kapitel 4 an praktischen Beispielen erläutert wird.

2Was ist ein Bild?

Bilder sind medienhistorisch eine anthropologische Konstante: Seit Menschen im Paläolithikum die ersten bildlichen Botschaften erzeugt haben, waren Bilder wesentlicher Bestandteil menschlicher Ausdrucksformen. Für Boehm (2001: 10) ist der Mensch daher ein »Homo Pictor«. Doch was macht ein Bild zu einem Bild? Was ist ein Bild?

Diese scheinbar simple Frage stellte W. J.T. Mitchell, einer der führenden Bildtheoretiker, 1986 in einem bis heute grundlegenden Artikel. Für Mitchell (1986: 9) ist das theoretische Verständnis der Bildlichkeit in sozialen und kulturellen Praktiken verankert. Doch was bedeutet das? Zunächst einmal, dass unser Verständnis von Bildlichkeit und von Bildern relativ ist, denn es basiert auf Vorerfahrungen, die aus zeitlichen, kulturellen, sozialen und individuellen Wahrnehmungsdifferenzen resultieren (Mitchell 1986: 8–9) und zu Unterschieden in Bildverständnis und Bildinterpretation führen. Um diese Beobachtung an einem Beispiel zu illustrieren: Wenn zwei Menschen dasselbe Bild von einem Apfel betrachten, bedeutet das nicht automatisch, dass sie dasselbe in diesem Apfel sehen – vielleicht ist das Bild für den einen einfach eine visuelle Repräsentation eines Apfels, für den anderen aber ein Symbol für gesunde Ernährung, für den Sündenfall oder eine bekannte Computerfirma. Ebenso wird eine Person ein Klassenfoto zum Zeitpunkt seiner Entstehung anders beurteilen als im Rückblick Jahrzehnte später. Auf diese enge Verbindung von materiellem Abbild und immateriellem Denkbild hatte bereits der Kulturwissenschaftler und Kunsthistoriker Aby Warburg (1866–1929) hingewiesen.

Das Problem der Bilddefinition ist jedoch noch komplexer. Jenseits offensichtlicher zeitlicher, kultureller, sozialer und individueller Wahrnehmungsdifferenzen ist bereits unklar, was genau mit dem Wort Bild gemeint ist (vgl. Boehm 1994; Belting 2005, 2007). Der Begriff wird in der deutschen Sprache auf so unterschiedliche Phänomene wie Kunstwerke, Familienfotos, Piktogramme, Traumbilder, Klangbilder, sprachliche Metaphern und sogar zur Beschreibung von Ideen angewendet (vgl. Müller 2007). Mitchell (1986: 8–9) unterscheidet zwei Bildgruppen und insgesamt fünf Bildkategorien: grafische, optische, perzeptuelle, geistige und sprachliche Bilder. Zur Bildgruppe der materiellen Bilder zählen:

1) die grafischen Bilder wie Gemälde, Zeichnungen und auch Statuen sowie

2) die optischen Bilder wie Spiegel und Projektionen.

Diesen stellt Mitchell (1986: 9–14) die Bildgruppe der immateriellen Bilder als ›weniger greifbare‹ Bildkategorie gegenüber. Hier differenziert er zwischen

3) den perzeptuellen Bildern (Sinnesdaten, Erscheinungen),

4) den geistigen Bildern (Träume, Ideen, Erinnerungen) und

5) den sprachlichen Bildern.

Während die so gefassten grafischen und optischen Bilder eindeutig zum Repertoire Visueller Kommunikationsforschung zählen, ist fraglich, inwieweit die weniger greifbaren Bildkategorien ebenfalls dazugehören. Hier befindet sich die Visuelle Kommunikationsforschung in einem Dilemma: Werden die immateriellen Bilder integriert, ergibt sich eine große begriffliche Unschärfe. Dies zeigt auch Mitchells aktuelle Auseinandersetzung, in der er (2008: 11) das Bild definiert als »jedes Abbild, jede Darstellung, jedes Motiv und jegliche Gestalt, die in bzw. auf irgendeinem Medium erscheint«. Ein solch weit gefasster Bildbegriff ist für die Visuelle Kommunikationsforschung zu unpräzise und damit ungeeignet. Umgekehrt erweist sich aber auch ein zu enger Bildbegriff als problematisch.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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