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An der Philosophie des Geistes scheiden sich die Geister. Die Auseinandersetzung um das Verhältnis von Gehirn und Bewusstsein beschäftigt Philosophen und empirische Wissenschaftler seit Jahrhunderten. Entsprechend unübersichtlich ist die Diskussionslage. Michael Pauen gibt eine systematische, problemorientierte Darstellung der wichtigsten Positionen, Debatten und Argumente der letzten Jahrzehnte und unterscheidet dabei auch zwischen aussichtsreichen und weniger aussichtsreichen Vorschlägen. Berücksichtigt werden außerdem die Ergebnisse der empirischen Forschung sowie die möglichen Konsequenzen für unser Selbstverständnis als bewusste, frei handelnde Subjekte. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)
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Seitenzahl: 490
Michael Pauen
Grundprobleme der Philosophie des Geistes
Eine Einführung
FISCHER E-Books
An der Philosophie des Geistes scheiden sich die Geister: Kann diese Disziplin wirklich ernsthaft zur Lösung der in ihrem Bereich anstehenden Probleme beitragen, oder handelt es sich hier nicht um eines jener Gebiete, in denen die philosophischen Spekulationen so lange geduldet werden, bis die ›harten Wissenschaften‹ zu sicheren Erkenntnissen gekommen sind? Wird also die Philosophie des Geistes ein ebenso unrühmliches Schicksal erleiden wie die Naturphilosophie, die rationale Psychologie oder gar die Kosmologie, die heute in der Tat längst durch die empirischen Wissenschaften verdrängt worden sind?
Was, vor allem, wird aus den Problemen, mit denen sich die Philosophen jahrhundertelang mehr oder weniger erfolglos herumgeschlagen haben: Werden wir einsehen müssen, dass all die Diskussionen über das Verhältnis von Geist und Gehirn, über die Willensfreiheit, das Selbst oder die qualitativen Gehalte von Empfindungen und Gefühlen nur unnützes Gerede waren, ja dass es sich bei den Gegenständen dieser Auseinandersetzung oft um bloße Illusionen handelte, die nur so lange Bestand haben konnten, bis die wahren materiellen Zusammenhänge entdeckt wurden?
Umso bedrohlicher klingen diese Fragen, als in der letzten Zeit häufiger die baldige Lösung der ›Rätsel des Bewusstseins‹ durch die Neuro- und Kognitionswissenschaften prognostiziert wird. Warum also sollte man sich dann heute überhaupt noch mit der Philosophie des Geistes und ihren Themen befassen?
Nun können keine Zweifel daran bestehen, dass die empirischen Wissenschaften in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht haben. Doch wie sollte ›die‹ Lösung ›der‹ Rätsel des Bewusstseins aussehen? Worin genau bestehen diese Rätsel, und welche Bedingungen müsste eine Theorie erfüllen, um als eine Lösung dieser Rätsel akzeptiert zu werden?
Es scheint so, als handelte es sich hierbei um philosophische Fragen; Zweifel an der Prognose, dass die Lösung der ›Rätsel des Bewusstseins‹ ausschließlich von den empirischen Wissenschaften zu erwarten sind und dass die Philosophie des Geistes über kurz oder lang nur noch historisches Interesse beanspruchen kann, dürften also angebracht sein. Bezüglich der Problematik des Bewusstseins sind wir eben gerade nicht in der Situation, dass nur noch einige Detailprobleme innerhalb eines im Großen und Ganzen feststehenden Rahmens zu lösen wären. Vielmehr sind sowohl der Gegenstand als auch die Methoden eines solchen Vorhabens noch unklar.
Es ist daher auch nicht weiter verwunderlich, dass es in radikalem Gegensatz zu den oben beschriebenen Hoffnungen auch ganz entschieden pessimistische Prognosen zu unseren Aussichten gibt, die ›Rätsel des Bewusstseins‹ in absehbarer Zeit zu lösen; einige Autoren bestreiten sogar, dass diese Rätsel überhaupt zu lösen seien.
Die Konflikte, die hier sichtbar werden, sind nicht nur ein Beweis für die Streitlust der Philosophen. Die Hintergrundannahmen, die – zumindest unausgesprochen – die empirische Forschung bestimmen, sind kaum weniger gegensätzlich als die Positionen, die die philosophische Diskussion beherrschen. Tatsächlich bringt die Philosophie häufig nur Annahmen zum Ausdruck, die auch von vielen empirischen Wissenschaftlern geteilt werden. Gerade dadurch aber, dass diese Annahmen ausgesprochen und möglichst genau formuliert werden, lassen sich überhaupt erst ihre Konsequenzen absehen und gegebenenfalls auch kritisieren.
Es sieht also so aus, als hätten wir es hier vielleicht doch mit genuin philosophischen Problemen zu tun. Fraglich ist allerdings, ob die Philosophie auch bei der Klärung dieser Probleme weiterhelfen kann. Der erste Schritt dürfte in einer Verständigung darüber bestehen, was wir überhaupt meinen, wenn wir von Bewusstsein sprechen. Selbstverständlich ist hier keine Definition im strengen Sinne zu erwarten. Wünschenswert wäre allerdings ein möglichst charakteristisches Merkmal, durch das sich Bewusstseinszustände von nicht bewussten Prozessen abgrenzen lassen. Es wird sich herausstellen, dass es zumindest ein solches Merkmal gibt: Bewusstseinsprozesse unterscheiden sich nämlich von allen anderen Objekten, Sachverhalten und Ereignissen dadurch, dass sie in einer privilegierten Weise aus der Perspektive der ersten Person erfahrbar sind. Ich habe einen Zugang zu meinen eigenen bewussten Zuständen, der jeder anderen Person verschlossen ist.
Hilfreich wäre allerdings auch ein genauerer Überblick über die verschiedenen Verwendungsweisen des Wortes. So sprechen wir manchmal einfach davon, dass wir ›bei Bewusstsein‹ sind, in anderen Fällen sagen wir, wir hätten ein ›Bewusstsein von …‹, außerdem stellen auch Gedanken, Empfindungen und Gefühle Formen von Bewusstsein dar, schließlich gibt es noch das ›Selbst-Bewusstsein‹ – offenbar ist es erforderlich, sich über Gemeinsamkeiten und Differenzen dieser ganz unterschiedlichen Arten von Bewusstsein zu verständigen.
Eine solche Verständigung kann jedoch nur einen ersten Schritt darstellen. Wir wollen schließlich nicht nur wissen, was gemeint ist, wenn von Bewusstsein und seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen gesprochen wird; wir wollen zweitens auch wissen, was Bewusstsein ›tatsächlich ist‹. Festzustehen scheint immerhin, dass Bewusstsein in entscheidendem Maße von Prozessen in unserem Gehirn abhängt. Dank der Neurobiologie wissen wir mittlerweile einiges darüber, wie einzelne Nervenzellen im Gehirn funktionieren, wir beginnen zu verstehen, wie Verbände solcher Zellen intern organisiert sind und wie sie mit anderen Verbänden zusammenwirken; schließlich gewinnen wir dank neuer Untersuchungsmethoden immer mehr Einblick darin, wie die Aktivität einzelner Areale des Gehirns mit Funktionen wie dem Sprechen, dem Sehen oder der Kontrolle der Feinmotorik zusammenhängt.
Es scheint daher sinnvoll, genau hier anzusetzen: Wie bestimmt man also das Verhältnis der Gegenstände der Neurobiologie zu unserem Bewusstsein? Haben wir es hier mit zwei völlig unterschiedlichen Prozessen zu tun, mit Hirnaktivitäten auf der einen Seite und mit davon unabhängigen geistigen Vorgängen auf der anderen? Wenn ja: Wie erklärt sich der Einfluss, den das Bewusstsein offensichtlich auf unser Verhalten ausübt, und wie ist es möglich, dass umgekehrt das Gehirn eine entscheidende Rolle für unsere Bewusstseinsprozesse spielt? Wenn es nicht so ist, wenn wir es also in beiden Fällen nur mit einem Gegenstand zu tun haben: Wie ist es dann möglich, dass sich neuronale Prozesse so radikal von den geistigen Zuständen unterscheiden, mit denen sie identisch sein sollen? Wie kann man sich davon überzeugen, dass die Identitätsbehauptung tatsächlich zutrifft?
Alle diese Fragen sind von der Philosophie des Geistes in der Nachkriegszeit ausführlich diskutiert worden. Zwar ist ein Einvernehmen über eine Lösung noch nicht in Sicht, dennoch scheint es möglich, zwischen plausiblen und weniger plausiblen Vorschlägen zu unterscheiden; bei einigen Optionen sind die Schwierigkeiten so groß, dass sie kaum als ernsthafte Alternative gelten können.
Die philosophischen Auseinandersetzungen über diese grundsätzlichen Probleme des Zusammenhangs von Gehirn und Bewusstsein haben sich immer wieder an ganz bestimmten Einzelfragen entzündet: Lassen sich mentale Prozesse unterschiedlich realisieren, haben geistige Ereignisse einen Einfluss auf physische Geschehnisse, und wie ist es möglich, dass einfache, graue Neuronen die unterschiedlichen Farbempfindungen, Geruchswahrnehmungen und Klangerfahrungen hervorbringen, die einen wichtigen Aspekt unserer bewussten Erfahrung ausmachen? Vielfach hat man sich hier nicht nur auf theoretische Schlussfolgerungen und empirische Erkenntnisse berufen; in der Philosophie des Geistes spielen vielmehr Gedankenexperimente eine entscheidende Rolle: Kann uns eine vollständige Theorie über die neuronalen Prozesse im Gehirn von Fledermäusen auch eine Vorstellung von den mentalen Zuständen dieser Lebewesen verschaffen, und was wäre, wenn wir alles über die Neurobiologie des menschlichen Farbensehens wüssten, selbst aber noch nie eine Farbempfindung gehabt hätten? Würden wir etwas Neues lernen, sobald wir die ersten farbigen Objekte sähen?
Wichtig ist die Erörterung solcher Einzelfragen auch, weil damit die Konsequenzen deutlich werden, die sich aus unseren Stellungnahmen zu den Grundsatzfragen ergeben. Hier spielen Probleme des Selbstbewusstseins und der Willensfreiheit eine wichtige Rolle: Es scheint nämlich so, als würde uns die dualistische Unterscheidung von Gehirn und Bewusstsein wesentlich bessere Ausgangsbedingungen verschaffen, wenn wir daran festhalten wollen, dass wir Personen sind, die nicht nur ein eigenes Ich, sondern auch einen freien Willen haben. Wo soll umgekehrt das Ich bleiben, wenn es sich bei all unseren Bewusstseinsprozessen ›in Wirklichkeit‹ nur um die Aktivitäten einfacher Neuronen handelt; wie kann man noch von Willensfreiheit sprechen, wenn sich doch unser Handeln letztlich auf naturgesetzlich beschreibbare Prozesse im Gehirn zurückführen lässt? Würden wir also nicht unser Selbstverständnis als verantwortlich handelnder Subjekte aufgeben müssen, wenn wir die grundsätzliche Unterscheidung von Gehirn und Bewusstsein verwerfen?
Die folgende Einführung wendet sich an alle, die sich mit den Grundproblemen der Philosophie des Geistes vertraut machen wollen, an Studenten, an empirische Wissenschaftler, aber auch an Laien, die sich für die philosophische Diskussion in diesem Bereich interessieren. Bei der Darstellung werde ich mich um Klarheit und Verständlichkeit bemühen, ohne dabei die grundlegenden Schwierigkeiten zugunsten einer oberflächlichen Plausibilität zu vernachlässigen. Die Darstellung wird sich um Objektivität bemühen, doch sie wird nicht neutral sein. Dies gilt nicht nur, weil Neutralität nur schwer zu erreichen ist. Wichtiger noch ist die Überzeugung, dass nicht alles und jedes, was jemals dem Mund oder der Feder eines Philosophen entkommen ist, den gleichen Anspruch darauf hat, der Nachwelt überliefert und dabei auch noch ehrfurchtsvoll kommentiert zu werden.
Hieraus ergeben sich zwei Konsequenzen: Zum einen wird es hier nicht um ein historisches Referat des Diskussionsverlaufes gehen, sondern um eine problemorientierte, systematische Darstellung der wichtigsten in der Nachkriegszeit vertretenen Positionen. Historische Zusammenhänge werden dabei nur insofern berücksichtigt, als sie für den heutigen Diskussionsstand von Bedeutung sind. Immerhin erleichtert die vergleichsweise stringente Entwicklung der Philosophie des Geistes in der Nachkriegszeit die Einbindung von historischen Gesichtspunkten in die systematische Darstellung. Zuweilen werden bestimmte systematische Positionen sogar erst aus dem konkreten Entstehungszusammenhang verständlich; in solchen Fällen werden die historischen Zusammenhänge selbstverständlich berücksichtigt.
Zum Zweiten bedeutet dies, dass hier kein Überblick über sämtliche heute vertretenen Positionen beabsichtigt sein kann. Auch in der Philosophie des Geistes gibt es mehr oder minder sinnvolle Ansätze, wegweisende Arbeiten auf der einen Seite und Sackgassen auf der anderen. Auch die Auseinandersetzung mit abwegigen Positionen kann zuweilen lehrreich sein; in der Regel werde ich mich bei der Auswahl der vorzustellenden Theorien jedoch an deren Erklärungspotential und an ihrer Bedeutung für die neuere Diskussion orientieren. Es versteht sich von selbst, dass dabei neben den Stärken eines Ansatzes auch die wichtigsten Einwände zu Wort kommen, die gegen ihn erhoben worden sind. Dabei werde ich in einigen Fällen auch eigene Lösungsvorschläge machen, selbstverständlich ohne dabei mögliche Gegenargumente zu verschweigen.
Besondere Aufmerksamkeit wird dem Zusammenhang zwischen philosophischen Einsichten und empirischen Erkenntnissen gelten. Dabei wird es nicht nur um die Bedeutung gehen, die Ergebnisse der Neuro- und Kognitionswissenschaften bei der Beantwortung der oben skizzierten Grundprobleme haben. Gefragt werden soll auch, wie die Philosophie dazu beitragen kann, jene Probleme so zu formulieren, dass sie für empirische Untersuchungen zugänglich werden. Schließlich wird zu zeigen sein, welche Rolle philosophische Überlegungen bei der Interpretation empirischer Erkenntnisse spielen können.
Dabei wird sich die Erwartung, die grundsätzlichen philosophischen Probleme ließen sich kurzerhand auf empirischem Wege lösen, als verfehlt herausstellen. Zwar muss nicht eigens betont werden, dass die Berücksichtigung empirischer Erkenntnisse konstitutiv für eine adäquate Auseinandersetzung mit den hier besprochenen Problemen ist. Genauso wenig kann man jedoch die theoretischen Schwierigkeiten außer Acht lassen – andernfalls wirft man mit großer Sicherheit neue Probleme auf. Als fragwürdig wird sich indessen die Behauptung herausstellen, die Bemühungen der empirischen Wissenschaften müssten notwendigerweise an einem unlösbaren ›Rätsel des Bewusstseins‹ scheitern. Selbstverständlich ist hier nicht der Ort für einen detaillierten Lösungsvorschlag.[1] Zeigen möchte ich allerdings, dass die Annahme, eine solche Lösung sei prinzipiell unmöglich, auf schwachen Füßen steht. Schließlich soll hier auch deutlich gemacht werden, dass es nach Lage der Dinge zur Zeit keinen konkreten Grund für die Befürchtung gibt, die Erkenntnisse der Neuro- und Kognitionswissenschaften würden über kurz oder lang die fundamentalen Konstituentien unseres Selbstverständnisses in Frage stellen oder gar ›widerlegen‹. Es sieht nicht so aus, als müsste man sich in phantasievolle Interpretationskunststücke flüchten, um Bewusstsein, Subjektivität und Willensfreiheit gegen die Erkenntnisse der ›harten Wissenschaften‹ zu verteidigen. Vielmehr erweisen sich viele dieser spektakulären Prognosen auch unter theoretischen Gesichtspunkten als äußerst anfechtbar. Tatsächlich spricht auf dem heutigen Stand des theoretischen und empirischen Wissens relativ wenig dafür, dass wir irgendwann einmal unser Selbstverständnis als bewusster, verantwortlich handelnder Subjekte aufgeben müssen.
Es scheint sinnvoll, mit einer Klärung der wichtigsten Termini zu beginnen. Erforderlich ist dies insbesondere für Begriffe wie ›Eigenschaft‹, ›Ereignis‹, ›Zustand‹ und ›Entität‹.
Eine EIGENSCHAFT wird hier verstanden als ein Merkmal oder eine Gruppe von Merkmalen, die Objekten oder Ereignissen zugeschrieben werden können. Dabei ist es in der Regel möglich, dass mehrere unterschiedliche Objekte die gleiche Eigenschaft besitzen: Die Eigenschaft, rot zu sein, kann an Tomaten, Blumen und Verkehrsampeln auftreten.
EREIGNISSE sollen im Anschluss an Jaegwon Kim als kurzfristige, ZUSTÄNDE als längerfristige Exemplifikationen von Eigenschaften verstanden werden.[2] Die Grenze ist zweifellos unscharf; für die hier verfolgten Zwecke dürfte es jedoch ausreichen, Ereignisse auf die Frist von wenigen Minuten zu beschränken und alle Fälle eines länger anhaltenden Auftretens von Eigenschaften als ZUSTÄNDE zu bezeichnen. Es wäre also ein Ereignis, wenn ich angesichts einer peinlichen Situation plötzlich rot würde, ein Zustand, wenn mein Gesicht diese Eigenschaft aufgrund eines Sonnenbrandes gleich für mehrere Tage annähme. Schließlich sollen als ENTITÄTEN unterschiedslos Ereignisse, Eigenschaften und auch Objekte bezeichnet werden.
Sehr unterschiedlich wird der Begriff der REDUKTION vor allem in der deutschsprachigen Diskussion verwendet. Oft wird in einem unspezifischen, zuweilen auch polemischen Sinne von ›reduktionistischen‹ Theorien gesprochen. Gemeint sind damit in der Regel materialistische Positionen, die die Realität höherstufiger, also mentaler, moralischer oder sozialer Eigenschaften zugunsten der zugrunde liegenden physischen Prozesse in Frage stellen und damit der Komplexität der zu beschreibenden Phänomene nicht gerecht werden. Reduktion wird hier also im Sinne von ›Verkürzung‹ oder ›Verringerung‹ gebraucht.
Im Gegensatz dazu orientiert sich ein wissenschaftlich-terminologischer Gebrauch an der ursprünglichen Bedeutung von ›reductio‹, nämlich ›Zurückführung‹. Dabei geht es im Allgemeinen um die Zurückführung von Theorien oder Theoriebestandteilen auf andere, in der Regel grundlegendere Theorien zum Zwecke der Erklärung und Vereinheitlichung. Das ursprünglich u.a. von Carnap (1931) formulierte Ziel einer physikalischen Einheitswissenschaft, in deren UNIVERSALSPRACHE alle sinnvollen Sätze übersetzt werden können, ist aber mittlerweile praktisch aufgegeben worden, da sich die Zurückführung der Gesetze und Begriffe aller Spezialdisziplinen auf die physikalische Basiswissenschaft als undurchführbar erwiesen hat.[3]
Eine Reduktionbeziehung ist eine Beziehung zwischen zwei Theorien, typischerweise zwischen einer spezifischen, höherstufigen Theorie und einer grundlagenorientierten, erklärungsmächtigeren Theorie
(2)Dabei werden Erkenntnisse der höherstufigen Theorie auf Erkenntnisse der grundlagenorientierten Theorie zurückgeführt (›reduziert‹) und damit in einen weiteren Erklärungskontext einbezogen
(3)Dazu ist zumindest erforderlich, dass
alle Begriffe der reduzierten, höherstufigen Theorie durch ›Brückengesetze‹ mit Begriffen der reduzierenden, allgemeinen Theorie verbunden werden
alle Gesetze der reduzierten Theorie aus den Gesetzen der reduzierenden Theorie abgeleitet werden
Dennoch ist das Konzept der INTERTHEORETISCHEN REDUKTION durchaus sinnvoll. Dabei geht es um die Zurückführung der Gesetze und Ausdrücke einer Theorie, beispielsweise einer höherstufigen Theorie wie der Psychologie, auf die Gesetze und Ausdrücke einer anderen, etwa einer eher grundlagenorientierten Wissenschaft wie der Neurobiologie oder der Physik. Im Gegensatz zu einer immer noch weit verbreiteten Auffassung besteht der Zweck eines solchen Unternehmens nicht etwa darin, die höherstufige Theorie zu eliminieren. In der Regel sollen vielmehr die Ressourcen der grundlagenorientierten Theorie für zusätzliche und umfassendere Erklärungen genutzt werden. Die höherstufige Theorie kann selbstverständlich ›trotz‹ der Reduktion weiter existieren, ja vermag hierdurch sogar zusätzliches Erklärungspotential zu gewinnen. Völlig verfehlt wäre insbesondere die Erwartung, eine Reduktionsbeziehung von Psychologie und Neurowissenschaften würde die Existenz der von der Psychologie beschriebenen Phänomene in Gefahr bringen, also zu einer Elimination des Mentalen führen.
Der klassischen, mittlerweile allerdings umstrittenen Auffassung zufolge, wie sie vor allem Ernest Nagel (1961) entwickelt hat, ist es für eine Reduktion erforderlich, die Begriffe der alten Theorie mit Hilfe von Brückengesetzen so auf die Begriffe der neuen zu beziehen, dass die Gesetze der alten aus den Gesetzen der neuen Theorie abgeleitet werden können.
Als Beispiel einer gelungenen Reduktion wird vielfach das Verhältnis der phänomenologischen Thermodynamik zur statistischen Mechanik genannt. Nach dieser Auffassung können beispielsweise die thermodynamischen Größen ›Druck‹ und ›Temperatur‹ so in Aussagen über die mittlere kinetische Energie von Molekülen übertragen werden, dass sich thermodynamische Gesetze aus den Theoremen der statistischen Mechanik ableiten lassen. Es spricht mittlerweile allerdings viel dafür, dass die Reduktionsbeziehung auch in diesem Fall wesentlich komplizierter ist.
Zuweilen wird auch von ›Eigenschaftsreduktion‹ gesprochen, wenn eine höherstufige Eigenschaft eines Systems mit Hilfe allgemeiner Gesetze auf Basiseigenschaften dieses Systems zurückgeführt wird. Genau genommen sind es jedoch auch hier nicht die Eigenschaften selbst, sondern theoretische Annahmen über höherstufige Systemeigenschaften, die auf Theorien über die Basiseigenschaften, z.B. der Moleküle dieses Systems, reduziert werden. So lässt sich etwa die ›alltagsphysikalische‹ Annahme, dass Wasser bei Temperaturen unter 0 °C friert, auf mikrophysikalische Theorien über die Entstehung bestimmter Bindungen zwischen den Molekülen zurückführen oder eben ›reduzieren‹. Ist eine solche Zurückführung nicht möglich, spricht man von einer EMERGENTEN Eigenschaft.
Die Bedeutung solcher Überlegungen für die Bewusstseinsphilosophie ist nicht schwer zu erkennen: Natürlich interessiert uns die Frage, ob sich alltagspsychologische Annahmen über mentale Prozesse auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse über neuronale Aktivitäten zurückführen lassen. Wäre dies möglich, dann könnten wir die naturwissenschaftlichen Theorien zur Erklärung psychischer Phänomene nutzen.
Bislang sind die Erfolgsaussichten eines solchen Unternehmens höchst ungewiss. Umstritten ist zudem, welche Konsequenzen ein Fehlschlag dieser Versuche hätte. Während vielfach angenommen wird, dass Reduktionen im strengen Sinne hier weder realisierbar noch erforderlich sind, behaupten insbesondere die Vertreter des ELIMINATIVEN MATERIALISMUS, dass unsere Überzeugungen bezüglich der Realität mentaler Phänomene revidiert werden müssten, weil es uns nicht gelingen werde, diese Phänomene auf neuronale Prozesse zurückzuführen. Damit wird der Gegensatz zwischen der alltagssprachlichen und der wissenschaftlichen Verwendungsweise des Reduktionsbegriffes besonders deutlich: Zweifellos bildet der ELIMINATIVE MATERIALISMUS eine Extremform des Reduktionismus im alltagssprachlichen Sinne. Reduktionistisch im wissenschaftlichen Sinne ist er aber gerade nicht, schließlich geht er davon aus, dass die Reduktion der Psychologie auf die Neurobiologie scheitern wird – nur deshalb soll es ja zur Elimination unseres mentalistischen Vokabulars kommen.
Der zentrale und zugleich am schwierigsten zu bestimmende Begriff ist zweifellos der des Bewusstseins. Beispiele für bewusste Prozesse sind Wunschvorstellungen, Glaubenszustände, Gedanken, Schmerzen, visuelle Wahrnehmungen und Geruchsempfindungen. Derartige Zustände müssen allerdings nicht bewusst sein; es gibt auch unbewusste Wünsche und Wahrnehmungen. Es erscheint daher sinnvoll, Bewusstsein als eine Eigenschaft aufzufassen, genauer: als eine Eigenschaft von Zuständen oder Ereignissen, die auch auftreten können, ohne diese Eigenschaft zu exemplifizieren. Die Beschreibung von Bewusstsein als einer Eigenschaft vermeidet zudem die Festlegung auf eine bestimmte Grundsatzannahme bezüglich des Zusammenhangs mit physischen Prozessen. Eine solche Festlegung würde sich insbesondere dann ergeben, wenn man den Geist als eine eigenständige Substanz wie etwa eine Seele auffassen würde. In diesem Falle würde bereits die Terminologie eine Festlegung auf den Dualismus implizieren, schließlich ist eine geistige Substanz ihrem Wesen nach mental und nicht etwa physisch: Materialistische Optionen wären damit von vornherein ausgeschlossen. Die vorgeschlagene Sprachregelung lässt dagegen offen, ob es geistige Substanzen gibt; schließlich kann man diese im Anschluss an Descartes[4] dadurch bestimmen, dass man ihnen Bewusstsein als wesentliche Eigenschaft zuschreibt.
Für diesen Vorschlag spricht auch, dass er es erlaubt, den erstmals bei Christian Wolff auftretenden Begriff ›Bewusstsein‹ auf die Substantivierung des Adjektivs ›bewusst‹ zurückzuführen, ebenso wie man das ›Rotsein‹ oder ›Warmsein‹ aus den entsprechenden Adjektiven ableiten kann. Insofern scheint es gerechtfertigt, im Folgenden nicht immer ausdrücklich von der ›Eigenschaft des Bewusstseins‹ zu sprechen, sondern auch bei der Kurzform ›Bewusstsein‹ vorauszusetzen, dass es sich hier um die Zuschreibung einer Eigenschaft handelt.
Dass der damit erreichte Erkenntnisfortschritt nicht allzu eindrucksvoll ist, wird spätestens dann klar, wenn man sich um eine genauere inhaltliche Bestimmung des Begriffs ›Bewusstsein‹ bemüht. Hier versagen jene Strategien, die ansonsten bei der Verständigung über einen Begriff benutzt werden können. Das gravierendste Problem dürfte wohl darin bestehen, dass es nichts gibt, was ›so ähnlich wie‹ oder ›etwas anders als‹ Bewusstsein wäre, ohne dass man bei seiner Beschreibung selbst schon wieder auf eben die Eigenschaft zurückgreifen müsste, die man doch gerade bestimmen wollte. Natürlich gibt es Übergangszustände, in denen unser Bewusstsein langsam erwacht oder allmählich abnimmt, doch auch hier benötigen wir schon zuvor eine Kenntnis des Begriffs, wenn wir beschreiben wollen, was denn vergeht oder zunimmt. Ja, selbst die Gemeinsamkeiten von Zuständen, die nun sicherlich nichts mit Bewusstsein zu tun haben, lassen sich nur benennen, indem man sich – wie gerade geschehen – zur Abgrenzung doch wieder ex negativo auf diesen Begriff bezieht.
Eine nichtzirkuläre Definition scheint also kaum möglich; man muss offenbar bei der Verständigung über den Begriff des Bewusstseins schon eine unmittelbare Vertrautheit mit dem Phänomen selbst unterstellen. Immerhin scheint dies eine Voraussetzung zu sein, die von den Lesern eines Buches zur Einleitung in die Philosophie des Geistes gemeinhin erfüllt wird. Tatsächlich fällt es uns normalerweise sehr leicht zu sagen, ob wir zu einem bestimmten Zeitpunkt bei Bewusstsein waren oder nicht.
Statt nach einer Definition könnte man daher nach einem Merkmal fragen, das alle Bewusstseinszustände de facto gemeinsam haben. In der Vergangenheit hat man eine ganze Reihe von Vorschlägen für ein so genanntes ›Merkmal des Mentalen‹ gemacht. Die meisten dieser Vorschläge sind jedoch offenbar unzulänglich. So könnte man Zustände des Bewusstseins mit Descartes als ›nicht räumlich‹ bezeichnen, doch Zahlen und Regeln sind ebenfalls nicht räumlich, obwohl sie sicherlich nicht als Bewusstseinszustände aufgefasst werden können. Ein anderer Vorschlag leitet sich ab von der Behauptung, wir könnten uns hinsichtlich unserer bewussten Zustände und nur hinsichtlich dieser Zustände nicht irren. Auch hieran kann man jedoch zweifeln. Verweisen lässt sich zum einen auf Unsicherheiten, die bei diffusen oder schwach ausgeprägten Empfindungen entstehen.[5] So ist kaum auszuschließen, dass wir uns zuweilen irren, wenn wir meinen, wir spürten einen schwachen Schmerz. Es kommt hinzu, dass wir unter bestimmten Bedingungen widersprüchliche Angaben über den Ablauf von Ereignissen machen können, obwohl diese uns aus der Perspektive der ersten Person zugänglich waren.[6] Genauso können wir uns hinsichtlich der für unsere Handlungen maßgeblichen Motive irren.[7] Da das Kriterium der Irrtumsfreiheit zudem nicht sehr aussagekräftig ist, scheint es als Lösung des skizzierten Problems ebenfalls nicht in Frage zu kommen.
Umstritten ist schließlich auch das im Allgemeinen auf Franz von Brentano zurückgeführte Kriterium, demzufolge mentale Zustände sich durch ihre INTENTIONALITÄT auszeichnen. Im Gegensatz zu der alltagssprachlichen Verwendung von ›Intention‹ geht es hier nicht um Absichten, gemeint ist vielmehr die Gerichtetheit eines mentalen Zustandes auf externe Sachverhalte. Ein Gedanke ist im Allgemeinen ein Gedanke über etwas, ein Wunsch kann sich auf den Besitz eines Objektes beziehen, ein Gefühl des Ärgers sich gegen eine Person richten etc. Zweifellos gibt es auch andere Formen der Bezugnahme, etwa wenn man einen Baum fällt oder ein Gebäude fotografiert. Charakteristisch für intentionale Zustände ist es, dass sie auch auf nicht existierende Gegenstände gerichtet sein können: Ich kann an Yetis und an das Ungeheuer von Loch Ness denken oder mir wünschen, dass es doch ein Perpetuum mobile geben solle; nichtintentionale Formen der Bezugnahme sind in diesen Fällen dagegen nicht möglich: So kann ich keines dieser Objekte fotografieren. Als generelles Merkmal des Mentalen ist Intentionalität aber ungeeignet, weil nicht alle bewussten Zustände intentionalen Charakter haben. Vor allem bei Stimmungen kann die geforderte Bezugnahme fehlen: Ich muss nicht über etwas melancholisch sein, meine freudige Stimmung muss sich nicht auf einen konkreten Anlass beziehen. Es wird sich allerdings herausstellen, dass Intentionalität charakteristisch ist zumindest für eine sehr wichtige Gruppe mentaler Zustände.
Es gibt allerdings noch einen weiteren Vorschlag. Führt man sich die oben genannten Beispiele für Bewusstseinszustände noch einmal vor Augen, dann fällt auf, dass sie sich von vermutlich allen anderen Ereignissen, Eigenschaften oder Objekten dadurch unterscheiden, dass sie in einer privilegierten Weise aus der Perspektive der ersten Person zugänglich sind. Von einem ›Privileg‹ kann hier insofern gesprochen werden, als jede Person zu ihren eigenen bewussten Zuständen und nur zu diesen Zuständen einen Zugang hat, der für keinen anderen in Frage kommt. Ich spüre meine Schmerzen und erlebe meine Freude in einer Weise, wie dies niemand anderem möglich ist. Im Gegensatz dazu stehen äußere, physische Ereignisse wie der Fall einer Kugel, das Zerbrechen einer Glasscheibe oder das Auftreten einer Spur in einer Nebelkammer einer nicht begrenzten Zahl von Beobachtern in prinzipiell der gleichen Weise offen.[8]
Der entscheidende Unterschied scheint darin zu liegen, dass der Zugang zu den eigenen Bewusstseinszuständen nicht durch andere Prozesse vermittelt ist. Dies schließt nicht aus, dass es Bestandteile von Bewusstsein gibt wie kognitive Prozesse oder theorieähnliche Verallgemeinerungen, die als solche nicht bewusst werden: Tatsächlich ist die Existenz solcher vorbewussten Bestandteile mittlerweile empirisch gut belegt. Ganz abgesehen davon ist auch gar nicht zu erwarten, dass ein Bewusstseinszustand ein Wissen um all die Teilzustände einschließt, aus denen er sich de facto zusammensetzt. Dennoch kann man zumindest insofern von ›Unmittelbarkeit‹ sprechen, als der Zugang zu eigenen Bewusstseinszuständen nicht durch andere Prozesse wie Wahrnehmungen, Empfindungen oder zusätzliche Überlegungen vermittelt ist. Sprachfähige Wesen sind daher auch imstande, ohne weitere Schlussfolgerungen über ihre eigenen Bewusstseinszustände zu berichten.
Wollen wir dagegen wissen, was eine andere Person gerade denkt, dann müssen wir dazu auf Prozesse zurückgreifen, die weder als Teilzustände des eigenen Bewusstseins noch als Bestandteile des Bewusstseins der beobachteten Person begriffen werden können. Eine wichtige Rolle dürfte dabei das Verhalten dieser Person spielen, unsere Wahrnehmung ihres Verhaltens, die Schlüsse, die wir aus diesen Wahrnehmungen ableiten können, und schließlich Erinnerungen an entsprechende eigene Erfahrungen. Ähnliches gilt auch für die Zustände des eigenen Körpers wie Verletzungen oder die Berührung mit anderen Objekten. Auf den ersten Blick könnte man allerdings vermuten, wir besäßen auch hier einen direkten Zugang aus der Perspektive der ersten Person. Tatsächlich sind es jedoch abermals psychische Ereignisse wie Schmerzen oder taktile Empfindungen, die den Zugang zu unserem Körper vermitteln, und nur zu diesen mentalen Prozessen haben wir einen privilegierten Zugang. Außerdem kann es zumindest prinzipiell nicht ausgeschlossen werden, dass eine andere Person beispielsweise durch eine Übertragung von Schmerzimpulsen die Verletzung in meiner Hand empfinden kann – auch wenn solche Szenarien sehr nach Science-Fiction klingen.
Gegen diesen Vorschlag scheint auch zu sprechen, dass der privilegierte Zugang nicht für vergangene oder zukünftige Bewusstseinszustände gilt. Eine Psychologin mag über den Wutanfall, der mich in fünf Minuten überfallen wird, weit besser Bescheid wissen als ich selbst. Außerdem verfüge ich über Erinnerungen oder Erwartungen, zu denen ich derzeit ebenfalls keinen privilegierten Zugang habe, weil sie mir gar nicht präsent sind: Dennoch würden wir in diesem Zusammenhang von mentalen Zuständen sprechen. Diese Schwierigkeit lässt sich jedoch lösen, wenn wir den privilegierten Zugang nur für die aktuell bewussten Zustände in Anspruch nehmen. Von ihnen lassen sich solche Zustände unterscheiden, die im Moment zwar unbewusst sind, die aber potenziell bewusst werden können, also beispielsweise eine Erinnerung, eine derzeit unbewusste Wahrnehmung oder eine Erwartung. Ich werde im Folgenden von BEWUSSTSEIN nur im Zusammenhang mit aktuell bewussten Zuständen sprechen; als MENTAL werde ich dagegen alle diejenigen Prozesse bezeichnen, die zumindest potenziell bewusst werden können. Dieser Begriff ist also umfassender: Alle Bewusstseinszustände sind mentale Zustände, aber nicht alle mentalen Zustände sind bewusst.
Festhalten lässt sich, dass es zumindest eine Besonderheit gibt, die spezifisch ist für Bewusstseinszustände: Sie sind privilegiert aus der Perspektive der ersten Person zugänglich. Mentale Prozesse dagegen können aktuell auch unbewusst sein, doch sie sind zumindest potenziell aus der Perspektive der ersten Person erfahrbar. Im Gegensatz dazu haben wir zu nicht-mentalen und insbesondere zu physischen Prozessen, Ereignissen und Sachverhalten einen Zugang nur aus der Perspektive der dritten Person, einen Zugang also, der im Prinzip für sämtliche Beobachter verfügbar ist.
Offen bleiben muss dagegen vorerst, ob es zu psychischen Prozessen zusätzlich zu dem privilegierten Zugang nicht auch einen nichtprivilegierten Zugang aus der Perspektive der dritten Person gibt. Dies wäre dann der Fall, wenn mentale Prozesse gleichzeitig neuronale Prozesse wären. Die vorgeschlagene Beschreibung schließt die Identifikation von mentalen und neuronalen Prozessen nicht aus, sie nimmt sie aber auch nicht vorweg. Eine derartige Identifikation würde bedeuten, dass es unter den physischen Prozessen, die ganz allgemein aus der Perspektive der dritten Person beschrieben werden können, einige gibt, die außerdem noch – aktuell oder potenziell – in einer privilegierten Weise aus der Perspektive der ersten Person zugänglich sind.
Diese Bestimmung des Unterschiedes von physischen und psychischen Prozessen umgeht gleichzeitig einige Probleme, die im Allgemeinen dann auftauchen, wenn man den Begriff des PHYSISCHEN auf die Physik oder die Naturwissenschaften allgemein stützt. Festhalten möchte ich zuerst, dass die häufig geübte Praxis, von PHYSIKALISCHEN oder MATERIELLEN Gegenständen oder Eigenschaften zu sprechen, zumindest irreführend ist. PHYSIKALISCH sind Theorien oder Beschreibungen, nicht aber die Gegenstände, auf die sich diese Theorien beziehen. Nicht sehr sinnvoll erscheint es auch, von MATERIELLEN Phänomenen zu sprechen, schließlich kennt die moderne Physik mittlerweile eine ganze Reihe von Gegenständen wie etwa elektromagnetische Felder, die man nicht mehr als MATERIELL bezeichnen würde.
Doch was ist mit dem Begriff des PHYSISCHEN; lässt er sich nicht doch durch den Bezug auf die Naturwissenschaften, insbesondere auf die Physik, genauer bestimmen? Die Schwierigkeiten, die mit einem solchen Versuch verbunden sind, hat kürzlich Barbara Montero (1999) erläutert. Ein grundsätzliches Problem ergibt sich hier insofern, als die Naturwissenschaften in einem ständigen Umbruch begriffen sind. Wir müssen daher davon ausgehen, dass die Physik, so wie wir sie heute kennen, zumindest in Teilen revisionsbedürftig ist. Gleichzeitig ist auch die weitere Entwicklung dieser Wissenschaft heute noch nicht abzusehen.
Hieraus ergibt sich ein Dilemma, das schon von Carl Hempel beschrieben worden ist: Wollten wir unsere Bestimmung des Physischen von der Physik in ihrer heutigen Form abhängig machen, dann würden wir einen vermutlich revisionsbedürftigen Begriff verwenden. Wir wüssten daher noch gar nicht genau, was wir behaupten, wenn wir eine Entität als PHYSISCH oder NICHT-PHYSISCH bezeichnen. Würden wir uns dagegen auf die Physik berufen, ›so wie sie einmal sein wird‹, dann bliebe unser Begriff des Physischen völlig unklar, schließlich haben wir keinerlei genauere Erkenntnisse über diese ›endgültige Physik‹ – falls es sie denn jemals geben sollte. Zwar könnte man sie als diejenige Theorie bestimmen, die die definitiven Prinzipien der Realität enthält und uns so eine beliebig genaue Erklärung willkürlich herausgegriffener Phänomene ermöglichte. Wir könnten dann als PHYSISCH bezeichnen, was entweder direkt in dieser Theorie erwähnt wird oder sich aus den in dieser Theorie erwähnten Prinzipien ableiten lässt. Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber, dass auch dies uns nicht weiterhilft: Da die Theorie qua Voraussetzung ja mit einem alles umfassenden Erklärungsanspruch auftritt, wird sie sich notwendigerweise auch auf mentale Phänomene erstrecken. Die physikalistische These, mentale Phänomene seien physisch, wäre damit trivialerweise wahr.
Wenig sinnvoll wäre schließlich der Versuch, den Bereich des Physischen durch seinen Gegensatz zu NICHTPHYSISCHEN Eigenschaften oder Objekten zu bestimmen. Zwar wird man auf den ersten Blick kaum daran zweifeln, dass Geister oder telepathische Phänomene nicht zum Bereich physischer Erscheinungen gehören. Bei näherer Betrachtung sieht es jedoch so aus, als würde unsere Sicherheit hier nur auf der stillschweigenden Überzeugung beruhen, dass es derartige Phänomene gar nicht gibt. Wäre es auf der anderen Seite möglich, telepathische Prozesse oder die Aktivitäten von Geistern, wie auch immer diese aussehen mögen, empirisch nachzuweisen, dann würden wir uns vermutlich auch um deren Erklärung bemühen. Wir würden damit den Bereich naturwissenschaftlich erklärbarer Phänomene um diese Entitäten erweitern, so wie es bislang auch in vielen anderen Fällen, etwa bei elektromagnetischen Feldern, geschehen ist.
Genau dies könnte auch im Zusammenhang mit mentalen Prozessen geschehen: Selbst wenn sich der Dualismus bewahrheitete und mentale Prozesse von neuronalen Zuständen unterschieden werden müssten, könnten wir zu dem Schluss kommen, dass es sich bei ersteren um eine neue Art physischer Phänomene handelt. In diesem Falle müsste allerdings das oben vorgeschlagene Kriterium der Unterscheidung zwischen mentalen und neuronalen Prozessen insofern modifiziert werden, als wir es nun ja mit physischen Prozessen zu tun hätten, die als physische Prozesse aus der Perspektive der ersten Person beschrieben werden könnten. Umgekehrt könnte man auch davon sprechen, dass diese Prozesse als mentale Prozesse gleichzeitig Gegenstände einer naturwissenschaftlichen Theorie sind – es wird unten noch zu klären sein, unter welchen Bedingungen sich eine solche Schlussfolgerung als sinnvoll erweisen könnte.
Festzuhalten bleibt in jedem Falle, dass eine weitere Konkretisierung der oben skizzierten Unterscheidung zwischen psychischen und physischen Prozessen offenbar nicht möglich ist: Unter den gegenwärtigen Umständen[9] bleibt es dabei, dass sich psychische Zustände gegenüber physischen Prozessen dadurch auszeichnen, dass sie privilegiert aus der Perspektive der ersten Person zu beschreiben sind.
Eine wesentliche Rolle wird im Folgenden schließlich auch der Begriff des PHYSIKALISMUS spielen. Konstitutiv für diese Position ist zunächst die Annahme, dass es für beliebige positive[10] Fakten prinzipiell auch eine naturwissenschaftliche Erklärung gibt, wobei sich die Vorstellungen von zureichenden naturwissenschaftlichen Erklärungen im Laufe der Zeit verändern können. Die fraglichen Erklärungen müssen insbesondere nicht auf deterministischen Verlaufsgesetzen basieren. Genauso wenig wird damit ausgeschlossen, dass Erklärungen anderer, höherstufiger Wissenschaften wie etwa der Psychologie, der Geschichtswissenschaft oder der Soziologie in bestimmten Kontexten aufschlussreicher sind: Eine physikalische Erklärung für den ›Prager Fenstersturz‹[11] wäre relativ uninteressant, weit fruchtbarer dürfte eine historische Erklärung sein, welche die Vorgeschichte dieses Ereignisses sowie seine Bedeutung für den Beginn des Dreißigjährigen Krieges verständlich machte. Der Vertreter des Physikalismus hätte hiermit keine Schwierigkeiten, solange nicht behauptet würde, transzendente, wissenschaftlich nicht erfassbare Kräfte hätten bei diesem Ereignis ihre Hand im Spiel gehabt.
Eine für die meisten Autoren akzeptable nähere Bestimmung des PHYSIKALISMUS kann sich auf zwei Prinzipien berufen. Zum einen auf das sogenannte PRINZIP DER KAUSALEN GESCHLOSSENHEIT der physischen Wirklichkeit. Eine Minimalversion dieses Prinzips würde ausschließen, dass zur Erklärung physikalisch beschreibbarer Prozesse andere Prozesse herangezogen werden müssen, die ihrerseits nicht physikalisch beschreibbar sind. Verletzt wäre die kausale Geschlossenheit also dann, wenn man mit den Katholiken jener Zeit behaupten würde, die Gottesmutter höchstpersönlich und nicht ein zufälligerweise im Burggraben befindlicher Misthaufen habe den Sturz der kaiserlichen Statthalter aus fünfzehn Metern Höhe gebremst und ihnen damit das Leben gerettet. Wichtig ist zweitens das PRINZIP DER PHYSISCHEN DETERMINATION. Es besagt, dass alle positiven Fakten auf dieser Welt durch physische Fakten determiniert werden. Veränderungen, die wir in einer beliebigen nicht-physikalischen Sprache beschreiben können, müssen daher in jedem Falle eine Entsprechung in physikalisch beschreibbaren Veränderungen haben: Wenn ein bestimmter Ton in der Aufführung einer Violinsonate besonders laut ist, dann muss dies u.a. eine Entsprechung in der Amplitude der Schallwellen haben. Solche Entsprechungen sind zum Teil schwer zu finden; verletzt wäre das Prinzip der physischen Determination, wenn sie prinzipiell nicht zu finden wären, etwa weil wir es mit den Gedanken oder Handlungen transzendenter Wesen zu tun hätten, die sich völlig unabhängig von physikalisch beschreibbaren Prozessen vollziehen.[12]
Doch selbst wenn man das vorgeschlagene Kriterium zur Unterscheidung von mentalen und nicht-mentalen Prozessen akzeptiert, wäre man immer noch weit von einer genaueren, inhaltlich befriedigenden Charakterisierung bewusster Zustände entfernt: Der Verweis auf den privilegierten Zugang aus der Perspektive der ersten Person verrät uns über Bewusstseinszustände ungefähr genauso viel, wie die Bestimmung ›federloser Zweibeiner‹ über Menschen aussagt. Ein wesentlicher Grund scheint zu sein, dass wir damit noch nichts über die nur schwer übersehbare Vielfalt bewusster Zustände gesagt haben. Immerhin gibt es eine ganze Reihe von Vorschlägen für die Unterscheidung zwischen den wichtigsten Typen von Bewusstseinszuständen. So werden häufig die eher kognitiv-rationalen Formen bewusster Prozesse, zu denen man insbesondere Gedanken, Wünsche und Absichten zählen kann, den ›qualitativen‹ Varianten gegenübergestellt, zu denen Geruchsempfindungen, Wahrnehmungen und Emotionen gehören. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass die Vielfalt noch größer ist. In Anlehnung an einen Vorschlag, den Peter Lanz vor einiger Zeit gemacht hat, lassen sich hier insgesamt vier verschiedene Formen unterscheiden:
Bewusstsein als Wachheit (bei Bewusstsein sein)
kognitives oder intentionales Bewusstsein (glauben, dass …; wünschen, dass …)
phänomenales Bewusstsein (die Erfahrung, wie etwas aussieht, wie es schmeckt, wie es sich anhört etc.)
Selbstbewusstsein (Bewusstsein seiner selbst als ein und derselben Entität über die Zeit hinweg)[13]
Erläutern lassen sich die genannten Formen anhand von Beispielen: Über BEWUSSTSEIN ALS WACHHEIT im Sinne von (1.) verfügen wir, wenn wir uns nicht in einer Narkose oder einem traumlosen Tiefschlaf befinden. Dieses Bewusstsein kann sehr intensiv sein, wenn wir uns auf eine bestimmte Situation konzentrieren, es kann aber auch unter dem Einfluss von Drogen oder Müdigkeit stark abgeschwächt werden, bis es schließlich in Bewusstlosigkeit übergeht. Gemeint ist also Bewusstsein in einem ganz allgemeinen, nicht auf einen bestimmten Gegenstand oder Sachverhalt bezüglichen Sinne. Über diese Form des Bewusstseins, die häufig auch als VIGILANZ bezeichnet wird, verfügen wir bereits dann, wenn wir uns nur einer Stimmung überlassen oder, ohne einen konkreten Gedanken zu fassen, einfach nur wach sind.
Im Gegensatz dazu sind mit dem KOGNITIVEN BEWUSSTSEIN unter (2.) solche Formen angesprochen, die sich auf einen bestimmten Sachverhalt, ein Objekt oder eine Eigenschaft beziehen. Hier trifft also das oben erwähnte Merkmal der Intentionalität zu, man kann daher von INTENTIONALEM BEWUSSTSEIN sprechen. Dabei geben wir im Allgemeinen auch an, wie wir uns auf diese Gehalte beziehen: Wir wissen, dass Peter nach Berlin gefahren ist, wir wünschen, dass Maria gut erholt aus dem Urlaub zurückkehrt, und wir hoffen, dass es in dieser Woche nicht ständig regnen wird. Im Allgemeinen steht dabei das Verb des Hauptsatzes – in den obigen Beispielen also ›wissen‹, ›wünschen‹ und ›hoffen‹ – für die PROPOSITIONALE EINSTELLUNG, während der Nebensatz die PROPOSITION enthält, auf die sich diese Einstellung bezieht. Propositionale Einstellung und Proposition können sich unabhängig voneinander verändern: Wir können nicht nur wissen, sondern auch hoffen oder glauben, dass Peter nach Berlin gefahren ist; auf der anderen Seite kann sich die propositionale Einstellung ›Wissen‹ auf ganz unterschiedliche Propositionen beziehen: Unser besser informierter Nachbar könnte also bereits wissen, dass Maria gut erholt zurückgekehrt ist. Selbstverständlich beschreiben wir Akte des kognitiven Bewusstseins häufig in ganz anderer Form, so könnte ich etwa sagen: ›Ich hoffe auf Glück in einer bevorstehenden Prüfung.‹ Solche Sätze können jedoch in der Regel in die obige Form umgewandelt werden. Ich könnte also sagen: ›Ich hoffe darauf, dass ich in der bevorstehenden Prüfung Glück haben werde.‹[14]
Eine besondere Rolle wird im Folgenden das unter (3.) genannte PHÄNOMENALE BEWUSSTSEIN spielen. Offensichtlich haben viele Bewusstseinszustände neben ihrem diskursiv beschreibbaren Inhalt noch einen qualitativen Aspekt. Anders als im Falle des kognitiven Bewusstseins, würde man hier nicht mehr von dem ›Bewusstsein, dass p‹ sprechen, vielmehr haben wir es mit einem ›Bewusstsein von x‹ zu tun; häufig ist hier auch die Rede von dem ›Bewusstsein, wie es ist, im Zustand x zu sein‹.[15] Solche qualitativen Aspekte treten beispielsweise bei Schmerzen, Farbempfindungen oder Geruchswahrnehmungen auf, insbesondere aber im Zusammenhang mit Stimmungen und Emotionen. Sprachlich sind sie im Allgemeinen nur recht ungenau zu erfassen. Zwar wissen wir, wie es ist, in diesen Zuständen zu sein, doch auch eine beliebig genaue Beschreibung würde jemandem, der diese Zustände nicht aus eigener Erfahrung kennt, kaum weiterhelfen.
Die Gründe für diese Probleme dürften zum einen darin bestehen, dass Zustände des phänomenalen Bewusstseins nicht an die Verfügung über ein bestimmtes Vokabular gebunden sind: Auch wenn man keinen Begriff von Schmerzen hat, kann man Schmerzen spüren. Hinzu kommt zweitens, dass die Privatheit dieser Zustände die Verständigung über sie erschwert: Ich kann meine phänomenalen Zustände nicht meiner Gesprächspartnerin zeigen, um zu überprüfen, ob mein Sprachgebrauch mit ihrem übereinstimmt. Bei kognitiven Zuständen ist eine solche Verständigung normalerweise möglich, weil diese Zustände in der Regel an die Verfügung über Begriffe gebunden sind: Unser Glaube, dass Autos zur Luftverschmutzung beitragen, setzt unter anderem voraus, dass wir einen Begriff von Autos und einen Begriff von Luftverschmutzung haben. Hierauf können wir auch bei der Beschreibung des entsprechenden kognitiven Aktes zurückgreifen. Eine andere Person wird eine solche Beschreibung üblicherweise auch dann verstehen können, wenn sie selbst sich noch nie in einem ähnlichen Zustand befunden hat: Auch wer sich noch nie Sorgen über die Luftverschmutzung gemacht hat, weiß, was ein Umweltschützer meint, der von solchen Sorgen spricht. Im Gegensatz dazu scheinen wir bei phänomenalen Zuständen nur an die Erfahrungen unseres Gesprächspartners appellieren zu können: Wer noch niemals Schmerzen verspürt hat, dem scheint auch die genaueste Beschreibung nicht sagen zu können, wie es ist, einen heftigen Schmerz zu verspüren.
Die letzte wichtige Variante stellt das SELBSTBEWUSSTSEIN (4.) dar. In einem Akt des Selbstbewusstseins bezieht sich ein Subjekt nicht nur de facto auf sich selbst bzw. seine eigenen Eigenschaften und Erfahrungen, vielmehr muss es in diesem Akt auch wissen, dass es sich auf sich selbst bezieht. Es muss sich also auf sich selbst als sich selbst beziehen.
Generell ist zu beachten, dass es sich hier um terminologische Festlegungen handelt. Dies bedeutet, dass diese Beschreibungen einander nicht ausschließen. Ein mentaler Zustand wird im Allgemeinen unter mehrere der genannten Rubriken fallen: Der Gedanke, dass der letzte Sommer sehr schön war, ist nicht nur ein Akt des kognitiven Bewusstseins (2.), vielmehr setzt er gleichzeitig Wachheit (1.) voraus und wird in der Regel außerdem eine spezifische Qualität haben, also auch phänomenales Bewusstsein (3.) einschließen.
Bewusstsein ist eine Eigenschaft von Ereignissen, die auch ohne diese Eigenschaft auftreten können
(2)Subjekte bewusster Ereignisse haben zu diesen Ereignissen einen privilegierten Zugang aus der Perspektive der ersten Person
(3)Sprachfähige Subjekte bewusster Ereignisse können ohne weitere Schlussfolgerungen von diesen Ereignissen berichten
(4)Eine erste Einteilung kann vier verschiedene Formen von Bewusstsein unterscheiden:
Wachheit
Kognitives (intentionales) Bewusstsein
Phänomenales Bewusstsein
Selbstbewusstsein
Nicht alle Ereignisse, derer wir uns bewusst werden können, sind aktuell bewusst: Ereignisse, die Gegenstände von Bewusstsein zu werden vermögen, heißen ›mentale Ereignisse‹
Die Tatsache, dass es sich bei Bewusstseinszuständen um Phänomene handelt, die in einer besonderen Weise aus der Perspektive der ersten Person zugänglich sind, liefert nicht nur den Ansatzpunkt für eine begriffliche Verständigung. Gleichzeitig ergeben sich hieraus auch charakteristische Probleme. Sie betreffen zum einen das Verhältnis von Gehirn und Bewusstsein selbst, man kann daher auch von ONTOLOGISCHEN FRAGEN sprechen. Daneben geht es aber auch um das Verhältnis unserer Erkenntnisse über das Gehirn zu unseren Erkenntnissen über das Bewusstsein; hier handelt es sich in erster Linie um ERKENNTNISTHEORETISCHE Probleme.[16] Im Folgenden möchte ich mich mit den ontologischen Fragen auseinander setzen; erkenntnistheoretische Fragen werden weiter unten (S. 164ff.) im Zusammenhang mit dem ERKLÄRUNGSLÜCKENARGUMENT diskutiert.
Im Kern handelt es sich bei den ontologischen Fragen um das berühmte LEIB-SEELE-PROBLEM. Da der Begriff der SEELE nicht nur starke theologische Konnotationen hat, sondern beispielsweise in der Lebensphilosophie in einen ausdrücklichen Gegensatz zum Geist gebracht worden ist,[17] scheint dessen Verwendung hier genauso wenig sinnvoll wie die des Begriffes LEIB, der zu ähnlichen Problemen führen kann. Nicht ganz treffend erscheint es mir aber auch, stattdessen von einem KÖRPER-GEIST-PROBLEM zu sprechen: Zum einen verführt die Rede von dem Geist sehr leicht zu einer substantialistischen, verdinglichenden Denkweise, zum Zweiten geht es nicht in erster Linie um den Körper, sondern um das Gehirn. Insofern ist es besser, ausgehend von den obigen Überlegungen zum Eigenschaftsstatus des Bewusstseins, von der Beziehung zwischen GEHIRN und BEWUSSTSEIN oder, besser noch, zwischen NEURONALEN EIGENSCHAFTEN und BEWUSSTSEINSEIGENSCHAFTEN zu sprechen.
Zu einem Problem wird diese Beziehung vor allem aufgrund eines Dilemmas: Auf der einen Seite deuten unsere empirischen, insbesondere natürlich unsere neurobiologischen Erkenntnisse darauf hin, dass ein sehr enges Verhältnis zwischen diesen Eigenschaften besteht. Auf der anderen Seite ist jedoch schwer zu erkennen, was die Aktvitäten jener grauen, einförmigen Masse von Nervenzellen, mit der sich die Neurobiologie befasst, mit unserem inhaltlich und qualitativ höchst ausdifferenzierten Bewusstsein zu tun haben soll.
Rein schematisch gibt es hier zunächst zwei unterschiedliche Gruppen von Antworten: Während der MONISMUS glaubt, dass wir uns letztlich nur auf einen Typus von Prozessen beziehen, wenn wir von Aktivitäten in Gehirn und Bewusstsein sprechen, sieht der DUALISMUS hier zwei grundsätzlich differierende Arten von Zuständen, die auch unabhängig voneinander auftreten können. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Frage, ob und gegebenenfalls wie diese Zustände einander beeinflussen. Während INTERAKTIONISTISCHE Dualisten wie Descartes oder Popper und Eccles hier einen wechselseitigen Einfluss postulieren, räumen die Vertreter des EPIPHÄNOMENALISMUS lediglich einen Einfluss physischer auf psychische Prozesse ein. Psychische Phänomene gelten dagegen als wirkungslose Begleiterscheinungen physischer Prozesse. Viele der klassischen Vertreter des Dualismus beschreiben den Unterschied von Gehirn und Bewusstsein als ein Verhältnis von SUBSTANZEN, neuere Ansätze sprechen dagegen von mentalen und neuronalen PROZESSEN oder EIGENSCHAFTEN. Typischerweise wird dabei unterstellt, dass bestimmte neuronale Prozesse neben ihren physischen zusätzlich auch noch mentale Eigenschaften besitzen; die Position wird daher in der Regel als EIGENSCHAFTSDUALISMUS bezeichnet.
Zwar glauben auch die Eigenschaftsdualisten, dass mentale Eigenschaften theoretisch unabhängig von den neuronalen Prozessen auftreten könnten, an die sie normalerweise gebunden sind. Allerdings denken sie dabei in der Regel weniger an unsterbliche Seelen als vielmehr an andere intelligente Systeme wie etwa Computer oder Lebewesen mit einem ganz anderen Nervensystem. Die prinzipielle Unabhängigkeit von Bewusstsein und Gehirn führt hier also nicht zu der Annahme, Bewusstsein könne als völlig selbständiger Geist auftreten, vielmehr begnügt man sich mit der Annahme, dass es auch als Eigenschaft ganz anderer Prozesse als der uns bekannten neuronalen Aktivitäten zu entstehen vermöge.
Im Gegensatz dazu unterstellt der MONISMUS die Existenz nur eines einzigen Gegenstandsbereiches; für die heute relevanten Formen des Monismus ist dies die physische Realität.[18] Die Vertreter des Monismus stimmen also darin überein, dass wir uns de facto immer auf physische Prozesse beziehen, wenn wir von Vorgängen des Bewusstseins sprechen. Die wichtigsten Unterschiede zwischen den einzelnen Varianten dieser Position betreffen den Status der Rede vom Bewusstsein: Während die Vertreter von LOGISCHEM BEHAVIORISMUS und ELIMINATIVEM MATERIALISMUS meinen, dass eine eigenständige Auseinandersetzung mit Problemen des Bewusstseins aus der Perspektive der empirischen Wissenschaften letztlich überflüssig sei, weil mentalistische Aussagen vollständig durch Aussagen über Verhaltensdispositionen bzw. über neuronale Prozesse ersetzt werden können, postuliert die IDENTITÄTSTHEORIE, dass das Bewusstsein ein ebenso wichtiger Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzung ist wie das Gehirn. Auch hier wird also nur ein Gegenstandsbereich akzeptiert, doch es gibt unterschiedliche Formen der Beschreibung oder des Zugangs, die prinzipiell gleichberechtigt sind.
Beginnen wir mit dem DUALISMUS. Die Vertreter dieser Position bestreiten nicht, dass die Neurobiologie wichtige Erkenntnisse liefern kann. Doch wenn wir von unserem Bewusstsein sprechen, dann meinen wir etwas, das mit den gegenwärtigen Methoden der Physiologie und der Physik überhaupt nicht zu erfassen ist: Das Bewusstsein ist den neuronalen Prozessen gegenüber AUTONOM. Nach dualistischer Auffassung handelt es sich bei Gehirn und Bewusstsein also um zwei völlig unterschiedliche Entitäten, die unabhängig voneinander auftreten können und zwei verschiedenen Gegenstandsbereichen angehören.
Uneinigkeit herrscht unter den Dualisten hinsichtlich der Frage, wie das Verhältnis von Gehirn und Bewusstsein zu beschreiben ist. Dies betrifft zum einen den bereits erwähnten Dissens, ob es sich hier um ein Verhältnis von SUBSTANZEN oder von EIGENSCHAFTEN handelt. Differenzen bestehen zum Zweiten in der Frage, ob es Kausalbeziehungen zwischen geistigen und neuronalen Prozessen gibt: Während der klassische PSYCHOPHYSISCHE PARALLELISMUS solche Beziehungen generell bestreitet, betrachtet der EPIPHÄNOMENALISMUS mentale Prozesse zwar als Produkte physischer Vorgänge, schließt aber umgekehrt aus, dass psychische Zustände ihrerseits kausal wirksam werden. Dagegen postuliert der INTERAKTIONISTISCHE Dualismus eine WECHSELWIRKUNG von Geist und Gehirn. Dieser wohl am weitesten verbreiteten Variante des Dualismus zufolge beeinflussen mentale Ereignisse wie Willensakte die neuronale Aktivität; auf der anderen Seite wirken sich physische Prozesse wie die Reizungen unserer Sinnesorgane auf das Bewusstsein aus.
Nehmen wir also an, ein herabfallender Dachziegel würde mich am Kopf treffen, ich verspürte einen Schmerz und würde mich entschließen, möglichst schnell das Weite zu suchen. Der interaktionistische Dualist würde hier physische und mentale Ereignisfolgen unterscheiden. Stark vereinfacht könnte seine Beschreibung etwa folgendermaßen aussehen: Am Beginn steht eine Kette physischer Ereignisse, die mit dem Fall des Ziegels beginnt, sich fortsetzt über die Verletzung meiner Kopfhaut sowie die Aktivierung von Schmerzrezeptoren und vorläufig in einer Erregung der Schmerzzentren in meinem Gehirn endet. Dieser neuronale Prozess würde auf der mentalen Ebene eine Schmerzerfahrung bewirken, einen autonomen geistigen Vorgang, der theoretisch auch in Abwesenheit jener physischen Ereignisfolge stattfinden könnte. Die Schmerzerfahrung führt ihrerseits zu einem weiteren geistigen Ereignis, nämlich meinem Entschluss zu flüchten. Dieser Entschluss bewirkt wiederum bestimmte neuronale und körperliche Aktivitäten, die schließlich zu meiner Flucht führen.
Mentale Ereignisse sind keine physischen Ereignisse
(2)Mentale Ereignisse zählen zu den Ursachen physischer Ereignisse
(3)Mentale Ereignisse zählen zu den Ursachen jeweils anderer mentaler Ereignisse
(4)Mentale Ereignisse werden von physischen und mentalen Ereignissen verursacht
Der interaktionistische Dualismus stimmt in vielen Punkten mit recht tiefsitzenden Intuitionen überein. In ethnologischen Studien zeigte sich, dass die Mehrzahl der Kulturen den Begriff einer ›Seele‹ kennt; in etwa der Hälfte der Fälle wurde zudem unterstellt, dass sich die Seele vom Körper trennen könne. Umfragen zufolge glauben 88 % aller Amerikaner und immerhin 61 % aller Europäer an die Existenz der menschlichen Seele.[19] Auch in den meisten vormodernen Theorien über die Grundlagen geistiger Prozesse spielt der Dualismus eine große Rolle, gleich ob es sich dabei um die indische Religionsphilosophie, den Platonismus oder aber die jüdisch-christliche Tradition handelt. Insofern dürfte Eccles (1996, 244) nur maßvoll übertreiben, wenn er von einem »natürlichen dualistischen Glauben an die Wechselwirkung zwischen Selbst und Gehirn« spricht.
Zugunsten des Dualismus spricht zum einen, dass er eine recht nahe liegende Erklärung für die Einheitlichkeit unserer Erfahrungen aus der Perspektive der ersten Person bietet. Dieses Problem hat in der gegenwärtigen Diskussion besondere Bedeutung (cf. Popper & Eccles 1989, Eccles 1996, Libet 1994) gewonnen. Auf der physischen Ebene steht nämlich einem einheitlichen Bewusstseinsakt eine kaum überschaubare Vielzahl von neuronalen Aktivitäten gegenüber. Es ist zumindest auf den ersten Blick nicht erkennbar, wie daraus eine einheitliche Bewusstseinserfahrung entstehen soll. Der Dualismus scheint hier über eine einfache Lösung zu verfügen, schließlich kann er sich auf die Integrationsleistung des freien Geistes berufen, der die disparaten neuronalen Prozesse zu einer einheitlichen Erfahrung zusammenfasst.
Ein zweiter wichtiger Vorzug dieser Theorie scheint darin zu bestehen, dass sie die Existenz des FREIEN WILLENS erklären kann, wie er sowohl für unser Selbstverständnis als verantwortlich handelnder Subjekte wie auch für unsere Rechtskultur zentral ist. Einer sehr weit verbreiteten Vorstellung zufolge setzt Freiheit die Autonomie eines Willensaktes gegenüber sämtlichen physischen Determinanten voraus. Unter diesen Bedingungen hätte ein physikalistischer Ansatz massive Probleme, während der Dualismus dem Geist die erforderliche Autonomie zu bieten scheint.
Drittens scheint für den Dualismus schließlich auch eine Überlegung zu sprechen, die das Verhältnis von Gehirn und Bewusstsein insgesamt betrifft: Die Behauptung monistischer Ansätze, dass die qualitativ vielfältigen Erfahrungen, die wir aus der Perspektive der ersten Person erleben, nichts anderes sein sollen als die qualitativ gleichförmige Aktivität einfacher Nervenzellen, klingt zunächst wenig plausibel. Wesentlich verständlicher ist da die dualistische Antwort, derzufolge wir es hier in der Tat mit zwei autonomen Typen von Prozessen, ja möglicherweise sogar mit unterschiedlichen Substanzen zu tun haben.
Eine philosophische Auseinandersetzung mit Problemen des Bewusstseins kann diese offenbar tief in unserem Denken verankerten Intuitionen nicht einfach übergehen; genauso wenig kann sie sie allerdings ohne weitere Befragung akzeptieren. Untersucht werden muss vielmehr, wie sich diese Intuitionen und damit auch der Dualismus insgesamt mit unseren übrigen Erkenntnissen und Überzeugungen über Gehirn, Bewusstsein und die Natur allgemein vertragen. Von entscheidender Bedeutung ist zudem, ob die empirischen Befunde für oder gegen den Dualismus sprechen, schließlich muss auch der explanatorische Wert dieser Konzeption geklärt werden: Welche Beobachtungen kann sie im Vergleich zu den möglichen Alternativen besser erklären, welche Probleme hilft sie besser zu verstehen, welche Lösungsmöglichkeiten eröffnet diese Position?
Wie bereits erwähnt, hat der Dualismus eine sehr lange Tradition, auch wenn den älteren Traditionen die cartesianische Gegenüberstellung eines immateriellen Geistes mit einem rein mechanisch funktionierenden, geistlosen Körper völlig fremd ist. So gesteht schon die indische Religionsphilosophie der Seele einen besonderen Status zu. Die um 800 vor Christus entstehenden ältesten Upanishaden betrachten die Seele, das Atman, als das Lebensprinzip, welches sämtlichen materiellen Prozessen und Objekten zugrunde liegt. Dennoch gilt die Materie hier nicht als tot, die Seele nicht als immateriell, sondern als eine besonders feine Form der Materie, die sich unserer sinnlichen Wahrnehmung entzieht.[20]In den mittleren Upanishaden, die etwa zur Zeit des Sokrates entstehen, wird der Unterschied zu einem Gegensatz verschärft. Die Vorstellung, dass die Seele aus einer besonders feinen Form der Materie bestehe, wird jedoch nicht einfach vergessen, sie ist auch in der griechischen Antike noch lebendig: Psyche (ψυχή) bedeutet unter anderem auch ›Atem‹; eine ähnliche Vorstellung findet sich auch im Alten Testament. In der biblischen Tradition schließt der materielle Charakter der Seele allerdings nicht den Gegensatz zum Körper aus. Der Leib, so berichtet die Genesis, wird von Gott aus Erde geschaffen, die Seele dagegen ist der göttliche Hauch, der Lebensatem, den Gott selbst dem von ihm geschaffenen ersten Menschen einbläst.[21] Dieser Gegensatz wird dann später von Augustin, vermutlich unter dem Einfluss manichäischer Lehren, zu einem Dualismus verschärft.[22]
Während die Seele in der vorsokratischen Tradition vielfach noch an eines der Elemente gebunden wird, unterscheidet Platon zwischen einem unsterblichen Teil der Seele auf der einen Seite sowie dem Körper und den sterblichen Teilen der Seele auf der anderen: Während letztere in seinem Dialog Timaios von den unteren Göttern geschaffen werden, ist die unsterbliche Seele das Werk des Weltenschöpfers selbst, sie kann daher im Tod auch wieder vom Körper getrennt werden, ohne dass sie selbst sich änderte.[23] Um sie gegen den Einfluss der unteren Vermögen zu schützen, findet sie ihren Sitz im Kopf und wird durch die Verengung des Halses getrennt von den im Unterleib befindlichen Begierden und dem Mut, der seinen Ort im Herz hat.[24] Auch Aristoteles kennt unterschiedliche Vermögen der Seele: den Geist, die Wahrnehmung und die vegetativen Funktionen. Er hält fest an der Unterscheidung zwischen Leib und Seele;[25] gleichzeitig bemüht er sich um die Relativierung dieses Unterschieds. Die Seele ist das Prinzip des Lebens, das zumindest in seinen unteren, vegetativen Erscheinungsformen unmittelbar mit dem lebendigen Körper verbunden ist.[26]
Seine für die neuzeitliche Philosophie entscheidende Fassung erhält das Problem bei Descartes, der den immateriellen Geist und die unbeseelte Materie als zwei unterschiedliche SUBSTANZEN auffasst. Substanzen besitzen in Descartes’ Augen stets ein zentrales Merkmal, in dem ihr Wesen zum Ausdruck kommt.[27] Im Falle des Geistes, der RES COGITANS, ist es das Denken. Es gehöre, so argumentiert Descartes, »durchaus nichts anderes zu meiner Natur oder Wesenheit, … als allein, dass ich ein denkendes Ding bin«.[28] Im Gegensatz dazu besteht die wesentliche Eigenschaft des Körpers, der RES EXTENSA, darin, ausgedehnt zu sein.[29] Descartes’ zentrales Argument für die Unterscheidung von Geist und Körper leitet sich nun aus einer zweiten generellen Eigenheit von Substanzen ab: Sie können nämlich unabhängig von allen anderen Objekten existieren.[30] Während also die rötliche Farbe meiner Haut eine akzidentelle Eigenschaft ist, die stets einen Träger benötigt, ist mein Körper eine Substanz, die auf keinen Träger angewiesen ist.
Akzeptiert man außerdem Descartes’ Prämisse, dass alles, was man klar und deutlich erkennt, auch möglich ist, dann ist sein Argument für die Unterscheidung von Geist und Körper durchaus plausibel. Descartes zeigt nämlich, dass man an der Existenz alles Materiellen ohne weiteres zweifeln kann; dies betrifft nicht nur die Außenwelt, es betrifft vielmehr auch den eigenen Körper. Im Gegensatz dazu ist ein ernsthafter Zweifel an der Existenz meiner eigenen Bewusstseinsakte nicht möglich, schließlich ist der Akt des Zweifelns selbst schon ein solcher Akt des Bewusstseins. Ich erkenne also klar und deutlich, dass ich existieren kann, ohne einen Körper zu haben, und so muss es unter der oben genannten Voraussetzung auch real möglich sein, dass die RES COGITANS, der Geist, unabhängig von der RES EXTENSA, dem Körper, auftritt, genauso wie es Körper gibt, die unabhängig vom Geist existieren können. Dies bedeutet, dass es sich hier um zwei verschiedene Substanzen handeln muss – die Unterscheidung zwischen einer körperlichen und einer geistigen Substanz scheint daher gerechtfertigt.[31]
Es ist in der Tat schwer zu bestreiten, dass Descartes einen entscheidenden Beitrag zum genaueren Verständnis des Verhältnisses von Geist und Gehirn geleistet hat. Dies gilt nicht nur für die begriffliche Bestimmung dieses Verhältnisses, sondern ebenso für die Frage, welche Beziehungen zwischen Geist und Gehirn bestehen. Aus der Diskussion, die damit angestoßen wurde, sind unterschiedliche Varianten des Dualismus hervorgegangen, die unten noch kurz vorgestellt werden sollen.
Descartes selbst ist ein Vertreter des sogenannten INTERAKTIONISTISCHEN DUALISMUS, der auch in der heutigen Diskussion noch eine größere Rolle spielt. Wie schon erwähnt, beeinflussen diesem Ansatz zufolge mentale Ereignisse wie Willensakte die neuronale Aktivität; auf der anderen Seite wirken sich physische Prozesse wie beispielsweise Reizungen der Sinnesorgane auf den Geist aus.
Descartes verortet die Wechselwirkung von Geist und Materie in der Zirbeldrüse (Epiphyse). Sie ist für diese Aufgabe vor allem deshalb prädestiniert, weil sie im Gehirn nur einmal vorhanden ist. Aus diesem Grund kann sie die Einheitlichkeit z.B. der visuellen Wahrnehmung sichern, indem sie die von beiden Augen kommenden Reize zu einem einheitlichen Bild integriert.[32] Bei den anderen Hirnarealen wäre dies nicht möglich, da sie auf beiden Seiten des Gehirns vorhanden sind. Die Zirbeldrüse wird also einerseits durch den Geist, insbesondere den Willen, bewegt und steuert ihrerseits die Bewegung sehr kleiner Partikel, so genannter ›Lebensgeister‹ (esprits animaux), die u.a. die Muskeln aktivieren;[33] zum anderen empfängt sie die von den Sinnesorganen aufgenommenen und von den Nerven und den Lebensgeistern übertragenen Wahrnehmungsreize und leitet sie an den Geist weiter. Dabei stellt sich Descartes vor, dass etwa die Umrisse visuell wahrgenommener Objekte topologisch genau auf der Außenseite der Zirbeldrüse abgebildet werden, wobei die Intensität des Reizes die Lichtstärke, die Qualität des Reizes die Farbe repräsentiert.[34]
Visuelle Wahrnehmung nach Descartes; oben links befindet sich die Zirbeldrüse(Aus: Descartes, Traité de l'Homme)
Das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Geist und Körper ist zwar wechselseitig, jedoch nicht symmetrisch. Der Geist ist dominant, er beherrscht den Körper. Descartes scheint damit einer für die abendländisch-christliche Kultur zentralen Intuition gerecht zu werden: Der Vorstellung nämlich, dass wir so etwas wie einen ›freien Willen‹ haben, der unsere Handlungen zu bestimmen vermag und uns damit auch in die Lage versetzt, die Verantwortung für dieses Handeln zu übernehmen.
Zweifellos macht Descartes eine Reihe von Annahmen, die wir heute nicht mehr ohne weiteres akzeptieren. Dies betrifft seine nachweislich falsche Auffassung, die psychophysische Interaktion vollziehe sich durch eine Bewegung der Zirbeldrüse, es betrifft aber auch die Frage, ob es sinnvoll sein kann, den Geist als eine selbständige Entität aufzufassen, die völlig unabhängig von jeder physischen Basis existieren kann. Problematisch erscheint darüber hinaus Descartes’ Bestimmung der RES EXTENSA, weil – wie oben bereits erwähnt – nicht alle physischen Entitäten ausgedehnt sind. Etwas schwerer fällt die Antwort auf Descartes’ Behauptung, die reale Unterscheidung von mentalen und physischen Substanzen lasse sich durch die Vorstellbarkeit einer solchen Unterscheidung rechtfertigen. Dieses Argument spielt in einer weiterentwickelten Version bis heute eine wichtige Rolle: Saul Kripke hat es als Basis für einen Einwand gegen die Identifikation von mentalen und neuronalen Prozessen benutzt. Ich werde Kripkes Überlegungen weiter unten (S. 60ff.) etwas ausführlicher darstellen. Schon hier möchte ich jedoch bemerken, dass es schwerwiegende Einwände gegen diese Argumentation gibt. Wie Christopher Hill (1997) im Anschluss an Thomas Nagel (1974) gezeigt hat, stellt der Nachvollzug geistiger Prozesse einen ganz anderen Typ psychischer Vorgänge dar als die Vorstellung neuronaler Aktivitäten. Damit lässt sich erklären, dass man diese beiden Vorstellungsakte unabhängig voneinander vollziehen kann, ohne dass daraus irgendwelche Schlussfolgerungen hinsichtlich einer realen Autonomie von mentalen und neuronalen Prozessen abzuleiten wären.
Das zentrale Problem des Cartesianischen Ansatzes betrifft jedoch die psychophysische Interaktion. Descartes unterstellt wie gesagt, dass die Seele über die Bewegung der Zirbeldrüse die Aktivität des Gehirns mitbestimmt, andererseits aber auch selbst unter dem Einfluss von Hirnprozessen steht. Damit entsteht ein Konflikt mit den im Prinzip auch von Descartes selbst akzeptierten Energieerhaltungssätzen.[35] Der Konflikt ist nicht dadurch zu umgehen, dass man den Einfluss des Geistes auf bloße Steuerungsfunktionen beschränkt. Zwar lässt Descartes’ Physik in gewissen Fällen eine Richtungsänderung ohne Veränderung des Energiebetrages zu, nämlich dann, wenn die Bahn eines leichten Gegenstandes durch die Kollision mit einem schwereren verändert wird.[36] Es ist jedoch leicht zu erkennen, dass damit das Problem nicht gelöst wäre: Abgesehen davon, dass Descartes seine Bemerkungen ausdrücklich nur auf Körper bezieht,[37]