Grundriss der Wirtschaftsethik - Bernd Noll - E-Book

Grundriss der Wirtschaftsethik E-Book

Bernd Noll

4,3

Beschreibung

Wirtschaftsethik ist im Zeitalter der Globalisierung zu einem zentralen Diskussionsthema geworden. Für dieses Lehrbuch wurde nun erstmals kein systematisch-analytischer Ansatz, sondern ein historisch-genetischer Zugang zur Wirtschaftsethik gewählt. Durch die Herausarbeitung der vielfältigen und komplexen historischen Wandlungsprozesse werden pointierend Leitbilder bzw. Paradigmen der Wirtschaftsethik vorgestellt, die über den Lauf der Geschichte das Denken und Handeln geprägt haben. Ausgehend von der Entwicklung der Horden- und Stammesmoral bis hin zur Globalisierung der letzten Jahrzehnte wird ein historischer Streifzug unternommen, bei dem der Verfasser sieben wohlunterscheidbare Paradigmen herausarbeiten kann. Die Darstellung ist ein wissenschaftlich fundierter Grundriss zu einem komplexen Themenfeld an der Schnittstelle von Ökonomik, Geschichte, Theologie und Philosophie, der bewusst interdisziplinär angelegt ist, aber aufgrund seiner verständlichen Sprache sowohl für Fachleute der verschiedenen Disziplinen als auch für akademisch Vorgebildete einen Zugang zur Geschichte der Wirtschaftsethik bietet.

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Wirtschaftsethik ist im Zeitalter der Globalisierung zu einem zentralen Diskussionsthema geworden. Für dieses Lehrbuch wurde nun erstmals kein systematisch-analytischer Ansatz, sondern ein historisch-genetischer Zugang zur Wirtschaftsethik gewählt. Durch die Herausarbeitung der vielfältigen und komplexen historischen Wandlungsprozesse werden pointierend Leitbilder bzw. Paradigmen der Wirtschaftsethik vorgestellt, die über den Lauf der Geschichte das Denken und Handeln geprägt haben. Ausgehend von der Entwicklung der Horden- und Stammesmoral bis hin zur Globalisierung der letzten Jahrzehnte wird ein historischer Streifzug unternommen, bei dem der Verfasser sieben wohlunterscheidbare Paradigmen herausarbeiten kann. Die Darstellung ist ein wissenschaftlich fundierter Grundriss zu einem komplexen Themenfeld an der Schnittstelle von Ökonomik, Geschichte, Theologie und Philosophie, der bewusst interdisziplinär angelegt ist, aber aufgrund seiner verständlichen Sprache sowohl für Fachleute der verschiedenen Disziplinen als auch für akademisch Vorgebildete einen Zugang zur Geschichte der Wirtschaftsethik bietet.

Prof. Dr. Bernd Noll lehrt Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsethik an der Hochschule Pforzheim.

Bernd Noll

Grundriss der Wirtschaftsethik

Von der Stammesmoral zur Ethik der Globalisierung

Alle Rechte vorbehalten © 2010 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Gesamtherstellung: W. Kohlhammer Druckerei GmbH + Co. KG, Stuttgart Printed in Germany

Print: 978-3-17-020025-8

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978-3-17-027028-2

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978-3-17-027029-9

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Die Bedeutung von Moral und Ethik für den wirtschaftlichen Entwicklungsprozess

2 Zur Entwicklung einer Horden- und Stammesmoral

2.1 Vorgeschichte: Ein interdisziplinäres Projekt

2.2 Rahmenbedingungen vorgeschichtlicher Existenz

2.2.1 Biologische‚ anthropologische und soziale Entwicklungen

2.2.2 Grundlinien einer Ökonomie der Steinzeit

2.3 Denkweise‚ wirtschaftliches Verhalten und Moralität

2.3.1 Von mythisch-magischer und dogmatischer Denkweise

2.3.2 Moral in der Horde

2.3.3 Moral und wirtschaftliches Verhalten

3 Griechische Antike: Die Lehre vom wohlgeordneten Haus

3.1 Zeitliche Einordnung der griechischen Antike

3.2 Wirtschaftliche, soziale und politische Verhältnisse

3.3 Entstehung antiker Philosophie und Ethik

3.3.1 Vom Mythos zum Logos

3.3.2 Sokrates, Platon und Aristoteles: Ihre Beiträge im Überblick

3.4 Drei grundlegende Erkenntniswege

3.5 Tugendethik – Leitlinien für eine Individualethik

3.6 Der wohlgeordnete Kosmos: Ordnungsethik für eine geschlossene Gesellschaft

3.6.1 Zum Verhältnis von Oikos und Polis

3.6.2 Unnatürliche Erwerbskunst (Chrematistik) und die Institutionen der Marktwirtschaft

3.7 Das Erbe der griechischen Antike

4 Jüdische und frühchristliche Traditionen: Gerechtigkeit, Liebe und Barmherzigkeit

4.1 Ursprung und Verbreitung des jüdischen und christlichen Glaubens

4.2 Politische‚ wirtschaftliche und soziale Entwicklung in Palästina

4.3 Religiös-biblische Traditionen und ihr Beitrag zur Ethik

4.3.1 Die Bibel als Quelle religiöser und moralischer Vorstellungen

4.3.2 Zum Zusammenhang von Religion‚ Recht und Moral

4.3.3 Ethische Grundaspekte im Alten und Neuen Testament

4.4 Maßstäbe für wirtschaftliches Handeln aus biblischer Sicht

4.4.1 Arbeitsethos‚ Erwerbsstreben und Genuss

4.4.2 Eigentum‚ Sozialbindung‚ Zins und Preis

4.4.3 Macht‚ Herrschaft und staatliche Redistribution

4.4.4 Gerechtigkeit und Gleichheit

4.4.5 Ausdifferenzierung der Wirtschaft: Handel und Geldwesen

4.5 Der Beitrag der jüdisch-christlichen Ethik zur Entfaltung wirtschaftsethischer Kategorien

5 Mittelalter: die Moralphilosophie als »Magd der Theologie«

5.1 Zeitliche Einordnung

5.2 Das »finstere« Mittelalter: Wirtschaftliche‚ soziale und politische Verhältnisse

5.3 Das mittelalterliche Weltbild und die Stellung der Kirche

5.4 Patristik und Scholastik: Wichtige Denker und ihr Beitrag

5.5 Schöpfungsordnung‚ Wirtschaften und Wirtschaftsethik

5.5.1 Die Einbettung der Wirtschaft in die Schöpfungsordnung

5.5.2 Tugendethik und Wirtschaften

5.5.3 Wirtschaftsethische Lehren der Scholastik

5.5.3.1 Arbeit – Fluch oder Segen?

5.5.3.2 Erwerbsstreben und Eigentum

5.5.3.3 Die Lehre vom gerechten Preis

5.5.3.4 Wucherzins und Höllenqualen160

5.5.3.5 Caritas und Armenfürsorge

5.5.4 Von frommen Klosterbrüdern‚ edlen Rittern und sündigen Kaufleuten

5.6 Das Mittelalter: Finsteres Zeitalter und Nährboden für eine neuzeitliche Wirtschaftsethik

6 Neuzeit: Herausbildung einer marktwirtschaftlich-kapitalistischen Ethik

6.1 Zeitliche Einordnung

6.2 Wirtschaftliche‚ soziale und politische Entwicklungslinien

6.3 Zur neuzeitlichen Denkweise und Moralität

6.3.1 Die Reformation

6.3.2 Beiträge der Philosophie zur Entwicklung eines neuen Menschen- und Weltbildes

6.4 Philosophische Strömungen und ihre Beiträge zur Entfaltung einer neuzeitlichen Ethik

6.5 Zur Entfaltung wirtschaftsethischer Grundkategorien

6.5.1 Das Anliegen der klassischen Politischen Ökonomie

6.5.2 Zusammenspiel von Individual- und Sozialethik

6.6 Tugendethik‚ Pflichtenethik oder Nützlichkeitsethik – Leitlinien für eine Bürgermoral

6.7 Grundaspekte einer Ethik des Kapitalismus

6.7.1 Zum Sinn des Wirtschaftens: Bedürfnisbefriedigung oder Erwerbsstreben als Selbstzweck?

6.7.2 Arbeitsethos, Beruf und Berufung: Luther, Calvin und die Folgen

6.7.3 Legitimation des Privateigentums

6.7.4 Ethische Rechtfertigung von Verträgen, Märkten und Wettbewerb

6.7.5 Zum Verhältnis von Staat und Gesellschaft: Staatsaufgaben und Gerechtigkeit

6.7.6 Die Moral der Akteure: Unternehmer, Manager, Kapitalgeber, Arbeiter und Konsumenten

6.8 Der Beitrag des Liberalismus zur neuzeitlichen Wirtschaftsethik

7 Bundesrepublik: Neoliberalismus und Soziale Marktwirtschaft – ein »gebändigter Kapitalismus«

7.1 Zeitliche Einordnung des Neoliberalismus

7.2 Politische‚ wirtschaftliche und gesellschaftliche Verhältnisse – eine Skizze

7.2.1 Vom »Wirtschaftswunder« zur Stagnation

7.2.2 Klassengesellschaft‚ Mittelstandsgesellschaft oder Zweidrittelgesellschaft?

7.2.3 Von der Bonner zur Berliner Republik

7.2.4 Ein zwiespältiger Befund

7.3 Bewusstseinslagen und Wertewandel

7.4 Anthropologische und sozialphilosophische Wurzeln des Neoliberalismus

7.5 Zur Entfaltung ethischer Grundkategorien

7.5.1 Das Werturteilsproblem

7.5.2 Zum Zusammenspiel von Institutionenethik und Individualethik

7.6 Der ethische Gehalt der Sozialen Marktwirtschaft

7.6.1 Ziele des Eigennutzstrebens

7.6.2 Arbeit‚ Arbeitsmärkte und Arbeitsethik

7.6.3 Erwerb und Nutzung von Privateigentum

7.6.4 Unternehmertum‚ Aktiengesellschaft und Haftung

7.6.5 Markt und Wettbewerb

7.6.5.1 Zur moralischen Qualität eines Marktsystems

7.6.5.2 Die Bedeutung des Leistungswettbewerbs

7.6.6 Ordnungspolitik – der starke Staat

7.6.7 Sozialpolitik und Wettbewerbsordnung

7.6.7.1 Ordnungspolitik als Sozialpolitik

7.6.7.2 Existenzielle Notlagen und Subsidiaritätsprinzip

7.6.7.3 Startgerechtigkeit und Gleichheit vor dem Gesetz

7.6.7.4 Staatliche Sozialpolitik zur Realisierung »sozialer Gerechtigkeit«?

7.7 Anspruch und Realität »der« Sozialen Marktwirtschaft

7.7.1 Aufgeklärte Marktwirtschaft und kollektive Vernunft: Das Stabilitätsgesetz

7.7.2 Koordinierter Kapitalismus und »Deutschland AG»

7.7.3 Funktionswandel des Sozialstaats zum Wohlfahrtsstaat

7.8 »Baustelle« Deutschland?

8 Globalisierung: »Entgrenzter« Kapitalismus

8.1 Zur historischen Einordnung der Globalisierung

8.2 Entwicklung‚ Ursachen und Triebkräfte weltweiter Marktintegration

8.3 Wirtschaftsethische Rechtfertigung der Globalisierung

8.3.1 Globalisierte Wirtschaft und Wohlstandszuwachs

8.3.2 Freiheit und Gerechtigkeit im Zeitalter der Globalisierung

8.3.3 Globalisierung: Wegbereiter für eine internationale Friedensordnung?

8.3.4 Ethik und Globalisierung – Ein Zwischenfazit

8.4 Global Governance

8.5 Ein Weltgesellschaftsvertrag – kein Weltethos!

8.6 Weltpolitische Aufgaben im Überblick

8.7 Akteure der Globalisierung – zur Global Governance Architektur

8.7.1 Hat sich der Nationalstaat überlebt?

8.7.1.1 Souveränitätsverluste?

8.7.1.2 Entmachtung des Nationalstaates?

8.7.1.3 Vom Ende des Sozialstaates und der Aufweichung von Sozial- und Umweltstandards

8.7.2 Intergouvernementale Zusammenarbeit‚ supranationale Organisationen oder Weltstaat

8.7.3 Multinationale Unternehmen, Lex mercatoria und Corporate Social Responsibility

8.7.4 NGOs – Experten aus Engagement

8.7.5 Das Individuum – ein Weltbürger

8.8 Bleibendes Unbehagen

8.8.1 Zuwanderungsbeschränkungen: Wie liberal ist die westliche Welt?

8.8.2 Armutsbekämpfung: Entwicklungshilfe oder Weltsozialpolitik

8.8.3 Zur Tragödie der Allmendegüter und der Zukunftsfähigkeit der Menschheit

8.8.4 Das überforderte Individuum

9 Fazit

Literatur

Stichwortverzeichnis

Personenverzeichnis

Würden die Menschen endlich aufhören, über den anderen als übelwollenden und bösen Menschen zu sprechen und nach »Schurken im Stück« zu suchen, sondern stattdessen damit beginnen, auf die mit Alltagsmenschen besetzten Institutionen zu schauen, dann könnte sich ein weites Feld für eine wirkliche Gesellschaftsreform auftun.

James Buchanan

Vorwort

(1)Die Geschichte der Philosophie beginnt, wenn man einigen Chronisten glauben darf, mit dem Griechen Thales und einem typischen wirtschaftsethischen Konflikt. Dabei ging es um Folgendes: Thales von Milet, ein wohl ebenso ideenreicher Philosoph wie pfiffiger Geschäftsmann, der im 6. Jahrhundert v. Chr. lebte, erkannte eines Tages, dass die diesjährige Olivenernte besonders ertragreich zu werden verspricht. Daher kauft er alle Ölpressen auf, um sie zu Monopolpreisen nach der Ernte weiter zu vermieten. Ist dieses Verhalten moralisch legitim? Darf Thales den Informationsvorsprung für seine eigenen Interessen, zur Mehrung des eigenen Wohlstandes, nutzen? Oder hätte er seine Vertragspartner über sein Wissen aufklären müssen, handelte er also unmoralisch und ist sein Verhalten letztlich gemeinschaftsschädlich?

Nun, ob Thales wirklich der erste Philosoph war, ist genauso umstritten wie auch, ob die hier erzählte Geschichte überhaupt stimmt.1 Beides soll an dieser Stelle allerdings nicht weiter interessieren. Wir werden auf die Problematik des »gerechten« Preises, um die es hier im Kern geht, später noch eingehen. Vor allem eines sollte an der kleinen Geschichte deutlich werden: Seit Beginn der Menschheit gab es Knappheit an Ressourcen, haben die Menschen die meiste Zeit ihres Lebens damit gefristet, sich in mühseliger Weise, buchstäblich »im Schweiße ihres Angesichts« das »tägliche Brot« zu erarbeiten. Und sie traten dabei zueinander in Kooperations- und Konkurrenzbeziehungen. Das sind die entscheidenden »Zutaten« dafür, dass es von jeher wirtschaftsethische Problemlagen gegeben haben muss, Konflikte, so mag man bei unbefangener Betrachtung geneigt sein zu glauben, für die die Menschen nach möglichst nachvollziehbaren und sinnfälligen Lösungen gesucht haben. Dieses seit Anbeginn der Menschheit ewig aktuelle Problem der Knappheit der Ressourcen und die arbeitsteilige Bewältigung solcher Knappheitssituationen gibt Anlass zu der Frage, welchen expliziten und mehr noch impliziten Regeln die Menschen über den Lauf der Geschichte beim Wirtschaften jeweils gefolgt sind. Und dies wirft inzidenter die weitere Frage auf, welche Wertvorstellungen in diesen Regeln enthalten waren.

(2) Erstaunlicherweise hat die Ethik als Teildisziplin der Philosophie, als Moralphilosophie, dem Lebenssachbereich Arbeit und Wirtschaft lange Zeit relativ wenig Beachtung geschenkt. Zwar haben sich Philosophen und Theologen von Anbeginn an immer auch mit ökonomischen Fragen befasst, doch meist eher nebenbei und mit gehöriger Distanz zum Gegenstand. Für die Geschichte der Wirtschaftsethik gilt daher der Befund, auf den Otfried Höffe vor einiger Zeit aufmerksam gemacht hat: »Wer sich aber die großen Werke der abendländischen Ethik anschaut, der findet erstaunlicherweise, dass von der Wirtschaft so gut wie keine Rede ist.«2 Und was für die Moralphilosophie gilt, das gilt auch für die Geschichtswissenschaften. Dafür möge Jacob Burckhardt, der große schweizerische Historiker des 19. Jahrhunderts, als Kronzeuge genannt werden, der in seinen »Weltgeschichtlichen Betrachtungen« als die großen »drei Potenzen« den Staat, die Religion und die Kultur, nicht aber die Wirtschaft behandelte.3

(3) Inzwischen hat sich die Lage entscheidend geändert; die »Wirtschaft« ist spätestens im 20. Jahrhundert und insbesondere im Zeitalter der Globalisierung zu »der« Potenz schlechthin geworden. »Die Wirtschaft ist unser Schicksal« hatte bereits 1921 der deutsche Außenminister Walther Rathenau formuliert, und mittlerweile wird von vielen die »umfassende Ökonomisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse« diagnostiziert.4 Im Gefolge dieser Entwicklungen, nicht zuletzt als »Krisensymptom«, erfährt auch die Wirtschaftsethik einen stürmischen Aufschwung. Genauer müsste man formulieren, dass seit der »Wiederentdeckung« wirtschaftsethischer Fragestellungen in den 1990er Jahren ein wahrer »Boom« zu diagnostizieren ist. Von Wiederentdeckung zu sprechen ist deshalb sachgerecht, weil bereits in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts bekannte Ökonomen und Philosophen – genannt seien nur Werner Sombart, Max Weber und Georg Simmel – die Wirtschaft zum Gegenstand wirtschaftsethischer und ideengeschichtlicher Betrachtungen gemacht und damit kontroverse und langanhaltende Diskussionen ausgelöst haben.5 Während sich nun aber gegenwärtig erneut eine Fülle von Veröffentlichungen und eine Vielzahl von Tagungen um die Exposition eines Wirtschaftsethik-Paradigmas und um die Aufarbeitung ethischer Dilemmata bemühen, erfolgt die Aufarbeitung wirtschaftsethischer Entwicklungslinien aus historischer Perspektive bislang eher kursorisch.

(4) Eine Geschichte zur Wirtschaftsethik, auch wenn sie hier vorsichtig als Grundriss bezeichnet wird, mag manchem als »Parforceritt« erscheinen. Ein solcher Versuch begegnet in den Fachdisziplinen vermutlich schnell dem Vorbehalt, eine Vielzahl von Aspekten oder Zusammenhängen nicht gesehen oder tiefgründig genug gewürdigt zu haben. Dieser Einwand ist für solch eine breit angelegte Studie besonders ernst zu nehmen, weist zugleich aber auf eine grundsätzliche Schwierigkeit aller sozialwissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung hin. Sie liegt darin begründet, dass zunächst erst einmal aus der sinnlosen Unendlichkeit allen Weltgeschehens das Wichtige herausdestilliert werden muss.6 Doch was ist das Wichtige? Darauf gilt es im ersten Kapitel noch genauer einzugehen. Diese Vorbemerkungen dienen vielmehr nur dem Zweck, einige Begründungen dafür zu liefern, warum das Anfertigen eines solchen Buches aus Sicht des Verfassers ein wichtiges Anliegen ist, allerdings ohne die Begrenzungen und Defizite solchen Vorhabens zu leugnen.

(5) Zum einen möchte ich ein Lehrbuch zu einer Materie vorlegen, bei der es für Studierende, aber auch andere an der Thematik Interessierte schwierig ist, einen leicht fassbaren und verständlichen Überblick zu gewinnen. Es gibt mittlerweile zwar etliche gute Einführungslehrbücher in die Wirtschaftsethik. Man kann sich auch mit wirtschaftshistorischen, dogmen- oder ideengeschichtlichen Grundlagenwerken auseinandersetzen, die wirtschaftsethische Aspekte mit bearbeiten. Spannende Bücher wurden in den letzten Jahren auch über die Entwicklung des Menschen und menschlicher Sozietäten vorgelegt, die wichtige Einblicke in die Genese von Moral ermöglichen.7 Doch in allen dokumentiert sich auch die Ausdifferenzierung und Fragmentierung heutiger Wissensfelder. Die Schnittstelle dieser Disziplinen, insoweit es um die Entwicklung der wirtschaftsethischen Debatte aus historischer Perspektive geht, ist indes bislang – soweit erkennbar – nicht oder nicht zureichend besetzt. Insofern hoffe ich mit diesem Integrationsversuch eine Lücke schließen zu helfen.

(6) Das Buch wählt also einen anderen als den üblichen Zugang zu wirtschaftsethischen Fragestellungen. Ethik als normative Theorie vom guten und richtigen menschlichen Handeln hat sich unter ständigem Wandel in der Zeit vollzogen, präsentiert sich demzufolge immer schon zugleich als Geschichte der Ethik.8 Diese Perspektive will Orientierungswissen liefern, indem sie dazu anregt, die Genese wirtschaftsethischer Ideen nachzuvollziehen. Damit lassen sich insbesondere auch die Streitfragen um das Institutionensystem von Marktwirtschaften und die mit ihnen verknüpften Anreize und Sanktionen aus ihrem Entwicklungsprozess her erschließen und verstehbar machen. Der primäre Ertrag eines historisch-genetischen Zugangs zur Wirtschaftsethik besteht im Gegensatz zu einer systematisch-analytischen Herangehensweise sicher nicht darin, aus den aufgezeigten Streitfragen vergangener Epochen konkrete Lösungshinweise für aktuelle wirtschaftsethische Kontroversen zu erhalten. Doch lässt sich aus Entstehung und Ausdifferenzierung wirtschaftlicher Kategorien und Institutionen und der dahinter stehenden ethischen Anschauungen vielfach eher und besser erkennen, warum wir heute da stehen, wo wir stehen. Es geht also darum, das Verständnis um den »moralischen Gehalt« vormoderner Ordnungen wie des marktwirtschaftlichen Institutionengefüges aus historischer Perspektive zu befördern und Gründe für den Wandel zu erkennen.

(7) Dabei soll deutlich werden, dass die Ordnung, in der wir heute leben, nicht primär menschlicher Vernunft und planvollem Vorgehen entsprungen ist, sondern in wesentlichen Teilen das Ergebnis eines unpersönlichen, komplexen Entwicklungsprozesses ist.9 Diese Erkenntnis legt nahe, dass es auch nicht beliebige Gestaltungs- oder Eingriffsmöglichkeiten zur Fortentwicklung gibt, vielmehr gilt es die Pfadabhängigkeit des Wandels von Institutionen, von Normen und Wertsystemen zu beachten.10 Daher erfüllt der historisch-genetische Zugang eine weitere Funktion: Vermutlich ist keine andere Wissenschaft wie die Geschichte so sehr in der Lage, die Probleme der Interdependenz und daraus resultierender Kontingenz sozialen Handelns plastisch zu machen. Und dies wiederum dokumentiert eindrucksvoll die Grenzen menschlichen Handelns, ja menschlicher Existenz. Mir scheint, dass diese Überlegungen in den gegenwärtigen Diskussionen systematisch zu kurz kommen – mit gewichtigen Folgen! Friedrich August von Hayek hat dies klar gesehen und daher m.E. zu Recht als die größte Gefahr für freie Großgesellschaften das Verlangen nach konkreten Regeln im Geiste von Kleingruppen vermutet.11

(8) Das Anliegen ist ein Dreifaches. Der historisch-genetische Zugang will dazu beitragen,

den Wandel der realisierten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen nachzuvollziehen, um das jeweilige Institutionengefüge und dessen »moralischen Gehalt« zu erkennen;

gleichsam den Vorrat an »Problemlösungsmustern« erweitern, denn viele Probleme – wie die eingangs erwähnte Frage nach fairer Preisbildung bei unterschiedlichem Informationsstand der Akteure – haben eine lange Tradition. Das erlaubt es uns, aus den bisherigen Versuchen der Problembewältigung Schlüsse für heutige Dilemmata zu ziehen;

den bereits erreichten Diskussionsstand und erzielte Klärungen aufzuzeigen, um nicht hinter bereits erreichte Problemexpositionen und -lösungen zurückzufallen. Vielleicht können dadurch, dass man die Genese offenlegt, vormoderne Prägungen überwunden werden, wie sie allenthalben in den Vorbehalten gegenüber dem Wirken von Märkten und dem Walten »des« Kapitalismus anzutreffen sind. Schärfer formuliert: es soll dadurch ein Stück weit erschwert werden, mit »einfachen Lösungen« oder »neuen Heilsgewissheiten« in Atavismen zurückzufallen.

Gerade den letzten Aspekt gilt es besonders zu betonen, denn alles Nachsinnen über Vergangenes geschieht ja nicht aus Selbstzweck, sondern um der Gegenwart willen. Und da fällt auf, dass das überkommene Werte- und Normensystem in den letzten Jahrzehnten Erosionsprozesen unterliegt. Die daraus resultierenden Probleme hat der Anthropologe Arnold Gehlen bereits deutlich benannt, als er schrieb: »Wenn Institutionen im Geschiebe der Zeiten in Verfall geraten, abbröckeln oder bewusst zerstört werden, fällt diese Verhaltenssicherheit, man wird mit Entscheidungszumutungen gerade da überlastet, wo alles selbstverständlich sein sollte.«12 Diese Verhaltensunsicherheiten sind angesichts sich häufender Krisen allenthalben erkennbar.

(9) Vorab sei noch auf einige wesentliche Einschränkungen der nachfolgenden Untersuchungen verwiesen. Der Fokus wird zum einen bewusst verengt, es geht um die Geschichte der westlichen Wirtschaftsethik. Es gilt den spezifischen Weg der »europäischen« Entwicklung nachzuvollziehen. Dieser hat die Institutionen, Normen und Werte des globalen Marktsystems hervorgebracht, er unterscheidet sich signifikant von Wegen anderer Länder, Regionen oder Kulturen. Dabei ist jedoch kein Nachvollzug aller Differenzierungen und Wandlungen, keine umfassende ideen-, dogmen- oder wirtschaftsgeschichtliche Abhandlung beabsichtigt, sondern eher der Versuch einer Rekonstruktion der zentralen wirtschaftsethischen Kategorien. Die grundlegenden Wandlungsprozesse sollen verdeutlicht werden. Es gilt, verschiedene Paradigmen, die wichtigsten Aspekte vorherrschender Leitbilder bzw. allgemein anerkannte Denkmuster in der Wirtschaftsethik, für eine bestimmte Zeit oder Epoche pointierend darzustellen und dabei Paradigmenwechsel zu klären. Hier passt das von Thomas S. Kuhn popularisierte und seitdem viel genutzte und auch missbrauchte Konzept des Paradigmas bzw. Paradigmenwechsels.13 Die dabei zugrunde liegende Intention ist es, aufzuzeigen, dass sich die unterschiedenen Epochen jeweils relativ deutlich, bisweilen einschneidend hinsichtlich der Fragen unterscheiden, was beobachtet und überprüft wird, welche Art von Fragen gestellt, wie diese Fragen formuliert und schließlich wie die Ergebnisse interpretiert und bewertet wurden. Konkret auf unser Thema bezogen, ergeben sich daher die Fragen: An welchen Zielen sollte das individuelle, gemeinschaftsbezogene wie gesellschaftlich-wirtschaftliche Handeln orientiert sein? Welchen Werten und Normen sollte der Akteur sich dabei verpflichtet fühlen? Welche Institutionen sollten diesen Erfordernissen Rechnung tragen?

(10) Bei dem so praktizierten Nachvollzug wirtschaftsethischen Denkens wird schnell erkennbar, dass der eingeschlagene Weg nicht gradlinig ist. Er ist komplex und verworren. Der hier unternommene Versuch gleicht daher eher dem Weg durch ein Labyrinth. Da ist es gut, zunächst nach den Ursprüngen zu fragen, denn der Beginn an jedem anderen Startpunkt müsste sich die Frage gefallen lassen: warum ist der Startpunkt hier? Haben die Menschen sich nicht auch vorab mit ihrer natürlichen und gesellschaftlichen Umwelt auseinander gesetzt, deren »Nebenfolge« moralische Konsequenzen waren? Wir folgen C. R. Hallpike, dessen Vorschlag darin besteht, »...to begin at the beginning and to investigate the early forms of organization and beliefs.«14

Daher ist der Gang der Betrachtungen zu Beginn bewusst breit angelegt. Die Darstellung beginnt mit der Entwicklung der

Horden

- und

Stammesmoral in vorgeschichtlicher Zeit.

Es eröffnet sich damit eine Außensicht und die Möglichkeit des Vergleichs mit einer ganz anderen Ordnung, schärft den Blick für die eigenen Werte, Normen und Institutionen.

15

Dieses Kapitel zeigt, dass die Befolgung moralischer Regeln zur Grundausstattung des Menschen gehört.

16

Moral wurde also schon immer gelebt, sie wurde in der Horde oder in Stammesverbänden in vorgeschichtlicher Zeit ausgebildet und fraglos anerkannt. Erst in der Reflexion moralischer Normen, in dem Erkennen einer Differenz zwischen Sein und Sollen, liegt die Geburtsstunde der Ethik.

17

Daher wird man von Horden- oder Stammesmoral, nicht aber von Horden- oder Stammesethik sprechen können.

Diese Differenz von Sein und Sollen lässt sich erstmals in der

griechischen Philosophie

erkennen. Die griechische Tradition hat das abendländische Denken bis heute maßgeblich geprägt. In ihr werden viele uns heute noch beschäftigende ethische Kategorien und Denkwege erstmals entwickelt.

Eine weitere wichtige Traditionslinie ist das

jüdisch-christliche Erbe

. Wichtig ist dieser Entwicklungsstrang insbesondere deshalb, weil über einen langen Zeitraum Religion, Recht und Wirtschaftsmoral als einheitliches Regelsystem begriffen wurden.

Beide Entwicklungslinien – die christlich-jüdische und die griechische – haben sich vereint, und zwar im Römischen Reich, und haben die Denkweise des Mittelalters geprägt.

18

Das

Mittelalter

knüpft zumindest gedanklich an der römischen Antike an, das wird sinnbildlich an den zwei wichtigsten Universalgewalten dieser rund 1000-jährigen Epoche in Westeuropa deutlich: dem Papst als Bischof von Rom und dem Kaiser des Heiligen römischen Reiches deutscher Nation. Religion und Moralphilosophie gehen eine für die Ausdifferenzierung wirtschaftsethischer Kategorien nicht sehr glückliche Allianz ein.

Seit früher

Neuzeit

bis hin zur Moderne setzte dann ein langanhaltender Emanzipations- oder Ablösungsprozess vom christlich-scholastisch geprägten mittelalterlichen Weltbild ein. Die geistige Vorherrschaft der katholischen Kirche wird gebrochen, liberale Anliegen gewinnen im Bürgertum Bedeutung. Verschiedene Gelehrte wie

Max Weber

und

Jürgen Habermas

haben daher als Charakteristikum für den Aufbruch in die Moderne die »Differenzierung der kulturellen Wertsphären« gesehen.

19

Die Differenzierungsprozesse setzen insbesondere in Kunst, Wissenschaft und Ethik ein. Damit beginnen weitreichende Transformationsprozesse in der Wirtschaft, die wiederum in drei Epochen unterschieden werden können: zunächst gilt es die

Entstehung und Entfaltung eines marktwirtschaftlich-kapitalistischen Systems

bis ins 19. Jahrhunderts nachzuvollziehen.

Mit dem Schlagwort

»Soziale Marktwirtschaft«

wird gemeinhin die Epoche eines »gebändigten Kapitalismus« verbunden, wie er sich in der Nachkriegszeit durchsetzen konnte.

Diese Epoche wird abgelöst von einem sich weltweit durchsetzenden marktwirtschaftlich-kapitalistischen System, eines gleichsam

»entgrenzten« Kapitalismus

in der Epoche der Globalisierung, nachdem die Versuche, eine sozialistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung aufzubauen, kläglich gescheitert sind.

(11) Um ein für eine Epoche typisches Paradigma sinnvoll vermessen zu können, liegt jedem Kapitel eine ähnliche Struktur zugrunde:

Ideengeschichte

, wie sie hier angestrebt wird, lässt sich nicht ohne

Realgeschichte

verstehen. Die wirtschaftsethischen Leitideen einer Epoche können nur aus dem gesellschafts- und wirtschaftsgeschichtlichen Kontext heraus verstanden werden, denn Wirtschaftsweisen und Denk- und Lebensformen stehen in einem engen Verhältnis zueinander. Das Bedingungsverhältnis ist wechselseitiger Natur.

20

Damit wird zugleich dem Tatbestand Rechnung getragen, dass die wirtschaftsethischen Paradigmen sowohl Ergebnis als auch Ursache realgeschichtlicher Entwicklungen sind. Sie sind Ergebnis, weil sie nur aus einem wirtschaftlichen und sozialen Kontext heraus erklärbar und interpretierbar sind. Sie sind aber auch Ursache, indem sie Einstellungen, Orientierungen und Verhaltensweisen prägen, somit auf realgeschichtliche Geschehensabläufe ein- und zurückwirken.

21

Daher wird der zeitgeschichtliche

Hintergrund

in

wirtschaftlicher

,

sozialer

und

politischer

Hinsicht in der gebotenen Kürze jeweils vorab dargestellt.

Menschen entwickeln kulturell gewachsene und gemeinsam geteilte Vorstellungen über die Grundfragen ihrer Existenz.

Menschen

- und

Weltbilder

liefern die Basis für grundlegende Sinnfragen, bieten damit Hilfestellung für die Sinnstiftung im individuell-konkreten Lebensvollzug wie für das Verständnis der Stellung menschlichen Lebens im Universum. Es geht um Deutungsmuster und Wertungen, Mentalitäten, Geisteshaltungen, Einstellungen, eine häufig diffuse Gemengelage kognitiver und normativer Elemente. Die präzise Erfassung ist schwierig, geht es hier doch um das luftige, vieldeutige Gebiet der Deutungen und der Rekonstruktionen durch den Forscher mit seinen je eigenen Welt- und Menschenbildern.

22

Gleichwohl haben diese Vorstellungen, diese »Kulturen« eine hohe Prägekraft für die Entwicklung von Moral und Ethik und bedürfen daher ebenfalls einer zumindest skizzenhaften Erörterung.

Menschen- und Weltbilder werden schließlich maßgeblich mit geformt durch wichtige

Denker

oder auch

philosophische Strömungen

, deren Einfluss für die Entwicklung der Wirtschaftsethik skizziert wird.

Die anschließende Darlegung wirtschaftsethischer Kategorien bedient sich zunächst der Unterscheidung nach

Individual

- und

Sozialethik

, differenziert also danach, ob sich eine Sollensforderung an das Individuum oder an die Verfasstheit einer Gemeinschaft oder der Gesellschaft richtet. Dies führt zu der wirtschaftsethischen Grundfrage, an welchen Normen und Zielsetzungen sich individuelles und gesellschaftlich-wirtschaftliches Handeln orientieren sollen.

Im Anschluss daran werden die

konstitutiven Elemente

wirtschaftsethischer Paradigmen dargestellt. Dazu gehören zum einen die Auffassungen zu Funktion und Stellenwert von

Erwerbsstreben

und

Arbeit

. Welche Rolle sollen oder dürfen sie im Leben des Menschen spielen? Wirtschaftliche Tätigkeit ist zudem eingebettet in gesellschaftliche Interaktion. Daher kommt den gesellschaftlichen Kategorien des

Privateigentums

, von

Verträgen

und

Märkten

besondere Relevanz zu. Schließlich gilt es das

politisch verfasste Gemeinwesen

als sozial- und wirtschaftspolitischen Akteur in Augenschein zu nehmen. Wie lassen sich diese Institutionen legitimieren, welche Funktion sollen sie erfüllen, welchen Restriktionen müssen sie unterworfen sein?

(12) Einigen Menschen bin ich sehr zu Dank verpflichtet. Sie haben mich beim Verfassen des Buches in guter Weise begleitet. Uwe Fliegauf, Lektor des Kohlhammer-Verlags, hat mich ermuntert, das Buch zu schreiben. Mit ihm habe ich darüber hinaus manches konstruktive Gespräch führen dürfen. Danken möchte ich weiterhin Thomas Keller, der aus seiner studentischen Perspektive das gesamte Buch akribisch gelesen hat und dem ich manche guten Impulse verdanke. Viele wertvolle Verbesserungsvorschläge verdanke ich Hanno Beck, Reiner Flik, Jürgen Volkert und Helmut Wienert; v.a. danke ich ihnen für ihre freundschaftlich-kollegiale Art und ihre jederzeitige Bereitschaft, mich mit guten Ratschlägen, nützlichen Literaturhinweisen und kritischen Kommentaren zu einzelnen Kapiteln oder Passagen des Buches zu versorgen. Hans Martin Schäfer und Thilo von Janson haben mir über die letzten Jahre in zahlreichen Gesprächen die Denkweise von Theologen näher gebracht; ohne ihre freundschaftliche Unterstützung wäre es mir kaum gelungen, die Zusammenhänge von Theologie und Philosophie zu durchdringen, wie es mir für diese Arbeit nötig erschien. Widmen möchte ich dieses Buch meiner Familie, meiner Frau Anita und meinen Kindern Anne und Malte.

Pforzheim, im Februar 2010

Bernd Noll

1 Zu dieser Geschichte Aristoteles, 1965, 1259a 5-17; W. Weischedel, 2006, S. 13; O. Höffe, 2004a, S. 31 f.

2 O. Höffe, 1992, S. 119.

3 J. Burckhardt, 1978.

4 L. Heidbrink, 2008, S. 157. Dazu Kapitel 8.8.4.

5 Ausführlich dazu J. Meran, 1992, S. 47; F. W. Graf, 1999, S. 572 ff.

6 M. Weber, 1988 (1904), S. 180.

7 Z.B. von J. Diamond, 2007 und M. Harris, 1989.

8 G. K. Mainberger, 1988, S. 47.

9 F. A. von Hayek, 1985, S. 47 ff.

10 Dazu zusammenfassend S. Voigt, 2002, S. 206 ff.

11 F. A. von Hayek, 1981; dazu auch H. Leipold, 2006, S. 43.

12 A. Gehlen, 2004, S. 48.

13 T. S. Kuhn, 1991 (1962), S. 37 ff.; K. Wilber, 1999, S. 45 ff.

14 C. R. Hallpike, 1988, S. 372.

15 Vgl. auch U. Wesel, 2006, S. 15

16 Vgl. dazu Kapitel 2.

17 Zur Begrifflichkeit B. Noll, 2002, S. 11 ff.

18 Zu den Quellen europäischer Kultur A. Stöbener / H. G. Nutzinger, 2006, S. 10, S. 36; sehr prosaisch D. Schwanitz, 1999, S. 34.

19 Zusammenfassend dazu K. Wilber, 1999, S. 26 ff.

20 Daher wird allen Einseitigkeiten, die die ideengeschichtliche Debatte geprägt haben, eine Absage erteilt. Bestimmt nach Karl Marx das »Sein« das »Bewusstsein«, so dass Religion und Moral als »geistige Überbau« einer Gesellschaft lediglich Folge sozialer und ökonomischer Verhältnisse sind, hat der bekannte Ökonom und Soziologe Max Weber gerade umgekehrt die Meinung vertreten, dass das religiöse Bewusstsein in hohem Maße wirtschaftsmoralische Einstellungen prägt und darüber entscheidet, welches wirtschaftliche System sich entwickeln kann. Der entscheidende Satz in diesem Zusammenhang lautet: »Der kapitalistische Geist war vor dem Kapitalismus da.« Zitiert nach M. Zöller, 2005, S. 13. Weber hat damit Marx gleichsam auf den Kopf gestellt. Zustimmend A. Müller-Armack, 1981, S. 94, H. Leipold, 2006, S. 134 f.; J. Berger, 2009, S. 123 f. Die Debatte des »entweder« – »oder« scheint angesichts der Komplexität der Interdependenzen unfruchtbar; vgl. J. Ratzinger, 1987, S. 35; B. Russell, 2000, S. 605; N. O. Oermann, 2007, S. 128. Dieser Auffassung neigte wohl letztlich auch M. Weber, 2005, S. 161 f. zu. Die Diskussion ist in der Institutionenökonomik neu entfacht worden; dazu J. Berger, 2009, S. 135 f.

21 Dazu E. Waibl, 1984, S. 13 ff.; W. Kersting, 2007, S. 194.

22 J. Kocka, 1987, S. 37, S. 43, S. 44.

1 Die Bedeutung von Moral und Ethik für den wirtschaftlichen Entwicklungsprozess

(1) Menschliches Verhalten ist komplex. Der Mensch handelt bisweilen irrational, er hat eine Vorliebe für Fairness, lässt sich von Emotionen leiten, imitiert andere, fühlt sich seinen Glaubensvorstellungen verpflichtet, etc. All dies bestreitet die Ökonomik nicht. Sie unterstellt aber, dass der Mensch ein eigennütziges und rationales Wesen sei. Er richte sein Verhalten an Kosten-Nutzen-Kalkulationen aus und suche dabei seinen Nutzen unter Abwägung der ihm möglichen Optionen zu maximieren. In der Fachwissenschaft spricht man vom Homo Oeconomicus. Dies ist ein Theoriekonstrukt der Ökonomen,1 das als (stark vereinfachtes) Modell zum Zwecke der ökonomischen Theoriebildung dient. Es sagt uns nicht, wie der Mensch ist oder gar, wie er sein soll. Es ist kein differenziertes »Menschenbild«, nur ein nützliches Werkzeug, weil mit diesem Modell auf Basis möglichst einfacher Annahmen Aussagen über wirtschaftliche Zusammenhänge formuliert werden können. In dieser Funktion ist das Modell des Homo Oeconomicus durchaus tauglich, ja für viele (nicht alle!) Fragestellungen ein ausgesprochen nützliches Verhaltensmodell.2 Es liefert Vorstellungen davon, welche Interaktionen zwischen den Menschen funktionieren können und welche Institutionen auf Dauer tragfähig sind, ihren Zweck erfüllen können und welche nicht.3 Davon wird im weiteren Verlauf unserer Ausführungen noch häufig die Rede sein.

(2) Neuerdings heben auch die Soziobiologen, die soziales Verhalten der Lebewesen auf Basis des Darwinismus und der Evolutionsbiologie erklären, die Eigennützigkeit des Einzelnen als Ausgangspunkt ihrer Erklärung von Sozialverhalten hervor.4 Sie »stützen« damit die Verhaltensprämisse der Ökonomen. Auch dieser Disziplin sind manche Missverständnisse entgegengebracht worden, es soll dem hier nicht im Detail nachgegangen werden.5 Dennoch bedarf es zumindest einer wichtigen Klarstellung. Der »struggle for life« und der »survival of the fittest« wurden häufig als egoistischer Überlebenskampf jedes gegen jeden interpretiert. Der Einzelne agiere blind für die Belange des anderen und verfolge rücksichtslos jederzeit nur seinen unmittelbaren persönlichen Vorteil. Ganz in diesem Sinne hatte zuvor schon der erste einflussreiche neuzeitliche Philosoph Thomas Hobbes (1588–1679) den »Naturzustand« beschrieben, in dem ein »Krieg aller gegen alle« stattfinde und der Mensch des Menschen Wolf sei (»homo homini lupus«).6 Wir wissen heute, dass diese Auffassung in doppelter Hinsicht problematisch ist. Gruppenbildung und die Gruppe stabilisierendes Verhalten wie Fürsorglichkeit, Rücksichtnahme und Solidarität, ja sogar Sympathie und Liebe, gibt es bei zahlreichen Tierarten, so auch unter Wölfen. Vor allem aber finden sich in allen Formen menschlichen Zusammenlebens von den frühen Wildbeutergemeinschaften bis zu den Gruppenbildungen in der modernen Großgesellschaft gesellige, kooperative Verhaltensweisen. Den letzten Aspekt hat der schottische Moralphilosoph (1711–1776) klar erkannt, als er darauf hinwies, dass »etwas vom Wesen der Taube neben den Elementen des Wolfes ... im menschlichen Gemüt verwoben« sei.

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