Gut, aber tot - Eva Rossmann - E-Book

Gut, aber tot E-Book

Eva Rossmann

4,9

Beschreibung

V.A. – Heißt das Vegane Anarchie? Eine internationale Bewegung radikaler Fleischverweigerer fordert mit ihren Aktionen nicht bloß die "Landsleute" heraus. "MitTier" betreibt Gnadenhöfe. Arbeiten sie ausschließlich zum Wohl alter, kranker Tiere? Dass ein Werbe-Guru von geretteten Füchsen angeknabbert wird, soll freilich niemand erfahren. Dann wird ein junger Bauer erschossen. Und eine Berliner Kabarettistin verschwindet spurlos. Im Bekennerschreiben steht: "Die Schweine rächen sich." Bei Tiertransporten gibt es keine Kontrollen. Kriegsflüchtlinge aber stehen vor geschlossenen Grenzen. Die Wiener Journalistin Mira Valensky und ihre Freundin Vesna Krainer erfahren Mörderisches über den Umgang mit Menschen und Tieren.

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GUT, ABER TOT

Eva Rossmann, 1962 geboren, lebt im Weinviertel/Österreich.

Verfassungsjuristin, politische Journalistin, seit 1994 freie Autorin und

Publizistin. Seit ihrem Krimi Ausgekocht auch Köchin in Buchingers

Gasthaus „Zur Alten Schule“.

Drehbuchautorin, Moderatorin der ORF-Radio-Sendung „Café Sonntag“.

Zahlreiche Sachbücher.

Österreichischer Buchliebling 2009, Leo-Perutz-Preis 2014, Prix Prato,

Prix Culinaire 2016.

Bisher bei Folio erschienene Krimis:

Wahlkampf (1999/2006),Ausgejodelt (2000),Freudsche Verbrechen (2001),

Kaltes Fleisch (2002),Ausgekocht (2003),Karibik all inclusive (2004),

Wein & Tod (2005),Verschieden (2006),MillionenKochen (2007),

Russen kommen (2008),Leben lassen (2009),Evelyns Fall (2010),

Unterm Messer (2011),Unter Strom (2012),Männerfallen (2013),

ALLES ROT (2014),Fadenkreuz (2015) sowieMira kocht (2007),

das Kochbuch zur Krimiserie.

www.evarossmann.at

Eva Rossmann

GUT, ABER TOT

Ein Mira-Valensky-Krimi

Folio VerlagWien • Bozen

Lektorat: Joe Rabl

© Folio Verlag Wien • Bozen 2016Alle Rechte vorbehalten

Coverbild © Literaturhaus Salzburg, mit freundlicher GenehmigungGrafische Gestaltung: Dall’O & Freunde

ISBN 978-3-85256-698-6E-Book ISBN 978-3-99037-059-9

www.folioverlag.com

[ 1. ]

MÖRDERIN!

Rote Blockbuchstaben auf dem weißen Tor. Das R etwas verronnen, wie eine Blutspur, die sich nicht stoppen ließ. Ein Feme-Zeichen, eine Drohung.

Da passiert noch was. Ich denke es, ärgere mich darüber und sage zu Martina: „Immerhin haben sie die weibliche Form verwendet.“

Martina starrt mich empört an. „Weil sie ja so korrekt sind! Die wirklich Guten! Nur seltsam, dass sie dann mit Blut schreiben! Wo sie nicht einmal Milch trinken, um den armen Tieren nichts wegzunehmen!“

„Vielleicht ist es Menschenblut?“ Es sollte nach einem Witz klingen, nach etwas, das dem Ganzen diese eigenartige Dramatik nimmt. Es gelingt mir nicht. „V.A. – was bedeutet das?“ Ich deute auf die beiden Buchstaben unter der Anklage.

„Die sind so feig, dass sie nicht einmal sagen, was es heißen soll. Vegane Anarchie, angeblich, oder Victory Animal oder sonst irgendwas. Vegane Arschlöcher, sagt Viktor. Wir lassen uns das nicht mehr länger gefallen! Jetzt ist Schluss! Die können nicht einfach hergehen und das Tor anschmieren und …“

„Wo ist Eva?“

„Große Weinpräsentation in Brüssel. Ich wollte selbst fahren, aber wir haben zwei neue Arbeiter, ich muss ihnen eine Menge zeigen. Wir haben Trockenschäden und da bin ich lieber dabei, wenn wir Trauben reduzieren. Außerdem ist Mama bei so etwas großartig. Bei mir tun einige Kunden noch immer, als wär ich zu jung, um guten Wein zu machen.“

„Du solltest es einfach abwaschen.“ Ich kratze am Punkt des Rufzeichens. „Das wird Farbe sein, geht ziemlich leicht runter.“

„Es riecht nicht nach Farbe. Und es sieht auch nicht wie Farbe aus.“

„Und … warum schreiben sie MÖRDERIN! auf euer Tor?“

„Weil für sie alle Mörder sind, die Tiere essen.“

„Müsste da nicht auf fast jedem Tor in Treberndorf MÖRDER! stehen?“

„Was soll das? Das klingt, als würdest du zu ihnen halten! Ich hab dich geholt, damit du etwas darüber schreibst. Wäre doch eine spannende Geschichte fürs ‚Magazin‘. Damit klar wird, was das für Leute sind. Die werden immer radikaler. Letzte Woche haben sich Aktivisten in San Daniele in Käfige gesperrt, um gegen die Prosciutto-Produktion zu protestieren. Und in Süditalien sind welche aufgetaucht, die haben Transparente mit Weiße Scheiße vor einer Büffelmozzarella-Produktion entrollt. Vor den Zoos in Schönbrunn und in Berlin haben sie Flugblätter verteilt: Keine Gefängnisse für Tiere!, Warum hat die Giraffe lebenslänglich?, Was hat der König der Tiere verbrochen? – All so was. Auf den Essbaren Tiergarten vom Zotter haben sie gesprüht: Wer Tiere isst, ist selbst ein Schwein! Blöder geht’s nicht. Weil, ist Schwein jetzt doch ein Schimpfwort? Wo sie alle Tiere lieben? Abgesehen davon, dass der sogar vegane Schokolade im Programm hat. Und alles bio-öko-fair produziert. Und dann die radikalen Veganer- und Tierschützerseiten im Internet. Sie missbrauchen Gräuelfotos, um uns Bauern anzugreifen!“

„Du bist Winzerin. Ihr haltet keine Tiere.“

„Eben. Und trotzdem schmieren sie MÖRDERIN! auf unser Tor!“

„Warum gerade auf eures?“

„Weil sie so sind. Unser Wein ist eigentlich sogar vegan. Weil wir nicht mit Eiweißschönung arbeiten. Die Gelatine, die wir beim Flotieren verwenden, wird abgeseiht. Ich lass mir nicht gefallen, dass wir Bauern niedergemacht werden.“

„Bist du in die Politik gegangen? Als Bauernvertreterin? Eva hat mir nichts davon erzählt.“

Martina sieht mich an. „Bin ich nicht. Die tun doch ohnehin nichts für uns. Also müssen wir es selbst machen. Deswegen haben wir die ,Landsleute‘ gegründet.“

„Und was ist das?“

„Ein Zusammenschluss junger Bäuerinnen und Bauern. Ich bin so was wie ihre Sprecherin. Wir haben vor kurzem Jahrgangstreffen der Fachschule gehabt. Da haben wir über die Veganer und ihre Aktionen geredet. Gegen Viktor haben sie einen regelrechten Shitstorm im Netz gemacht, gemeinsam mit ein paar Idioten aus seinem Dorf, die aufs Land gezogen sind und sich jetzt darüber aufregen, dass Schweinemist stinkt. Und da hab ich gesagt, dass wir uns wehren müssen. Was die können, können wir schon lange.“

Ich seufze. „,Landsleute‘: Klingt … nach Heimat, Blut und Boden. Irgendwie ziemlich re…“

„Retro?“

„Rechts.“

„Sicher nicht. Wir sind weder blöd noch dumpf.“

„Die anderen kenne ich nicht. Du bist jedenfalls nicht blöd. Umso mehr frage ich mich …“

„,Landsleute‘ ist super. Wir sind Leute vom Land. Und wir lassen uns nicht dumm anreden. Wir stehen dazu, Bauern zu sein, und wir stehen zu unserem Land. Was ist dran schlecht?“

„Gar nichts.“

„Also. Es wird Zeit, dass man den ganzen Mief vergisst.“

„Die Geschichte ist ein Teil von uns. Das, was Väter und Großmütter getan und erlebt haben, kann man nicht einfach vergessen.“

Martina verdreht die Augen. „Ja eh. Und weil wir eine Geschichte haben, heißen wir ,Landsleute‘. Anders als die Veganen Analphabeten oder Alkoholiker oder Anarchisten oder Animalisten oder was auch immer, die nicht einmal sagen, wie sie wirklich heißen. Die haben keine Vergangenheit und keine Zukunft. Das machen wir ihnen klar.“

„Wie nennen sie sich auf ihrer Homepage?“

„Die haben keine. Zumindest haben wir keine gefunden. Auch nichts auf Facebook. Aber sie sind verbunden mit diversen veganen Vereinsmeiern und Tierrechtlerinnen und so weiter. Einzelpersonen, oft mit Nicknames, die dann auch mit V.A. unterschreiben. Viktor war völlig fertig, sie haben irgendwie rausgefunden, dass ihn seine Freundin verlassen hat, sie haben ihn auf Facebook verspottet: Wahrscheinlich hat sie von seinem Sauschädl genug gehabt, und: Wenn einer so riecht, sucht man sich lieber jemand, der nicht nach Tierleid stinkt. Echt tief. Noch dazu, wo ihn das mit seiner Freundin sehr getroffen hat. Besonders attraktiv ist er nämlich nicht und auch sonst eher ein Stiller. Hat lange gedauert, bis er eine gefunden hat.“

„Und die ist jetzt mit einem Veganer unterwegs?“

„Ach wo, ich glaube, ihr neuer Freund ist Baggerfahrer, Viktor wollte nicht darüber reden. Dem geht’s dreckig genug, sein Vater ist gestorben und hat ihm jede Menge Schulden hinterlassen. Die Schweinemast bringt nicht mehr viel ein, die einzige Chance ist zu wachsen und die Effizienz zu steigern, sagen die Berater. Das heißt natürlich investieren. Er ist einer von den Bauern, deren Grund eigentlich den Banken gehört. Aber das ist den superguten Tierfreunden egal, ist ja nur ein Mensch.“

„So richtig toll finde ich Massentierhaltung auch nicht.“

„Glaubst du, ich? Aber von heute auf morgen aussteigen ist schwer. Ganz abgesehen davon: Bernhard haben sie auch bedroht, und der ist Biobauer. Mit Mangalitza-Schweinen, die jede Menge Platz im Freien haben. Es reicht, dass er sie irgendwann schlachtet.“

„Schick mir den Link, ich sehe mir den Shitstorm an.“

Martina deutet auf die großen dunkelroten Buchstaben auf dem Tor. „Blut. Ich sage dir, das ist Blut.“

„Ich halte es nicht für klug, euren Streit weiter aufzuschaukeln.“

„Wer schaukelt da auf? Wohl die! Ich hab keine Tore beschmiert!“

Ich sehe die junge Weinbäuerin an. Ich kenne die Bertholds seit mehr als zehn Jahren. Damals war Martina sechzehn. Und wild entschlossen, Winzerin zu werden. Ihr Vater war auf dem Weg in die erste Liga der Weinmacher. Und kurz darauf tot, von einem Hochstand aus erschossen. Gemeinsam mit ihrer Mutter Eva hat Martina weitergemacht. Sie haben es geschafft. Das Weingut Berthold steht besser da denn je. Das ist keine, die klein beigibt. – Da war etwas, das sie gesagt hat … der Essbare Tiergarten … ein sympathisches Projekt. Aber darum geht es nicht … „Karl Simatschek. Ich werde ihn fragen.“

Martina sieht mich erstaunt an.

„Rechtsmediziner. Früher in der Steiermark. Wir haben uns kennengelernt, als ich bei der Schönheitsklinik im steirischen Vulkanland recherchiert habe, eine Zeit später ist er nach Wien gegangen. Leider hab ich schon länger nichts mehr von ihm gehört. Er könnte analysieren, ob es sich um Blut handelt.“

„Sehr gut. Viel besser, als wenn wir die Polizei einschalten. Wir machen das selbst.“

Das klingt auch nicht eben nach Deeskalation. Irgendwas kratzt an der Innenseite des Tores.

„Reblaus. Er hat gelernt, beim Tor nicht zu bellen. Sonst verschreckt er die Kunden. Und Wachhund ist er sowieso keiner.“

Auch Reblaus kenne ich seit mehr als zehn Jahren. Er hüpft im Innenhof herum wie ein Junger. Dann beschnüffelt er mich ausgiebig. „Er riecht Vui“, lächle ich.

„Die Sache mit Gismo hat mir so leidgetan. Aber zumindest ist sie einen Heldinnentod gestorben. Und sie liegt am schönsten Platz, den ich mir denken kann.“

Ich nicke. „Ich schau nachher rauf zu ihr.“ Sie fehlt mir immer noch. Dabei ist es schon mehr als ein Jahr her, dass meine Katze tot ist. Die Täter wurden wegen Mord und Mordversuch verurteilt. Allerdings nicht für den Mord an Gismo. So etwas gilt nur als Sachbeschädigung.

„Keiner kann behaupten, dass wir Tiere nicht mögen“, sagt Martina und streichelt den Schäferhund. Seine Schnauze ist grau geworden.

„Er ist zwölf, oder?“

„Ja, und zum Glück sehr fit für sein Alter.“

Ich suche nach der Mobilnummer von Karl Simatschek. Ich drücke die Verbindungstaste. Zehn, zwölf Signaltöne. Vielleicht stimmt die Nummer nicht mehr.

„Mira! Dich gibt es auch noch!“

„Wie geht es dir?“

„Hervorragend. – Lass mich raten. A: Du willst mich zum Essen einladen. B: Du bist an einem Fall dran und stehst neben einer Leiche. C: Du hast dich in einen Italiener verliebt und brauchst mich als Dolmetscher. – Ich bin für A. Aber natürlich auch für alles andere zu haben!“

„Also das mit dem Essen ist eine großartige Idee. Und ich bin immer noch bei meinem Oskar. Ich hab auch keine Leiche, aber ein Tor, auf das jemand MÖRDERIN! geschmiert hat. Eventuell mit Blut. Und das würde ich gerne genau wissen.“

„Klingt interessant. Was sagt die Mörderin?“

„Sie ist keine Mörderin.“

„Kann auch bloß eine Behauptung sein, sei vorsichtig!“

„Die Frau, auf deren Tor man das geschrieben hat, hält es für Blut. Ich weiß nicht …“

„Ihr werdet doch wohl Blut und Farbe auseinanderkennen.“

„Es ist jedenfalls keine Lackfarbe. Und es ist zu dick für Wasserfarben. Die Buchstaben wurden mit einem groben Pinsel aufgetragen.“

„Blut schmeckt metallisch. Das kommt vom Eisengehalt.“

„Du erwartest nicht, dass ich an dem Tor lecke.“

„Wenn es nicht mehr sehr frisch ist, kann man es ohnehin nicht mehr so gut schmecken.“

„Mein Vorschlag: Du kommst vorbei, es gibt wunderbaren Wein, weil das Tor zu einem Weingut gehört, und danach lade ich dich zum Essen ein.“

„Klingt gut. Nur dass ich nicht in Wien bin, sondern im Ötscherland.“

„Haben sie einen Bären ermordet?“

„Die Ötscherbären haben sich schon vor Jahren verloren, wahrscheinlich wegen der neugierigen Journalisten. Oder es waren überhaupt nur aufgemotzte Zeitungsenten. Ich mache momentan etwas ganz anderes. Müsste dir eigentlich gefallen, mit deiner Kochleidenschaft. Das Ganze heißt ‚Zurück zu den Wurzeln – Genuss im Wald‘.“

„Wie bitte?“

„Wir bereiten gerade die nächsten Erlebnistage vor. Wir suchen im Wald nach allem, was man essen kann. Und bereiten das dann auch im Wald zu. In großen Gruben mit Feuer.“

„Und wer ist ‚wir‘?“

„Mein neuer Freund. Du würdest ihn lieben. Aber er hat zum Glück nichts für Frauen übrig. Er ist Koch. Sagt dir das Gut Bamberg etwas? Das hat er jahrelang geführt. Zwei Hauben, kurz vor dem Michelin-Stern.“

„Und deine Arbeit als Rechtsmediziner?“

„Ich bin freiberuflich, momentan kümmere ich mich eben mehr um Moose und essbare Insekten als um die Stadien der Maden bei reiferen Leichen.“

„Also nicht vegan?“

„Warum? Es gibt Sonderexkursionen für Veganer, da lassen wir das mit den Insekten weg. Und das mit dem Reh in der Feuergrube auch.“

„Wann bist du wieder in Wien?“

„In circa einer Woche. Aber komm doch einfach zu uns. Ich habe meinen Chemiebaukasten mit. Etwas Auszeit kann dir nicht schaden, das schadet niemandem. Zurück zu den Wurzeln.“

„Ist mir irgendwie zu wörtlich. Und würde ich dich finden?“

„Das ist ganz einfach.“

Jedes Mal wieder bin ich von diesem Blick überwältigt. Hochhäuser und Kirchturmspitzen, verschmolzen durch Dunst und Entfernung, Wien durch einen Weichzeichner. Und ich auf diesem Hügel, auf dem Wein wächst. Der Rebstock neben mir soll hundert Jahre alt sein, Generationen von Winzern haben ihn stehen lassen. Damit etwas bleibt. Die Anlagen neben ihm sind jünger, praktische Beton-Steher, gerade gezogene Drähte, üppiges Grün und dazwischen noch unreife, aber kräftige Trauben.

Beim hundertjährigen Rebstock liegt Gismo begraben. Begleiterin durch so viele Jahre. Ich habe mit ihr geredet, als sie gelebt hat. Warum soll ich nicht mit ihr reden, wenn sie tot ist? Ich erzähle ihr von Vui, dem weißen jungen Kater. Kein Ersatz, sondern ein ganz anderer Mitbewohner. Liebe ist nie vergleichbar. Wie er am liebsten auf meinem Laptop schläft, als würde er Buchstaben oder gar Gedanken ausbrüten wollen. Wie er sich im Bett versteckt, wo er eigentlich nicht hindürfte. Dass er keine schwarzen Oliven mag, obwohl ich es natürlich probiert habe. Ich erzähle ihr auch von den Veganern und den „Landsleuten“ und ich frage sie, ob es okay ist, Tiere zu essen. Sie antwortet nicht. Aber das hat sie auch nicht getan, als sie gelebt hat. Sie hätte mich wohl mit großen Augen verwundert angesehen und ich hätte mir gedacht, dass sie mir sagen will: Ich esse Tiere. Aber wehe, du isst mich. Tiere jagen, sie sperren ihr Futter nicht ein. Ich frage Gismo nicht, ob Tiere Gefühle haben. Ich weiß, dass das so ist. Ich frage sie auch nicht, ob Tiere eine Seele haben. Haben Menschen eine? Oder nennen wir das Unbegreifliche, das uns über die anderen Tiere erheben soll, bloß so?

Wien im Dunstschleier. Fast zwei Millionen Menschen. Und wie viele Tiere? Haustiere und Tiere in Teilen auf Styroportassen im Sonderangebot. Hunde, die den ganzen Tag in einer Wohnung verbringen müssen. Hamster, die im Rad rennen. Schlaf gut, Gismo. Und wenn bei dem vielen, das wir nicht wissen, auch ein Jenseits dabei ist, dann bist du dort. Das helle Sonnenlicht brennt in den Augen. Ich blinzle. Ich wische mir mit dem Handrücken über das Gesicht und sehe auf die Uhr.

Wenn ich wirklich noch ins Ötscherland will, sollte ich los. Ich habe etwas Farbe abgekratzt und in ein sauberes Plastiksäckchen gegeben. Zum Glück bin ich mit Oskars Wagen unterwegs, in die Berge und wieder zurück würde mein wunderbares Elektroauto nicht kommen, ohne dazwischen zu laden. Warum gibt es noch immer so wenige Schnellladestationen? Warum bauen sie keine Batterien mit mehr Reichweite ein? Dass es sie gibt, ist klar. Darum sollten sich diese veganen Weltverbesserer kümmern, statt das Tor zu einem Weingut zu beschmieren. – Ob es sich wirklich um Blut handelt?

Ich gehe die Rebzeile bergab Richtung Auto. Telefon. Die Sonne scheint direkt aufs Display. „Ja?“, sage ich.

„Mira. Du klingst, als laufst du davon. Oder machst sonst etwas für dich Anstrengendes.“

Meine Freundin Vesna. Die offenbar darauf anspielt, dass für sie nicht so schnell etwas anstrengend ist.

„Ich gehe einen Hügel hinunter.“

„Hinunter. Du solltest mehr trainieren. Du warst schon ganz gut beim Joggen.“

„Ich habe Gismo besucht.“

„Oh.“ Dann Schweigen. Ich war mit Vesna und Oskar in Vietnam, als Gismo erschossen wurde. Vesnas Zwillinge und Hans haben sie gemeinsam unter dem alten Rebstock der Bertholds begraben.

Inzwischen stehe ich neben dem Auto und hole so lautlos wie möglich Luft. Vesna muss nicht mitbekommen, dass ich schnaufe. Sie ist topfit. Früher dachte ich, das hat mit ihrem Job zu tun. Weil anderer Leute Dreck wegzumachen, wie sie das nennt, ist auch eine körperliche Herausforderung. Inzwischen putzen andere für sie, und ihr Unternehmen „Sauber – Reinigungsarbeiten aller Art“ floriert. So bleibt ihr mehr Zeit für ihre Lieblings-Nebenbeschäftigung. Nachforschungen, Detektivarbeit – quasi Reinigung im weitesten Sinn. „Warum rufst du an?“

„Braucht es Grund? Du bist meine Freundin.“

Ich lächle gerührt.

„Und außerdem scheint Martina etwas außer sich. Sie will, dass ich wilde Veganer suche.“

So viel zum Thema, dass unsere Freundschaft Grund genug für den Anruf sei. Romantik ist eher meine als Vesnas Sache. „Ich war gerade bei ihr, davon hat sie gar nichts gesagt.“

„Sie hat gemeint, dass du noch trauerst über Gismo und daher bist anfällig für veganes Gerede über Tiere und so.“

„So ein Quatsch. Aber gegen die Auswüchse der Massentierhaltung bin ich trotzdem.“

„Wer findet das schon gut? Allerdings Leute brauchen zu essen und nicht alle haben Gehalt von einer Chefreporterin und einem Anwalt zusammen.“

„Trotzdem wäre es besser, wir würden weniger und dafür unter freundlicheren Bedingungen erzeugtes Fleisch essen.“

„Da hast du schon recht. – Und ist die Farbe wirklich Blut?“

„Ich bin erst auf dem Weg zu Karl Simatschek.“

„Oh, lass ihn schön grüßen.“

„Er ist im Ötscherland. Er scheint einen neuen Freund zu haben und mit ihm Wurzeln zu sammeln.“

„Wo die Liebe hinfallt.“

„Hoffentlich fällt er nicht.“

[ 2. ]

Ihr habt recht, zumindest fast“, murmelt Karl über sein Mikroskop gebeugt.

Wir sind in einer Wanderhütte. Hier haben er und sein Freund Helge ihr Hauptquartier aufgeschlagen. Samt Ausrüstung für chemische Analysen. Wenigstens ist mir eine Bergtour erspart geblieben. Neben der Sesselliftstation gibt’s einen großen Parkplatz. Und von oben waren es dann nur mehr ein paar hundert Meter. Wobei mir das mulmige Gefühl reicht, das mich bei Sesselliftfahrten regelmäßig überfällt. Hoch über dem Boden zu schweben ist nicht mein Ding. Was weiß man, ob nicht eines der Tragseile brüchig ist oder aus den Rollen springt oder der Bügel des Liftsessels aufgeht. Ich habe mich jedenfalls nicht auf die wunderschöne Berglandschaft konzentrieren können. Gemäßigte Hügel sind mir lieber. So wie im Weinviertel rund um Treberndorf.

„Was heißt fast?“

„Es ist wie Blut.“

„Wie?“

„Theaterblut. Eisenthiocyanat. Fe(SCN)3.“

Ich bin erleichtert. „‚Wie‘ passt hervorragend. Sozusagen Sojaschnitzel wie Fleisch, Getreidemaische wie Würste, Glutenlaibchen wie Burger. – Und wo bekommt man Theaterblut?“

„Keine Ahnung, ich nehme an, überall, wo man Zeug kaufen kann, das man zum Theaterspielen braucht. Und Laientheatergruppen gibt’s in fast jedem Dorf. Ganz abgesehen davon, dass man es ziemlich einfach selbst herstellen kann.“

Scheint nicht so, als würde uns das Theaterblut direkt zu dem Idioten führen, der das Tor der Bertholds beschmiert hat. Vielleicht ohnehin besser. „Warum hast du eigentlich dein Chemielabor mit?“, frage ich.

Karl sieht mich an und lächelt. „Erstens ist es nur ein kleiner Teil davon und zweitens ist es doch ganz gut, wenn ich das eine oder andere, was wir finden, analysiere.“

„Bevor alle davon essen.“

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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