Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Ein Rosenkrieg mit tödlichem Ausgang. Mira Valensky ermittelt in Sachen Scheidung. Für die "Magazin"-Reporterin Mira Valensky ist Gerda Hofer einfach eine nette Kollegin aus der Fotoredaktion. Doch dann erlebt sie mit, wie die Fotografin von ihrem Mann, einem angesehenen Wiener Arzt, bedroht wird. Bei der Scheidung wird Gerda die alleinige Schuld zugesprochen, obwohl zum Zeitpunkt ihres Seitensprunges die Ehe längst zerrüttet war. Außerdem gibt es den Hinweis, dass das Verhältnis zwischen dem Arzt und seiner Sprechstundenhilfe über das berufliche hinausgegangen sein soll. Bei der Vermögensaufteilung fühlt sich Gerda über den Tisch gezogen. Als ihr Exmann mit seinem Mercedes auf der Serpentinenstraße eines Steinbruchs südlich von Wien zu Tode kommt, gerät Gerda unter Verdacht. Und der Sohn behauptet einiges, was ihm die Polizei nicht glaubt. Für Mira Valensky und ihre Putzfrau und Freundin Vesna Krajner gibt es wieder einen Fall zu lösen - während im Leben der beiden die Zeichen auf Veränderung stehen: Vesna heuert in einer Privatdetektei an und Mira macht in sentimentaler Stimmung und nicht mehr ganz nüchtern ihrem Oskar einen Heiratsantrag ...
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 360
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Lektorat: Eva-Maria Widmair
© FOLIO Verlag, Wien • Bozen 2006Alle Rechte vorbehalten
Grafische Gestaltung: Dall’O & Freunde© Umschlagfoto: Peter Dazeley/zefa/CorbisDruckvorbereitung: Graphic Line, BozenDruck: Dipdruck, Bruneck
ISBN-10: 3-85256-345-3ISBN-13: 978-3-85256-345-9eISBN: 978-3-99037-007-0
www.folioverlag.com
Gewidmet meiner Schwester Elisabeth
So viele Muskeln«, sage ich zu Gerda. Vor uns müht sich ein lächelnder Fleischberg damit ab, gleichzeitig mit den Beinen Gewichte zu heben und mit den Armen irgendein folterwerkzeugartiges Gerät nach außen zu drücken. Gerda knurrt Unverständliches und fotografiert.
»Wenn das Gerät zuschnappt, ist der Kopf Matsch«, versuche ich sie aufzuheitern.
»Das ist sein unempfindlichster Teil«, murmelt sie zurück.
Hans Hiller, der Besitzer des get.moving, steht neben zwei durchgestylten Frauen in Pink, redet flüsternd auf sie ein und deutet dabei immer wieder auf uns. Offenbar protzt er damit, dass Leute vom »Magazin« bei ihm eine Reportage über den Fitnessboom machen.
»Sie müssen den Kopf etwas höher halten«, sagt Gerda zum Fleischberg. »Das Ganze noch einmal bitte.«
Ihm stehen Schweißperlen auf der Oberlippe, der gewaltige Brustkorb hebt und senkt sich wie vor einem Hustenanfall. Macht meine Fotografin das absichtlich? Er hebt den Kopf, lächelt und macht noch einmal die Übung, von der ich mir nicht gemerkt habe, wie sie heißt. Ich finde, dass es für meine Fitness ausreicht, wenn ich jeden Tag die Stiegen zu meiner Altbauwohnung in den fünften Stock hinaufsteige.
»Na ja, ich denke, wir haben es«, sagt Gerda muffig. Üblicherweise ist sie gut aufgelegt, quirlig. Sie ist die aus unserem Fotografenteam, mit der ich in letzter Zeit am liebsten arbeite, nicht nur, weil sie ein gutes Auge für Reportagebilder hat. Aber wahrscheinlich geht ihr diese Fleischaufbereitungsanlage genauso auf den Geist wie mir. Ich mache eine entsprechende Bemerkung. Gerda schüttelt den Kopf. »Nein«, erwidert sie, »finde ich ganz okay, einmal abgesehen von unserem Monstermodel, eigentlich sollte ich mich einschreiben, regelmäßige Bewegung täte mir gut.«
»Welche Laus ist dir denn heute über die Leber gelaufen?«, frage ich.
»Könntest du eigentlich auch machen.« – Ein kritischer Blick fällt auf meine Hüften. Ich sollte längere Jacken zu den Jeans tragen.
»Das ist nichts für mich.«
»Wie willst du das wissen? Es gibt hier auch einen Laufklub und einen für Nordic Walking.«
»Oskar nennt das ›bewaffneten Wandertag‹«, erwidere ich. Was Sport angeht, sind Oskar und ich einer Meinung: Selbstbestätigung kann man sich auch woanders holen.
»Ja, ich werde mich einschreiben, das wird mir gut tun«, ignoriert Gerda meine Bemerkung und sieht beinahe wieder fröhlich aus.
»Ärgern sie dich in der Redaktion?«, versuche ich abzulenken. Nicht alle unsere Fotografen sind feinfühlende Gentlemen.
»In der Redaktion? Ach so, nein, da läuft alles wunderbar.« Gerda seufzt. »Daheim. Da ist es schön langsam nicht mehr auszuhalten.«
Hans Hiller kommt lächelnd auf uns zu und reibt sich die Hände, offenbar überschlägt er im Geist schon, wie viel ihm unser Bericht als Gratiswerbung einbringen wird. Immerhin ist das »Magazin« die auflagenstärkste Wochenzeitung im Land. »Kann ich noch etwas tun für Sie?«
Gerda ist am Zusammenpacken, ich danke.
»Wenigstens einen unserer neuen Fitnessdrinks an der Bar. Hochwertige biologische Frucht- und Gemüsesäfte, auf Wunsch auch mit entsprechenden Vitamin- und Aufbaustoffzusätzen.«
»Fällt das nicht unter Doping?«, spöttle ich.
»Wo denken Sie hin?«, lächelt er breit. »Die besten Stärkungsmittel liefert uns die Natur.«
»Plus Vitaminzusatz«, lästere ich weiter.
»Ich möchte beitreten«, sagt Gerda, »für ein halbes Jahr.«
»Gerne, sehr gerne«, erwidert Hiller und reibt sich erneut die Hände, vielleicht war er früher Friseur. »Und was ist mit Ihnen?«, meint er eilfertig in meine Richtung.
Ich schüttle bloß den Kopf, das ist nichts für mich.
»Ich gebe Ihnen einen Monat gratis – gilt natürlich für beide.«
Wir sind an der Health-Bar angelangt, ein schicker Junge in Weiß reicht Hiller ein Schnurlostelefon, der deutet, man möge uns servieren, was unser Herz begehre, und taucht in einen Raum hinter der Bar ab.
»Komm schon«, nervt Gerda, »täte dir gar nicht schlecht, etwas Fitnesstraining.«
»Ich passe da nicht herein.«
»Sieh dich doch um, die sind doch auch nicht alle perfekt gebaut.«
Herzlichen Dank.
»In unserem Alter sollte man etwas mehr für sich tun.«
Darunter verstehe ich: gut essen, auf Urlaub fahren, lesen, kochen.
»Du wirst sehen, etwas regelmäßige Bewegung, und du nimmst automatisch ein paar Kilo ab – und kannst essen, so viel du willst.«
Das ist schon eher ein Argument, das bei mir zieht. So viel essen, wie ich will. Und es stimmt schon, ab und zu habe ich diese Rückenschmerzen, vielleicht kommt das aber auch vom Herzen. Ich bin dreiundvierzig, irgendein Arzt hat mir vor geraumer Zeit gesagt, dass mein Blutdruck zu hoch sei. Ich habe das Problem gelöst, indem ich nicht mehr zu ihm gegangen bin. Als Jugendliche habe ich eine Menge Sport getrieben, ich war in so gut wie allen Leistungsgruppen unseres Gymnasiums – natürlich auch, um durch das Training dem restlichen Unterricht zu entkommen. Aber das ist – ich rechne nach und kann es nicht glauben – fünfundzwanzig und mehr Jahre her. Ein Vierteljahrhundert. Im Radio haben sie neulich eine der Vorzeigemanagerinnen interviewt. Es ging ums Alter und ums Altern und wie sie damit umgehe. Die Managerin war gerade ein Jahr älter als ich. Muss man da schon ans Alter denken? Das Fitnessstudio ist ganz schön teuer. Wenn ich eine Halbjahreskarte nehme, bringt mich vielleicht der Geiz zum Trainieren. Andererseits: Ich habe auch Skiliftkarten nie wirklich ausgenutzt, bin niemals schon um acht auf der Piste gestanden und gefahren, bis die Sonne längst hinter den Bergen verschwunden ist und man nur noch weiß, dass dieses Stück Eis im Gesicht die Nase ist, weil es beim Auftauen weh tut.
Noch immer telefonierend, schiebt uns Hiller zwei Anmeldeformulare herüber. Der rote Stempelaufdruck ist nicht zu übersehen: »1 Monat gratis + umsonst, aber nicht vergebens!« Offenbar hat er auch Sprachkünstler in seinem Team.
Ich nuckle an meinem Ananas-Maracuja-Shake, der ist wirklich gut. Karibische Erinnerungen werden wach. Schwimmen im warmen Meer, das wäre etwas. Und wie aufs Stichwort sagt er: »Sie haben sich unsere Pool-Landschaft im Keller noch nicht angesehen.«
Ich habe genug Material, aber bevor ich das sagen kann, ist Hiller samt Telefon schon wieder unterwegs, diesmal zu einem, den ich von irgendwoher kenne. Sieh an, Thomas Neuber, Burgtheaterschauspieler, hat in ein paar wirklich guten Filmen mitgespielt.
Gerda füllt ihr Formular aus, und plötzlich kommen mir die 1.200 Euro für ein halbes Jahr nicht mehr so viel vor – noch dazu, wo wir einen Monat gratis haben. Oder doch nicht? Reste meiner juristischen Ausbildung, vielleicht auch bloß übrig gebliebener Instinkt, raten mir, genauer hinzusehen: Wir zahlen sechs Monate voll – und bekommen einen siebenten als Draufgabe. Was soll’s. Vielleicht wirst du schlank und schön und fit, Mira, hier trainieren nicht nur Fleischberge.
»Mein Mann … Es ist mit ihm nicht mehr auszuhalten, immer wenn ich in der Früh wegwill, geht es los«, sagt Gerda unvermittelt, als wir die Formulare abgegeben und vom Jüngling in Weiß neben der Kopie einen Überweisungsschein bekommen haben.
»Wie?«
»Er sagt dann, er könne sich schon vorstellen, wohin ich gehe, er müsse mit mir reden, und das sofort, über unsere Beziehung und wie ich mir die Zukunft vorstelle und dass ich doch das Wichtigste in seinem Leben sei und so weiter.«
»Und wie kommt er darauf?« Angestrengt überlege ich, ob ich ihren Mann kenne.
»Es war alles in Ordnung, mehr oder weniger. Aber seit ich regelmäßig arbeite, gibt es nur noch Probleme.«
Gerda ist erst vor einigen Monaten zum »Magazin« gekommen. »Warum?«, frage ich.
»Ich war bis vor zwei Jahren daheim bei den Kindern, gerne übrigens, ganz ehrlich. Dann habe ich die letzte Prüfung auf der Hochschule gemacht, und ich bin zu einem Fotografen gegangen – Mattei, der ist wirklich gut. Zuerst hat mein Mann nicht viel gesagt, außer, dass ich das nicht notwendig hätte und doch weiter Bilder malen oder Familienfotos machen könne. Ich hab an der Hochschule Malerei und Fotografie studiert. Aber Familienfotos … das ist nicht gerade das, was ich will. Und Malerei – ehrlich gesagt glaube ich, ich hab kein herausragendes Talent. Als Hobbymalerin will ich mich aber auch nicht sehen.«
»Du bist eine super Reportagefotografin, das weißt du.«
»Na ja, jedenfalls ist er immer eifersüchtiger geworden, hat behauptet, ich hätte mit Andre Mattei ein Verhältnis, was wirklich absoluter Schwachsinn war. Aber natürlich habe ich eine Menge neuer Leute kennengelernt, und mit denen bin ich auch ausgegangen. Mein Mann bleibt lieber daheim, diese Szene interessiert ihn nicht. Er hat mich zu nächtelangen Gesprächen über unsere Beziehung gezwungen, die Kinder haben natürlich auch etwas mitgekriegt, sie sind sechzehn und achtzehn. Es war lähmend. Ich hab immer wieder gesagt, dass ich eben gerne Fotografin sei und gerne ab und zu mit meinen Freundinnen und Freunden ausgehe, das sei alles. Was gab es da viel zu reden? Aber dann wurde mir alles zu viel, und ich bin von Mattei weggegangen und zum ›Magazin‹ gewechselt, damit er endlich aufhört mit seiner Eifersucht und diesem Druck, er liebe mich und ich sei der Mittelpunkt seines Lebens und er wolle dasselbe von mir hören. Ich bring’s nicht mehr raus, ich bin nicht besonders gut im Lügen – ich kann so was nicht sagen, wenn ich Zweifel habe, ob es noch stimmt.«
»Was ist dein Mann von Beruf?«
»Praktischer Arzt, ich dachte, du weißt das, er hat eine Praxis im fünften Bezirk.«
»Dann hat er doch ohnehin auch eine Menge zu tun.«
»Natürlich, noch dazu, wo er einer der wenigen ist, die täglich Hausbesuche machen. Das Problem ist: Ihn interessieren nur seine Arbeit und seine Familie und sonst nichts.«
»Familien verändern sich eben, schon dadurch, dass die Kinder größer werden.«
Gerda seufzt. »Allein das jährliche Trara, wenn er sie zwingt, mit auf Urlaub zu fahren. Er sieht es als Liebesbeweis, für mich ist es Erpressung, aber ich habe, solang es ging, halbwegs mitgespielt.«
»Und jetzt?«
»Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. Ich wollte unserer Beziehung noch eine Chance geben, indem ich von Mattei wegging und zum ›Magazin‹ gewechselt habe. Philipp ist ja erst sechzehn und sowieso in einer extrem schwierigen Phase. Zum Glück ist er in der Früh meistens schon fort.«
Für mich klingt es, als hätte diese Beziehung keine große Zukunft mehr, aber vielleicht gehe ich auch zu sehr von meinem eigenen Freiheitsdrang aus. Mir vorzustellen, dass mich einer in der Früh mit existenziellen Fragen volllabert, wo ich doch noch nicht einmal richtig weiß, wie ich heiße … Jedenfalls habe ich nicht vor, mich da einzumischen. »Wenn du wen zum Reden brauchst oder sonst etwas – du kannst jederzeit zu mir kommen«, sage ich und rühre mit dem orangefarbigen Strohhalm im Bodensatz meines Drinks.
Sie nickt. »Danke. Es ist ja vor allem wegen der Kinder. Dabei ist Claudia kaum noch daheim, sie übernachtet meistens bei ihrem Freund, das ist auch so ein Streitpunkt zwischen uns. Ich denke, dass so etwas heute ganz normal ist, auch wenn ich mich noch immer nicht ganz daran gewöhnt habe. Sie findet unsere Auseinandersetzungen in erster Linie peinlich, hab ich den Eindruck, sie will damit nichts zu tun haben. Und Philipp … ich weiß nicht, er tut so, als würde er seinen Vater hassen – was ich natürlich gar nicht will. Vor kurzem hat mein Mann einen ›Familienrat‹ einberufen, wie er das nannte. Er wollte die Kinder dazu bringen, dass sie sich über mein jetziges Leben beschweren, sie sollten sagen, dass es ihnen nicht passt, wie sich alles verändert hat. Haben sie aber nicht gemacht. Und Philipp hat eine unserer wilderen Streitereien mitbekommen. Seither ist er zu tausend Prozent auf meiner Seite, aber ich kann trotzdem nicht froh darüber sein. Na ja. Vielleicht wird ja alles wieder besser. Auf alle Fälle wird es mir gut tun, hier zu trainieren. Als Fotografin ist es ziemlich wichtig, dass man in Form bleibt. Nächstes Jahr werde ich vierzig …«
Schwer bepackt steige ich einige Stunden später die steile Treppe zu meiner Wohnung hinauf, heute keuche ich schon ab dem dritten Stock, aber jetzt habe ich ja diese Halbjahreskarte, und diesem rapiden Verfall wird endlich Einhalt geboten. Ganz sicher. Außer den Taschen mit Zeug aus dem Supermarkt habe ich auch noch einen prall gefüllten Sack von einem großen Sportgeschäft. In den engen Workout-Hosen habe ich wie eine Kreuzung aus Knackwurst und Michelin-Männchen ausgesehen, allerdings war das Licht in der Umkleidekabine auch brutal. Ich habe mich schließlich für einen lässigen Trainingsanzug mit kurzer und langer Hose entschieden. Seit ich Chefreporterin beim »Magazin« geworden bin, verdiene ich zwar deutlich besser, trotzdem hat mein persönlicher Fitnessboom heute ein gewaltiges Loch ins Budget gerissen.
Gismo erwartet mich mit lautem Gemaunze – man könnte es fast schon Gebrüll nennen – hinter der Tür, während ich keuchend in meiner Umhängetasche nach dem Wohnungsschlüssel krame. Sie schert sich einen Teufel um Fitness und ist trotzdem noch immer sehr beweglich, auch wenn sie jetzt schon … ich rechne nach … mehr als acht Jahre auf dem Buckel hat.
Ich parke meine Einkaufstaschen im Vorzimmer und streichle meine Schildpattkatze, freundlich beginnt sie zu schnurren und schießt dann Richtung Kühlschrank. »Ich hab dir etwas Besonderes mitgebracht, Hühnerherzen.«
Gismo umtanzt mich, als ich die Klarsichtfolie von der blauen Tasse ziehe, ich stelle sie auf den Boden, Gismo schmatzt und schlingt und schnurrt, und ihre Schwanzspitze vibriert dabei. In aller Ruhe verstaue ich die Lebensmittel im Kühlschrank, lege den neuen Trainingsanzug aufs Bett, genieße die Idylle und das Alleinsein. Kein Ehemann, der mich an irgendetwas hindern will, keine Auseinandersetzungen und keine Notwendigkeit zur Rücksichtnahme auf Kinder, bloß Gismo – und Oskar, der irgendwann einmal zum Essen kommen wird. Ich sehe auf meine Küchenuhr. Ich habe ganz schön viel Zeit vertrödelt. Aber wer verlangt, dass das Essen pünktlich auf dem Tisch steht? Ganz abgesehen davon, weiß man ohnehin nie, ob er nicht in der Kanzlei aufgehalten wird. Es wird Spaghettini mit Feigen und danach Makrelenfilets mit Zwetschken-Ingwer-Sauce geben. Ein leichtes Sommeressen.
Ich gieße mir einen kleinen irischen Whiskey ein, ein bisschen sollte man sich schon abgrenzen gegenüber dem Fitness- und Gesundheitswahn, und was kann schon gegen einen Schluck Whiskey sprechen, wenn er warm den Magen hinuntergeht und einen genüsslich in den Abend gleiten lässt?
Dann lese ich noch zwei, drei interessante Zeitungsartikel, blättere einen Berg Prospekte durch, räume meinen neuen Trainingsanzug in den Schrank, suche nach den Turnschuhen – und plötzlich läutet es auf die unvergleichliche Oskar-Art, und ich weiß, dass er mit ruhiger Ausdauer die Stiegen zu mir heraufsteigen wird. Dafür, dass er genauso wenig Sport treibt wie ich, ist er ganz gut in Form. Wenngleich nicht übertrieben schlank, momentan schrammt er gerade wieder an der Hundert-Kilo-Grenze, aber das ist bei eins dreiundneunzig kaum Übergewicht.
Ich filetiere die große frische Makrele, zum Glück ist das Fischangebot in den letzten Jahren in Wien deutlich besser geworden. Oskar sitzt mit einem Glas Riesling aus dem Weinviertel am Küchentisch. Er kocht gut, lieber aber noch sieht er mir beim Kochen zu. Ich erzähle ihm von Gerdas Problemen, schneide eine große Zwiebel in feine Würfel und röste sie in wenig Butter und Olivenöl an.
»Zum Glück ist unsere Anwaltskanzlei nicht auf Familienrecht spezialisiert«, meint Oskar, »das wäre nichts für mich.«
»Von Scheidung hat Gerda kein Wort gesagt, eigentlich seltsam«, murmle ich und gebe die geviertelten entkernten Zwetschken und viel fein geschnittenen frischen Ingwer zu den Zwiebeln.
»Ich hoffe, du hast ihr auch nicht dazu geraten?«
»Hab ich nicht, ich will mich bei so etwas nicht einmischen.«
»Sieh an, eine neue Mira, eine, die sich einmal nicht einmischen will«, spöttelt Oskar.
»Tja, bei mir musst du eben immer auf etwas Neues gefasst sein.« Salz dazu, einen Spritzer vom Riesling, kurz aufkochen lassen. »Gerdas Mann scheint keine Veränderungen zu mögen.«
»Da gibt es viele, denke ich. Wie lang sind die beiden schon verheiratet?«, fragt Oskar.
»Seit neunzehn Jahren, die Tochter ist achtzehn, Gerda hat mit zwanzig geheiratet.«
»Siehst du, darum kann uns nichts passieren: Wenn man sich später kennenlernt, ist man ans eigene Leben gewöhnt und gesteht dem anderen auch mehr Freiheit zu.«
»Ich weiß nicht …« Ich konzentriere mich darauf, die Zwetschken-Ingwer-Sauce mit ein wenig 3:1 Gelierzucker zu süßen und gleichzeitig zu binden. Wenn sie beim Servieren lauwarm ist, hat das Geliermittel schon etwas angezogen. »Das mit der Freiheit ist eben relativ. Die eine braucht mehr davon, die andere weniger.« Ich brauche ziemlich viel davon, füge ich in Gedanken hinzu, aber ich spreche es nicht aus, Oskar weiß es ohnehin. Er steht auf und geht ins Wohnzimmer, um den Tisch zu decken.
Das Wasser kocht bereits, und die dünnen Spaghettini haben bloß drei Minuten Garzeit. Ich lasse Olivenöl heiß werden, gebe zwei frische Peperoncini dazu – Oskar mag es gerne scharf, genauso wie ich, zwischen uns gibt es eine Menge Gleichklang. Wunderschöne Feigen habe ich bekommen, ich schneide sie in kleine Würfel, gebe sie in die Ölmischung, zwei Minuten, dann drücke ich vier Knoblauchzehen ins Öl, weg von der Flamme, damit der Knoblauch nicht braun und bitter wird, und fertig ist diese ganz besondere Pasta-Sauce. Ich habe sie, so wie viele andere Köstlichkeiten auch, im Veneto kennengelernt.
Oskar kommt zurück und holt die Weingläser.
»Gerda kocht nicht gerne«, erzähle ich. »Seit sie arbeitet, kocht ihr Mann häufig für die Kinder, das geht sich mit den Öffnungszeiten der Arztpraxis ganz gut aus.«
»Scheint doch gar nicht so übel zu sein, der Typ«, meint Oskar.
»Laut Gerda geht er jetzt damit hausieren, dass er sich allein um Kinder und Haushalt kümmert, weil sie ja keine Lust dazu habe.«
»Ja, laut deiner Gerda … Ein paar Scheidungen hab ich doch verhandelt, und eines sage ich dir: Wenn du beide unabhängig voneinander erzählen lässt, dann glaubst du nicht, dass sie über dieselbe Beziehung reden.«
»Warum das alles so kompliziert ist …«
»Muss es nicht sein«, er küsst mich leicht auf die Wange. »Findest du es kompliziert mit mir?«
Ich grinse verliebt. »Kann mich nicht erinnern.«
»Auch eine Möglichkeit. Alzheimer.«
Nach Vesna, meiner bosnischen Putzfrau und Freundin, kann ich die Uhr stellen. Oskar ist bereits Richtung Gericht abgedampft. Drei Minuten vor neun drücke ich den Knopf meiner Espressomaschine, lasse zwei extrastarke Kaffees herunter und schäume die Milch auf. Vesna nimmt ihren Cappuccino ohne Zucker, ich mit einem Löffelchen voll. Ich stelle die beiden Tassen auf den Tisch, es läutet, und gleichzeitig wird der Schlüssel im Schloss herumgedreht. Mein Leben hat auch seine Ordnung und seine Rituale, würde ich mir da gerne welche nehmen lassen? Andererseits: Veränderungen habe ich immer spannend gefunden, und wenn Vesna einmal nicht um neun, sondern um fünf nach neun käme, würde das meine Welt auch nicht erschüttern. Ich wäre bloß neugierig, warum sie später dran ist.
Nach der Begrüßung marschiert Vesna wie immer mit kritischem Blick durch meine Wohnung. Inzwischen kann ich damit umgehen, zu Beginn hatte ich immer das Gefühl, ich sollte putzen, bevor sie kommt. Sie inspiziert den Wohn- und Arbeitsraum, das Schlafzimmer, Badezimmer, Vorzimmer und zuletzt die Küche, bevor sie entscheidet, was sie heute vorrangig säubern wird.
»Heute kommt das Badezimmer dran. Ich habe Neuigkeiten«, sagt sie, als wir uns zum Kaffee setzen. Sie macht eine lange Kunstpause, trinkt zwei Schluck Kaffee.
»Also?«, erinnere ich sie.
»Ab jetzt bin ich Privatdetektivanwärterin. Klingt gut, oder?«
»Und was ist das?« Insgeheim überlege ich selbstsüchtig, dass sie womöglich die Putzerei aufgeben könnte.
»Du weißt, ich wollte eigenes Büro aufmachen, aber das geht nicht. Es gibt einen Verband der Privatdetektive und eine Ausbildung, und erst nach Jahren mit Praxis kann man zu Prüfung antreten und wird dann quasi vom Staat bestätigter Privatdetektiv. Leider. Ich habe bei uns im Haus schon ein Zimmer gehabt, nachdem der Sohn von Nachbarin ausgezogen ist. Aber so: Ich arbeite bei Zwerzl & Co.«
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!