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Justitia ist blind, damit sie UNS nicht sehen muss. Niemand hat je gesagt, dass wir SIE nicht ansehen dürfen. Wer die personifizierte Gerechtigkeit unvoreingenommen betrachtet, wird feststellen, dass es sich bei ihr um eine attraktive, humorvolle und hochintelligente Frau handelt. Eigenschaften, die für eine Karriere im Parteienstaat nicht unbedingt erforderlich sind, die unseren Rechtsstaat allerdings ausmachen: Er ist schön, witzig und schlau. Manchmal weniger sichtbar im Großen, aber überall im Kleinen.
„Halbwissen eines Volljuristen“ ist eine Liebeserklärung an unseren Rechtsstaat, an die durchdachte Systematik, die unser friedliches Zusammenleben ermöglicht. Dieses Buch gibt einen humorvollen Überblick über Aufbau, Denkweise und die grundsätzlichsten Regelungen unseres Rechtssystems. Egal, ob Nachbarschaftsstreit, Scheidungskrieg oder Verfassungsbeschwerde: Karsten Dusse klärt über alle juristischen Alltagsfragen auf. Unterhaltsam, ironisch und informativ.
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Seitenzahl: 235
Über dieses Buch
Wissen ist Macht. Auch im Rechtsstaat.
Sei es das Grundwissen über Grundrechte, das Basiswissen über den Vollrausch oder die groben Kenntnisse über die Untiefen im Hafen der Ehe: Heutzutage können Sie schon mit dem Halbwissen eines Volljuristen Ihre argumentative Position bei vielen Diskussionen massiv stärken. Karsten Dusse gibt einen humorvollen Überblick über unser Rechtssystem und über juristische Fragen aus dem prallen Leben – egal, ob Nachbarschaftsstreit, Scheidungskrieg oder Verfassungsbeschwerde.
Denn Jura ist alles, nur nicht langweilig! Und: Rechtsstaat ist einfach, man muss es nur wollen.
Über den Autor
Karsten Dusse, Jahrgang 1973, Rechtsanwalt, Studium in Bonn, Lausanne und Los Angeles. Nach erfolgreicher Tätigkeit als Drehbuch- und Sachbuchautor wurde sein Debütroman »Achtsam morden« zum meistverkauften Taschenbuch des Jahres 2020.
Seine Romane wurden bislang in 19 Sprachen übersetzt und stehen regelmäßig an der Spitze der Bestsellerlisten. Ausgezeichnet wurde seine Arbeit mit dem Deutschen Fernsehpreis, dem Deutschen Comedypreis und dem Deutschen Hörbuchpreis. Seine Hörbücher haben Gold- und Platin-Status erreicht.
Karsten Dusse
Handbuch für den Rechtsstaat
Wilhelm Heyne VerlagMünchen
Die Originalausgabe erschien 2015 im Piper Verlag GmbH, München/Berlin.
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Neuausgabe 04/2023
© 2015 by Karsten Dusse
Der Wilhelm Heyne Verlag, München, ist ein Verlag der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Covergestaltung: Cornelia Niere, München
unter Verwendung eines Motives von rawpixel – lady justice
Satz: Leingärtner, Nabburg
ISBN 978-3-641-30344-0V002
www.heyne.de
Für Lina
Vorwort zur Neuausgabe 2023
Vorwort zur Erstausgabe 2015
DER RECHTSSTAAT
Rechtsstaat? Was ist das denn?
Die verschiedenen Regeln
Regeln von einem unfehlbaren Wesen außerhalb der Menschheit
Regeln von einem unfehlbaren Menschen
Regeln von fehlbaren Menschen
Die Geschichte des Rechtsstaates
Die Aufklärer
Der Föderalismus
Die Paulskirchenverfassung
Die Weimarer Verfassung
Das Grundgesetz
Zehn Gründe
Von der Bäckerei in den Knast
DAS PARAGRAFENZEICHEN
Das Symbol
Der Name
Die Herkunft
Der Inhalt
DER RECHTSWEG
Die Länge
Davon gibt es ja mehrere!
Welches Gericht darf es denn sein? – Die Zuständigkeit
Der Anwaltszwang
DER ZIVILRECHTSWEG
Grundsatz beim Zivilrecht: Die Dispositionsmaxime
Die örtliche Zuständigkeit: Wo wohnt der Gegner?
Die instanzielle Zuständigkeit: Wie viel ist der Streit wert?
Die Klage
Die wichtigste Norm: Die Anspruchsgrundlage
§ 823 BGB Schadensersatzpflicht
Und wenn Sie nicht zufrieden sind: Die Rechtsmittel
Berufung
Revision
DER STRAFRECHTSWEG
Grundsatz beim Strafrecht: Offizialmaxime
Zuständigkeiten
Örtliche Zuständigkeit
Instanzielle Zuständigkeit: Die Vierjahresregel
Das kriminelle Existenzminimum: Der Strafbefehl vom Amtsgericht
Beim Amtsgericht: Einzelrichter oder Schöffengericht? Die Zweijahresregel
Landgericht: Große Strafkammer oder Schwurgericht
Die wichtigste Norm: Der Straftatbestand
§ 242 StGB Diebstahl
Rechtsmittel
DER VERWALTUNGSRECHTSWEG
Unterhaltsamer als sein Ruf
Der Verwaltungsakt
Vorverfahren
Zuständigkeiten
Örtlich zuständig: das behördennächste Verwaltungsgericht
Instanziell zuständig: fast immer das Verwaltungsgericht
Klage einreichen
Der Gerichtsbescheid
Die mündliche Verhandlung
Die wichtigste Norm: Die Ermächtigungsgrundlage
§ 17 Straßen- und Wegegesetz NRW: Verunreinigung, Abfall
Rechtsmittel
DAS ALTER
Ein Zitat
Rechte, bevor man lebt
Rechte vor der Geburt
Rechte vor der Zeugung
Rechte, wenn man lebt
Die Geburt
1. Geburtstag
5. Geburtstag
6. Geburtstag
7. Geburtstag
12. Geburtstag
13. Geburtstag
14. Geburtstag
15. Geburtstag
16. Geburtstag
18. Geburtstag
21. Geburtstag
25. Geburtstag
27. Geburtstag
Nach dem 30. Geburtstag
Rechte am Lebensabend
55. Geburtstag
58. Geburtstag
60. Geburtstag
63. Geburtstag
65. Geburtstag
70. Geburtstag
Tod
70 Jahre nach Ihrem Tod
DIE GESETZMÄSSIGKEITEN DER LÜGE
Lügen an sich
LÜGEN VOR GERICHT
§ 153 Falsche uneidliche Aussage
§ 64 Eidesformel
Schweigen vor Gericht
LÜGEN ÜBER ANDERE
Das unwahre Trio
§ 185 Beleidigung
§ 186 Üble Nachrede
§ 187 Verleumdung
Die Beleidigung
Die üble Nachrede
Die Verleumdung
Die Blödheit
LÜGEN GEGENÜBER DER POLIZEI
Herr Wachtmeister, was soll ich sagen?
Was sind Personalien?
Schriftliche Ladung zur Vernehmung
LÜGEN IN DER GESCHÄFTSWELT
Wirtschaftlich sinnvolles Lügen
§ 263 StGB Betrug
§ 123 Anfechtbarkeit wegen Täuschung oder Drohung
§ 812 Herausgabeanspruch
DIE LÜGE BEIM VORSTELLUNGSGESPRÄCH
Die Arbeit
DIE EHE
Der Hafen der Ehe
Warum heiraten?
Tod
Krankheit
Kinder
Getrenntsein
Bis zum Hafentor
Der kürzest romantische Sachverhalt
Die Verlobung
Am Hafentor: Die Einreisevoraussetzungen
Die Einreisedokumente
Der Einreisetermin
Die Trauung
Im Hafen angekommen
Der Name
Die Haushaltsführung im Einvernehmen
Der Güterstand der Zugewinngemeinschaft
Verfügungen über das Vermögen als Ganzes
Erbansprüche
DIE NACHBARN
Nichts als Probleme mit den Leuten
Piep-Piep-Piep, wir haben uns alle lieb
Was stört?
Wie stelle ich das ab?
§ 117 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG)
§ 1004 BGB
Polizei und Ordnungsamt
Hilfe vom Gericht
Hilfe vom Vermieter
DIE PRIVATINSOLVENZ
Arme Künstler
Was ist das?
Die Alternative zur Fremdenlegion
Die Voraussetzungen
Zahlungsunfähigkeit
Weniger als 20 Gläubiger
Gescheiterte außergerichtliche Einigung
Eidesstattliche Versicherung
Die Schufa
Der Privatinsolvenzantrag
Die Wohlverhaltensphase
Die Restschuldbefreiung
Die Löschung des Schufa-Eintrags
Dauer
DIE GRUNDRECHTE
Grundsätzliches
Grundgesetz oder Verfassung?
Die einzelnen Grundrechte
Die Grenzen der Freiheit
Das Grundrecht
Die Schranke
Die Schranken-Schranke
Verwirkung von Grundrechten
DIE VERFASSUNGSBESCHWERDE
»Ich geh bis nach Karlsruhe!«
Vor Gericht endlich mal rot sehen dürfen
Vor Gericht nicht nur recht, sondern Grundrecht bekommen
Wie legt man Verfassungsbeschwerde ein?
DER STRAFTATAUFBAU
Hinter Gittern
Der Tatbestand
Die Rechtswidrigkeit
Die Schuld
Gerichtsurteile richtig zitieren
»Geht es jetzt endlich in den Knast?« – Die Strafzumessung
Die Geldstrafe
Die Freiheitsstrafe
DIE EINSTELLUNG UND DER DEAL
Die Wahrheit
Die Einstellung des Verfahrens
Der Deal
DAS BLAUE KAPITEL – ALKOHOL UND STRAFRECHT
Blau und böse
Blau-Sein als Maßeinheit – die BAK
Blaue Grenzerfahrungen
Alkohol als Strafmilderungsgrund
Promillegrenzen zum Vorteil des Trinkenden
Wenn Alkohol die Lösung ist, was war dann die Frage?
Der Vollrausch
Die »alic«
Alkohol als Strafgrund
Promillegrenzen zum Nachteil des Trinkenden
Vorbestraft …
… und Lappen weg
Wann muss ich eigentlich blau sein?
Woher kommt der Ausdruck »blau sein«?
Dank
Bildnachweis
Lieber Leserinnen und Leser,
ich habe dieses Buch im Jahre 2014 geschrieben.
Voller Liebe für unseren Rechtsstaat. Mit all seinen Unzulänglichkeiten.
Die Prinzipien des Rechtsstaates einzuhalten, ist einfach. Man muss es nur wollen.
Wie einfach diese Prinzipien sind, will Ihnen dieses Buch vermitteln. Es ist von daher aktueller denn je.
Mit herzlichen Grüßen
Karsten Dusse
Die Welt, in der wir leben, wird immer komplizierter. Also brauchen wir auch immer mehr Gesetze.
Das ist totaler Humbug.
Die Welt, in der wir leben, ist nicht die Bohne komplizierter geworden als zu Zeiten der Zehn Gebote. Jeder Mensch wird geboren, und jeder Mensch stirbt. Die Grundbedürfnisse aller Menschen sind seit jeher Wärme, Nahrung und Schlaf. Störende Nachbarn gab es immer, Alkohol, Lügen und entsprechend vorschnell eingegangene Ehen ebenfalls. Daran hat sich weder durch die Globalisierung noch durch Facebook oder die Einführung der »heute«-App irgendetwas geändert.
Der einzige Unterschied ist, dass früher 10 Gebote völlig ausreichten, um alles Wesentliche zu regeln. Heute gilt es schon als Vereinfachung, wenn ein Paragraf weniger als 10 Absätze hat. Früher war allerdings auch Moses Justizminister und nicht Heiko Maas.
Gesetze sollten, früher wie heute, dazu da sein, das Leben zu vereinfachen. Tun sie das nicht, sind die Gesetze schlecht. Zum Glück leben wir in einem Staat, in dem die schlechten Gesetze als Ausrutscher auffallen, und nicht die guten. Anders wäre blöd.
In diesem Buch geht es um das, was gut ist. Und das Gute im Rechtsstaat hat System. Dieses System und meine Begeisterung dafür würde ich Ihnen gerne auf den nächsten Seiten näherbringen – oberflächlich genug, um nicht zu langweilen – hintergründig genug, um nicht als oberflächlich zu gelten. Sprich: mit dem fundierten Halbwissen eines durchschnittlichen Volljuristen.
Ein Volljurist ist ein Mensch mit zwei juristischen Staatsexamina. Das Halbwissen eines Volljuristen entspricht somit rein rechnerisch dem geistigen Niveau eines Theodor von Guttenberg – der hat nur ein juristisches Staatsexamen, macht damit aber trotzdem auf dicke Hose.
Mit dem Halbwissen dieses Buches sollten Sie ebenfalls dazu in der Lage sein – zumindest vor Mitmenschen ohne jegliche juristische Ausbildung –, erfolgreich so zu tun, als hätten Sie juristisch ziemlich was auf dem Kasten. Und nach der Lektüre dieses Buches haben Sie vielleicht ein wenig mehr Spaß am Rechtsstaat.
Mit besten Grüßen
Karsten Dusse
– Rechtsanwalt –
Kurzzusammenfassung aller Regeln
§ 1 Kein Mensch ist vollkommen.
§ 2 Damit Menschen trotz § 1 miteinander leben können, brauchen sie Regeln.
§ 3 Regeln werden von Menschen gemacht. Da es keine vollkommenen Menschen gibt, gibt es auch keine vollkommenen Regeln.
§ 4 Wer Ihnen etwas anderes erzählt, fällt unter § 1.
Die Definition für Rechtsstaat ist relativ simpel:
»Alle haben immer die gleichen, einklagbaren Rechte.« Verwechseln Sie das bitte nicht mit einer ähnlichen klingenden Definition:
»Immer hat der oder die Gleiche alle Rechte, klagt aber trotzdem.« Letzteres ist die Definition für Ehe und bietet die wundervolle Möglichkeit, innerhalb des Rechtsstaates ganz legal seine Vorlieben für diktatorische Lebensformen auszuleben. Dazu aber gesondert im Kapitel »Die Ehe«.
Der Rechtsstaat ist keine vollkommene Welt, egal, ob Sie verheiratet sind oder nicht. Der Rechtsstaat ist lediglich eine recht erfolgreiche Möglichkeit, in einer unvollkommenen Welt zu leben. Philosophisch gesehen, ist es völlig unstrittig, dass wir Menschen nicht vollkommen sind. Das beruhigt. Damit können wir uns schon mal den Stress sparen, so tun zu müssen, als ob ein vollkommenes Leben möglich wäre. Ist es nicht. Völlig egal, was Ihnen Parteien, ZDF-Sonntagsfilme oder die Werbung vorgaukeln.
Bleibt also im Diesseits nur noch der Stress, mit der menschlichen Unvollkommenheit zu leben.
Eine Schwäche der menschlichen Natur ist es, dass der Mensch stets bereit ist, nach der Macht zu greifen, wie schon John Locke, der englische Philosoph, wusste. Je schwächer der Mensch, desto größer der Machtwille. Das kann mitunter zu Nachbarschaftsstreitigkeiten und Weltkriegen führen.
Ein weitverbreitetes Hilfsmittel, Nachbarschaftsstreitigkeiten und Weltkriege zwischen unvollkommenen Machtmenschen nicht eskalieren zu lassen, sind Regeln. Zum Beispiel die des Nachbarschafts- oder des Völkerrechts.
Regeln sind also prinzipiell erst mal etwas Gutes.
Wie alles, was prinzipiell gut ist, lassen sich aber auch Regeln wunderbar verhunzen.
Es gibt im Prinzip nämlich nur drei Arten von Regeln:
▷ Regeln von einem unfehlbaren Wesen außerhalb der Menschheit.
▷ Regeln von einem unfehlbaren Menschen.
▷ Regeln von fehlbaren Menschen.
Menschen, die zwar einen großen Machtwillen, aber nicht das Rückgrat haben, persönlich zu ihrer Machtgeilheit zu stehen, erfinden sich gerne eine höhere Legitimation. Die Verantwortung für den Irrsinn, den sie veranstalten, geben sie gerne einem Gott. Anstatt zu sagen: »Ich will nicht, dass ihr Spaß am Leben habt«, heißt es dann: »Gott will nicht, dass ihr Spaß am Leben habt.«
Die Legitimation für ihre Macht ist in diesem Falle: »Weil Gott es so will.«
Dieses Prinzip gilt für die katholische Kirche genauso wie für den Islamischen Staat.
Mit diesem Prinzip können überteuerte Bischhofsbadewannen in Limburg genauso gerechtfertigt werden wie Massenenthauptungen im Irak. Denn in einem solchen System werden die Regeln von Gott persönlich gemacht, vom jeweiligen Machthaber – natürlich nur stellvertretend – durchgesetzt, und Verstöße auf Erden werden lediglich im einstweiligen Rechtsschutz vom Machthaber für Gott geahndet. Endgültige Urteile fällt ja erst nach dem Tod das Jüngste Gericht.
Ein solches System hat in der Regel den Nachteil einer negativen Klimabilanz. Die zahlreichen Scheiterhaufen belasten schlicht und ergreifend die CO2-Werte.
Wer nach der Macht greift, weil er sich selbst ziemlich geil findet und obendrein auch die Eier dazu hat, das genauso schamlos zu sagen, der gründet einfach eine Diktatur. Ein Diktator braucht keinen Gott unter sich. Natürlich kann man jede Diktatur auch noch philosophisch damit untermauern, dass entweder die eigene Familie oder zumindest die eigene Rasse genetisch Güteklasse A sei, aber der Grundgedanke ist immer derselbe: Es gibt einen Chef, der sich ziemlich cool findet und daraus auch keinen Hehl macht.
Die Legitimation für Macht ist in diesem Falle: »Weil ich es so will.«
Und weil der Chef in der Regel auch multitaskingfähig ist, macht er die Regeln nicht nur, er setzt sie auch durch und urteilt über Verstöße. Oder lässt dies tun, durch – meist uniformiertes – Personal.
Nach diesem Prinzip lässt sich Syrien genauso führen wie Arcandor.
Der Nachteil eines solchen Systems besteht in der Regel darin, dass man nicht mehr entspannt Karneval feiern kann, weil alle Pappnasen mit Führungsverantwortung schon das ganze Jahr über in lustigen Kostümen durch die Gegend laufen.
Wer nach der Macht greift und einsieht, dass seine Vollkommenheit genauso limitiert ist wie die aller anderen Menschen, die ebenfalls nach der Macht greifen, der erkennt irgendwann drei Dinge:
▷ dass seine Mitmenschen genau das gleiche Recht auf Macht haben wie er selber,
▷ dass alle Menschen genauso fehlbar sind wie er selber und
▷ dass Gott sich das Ganze, wenn überhaupt, gerne einfach nur von oben anschaut.
Auf dieser Basis lässt sich dann mit den anderen, genauso gepolten Menschen zusammen ein Staat bilden, in dem sich alle Beteiligten ihre Regeln selber geben.
Die Legitimation für Macht ist in diesem Falle: »Weil wir es so wollen.«
Der große Nachteil dieses Systems besteht darin, dass es keinen Gott und keinen Diktator gibt, dem man die Schuld geben kann, wenn sich herausstellt, dass manche der Regeln ziemlicher Mumpitz sind. Dafür wird man in der Regel aber auch weder erschossen noch geköpft oder öffentlich verbrannt, wenn man diese Zweifel am System offen ausspricht.
Da fehlbare Menschen schnell überfordert sind, teilen sie sich die Arbeit. Die einen machen die Gesetze, die anderen setzen sie durch, und wer dann noch übrig ist und Lust hat mitzuarbeiten, darf zwei juristische Staatsexamina machen und über die Einhaltung der Regeln seitens der Bürger und seitens des Staates urteilen.
In dieser Art der Regelgebung sind die wesentlichen Elemente eines Rechtsstaates enthalten.
Während es solche Staatsformen immer gegeben hat, die ihre Macht von einem sehr coolen Gott oder einem noch geileren Menschen ableiten, ist die Staatsform »Rechtsstaat« eine vergleichbar junge Erfindung.
Angefangen hat das Ding mit dem Rechtsstaat mit der Epoche der Aufklärung im 18. Jahrhundert. Bei der Aufklärung ging es damals nicht (nur) um den korrekten Gebrauch von Geschlechtsteilen, sondern eher um den korrekten Gebrauch von Gehirnen. Im Vordergrund stand die Frage: Wie kann man eine Gesellschaft durch den Gebrauch von Vernunft verbessern?
Der erste Schritt, etwas besser zu machen, ist zunächst einmal, zu erkennen, was im herrschenden System eigentlich schlecht ist. In Gottesstaaten und Diktaturen ist allein die Äußerung einer solch banalen Erkenntnis tendenziell schon mal karrierehindernd. Daran hat sich im Grunde in Unternehmen mit führungsschwachen Abteilungsleiterfürsten bis heute nichts geändert.
Den Aufklärern war das Fortkommen der Menschheit allerdings wichtiger als der nächste Weihnachtsbonus, und deshalb machten sie aus ihrer Kritik am System keinen Hehl. Vor allem ging es ihnen auf den Keks, dass sich im 17. Jahrhundert die Freunde von »Weil Gott es so will« und »Weil ich es so will« zusammengeschlossen hatten zu dem Konzept »Weil Gott will, dass ich es so will«. Dieses Prinzip nannte sich Absolutismus.
Zum einen störte die Aufklärer, dass der Absolutismus für die an diesem Konzept unbeteiligten Untertanen absoluter Blödsinn war, zum anderen lehnten sie sich dagegen auf, weil die Herrscher mit dieser Begründung absolute Macht hatten und ihren Untertanen die Freude an Leben, Freiheit und Eigentum mächtig verhageln konnten. Es gab keine gesicherten Grundrechte, und alle Gesetze konnten willkürlich erlassen und durchgesetzt, vor Gericht aber nicht überprüft werden.
Die Aufklärer waren der Meinung, dass es suboptimal sei, wenn Grundrechte wie Leben, Freiheit und Eigentum permanent von der Tagesform eines wie auch immer legitimierten machtbesessenen Menschen abhängig sind. Sie fanden die Idee ganz putzig, von verbindlichen Gesetzen regiert zu werden und nicht von unverbindlichen Idioten.
Ohne den TÜV zu kennen, hatten die Aufklärer die Idee, verbindliche Gesetze müssten nicht nur gut gemacht, sondern auch gut angewandt und auf ihre richtige Anwendung hin kontrolliert werden. Auch dies möglichst nicht von ein und demselben Idioten. Also wie heute beim Auto: der eine baut es, der andere fährt es, und der TÜV kontrolliert es.
Begeisternde Ideen wie Aufklärung oder Absolutismus lassen sich nur schwer aus Köpfen entfernen. Köpfe hingegen lassen sich mit einer Guillotine sehr einfach entfernen – ganz gleich, welche Ideen drin sind.
Die Aufklärer waren deshalb Freunde des Teilens. Vor allem des Teilens der staatlichen Gewalt. Das Machen von Gesetzen (Legislative), das Durchführen von Gesetzen (Exekutive) und das Kontrollieren der Einhaltung von Gesetzen (Judikative) sollte nach ihrem Willen auf jeweils voneinander unabhängige Stellen aufgeteilt werden. Damit war zunächst einmal der Grundgedanke des modernen Rechtsstaates geboren: Um das Grundrecht auf Leben, Freiheit und Eigentum zu schützen, braucht der Staat Gewaltenteilung und damit die Möglichkeit der rechtlichen Kontrolle.
Um eine sehr lange Erfolgsgeschichte mit vielen Rückschlägen sehr kurz zu machen:
Die größten Aufklärer waren Engländer. Und weil England den Kanal ziemlich schnell voll hatte von all diesen Ideen, schwappten sie schnell über den Kanal rüber, nach Frankreich. Umgesetzt wurden diese Ideen auf dem europäischen Kontinent dann erstmals mit Hilfe der Französischen Revolution. Weil die Franzosen im Zuge ihrer Revolution ein recht marschierfreudiges Völkchen waren, marschierten die Ideen der Aufklärung einfach mit. Quer durch Europa. Unter anderem nach Deutschland. Da immer mehr deutsche Landesfürsten im Angesicht der Revolution und ihrer Guillotinen der Ansicht waren, es sei besser, ein paar eigene Rechte abzugeben als den eigenen Kopf, nahmen immer mehr Landesfürsten zarte aufklärerische Gedanken in ihren Landesverfassungen auf. Sehr populär waren solche Gesetze, die den Schutz des Eigentums und die Freiheitsrechte der Untertanen betrafen. Und zwar in jedem der zahlreichen deutschen Fürstentümer auf andere Art und Weise.
Das Grundproblem Deutschlands war damals nämlich das gleiche wie heute: Kleinstaaterei. Sie können zwar überall in Deutschland, in Bayern genauso wie in NRW, ohne jegliche Niveau-Unterschiede beim Fußballspiel rotzbesoffen in der Sprache Goethes »Schalalala« grölen.
Wie man »Schallallallalla« grölt, weiß in jedem Bundesland jedes Kind. Wie man es schreibt, leider nicht. Das ist Föderalismus.
Aber versuchen Sie mal mit einem Kind in der siebten Klasse von Nordrhein-Westfalen nach Bayern einen Schulwechsel hinzubekommen. Da nützt Ihnen das beste »Schalalala«-Grölen nix mehr. Da reist Ihr Kind in eine andere Welt und wird sich wegen der durchaus vorhandenen Niveau-Unterschiede in viele schlaflose Nächte weinen. Das Problem der verschiedenen Fürstentümer innerhalb Deutschlands nennt und nannte sich »Föderalismus«. Heute wie damals wird die Gesetzgebungskompetenz in allen möglichen nebensächlichen Dingen – wie Schule oder Polizei – von lokalen Fürsten bestimmt.
Im Gegensatz zu heute wurde im 19. Jahrhundert aber ernsthaft versucht, diesem Spökes ein Ende zu bereiten. Die Deutschen wollten ein einheitliches Land mit einheitlichen Regeln. Dafür gingen sie auf die Straße. So um den März 1848 rum. Nach dieser sogenannten März-Revolution von 1848 versuchten die deutschen Bürger aus dieser Kleinstaaterei heraus eine einheitliche Nation zu gründen. Dazu versammelten sie sich in der Frankfurter Paulskirche und sannen über eine gemeinsame Verfassung. Deutschland sollte als Staatsoberhaupt zwar einen »Weil-ich-es-so-will«-Kaiser bekommen. Dieser sollte aber an die »Weil-wir-es-so-wollen«-Gesetze gebunden sein. Leider ließ sich dieser Kaiser nicht finden.
Anders als heute scheiterte diese erste Föderalismusreform nicht an Bayern. Sie scheiterte an Bayern und Preußen. Beide Länder hatten kein Interesse daran, für ein geeintes Deutschland auf Macht zu verzichten. Der preußische König lehnte die Kaiserkrone schlicht ab. Von Gott würde er eine Kaiserkrone wohl nehmen. Vom Volke nicht.
Zwar ließ sich der preußische König in den folgenden Jahren dann tatsächlich von Gottes Gnaden zum Kaiser von Deutschland krönen, weigerte sich aber weiterhin standhaft, einklagbare Grundrechte nach dem Vorbild der Paulskirchenverfassung in die Verfassung aufzunehmen.
Einen Weltkrieg und mehrere Millionen Tote später versuchten die Deutschen mit Gründung der sogenannten Weimarer Republik 1919 erneut, sich eine Verfassung mit Grundrechten und Gewaltenteilung zu geben. Für ganz Deutschland, nach dem Vorbild der Verfassung von 1848.
Diese Verfassung enthielt einklagbare Grundrechte, sogar Frauenwahlrecht, und statt eines Kaisers einen starken Reichspräsidenten als Staatsoberhaupt. Diese Weimarer Verfassung beinhaltete allerdings so viel Freiheit, dass leider auch das Parlament die Freiheit hatte, die Grundrechte wieder abzuschaffen. Von dieser Freiheit, die Freiheit wieder abzuschaffen, machten dann eine demokratisch gewählte rechte Mehrheit und der Reichspräsident 1933 regen Gebrauch.
Einen weiteren Weltkrieg und noch mehr Millionen Tote später haben die Deutschen sich dann – unter freundlicher Mithilfe der westlichen Besatzungstruppen – das heutige Grundgesetz gegeben. Und das Grundgesetz hat nicht nur Freiheitsrechte, einklagbare Grundrechte und Gewaltenteilung. Es enthält vor allem das Verbot, all dies wieder abzuschaffen – egal, welche Mehrheit das will.
Vor diesem opulenten geschichtlichen Hintergrund gibt es heute exakt zehn Gründe, die einen Aufenthalt in unserem Rechtsstaat lohnenswert machen. Dies sind die Grundprinzipien, auf denen unser Rechtsstaat aufgebaut ist:
▷ Grundrechte
▷ Gewaltenteilung
▷ Gleichbehandlung
▷ Gesetzesvorbehalt
▷ Gesetzesvorrang
▷ Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
▷ rechtliches Gehör
▷ gesetzlicher Richter
▷ Unabhängigkeit der Gerichte
▷ Rechtsweggarantie
Das sind in erster Linie sehr viele Sachen mit dem Buchstaben »G«, die man sehr schlecht behalten kann. Es geht aber auch einfacher. Der einzige, alles entscheidende Grund, sich hier wohlzufühlen, der Grund, der alle Grundprinzipien des Rechtsstaates umfasst, ist wesentlich schneller nachvollziehbar: das sonntägliche Frühstück.
Unser Rechtsstaat hat den enormen Vorteil, dass Sie beim sonntäglichen Brötchenkauf in der Regel nicht Gefahr laufen, willkürlich verhaftet zu werden. Das erleichtert das gemeinsame Wochenendfrühstück ungemein. Für den durchschnittlichen Einwohner von Castrop-Rauxel mit Hang zu Aufbackbrötchen mag das banal klingen. Für den Insassen eines schattigen Geheimgefängnisses, der von freundlichen Revolutionsgarden, sympathischen Gotteskriegern oder zuvorkommenden Geheimpolizisten vor der Bäckerei vom Fahrrad gezerrt wurde und für unbestimmte Zeit festgehalten wird, ist ein ungestörtes Sonntagsfrühstück aber ein Wert an sich. Alle zehn Prinzipien, die unseren Rechtsstaat ausmachen, kommen hier nämlich bei einer Störung des Brötchenkaufes durch eine Verhaftung zum Tragen.
Sie können die Vorteile des Rechtsstaates also ganz einfach selber testen. Setzen Sie sich dazu bitte einfach zum Ziel, am nächsten Sonntag beim Brötchenkaufen verhaftet zu werden. Wenn Sie sich jetzt zu Recht fragen: »Wie soll das denn gehen?«, dann hat der Rechtsstaat schon den ersten Praxistest bestanden. Es ist gar nicht so leicht, in einer Bäckerei von der Staatsgewalt verhaftet zu werden.
Während Sie in Mossul schon beim Betreten der Bäckerei für ein freundliches »Grüß Gott« geköpft werden könnten, kämen Sie in Minden selbst dann nicht in den Knast, wenn Sie im Verkaufsraum das Kruzifix über der Backstubentür von der Wand reißen und verbrennen würden. Sie würden im Rechtsstaat auch nicht verhaftet werden, wenn Sie in der Bäckerei Ihre Meinung äußern, nicht beten, eine unverschleierte Frau, schwul, Ausländer, arbeits- oder obdachlos, Demonstrant oder einfach nur schlecht gelaunt sind. Sie müssen sich schon einiges mehr ausdenken, um tatsächlich verhaftet zu werden. Was auch immer Sie sich vornehmen: Viel Glück!
Gehen wir also davon aus, Sie verlassen mit dem vielversprechenden Plan, noch in der Bäckerei morgens um 10 Uhr beim Kauf von 3 Croissants und 5 normalen Brötchen von der Polizei verhaftet zu werden, Ihre Wohnung. Dann sind alleine bis dahin schon drei wesentliche Elemente des Rechtsstaates zum Tragen gekommen.
Die Tatsache, dass Sie selbst entscheiden dürfen, ob, was und wann Sie frühstücken, ist im Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit verankert.*
Sollten Sie sich also, dies vorausgesetzt, generell zum Kauf von Sonntagsbrötchen entschieden haben und dabei wider Erwarten doch von einem Polizisten oder einer Polizistin (dass Männer und Frauen hier die gleichen beruflichen Chancen haben, entspringt dem Gleichheitsgrundsatz, Art. 3 GG) verhaftet werden, haben Sie das Recht, Ihre Verhaftung innerhalb von 24 Stunden vom dafür zuständigen Richter überprüfen zu lassen (das nennt sich dann Recht auf rechtliches Gehör).
Welcher gesetzliche Richter für Sie zuständig ist, ergibt sich aus dem Gerichtsverfassungsgesetz und dem Geschäftsverteilungsplan des für Sie örtlich zuständigen Gerichts. Dieser wurde spätestens am Freitag vor Ihrem Brötchenkauf festgelegt. Der Richter wird also eventuell überrascht sein, Sie am Sonntagmorgen zu sehen. Sie hingegen hätten sich schon vorher informieren können, auf welchen Richter Sie treffen werden, und entsprechend ein paar Brötchen mehr mitbringen können.
Der Richter wird in jedem Fall niemand sein, der vom Bäcker oder vom Polizisten aus einer Laune heraus im Bekanntenkreis angerufen wird.
Der Richter schaut jetzt auf zwei Dinge: erstens, ob es ein Gesetz gibt, das es dem Polizisten überhaupt erlaubt, sonntags Menschen zu verhaften und so in deren Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit einzugreifen (das ist der Gesetzesvorbehalt). Wäre der Polizist nicht Polizist, sondern Bäcker, dürfte er zweifelsohne keine Mitmenschen verhaften.
Zweitens prüft der Richter, ob das Handeln des Polizisten gegen andere geltende Gesetze verstößt (Gesetzesvorrang).
Da ein Rechtsstaat kein Do-it-yourself-Staat ist, dürfen sich weder der Polizist noch der Richter eines dieser Gesetze selber ausgedacht haben. Der eine führt die Gesetze bloß aus, der andere kontrolliert die Ausführung. Denken tut – im Idealfall – der Gesetzgeber (Gewaltenteilung, Art. 20 IIGG).
Ist der zuständige Richter der Ansicht, der Polizist hatte keine rechtliche Grundlage, Sie zu verhaften, dann können Sie Ihren Brötchenkauf umgehend fortsetzen. Dadurch ist garantiert, dass Ihre Brötchen bei einer unrechtmäßigen Verhaftung maximal einen Tag älter werden. Sollte Sie der Richter nicht umgehend aus der Haft entlassen, weil er meint, der Polizist hat sich seine Brötchen mit Ihrer Verhaftung rechtmäßig verdient, dann sind darüber Ihre Angehörigen zu informieren. Dadurch ist garantiert, dass Ihre Angehörigen nicht länger als einen Tag vergeblich auf die Frühstücksbrötchen warten müssen und das nächste Familienmitglied zum Brötchenholen losschicken können. Die Chance, dass auch dieses Familienmitglied beim Bäcker verhaftet wird, geht statistisch gegen null.
Sie selber bekommen für den Fall, dass Sie in Untersuchungshaft bleiben, zwei Dinge: zum einen verhältnismäßig zügig einen Termin für einen Prozess (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit). Auch dies wieder bei Ihrem gesetzlichen, nicht willkürlich zugewiesenen Richter (Art. 101 GG). Zum anderen bekommen Sie bis dahin jeden Tag Frühstück. Und zwar das gleiche wie die Mithäftlinge in der Zelle neben oder über Ihnen (Gleichbehandlungsgrundsatz, Art. 3 GG).
In diesem Prozess vor einem Gericht, auf dessen Entscheidungen der Staat keinen Einfluss hat (unabhängige Gerichte, Art. 19 IVGG), werden Sie dann entweder freigesprochen. Oder aber Sie werden verurteilt, weil sich herausstellt, dass Sie tatsächlich gegen ein bestehendes, allgemeingültiges und klar definiertes Gesetz verstoßen haben. Im letzteren Fall wäre damit rechtsstaatlich festgestellt, dass Sie beim Brötchenkauf eben nicht unrechtmäßig verhaftet worden sind. Dem Rechtsstaat wäre damit Genüge getan.
Im ersten Fall könnten Sie sich von der Haftentschädigung, die Ihnen jetzt zusteht (derzeit 25 Euro pro Tag), zwar nicht bis an Ihr Lebensende Croissants, aber immerhin ein paar frische Brötchen kaufen.
An einem einzigen sonntäglichen Frühstück wird somit alles deutlich, was diesen Rechtsstaat so lebenswert macht. Noch bevor Sie unbesorgt mit den Frühstücksbrötchen in der Hand im Kreise der Familie Platz genommen haben, waren im Hintergrund alle Grundprinzipien des Rechtsstaates für Ihren verdienten Wochenendfrieden tätig. Manche sogar mehrfach.
Das ist Rechtsstaat. Auch sonntags. Man muss sich diese rechtsstaatlichen Prinzipien nicht alle merken, um mit ihnen glücklich sein zu können, aber man sollte die ihnen entspringenden Freiheiten jeden Tag bewusst genießen.
In einem Staat, in dem man vor einer Bäckerei ohne Prozess nach Gutdünken eines Schwertträgers enthauptet werden kann, weil man der falschen Religion angehört, käme zum Beispiel kein einziges rechtsstaatliches Prinzip zum Tragen. Laut Statistik sind solche Länder als Reiseziel für die meisten Menschen deshalb auch wesentlich unattraktiver. Egal, wie schön das Wetter ist.
Ob allerdings die Menschen, die unter Lebensgefahr zum Beispiel auf einem Boot hierherkommen, um in Ruhe frühstücken zu können, in unserem Rechtsstaat bleiben dürfen oder nicht, hängt entscheidend von den »Frühstückshinderungsgründen« in ihrem Heimatland ab. Kann jemand in seiner Heimat nicht in Ruhe frühstücken, weil er Gefahr läuft, auf dem Weg zum Bäcker aufgrund seiner politischen oder religiösen Ansichten verhaftet zu werden, dann genießt er hier Asyl. Kann jemand in seiner Heimat nicht in Ruhe frühstücken, weil es dort keine Bäcker gibt, dann ist er ein Wirtschaftsflüchtling und wird dorthin zurückgeschickt.
Auch das ist Rechtsstaat.
* Die Tatsache, dass Ihnen unser Staat das Frühstück notfalls sogar finanziert, ist im Sozialstaatsprinzip festgehalten. Dass das Warenangebot der hiesigen Bäcker unabhängig von staatlichen Mehlzuweisungen, UN-Lieferungen oder Lebensmittelkarten ist, hat viel mit unserer Marktwirtschaft zu tun.
Der Grundgedanke der Aufklärung ist, dass der Mensch durch den Gebrauch der Vernunft ein besseres Leben führen soll. Damit unvernünftige Menschen nicht schlechter stehen, sollten alle Menschen ihre Vernunft gemeinsam gebrauchen.
Beliebte Staatsform im Europa des 17. Jahrhunderts: Einer hat die absolute Macht. Für alle anderen ist das in der Regel absoluter Blödsinn.