Hamish Macbeth fischt im Trüben - M. C. Beaton - E-Book
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Hamish Macbeth fischt im Trüben E-Book

M.C. Beaton

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Beschreibung

SCHOTTISCH, SCHWARZHUMORIG, S(CH)PANNEND - M. C. BEATONS KULT-SERIE ERSTMALS AUF DEUTSCH

Lochdubh, ein kleines Dorf in den schottischen Highlands. Hier genießt Police Constable Hamish Macbeth das ruhige Leben weitab vom Schuss. Dem gutmütigen Dorfpolizisten eilt der Ruf voraus, notorisch faul zu sein - etwas, das Hamish selbst nie bestreiten würde. Als allerdings der Besitzer der örtlichen Angelschule die Leiche einer seiner Schülerinnen aus dem Wasser angelt, ist für Hamish die Zeit des Müßiggangs vorbei und er muss ermitteln. Es stellt sich heraus, dass die Ermordete - eine gewisse Lady Jane - gar keine Lady, sondern eine scharfzüngige Klatschkolumnistin war, die viele Feinde hatte, auch unter den Angelschülern. Ein unlösbarer Fall, so scheint es bald, doch dann kommt Hamish eine geniale Idee, wie er den Mörder enttarnen kann.

Der erste Band der Hamish Macbeth-Krimireihe von Bestsellerautorin M. C. Beaton.

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Seitenzahl: 211

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Inhalt

Cover

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Die Personen

Zitat

Erster Tag

Zweiter Tag

Dritter Tag

Vierter Tag

Fünfter Tag

Sechster Tag

Siebter Tag

Epilog

M. C. Beatons Agatha Raisin-Krimis bei Bastei Lübbe

Über die Autorin

M. C. Beaton ist eines der zahlreichen Pseudonyme der schottischen Autorin Marion Chesney. Nachdem sie lange Zeit als Theaterkritikerin und Journalistin für verschiedene britische Zeitungen tätig war, beschloss sie, sich ganz der Schriftstellerei zu widmen. Mit ihren Krimi-Reihen um die englische Detektivin Agatha Raisin und den schottischen Dorfpolizisten Hamish Macbeth feierte sie große Erfolge in über 17 Ländern. Sie verstarb im Dezember 2019 im Alter von 83 Jahren.

M. C. BEATON

Hamish Macbeth

Hamish fischt im Trüben

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Sabine Schilasky

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Für die Originalausgabe:Copyright © 1985 by M. C. BeatonPublished by Arrangement with Marion Chesney GibbonsTitel der englischen Originalausgabe: »Death of a Gossip«

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.

M. C. BEATON® and HAMISH MACBETH® are registered trademarks of M. C. Beaton Limited

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2016/2024 by Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6–20, 51063 Köln

Lektorat: Judith MandtTextredaktion: Anke Pregler, RösrathCovergestaltung: Guter Punkt, München | guter-punkt.deunter Verwendung von Motiven von © iStock/Getty Images Plus (Lilly Carreras; Suwaree Tangbovornpichet; L_Mirror; nakornkhai; GlobalP; Sieboldianus; Lilia Cherepanova; artvea) | Adobe Stock Images (Sina Ettmer)E-Book-Produktion: two-up, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-3000-7

luebbe.delesejury.de

Im Andenken an die Fleet-Street-Tage.Für meine sehr liebe FreundinRita Marshall

Die Personen

(in der Reihenfolge ihres Auftretens)

John Cartwright: Betreiber der Lochdubh School of Casting: Salmon and Trout Fishing, in der er alles über das Lachs- und Forellenangeln lehrt

Heather Cartwright: seine Frau und Mitbesitzerin der Angelschule

Marvin Roth: amerikanischer Geschäftsmann und angehender Kongressabgeordneter

Amy Roth: seine Frau

Lady Jane Winters: Witwe aus besseren Kreisen

Jeremy Blythe: Anwalt aus London

Alice Wilson: Sekretärin aus London

Charlie Baxter: zwölfjähriger Junge aus Manchester

Major Peter Frame: Exsoldat, Profiangler

Daphne Gore: Debütantin aus Oxford

Hamish Macbeth: Dorfpolizist

Priscilla Halburton-Smythe: Tochter eines örtlichen Großgrundbesitzers

Detective Chief Inspector Blair: Leiter des Strathbane CID

Detectives Jimmy Anderson und Harry MacNab: Blairs Assistenten

John Harrington: Priscilla Halburton-Smythes Verehrer

Colonel und Mrs. Halburton-Smythe: Priscillas Eltern

Mr. Johnson: Hotelmanager

Angus MacGregor: Wilderer

Ich saß im Wald, du kamst zu mir,Du sagtest: »Die Aussicht ist schön von hier.«Du sagtest: »Es ist nett, allein zu sein.«Und »Wie die Tage doch länger werden«, fiel dir ein.Bei Gott, ich wünschte, ja, wünschte, du wärest tot.

RUPERT BROOKE

Erster Tag

Angeln: ungebrochene Erwartung und anhaltende Enttäuschung.

ARTHUR YOUNG

»Ich hasse den Wochenanfang«, sagte John Cartwright verdrossen. »Mit einer neuen Gruppe zu beginnen ist, wie auf eine Bühne zu treten. Ich habe dann immer das Gefühl, dass ich mich dafür entschuldigen müsste, Engländer zu sein. Die Leute reisen hierher in die Wildnis Schottlands und erwarten, von einem großen bärtigen Rob Roy unterrichtet zu werden, der Witze über Saxpence reißt und in einem schier unverständlichen Schottisch palavert.«

»Ach, hör auf«, entgegnete seine Frau Heather gelassen. »Es geht doch immer ganz gut. Seit drei Jahren hast du jetzt diese Angelschule, und bisher gab es noch keine unzufriedenen Kursteilnehmer.«

Sie blickte liebevoll zu ihrem Mann. John Cartwright war klein, drahtig und nervös. Er hatte mittelblondes wuscheliges Haar und auffällige blassblaue Augen. Heather war eine seiner ersten Schülerinnen gewesen, hier an der Lochdubh School of Casting: Salmon and Trout Fishing.

Er hatte sich von ihrem kräftigen Angelwurf verführen lassen; welche anderen Freuden ihre Anatomie noch bereithielt, entdeckte er erst nach der Hochzeit.

Heather galt als die bessere Anglerin, auch wenn sie ihr Können hinter einem angenehm mütterlichen Auftreten verbarg. Trotz ihres ansonsten sehr gegensätzlichen Naturells einte Heather und John die geradezu fanatische Begeisterung fürs Angeln.

Angeln war ihr Hobby, ihr Beruf und ihre Obsession. Über den ganzen Sommer hinweg kamen wöchentlich neue Gruppen ins Lochdubh Hotel, und selten handelte es sich ausschließlich um Amateure. Oft gesellten sich erfahrene Angler hinzu, die auf diese Weise zu vernünftigen Gebühren in hervorragendem Gewässer angeln konnten. Um diese Experten kümmerte John sich, während Heather die blutigen Anfänger bemutterte.

Die Gruppen hatten nie mehr als zehn Personen. Für diese Woche hatte es zwei kurzfristige Absagen gegeben, sodass sie nur acht Teilnehmer erwarteten.

»Tja«, murmelte John und nahm ein Blatt Papier auf. »Wie es aussieht, sind sie alle gestern Abend im Hotel angekommen. Da ist ein amerikanisches Paar aus New York, Mr. und Mrs. Roth, eine Lady Winters, die Witwe irgendeines Labour-Abgeordneten, Jeremy Blythe aus London, Alice Wilson, ebenfalls aus London, Charlie Baxter, ein zwölfjähriger Junge aus Manchester – er wohnt nicht im Hotel, sondern bei seiner Tante im Dorf –, und Major Peter Frame. O Gott, den galoppierenden Major hatten wir schon mal hier. Diese Männer, die sich an ihren Rang bei der Army klammern, scheinen unfähig, sich an das Leben als Zivilisten anzupassen. Und dann ist da noch eine Daphne Gore aus Oxford. Den Major schicke ich so bald wie möglich allein los. Es ist wohl besser, wenn du das Kind übernimmst.«

John Cartwright blickte aus dem Hotelfenster und runzelte die Stirn. »Da kommt unser schnorrender Dorfpolizist. Ich hatte Kaffee für acht Personen bestellt, aber Hamish wird so lange hier hocken bleiben wie ein Hund, bis ich ihm einen Kaffee anbiete. Ich ruf mal schnell unten an und sage, dass wir eine Tasse mehr brauchen.«

Er stöhnte. »Ich sage dir, was unser Polizist braucht, ist ein hübscher, handfester Mord, damit wir ihn los sind. So hat er den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als im Dorf herumzulungern und allen im Weg zu sein. Jimmy, der Fischereiaufseher, hat neulich gesagt, dass er glaubt, Hamish Macbeth würde wildern.«

»Das kann ich mir nicht vorstellen«, sagte Heather. »Dazu ist er viel zu faul. Am besten wäre, er würde heiraten. Er muss doch mindestens fünfunddreißig sein, und die meisten Mädchen im Dorf waren schon unglücklich in ihn verliebt. Warum, weiß ich allerdings nicht.«

Sie stellte sich zu ihrem Mann ans Fenster, und er legte einen Arm um ihre kräftigen Schultern. Hamish, Lochdubhs Dorf-Constable, schlenderte an der Pier vorm Hotel entlang, die Mütze nach hinten geschoben und die Hände in den Taschen vergraben. Er war sehr groß, dünn und schlaksig. Seine Uniform schlackerte an der hageren Statur. Die zu kurzen Ärmel ließen ein gutes Stück knochigen Handgelenks frei, und dank der gleichfalls zu kurzen Hosenbeine guckten die Argyll-Socken über den Dienststiefeln hervor. Hamish nahm seine spitze Mütze ab und fuhr sich durch das feuerrote Haar. Dann griff er in seine Uniformjacke und kratzte sich nachdenklich in der Achsel.

Aus dem Hotelfoyer unter dem Schlafzimmer der Cartwrights wehte Kaffeeduft nach oben. Offensichtlich erreichte der Geruch auch die Nase des Polizisten, denn plötzlich schnupperte Hamish wie ein Hund und kam mit großen Schritten auf das Hotel zu.

Das Lochdubh Hotel war im späten 19. Jahrhundert vom Duke of Anstey als einer seiner zahlreichen Landsitze erbaut worden und verfügte über Zinnen und Türme wie eine Burg. Hinter dem Gebäude befand sich ein angelegter Garten, nach vorn blickte man auf die klare, stille Bucht von Lochdubh. Im Foyer schmückten Geweihe und alte Waffen über großen Kaminen die Wände, und das Hotel hatte einen der besten Köche in ganz Schottland zu bieten. Die Preise waren astronomisch, dennoch reisten die Touristen in Scharen an. Letzteres lag möglicherweise auch daran, dass die Hauptstraße abrupt vor dem Hotel endete, womit es zum einzigen Zufluchtsort inmitten karger Moorlandschaft und hoher Berge wurde.

Das Dorf Lochdubh schmiegte sich an den Fuß zweier hoher Wipfel, den Two Sisters, und war im 18. Jahrhundert gegründet worden, um die Fischerei in den Highlands zu fördern. Seither waren die Bevölkerungszahlen konstant rückläufig.

Es gab einen Dorfladen, der gleichzeitig als Postamt fungierte, einen kleinen Laden mit Kunsthandwerk sowie vier Kirchen, die jeweils auf ungefähr fünf Gemeindemitglieder zählen konnten.

Die Polizeistation war eines der wenigen modernen Gebäude; früher war die Polizei in einer feuchtkalten Hütte untergebracht gewesen. Constable Hamish Macbeth hatte seinen Dienst ein Jahr vor Eröffnung der Angelschule angetreten. Niemand wusste, wie er es angestellt hatte, doch in null Komma nichts war es ihm gelungen, sich ein neues Haus mit angrenzendem Büro und Arrestzelle bauen zu lassen. Hamishs Vorgänger hatte seine Runden auf einem Fahrrad absolviert, Constable Macbeth hingegen schwatzte der Behörde einen nagelneuen Morris ab. Er hielt Hühner, Gänse und einen großen, sabbernden Wachhund von undefinierbarer Rasse namens Towser.

Lochdubh lag weit oben im Nordwesten von Schottland, und folglich fiel es während der kalten Monate in einen langen Winterschlaf. Im Sommer hingegen wurde es von den Touristen belebt. Die waren vornehmlich englisch und wurden von den Einheimischen mit der typischen Höflichkeit der Highlander behandelt und insgeheim zutiefst gehasst.

John Cartwright hatte seit einem Monat darum gekämpft, dass sich die Angelschule bezahlt machte, als er Heather kennenlernte. Sie übernahm die Buchhaltung und gab Anzeigen in den Hochglanzzeitschriften auf. Heather war es auch, die Johns niedrige Kursgebühren mit dem Hinweis verdreifachte, dass die Leute zahlen würden, sowie sie glaubten, etwas Exklusives zu bekommen; und die Gebühren waren immer noch akzeptabel, bedachte man, in welch exzellenten Lachsflüssen die Teilnehmer angeln durften. Heather war es, die das Geschäft zum Laufen brachte. Sie war mollig, grauhaarig und mütterlich. Die Ehe mit John Cartwright war ihre zweite, und John dachte oft, dass er wohl niemals wissen würde, was im Kopf seiner Frau vorging. Doch er liebte sie ebenso sehr wie das Angeln, und bisweilen dachte er mit einem Anflug von Unbehagen daran, dass die Schule ohne Heather nicht überlebt hätte. Allerdings überwogen die Momente, in denen er sich zu seinem guten Geschäftssinn gratulierte – worin ihn seine Frau nach Kräften bestärkte.

Nun zog er sich seine alte Angeljacke mit den vielen Taschen über, nahm seine Notizen auf und sah seine Frau nervös an.

»Findest du nicht, wir sollten sie … nun ja, zusammen begrüßen?«

»Geh du ruhig vor, Schatz«, antwortete Heather. »Und ruf mich, wenn du so weit bist, ihnen die Knoten zu zeigen. Wenn du erst mal angefangen hast zu reden, bist du auch nicht mehr nervös.«

John küsste sie flüchtig auf die Wange und machte sich auf den Weg zur Haupttreppe. Er betete, dass es eine muntere Gruppe war. Zumindest kannte er den Major, was allerdings nur insofern beruhigend war, als er ahnte, was ihm mit diesem Teilnehmer blühte.

John öffnete die Tür zum Foyer und blinzelte nervös zu den acht Leuten, die dort versammelt standen und sich gegenseitig misstrauisch beäugten. Kein gutes Zeichen. Gewöhnlich hatten sich alle schon bekannt gemacht, wenn John erschien.

Constable Hamish Macbeth saß in einem Sessel am Fenster, studierte das Kreuzworträtsel des Daily Telegraph und pfiff auf enervierende Weise durch die Zähne.

John holte tief Luft. Licht, Kamera, Action. Sein Auftritt.

»Ich denke, wir sollten uns zunächst einmal vorstellen«, begann er und lächelte die schweigende Gruppe unsicher an. »Ich bin John Cartwright, Ihr Kursleiter. Wir finden, dass alles unkomplizierter ist, wenn wir uns mit Vornamen ansprechen. Also, wer möchte anfangen?«

»Womit anfangen?«, fragte eine pummelige, strenge Frau.

»Haha, na, damit, sich vorzustellen.«

»Dann lege ich mal los«, ertönte eine Stimme mit amerikanischem Akzent. »Ich bin Marvin Roth, und dies ist meine Frau Amy.«

»Ich bin Daphne Gore«, sagte eine große Blondine, die ihre Fingernägel betrachtete.

»Jeremy Blythe.« Ein gut aussehender, kräftiger junger Mann mit einem heiteren Gesicht, blondem Lockenkopf und strahlend blauen Augen.

»Charlie Baxter.« Der Zwölfjährige. Pausbacken, frische Haut, dichte schwarze Locken und ein verblüffend kalter, misstrauischer Bick für einen so jungen Menschen.

»Tja, mich kennen Sie ja, Major Peter Frame. Nennen Sie mich Major. Das tun alle.« Dünner grauer Schnauzer in einem schmalen, faltigen Gesicht, verkniffener Mund mit nach unten gezogenen Winkeln, nagelneue Anglerkluft.

»Alice Wilson.« Eine hübsche, schlicht wirkende junge Frau mit leichtem Liverpool-Akzent und der falschen Kleidung.

»Ich bin Lady Jane Winters. Sie dürfen mich Lady Jane nennen. Das tun alle.« Es war die Pummelige. Ihr voluminöser Busen war von einer Seidenbluse verhüllt, ihre runden Schenkel von einer Kniebundhose, und ihre speckigen Waden steckten in groben Strickstrümpfen. Sie hatte ein rundes Gesicht und große blaue Augen unter halb gesenkten Lidern, eine kleine Hakennase, und ihr Mund schien ständig missbilligend geschürzt.

»Da wir uns nun alle bekannt gemacht haben, lassen Sie uns erst mal einen Kaffee trinken«, sagte John munter.

Hamish drückte sich aus dem Sessel hoch und kam näher.

Lady Jane musterte ihn kritisch.

»Nimmt der Dorfpolizist auch Angelunterricht?«, fragte sie. Ihre Stimme war hoch und laut mit einer unangenehm schrillen Note.

»Nein, Mr. Macbeth gesellt sich nur gern am ersten Tag auf einen Kaffee zu uns.«

»Warum?« Lady Jane stand zwischen Hamish und dem Kaffeetisch und hatte die Hände in die Hüften gestemmt. Der Polizist reckte den Hals und blickte über ihre dicken Schultern hinweg zur Kaffeekanne.

»Na ja«, sagte John verärgert, denn Hamish hätte gerne für sich selbst sprechen können. »Wir alle schätzen eine Tasse Kaffee, und …«

»Ich bezahle keine Steuern, um Polizeibedienstete zu verwöhnen«, sagte Lady Jane. »Gehen Sie an Ihre Arbeit, Constable.«

Der Polizist schaute mit seinen braunen Augen auf Lady Jane hinab und bedachte sie mit einem Blick voll liebenswerter Einfältigkeit. Er wollte an ihr vorbeigehen, doch sie versperrte ihm den Weg.

»Trinken Sie Ihren Kaffee wie üblich, Officer?«, fragte Marvin Roth. Er war ein großer Mann von birnenförmiger Statur mit Glatze und dicker Hornbrille. Sein Aussehen erinnerte an Cartoons von Upper-East-Side-Amerikanern im New Yorker.

Zum ersten Mal öffnete Hamish den Mund. »Meistens trinke ich Tee«, sagte er mit einer sanften Highland-Stimme. »Aber ich nehme gerne einen Kaffee, wenn sich die Gelegenheit ergibt.«

»Er meint, ob Sie Milch und Zucker nehmen«, schaltete sich John ein, der sich daran gewöhnt hatte, für die Amerikaner zu übersetzen.

»Ja, danke, Sir«, sagte Hamish. Lady Jane plusterte sich erbost auf, als Marvin eine Tasse Kaffee einschenkte und sie über ihre Schulter hinweg dem Constable reichte. Alice Wilson kicherte nervös und hielt sich rasch eine Hand vor den Mund. Lady Jane hob ruckartig die Schultern, sodass die Tasse im hohen Bogen nach vorn flog.

Zunächst herrschte betretene Stille. Hamish hob die Tasse auf und sah sie gedankenverloren an. Dann blickte er zu Lady Jane, deren Augen funkelten.

»Oh, bitte, gebt dem Mann seinen Kaffee«, seufzte Amy Roth. Sie war blond, hatte sich für ihr Alter gut gehalten und große Kuhaugen, einen üppigen Busen und die erstaunlich drahtigen Unterarme einer Tennisspielerin.

»Nein«, widersprach Lady Jane trotzig, während John Cartwright mit seinen Notizen wedelte und um Erlösung betete. Warum konnte Hamish nicht einfach gehen?

Lady Jane kehrte Hamish den Rücken zu und starrte Marvin an, als wollte sie ihn warnen, es ja nicht zu wagen. Alice Wilson beobachtete die Szene unglücklich. Warum hatte sie diesen schrecklichen Urlaub gebucht? Er kostete viel mehr, als sie sich leisten konnte.

Im nächsten Moment aber sah sie staunend, wie der Polizist sich nach vorn beugte und Lady Jane beherzt in den gewaltigen Hintern kniff.

»Sie haben mich gekniffen!«, kreischte Lady Jane.

»Oh nein«, entgegnete der Polizist ungerührt, ging an der wütenden Lady vorbei und schenkte sich eine frische Tasse Kaffee ein. »Das werden die hiesigen Mücken gewesen sein. Die haben Zähne wie Flugsaurier.«

Er ging zurück zu seinem Sessel am Fenster und setzte sich mit der Kaffeetasse in der Hand hin.

»Ich werde seinem Vorgesetzten schreiben«, murmelte Lady Jane. »Schenkt jetzt jemand ein?«

»Ich schätze, wir bedienen uns selbst, meine Gute«, sagte Amy Roth süßlich.

Da abzusehen war, dass es beim Kaffee kein harmloses Geplauder geben würde, beschloss John Cartwright, direkt mit dem Unterricht zu beginnen.

Wie immer fand er recht schnell in sein Element, als er den Kunden erzählte, in welchen Gewässern sie angeln würden, welches die Gewohnheiten des ach-so-schwer-zu-fangenden Lachses waren, was erlaubt und was unter allen Umständen verboten war. Schließlich verteilte er kleine Plastikpäckchen mit durchsichtigem Nylonband.

Er wollte gerade Heather nach unten rufen, damit sie nun den Kursteilnehmern zeigte, wie man ein Vorfach knotete, als ihm auf einmal bewusst wurde, dass er es nicht ertrug, seine Frau von der schrecklichen Lady Jane beleidigen zu lassen. Diese war während seines Vortrags bemerkenswert ruhig gewesen, dennoch war er sicher, dass sie lediglich Schwung holte für den nächsten Frontalangriff. Daher beschloss er, allein weiterzumachen.

»Ich werde Ihnen jetzt erklären, wie Sie das Vorfach knoten«, begann er.

»Was ist denn ein Vorfach?«, fiel Lady Jane ihm sogleich ins Wort.

»Ein Vorfach«, erklärte John, »ist die dünne Nylonschnur, die Sie an Ihre Angelschnur binden. Ein richtig verknotetes Vorfach sorgt beim richtigen Wurf dafür, dass die Fliege leicht auf der Wasseroberfläche landet. Der untere Teil des Vorfachs, der mit der Schnur verbunden ist, hat nicht ganz den Durchmesser der Schnur und verjüngt sich zum Haken hin. Sie müssen lernen, diese Abschnitte so zu verknoten, dass sie ein Ganzes bilden. Der Knoten, den wir dafür benutzen, heißt Blutknoten. Wenn Sie noch nie solch dünnes Nylon geknotet haben, werden Sie es anfangs schwierig finden. Deshalb habe ich hier Schnurstücke mitgebracht, an denen Sie üben können.«

»Ich habe im Anglerladen einige von diesen Vorfächern gesehen, die schon fest angeknotet waren«, sagte Lady Jane verschnupft. »Warum verschwenden wir also einen schönen Vormittag damit, drinnen zu hocken und Knoten zu binden wie ein Haufen Pfadfinder?«

Heathers ruhige Stimme erklang von der Tür, und John atmete erleichtert auf.

»Die industriell gebundenen Vorfächer gibt es in knotenloser Form«, sagte Heather und kam herein. »Sie können sie in Längen von siebeneinhalb Fuß kaufen, werden aber feststellen, dass das Vorfach oft über dem Haken bricht, und deshalb müssen Sie lernen, wie man es knotet. Wenn Sie bitte alle genau hinsehen, dann zeige ich Ihnen, wie Sie es machen. Sie dürfen ruhig schon losziehen und im Marag angeln, Major«, fügte sie hinzu. »Es ist ja nicht nötig, dass Sie das alles noch einmal durchgehen.«

»Mit dem Fliegenfischen kenne ich mich nicht aus«, erwiderte der Major munter. »Da gibt es immer was dazuzulernen. Ich bleibe noch ein bisschen.«

Alice Wilson mühte sich mit dem Knoten ab. Kaum hatte sie ein Ende hinbekommen, hatte sich der Knoten am anderen Ende schon wieder wie von Zauberhand gelöst.

Charlie, der Junge, band die Knoten so sauber, als sei es ihm in die Wiege gelegt worden. »Kannst du mir helfen?«, flüsterte Alice ihm zu. »Du bist gut.«

»Nein, das wäre geschummelt«, sagte er ernst. »Wenn du es nicht selbst machst, lernst du es nie.«

Alice wurde rot. »Ich zeige es Ihnen«, erklang eine angenehme Stimme zu ihrer anderen Seite. Alice entdeckte Jeremy Blythe, der sie mitfühlend ansah. Er nahm ihr die Schnur ab und machte es ihr vor.

Nachdem die Klasse sich mehrere Minuten abgemüht hatte, sagte Heather: »Bis zum Aufbruch morgen früh sollten Sie alle Ihr Vorfach geknotet haben. Wenn Sie jetzt bitte auf Ihre Zimmer gehen und sich umziehen, dann treffen wir uns in einer halben Stunde hier wieder und John geht mit Ihnen zum Marag, um Ihnen das Werfen zu zeigen.«

»Bis in einer halben Stunde«, sagte Jeremy lächelnd. »Sie heißen Alice, nicht?«

Sie nickte schüchtern. »Und ich heiße Daphne«, sagte eine spöttische Stimme neben Jeremy, »falls du es vergessen hast.«

»Wie könnte ich?«, antwortete Jeremy. »Wir sind doch zusammen in diesem furchtbaren Zug hergekommen.«

Arm in Arm gingen die beiden weg, und Alice fühlte sich noch elender. Für einen Moment hatte sie gehofft, einen Freund in Jeremy zu finden. Aber die beängstigend selbstbewusste Daphne erhob offensichtlich Alleinanspruch auf ihn.

Lady Jane musterte Alices himmelblauen Hosenanzug abfällig. »Hoffentlich haben Sie was Passenderes mitgebracht«, sagte sie schnippisch. »Damit verscheuchen Sie ja alle Fische.«

Alice ging eilig weg, da ihr keine angemessene Erwiderung einfallen wollte. Natürlich kamen ihr mehrere in den Sinn, bis sie in ihrem Zimmer war, aber so war es ja immer. Sie sah in den großen Spiegel. In London hatte dieser Hosenanzug so hell und elegant ausgesehen. Jetzt wirkte er auf einmal billig.

Was für einen Blödsinn man aus lauter Liebe macht, dachte Alice, als sie eine alte Cordhose, einen Army-Pullover und Gummistiefel heraussuchte, um sich umzuziehen.

Alice war nämlich die Sekretärin von Mr. Thomas Patterson-James. Mr. Patterson-James war der Chefbuchhalter von Baxter and Berry, Im- und Export. Er war vierundvierzig, dunkelhaarig, gut aussehend und … verheiratet. Alice liebte ihn leidenschaftlich.

Er neckte sie gern, wuschelte ihr durchs Haar und nannte sie »kleines Vorstadtfräulein«. Dann lächelte Alice ihn voller Bewunderung an und wünschte, sie könnte elegant und modisch sein.

Mr. Patterson-James ließ häufig Bemerkungen fallen, dass seine Ehe keine glückliche war. Und er beklagte sich, seinen Jahresurlaub stets in Schottland verbringen zu müssen, wogegen er rein gar nichts tun könnte.

Alice vermutete, dass jeder, der etwas auf sich hielt, im August nach Schottland reiste, um irgendwelche Tiere zu erlegen. Und wenn es keine Moorhühner waren, brachte man eben Lachse um.

So kam es, dass Alice, als sie einen Artikel über die Angelkurse in The Field las, prompt beschloss, dorthin zu fahren. Sie malte sich die verblüffte Bewunderung ihres Chefs aus, wenn sie ihm beiläufig von dem Zwanzigpfünder erzählte, den sie nach einem brutalen Kampf an Land gezogen hatte.

Alice war neunzehn Jahre alt. Sie hatte dichtes braunes Haar und weit auseinanderstehende braune Augen. Ihre schlanke, fast knabenhafte Figur war ihr ganzer Kummer.

Einmal hatte sie Mr. Patterson-James mit einer vollbusigen Blondine Arm in Arm gesehen und sich gefragt, ob das Mrs. Patterson-James war.

Hier wirkte es gar nicht mehr, als sei man noch in Großbritannien, fand Alice, als sie hinaus zum Loch sah, das im Sonnenschein glitzerte. Das Dorf war so winzig, und das von Heidekraut bedeckte Moor und die komisch gewundenen Berge schienen so wild, primitiv und weit.

Vielleicht würde sie noch einen Tag durchhalten und dann nach Hause fahren. Ob sie eine Rückerstattung bekommen würde? Alices schüchternes Gemüt heulte schon bei dem Gedanken daran auf, um eine Erstattung zu bitten. Sicher taten so etwas nur sehr gewöhnliche Leute.

Mr. Patterson-James bezeichnete ständig irgendwelche Leute als gewöhnlich.

Plötzlich vernahm sie laute Stimmen von unten. Dann konnte sie Mr. Marvin Roth laut und wütend sagen hören: »Wenn sie ihren gottverdammten Mund nicht hält, bringe ich sie zum Schweigen!«

Es folgte ein Türknallen, dann herrschte Stille.

Alice setzte sich aufs Bett, ein Bein in der Hose, das andere draußen. Ihre Vorstellung von Amerikanern entsprang größtenteils den Geschichten von P. G. Wodehouse. Männer, die wie Marvin aussahen, sollten nett und nachgiebig gegenüber ihren Frauen sein, selbst wenn sie ihren Schulabschluss in Sing Sing gemacht hatten. Würden sich denn alle bei diesem Kurs als unangenehme Zeitgenossen entpuppen? Und wer sollte überhaupt zum Schweigen gebracht werden? Lady Jane?

Jeremy Blythe schien sehr nett zu sein. Doch die Daphnes dieser Welt waren ja nie weit und allzeit auf dem Sprung, sich die netten Männer zu schnappen. Ob Mrs. Patterson-James wie Daphne aussah?

Nach dem Umziehen musterte Alice sich erneut im Spiegel. Die Cordhose schmiegte sich eng an ihre schmalen Hüften, der weite Pullover verbarg die Unzulänglichkeiten ihres Oberkörpers, und die Gummistiefel … nun ja, die waren halt Gummistiefel.

Sorgfältig setzte sie ihren brandneuen Anglerhut auf. Schließlich streckte Alice ihrem Spiegelbild die Zunge raus, verließ ihr Zimmer und ging die Treppe hinunter. Dabei murmelte sie vor sich hin: »Wenn es doof ist, reise ich ab.«

Zu ihrer Überraschung waren die anderen ganz ähnlich gekleidet wie sie, mit Ausnahme von Lady Jane, die einfach ihre Budapester gegen Gummistiefel getauscht, es aber bei der Kniebundhose und der Seidenbluse belassen hatte.

»Wir gehen jetzt gemeinsam hinauf zum Marag«, sagte John Cartwright. »Heather wird mit dem Wagen vorausfahren und die Angelruten sowie die Lunchpakete mitnehmen.«

Loch Marag, oder schlicht Marag, wie er von den Einheimischen genannt wurde, war Johns bevorzugter Übungssee. Der Marag war ein rundes Gewässer, umgeben von herrlichem Wald. An einem Ende gab es einen Ablauf, über den sich der See in einer Reihe von Wasserfällen in das Meeresloch von Lochdubh ergoss. In dem oberen Loch schwammen reichlich Forellen und auch einige Lachse.

Der Major zog vergnügt los, um oberhalb des Wasserfalls zu angeln, während sich der Rest der Gruppe mit den neuen Angeln auf der seichteren Seite versammelte und auf Anweisungen wartete. Anstelle eines Hakens wurden kleine Baumwollfetzen an den Enden der Vorfächer befestigt.

Und nun durften die Kursteilnehmer feststellen, dass Lady Jane nicht bloß unverschämt und angriffslustig war, sondern überdies unvorstellbar tollpatschig.

Obwohl der See nur einen kurzen Fußweg vom Hotel entfernt war, hatte Lady Jane darauf bestanden, in ihrem Wagen hinzufahren und am Ufer zu parken. Sie setzte vom Weg zurück auf das Gras und geradewegs in den Stapel der Proviantpäckchen.

Als Nächstes weigerte sie sich, Johns ausführlichen Anleitungen zu lauschen, und schwang stattdessen ihre Angelrute wild hin und her, worauf sich die Schnur an Marvin Roths Hals verfing und den Mann beinahe erdrosselte. Dann stapfte die massige Lady ins Wasser, übersah aber den kleinen Charlie Baxter und stieß ihn der Länge nach in den Schlamm.

Charlie brach in Tränen aus und trat Lady Jane gegen die Schienbeine, bis Heather ihm aufhalf und ihn wegzog.

»Ich bring sie um«, murmelte John. »Sie verdirbt allen die Ferien.«

»Aber, aber«, sagte Heather. »Ich kümmere mich um sie, du dich um die anderen.«

Alice lauschte aufmerksam, als John Cartwright mit nun leicht zittriger Stimme die Anleitungen wiederholte.