Agatha Raisin und der tote Friseur - M. C. Beaton - E-Book

Agatha Raisin und der tote Friseur E-Book

M.C. Beaton

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Beschreibung

Waschen, Schneiden, Töten - Agatha Raisins haarigster Fall

In den Cotswolds gilt Mr John als genialer Friseur, weshalb die Frauen bei ihm Schlange stehen. So auch Agatha Raisin. Denn der Selbstversuch, ihre (wenigen!) grauen Haare zu färben, ging gründlich schief. Gut, dass Mr John noch einen freien Termin hat. Und wie es scheint, findet der charmante Friseur nicht nur Agathas Haare reizvoll, sondern auch ihr Herz. Doch als Mr John vergiftet wird, endet ihre gemeinsame Zukunft, bevor sie überhaupt beginnen konnte. Ist der Täter eine Kundin des Friseurs? Der Verdacht liegt nah, meint Agatha und geht dem haarsträubenden Fall auf den Grund.

Band 8 der charmanten Krimireihe um die englische Detektivin Agatha Raisin von Bestsellerautorin M. C. Beaton.

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Seitenzahl: 260

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Inhalt

Cover

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Epilog

Über die Autorin

M.C. Beaton ist eines der zahlreichen Pseudonyme der schottischen Autorin Marion Chesney. Nachdem sie lange Zeit als Theaterkritikerin und Journalistin für verschiedene britische Zeitungen tätig war, beschloss sie, sich ganz der Schriftstellerei zu widmen. Mit ihren Krimi-Reihen um den schottischen Dorfpolizisten Hamish Macbeth und die englische Detektivin Agatha Raisin feiert sie bis heute große Erfolge in über 15 Ländern. M.C. Beaton lebt abwechselnd in Paris und in den Cotswolds.

M.C. BEATON

Agatha Raisin

und der tote Friseur

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Sabine Schilasky

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:Copyright © 1999 by M.C. BeatonPublished by Arrangement with Marion Chesney GibbonsTitel der englischen Originalausgabe: »Agatha Raisin and the Wizard of Evesham«Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.

Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, KölnLektorat: Judith MandtTextredaktion: Anke Pregler, RösrathTitelillustration: © Arndt Drechsler, RegensburgUmschlaggestaltung: Kirstin OsenauE-Book-Produktion: two-up, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-2960-5

www.bastei-entertainment.dewww.lesejury.de

Die Autorin dankt Marie Steele von Thomas Oliver, der wahren Zauberin von Evesham, für ihre Hilfe bei diesem Buch.

Eins

Es herrschte Tropenwetter, und das in England, genauer gesagt in Evesham in den Cotswolds. Agatha Raisin fuhr auf den Parkplatz am Merstow Green, schaltete Klimaanlage und Motor aus und machte sich bereit, in die suppige Hitze hinauszutreten, die ihr in dem Moment entgegenschlagen würde, in dem sie die Wagentür öffnete.

Wie so viele hatte auch Agatha all die Warnungen vor dem Treibhauseffekt bisher immer als Angstmacherei übergeschnappter Ökoterroristen abgetan. Doch in diesem August wechselten sich schwüle, drückende Tage mit monsunartigen nächtlichen Gewittern ab. Das war schon seltsam.

Agatha stöhnte, als sie aus dem Wagen stieg und zum Parkscheinautomaten ging. Was für ein höllischer Tag, um sich neue Strähnchen machen zu lassen!

Sie kehrte zu ihrem Wagen zurück, legte den Parkschein ins Fenster und beugte sich zum Seitenspiegel. Ihr Haar war nach wie vor dunkelbraun, neuerdings aber mit lila Strähnen dazwischen.

Nach ihrem »letzten Fall« war Agatha in eine leichte Depression verfallen. Mrs. Agatha Raisin betrachtete sich gern als eine Privatdetektivin in der Tradition namhafter fiktiver Figuren wie Poirot oder Lord Peter Wimsey. Sie war eine nicht ganz schlanke Frau mittleren Alters mit passablen Beinen, einem runden Gesicht und kleinen Bärenaugen, die misstrauisch in die Welt blickten. Auf ihr dichtes, schimmerndes braunes Haar war sie schon immer stolz gewesen.

Allerdings hatte sie in dieser Woche erstes Grau darin entdeckt, das plötzlich überall zu sprießen schien. Also hatte sie sich eine dieser Farbspülungen gekauft, und seither schimmerten besagte Stellen gräulich lila. »Gehen Sie zu Mr. John«, hatte Mrs. Bloxby ihr geraten, die Vikarsfrau. »Sein Salon ist in der High Street in Evesham, und er soll sehr gut sein. Angeblich ist er ein wahrer Zauberer, was das Haarfärben betrifft.«

Agatha hatte einen Termin gemacht, und so kam es, dass sie nun in Evesham war, rund zehn Meilen von ihrem Heimatdorf Carsely entfernt.

Zyniker behaupteten, Evesham sei vor allem für seine Bezieher von Sozialleistungen und seinen Spargel berühmt. Der Ort lag am Avon im Vale of Evesham, dem Garten Englands, der für seine Gärtnereien, Obstplantagen und natürlich den Spargel bekannt war. Trotzdem machte es den Eindruck einer heruntergekommenen Stadt. Obwohl die Einwohnerzahlen stiegen, schlossen immer mehr Läden, und die vernagelten Fenster wurden von ansässigen Künstlern bemalt, sodass die Kleinstadt bisweilen wie eine Ansammlung von Gemälden und Wohlfahrtsläden schien. Gebärfreudige Frauen, deren bevorzugte Garderobe aus Leggings und Schlabberblusen bestand, schoben Kinderwagen durch die Straßen. Wie die Kolumnistin und Fernsehberühmtheit Ann Robinson einst bemerkte, schien dieser Kleidungsstil offenbar zwangsläufig zu Kinderwagen und Babys zu gehören.

Agatha dachte manchmal, dass ein Großteil der Bekleidungsgeschäfte durchaus überlebensfähig gewesen wäre, hätten die Besitzer beizeiten einen Blick nach draußen geworfen und begriffen, dass sie vielleicht nicht nur Sachen bis Größe 40 anbieten sollten, sondern bis 46.

Sie steuerte direkt die High Street an, ohne die prächtigen alten Kirchen zu beachten. Agatha interessierte sich nicht für Geschichte, jedenfalls nicht so wie James Lacey, ihr Nachbar und die Liebe ihres Lebens. James war mal wieder auf Reisen, weit weg von seinem Cottage und der deprimierten und jetzt auch noch ergrauten Agatha.

Der Salon hieß schlicht Mr. John. Mrs. Bloxby hatte Agatha dringend empfohlen, einen Termin beim Besitzer persönlich zu machen.

Und dort war das Geschäft auch schon. In der flirrenden Hitze der High Street sah Agatha eine unscheinbare Ladenfront, an der Mr. John in geschwungenen Messinglettern über der Tür stand.

Agatha ging hinein. Keine Klimaanlage, war ja klar. Dies war England, und in der Erinnerung überwogen die kalten Sommer, also warum hätten die Hausbesitzer auf die Idee kommen sollen, Klimaanlagen einzubauen?

Eine Frau am Empfang hakte Agathas Namen in ihrem Buch ab und rief ein pickliges, dünnes Mädchen herbei, das Agatha zu ihrem Platz führte. Agatha bereute bereits, hergekommen zu sein. Sie trottete dem Mädchen hinterher, das versprach, Mr. John zu holen.

Mürrisch blickte Agatha in den großen Spiegel. Sie fühlte sich alt und unansehnlich.

Auf einmal erschien ein Mann hinter ihr im Spiegel, und eine angenehme Stimme sagte: »Guten Tag, Mrs. Raisin. Ich bin Mr. John.«

Agatha blinzelte. Mr. John war groß und sehr, sehr gut aussehend. Er hatte dichtes blondes Haar und strahlende Augen, die so blau wie die Schwingen eines Eisvogels waren. Sein Gesicht war leicht gebräunt.

»Nun, was haben wir hier?«, fragte er.

»Wir haben lila Haar«, antwortete Agatha schnippisch, denn vor seiner umwerfenden Erscheinung kam sie sich noch schäbiger vor.

»Das lässt sich leicht beheben. Möchten Sie auch gleich eine neue Frisur?«

Gewöhnlich trug Agatha ihr Haar kurz, hatte es jedoch in letzter Zeit ein ganzes Stück wachsen lassen. Wenn schon, denn schon, dachte sie. »Warum nicht?«

»Sie sind nicht von hier, oder?«, fragte Mr. John, während er die Haarfarbe mit starken, gepflegten Händen anrührte.

»Nein, ich bin aus London.« Agatha hatte nicht vor, Mr. John oder sonst jemandem von ihrer Kindheit im Armenviertel von Birmingham zu erzählen. »Ich hatte eine PR-Agentur, die ich verkauft habe, und bin dann nach Carsely gezogen.«

»Ein hübsches Dorf.«

»Ja, sehr nett.«

»Und wie gefällt es Ihrem Mann?«

»Mein Mann ist tot.«

Seine Hände schwebten reglos über Agathas Kopf. »Raisin. Raisin? Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor.«

»Sollte er auch. Mein Mann wurde ermordet.«

»Ach ja, jetzt erinnere ich mich! Wie furchtbar für Sie.«

»Ich bin darüber hinweg. Schließlich hatte ich ihn vorher jahrelang nicht mehr gesehen.«

»Tja, eine attraktive Frau wie Sie wird sicher nicht lange Single bleiben.«

»Das ist zweifellos nett gemeint, und bestimmt sagen Sie Ähnliches zu all Ihren Kundinnen«, entgegnete Agatha gereizt, »aber mir ist durchaus bewusst, wie ich aussehe.«

»Ach, aber ich habe ja auch noch nicht Ihr Haar gemacht. Wenn ich damit fertig bin, werden Sie die Kerle mit Knüppeln vertreiben müssen!«

Agatha musste lachen. »Sie sind sich Ihrer Fähigkeiten ja sehr sicher.«

»Dazu habe ich auch allen Grund.«

»Wenn Sie so gut sind, warum sind Sie dann in Evesham?«

»Warum nicht? Ich mag Evesham. Die Leute sind nett. Hier bin ich der König. In London wäre ich inmitten der ganzen Konkurrenz nur einer von vielen. So, fertig, jetzt lassen wir die Farbe einwirken. Ich stelle die Uhr. Sharon, einen Kaffee und einige Zeitschriften für Mrs. Raisin!«

Eine Frau war hereingekommen und saß nun auf dem Platz neben Agatha. »Noch mal nachfärben, Maggie?«, begrüßte Mr. John sie.

»Wenn Sie meinen«, sagte Maggie und blickte bewundernd zu ihm auf.

»Gefiel Ihrem Mann der neue Look?«

»Dem gefällt gar nichts an mir.« Maggies Stimme bekam einen quengelnden Unterton. »Nichts als Beleidigungen von morgens bis abends. Ich sage Ihnen, John, wenn Sie mich nicht immer wieder aufmuntern würden, hätte ich mich längst umgebracht.«

»Aber, aber. Sie werden sich gleich viel besser fühlen, wenn wir hier fertig sind.«

Während Agatha wartete, dass die Farbe einwirkte, und noch mehr Kundinnen behandelt wurden – einige von den Assistenten des Meisters –, staunte sie, wie viel Persönliches die Frauen beim Friseur von sich preisgaben.

Verstohlen beobachtete sie Mr. John, der mit geschmeidigen Bewegungen hin und her eilte. Sie bewunderte seinen athletischen Körper, das blonde Haar und seine unglaublich blauen Augen.

Und zum ersten Mal seit Wochen begann Agatha, sich wieder lebendig zu fühlen.

Die Uhr klingelte, und Agatha wurde zu einem Waschbecken geführt, wo man ihr die Farbe aus dem Haar spülte. Danach ging es zurück zu Mr. John, der damit begann, ihr das Haar auf Wickler zu drehen.

»Ich dachte, es wird geföhnt?«

»Ich werde Ihr Haar aufstecken … Agatha. Sie heißen doch Agatha, nicht?«

Ein weniger atemberaubend aussehender Friseur hätte hierauf zu hören bekommen, dass sie Mrs. Raisin hieß. Doch Agatha nickte nur.

»Sie werden es lieben.«

»Ich habe mein Haar noch nie aufgesteckt, sondern es bisher immer kurz getragen.«

Er schnalzte mit der Zunge. »Nur Frauen, die weniger von sich halten, als sie sollten, tragen ihr Haar kurz. Sehen Sie sich irgendeine beliebige Frau mit kurzem Haar an, und ich sage Ihnen, dass sie ein schlechtes Selbstwertgefühl hat. Aber wissen Sie was? Wenn Sie es nicht mögen, können wir immer noch schneiden.«

Skeptisch stimmte Agatha zu, obwohl sie bereits merkte, wie sie zu schwitzen begann. Wie konnte Mr. John so cool bleiben?

Ihr war, als säße sie seit Stunden unter der Trockenhaube, bis sie endlich gerettet und zu Mr. John zurückgebracht wurde.

Während er eifrig ihren Kopf bearbeitete, sah Agatha verzückt dabei zu, wie ihr neues Ich zum Vorschein kam. Ihr Haar war wieder glänzend und braun, aber am Hinterkopf zu einer Banane hochgesteckt, sodass ihr Gesicht schmaler wirkte. Agatha vergaß die Hitze und lächelte Mr. John voller Dankbarkeit an.

Erst als sie die High Street wieder hinunterging und ihr Spiegelbild in den Schaufenstern anblinzelte, fiel ihr ein, dass sie keinen Folgetermin gemacht hatte. Bisher hatte sie sich das Haar immer selbst gemacht und es nur gelegentlich schneiden lassen, wenn sie gerade in London war.

Zu Hause riss Agatha sämtliche Türen und Fenster auf, um ein wenig frische Luft hereinzulassen. Ihre beiden Kater huschten in den Garten, wo sie sich umgehend ins Gras warfen und lethargisch in der Sonne lagen.

Agatha blickte zu ihrem stummen Telefon hin. Als würde ihre Depression noch nicht reichen, klingelte das verdammte Ding einfach nie. Agathas Freund, Detective Sergeant Bill Wong, war im Urlaub; Sir Charles Fraith, mit dem sie in ein paar Fällen zu tun gehabt hatte, war irgendwo im Ausland; James Lacey steckte weiß Gott wo, und nicht mal ihr ehemaliger Mitarbeiter Roy Silver hielt es für nötig, sich bei ihr zu melden.

Dann erinnerte sie sich, dass an diesem Abend ein Treffen des Frauenvereins von Carsely stattfand. Das war eine gute Gelegenheit, ihre neue Frisur vorzuführen.

Mrs. Bloxby, bei der die Treffen stattfanden, hatte wegen der Hitze Stühle und Tische im Pfarrhausgarten aufgestellt.

Agathas Frisur stieß allgemein auf Bewunderung. »Wo waren Sie?«, fragte Mrs. Friendly, eine mollige, heitere Frau, die sich meistens ihrem Namen entsprechend verhielt. Sie war relativ neu im Dorf und galt als wohltuendes Gegenstück zu der ebenfalls kürzlich zugezogenen Mrs. Darry. Letztere knabberte gerade konzentriert an einem Kuchenstück, wobei sie an ein Kaninchen erinnerte.

»Bei Mr. John in Evesham«, antwortete Agatha.

Zu ihrer Verwunderung zog Mrs. Friendly eine Schnute wie ein beleidigtes Kleinkind. »Da würde ich nicht hingehen«, sagte die Frau mit gesenkter Stimme.

»Warum nicht?« Agatha starrte ungehörig lang auf Mrs. Friendlys Haar. Es war mausgrau und hing ihr strähnig um das gerötete Gesicht.

»Ach, nichts weiter«, murmelte Mrs. Friendly. »Man hört nur so Geschichten.«

»Über Mr. John?«

»Ja.«

»Was für Geschichten?«

»Ich muss noch mit Mrs. Bloxby sprechen«, wich Mrs. Friendly aus und entfernte sich.

Agatha blickte ihr achselzuckend nach. Miss Simms kam zu ihr, Carselys einzige ledige Mutter und zugleich die Schriftführerin des Frauenvereins. »Sie sehen richtig klasse aus, Mrs. Raisin!« Agatha hatte es längst aufgegeben, den anderen Mitgliedern das Du anzubieten. Sie alle schienen die altmodische Anrede mit dem Nachnamen zu mögen. Miss Simms trug sehr kurze Shorts, ein Neckholder-Top und ihre üblichen hohen Absätze. »Wo waren Sie?«

»Bei Mr. John in Evesham.«

»Ah, da bin ich auch mal hingegangen. Als ich Brautjungfer bei der Hochzeit meiner Schwester Glad war. Er hat mich unglaublich toll frisiert, aber ich mochte ihn nicht.«

»Wieso nicht?«

»Er war so furchtbar herablassend und ist immer um die reichen Kundinnen herumscharwenzelt.«

Agatha zuckte mit den Schultern. »Ist es nicht eigentlich egal, wie sympathisch ein Friseur ist?«

»Für mich nicht. Ich lasse mich ungern von jemandem anfassen, den ich nicht mag.«

Die Damen wurden zur Ruhe gerufen, denn die Sitzung begann. Die Mitglieder sollten ein Konzert im benachbarten Ancombe geben. Agatha stöhnte innerlich auf. Die Vorführungen des Frauenvereins waren wahrhaft furchtbar: lange Abende mit entsetzlichen Gesangsdarbietungen und schlechten Sketchen.

Mrs. Darry meldete sich zu Wort. Ihre Augen blitzten in ihrem Frettchengesicht. Sie hatte einen Tweedrock an, eine Bluse und eine Tweedjacke. Die Hitze schien sie gar nicht wahrzunehmen. »Warum meldet sich Mrs. Raisin nie freiwillig für irgendwas?«

»Warum tun Sie es nicht?«, konterte Agatha.

»Weil ich schon den Tee mache.«

»Ich habe kein Talent für die Bühne«, sagte Agatha.

Mrs. Darry kicherte schrill. »Haben die anderen auch nicht, doch das hält sie nicht ab, trotzdem aufzutreten.«

»Also das war unhöflich«, meldete sich Mrs. Bloxby.

Miss Simms, die sich bereit erklärt hatte, ihre Cher-Imitation aufzuführen, runzelte erbost die Stirn. »Neidische Kuh«, sagte sie.

»Sie können sich auch gern selbst den Tee machen.«

Für einen Moment herrschte Stille. Dann sagte Agatha: »Ich übernehme den Tee.«

»Gute Idee«, sagte Miss Simms.

Mrs. Darry stand auf. »Na, wenn Sie mich nicht brauchen, gehe ich eben nach Hause.«

Mit diesen Worten schritt sie durch den Garten davon.

Agatha biss sich auf die Unterlippe. Im Grunde wollte sie bei dieser Hitze keinen Haufen Weiber bedienen müssen.

Die dunkle Wolke ihrer Depression, die sich mit dem Friseurbesuch für einen Moment verflüchtigt hatte, senkte sich nun wieder über sie. Dies ist dein Leben, Agatha Raisin. Gefangen in einem Cotswolds-Dorf und teekochend für eine Schar langweiliger Frauen, abgeschnitten von allem, was spannend ist, von jedwedem Abenteuer.

Nach dem Treffen schleppte sich Agatha heim. Die Luft schien zu stehen.

Wieder öffnete sie alle Fenster im Cottage. Wieder sah sie ihr stilles Telefon an. Könnte jemand angerufen haben, solange sie weg war? Sie wählte die 1571 für den Anrufdienst. »Sie haben eine neue Nachricht«, sagte die Computerstimme. »Wollen Sie Ihre Nachricht abhören?«

»Selbstverständlich will ich das, dumme Kuh«, knurrte Agatha.

Zunächst war es still, dann sagte die elektronische Stimme: »Ich habe Sie nicht verstanden. Wollen Sie Ihre Nachricht abhören?«

»JA.«

Es folgte ein Klicken, bevor Sir Charles Fraith zu hören war. »Hallo, Aggie, Lust auf ein gemeinsames Dinner morgen?«

Agathas Stimmung hellte sich auf. Obwohl sie nach dem One-Night-Stand auf Zypern sauer gewesen war, weil ihm der Sex mit ihr wenig zu bedeuten schien, fand sie die Aussicht, zum Essen auszugehen und ihre neue Frisur dabei vorzuführen, ausgesprochen reizvoll.

Sie wählte Charles’ Nummer und sprach ihm aufs Band, dass er sie am kommenden Abend um acht abholen solle.

Ihre depressive Stimmung besserte sich wieder. Sie stieg die Treppe hinauf, nahm ein Bad und ging ins Bett. Ihr Haar ließ sie aufgesteckt, stellte jedoch fest, dass die Nadeln im Liegen pikten. Schließlich stand sie auf und zog sich doch noch alle Haarnadeln heraus, bevor sie sich wieder hinlegte. Die Nacht über wälzte sie sich unruhig hin und her, weil sie in der stickigen Hitze nicht schlafen konnte. Gegen zwei Uhr gewitterte es, doch der Regen brachte keine Abkühlung.

Als Agatha morgens aufstand, sah ihr Haar katastrophal aus: feuchtgeschwitzt und zerzaust vom vielen Herumwälzen.

Sobald der Friseursalon geöffnet hatte, rief sie dort an und bat um einen Termin bei Mr. John. »Tut mir leid, Mrs. Raisin«, sagte die Empfangsdame ein klein wenig überheblich. »Mr. John ist heute komplett ausgebucht.«

»Holen Sie ihn ans Telefon.«

»Wie bitte?«

»Ich sagte, holen Sie ihn ans Telefon … sofort!«

»Oh, na gut.«

»Agatha!«, meldete sich Mr. John, als wären sie alte Freunde.

»Ich habe eine Dinner-Verabredung, und meine Frisur ist ruiniert. Können Sie mich heute noch dazwischenschieben?«

»Natürlich will ich gerne helfen. Lassen Sie mich mal nachsehen. Das Buch, Josie!«

Papierrascheln war zu hören, dann kam Mr. John wieder ans Telefon. »Wir haben Ihr Haar gestern gewaschen, also könnte ich es einfach auf Wickler drehen und wieder aufstecken. Aber das geht nur um fünf.«

Agatha überlegte rasch. Damit hätte sie reichlich Zeit, sich frisieren zu lassen, nach Hause zu fahren und sich umzuziehen, bis Charles kam. »Wunderbar. Ich bin pünktlich da.«

Dann lief sie nach oben und riss die Türen ihres Kleiderschranks auf. Was sollte sie anziehen? Da war das kleine Schwarze, das sie seit Zypern nicht getragen hatte und das Charles gefallen hatte. Sie probierte es an. Es hing ihr etwas lose am Körper. Schon komisch, dass eine Depression bewirkte, was unzählige Diäten und sportliche Quälerei nicht schafften: Agatha hatte abgenommen.

Sie beschloss, nach Mircester zu fahren und sich etwas Neues zu kaufen.

Das Lenkrad versengte ihr fast die Hände, und sie war schon aus dem Dorf und auf der Fosse, bevor die Klimaanlage in Fahrt kam.

Mircester flirrte in der brüllenden Hitze, aber wenigstens fand Agatha mühelos einen Parkplatz. Anscheinend hatten eine Menge Leute entschieden, bei dem Wetter zu Hause zu bleiben. Agatha setzte ihre Sonnenbrille auf und blinzelte zum Himmel hinauf. Weit und breit war keine Wolke in Sicht. Sie machte sich auf den Weg zur Harris Street, die von dem großen Platz im Zentrum abging und in der es lauter teure Boutiquen gab.

Einen stickigen Laden nach dem anderen klapperte sie ab, bis sie das Gefühl hatte, keine weitere Anprobe mehr zu verkraften. Vielleicht sollte sie doch lieber eines ihrer alten Kleider anziehen. Die mochten alle zu weit sein, doch das könnte sich auch als günstig erweisen, denn garantiert war keines der Restaurants in der Gegend klimatisiert.

Agatha wollte schon aufgeben, als sie in eine Seitenstraße der Harris Street blickte, die hinunter zur Abtei führte, und feststellte, dass Wochenmarkt war. Sie würde sich ein paar frische Zutaten für einen Salat holen. Kaum hatte sie den Markt erreicht, bemerkte sie mehrere Stände mit sehr bunter Kleidung. An einem von ihnen fiel ihr ein Kleid auf. Es war aus dünner scharlachroter Baumwolle und mit weißen Lotusblüten gemustert. Der Schnitt war schlicht und fließend. Agatha befühlte den Stoff, als ein indischer Händler neben sie trat. »Hübsches Kleid«, sagte er.

Agatha zögerte einen Moment, bevor sie fragte: »Wie viel?«

»Vierzehn Pfund.«

Wieder zögerte sie. Das war sehr günstig. Allerdings könnte das Kleid furchtbar knittern oder sogar nach kürzester Zeit auseinanderfallen. Gleichzeitig war sie bereit gewesen, ein paar Hundert Pfund auszugeben. »Wissen Sie was?«, sagte der Händler lustlos. »Sie können es für zwölf haben.«

»Okay, ich nehme es.«

Er stopfte das Kleid in eine alte Plastiktüte.

»Heiß, nicht wahr?«, sagte Agatha, als sie ihm das Geld reichte.

»Ja, und sagen Sie mir nicht, ich sollte daran gewöhnt sein«, antwortete er mürrisch. »Ich bin in Birmingham geboren.«

Agatha hätte beinahe »Genau wie ich« gesagt, ließ es aber bleiben, da ihr ihre Herkunft peinlich war.

Zu Hause probierte sie das Kleid sofort an. Es sah sehr hübsch aus, und sobald sie eine dicke Goldkette umgelegt hatte, wirkte es tatsächlich recht teuer.

Nun zu Mr. John.

In Evesham schien es noch heißer zu sein als in Mircester. Agatha wünschte sich prompt, sie wäre bei ihrer alten, schlichten Frisur geblieben. Die bekam sie wenigstens selbst hin.

Aber hier war auch schon Mr. John, cool und gut aussehend wie immer. »Haben Sie eine Verabredung?«, fragte er.

»Ja.«

»Jemand Besonderes?«

Agatha konnte nicht umhin zu prahlen: »Könnte man sagen. Er ist ein Baronet.«

»Wie vornehm! Welcher Baronet denn?«

»Sir Charles Fraith.«

»Und woher kennen Sie ihn?«

Agatha wollte antworten: »Von einem Fall«, doch ihr stieß sauer auf, dass Mr. John sich anhörte, als könnte jemand wie Agatha Raisin niemanden mit einem Titel kennen. Deshalb sagte sie lässig: »Wir verkehren in denselben Kreisen.«

Und das stopft dir hoffentlich das Maul, dachte sie.

»Schade«, sagte er.

»Was ist schade?«

»Vielleicht finden Sie es ein bisschen aufdringlich, aber ich hatte schon überlegt, Sie mal zum Essen einzuladen.«

»Warum?«, fragte Agatha verblüfft.

»Sie sind eine sehr attraktive Frau.«

Und reich, dachte Agatha zynisch. Doch das änderte nichts daran, dass Mr. John mit seinen strahlend blauen Augen und dem blonden Haar überaus gut aussehend war. Falls James wiederkam und sah, wie sie mit Mr. John ausging, würde er vielleicht eifersüchtig werden. Womöglich würde er sich dann dazu hinreißen lassen, ihr heiser zu gestehen: »Ich habe dich immer geliebt, Agatha.«

»Entschuldigen Sie meine Offenheit.« Mr. John steckte eine Nadel an Agathas Hinterkopf fest, und ihr rosiger Traum zerplatzte wie eine bunte Seifenblase.

»Ein anderes Mal vielleicht«, sagte Agatha verhalten. »Ich denke darüber nach.«

Auf jeden Fall tat ihr die Einladung gut, und Mr. John war ein Zauberer, wenn es darum ging, ihr Haar elegant aussehen zu lassen.

Agatha ging hinaus zu ihrem Wagen, der im Halteverbot geparkt war. »Guck sich einer an, wo das Auto steht!«, zischte eine Frau neben Agatha.

Agatha drehte sich zu einer plumpen, altbacken gekleideten Frau mit dicken Brillengläsern um, die sie wütend anstarrte. Mit einem Schulterzucken ging Agatha zu ihrem Wagen und öffnete die Tür.

»Das ist Ihrer!«, rief die Frau entsetzt. »Wissen Sie nicht, dass hier Parken verboten ist?«

Agatha drehte sich erneut zu ihr um. »Ich behindere den Verkehr nicht und bin niemandem im Weg«, erwiderte sie ungerührt. »Noch weniger trifft mich irgendeine Schuld an der schwachsinnigen Parkplatzregelung in Evesham oder dem dämlichen Einbahnstraßensystem. Doch ich frage mich, wieso jemand wie Sie bei dieser Hitze draußen herumläuft und Autofahrer beschimpft. Gehen Sie nach Hause, trinken Sie einen Tee, und legen Sie die Füße hoch. Vor allem aber: Kümmern Sie sich um Ihren Kram!«

Ohne auf die wüsten Beleidigungen zu hören, die nun auf sie einprasselten, stieg Agatha in ihren Wagen und fuhr davon.

Charles kam pünktlich um acht Uhr und küsste Agatha sittsam auf die Wange. »Dein Haar gefällt mir, Aggie. Und das Kleid auch. Übrigens habe ich heute Nachmittag ein ganz ähnliches auf dem Markt in Mircester für meine Tante gekauft. Sie hat sich beschwert, dass sie nichts Luftiges anzuziehen hat.«

»Dieses hier stammt von Harrods«, log Agatha. »Das auf dem Markt muss eine billige Kopie gewesen sein.« Doch ihre Freude über ihr Aussehen hatte einen Dämpfer bekommen. »Wo essen wir?«

»Ich dachte, dass wir zum Little Chef fahren.« Little Chef war eine Kette, fast wie Howard Johnson’s in den Staaten – es gab anständiges Essen, war aber nichts Besonderes.

»Oh nein, ich gehe nicht zu einem Little Chef. Du bist geizig, Charles.«

»Ich mag das Essen dort«, verteidigte er sich. »Du willst sicher wieder so einen ausländischen Quatsch. Tja, gib mir einen Whisky, solange ich mir etwas anderes überlege.«

Agatha schenkte ihm einen Drink ein, und er setzte sich mit dem Glas in seinen kleinen, manikürten Händen auf einen Sessel. Agatha hatte keine Ahnung, wie alt er war. Er hatte weiche, feine Gesichtszüge, und anfangs hatte sie ihn auf Ende dreißig geschätzt. Später kam sie aber zu dem Schluss, dass er eher Mitte vierzig sein musste. Er trug ein Hemd, dessen oberste Knöpfe geöffnet waren, und hatte sein Jackett über eine Sessellehne geworfen.

»Ich hab’s«, sagte er. »Das Jolly Roger in Ancombe, der neue Pub.«

»Da war ich noch nicht, aber der Name schreckt mich eher ab.«

»Ein Freund von mir war neulich dort. Er sagte, das Essen sei gut. Außerdem gibt es einen Garten. Übrigens habe ich deinen Detective-Freund in Mircester gesehen. Wie heißt er noch gleich? Dieser Chinese.«

»Bill Wong. Aber der hat Urlaub!«

»Anscheinend verbringt er den zu Hause. Er hatte ein Mädchen am Arm.«

Und er hat mich nicht angerufen, dachte Agatha. Bill war ihr erster richtiger Freund überhaupt, denn die alte, knallharte Agatha war so mit ihrer Karriere und ihrem Erfolg beschäftigt gewesen, dass sie nie die Zeit gefunden hatte, sich mit Leuten anzufreunden. Sie spürte, wie die schwarzen Wolken ihrer depressiven Verstimmung wieder am Horizont auftauchten.

Sie fuhren nach Ancombe und parkten vor dem Jolly Roger, dem ehemaligen Green Man. Für Agatha schrie förmlich alles: »Schlechtes Essen!« – die Fischernetze, die Wandgemälde mit Piraten darauf und die Bedienung in Ringelshirt, Kniebundhose und »silberner« Gürtelschnalle aus Plastik. Charles führte Agatha durch das Restaurant in den Garten, wo es immerhin ein klein wenig kühler war als drinnen. Ein grobschlächtiger Kellner, der sich als Henry vorstellte, reichte ihnen zwei große grellbunte Speisekarten.

»Oh Mist«, knurrte Agatha. »Hör dir das an. Captain Hooks sagenhafter Kartoffeldip. Oder wie wäre es mit Barbary-Coast-Chicken mit brutzelnden Long-John-Maisrösti?«

Henry, der Kellner, wartete. Agatha sah ihn mürrisch an. »Verschwinden Sie einfach, und lassen Sie das Zappeln und Grinsen. Wir rufen Sie, wenn wir so weit sind.«

»Also ehrlich, das gibt es ja wohl nicht!« Henry warf den Kopf in den Nacken.

»Dass Sie Ihre Unschuld noch nicht verloren haben, ist nicht mein Problem. Gehen Sie.«

»Du hast ihn gekränkt, Aggie«, sagte Charles.

»Egal«, murmelte Agatha. Bill hatte sie nicht mal angerufen. »Was nimmst du?«

»Ich nehme das Ganztagsfrühstück. Das Dead-Eye-Dick-Spezial, und hoffentlich gibt es dazu reichlich Pommes.«

»Keine Vorspeise? Ach, meinetwegen. Ich nehme einen Schinkensalat.«

»Garantiert gibt es hier nichts, das einfach Schinkensalat heißt.«

»Nein, die nennen das South-Sea-Roast-Pig, in Streifen geschnitten und auf knackigem Salat mit Hard-Tack-Croûtons.«

»Ach so. Wein?«

»Warum nicht?«

Charles winkte dem Kellner und bestellte ihr Essen sowie eine Karaffe vom Hauswein.

»Bin ich dir keinen guten Jahrgang wert?«, fragte Agatha.

»Ich glaube, das können wir uns in so einem Lokal sparen.«

»Und warum bringst du mich dann hierher?«

»Gott, bist du heute Abend mies drauf, Agatha. Gehe ich recht in der Annahme, dass James mal wieder verschwunden ist?«

»Ja, er treibt sich irgendwo herum.«

»Und hat sich nicht mal vorher verabschiedet? Das sehe ich dir doch an.«

»Männer sind so unreif.«

»Den Satz knallt ihr uns dauernd an den Kopf.«

»Weil es stimmt.«

»Diese Eigenschaft ist nun mal ein wesentlicher Bestandteil des maskulinen Naturells. Und dieses wiederum befähigt uns, von Großem zu träumen und es auch zu verwirklichen. Hast du dich noch nie gefragt, warum alle genialen Erfinder Männer sind?«

»Weil die Frauen nie eine Chance hatten.«

»Falsch. Frauen sind pragmatisch. Das müssen sie sein, um Kinder großzuziehen. Lass es mich mit einer Geschichte veranschaulichen.« Er stützte das Kinn in seine Hände und blickte sie verträumt an.

»Ein junger Bursche geht an die Cambridge University. Die Mädchen dort machen ihm Angst, und sie interessieren sich sowieso nur für die Supersportler, während er mehr der Wissenschaftlertyp ist. Also verliebt er sich in eine niedliche kleine Bedienung aus einer Bar, schwängert sie und heiratet sie. Er macht einen Glanzabschluss in Physik, aber weil er seine neue Familie ernähren muss, nimmt er einen Job bei einer Versicherung an, und dort steckt er nun bis zum Hals in Hypotheken- und Autoraten fest, während die Frau Zwillinge bekommt. Einige Jahre vergehen, und er fängt an, jedes Wochenende in seinem Gartenschuppen zu verbringen. Die Frau fängt an zu jammern und beschwert sich. ›Wir sehen dich nie. Sharon und Tracey vermissen ihren Dad. Was machst du eigentlich da drin?‹ Schließlich erzählt er es ihr. Er baut eine Zeitmaschine. Es bricht die Hölle los. ›Kann man mit dem Ding vielleicht die Rechnungen bezahlen?‹, wütet die Frau. Die Jones nebenan hätten eine neue Tiefkühltruhe. Wann bekämen sie so etwas? Und so weiter. Also schließt er sich in seinem Schuppen ein und hämmert weiter vor sich hin, während sie draußen keift. Er baut seine Zeitmaschine, wird Milliardär und läuft mit der Kleinen aus dem Büro weg, der einzigen Frau, die ihn wirklich versteht. Und das tut sie tatsächlich, auch wenn sie kein Wort von dem kapiert hat, was er erzählt hat. Sie findet es aber auch spannend, etwas mit einem verheirateten Mann zu haben. Er lässt sich von seiner Frau scheiden, heiratet die Kleine aus dem Büro, und ihr steigt das Geld zu Kopf. Sie dreht völlig ab, brennt mit einem Rennfahrer durch, und alle leben unglücklich bis an ihr seliges Ende. Die Moral von der Geschichte ist, dass Männer und Frauen unterschiedlich sind und anfangen sollten, diese Unterschiede zu akzeptieren.«

Agatha lachte. »Hätte er nicht in seiner Zeitmaschine verschwinden können?«

»Natürlich nicht. Er bekam die Milliarden, damit er sie zerstört. Es darf ja nicht sein, dass die Leute durch die Jahrhunderte zischen und die Geschichte durcheinanderbringen.«

»Ich kann mich einfach nicht entscheiden, ob du ein Chauvinist bist oder einfach nur witzig.«

»Ich bin nie witzig. Sieh dir doch die Falten auf meiner Stirn an, Aggie. Die kommen vom vielen Nachdenken. Also, was ist mit dir? Keine saftigen Morde?«

»Nichts. Meine Tage als Detektivin sind vorbei.«

»Tja, ich hätte gedacht, dass Zypern deinen Bedarf an Mord und Totschlag endgültig gedeckt hat.«

Zypern. Wo sie eine Nacht mit Charles verbracht hatte, was James herausfand, und danach war nichts mehr wie zuvor gewesen. Nicht mal sich selbst wollte Agatha eingestehen, dass ihre Beziehung zu James damals schon zu Ende gewesen war.

Charles sah, wie sich ein Schatten über Agathas Züge legte, und sagte sanft: »Es hätte nicht funktioniert, Aggie. James ist ein Zwanzig-Prozent-Mensch.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Ich erkläre es dir. Du bist ein Fünfundachtzig-Prozent-Mensch, und James gibt nur zwanzig Prozent von sich. Es ist keine Frage des Nicht-Wollens, sondern eine des Nicht-Könnens. Viele Männer sind so, aber das werden Frauen nie verstehen. Sie geben immer weiter und denken, wenn sie mit einem Zwanzig-Prozent-Mann ins Bett steigen und ihm ihre letzten fünfzehn Prozent geben, wachen sie am nächsten Morgen wie durch Zauberei neben einem Hundert-Prozent-Mann auf. Irrtum. Es grenzt schon an ein Wunder, wenn sie überhaupt neben ihm aufwachen. Wahrscheinlich finden sie eher einen Zettel auf dem Kopfkissen, auf dem steht: Musste nach Hause, den Hund füttern, oder etwas in der Art.«

Agatha erinnerte sich an die Morgen mit James, an denen er immer vor ihr aufgestanden war, ohne Agatha auch bloß zu umarmen oder zu küssen, und die Nacht zuvor mit keinem Wort erwähnte.

»Vielleicht bin ich einfach die falsche Frau für ihn«, sagte sie.

»Vertrau mir, Schätzchen, für James ist jede Frau die Falsche.«

»Eventuell wäre ich mit den zwanzig Prozent zufrieden gewesen.«

»Lügnerin. Hier kommt unser Essen.«

Zu Agathas Überraschung war der Schinken köstlich und der Salat frisch und knackig.

»Dann wollen wir nie wieder ermitteln?«, fragte Charles, während er sich Ketchup auf seine Pommes frites goss.

»Ich kann nicht herumlaufen und Leichen finden, nur um mein Leben aufzupeppen.«

»Und keine PR-Arbeit mehr?«

»Keine. Ich werde meine ganze Kraft und Energie auf das Produzieren von Tee und Kuchen für den Frauenverein von Ancombe konzentrieren.«

»Damit wirst du dich nicht unbedingt beliebter machen. Keine neuen Männer in Sicht?«

»Doch, ein sehr gut aussehender Mann sogar.«

»Wer?«

»Mein Friseur.«

»Ah, ihm verdanken wir wohl deine neue Eleganz.«

»Genau.«

»Friseure sind wankelmütig. Ich erinnere mich … ach, egal.«

»Was ist mit deinem Liebesleben, Charles?«

»Das existiert momentan nicht.«

Für den Rest des Essens hingen sie ihren Abenteuern auf Zypern nach, dann fuhr Charles sie nach Hause.

»Bleibe ich über Nacht?«, fragte Charles, als sie vor Agathas Haustür standen.

»Nein. Ich halte nichts von beiläufigem Sex.«

»Wer sagt, dass er beiläufig sein muss?«

»Charles, du hast mir auf Zypern klar zu verstehen gegeben, dass ich für dich lediglich ein Zeitvertreib bin. Ist dir schon mal der Gedanke gekommen, dass du ebenfalls ein Zwanzig-Prozent-Mann sein könntest?«