Agatha Raisin und die tote Urlauberin - M. C. Beaton - E-Book + Hörbuch

Agatha Raisin und die tote Urlauberin Hörbuch

M.C. Beaton

3,9

Beschreibung

Mord ist ihr Hobby - Agatha Raisins 6. Fall

Agatha Raisin ist fassungslos: Ihr Verlobter James hat sich einfach aus dem Staub gemacht. Nach Zypern. Dorthin, wo sie die Flitterwochen verbringen wollten. Eigentlich. Bevor er die Hochzeit platzen ließ. Doch Agatha wäre nicht Agatha, wenn sie tatenlos zusehen würde, wie ihr Glück den Bach runtergeht. Beherzt packt sie ihre Koffer und reist James hinterher. Doch Agathas Traum von der romantischen Versöhnung unter mediterraner Sonne ist schnell ausgeträumt: Kaum gelandet, muss sie sich mit englischen Urlaubern und einem Mörder rumschlagen, der es auf ebendiese abgesehen hat ...

Der sechste Band der charmanten Krimireihe um die englische Detektivin Agatha Raisin von Bestsellerautorin M.C. Beaton.

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Zeit:4 Std. 59 min

Sprecher:Julia Fischer
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Inhalt

Cover

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Über die Autorin

M.C. Beaton ist eines der zahlreichen Pseudonyme der schottischen Autorin Marion Chesney. Nachdem sie lange Zeit als Theaterkritikerin und Journalistin für verschiedene britische Zeitungen tätig war, beschloss sie, sich ganz der Schriftstellerei zu widmen. Mit ihren Krimi-Reihen um den schottischen Dorfpolizisten Hamish Macbeth und die englische Detektivin Agatha Raisin feiert sie bis heute große Erfolge in über 15 Ländern. M.C. Beaton lebt und arbeitet in einem Cottage in den Cotswolds.

M.C. BEATON

Agatha Raisin

und die tote Urlauberin

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Sabine Schilasky

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe: Copyright © 1997 by M.C. Beaton Published by Arrangement with Marion Chesney Gibbons Titel der englischen Originalausgabe: »Agatha Raisin and the Terrible Tourist«

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.

Für die deutschsprachige Ausgabe: Copyright © 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln Lektorat: Judith Mandt Textredaktion: Anke Pregler, Rösrath Titelillustration: © Arndt Drechsler, Regensburg Umschlaggestaltung: Thomas Krämer Datenkonvertierung E-Book: two-up, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-1466-3

www.bastei-entertainment.dewww.lesejury.de

In Liebe für Jackie und Bilal, Emine und Altay

Eins

Agatha Raisin war eine verwirrte und unglückliche Frau. Die Hochzeit mit ihrem Nachbarn James Lacey war durch das Auftauchen eines Ehemannes geplatzt, von dem Agatha geglaubt, nein, gehofft hatte, er wäre längst tot. Leider war er recht lebendig gewesen, das heißt: Bis er ermordet wurde. Dann hatte Agatha gedacht, wenn sie und James den Mord aufklärten, könnte sie das einander wieder näherbringen. Aber James war nach Zzypern entschwunden. Er hatte sie verlassen.

Und auch wenn sich das Leben in dem Cotswolds-Dorf Carsely anschließend wieder entspannter gestaltete, steckte in Agatha nach wie vor eine abgebrühte, ungeduldige Geschäftsfrau. Es ließ sich nun einmal nicht ganz abschütteln, dass sie einst ihre eigene PR-Agentur in Mayfair geleitet hatte, bevor sie verkaufte, um einen frühen Ruhestand auf dem Lande zu genießen. Und ebenjene Geschäftsfrau war nun wild entschlossen, James zurückzugewinnen.

Agatha wusste, dass Zypern in einen türkischen Teil im Norden und einen griechischen im Süden unterteilt war. James war irgendwo im Nordteil, wo Agatha ihn suchen und dazu bringen würde, sie wieder zu lieben.

Eigentlich hätten sie ihre Flitterwochen in Nordzypern verbringen wollen, weshalb Agatha in weniger warmherzigen Momenten fand, dass es reichlich gefühllos und roh von James war, allein dorthin zu reisen.

Als die Vikarsfrau Mrs. Bloxby vorbeikam, stand Agatha inmitten von Stapeln bunter Sommerkleidung.

»Wollen Sie das alles mitnehmen?«, fragte Mrs. Bloxby und strich sich eine graue Strähne aus dem Gesicht.

»Ich weiß nicht, wie lange ich bleibe«, antwortete Agatha. »Da bin ich lieber vorbereitet.«

Mrs. Bloxby betrachtete sie skeptisch. »Sind Sie sicher, dass Sie das Richtige tun? Männer mögen es im Allgemeinen nicht, wenn man ihnen nachjagt.«

»Und wie kriegt man dann einen?«, fragte Agatha verärgert. Sie nahm einen Badeanzug in Schwarz und Gold in die Hand und beäugte ihn kritisch.

»Was James Lacey betrifft, habe ich ohnehin meine Zweifel«, sagte Mrs. Bloxby in ihrer stets sanften Art. »Mir kommt er immer recht kalt und unnahbar vor.«

»Weil Sie ihn nicht kennen«, konterte Agatha. Sie dachte an ihre Nächte mit James, die mal wild und aufregend gewesen waren, dann wieder still und ohne ein Wort von Liebe. »Wie dem auch sei, ich brauche Urlaub.«

»Bleiben Sie nicht zu lange fort. Sie werden uns vermissen.«

»Was gibt es in Carsely schon zu vermissen? Den Frauenverein? Die Kirchenfeste? Gähn!«

»Das ist ein bisschen brutal, Agatha. Ich dachte, Ihnen machen diese Dinge Spaß.«

Nein, für Agatha war Carsely ohne James ein öder Ort, der vor Langeweile strotzte.

»Von wo fliegen Sie?«

»Vom Flughafen Stansted in Essex.«

»Und wie kommen Sie dahin?«

»Ich fahre und lasse den Wagen im Langzeitparkhaus.«

»Das wird Sie aber doch ein Vermögen kosten, wenn Sie tatsächlich länger bleiben. Soll ich Sie nicht fahren?«

Agatha verneinte stumm. Sie wollte das verschlafene Carsely mit seinen gutmütigen Bewohnern, den Reetdach-Cottages und allem, was dazugehörte, möglichst schnell weit hinter sich lassen.

Es klingelte. Agatha öffnete die Tür, und Detective Sergeant Bill Wong kam herein. Er blickte sich um.

»Sie wollen also wirklich fort?«, fragte er.

»Ja, und versuchen Sie gar nicht erst, mich aufzuhalten, Bill.«

»Ich glaube nicht, dass Lacey diese Mühe wert ist.«

»Mag sein, aber es ist mein Leben.«

Bill grinste. Er war halb Chinese, halb Engländer, Mitte zwanzig und Agathas erster echter Freund überhaupt, denn ehe sie in die Cotswolds zog, hatte sie in einer harten Welt gelebt, in der Freundschaften nicht existierten.

»Na gut, wenn Sie unbedingt reisen wollen. Können Sie mir eine Schachtel türkisches Geleekonfekt für meine Mutter mitbringen?«

»Klar.«

»Sie sagt, dass Sie unbedingt zum Essen vorbeikommen müssen, wenn Sie wieder da sind.«

Agatha hatte Mühe, sich nicht zu schütteln. Mrs. Wong war eine furchtbare Frau und eine lausige Köchin.

Sie ging in die Küche, um Kaffee aufzusetzen und Kuchen zu schneiden. Bald saßen sie alle dort am Tisch und tauschten den neuesten Klatsch aus. Dabei geriet Agathas Entschlossenheit tatsächlich ins Wanken. Sie stellte sich plötzlich vor, wie James Laceys Züge kalt und hart werden würden, wenn er sie wiedersah. Energisch verdrängte sie das Bild aus ihrem Kopf.

Sie würde nach Zypern fliegen, basta!

Nachdem Agatha schon häufiger das wimmelnde Chaos von Heathrow ertragen hatte, empfand sie den Flughafen Stansted als wahre Wohltat. Sie stellte erfreut fest, dass sie nicht nur in der Abflughalle, sondern auch am Gate rauchen durfte. Außer ihr hatten sich nur wenige britische Touristen und ein paar Engländer eingefunden, die dauerhaft auf Zypern lebten. Letztere erkannte man an ihrer Kleidung: Die Frauen trugen bedruckte Kleider, die Männer leichte Anzüge oder Blazer mit der unvermeidlichen Krawatte. Und alle sprachen sie in diesem gequetschten Kolonialherrenton. Bei Cyprus Turkish Airlines schien sich das britische Empire noch bester Gesundheit zu erfreuen.

Am Gate hörte Agatha vor allem türkische Stimmen um sich herum, und die Passagiere hatten Berge von Gepäck bei sich.

Ihr Flug wurde aufgerufen, und diejenigen, die Rauchersitze gebucht hatten, sollten als Erste an Bord gehen. Mit einem erleichterten Seufzer machte sich Agatha auf den Weg ins Flugzeug. Nun gab es kein Zurück mehr.

Wenig später stieg die Maschine in den grauen, verregneten Himmel über den flachen Feldern von Essex auf, und alle an Bord applaudierten begeistert. Agatha fragte sich, warum. Wussten die anderen Passagiere etwas, was sie nicht wusste? War es ungewöhnlich, dass die Flugzeuge dieser Airline überhaupt abhoben?

Kaum war das Fahrwerk eingeklappt und die No Smoking-Zeichen erloschen, wurde Agatha von einer Wolke aus Zigarettenqualm eingehüllt. Sie hatte einen Fensterplatz neben einer fülligen Zyprerin, die ihr hin und wieder ein breites Lächeln zuwarf. Agatha nahm ihr Buch hervor und begann zu lesen.

Dann, als das Flugzeug über Izmir im Westen der Türkei in den Sinkflug ging, wo die Maschine für eine Stunde zwischenlanden sollte, gerieten sie in heftige Turbulenzen. Die Stewardessen klammerten sich an die Servierwagen, die bedenklich schwankten, und Agatha begann stumm zu beten. Die übrigen Passagiere wirkten indes kein bisschen beunruhigt. Sie legten ihre Gurte an, während sie sich angeregt weiter auf Türkisch unterhielten. Die britischen Auswanderer schienen das Gerüttel gewohnt, und die wenigen anderen Touristen neben Agatha gaben sich alle Mühe, das britische Image nicht irreparabel zu beschädigen, indem sie Furcht zeigten.

Als Agatha bereits damit rechnete, dass die Maschine jeden Moment auseinanderbrechen würde, tauchten die Lichter von Izmir unter ihnen auf, und kurz darauf landeten sie. Wieder applaudierten alle, und diesmal klatschte Agatha mit.

»Das war beängstigend«, sagte sie zu der Frau neben sich.

»Aber das war doch spaßig, meine Liebe«, erwiderte die Frau, deren englischer Akzent nach Londons East End klang. »In Disney World müssen Sie dafür viel Geld bezahlen.«

Eine Stunde später hoben sie wieder ab. Zwischen der Türkei und Zypern wurden hartes, quadratisches Brot und Ziegenkäse serviert, der aussah, als wäre er von einer Maschine gestanzt worden. Zum Herunterspülen gab es Sauerkirschsaft.

Agatha spürte, wie das Flugzeug wieder tiefer sank, gefolgt von noch mehr Turbulenzen, die nun von einem Gewitter herrührten. Die Maschine ruckelte und schaukelte heftig, und beim Blick aus dem Fenster hatte Agatha den furchterregenden Eindruck, das ganze Flugzeug wäre in blaue Blitze gehüllt. Wieder mal plapperten, lächelten und rauchten die anderen weiter, als wäre nichts.

Agatha konnte nicht stillhalten. »Bei diesem Wetter sollte der Pilot lieber nicht zu landen versuchen«, sagte sie zu der Frau neben sich.

»Ach, die landen bei jedem Wetter. Der Pilot ist Türke, und die sind gut!«

»Meine Damen und Herren«, sagte eine beruhigende Stimme über Lautsprecher. »Wir werden in Kürze den Flughafen Ercan erreichen.«

Abermals brandete nach der Landung Applaus auf. Agatha sah nach draußen. Es hatte eindeutig geregnet. Sie ging nach hinten und auf die Gangway, die nicht richtig an dem Flugzeug befestigt war, sodass sie gefährlich ausschwenkte und wippte.

Nach Hause zurück werde ich schwimmen, dachte Agatha.

Erst als sie auf dem Asphalt unten angekommen war, fiel ihr die Bruthitze auf. Als würde man sich durch warme Suppe bewegen. Erschöpft marschierte Agatha zum Gebäude, wobei sie sich sehr an einen Militärflughafen erinnert fühlte. Tatsächlich hatte der Flugplatz bis 1975 der Royal Air Force gehört, und seither hatte man so gut wie nichts verändert.

Agatha wartete in der langen Schlange vor der Passkontrolle. Viele türkische Zyprer hatten britische Pässe, und ihre Sitznachbarin aus dem Flugzeug riet Agatha: »Fragen Sie nach einem Formular. Lassen Sie die nichts in Ihren Pass stempeln.«

»Warum nicht?« Agatha drehte sich zu ihr um.

»Weil Sie nicht nach Griechenland einreisen dürfen, wenn Sie einen von unseren Stempeln in Ihrem Pass haben. Aber die geben Ihnen auch ein Formular mit einem Stempel, das Sie später einfach wieder aus dem Pass nehmen können.«

Agatha dankte ihr für den Hinweis, ließ sich das Formular geben, füllte es aus und ging zur Gepäckausgabe. Wo sie wartete.

Und wartete.

»Was ist denn hier los?«, fragte sie verärgert.

Niemand antwortete, allerdings lächelten einige Leute munter. Sie unterhielten sich, rauchten und umarmten einander.

Die ungeduldige, herrschsüchtige Agatha Raisin war offenbar beim langmütigsten Völkchen der Welt gelandet.

Bis das Gepäck angekommen war, Agatha ihre beiden riesigen Koffer auf einen Gepäckwagen geladen und sich durch die Zollkontrolle gearbeitet hatte, war sie schweißgebadet und zitterte vor Erschöpfung.

Sie hatte ein Zimmer im Hotel Dome in Kyrenia gebucht und von England aus telefonisch angewiesen, dass man ihr von dort ein Taxi zum Flughafen schickte.

Zunächst blickte sie sich in der Menge der Wartenden um und glaubte schon, es wäre niemand gekommen, um sie abzuholen. Dann sah sie einen Mann, der ein Pappschild mit der Aufschrift Mrs. Rashin in die Höhe hielt.

»Dome Hotel?«, fragte sie ihn wenig hoffnungsvoll.

»Sicher«, antwortete der Taxifahrer. »Kein Problem.«

Agatha fragte sich, ob nun womöglich eine Mrs. Rashin nach ihrem Taxi suchte, war jedoch zu müde, als dass es sie ernsthaft kümmerte.

Dankbar sank sie auf die Rückbank des Taxis, und im nächsten Moment rauschte auch schon die tiefschwarze Nacht hinter den beschlagenen Fenstern an ihr vorbei. Das Taxi bog von einer Schnellstraße, fuhr durch mehrere Militärabsperrungen und schließlich einen steilen Berg hinauf. Schroffe Felsen ragten in den Nachthimmel.

Dann sagte der Fahrer: »Kyrenia«, und tatsächlich sah Agatha weit unter sich zur Rechten die blinkenden Lichter einer Stadt. Irgendwo dort war James Lacey.

Das Hotel war ein großer Bau am Hafen von Kyrenia, das die Türken Girne nannten. Das Gebäude hatte schon bessere Tage gesehen, und der koloniale Prunk wirkte arg angekratzt. Trotzdem hatte das Dome etwas. Agatha checkte ein und ließ ihr Gepäck aufs Zimmer bringen. Dort schaltete sie die Klimaanlage ein, nahm ein Bad und machte sich fürs Bett bereit. Zum Auspacken war sie viel zu müde.

Also legte sie sich direkt hin. Doch so erschlagen sie auch war, konnte sie nicht einschlafen. Sie wälzte sich hin und her, und schließlich stand sie wieder auf.

Missmutig tastete Agatha nach den Vorhängen, zog sie zurück, öffnete die Läden und dann die Balkontür.

Dann trat sie hinaus auf den Balkon, und ihre Wut verflog. Vor ihr erstreckte sich das Mittelmeer ruhig und friedlich, vom Mond in silbriges Licht getaucht. Die Luft roch nach Jasmin und Salzwasser. Agatha stützte die Hände auf die schmiedeeiserne Balkonbrüstung und atmete tief ein. Unter ihr schlugen leichte Wellen gegen die Felsen, und zu ihrer Linken war ein Meerwasser-Swimmingpool in den Fels geschlagen.

Als sie wieder in ihr Zimmer ging, bemerkte sie schmerzhafte, juckende Stiche an Hals und Armen. Mücken! Sie wühlte in ihrem Koffer nach der Creme gegen Insektenstiche und trug sie großzügig auf. Anschließend machte sie die Tür und die Läden wieder zu und legte sich zurück ins Bett.

Sie rief bei der Rezeption an.

»Efendim?«, meldete sich eine müde Stimme.

»In meinem Zimmer ist eine Mücke«, beschwerte sich Agatha.

»Efendim?«

»Ach, egal«, knurrte Agatha.

Trotz der summenden Mücke und ihrer Furcht vor weiteren Stichen – schließlich wollte sie nicht riskieren, dass sie James traf, mit ihm schwimmen ging und voller hässlicher Sprenkel war – fielen Agatha die Augen zu.

Da klopfte es an der Tür. »Herein!«, rief sie.

Ein mit einer Fliegenklatsche bewehrter Hoteldiener trat ein. Seine schwarzen Augen suchten den Raum ab, wobei er entschlossen seine Fliegenklatsche schwang.

»Ist weg«, verkündete er strahlend.

Agatha bedankte sich und gab ihm ein Trinkgeld.

Wieder im Bett, dämmerte sie geradewegs in einen Albtraum hinein, in dem sie unablässig versuchte, nach Nordzypern zu gelangen, ihr Flugzeug jedoch nach Hongkong umgeleitet wurde.

Als sie morgens aufwachte, überkam sie freudige Erleichterung. Sie war hier, in Zypern, und irgendwo da draußen in der nach Jasmin duftenden Welt war James.

Agatha zog sich ein elegantes Blümchenkleid an und ging nach unten zum Frühstück. Vom Speisesaal aus blickte man aufs Meer.

Es wohnten viele israelische Touristen im Hotel, was Agatha wunderte, denn sie wusste, dass sie sich in einem muslimischen Staat befand. Sie hatte ja keine Ahnung, dass die türkischen Muslime das Judentum sehr bewunderten. Es gab auch einige Touristen aus der Türkei, wie Agatha später herausfand, als sie gelernt hatte, die Festlandtürken von den türkischen Zyprern zu unterscheiden. Die britischen Touristen hingegen waren sofort an ihrer Kleidung, den weißen Gesichtern und dem merkwürdig resoluten Blick zu erkennen, den Briten im Ausland immer aufzusetzen schienen.

Im künstlich heruntergekühlten Restaurant bediente Agatha sich an einem eigenwilligen Büfett, das hauptsächlich schwarze Oliven und Ziegenkäse bot, bevor sie sich auf die Suche nach James begab.

Unweigerlich stöhnte sie auf, als sie die Hitze vor dem Hotel wie ein Schlag mit der Keule traf. Und als Britin, die sie nun einmal durch und durch war, musste sie sich natürlich gleich bei jemandem darüber beschweren. Also ging sie wieder ins Hotel und zur Rezeption.

»Ist es hier immer so heiß?«, fragte sie verärgert. »Es ist September. Der Sommer ist vorbei!«

»Dies ist der heißeste September seit fünfzig Jahren«, klärte sie der Mann am Empfang auf.

»In dieser Affenhitze kann ich mich nicht bewegen!«

Er zuckte mit den Schultern. Wie Agatha erst nach und nach begreifen sollte, war türkisches Hotelpersonal nicht gerade bekannt für überbordende Freundlichkeit oder gar Unterwürfigkeit, zumindest nicht in diesem Hotel.

»Warum gehen Sie nicht segeln?«, fragte er. »Sie können ein Boot am Hafen mieten. Es ist kälter auf dem Wasser.«

»Ich will keine Zeit verschwenden«, sagte Agatha. »Ich suche nach jemandem. Er heißt Mr. James Lacey. Wohnt er zufällig hier?«

Der Mann sah in seinen Unterlagen nach.

»Nein.«

»Können Sie mir eine Liste aller Hotels in Nordzypern geben?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Wir haben keine.«

»Oh, Himmelherrgott! Wo kann ich einen Wagen mieten?«

»Gleich nebenan. Atlantic Cars.«

Leise vor sich hin fluchend, ging Agatha wieder nach draußen und in das kleine Büro neben dem Hotel. Ja, wurde ihr gesagt, selbstverständlich könne sie einen Wagen mieten. »Wir fahren auf der linken Seite, wie bei Ihnen«, sagte der Mann in der Autovermietung in perfektem Englisch.

Agatha unterschrieb das Formular, zahlte und saß kurz darauf hinter dem Lenkrad eines Renaults, mit dem sie durch die engen, belebten Straßen von Kyrenia fuhr. Die anderen Fahrer fuhren langsam, aber unberechenbar. Keiner schien sich um Ampeln oder Vorfahrtsregeln zu scheren. Auf der Hauptstraße bog Agatha in eine Parklücke, denn ihr fiel ein, dass sie einen Fremdenführer für Nordzypern in der Handtasche hatte. Den hatte sie sich vor der Abreise in einer Buchhandlung in Oxford gekauft. Darin war doch gewiss eine Liste mit sämtlichen Hotels enthalten. Wie sie erst jetzt bemerkte, war der Fremdenführer – Nordzypern von John und Margaret Goulding – bei Windrush Press in Moreton-in-Marsh erschienen, in den Cotswolds. Das musste ein gutes Omen sein! Und tatsächlich waren alle Hotels in Kyrenia in ihm aufgeführt. Agatha kehrte in ihr Hotelzimmer zurück und rief ein Hotel nach dem anderen an, doch in keinem hatte man von James Lacey gehört.

Also blieb sie in der angenehm kühlen Luft sitzen und las stattdessen, was in dem Reiseführer über Kyrenia stand. Obwohl der türkische Name Girne lautete, benutzten die meisten Leute noch die alte Bezeichnung, ähnlich wie bei Nikosia, das zu Lefkoşa wurde, aber bis heute bei den meisten Nikosia hieß. Kyrenia, las Agatha, war mit seinem hübschen Hafen und der Festung, die darüber aufragte, ein Touristenmagnet. Gegründet wurde die Stadt als Kyrenia im 10. Jahrhundert vor Christus von den Achaiern und unter den Römern dann in Korineum umbenannt. Später befestigte man die Stadt gegen Piraten, und sie wurde zu einem Zentrum für den Johannisbrothandel, bis sie ab 1631 weitestgehend verfiel. 1814 lebten nur noch ein Dutzend Familien dort. Wiederbelebt wurde sie unter den Briten, die den Hafen ausbauten und eine Straße nach Nikosia anlegten. Schon vor der Teilung der Insel im Jahr 1974, als die Türken hier landeten, um ihre Leute vor den Griechen zu retten, war Kyrenia bei den Briten als Altersruhesitz beliebt. Nach 1974 zogen vor allem Flüchtlinge aus Limassol im Süden der Insel her, und die Stadt fand in ihre alte Rolle als angenehmer Rückzugsort zurück. Zeitgleich wurde im Osten der Stadt ein neuer Hafen gebaut.

Agatha legte den Fremdenführer beiseite. Bei der Erwähnung des Hafens erinnerte sie sich, dass ihr der Mann an der Rezeption eine Segeltour vorgeschlagen hatte.

Sie machte sich wieder auf und wanderte benommen durch die sengende Hitze zum Hafen, wo sie vorbei an den Korbstühlen der Fischrestaurants trottete, bis sie eine Werbetafel für eine Bootstour auf einer Yacht namens Mary Jane sah. Als der Skipper bemerkte, dass Agatha die Tafel studierte, kam er zur Laufplanke und winkte Agatha zu. Er erklärte ihr, dass die Tour zwanzig Pfund kosten solle, ein Mittagsbüfett inbegriffen. Die Yacht würde in einer halben Stunde ablegen, womit Agatha noch Zeit blieb, im Hotel ihren Badeanzug zu holen.

Sie kaufte ein Ticket und sagte, dass sie gleich wieder zurück sei. Inzwischen war ihr viel zu heiß, um auch nur an James zu denken. Und die Vorstellung, durch eine frische Meeresbrise zu segeln, war zu verlockend. Sollte James ruhig warten.

Aus irgendeinem Grund – ihr schlug wohl die Hitze aufs Gehirn – hatte sie sich vorgestellt, sie wäre der einzige Passagier. Wie sich herausstellte, waren noch acht weitere an Bord, allesamt Engländer.

Drei von ihnen, zwei Männer und eine Frau, entstammten der Oberschicht, trugen teure Sportsachen und sprachen laut und prahlerisch. Einer der Männer war bereits älter. Er trug Brille, hatte einen gelblich-weißen Schnurrbart und einen rosa Schädel, wo die Sonne seine Halbglatze verbrannt hatte. Der andere war groß, dünn und bleich; offenbar war er mit der Frau verheiratet, die gleichfalls groß, dünn und bleich war, allerdings einen üppigen Busen hatte und eine unangenehme Sinnlichkeit ausstrahlte. Sie gehörten jener Schicht an, die sich die schlimmsten Verhaltensweisen des Adels angeeignet hatte, aber leider keine der netteren Eigenschaften. Dies äußerte sich zum Beispiel darin, dass sie sich gegenseitig anblafften, statt miteinander zu sprechen, und die anderen Passagiere mit einem »Mein Gott!«-Blick musterten. Ihre verächtlichen Blicke galten hauptsächlich einer Frau namens Rose: mittleres Alter, blond mit dunklem Haaransatz, Diamantringe an den spitzen Fingern. Auch sie war in Begleitung von zwei Männern, der eine recht alt, der andere in mittleren Jahren. Die drei waren das komplette Gegenteil von den drei Schnöseln. Rose besaß eindeutig Sexappeal, schien mit dem jüngeren Mann verheiratet und mit dem älteren befreundet zu sein.

Agatha wünschte, sie hätte sich ein Buch oder eine Zeitung mitgenommen, hinter der sie sich verschanzen konnte. Der Skipper machte sie alle miteinander bekannt. Die drei Möchtegern-Aristokraten waren Olivia Debenham nebst Gatten George und ihrem Freund Harry Tembleton; die drei anderen waren besagte Rose, Familienname Wilcox, ihr Mann Trevor und der gemeinsame Freund Angus King. Trevor hatte einen Bierbauch, kurz geschorenes helles Haar, wulstige Lippen und eine beinahe aggressive Ausstrahlung. Angus war ein alter Schotte, dessen oben offenes Hemd den Blick auf seine schlaffe Brust freigab. Wie Rose und Trevor schien auch er ziemlich reich zu sein. Agatha nahm an, dass sie zur neuen vermögenden Schicht in Essex gehörten, die während der Thatcher-Ära zu Vermögen gekommen war. Wahrscheinlich würden sie die drei anderen, die sie so verächtlich musterten, problemlos von Haus und Hof kaufen können. Dann war noch ein farbloses Ehepaar an Bord, das sich flüsternd als Alice und Bert Turpham-Jones vorstellte, woraufhin Olivia die Nase rümpfte und ihrem Gatten laut zuflüsterte, dass ein Doppelname heute auch nicht mehr dasselbe wie früher war.

Agatha wäre vermutlich von Olivia, George und Harry akzeptiert worden, die sofort die kleine Bar auf der Yacht besetzten, doch ihre spontane Abneigung trieb sie zu den anderen Mitseglern am Bug.

Rose hatte ein albernes Lachen und sprach mit einem nasalen Einschlag, der auch als Estuary English bezeichnet wurde. Er war typisch für Leute aus Essex, die ihren ursprünglichen Dialekt mittels besonders stark prononcierter Einzellaute zu überspielen versuchten. Dennoch begann Agatha, Rose recht interessant zu finden. Die Frau war gewiss schon in den Fünfzigern, hatte sich aber eine Art Babydoll-Erscheinung bewahrt. Sie zog oft einen Schmollmund, hatte sich hübsche Kunstwimpern angeklebt, mit denen sie fleißig klimperte, und besaß ein fantastisches Dekolleté, das sie in ihrem weit ausgeschnittenen Sommerkleid zur Schau stellte. Ihre langen, schlanken Beine, die unten in Riemchensandalen steckten, waren braungebrannt und glatt. Zwar hatte sie Falten am Hals, um den Mund und um die Augen, doch jede ihrer Bewegungen schrie förmlich: »Gut im Bett!«

Trevor war ebenso hin und weg von ihr wie der alte Schotte Angus. Wie sich im Gespräch herausstellte, besaß Trevor eine florierende Klempnerfirma, und Angus, mit dem das Paar erst seit Kurzem befreundet war, hatte früher einen eigenen Laden gehabt. Das stille Paar hatte Bücher ausgepackt und zu lesen begonnen, sodass sich die Unterhaltung auf Agatha, Rose, Trevor und Angus beschränkte.

Rose ließ eher versehentlich fallen, dass sie sehr viel las. Und nach jeder Bemerkung wie dieser schien es, als ermahnte sie sich im Stillen, nicht aus ihrer Rolle als dummes, nettes Püppchen zu fallen. Hatte sie nur wegen des Geldes geheiratet? Die Diamanten an ihren vielen Ringen waren jedenfalls echt.

Die Segeltour war kurz, aber angenehm, die Meeresbrise erfrischend. Sie ankerten in einer kleinen Bucht: Turtle Beach Cove.

Dort gingen sie vom Boot aus schwimmen. Agatha war eine gute Schwimmerin, auch wenn ihre Kondition zu wünschen übrig ließ, und sie stellte fest, dass der Strand deutlich weiter weg war, als es von der Yacht aus gewirkt hatte. Doch sie war froh, den anderen entkommen zu sein, trieb auf dem Rücken im flacheren Wasser und träumte von ihrem Wiedersehen mit James. In der gleißenden Sonne hatte sie die Augen fast vollständig geschlossen. Und dann stieß sie gegen einen Stein. Es handelte sich um einen flachen Felsen, und Agatha stupste auch eher dagegen, als dass sie richtig anstieß. Trotzdem rappelte sie sich erschrocken auf und sah sich panisch um. Der Schreck darüber, dass sie bei »ihrem letzten Fall« bewusstlos geschlagen und um ein Haar lebendig begraben worden wäre, steckte ihr noch immer in den Knochen, wie ihr wieder einmal bewusst wurde.

Ihr Herz pochte laut, und sie holte mehrmals tief Luft, während sie sich in das grünblaue Wasser setzte, das hier sehr flach war.

Der Skipper, dessen Name Ibrahim war, schwamm umher und vergewisserte sich, dass keiner seiner Passagiere unterging oder einen Herzinfarkt erlitt. Seine kleine schwarzhaarige Frau Ferda, die mit ihm segelte, bereitete derweil das Mittagessen vor, sodass Geschirrklappern und Gläserklimpern von der Yacht zu Agatha herüberklang.

Roses Mann Trevor hievte seinen wuchtigen, nun mit einem hässlichen Sonnenbrand überzogenen Körper die Bootsleiter hinauf. Auf halbem Weg hielt er inne, drehte sich um und starrte wütend über die Bucht.

Agatha ließ ihren Blick wandern, weil sie sehen wollte, was ihn so mürrisch machte. Ein Stück von Agatha entfernt saßen Rose und Olivias Mann George nebeneinander im Wasser und kicherten über irgendetwas.

Olivia selbst schwamm mit kräftigen Armschlägen auf dem Rücken hin und her. Die beiden älteren Freunde der Frauen, Harry und Angus, wollten wieder zurück auf die Yacht. Harry streckte einen Arm nach oben und tippte Trevor auf den Rücken, woraufhin Trevor sich abermals umdrehte, von der Leiter fiel und dabei beinahe auf die beiden alten Männer schlug. Dann kraulte er auf seine Frau zu. Rose sah ihn kommen und entfernte sich sofort von George, um ihrem Mann entgegenzuschwimmen.

Agatha blieb, wo sie war, und genoss die Einsamkeit. Auf einmal wünschte sie sich nichts sehnlicher, als James vergessen zu können und wieder frei zu sein – frei, einen friedlichen Urlaub zu genießen, ohne von einem Mann besessen zu sein. Sie hörte, wie ihr Name von der Yacht aus gerufen wurde. Das Mittagessen sollte serviert werden. Widerwillig kehrte Agatha zum Boot zurück. Ihr kurzes Interesse an Rose war verflogen, und sie empfand nichts als Abscheu für die anderen Passagiere. Als sie sich die Leiter hinaufzog, war sie sich ihres runden Bauchs nur allzu bewusst. Sie müsste dringend wieder für James in Form kommen.

Das Essen war angenehm: Wein, leckeres Hühnchen, knackfrischer Salat. Vor lauter Freude, dass sie nicht übers Ohr gehauen worden war, fühlte sich Agatha direkt wieder hinreichend mit den anderen versöhnt, um sich zu Rose, deren Mann und ihrem Freund zu gesellen. Dabei entging ihr nicht, dass Olivias Mann George von der Bar aus immer wieder zu Rose hinübersah. Er sagte etwas zu seiner Frau, die sehr laut antwortete: »Mir ist heute nicht danach, mich unters gemeine Volk zu mischen.«

Wenn sich jüngere Menschen im Ausland bei einem Ausflug kennenlernen, tauschen sie am Ende häufig Adressen aus oder verabreden ein Treffen für den Abend. Diejenigen mittleren oder höheren Alters trennen sich schlicht mit einem Nicken und einem Lächeln. Agatha hatte sich auf der Rückfahrt der Segeltour bestens unterhalten, denn sie hatte den anderen alles über ihre Detektivarbeit erzählt und ihre Geschichte dabei nicht zu knapp ausgeschmückt, um möglichst clever zu erscheinen.

Doch als die Yacht schließlich im Schatten der alten Festung festmachte, verabschiedete auch sie sich nur knapp und ging dann. Olivia, ihr Mann und ihr Freund wohnten ebenfalls im Dome. Mit ein bisschen Glück würde es Agatha gelingen, die drei künftig zu meiden, zumal sie ohnehin Wichtigeres zu tun hatte.

Sie musste James finden.

Da sie nicht im Hotel zu Abend essen wollte, konsultierte sie ihren Fremdenführer und entschied sich für ein Restaurant namens The Grapevine, das sich vielversprechend anhörte. Sie nahm sich ein Taxi, weil sie keine Lust hatte, selbst zu fahren. Das Restaurant erwies sich als gute Entscheidung, lag es doch im Garten eines alten Osmanen-Hauses. Agatha bestellte Wein und ein Schwertfisch-Kebab und versuchte, sich nicht einsam zu fühlen.

Die Luft im Restaurantgarten war von einem schweren Jasminduft erfüllt, und überall waren britische Stimmen zu hören. Das Lokal war bei den hiesigen Briten sehr beliebt, wie die blonde Kellnerin Carol Agatha erklärte, als sie ihr das Essen servierte. Offenbar lebten jede Menge Briten in Nordzypern; sie hatten sogar ihr eigenes Dorf gleich außerhalb von Kyrenia – Karaman. Dort hatten die Häuser Namen wie Cobblers, und es gab eine britische Bücherei sowie einen Pub namens The Crow’s Nest.

Agatha hatte sich ein Buch mitgenommen und versuchte, bei Kerzenlicht zu lesen, als Carol ihr eine Nachricht brachte. Die enthielt lediglich den Satz: Setzen Sie sich zu uns.

Sie blickte sich im Restaurant um und entdeckte die beiden Dreiergespanne, die sich eben an einen Tisch in der Mitte setzten. Sie winkten Agatha lächelnd zu.

Fasziniert, dass ausgerechnet diese sechs zusammengefunden hatten, nahm Agatha ihren Teller und ihr Weinglas und ging zu ihnen.

»Ist das nicht ein Zufall?«, sagte Rose. »Wir schlendern hier so die Straße entlang, und da sagt mein Trevor: ›Guck mal‹, sagt er, ›ist das nicht Olivia?‹« Agatha bemerkte, wie Olivia zusammenfuhr. »Und Georgie sagt: ›Esst doch mit uns zusammen‹, und jetzt sind wir alle hier! Ist das nicht witzig?«

Mit einigem Staunen registrierte Agatha, dass Olivia sich ehrlich bemühte, nett zu Rose, Trevor und Angus zu sein. Wie sich aus dem Gespräch ergab, hatte ihr Ehemann George bis zu seiner kürzlichen Pensionierung im Auswärtigen Dienst gearbeitet, Harry Templeton war erfolgreicher Landwirt, und Olivia hatte bereits von Agatha gehört, da die Debenhams ein Herrenhaus in Lower Cramber in den Cotswolds besaßen.

Der Wein floss, und Rose wurde lebhafter. Sie schien eine Meisterin der Doppeldeutigkeiten zu sein und hatte eine richtig dreckige Lache, die nach Gin und sechzig Zigaretten am Tag klang, als sie durchs Restaurant hallte. George schlug unterm Tisch die Beine übereinander und streifte dabei mit dem Fuß Roses Bein. Auf seine Entschuldigung hin kreischte Rose vor Lachen. »Nur zu«, sagte sie und knuffte ihn mit ihrem dünnen, spitzen Ellbogen. »Ich weiß, worauf du aus bist!«

Agatha hätte nicht gedacht, dass man so anzüglich Kebab von einem Spieß essen konnte, doch Rose vermochte es. Und sie verstand, anscheinend mit Absicht, die harmlosesten Bemerkungen falsch. George äußerte die Hoffnung, dass es keine weiteren Busstreiks mehr geben möge, wenn sie wieder in London waren, da er einiges in London zu regeln hätte. »Bumsstreik?«, rief Rose vergnügt. »Lässt Olivia dich nicht mehr ran?«

Agatha warf ihr einen gelangweilten Blick zu, und Rose sagte, indem sie lediglich die Lippen bewegte: »Wie in Lysistrata.« Die ordinäre Rose kannte sich also mit den Klassikern aus, stellte Agatha fest, die sie selbst erst unlängst gelesen hatte. Vor allem wusste Rose wohl, dass Agatha ihr Schauspiel durchschaute.

Was tat eine intelligente Frau mit einem grobschlächtigen Kerl wie Trevor und dem langweiligen ehemaligen Ladenbesitzer Angus?

Angus redete nicht viel, und wenn er etwas sagte, dann auf langsame, behäbige Weise. »Die schottische Bildung ist die beste weltweit, jawohl«, erklärte er beispielsweise ins Blaue hinein.

Olivia hatte ein breites Lächeln aufgesetzt, während sie versuchte, jeden Einzelnen von ihnen aus der Reserve zu locken. Was ihr recht gut gelang, wie Agatha fand, auch wenn Olivia nicht ganz überspielen konnte, dass sie Rose verachtete und Trevor für einen Rüpel hielt. Sie unterhielt die Runde mit einer witzigen Geschichte über den Mann im Hotelzimmer über ihrem, der seine Badewanne überlaufen ließ, es jedoch partout nicht zugeben wollte und behauptete, man hätte das Fenster offengelassen, sodass es bei ihm reinregnete.

Zu Agathas Verblüffung verabredeten sie sich dann für den nächsten Tag zu einem Ausflug zum Othello-Turm in Famagusta und drängten Agatha, mit ihnen zu kommen; sie würden auch für die Mietwagen sorgen. Agatha lehnte ab. Morgen würde sie James Lacey aufspüren. James und sie hatten vorgehabt, ihre Flitterwochen in einer gemieteten Villa außerhalb von Kyrenia zu verbringen, und die wollte Agatha nun suchen.

Trevor bestand darauf, die Rechnung zu übernehmen, und scherzte, er wäre schließlich zum ersten Mal im Leben Millionär, als er stapelweise türkische Lira hervorholte. Agatha lehnte das Angebot, sie mit zum Hotel zu nehmen, dankend ab und beschloss, zu Fuß zu gehen. Sie war erfahren genug, um zu wissen, dass ihr hier nichts passieren konnte, und Rose, die schon eine Woche zuvor angekommen war, hatte ihr mit einem bedauernden Unterton versichert, dass man in dieser Stadt nicht einmal Gefahr laufe, sanft in den Hintern gekniffen zu werden. Ebenso wenig müsse man befürchten, dass einem die Handtasche geklaut oder man von Händlern übervorteilt würde. Und so wanderte Agatha am Rathaus vorbei und die Hauptstraße von Kyrenia hinunter.

Dann sah sie James.

Er war ein Stück vor ihr und bewegte sich auf jene schmerzlich vertraute Art mit langen, festen Schritten. Agatha stieß einen erstickten Schrei aus und begann, auf ihren hohen Absätzen zu laufen. James bog neben einem Supermarkt um die Ecke. Agatha rannte, rief seinen Namen, doch als sie die Ecke erreichte, war James verschwunden. Sie hatte einmal einen französischen Film gesehen, Kinder des Olymp, und fühlte sich gerade wie in der letzten Szene, in der der Held verzweifelt hinter seiner Geliebten herhetzt.

Ein türkischer Soldat stellte sich Agatha in den Weg und fragte sie in gebrochenem Englisch, ob er ihr helfen könne.

»Mein Freund. Ich habe meinen Freund gesehen«, stammelte Agatha und starrte die Seitenstraße hinauf. »Ist da hinten irgendwo ein Hotel?«

»Nein, hier gibt es Eisenwarenhändler, Cafés, aber kein Hotel. Bedaure.«

Agatha lief weiter, spähte in verlassene Läden und stolperte über Schlaglöcher. Aus einer Reinigung, die Weiße Rose hieß, Beyaz Gül auf Türkisch, fiel Licht. Ein Mann in Hemdsärmeln bediente eine große Maschine, und Agatha ging hinein.

»Was kann ich für Sie tun?«, fragte der Mann.