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Agatha ist kreuzunglücklich, nachdem James sie verlassen hat. Erst die Ankunft des neuen Kaplans kann sie aus der miesen Stimmung herausreißen. Mit seinem blonden Haar, den blauen Augen und dem perfekten Mund hat der Kirchenmann es allerdings diversen weiblichen Gemeindemitgliedern angetan. Bei allem Charme jedoch ist irgendetwas an dem Kaplan merkwürdig ... Und dann liegt er plötzlich tot im Arbeitszimmer des Vikars, und Agatha macht sich mit ihrem Nachbarn John auf die Suche nach dem Mörder.
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Seitenzahl: 292
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Cover
Über das Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
Widmung
Eins
Zwei
Drei
Vier
Fünf
Sechs
Sieben
Acht
Neun
Zehn
Elf
Epilog
Über das Buch
Agatha ist kreuzunglücklich, nachdem James sie verlassen hat. Erst die Ankunft des neuen Kaplans kann sie aus der miesen Stimmung herausreißen. Mit seinem blonden Haar, den blauen Augen und dem perfekten Mund hat der Kirchenmann es allerdings diversen weiblichen Gemeindemitgliedern angetan. Bei allem Charme jedoch ist irgendetwas an dem Kaplan merkwürdig … Und dann liegt er plötzlich tot im Arbeitszimmer des Vikars, und Agatha macht sich mit ihrem Nachbarn John auf die Suche nach dem Mörder.
Über die Autorin
M.C. Beaton ist eines der zahlreichen Pseudonyme der schottischen Autorin Marion Chesney. Nachdem sie lange Zeit als Theaterkritikerin und Journalistin für verschiedene britische Zeitungen tätig war, beschloss sie, sich ganz der Schriftstellerei zu widmen. Mit ihren Krimi-Reihen um den schottischen Dorfpolizisten Hamish Macbeth und die englische Detektivin Agatha Raisin feiert sie bis heute große Erfolge in über 15 Ländern. M.C. Beaton lebt und arbeitet in einem Cottage in den Cotswolds.
M.C. BEATON
Agatha Raisin
und der tote Kaplan
Kriminalroman
Aus dem Englischen von Sabine Schilasky
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
Für die Originalausgabe:Copyright © 2003 by M.C. BeatonTitel der englischen Originalausgabe: »Agatha Raisin and the Case of the Curious Curate«Originalverlag: St. Martin’s Press, New York
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, KölnTextredaktion: Anke Pregler, RösrathUmschlaggestaltung: Kirstin OsenauUnter Verwendung eines Motivs von © Arndt Drechsler, RegensburgE-Book-Produktion: two-up, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-7222-9
www.bastei-entertainment.dewww.lesejury.de
Dieses Buch ist Mrs. Nancy Stubbs aus Woore, nahe Crewe, gewidmet, mit einem großen Dankeschön für ihre Beschreibung der dörflichen Entenrennen. Wobei diese ohne Frage weit stilvoller abliefen, als es in diesem Buch geschildert wird.
Allmählich begann Agatha zu glauben, dass sie nie wieder Interesse an irgendetwas haben würde. Sie hatte an ihren Exmann James Lacey im französischen Kloster geschrieben, wo er sich angeblich auf den Beitritt in den Orden vorbereitete. Doch einen Monat später kam ein Brief, dass man dort nichts mehr von Mr. Lacey gehört hätte. Er wäre weggefahren und hätte versprochen wiederzukommen, war seither jedoch nicht mehr gesehen worden.
Also hat James mich schlicht sattgehabt und die Scheidung gewollt, dachte Agatha unglücklich. Und das Kloster hatte er als Vorwand benutzt, um der Ehe zu entkommen. Sie schwor, sich nie wieder für einen Mann zu interessieren, was ihren Nachbarn John Armitage mit einschloss. Er hatte es bei ihr versucht und war abgewiesen worden, denn Agatha hatte es gekränkt, dass er weder Bewunderung für sie noch Zuneigung zu ihr bekundete. Sie unterhielten sich hin und wieder, wenn sie sich im Dorf begegneten, aber Agatha lehnte alle Einladungen zum Dinner ab, und so hatte er es endlich aufgegeben.
Folglich ließ sie auch die Neuigkeit, dass der Vikar Alf Bloxby einen Kaplan bekommen sollte, gänzlich ungerührt, während die übrigen Bewohner von Carsely darüber völlig aus dem Häuschen waren. Agatha ging regelmäßig in die Kirche, weil sie mit der Vikarsfrau befreundet war und es deshalb als ihre Pflicht erachtete. Mit geistiger Erhebung hatte es nichts zu tun. Aus demselben Grund fühlte sie sich zur Mitgliedschaft im Frauenverein von Carsely verpflichtet, wo die Damen aus dem Dorf über ihre jüngsten wohltätigen Projekte sprachen.
Es war ein warmer Augustabend, als Agatha müde zum Pfarrhaus trottete. Sie sah vollkommen verändert aus: kein Make-up, flache Sandalen und ein weites Baumwollkleid.
Miss Simms, die Sekretärin, las das Protokoll des letzten Treffens vor. Alle waren draußen im Garten. Anstatt zuzuhören, beobachtete Agatha, wie Miss Simms’ hohe Pfennigabsätze immer tiefer ins Gras einsanken.
Mrs. Bloxby war kürzlich zur Vorsitzenden gewählt worden. Und zwar explizit zur »Vorsitzenden«, denn »Vorstand« kam in Carsely nicht infrage – zu geschlechtsneutral und mithin quasi frauenfeindlich. Nachdem Tee und Gebäck herumgereicht worden waren, wandte sich die Vikarsfrau an die Gruppe. »Wie Sie wissen, meine Damen, trifft nächste Woche unser neuer Kaplan ein. Sein Name ist Tristan Delon, und sicher möchten wir alle ihn herzlich willkommen heißen. Wir werden am nächsten Mittwoch einen kleinen Empfang ausrichten, zu dem ganz Carsely eingeladen ist.«
»Wird das nicht ein bisschen viel für ihn?«, fragte Miss Jellop, eine hagere Frau mittleren Alters, die lispelte und große Basedow-Augen hatte. Agatha fand, dass sie an ein Kaninchen mit Myxomatose erinnerte, auch wenn das kein sehr freundlicher Gedanke war.
»Ich glaube nicht, dass das Interesse allzu groß sein wird«, entgegnete Mrs. Bloxby bedauernd. »Leider ist die Zahl der Kirchenbesucher dieser Tage nicht mehr sehr groß.«
Zynisch dachte Agatha, dass Gratis-Essen und -Getränke die Leute in Scharen herbeilocken würden. Sie überlegte, ob sie etwas sagen sollte, aber in dem Moment überkam sie eine abgrundtiefe Lustlosigkeit. Es spielte keine Rolle. Sie würde ohnehin nicht hingehen, denn sie war erst kürzlich aus London zurückgekehrt, wo sie einen Auftrag für die Werbekampagne einer neuen Seife namens Mystic Health übernommen hatte. Angeblich enthielt die Seife chinesische Kräuter. Agatha war entsetzt gewesen von dem Namen und hatte erklärt, dass die Leute keine gesunde Seife wollten, sondern eine, mit der sie sich verwöhnten. Aber die Hersteller waren unbeirrbar gewesen. Jedenfalls musste Agatha zur Markteinführung wieder nach London und hatte vor, die Woche über dortzubleiben und ein bisschen einzukaufen.
Am Ende der darauffolgenden Woche war Agatha auf dem Weg zur Paddington Station und fragte sich – nicht zum ersten Mal –, warum London für sie keinerlei Zauber mehr besaß. Die Stadt kam ihr schmutzig, laut und bedrohlich vor. Die große Werbeparty für die neue Seife hatte sie nicht besonders genossen, denn sie hatte das Gefühl, sich in einer ihr inzwischen fremden Welt zu bewegen. Und was wartete daheim in Carsely auf sie? Nichts. Nichts als Hausarbeit, der Frauenverein und ein Spaziergang durchs Dorf.
Als sie aber ihren Wagen am Bahnhof von Moreton-in-Marsh einsammelte und sich auf die kurze Fahrt machte, spürte sie, wie sich ihre Stimmung aufhellte. Sie würde Mrs. Bloxby besuchen, im kühlen grünen Pfarrhausgarten sitzen und sich gleich besser fühlen.
Mrs. Bloxby freute sich, sie zu sehen. »Kommen Sie rein, Mrs. Raisin!« Obwohl sie und Agatha schon länger befreundet waren, siezten sie sich, wie es im Frauenverein üblich war. Es entsprach dessen Kampf gegen moderne Zeiten und Sitten. »Ist das eine Hitze!«, rief die Vikarsfrau aus und strich sich einige graue Haarsträhnen aus dem Gesicht. »Setzen wir uns in den Garten. Was für Neuigkeiten bringen Sie?«
Beim Tee bot Agatha ihr einen weidlich ausgeschmückten Bericht von ihren Londoner Erlebnissen dar. »Und wie ist der neue Kaplan?«, fragte sie schließlich.
»Er macht sich glänzend. Den armen Alf hat eine Sommergrippe erwischt, und Mr. Delon übernimmt die Gottesdienste.« Sie kicherte. »Ich habe es Alf nicht erzählt, aber letzten Sonntag gab es in der Kirche nur noch Stehplätze. Von überallher reisen Frauen an.«
»Warum? Ist er so ein guter Prediger?«
»Das ist es nicht. Noch Tee? Nehmen Sie sich Milch und Zucker. Nein, ich denke, es liegt daran, dass er einfach sehr gut aussieht.«
»Er sieht gut aus? Ein hübscher Kaplan? Ist er schwul?«
»Aber nein! Wie kommen Sie darauf, dass ein schöner junger Mann schwul sein muss?«
»Weil sie es gewöhnlich sind«, antwortete Agatha finster.
»Nein, ich glaube nicht, dass er schwul ist. Er ist sehr charmant. Sie sollten diesen Sonntag in die Kirche kommen und sich selbst überzeugen.«
»Vielleicht mache ich das. Hier gibt es ja sonst nichts zu tun.«
»Ich mag es nicht, wenn Sie Langeweile haben«, sagte die Vikarsfrau nervös. »Es scheint immer ein Mord zu geschehen, wenn Sie sich langweilen.«
»Morde passieren ständig überall.«
»Ich meine, hier in der Nähe.«
»Mich kümmern keine Morde. Bei dem letzten Fall bin ich fast umgebracht worden. Kurz vor meiner Abreise erhielt ich einen Brief von diesem Detective Inspector Brudge in Worcester. Er hat mir vorgeschlagen, dass ich offiziell eine eigene Detektei gründe.«
»Na, das ist mal eine gute Idee!«
»Ich würde meine Tage mit hässlichen Scheidungen oder Undercover-Arbeit für Firmen verbringen, die wissen wollen, welche Sekretärin Büromaterial klaut. Nein, das ist nichts für mich. Wohnt der Kaplan bei Ihnen?«
»Nein, wir haben ein Zimmer für ihn bei der alten Mrs. Feathers im Dorf gefunden. Wie Sie wissen, wohnt sie gegenüber von der Kirche, was ein Glück ist. Natürlich hatten wir damit gerechnet, ihn bei uns unterzubringen, denn wir haben reichlich Platz. Aber das wollte er nicht. Er sagt, dass er sich recht gut steht. Er hat ein kleines Einkommen aus einem Treuhandfonds der Familie.«
»Ich gehe mal lieber wieder zu meinen Katern zurück«, sagte Agatha und stand auf. »Fast glaube ich, dass sie Doris Simpson lieber mögen als mich.« Mrs. Simpson war Agathas Putzhilfe und versorgte die beiden Kater, wenn Agatha nicht da war.
»Und kommen Sie am Sonntag zur Kirche?«, fragte Mrs. Bloxby. »Ich würde gerne hören, was Sie zu unserem Kaplan sagen.«
»Ach ja?« Agathas Bärenaugen blitzten interessiert auf. »Haben Sie Vorbehalte gegen ihn?«
»Mir scheint er zu gut, um wahr zu sein. Aber ich darf nicht nörgeln. Es ist ein Glück, dass wir ihn haben. Ehrlich gesagt fürchte ich, mein armer Alf ist ein bisschen eifersüchtig. Zwar habe ich nichts gesagt, aber er hat von anderen Gemeindemitgliedern gehört, welche Massen in der Kirche waren.«
»Wie furchtbar das für einen Vikar sein muss, von dem doch erwartet wird, dass er sich wie ein Heiliger benimmt«, sagte Agatha. »Na schön, ich werde am Sonntag da sein.«
In ihrem Cottage riss Agatha umgehend alle Fenster und die Terrassentür in der Küche auf, um die Kater in den Garten zu lassen. Hodge und Boswell flitzten nach draußen. Ich glaube nicht, dass sie mich überhaupt vermisst haben, dachte Agatha, während sie zusah, wie die beiden sich im Gras wälzten. Doris kommt, füttert sie und lässt sie raus, und sie sind rundum glücklich mit ihr. Es klingelte, und Agatha ging zur Haustür. Draußen stand ihr Nachbar John Armitage.
»Ich wollte dich nur begrüßen, da du wieder zurück bist«, sagte er.
»Danke«, entgegnete Agatha. »Ach, komm doch rein und trink etwas.«
Es überraschte sie jedes Mal wieder, wie gut er mit seinem leicht sonnengebräunten Gesicht, dem hellen Haar und den grünen Augen aussah. Er war ungefähr in ihrem Alter, doch sein Gesicht war glatt, und er wirkte jünger, was sie beinahe so sehr ärgerte wie die Tatsache, dass er einen Annäherungsversuch gewagt hatte, weil er dachte, sie wäre leicht zu haben. Überdies war er ein erfolgreicher Krimiautor.
Sie nahmen ihre Drinks mit in den Garten. »Die Stühle sind ein bisschen staubig«, sagte Agatha. »Alles im Garten ist staubig. Also, was war hier los?«
»Schreiben und Wandern. Ach ja, und ich bin restlos angeödet davon, dass sämtliche Frauen im Dorf schwärmen, wie wunderbar der neue Kaplan ist.«
»Ist er denn wunderbar?«
»Dämlicher Schleimer.«
»Du bist bloß sauer, weil du nun nicht mehr von allen angeschmachtet wirst.«
»Könnte sein. Hast du ihn gesehen?«
»Bisher hatte ich keine Zeit dazu. Ich gehe am Sonntag in die Kirche und schaue ihn mir mal an.«
»Lass mich wissen, was du von ihm hältst. Irgendwas stimmt da nicht.«
»Wieso?«
»Kann ich nicht genau sagen. Er wirkt nicht ganz echt.«
»Tust du auch nicht«, konterte Agatha unhöflich.
»Inwiefern?«
»Du bist … wie alt? Dreiundfünfzig? Trotzdem bist du faltenfrei, sonnengebräunt und hast irgendetwas Roboterhaftes an dir.«
»Ich habe mich schon dafür entschuldigt, dass ich mit dir ins Bett gehen wollte. Offenbar hast du mir nicht vergeben.«
»Doch, habe ich«, sagte Agatha rasch, obgleich es nicht stimmte. »Es ist nur … Du gibst nie deine Gefühle preis. Und du hältst offensichtlich nicht viel von beiläufigem Geplauder.«
»Aus dem Stegreif wüsste ich nichts Beiläufigeres, als über den neuen Kaplan zu reden. Ist dir schon mal der Gedanke gekommen, Menschen so zu akzeptieren, wie sie sind, anstatt nur so, wie du sie gerne hättest?«
»Du meinst einfach so, ohne Wenn und Aber?«
»Genau.«
Was Agatha sich wirklich wünschte, war ein Ersatz für ihren Exmann, und oft war sie gereizt, weil John so gar nichts Romantisches hatte. Da sie gleichzeitig selten die Dinge zu Ende dachte, tat sie ihn mürrisch als Langweiler ab.
»Demnach ist es möglich, dass wir Freunde sein können?«, fragte John. »Ich meine, ich habe mir nur den einen Patzer geleistet.«
»Ja, meinetwegen«, sagte Agatha. Sie wollte bereits hinzufügen, dass sie reichlich Freunde hatte, erinnerte sich jedoch rechtzeitig daran, dass sie vor ihrem Umzug von London in die Cotswolds überhaupt keine gehabt hatte.
»In dem Fall iss mit mir am Sonntag nach der Kirche zu Mittag.«
»Gut«, sagte Agatha. »Danke.«
Am Sonntag trafen sie und John exakt fünf Minuten vor Gottesdienstbeginn bei der Kirche ein und stellten fest, dass es keinen einzigen Sitzplatz mehr gab. Sie mussten hinten stehen.
Die Tenorglocke über ihnen im Turm verstummte. Ein aufgeregtes Rascheln und Knistern ging durchs Kirchenschiff. Dann trat Tristan Delon an den Altar und drehte sich um. Agatha spähte um den riesigen Hut einer Frau vor ihr herum und schnappte verblüfft nach Luft.
Der Kaplan war wunderschön. Er stand am Altar, wo ein einfallender Sonnenstrahl seine goldenen Locken aufleuchten ließ, seine helle Haut, seine großen blauen Augen und den perfekten Mund. Agatha war wie benommen. Wie von selbst sang sie die Kirchenlieder mit und lauschte den Bibellesungen. Dann stieg der Kaplan auf die Kanzel und begann eine Predigt über Nächstenliebe. Er hatte eine wohltemperierte Stimme. Agatha lauschte jedem Wort einer Predigt, die sie unter normalen Umständen als gefühlstriefend und langweilig abgetan hätte.
Am Ende des Gottesdienstes brauchten sie ewig, um aus der Kirche zu kommen. So viele Leute wollten mit dem Kaplan reden, der nun am Portal stand. Schließlich war Agatha an der Reihe. Tristan blickte ihr in die Augen und hielt ihre Hand fest.
»Eine wunderbare Predigt«, schwärmte sie.
Er lächelte sie warmherzig an. »Ich bin froh, dass Sie kommen konnten. Wohnen Sie weiter weg, oder sind Sie aus dem Dorf?«
»Ich wohne hier, in der Lilac Lane«, antwortete Agatha haspelnd. »Das letzte Cottage.«
John räusperte sich ungeduldig hinter ihr, und widerwillig ging Agatha weiter.
»Ist er nicht unglaublich?«, fragte Agatha, als sie zum Pub gingen, dem Red Lion, wo sie, wie vorher vereinbart, zu Mittag essen wollten.
»Hmm«, war Johns Reaktion.
So kam es, dass sie im Pub vor ihrem Mittagessen saßen und Agatha fortfuhr: »Ich glaube, ich habe noch nie solch einen schönen Mann gesehen. Und er ist auch noch groß! Über einen Meter achtzig, meinst du nicht auch?«
»Irgendwas stimmt mit dem nicht«, sagte John. »Und die Predigt war auch nicht berauschend.«
»Ach, du bist nur neidisch.«
»Ob du es glaubst oder nicht, Agatha, ich bin nicht die Spur neidisch. Allerdings hätte ich nicht gedacht, dass ausgerechnet du dich von dem guten Aussehen eines jungen Mannes blenden lässt. Ich dachte, du bist anders als all die anderen albernen Frauen.«
»Reden wir über etwas anderes«, forderte Agatha angesäuert. »Wie kommst du mit deinem neuen Buch voran?«
John begann zu reden, und Agatha ließ seine Worte zum einen Ohr herein und zum anderen wieder hinaus, während sie überlegte, wie sie es schaffte, den Kaplan allein zu sehen. Könnte sie um spirituellen Rat bitten? Nein. Er könnte es Mrs. Bloxby erzählen, und die würde sie sofort durchschauen. Ein Dinner vielleicht? Doch sie war sicher, dass er bereits von allen Frauen in Carsely und den benachbarten Dörfern verwöhnt und gefeiert wurde.
»Findest du nicht?«, hörte sie John fragen.
»Was?«
»Agatha, du hast kein Wort von dem gehört, was ich gesagt habe. Ich denke, dass ich ein Buch schreiben und es Tod eines Kaplans nennen werde.«
»Ich habe Kopfschmerzen«, log Agatha. »Deshalb habe ich mich nicht auf das konzentriert, was du sagtest.«
Nach dem Mittagessen war Agatha froh, John los zu sein und sich ganz ihren farbenfrohen Träumen vom Kaplan hinzugeben. Zu gerne hätte sie Mrs. Bloxby besucht, aber sonntags hatte die Vikarsfrau viel zu tun, daher musste sie sich bis Montagmorgen gedulden. Dann eilte sie zum Pfarrhaus, wo sie jedoch nur Alf antraf, den Vikar, der ihr spitz mitteilte, dass seine Frau auf ihrer Runde durch die Gemeinde war.
»Ich war am Sonntag in der Kirche«, sagte Agatha. »So voll habe ich sie noch nie gesehen.«
»Ach nein?«, entgegnete der Vikar kühl. »Hoffen wir, dass sie auch so voll ist, wenn ich nächsten Sonntag meine Pflichten wieder übernehme. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen …«
Leise schloss er die Tür.
Agatha stand da und kochte vor Wut. Gegenüber war das Haus, in dem Tristan ein Zimmer gemietet hatte, doch sie konnte unmöglich zu ihm gehen. Ihr fehlte ein Vorwand.
Als sie eben weggehen wollte, sah sie Mrs. Bloxby kommen. Verzückt winkte Agatha ihr zu. »Wollten Sie zu mir?«, fragte Mrs. Bloxby. »Kommen Sie mit rein. Ich mache uns einen Tee.«
Mrs. Bloxby öffnete die Pfarrhaustür. Sogleich ertönte die Stimme des Vikars laut und deutlich aus seinem Arbeitszimmer. »Bist du das, Schatz? Diese furchtbare Frau war eben hier.«
»Verzeihen Sie«, sagte Mrs. Bloxby, lief ins Arbeitszimmer und schloss die Tür hinter sich.
Wenig später kehrte sie zurück. Sie war ziemlich rot im Gesicht. »Armer Alf. Irgendeine Zigeunerin hat ihn belästigt und wollte ihm weiße Heide andrehen. Die Hitze macht ihn ziemlich reizbar. Ich setze mal Teewasser auf.«
»Für mich bitte Kaffee.« Agatha folgte ihr in die Küche.
»Wir gehen in den Garten, dann können Sie rauchen.«
»Wissen Sie nicht mehr, dass ich aufgehört habe? Dieser Besuch beim Hypnotiseur hat gewirkt. Zigaretten schmecken für mich immer noch wie verschmortes Gummi, genauso, wie er gesagt hat.«
Mrs. Bloxby bereitete zwei Becher Kaffee zu und trug sie auf einem Tablett hinaus in den Garten. »Diese entsetzliche Hitze«, sagte sie und stellte das Tablett auf den Gartentisch. »Sie macht alle so unleidlich.«
»Ich war am Sonntag in der Kirche«, begann Agatha.
»So viele Leute. Hat es Ihnen gefallen?«
»Sehr. Und ich war sehr beeindruckt von dem Kaplan.«
»Ah, unser Mr. Delon. Haben Sie neben seinem außergewöhnlich guten Aussehen noch etwas bemerkt?«
»Ich habe am Portal mit ihm gesprochen. Er schien charmant.«
»Ja, auch das ist er.«
»Sie mögen ihn nicht, und ich weiß auch, warum nicht«, sagte Agatha.
»Aha?«
»Weil er die Kirche füllt, wie es Mr. Bloxby nie könnte.«
»Mrs. Raisin, wann war ich jemals kleinlich?«
»Entschuldigung, aber er scheint solch ein wunderbarer Prediger.«
»Oh ja! Ich habe vergessen, worum es in seiner Predigt ging. Helfen Sie mir auf die Sprünge.«
Doch sosehr Agatha sich auch bemühte, sie konnte sich nicht erinnern, was das Thema gewesen war, und sie errötete unter Mrs. Bloxbys mildem Blick.
»Wissen Sie, Mrs. Raisin, Schönheit ist gefährlich. Sie kann die Charakterbildung hemmen, weil andere stets bereit sind, attraktiven Menschen gute Eigenschaften zuzuschreiben, die sie nicht besitzen.«
»Sie mögen ihn wirklich nicht!«
»Ich kenne ihn nicht, und ich verstehe ihn nicht. Belassen wir es dabei.«
Bei ihrer Heimkehr fühlte Agatha sich rastlos und unzufrieden. Sie hatte wieder angefangen, sich zu schminken und ihre elegantesten Sachen zu tragen. Sicher würden ihre Begegnungen mit dem Kaplan nicht auf die einminütigen Unterhaltungen am Kirchenportal beschränkt bleiben.
Es läutete. Allzeit hoffnungsfroh überprüfte Agatha Haar und Make-up im Dielenspiegel, bevor sie öffnete. Es war Miss Simms, die Sekretärin des Frauenvereins.
»Kommen Sie rein«, lud Agatha sie ein. Sie freute sich über die Ablenkung.
Miss Simms stöckelte auf ihren hohen Absätzen hinter Agatha her. Wegen der Hitze war ihre Kleidung auf ein Minimum beschränkt: bauchfreies Top, winziger Rock, keine Strumpfhose. Agatha beneidete Frauen, die im Sommer ohne Strumpfhosen herumlaufen konnten. Wenn sie darauf verzichtete, scheuerte sie sich die Fersen blutig, die Zehen oben wund und bekam Blasen.
»Ist er nicht umwerfend?«, hauchte Miss Simms, während sie auf einen Küchenstuhl sank. »Ich habe Sie in der Kirche gesehen.«
»Der Kaplan? Ja, er ist recht nett anzusehen.«
»Mehr als das«, sagte Miss Simms. »Er hat die Gabe.«
»Welche Gabe? In Zungen zu reden?«
»Nein, zu heilen! Ich hatte diese schrecklichen Rückenschmerzen, und als ich ihn im Dorf traf, habe ich ihm davon erzählt. Er hat mich mit zu sich genommen, seine Hände auf meinen Rücken gelegt, und ich konnte fühlen, wie es ganz heiß wurde.«
Ja, das möchte ich wetten, dachte Agatha verschnupft.
»Und die Schmerzen waren weg. Einfach so!«
Klappern war zu hören, als Agathas Putzhilfe, Doris Simpson, mit dem Staubsauger die Treppe herunterkam. Sie blickte zur Küche herein. »Ich mache nur noch das Wohnzimmer, dann bin ich weg«, sagte sie.
»Wir reden gerade über den neuen Kaplan«, erklärte Miss Simms.
»Ah, der«, schnaubte Doris. »Fieser Schleimer.«
»Komm zurück«, rief Agatha, denn Doris ging bereits.
»Was?« Doris stand in der Küchentür und verschränkte die Arme über der Schürze. Agathas Kater strichen ihr schnurrend um die Beine.
»Warum nennst du Tristan einen fiesen Schleimer?«
»Weiß nicht.« Doris kratzte sich das graue Haar. »Der hat was an sich, dass ich eine Gänsehaut kriege.«
»Aber du kennst ihn doch gar nicht!«, erwiderte Agatha.
»Nein, ist nur so ein Eindruck. Ich muss weitermachen.«
»Was weiß die denn schon«, brummelte Miss Simms. »Sie ist bloß eine Putzfrau«, ergänzte sie, wobei sie geflissentlich vergaß, dass auch sie manchmal putzen ging, wenn sie eine Weile keinen »Bekannten« hatte, wie sie es nannte.
»Genau«, stimmte Agatha ihr zu. »Wie sieht es bei ihm aus?«
»Na, Mrs. Feathers’ Cottage ist furchtbar dunkel, aber er hat das Zimmer mit Bildern und Läufern und aufgehellt. Eine eigene Küche hat er nicht. Die alte Mrs. Feathers kocht für ihn.«
»Die Glückliche«, sagte Agatha.
»Ich habe mich gefragt, ob ich irgendeine Chance habe, mich mit ihm zu verabreden.«
Agatha verkrampfte sich. »Er ist ein Mann Gottes«, sagte sie streng.
»Aber kein Katholik. Er darf ausgehen, so wie jeder andere auch.«
»Und was ist mit Ihrem Badausstatter?«
Miss Simms kicherte. »Der müsste es ja nicht wissen. Und außerdem ist er verheiratet.«
Die normalerweise forsche Agatha fühlte sich ausgebootet. Zudem war Tristan jung – nun, vielleicht in den Dreißigern, und Miss Simms war Ende zwanzig.
Als Miss Simms gegangen war, lief Agatha nervös auf und ab. Sie riss eine Küchenschublade auf und starrte eine Zigarettenschachtel an, nahm sie heraus, öffnete sie und steckte sich eine Zigarette an. Heiliger! Sie schmeckte fantastisch. Der Fluch des Hypnotiseurs war weg. Agatha stützte sich auf den Küchentisch, bis der erste Schwindel vorbei war. Denk dran, was du deiner Gesundheit, deiner Lunge antust!, schrie die Gouvernante in ihrem Kopf. »Verzieh dich«, murmelte Agatha der inneren Stimme zu.
Es klingelte wieder an der Tür. Wahrscheinlich noch eine Frau, die mir vom Handauflegen des Kaplans vorschwärmen will, dachte Agatha verdrossen.
Sie riss die Tür auf. Draußen stand Tristan und lächelte sie an.
Agatha blinzelte die Vision in blauem Hemd und blauer Leinenhose an. »Oh, Mr. Delon«, sagte sie matt. »Wie nett.«
»Sagen Sie Tristan«, entgegnete er. »Sie sind mir am Sonntag in der Kirche aufgefallen. Und ich hörte, dass Sie früher in London gelebt haben. Ich bin immer noch ein Stadtjunge und ein bisschen orientierungslos auf dem Land. Es ist sehr kurzfristig, aber ich habe mich gefragt, ob Sie Zeit hätten, heute Abend mit mir zu essen?«
»Ja, das wäre schön«, sagte Agatha und wünschte, sie hätte mehr Make-up aufgelegt. »Wo?«
»Oh, nur bei mir, wenn es Ihnen recht ist.«
»Schön. Wann soll ich da sein?«
»Um acht.«
»Gut. Möchten Sie nicht reinkommen?«
»Jetzt nicht. Ich bin gerade auf meiner Runde. Wir sehen uns heute Abend.«
Er schenkte ihr ein strahlendes Lächeln, winkte und ging davon.
Agatha zog sich in die Küche zurück. Ihre Knie schlotterten. Denk an dein Alter, fauchte die Stimme in ihrem Kopf. Agatha ignorierte sie und zündete sich noch eine Zigarette an, während sie überlegte, was sie anziehen sollte. Jedenfalls keine legere Kleidung. Sie verschwendete keinen Gedanken daran, welche Gerüchte der Kaplan über sie gehört haben könnte, die ihn zu dieser Einladung veranlassten. Agatha betrachtete sich als eine überaus wichtige Person, denn nur so konnte sie ihre Minderwertigkeitskomplexe kontrollieren.
Als sie einige Stunden später in einem goldfarbenen Seidenkleid in die warme Abendluft trat, glich das Schlafzimmer im Cottage einem Trümmerhaufen verworfener Garderobe. Das Kleid hatte einen schlichten Hemdblusenschnitt, da sie fand, dass volle Abendkleidung nicht zu einem Dinner in einem Dorfcottage passte.
Sie wandte den Blick ab, als sie am Pfarrhaus vorbeiging und dann bei Mrs. Feathers klopfte. Mrs. Bloxby hatte sie nichts von der Einladung erzählt, da sie ahnte, dass die Vikarsfrau sie nicht guthieße.
Die alte Mrs. Feathers öffnete. Sie war grauhaarig, gebeugt und hatte ein sanftes, unschuldiges Gesicht. »Gehen Sie ruhig nach oben«, sagte sie.
Agatha stieg die schmale Treppe hinauf. Oben machte Tristan ihr die Tür auf. »Willkommen! Wie hübsch und frisch Sie aussehen!«
Er führte Agatha in ein kleines Zimmer, wo ein Tisch mit einem weißen Leinentuch gedeckt war.
»Wir fangen gleich an«, sagte er, öffnete abermals die Tür und rief nach unten: »Sie können jetzt servieren, Mrs. Feathers.«
»Braucht sie keine Hilfe?«, fragte Agatha beunruhigt.
»Oh nein. Verderben Sie ihr nicht den Spaß. Sie genießt es, mich zu umsorgen.«
Dennoch kam es Agatha seltsam vor, als Mrs. Feathers mit einem sichtlich schweren Tablett erschien. Sie stellte zwei Teller mit Pâté de foie gras, Toast Melba, eine gekühlte Flasche Wein und zwei Gläser auf den Tisch. »Rufen Sie, wenn Sie für den nächsten Gang bereit sind«, sagte sie.
Agatha setzte sich. Mrs. Feathers breitete eine große weiße Serviette auf Agathas Schoß aus, bevor sie hinaushumpelte.
Tristan schenkte Wein ein und nahm Agatha gegenüber Platz. »Also, verraten Sie mir, was eine kultivierte Dame wie Sie in ein Dorf in den Cotswolds verschlägt?«
Agatha erzählte ihm, dass sie immer davon geträumt hatte, in den Cotswolds zu leben. Den Teil mit dem vorzeitigen Ruhestand ließ sie aus, weil sie nicht auf ihr Alter anspielen wollte. Und während sie sprach und aß, bewunderte sie die Schönheit des Kaplans. Er hatte das Gesicht eines Engels, beinahe androgyne Züge, umrahmt von goldenen Locken, doch sein athletischer, wohlgeformter Körper war ganz maskulin.
Tristan stand auf und rief nach dem zweiten Gang. Mrs. Feathers erschien mit Tournedos Rossini, neuen Kartoffeln und Salat.
»Ist Mrs. Feathers nicht eine hervorragende Köchin?«, fragte Tristan, als sie wieder allein waren.
»Oh ja«, bestätigte Agatha. »Dieses Filetsteak ist exzellent. Wo haben Sie es gekauft?«
»Ich überlasse das Einkaufen Mrs. Feathers. Allerdings habe ich sie gebeten, sich etwas Besonderes einfallen zu lassen.«
»Sie hat hoffentlich nicht für all das hier bezahlt.«
»Mrs. Feathers besteht darauf, für mein Essen aufzukommen.«
Agatha sah ihn skeptisch an. Gewiss konnte sich eine alte Witwe wie Mrs. Feathers all diese Ausgaben für Lebensmittel und Wein nicht leisten. Doch Tristan schien der Meinung zu sein, dass es ihm zustand, und er fuhr fort, Agatha über ihr Leben zu befragen, bis das Steak aufgegessen war und Mrs. Feathers eine mit Baiser überbackene Eistorte brachte.
»Ich habe nur von mir geredet«, sagte Agatha reumütig. »Über Sie weiß ich gar nichts.«
»Da gibt es nicht viel zu wissen.«
»Wo waren Sie, bevor Sie hierherkamen?«
»An einer Kirche in New Cross in London. Ich leitete dort einen Jungenclub, Sie wissen schon, um sie von der Straße zu bekommen. Alles lief gut, bis ich angegriffen wurde.«
»Oh nein, was ist passiert?«
»Einer der Ganganführer hatte das Gefühl, ich würde ihm seine Mitglieder abspenstig machen. Fünf von ihnen fielen mich eines Abends auf dem Nachhauseweg an. Ich wurde übel zusammengeschlagen, gebrochene Rippen und alles. Um ehrlich zu sein, erlitt ich einen kleinen Nervenzusammenbruch und fand, eine Weile auf dem Land zu sein, würde mir guttun.«
»Wie furchtbar für Sie«, sagte Agatha.
»Ich bin drüber weg. Solche Dinge passieren.«
»Warum wollten Sie Geistlicher werden?«
»Weil ich das Gefühl hatte, Menschen helfen zu können.«
»Und sind Sie glücklich hier?«
»Ich glaube, Mr. Bloxby mag mich nicht. Ich denke, er ist ein bisschen eifersüchtig.«
»Er ist ein schwieriger Mann. Leider mag er mich auch nicht.« Beide lachten und fühlten sich in der gemeinsamen Ablehnung durch den Vikar verbunden.
»Sie sagten, dass Sie einige Detektivarbeit gemacht haben. Erzählen Sie mir davon?«
Und so gab Agatha beim Dessert und Kaffee vergnügt mit ihren Erfolgen an, bis sie bemerkte, dass es fast Mitternacht war. Widerwillig sagte sie, sie müsse nach Hause.
»Bevor Sie gehen«, sagte Tristan. »Ich habe ein Talent, was das Spielen an der Börse angeht. Dort mache ich ein Vermögen für andere. Möchten Sie, dass ich Ihnen bei Ihren Geldanlagen helfe?«
»Ich habe einen sehr guten Börsenmakler«, antwortete Agatha. »Aber ich überlege es mir.«
Irgendwie erwartete sie, dass er anbot, sie nach Hause zu begleiten, doch er führte sie die Treppe hinunter und blieb unten stehen. »Nächstes Mal bin ich dran«, sagte Agatha.
»Ich nehme Sie beim Wort.« Er beugte sich vor und küsste sie sanft auf den Mund. Benommen starrte Agatha zu ihm auf. Dann öffnete er die Haustür. »Gute Nacht, Agatha.«
»Gute Nacht, Tristan«, sagte sie matt.
Die Tür schloss sich hinter ihr. Drüben im Pfarrhaus tauchte Mrs. Bloxbys Gesicht kurz an einem der Fenster im oberen Stockwerk auf und verschwand wieder.
Agatha ging gemessenen Schrittes nach Hause, obwohl ihr nach Laufen, Springen und Juchzen war.
Erst bei der Ankunft in ihrem Cottage wurde ihr bewusst, dass sie kein Datum für ein Dinner bei ihr festgesetzt hatte. Und sie hatte nicht mal seine Telefonnummer. Also suchte sie im Telefonbuch, bis sie Mrs. Feathers fand. Tristan würde noch nicht schlafen. Sie wählte. Mrs. Feathers meldete sich. Agatha bat, Tristan sprechen zu dürfen, und wartete nervös.
Dann hörte sie seine Stimme. »Ja?«
»Hier ist Agatha. Wir haben vergessen, einen Termin für das Dinner auszumachen.«
Zunächst herrschte Stille. Dann lachte er leise. »Sie sind aber ungeduldig. Ich gebe Ihnen Bescheid.«
»Gute Nacht«, sagte Agatha hastig und ließ den Hörer fallen wie eine heiße Kartoffel.
Langsam ging sie in die Küche und setzte sich an den Tisch. Ihre Wangen glühten vor Scham.
»Alberne alte Kuh«, schalt die Stimme in ihrem Kopf, und ausnahmsweise stimmte Agatha ihr zu.
Am nächsten Morgen war ihr erster Gedanke nach dem Aufwachen, dass sie den Kaplan nie wiedersehen wollte. Sie hatte das Gefühl, dass er sie an der Nase herumgeführt hatte, damit sie sich lächerlich machte. Wind war aufgekommen, rüttelte an dem trockenen Reetdach über ihr und blies kleine Staubwirbel durch die Lilac Lane. Agatha zwang sich, aufzustehen und sich dem Tag zu stellen. Was wäre, wenn Tristan mit Mrs. Bloxby über sie scherzte? Sie machte sich ihr übliches Frühstück aus schwarzem Kaffee und beschloss, die Gießkannen zu befüllen und ihren Garten zu wässern, da im Radio ein Gartenschlauchverbot gemeldet worden war. Auf halbem Weg durch den Garten hörte sie, wie Sirenen die dörfliche Stille durchschnitten. Langsam stellte sie ihre Gießkanne ab und lauschte. Die Sirenen rauschten an der Lilac Lane vorbei und in Richtung Kirche. Dann verstummten sie.
Agatha ließ die Gießkanne stehen und lief durchs Haus hinaus auf die Straße. Um ihre flachen Sandalen stoben Staubwolken auf. Sie rannte zum Pfarrhaus. Lieber Gott, betete Agatha still, lass es nicht Mrs. Bloxby sein.
Vor der Kirche standen drei Streifenwagen und ein Krankenwagen. Auf der Straße hatten sich bereits einige Schaulustige eingefunden. Agatha sah John Fletcher, den Wirt des Red Lion, und fragte ihn: »Ist jemand verletzt? Was ist passiert?«
»Weiß ich nicht«, antwortete er.
Sie warteten lange. Schleierwolken verdeckten die sengende Sonne über ihnen. Der Wind hatte sich wieder gelegt, und alles war still. Ein Raunen ging durch die Menge … Angeblich handelte es sich um den Vikar, Mrs. Bloxby, den Kaplan.
Ein Polizist wachte mit versteinerter Miene vor dem Pfarrhaus. Er weigerte sich, Fragen zu beantworten, und sagte bloß: »Gehen Sie weiter. Hier gibt es nichts zu sehen.«
Ein Team von Spurensicherern in weißen Anzügen traf ein. Die Leute begannen, sich zu zerstreuen. »Ich öffne mal lieber«, sagte der Wirt. »Früher oder später werden wir ohnehin alles erfahren.«
John Armitage gesellte sich zu Agatha. »Was ist los?«, fragte er.
»Weiß ich nicht«, antwortete sie. »Ich habe Angst, dass etwas mit Mrs. Bloxby ist.«
Dann kam Agathas Freund, Detective Sergeant Bill Wong, mit einer Polizistin.
»Bill!«, rief Agatha.
»Später«, sagte er. Zusammen mit der Polizistin ging er zu Mrs. Feathers’ kleinem Cottage und klopfte an die Tür. Die alte Dame öffnete ihnen. Sie sagten etwas. Mrs. Feathers hob eine zitternde Hand an ihren Mund, ehe alle drei im Haus verschwanden und die Tür geschlossen wurde.
»Da hast du deine Antwort«, sagte John Armitage.
»Es ist der Kaplan, und er ist tot, denn dieser Krankenwagen rührt sich nicht von der Stelle.«
John und Agatha entschieden, zurück zu Agathas Cottage zu gehen und später wieder zum Pfarrhaus zu kommen.
»Wer würde den Kaplan umbringen wollen – falls es denn der Kaplan war?«, fragte John.
Ich, dachte Agatha. Ich wollte ihn letzte Nacht ermorden.
Laut sagte sie: »Ich hasse dieses Warten.« Dann fiel ihr ein, dass Mrs. Feathers befragt werden und von dem Dinner gestern Abend erzählen würde. John darf nichts davon erfahren. Ich muss ihn loswerden.
»Ich bin kribbelig«, sagte sie und stand auf. »Ich denke, ich mache einen Spaziergang.«
»Gute Idee.«
»Allein.«
»Ach so, gut.«
Sie gingen zusammen zur Tür. Agatha öffnete und fand sich Detective Inspector Wilkes vom Mircester CID gegenüber, begleitet von Bill Wong und einer Polizistin.
»Dürfen wir reinkommen?«, fragte Wilkes.
»Ja«, antwortete Agatha nervös. »Bis später, John.«
Sie gab ihm einen kleinen Schubs, um ihn seiner Wege zu schicken.
Anschließend führte sie die Polizei in ihr Wohnzimmer, setzte sich und kam sich unsinnigerweise wie ein ertapptes Schulmädchen vor.
»Was ist los?«, fragte sie.
»Mr. Delon, der Kaplan, wurde heute Morgen tot im Arbeitszimmer des Vikars aufgefunden. Er ist erstochen worden.«
Agatha fühlte sich plötzlich leicht hysterisch. »Wurde er mit einem seltenen orientalischen Dolch erstochen?« Sie unterdrückte ein Kichern.
Wilkes sah sie erbost an. »Er wurde mit einem Brieföffner vom Schreibtisch des Vikars ermordet.«
Agatha kämpfte gegen ihre Hysterie. »Man kann niemanden mit einem Brieföffner umbringen.«
»Mit diesem schon. Er ist sehr scharf. Mr. Bloxby sagte, dass er ihn regelmäßig schleift. Der Kasten, in dem die Spenden für die Instandhaltung der Kirche gesammelt werden, stand offen auf dem Schreibtisch. Das Geld ist weg.«
»Ich weiß, dass der Vikar den Kasten ab und zu mitgenommen hat, um das Geld nachzuzählen und aufzuschreiben, wie viel gespendet wurde«, sagte Agatha. »Aber Mr. Delon kann unmöglich einen Einbrecher überrascht haben. Ich denke nicht, dass es jemals Spenden in einer Höhe gab, die einen Einbruch lohnten.«
»Laut dem Vikar diesmal anscheinend schon. Der Kaplan hatte am vorletzten Sonntag in seiner Predigt betont, wie wichtig es wäre, für den Kirchenerhalt zu spenden. Es waren mehrere Hundert Pfund in dem Kasten. Der Vikar war noch nicht dazu gekommen, das Geld nachzuzählen. Er sagt, dass er bloß einen Blick darauf geworfen hatte und plante, es heute zu zählen.«
»Aber was wollte Mr. Delon im Arbeitszimmer des Vikars?«, fragte Agatha.
»Könnten wir vielleicht das Mutmaßen lassen und zu Ihnen kommen, Mrs. Raisin? Sie haben gestern Abend bei Mr. Delon zu Abend gegessen und gingen erst gegen Mitternacht.«
»Ja.«
»Waren Sie intim mit ihm?«
Agatha wurde feuerrot. »Natürlich nicht! Ich kenne den Mann kaum.«
»Und trotzdem lud er Sie zum Essen ein.«
»Ach, ich dachte, es ginge um die Gemeinde. Vermutlich war es seine Art, alle kennenzulernen.«
»Und worüber haben Sie geredet?«