Handbuch Demenzvorsorge - Georg Adler - E-Book

Handbuch Demenzvorsorge E-Book

Georg Adler

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Beschreibung

Die Zahl der Patienten mit Alzheimer-Demenz wird in den nächsten Jahren durch den demografischen Wandel stark zunehmen. Die derzeit verfügbaren Therapien können den Krankheitsverlauf zwar verlangsamen, eine ursächlich wirksame Behandlung steht hingegen noch nicht zur Verfügung. Ein Drittel aller Demenzerkrankungen wird jedoch auf beeinflussbare Risikofaktoren zurückgeführt. Daher sind individuell angepasste Präventionsmaßnahmen möglich und der derzeit beste Weg, um der Erkrankung wirksam zu begegnen. Dieses Buch beschreibt die neurobiologischen Grundlagen der beginnenden Alzheimer-Demenz, ihre charakteristischen Frühsymptome und die Interpretation der Ergebnisse der psychologischen und technischen Untersuchungen. Maßnahmen zur körperlichen und geistigen Aktivierung und ein individuell angepasstes Risikofaktorenmanagement werden dargestellt. Die präventive Wirkung von Naturstoffen und Diäten wird differenziert bewertet.

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Der Autor

Prof. Dr. med. Georg Adler ist Psychiater und Psychotherapeut mit dem Schwerpunkt Gerontopsychiatrie. Er ist außerplanmäßiger Professor der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg und Lehrbeauftragter an verschiedenen Hochschulen und Akademien. Seit 2006 leitet er das Institut für Studien zur Psychischen Gesundheit (ISPG) in Mannheim, das im Bereich der Vorbeugung, Früherkennung und Behandlung von Demenzerkrankungen tätig ist. Dort werden insbesondere Studien mit innovativen Therapieverfahren zur Behandlung der beginnenden und leichten Alzheimer-Demenz durchgeführt. Darüber hinaus ist er Vorsitzender der Alzheimer Gesellschaft Rheinland-Pfalz sowie Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie (DGGPP) und der Deutschen Akademie für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie (DAGPP).

Georg Adler

Handbuch Demenzvorsorge

Früherkennung und Prävention der Alzheimer-Demenz

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2021

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-038036-3

E-Book-Formate:

pdf:        ISBN 978-3-17-038037-0

epub:     ISBN 978-3-17-038038-7

 

Inhalt

 

 

 

Vorwort

1     Epidemiologie und gesellschaftliche Bedeutung der Demenzerkrankungen

2     Neurobiologie der Alzheimer-Demenz

2.1 Amyloid-Kaskaden-Hypothese

2.2 Infektionshypothese

2.3 Cholinerge Hypothese

2.4 Neurovaskuläre Hypothese

2.5 Andere Hypothesen

3     Frühe Zeichen der Alzheimer-Demenz

4     Neuropsychologische Frühsymptome der Alzheimer-Demenz

4.1 Mini-Mental State Examination (MMSE)

4.2 Montreal Cognitive Assessment (MoCA)

4.3 Uhrentest

4.4 Strukturiertes Interview für die Diagnose einer Demenz vom Alzheimer-Typ, der Multiinfarkt- (oder vaskulären) Demenz und Demenzen anderer Ätiologie (SIDAM)

4.5 Consortium to Establish a Registry for Alzheimer’s Disease (CERAD)

4.6 Verbaler Lern- und Merkfähigkeitstest (VLMT)

4.7 Repeatable Battery for the Assessment of Neuropsychological Status (RBANS)

4.8 Cambridge Neuropsychological Test Automated Battery (CANTAB)

4.9 Merkfähigkeits- und Aufmerksamkeitstest (MAT)

5     Diagnostik von Frühstadien der Alzheimer-Demenz

6     Ansätze zur Prävention der Alzheimer-Demenz

7     Risikofakoren der Alzheimer-Demenz

7.1 Genetische Risikofaktoren

7.2 Übergewicht

7.3 Diabetes mellitus

7.4 Hypercholesterinämie

7.5 Hyperhomocysteinämie

7.6 Arterielle Hypertonie

7.7 Schlafstörungen

7.8 Mangelnde körperliche Fitness

7.9 Rauchen

8     Körperliche Aktivierung zur Prävention der Alzheimer-Demenz

9     Kognitive und soziale Aktivierung zur Prävention der Alzheimer-Demenz

10   Naturstoffe zur Prävention der Alzheimer-Demenz

10.1 Wirkmechanismen und Besonderheiten

10.2 Einzelsubstanzen

Alkohol

Bryostatin

Homotaurin (Tramiprosat)

Huperzin A

Melatonin

Östrogene

Omega-3-Fettsäuren

Spermidin

Vitamin B

Vitamin C

Vitamin D

Vitamin E

10.3 Extrakte

Blaubeeren

Ginkgo biloba

Ginseng

Griechischer Bergtee

Grüntee

Kaffee

Knoblauch

Kokosöl

Kurkuma

Melisse

Safran

Salbei

Weihrauch

11   Diäten

12   Diagnostisches und therapeutisches Vorgehen

12.1 Untersuchungsgang

12.2 Weiterführende Diagnostik

12.3 Präventive und therapeutische Maßnahmen

Risikofaktorenmanagement

Änderung des Lebensstils

Symptomatische Behandlung

Krankheitsmodifizierende Behandlung

Begleitung

Literatur

Sachregister

 

Vorwort

 

 

 

Die steigende Lebenserwartung der Bevölkerung in den entwickelten Ländern ist naturgemäß mit einer Zunahme der Häufigkeit von altersassoziierten Krankheiten verbunden. Das gilt auch für die Demenzerkrankungen, an denen in Deutschland etwa anderthalb Millionen Menschen leiden. Deren Anzahl wird sich in den nächsten beiden Jahrzehnten um etwa 50 % erhöhen, da in diesem Zeitraum die geburtenstarken Jahrgänge, die etwa zwischen 1950 und 1970 geborenen sogenannten Babyboomer, in das Lebensalter mit deutlich ansteigender Häufigkeit von Demenzerkrankungen eintreten.

Die bei weitem häufigste Ursache der Demenz ist die Alzheimer-Krankheit. Die der Alzheimer-Krankheit zugrundeliegenden neurobiologischen Prozesse sind mittlerweile gut bekannt. Sie haben einen jahrzehntelangen Vorlauf, bis es schließlich zu einer Abnahme der geistigen Leistungsfähigkeit kommt. Diese lange präsymptomatische Krankheitsphase und die Auswirkungen von beeinflussbaren Risikofaktoren auf die Krankheitsentwicklung sind günstige Voraussetzungen für präventivmedizinische Maßnahmen. Zur Prävention der Alzheimer-Demenz liegen umfangreiche, meist gut gesicherte Erkenntnisse vor. In diesem Werk wird der aktuelle Stand dieses Wissens zusammenfassend dargestellt und kritisch bewertet, um Hilfestellung für eine individuelle Beratung von Personen zur Demenzprävention zu geben.

Von den Betroffenen und ihren Angehörigen wird auch häufig recht spezifisch nach dem möglichen Nutzen von Naturstoffen zur Demenzprävention gefragt. Um diese Fragen angemessen und differenziert beantworten zu können, wurde der aktuelle Stand der gesicherten Erkenntnisse zu den gängigsten Einzelsubstanzen und Extrakten in einem eigenen Kapitel dargestellt.

Für die Prävention von Demenzerkrankungen ist natürlich auch die Früherkennung von großer Bedeutung, denn bei Personen, die ein hohes Risiko für die Entwicklung einer Alzheimer-Demenz haben oder die sich möglicherweise in einem frühen Stadium der Erkrankung befinden, sind Präventionsmaßnahmen besonders dringlich. Eine Schwierigkeit bei der Früherkennung der Alzheimer-Demenz besteht darin, eine durch die Erkrankung bedingte Verminderung der geistigen Leistungsfähigkeit von normalen altersbedingten Veränderungen zu unterscheiden. Zur Klärung dieser Frage werden charakteristische Befunde und ihre Bedeutung auf den verschiedenen diagnostischen Ebenen dargestellt – von den eigenen Wahrnehmungen der Betroffenen über die Erhebung und Untersuchung der verschiedenen Risikofaktoren und neuropsychologischen Tests bis hin zu den weiterführenden bildgebenden und laborchemischen Untersuchungsmethoden.

Schließlich werden für den Fall einer drohenden oder beginnenden Demenzerkrankung Maßnahmen für eine sinnvolle Frühbehandlung vorgeschlagen, die darauf abzielen, den Krankheitsverlauf wirksam zu verzögern. Das betrifft die Behandlung von Risikofaktoren, verschiedene Empfehlungen für Lebensstil und Ernährung und die medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten.

Eine derartige Präventivmedizin ist in anderen medizinischen Bereichen, insbesondere in Onkologie und Kardiologie, seit vielen Jahren gut etabliert. In den entsprechenden Fachgebieten bestehen fundierte und differenzierte Erkenntnisse über die Aussagekraft und den Nutzen von Vorsorgeuntersuchungen, über die weitere gestaffelte diagnostische Vorgehensweise und über therapeutische Maßnahmen in frühen Krankheitsstadien. Ziel des hier vorgelegten Handbuchs zur Demenzvorsorge ist es, den gegenwärtigen Wissensstand zu Risikofaktoren, Präventionsmaßnahmen, Früherkennung und Frühbehandlung der Alzheimer-Demenz für die Praxis aufzubereiten und zusammenzufassen. Es richtet sich an Hausärzte, Psychiater, Neurologen, Geriater, Gerontologen, Fort- und Weiterbildungskandidaten und Medizinstudenten.

Meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Institut für Studien zur Psychischen Gesundheit in Mannheim bin ich für ihre wertvolle Unterstützung bei der täglichen Arbeit in der Demenzvorsorge und der Behandlung von Alzheimer-Patienten sowie für zahlreiche Anregungen und Hinweise verbunden.

Mannheim, im Juli 2021

Georg Adler

 

1          Epidemiologie und gesellschaftliche Bedeutung der Demenzerkrankungen

 

 

 

Bis zum Jahr 2040 werden in Deutschland die sogenannten geburtenstarken Jahrgänge, also die Personen, die zwischen 1950 und 1970 geboren wurden, ins Rentenalter eingetreten sein. Die auf sie folgenden Jahrgänge sind deutlich schwächer besetzt (Abb. 1.1), so dass es binnen weniger Jahre zu einem erheblichen Anstieg der absoluten Anzahl und des Bevölkerungsanteils der Personen im Rentenalter kommen wird. Der sogenannte Altersquotient der Bevölkerung, also die Anzahl von Personen im Rentenalter, die auf 100 Personen im erwerbsfähigen Alter kommt, wird auf einen Wert von über 80 ansteigen.

Dieser demographische Wandel wird mit einer erheblichen Zunahme der altersassoziierten Erkrankungen und damit auch der Demenzerkrankungen verbunden sein. Die weitaus häufigste Ursache einer Demenz ist die Alzheimer-Krankheit. Ihre Häufigkeit nimmt im höheren Lebensalter erheblich zu und erreicht jenseits des 85. Lebensjahres Werte um 30 Prozent (Abb. 1.2) (Wu et al. 2016).

Hingegen ist vor dem 50. Lebensjahr die Häufigkeit von Demenzen sehr niedrig und liegt bei etwa 0,25 Promille, wobei nur etwa 30 % der Demenzerkrankungen in dieser Altersgruppe auf die Alzheimer-Krankheit zurückzuführen sind (Lambert et al. 2014).

Die gesamtgesellschaftlichen Kosten der Demenzerkrankungen in Deutschland wurden für das Jahr 2016 auf 54 Mrd. € geschätzt und werden sich erwartungsgemäß bis zum Jahr 2060 auf 145 Mrd. € erhöhen (Michalowsky et al. 2019). Derzeit werden diese Kosten jeweils zu ungefähr der Hälfte durch das Gesundheitssystem und durch die Familien aufgebracht. Aufgrund der niedrigen Geburtenrate, der hohen Scheidungsrate und des steigenden Anteils von im Alter allein lebenden Personen wird die Leistungsfähigkeit der Familien für die Versorgung der Demenzkranken abnehmen. Dementsprechend wird sich der Kostenanteil des Gesundheitssystems in Zukunft erhöhen.

In epidemiologischen Untersuchungen wurde eine Reihe von beeinflussbaren Faktoren identifiziert, die das Risiko für die Entwicklung einer Alzheimer-Demenz erhöhen. Zu diesen beeinflussbaren Risikofaktoren gehören Diabetes mellitus, Bluthochdruck im mittleren Lebensalter, Übergewicht im mittleren Lebensalter, körperliche Inaktivität, Depressivität, Rauchen und schlechte Bildung. Die Stärke des Zusammenhangs zwischen diesen Faktoren und dem Risiko für die Entwicklung einer Demenz lässt vermuten, dass etwa ein Drittel aller Demenzerkrankungen durch gezielte Einwirkung auf diese Risikofaktoren verhindert werden kann (Norton et al. 2014).

Abb. 1.1: Bevölkerungsstruktur Deutschlands 2020 (Statistisches Bundesamt (Destatis) 2019, Bevölkerungspyramide: Altersstruktur Deutschlands von 1950 – 2060 (destatis.de)). In dieser Abbildung ist die Personenanzahl der einzelnen Jahrgänge für Männer und Frauen dargestellt. Die Jahrgänge der Babyboomer, also der Personen, die derzeit etwa zwischen 45 und 65 Jahre alt sind, sind erheblich stärker besetzt als die folgenden Jahrgänge.

Für diese Vermutung spricht auch, dass die altersbezogene Neuerkrankungsrate für Demenzen in Europa in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gesunken ist. So wurde in der Rotterdam-Studie bei zwei Kohorten, die 1990 bzw. 2000 untersucht wurden, eine Abnahme der altersbezogenen Neuerkrankungsrate für Demenzen um 24 % beobachtet (Schrijvers et al. 2012). Diese Abnahme ging mit einer Intensivierung der Behandlung von Gefäßrisikofaktoren bei der später untersuchten Kohorte einher. Auch bei der englischen Cognitive Function and Ageing Study (CFAS), bei der mehr als 7.500 über 65-jährige Personen in zwei Kohorten zwischen 1989 und 1994 und zwischen 2008 und 2011 untersucht

Abb. 1.2: Altersbezogene Häufigkeit der Demenz in Europa (Wu et al. 2016). In dieser Abbildung ist die Häufigkeit der Alzheimer-Demenz, wie sie in verschiedenen epidemiologischen europäischen Studien ermittelt wurde, in % über den entsprechenden Altersgruppen dargestellt. Die Häufigkeit nimmt mit dem Lebensalter stark zu und erreicht bei den über 85-Jährigen Werte um 30 %.

wurden, wurden vergleichbare Ergebnisse gefunden (Matthews et al. 2013). In den zwanzig Jahren, die zwischen der Untersuchung der beiden Kohorten liegen, nahm die standardisierte Querschnittshäufigkeit der Demenz von 8,3 % auf 6,5 % ab. Bessere Bildung und eine intensivere Behandlung von Gefäßrisikofaktoren in der jüngeren Kohorte wurden von den Autoren dafür als Ursachen angenommen. Diese Faktoren scheinen stärker wirksam zu sein als die im Intervall zwischen der Untersuchung der beiden Kohorten eingetretenen entgegengerichtet wirksamen Veränderungen, vor allem die größere Häufigkeit von Übergewicht und Diabetes mellitus sowie die besseren Überlebenschancen nach Schlaganfällen.

Allerdings wirkt sich der demographische Wandel auf die Anzahl und den Bevölkerungsanteil der an Demenz Erkrankten erheblich stärker aus als die Abnahme der altersbezogenen Neuerkrankungsrate. Dennoch besteht die begründete Hoffnung, dass durch gezielte Präventionsmaßnahmen etwa 30 % der Demenzerkrankungen, die anhand der Entwicklung der Altersstruktur der Bevölkerung zu erwarten sind, vermieden werden können (Luck und Riedel-Heller 2016). Um dieses Präventionspotenzial ausschöpfen zu können, sind allerdings zielgerichtete gesundheitspolitische Maßnahmen erforderlich. Vor dem Hintergrund des allgemein gestiegenen Gesundheitsbewusstseins könnte eine intensive und erfolgreiche Beteiligung der Bevölkerung an geeigneten Präventionsmaßnahmen möglich werden, wie es sich bei einem Projekt abzeichnet, das von uns gemeinsam mit der Alzheimer Gesellschaft Rheinland-Pfalz durchgeführt wird (Adler 2019).

Bei den über 50-jährigen nicht dementen Teilnehmern dieses Demenz-Präventionsprogramms wurde eine starke Häufung beeinflussbarer Risikofaktoren der Alzheimer-Demenz festgestellt. Das waren insbesondere

•  Übergewicht (bei 61,7 %),

•  nicht oder unzureichend behandelte Hypercholesterinämie (bei 38,9 %),

•  niedrige kardiorespiratorische Fitness (bei 37,1 %),

•  niedrige motorische Fitness (bei 33,6 %),

•  Hyperhomocysteinämie (bei 29,0 %),

•  nicht oder unzureichend behandelte arterielle Hypertonie (bei 22,5%),

•  Prädiabetes oder Diabetes mellitus (bei 20,7 %) und

•  Rauchen (bei 12,3 %) (Adler 2019).

Bei über 20 % der untersuchten Personen bestanden vier oder mehr dieser Risikofaktoren. Für die meisten dieser Risikofaktoren zeigten sich im Querschnitt bei den untersuchten Personen Zusammenhänge mit Gedächtnisstörungen. Dies gilt in besonders hohem Maß für eine schlechte körperliche Fitness sowie für Prädiabetes oder Diabetes mellitus. Bemerkenswert waren signifikante Querschnittskontingenzen einerseits zwischen Gesundheitsmerkmalen, die eng mit dem Lebensstil zusammenhängen wie Übergewicht, schlechte körperliche Fitness oder Rauchen, und andererseits medizinischen Risikofaktoren der Alzheimer-Demenz wie Bluthochdruck, Prädiabetes oder Diabetes mellitus, Hypercholesterinämie und Hyperhomocysteinämie. Diese Zusammenhänge, die auch in der von uns untersuchten Altersgruppe noch im Querschnitt nachweisbar waren, weisen auf ein beträchtliches Präventionspotenzial hin, das durch Änderungen des Lebensstils erschlossen werden kann.

Besorgniserregend ist in diesem Zusammenhang die zunehmende Häufigkeit von Übergewicht und Diabetes mellitus bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Außer der individuellen Beratung und Behandlung der Betroffenen spielen die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Ernährung und körperliche Aktivität eine große Rolle, wobei auch die Politik Einflussmöglichkeiten hat und Verantwortung trägt (Tataranni 2003).

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Identifikation beeinflussbarer Risikofaktoren für die Entwicklung einer Demenz und die Häufung dieser Risikofaktoren bei älteren Erwachsenen eine ausgezeichnete Basis für wirksame Maßnahmen zur Demenzprävention darstellt. Die daraus ableitbaren Maßnahmen betreffen sowohl den Lebensstil als auch die medizinische Behandlung der Risikofaktoren. Auf diese Weise könnte die durch den demographischen Wandel bedingte starke Zunahme von Demenzerkrankungen erheblich abgemildert werden.

 

2          Neurobiologie der Alzheimer-Demenz

 

 

 

Unter Demenz versteht man eine im Laufe des Lebens auftretende Störung des Kurzzeitgedächtnisses und der geistigen Leistungsfähigkeit, die zu einer Beeinträchtigung der für ein selbstständiges Leben erforderlichen Alltagsfertigkeiten führt. Ein derartiges Demenz-Syndrom kann verschiedene Ursachen haben, z. B. die Alzheimer-Krankheit, Durchblutungsstörungen des Gehirns oder andere neurodegenerative Erkrankungen. Aber auch allgemein körperliche Erkrankungen, wie z. B. eine ausgeprägte Anämie, oder andere Gehirnerkrankungen, wie z. B. ein Gehirntumor, können eine Demenz verursachen.

Abb. 2.1: Histopathologische Veränderungen bei der Alzheimer-Demenz (Alzheimer 1911). Zeichnungen Alzheimers, in der die Plaques und Fibrillen in der Großhirnrinde bei zwei Alzheimer-Patienten abgebildet sind.

Die bei weitem häufigste Ursache der Demenz ist jedoch die Alzheimer-Krankheit. Ihre Symptomatik und die zugrundeliegenden histopathologischen Veränderungen des Gehirns in Form von Plaques und Fibrillen wurden erstmalig 1906 von Alois Alzheimer beschrieben (Abb. 2.1).

Mittlerweile ist bekannt, dass die Plaques überwiegend aus dem Eiweiß Beta-Amyloid, die Fibrillen überwiegend aus Tau-Protein bestehen. Die der Alzheimer-Krankheit zugrundeliegenden neurobiologischen Prozesse, die zur Ablagerung von Beta-Amyloid und Tau-Protein im Gehirn in Form von Plaques und Fibrillen führen, laufen über viele Jahre ab, bis sie schließlich zu Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit führen (Morris 2005).

2.1       Amyloid-Kaskaden-Hypothese

Die vorherrschende Theorie für die der Alzheimer-Demenz zugrundeliegenden neurobiologischen Prozesse ist die Amyloid-Kaskaden-Hypothese (Hardy und Higgins 1992). In ihrer ursprünglichen Form besagt sie, dass die Erkrankung durch die übermäßige Produktion, Aggregation und extrazelluläre Ablagerung von Beta-Amyloid, einem Abbauprodukt des Amyloid-Präkursor-Proteins (APP), ausgelöst wird. Als Folge der erhöhten Beta-Amyloid-Konzentration im Interstitium kommt es intrazellulär zur Bildung von Neurofibrillen aus hyperphosphoryliertem Tau-Protein. In den vergangenen Jahren ist die Amyloid-Kaskaden-Hypothese mit dem Zuwachs der Kenntnisse über die neurobiologischen Krankheitsabläufe weiterentwickelt worden (Hardy 2009).

Die überzeugendsten Hinweise für eine ursächliche Rolle von Beta-Amyloid in der Genese der Alzheimer-Krankheit stammen aus Studien bei den autosomal dominant vererbten familiären Alzheimer-Demenzen, die etwa 1–5 % der Krankheitsfälle ausmachen (Reitz und Mayeux 2014) und bei denen Mutationen der Gene für das Amyloid-Präkursor-Protein (APP), für Präsenilin 1 (PSEN1) oder für Präsenilin 2 (PSEN2) vorliegen (Guerreiro und Hardy 2014). Die bei diesen Alzheimer-Demenzen gewonnenen Erkenntnisse wurden auf die sogenannte sporadische Alzheimer-Demenz, die bei der ganz überwiegenden Anzahl der Patienten vorliegt, übertragen.

Das Amyloid-Präkursor-Protein (APP) ist ein großes Membranprotein, das insbesondere in den Synapsen von Nervenzellen vorkommt. Die physiologische Funktion des APP ist noch unbekannt; möglicherweise spielt es eine Rolle bei der synaptischen Plastizität. Bei der Verstoffwechselung von APP fällt Beta-Amyloid an, das durch Sekretasen aus dem APP herausgeschnitten wird. PSEN1 und PSEN2 sind katalytische Untereinheiten der Gamma-Sekretase, die an diesem Prozess beteiligt ist.

Wahrscheinlich besteht bei den familiären, früh beginnenden Formen der Alzheimer-Demenz eine genetisch bedingte Überproduktion von Beta-Amyloid, während bei den sporadischen, spät beginnenden Formen der Alzheimer-Demenz eher eine verminderte Elimination von Beta-Amyloid die treibende Kraft des Krankheitsprozesses ist (Mawuenyega et al. 2010). Die Elimination von Beta-Amyloid aus dem Gehirn findet einerseits durch Amyloid-abbauende Enzyme, andererseits durch verschiedene Transportmechanismen statt.

Die Mehrzahl der Amyloid-abbauenden Enzyme sind Zink-Metalloproteasen, unter anderem Neprilysin (NEP), Insulin-degrading enzyme (IDE) und Angiotensin-converting enzyme (ACE) (Nalivaeva und Turner 2019). Eine verminderte Aktivität des IDE, das im Gehirn sowohl Insulin als auch Beta-Amyloid hydrolysiert, ist vermutlich eine der Ursachen für die engen Zusammenhänge zwischen Alzheimer-Demenz und Typ-2-Diabetes mellitus (Steen et al. 2005).

Bei der Elimination von Beta-Amyloid aus dem Gehirn wirken auch Apolipoprotein E und Alpha-2-Makroglobulin mit, die den Transport von Beta-Amyloid durch die Blut-Hirn-Schranke in den Blutkreislauf fördern (Ries und Sastre 2016). Die Wirksamkeit der Elimination durch Apolipoprotein E ist dabei von der Isoform dieses Enzyms abhängig: die Isoform E2 ist wirksamer als E3, die wiederum wirksamer als E4 ist (Deane et al. 2008). Das Apolipoprotein E4 wirkt sich auf zweierlei Weise ungünstig auf das Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit aus. Es ist zum einen mit einer verminderten Elimination von Beta-Amyloid aus dem Gehirn verbunden (Castellano et al. 2011), zum anderen zerfällt es zu neurotoxisch wirksamen Fragmenten (Mahley und Huang 2012).

Das Gehirn verfügt zur Gewebedrainage und zur Entfernung von Abfallprodukten an Stelle der Lymphgefäße über das sogenannte glymphatische System, ein perivaskuläres Netzwerk (Nedergaard 2013), das Anschluss zum lymphatischen System hat (Louveau et al. 2015). Lösliches Beta-Amyloid und Tau-Oligomere werden durch das glymphatische System aus dem Gehirn transportiert (Iliff et al. 2012, 2014). Die treibenden Kräfte im glymphatischen System sind Strömungs- und Diffusionsdruck (Benveniste et al. 2019). Die Elimination von Beta-Amyloid durch das glymphatische System ist im Tiefschlaf erhöht (Xie et al. 2013). Daher erhöht jegliche Art der Schlafstörung das Risiko für die Entwicklung einer Alzheimer-Demenz (Yaffe et al. 2014).

Die Ablagerungen von Beta-Amyloid im Gehirn folgen im Krankheitsverlauf einem charakteristischen raum-zeitlichen Muster (Nelson et al. 2009). Sie beginnen im basalen Neokortex und breiten sich später über den Hippokampus in den gesamten Kortex aus.

Eine erhöhte Konzentration von Beta-Amyloid im Interstitium wirkt neurotoxisch, führt zur Atrophie von Dendriten und Axonen und schließlich zum Zelluntergang (Yankner et al. 1990). Ein dabei wirksamer Mechanismus ist, dass Beta-Amyloid über den Caspase-Rezeptor die intrazelluläre Hyperphosphorylierung und Fibrillenbildung des Tau-Proteins fördert (Götz et al. 2001).

Die physiologische Funktion des Tau-Proteins besteht in der Stabilisierung der Mikrotubuli sowie in der Unterstützung des Wachstums der Neuriten und des intrazellulären Transports von Zellorganellen. Dabei wird seine Funktion physiologischerweise durch die von Kinasen und Phosphatasen katalysierte Phosphorylierung und Dephosphorylierung geregelt. Unter dem Einfluss von Beta-Amyloid wird das Tau-Protein hyperphosphoryliert. Dadurch kommt es zur Desintegration und zum Funktionsverlust der Neurotubuli, die die Straßen für den intrazellulären Transport von Zellorganellen darstellen. Dies führt zur Schädigung und schließlich zum Untergang der Nervenzellen (Reddy 2011). Das hyperphosphorylierte Tau-Protein wird unlöslich und aggregiert zu Filamenten und Fibrillen (Iqbal et al. 2005).

Analog zu den Prionen-Erkrankungen werden bei der Alzheimer-Krankheit toxische Konformationstypen von Beta-Amyloid und Tau-Protein gebildet. Diese Konformationstypen wirken infektiös und können bei anderen Beta-Amyloid- oder Tau-Protein-Molekülen gleichartige Konformationsänderungen auslösen und so zu einer Verbreitung der Erkrankung im Gehirn führen (Jucker und Walker 2013).

Die schädigenden Wirkungen von Beta-Amyloid und Tau-Protein bewirken synergistisch zunächst eine synaptische Funktionsstörung, die bereits in Frühstadien der Alzheimer-Demenz im Positronen-Emissions-Tomogramm in Form eines verminderten Glukose-Stoffwechsels sichtbar wird (Mosconi et al. 2009). Später kommt es zum Untergang der Nervenzellen, der sich in der strukturellen Bildgebung des Gehirns als Atrophie zeigt.

Die für die Alzheimer-Demenz charakteristischen neuropsychologischen Veränderungen in Form von Störungen des Gedächtnisses und der geistigen Leistungsfähigkeit folgen diesen neurobiologischen Prozessen mit jahrelanger Latenz (Sperling et al. 2011). Daher ist es für die begriffliche Klarheit sinnvoll, von der »Alzheimer-Demenz« die »Alzheimer-Krankheit« zu unterscheiden, bei der die beschriebenen neurobiologischen Krankheitsprozesse, insbesondere die Beta-Amyloid-Pathologie bestehen, ohne dass die Betroffenen schon notwendigerweise unter einer Demenz oder einer leichten kognitiven Beeinträchtigung leiden.

2.2       Infektionshypothese

Die Infektionshypothese zur Genese der Alzheimer-Demenz ist eine neuere Modifikation der Amyloid-Kaskaden-Hypothese. Die zentrale Rolle spielt dabei die vor einigen Jahren erkannte antimikrobielle Wirkung des Beta-Amyloids (Gosztyla et al. 2018). Die übermäßige Anhäufung von Beta-Amyloid im Gehirngewebe wird im Kontext der Infektionshypothese nicht als Folge einer fehlerhaften Produktion oder gestörten Elimination dieses Eiweißes, sondern als gezielte antimikrobielle Maßnahme des Organismus verstanden (Fulop et al. 2018). Als Auslöser einer vermehrten Beta-Amyloid-Produktion werden verschiedene mikrobielle Erreger in Betracht gezogen, insbesondere der Parodontitis-Erreger Porphyromonas gingivalis, dessen DNS in den Amyloid-Plaques nachgewiesen wurde (Singhrao et al. 2015). Auf dieser Grundlage wird derzeit eine Therapiestudie mit einem Medikament durchgeführt, das die Proteasen von Porphyromonas gingivalis, die Gingipaine, hemmt (Dominy et al. 2019).

2.3       Cholinerge Hypothese

Die cholinerge Hypothese bezieht sich auf Veränderungen auf der Ebene der Neurotransmitter, die die Folge der Neurodegeneration sind. Sie besagt, dass die kognitiven Beeinträchtigungen bei der Alzheimer-Demenz durch eine Störung der Funktion des Neurotransmitters Acetylcholin verursacht werden. Bei Alzheimer-Patienten wurde in den Amygdala, im Hippokampus und im Kortex eine Verminderung der Aktivität des Enzyms Cholinacetyltransferase, das die Synthese von Acetylcholin katalysiert, gefunden sowie eine verminderte synaptische Konzentration von Acetylcholin (Francis et al. 1999). Die cholinerge Hypothese der Alzheimer-Demenz wurde bereits 1976, also vor der Amyloid-Kaskaden-Hypothese, formuliert und hat mit der Entwicklung der Acetylcholinesterase-Hemmer zu den ersten Medikamenten für eine wirksame symptomatische Behandlung der Alzheimer-Demenz geführt.

2.4       Neurovaskuläre Hypothese

Bei der neurovaskulären Hypothese wird die Bedeutung der zerebralen Durchblutung für die Alzheimer-Demenz hervorgehoben. Bei der Alzheimer-Demenz wurden nämlich bereits vor dem Auftreten neurodegenerativer Veränderungen Funktionsstörungen der kleinen zerebralen Gefäße nachgewiesen (Ruitenberg et al. 2005). Durch diese Gefäßveränderungen wird die Elimination von Stoffwechsel-Abbauprodukten wie Beta-Amyloid beeinträchtigt, welches seinerseits auch gefäßschädigend wirkt (Thomas et al. 1996). Die neurovaskuläre Hypothese erklärt auch die negative Wirkung von Gefäßrisikofaktoren wie Hypercholesterinämie oder Diabetes mellitus auf das Erkrankungsrisiko und auf den Verlauf der Alzheimer-Demenz.

2.5       Andere Hypothesen

Es wurden noch verschiedene andere Hypothesen für die Pathogenese der Alzheimer-Demenz entwickelt, die bestimmte Elemente der Amyloid-Kaskaden-Hypothese oder andere Faktoren wie Entzündungsprozesse, Metall-Ionen oder die Genregulation durch Micro-RNAs in den Vordergrund stellen. Sie spielen aber bislang in der wissenschaftlichen Diskussion nur eine untergeordnete Rolle (Liu et al. 2019).

 

3          Frühe Zeichen der Alzheimer-Demenz

 

 

 

Im Frühverlauf der Alzheimer-Demenz können grundsätzlich drei Phasen unterschieden werden. In Phase 1, der präsymptomatischen Phase, sind die neurobiologischen Krankheitsprozesse der Alzheimer-Krankheit, insbesondere die Amyloid-Pathologie, nachweisbar, ohne dass es bereits zu einer Verminderung der geistigen Leistungsfähigkeit gekommen ist. In Phase 2, der Phase der leichten kognitivenBeeinträchtigung (mild cognitive impairment, MCI), sind die neurobiologischen Veränderungen weiter fortgeschritten und es machen sich erste Zeichen der kognitiven Leistungsminderung, insbesondere in Form von Störungen des Kurzzeitgedächtnisses, bemerkbar. Das selbstständige Funktionieren im Alltag ist allerdings noch nicht beeinträchtigt. In Phase 3, der Phase der leichten Demenz, haben schließlich die Beeinträchtigungen der geistigen Leistungsfähigkeit ein solches Ausmaß erreicht, dass darunter auch die Alltagsfertigkeiten zu leiden beginnen.

Wie bereits im vorhergehenden Kapitel erwähnt, bestehen die charakteristischen neurobiologischen Veränderungen der Alzheimer-Krankheit schon jahrelang, bevor die geistige Leistungsfähigkeit nachlässt (Jack et al. 2010). Die testpsychologische Erfassung von geringgradigen kognitiven Leistungseinschränkungen wird allerdings durch verschiedene methodische Einschränkungen erschwert, beispielsweise durch Schwankungen in der Tagesform und durch das unterschiedliche Ausgangsniveau der Getesteten.

Aber schon bevor sich testpsychologisch eindeutig fassbare krankheitsbedingte Einschränkungen des Gedächtnisses oder der kognitiven Leistungsfähigkeit zeigen, also in der oben erwähnten Phase 1, werden von vielen Betroffenen selbst Veränderungen des geistigen Leistungsvermögens bemerkt. Aus diesem Grund wurde bereits in den 1980er Jahren bei der Stadieneinteilung der Alzheimer-Demenz mit der Global Deterioration Scale (GDS) das Symptom »Klagen über das Nachlassen des Gedächtnisses« als ein wesentliches Krankheitsmerkmal aufgenommen (Reisberg et al. 1982).

Die Selbstwahrnehmung von Veränderungen der geistigen Leistungsfähigkeit und die emotionale und kognitive Verarbeitung dieser Eindrücke spielen wohl auch eine Rolle für die Entwicklung von sozialem Rückzug, Depressivität, Ängstlichkeit und Misstrauen, wie sie häufig bei Alzheimer-Patienten auftreten, noch bevor diese in Phase 2 oder Phase 3 der Erkrankung eintreten.

In einer Untersuchung zum Zeitverlauf derartiger nicht kognitiver Symptome von Alzheimer-Patienten zeigte sich, dass schon zwei bis drei Jahre bevor die klinischen Kriterien für das Demenz-Syndrom erfüllt waren, also bevor die Beeinträchtigungen von Gedächtnis und kognitiver Leistungsfähigkeit ein Ausmaß erreicht hatten, das die Alltagsfertigkeiten beeinträchtigte, bei etwa der Hälfte der Alzheimer-Patienten Depressivität und sozialer Rückzug beobachtet wurden (Abb. 3.1) (Jost und Grossberg 1996).

Abb. 3.1: Nicht kognitive Symptome im Zeitverlauf der Alzheimer-Demenz (modifiziert nach Jost und Grossberg 1996). In dieser Abbildung sind die Maxima der Häufigkeit nicht kognitiver Symptome der Alzheimer-Demenz über die Zeit vor der Erfüllung der Diagnosekriterien aufgetragen. Die Daten wurden bei 100 Patienten mit post mortem histopathologisch gesicherter Alzheimer-Demenz erhoben.

Vor diesem Hintergrund erschien es naheliegend zu untersuchen, ob die Selbstwahrnehmung der Betroffenen in Form von subjektiven Störungen der geistigen Leistungsfähigkeit, insbesondere von subjektiven Gedächtnisstörungen, ein geeignetes Hilfsmittel zur Früherkennung der Alzheimer-Demenz sein kann (Jessen 2014).

Subjektive Gedächtnisstörungen werden im Allgemeinen mit Hilfe von drei Fragen erhoben:

•  Haben Sie das Gefühl, dass Ihr Gedächtnis in letzter Zeit nachgelassen hat?

•  Wenn ja, machen Sie sich deswegen Sorgen?

•  Glauben Sie, dass Ihr Gedächtnis schlechter ist als das Gedächtnis vergleichbarer gleichaltriger Personen?

Diese Fragen werden im Allgemeinen in der angegebenen Reihenfolge mit abnehmender Häufigkeit bejaht. So beantworteten von 130 über 50-jährigen Teilnehmern eines Demenz-Präventionsprogramms 66 % die erste Frage mit »Ja«, 49 % die zweite und 32 % die dritte (Adler et al. 2018).

Bei bildgebenden Untersuchungen von Personen mit subjektiven Gedächtnisstörungen wurde gehäuft eine Verminderung des Hippokampus-Volumens gefunden, wie sie für die Alzheimer-Demenz charakteristisch ist (Tepest et al. 2008). Auch histopathologische Untersuchungen und Positronen-Emissions- Tomogramme mit Amyloid-Liganden zeigten bei diesen Personen gehäuft Amyloid-Ablagerungen (Amariglio et al. 2012; Perrotin et al. 2012).

Die wichtigste Frage ist allerdings, ob anhand der subjektiven Gedächtnisstörungen vorhergesagt werden kann, ob sich ein objektiv fassbares Nachlassen der Gedächtnisleistung entwickeln wird. Längsschnittuntersuchungen zeigen, dass dies der Fall ist. So ist beim Bestehen von subjektiven Gedächtnisstörungen das Risiko für die Entwicklung einer Demenz im Verlauf der folgenden fünf Jahre etwa um das Zwei- bis Dreifache erhöht (Reisberg et al. 2010; Mitchell et al. 2014). Dies gilt insbesondere bei Personen, bei denen neben den subjektiven Gedächtnisstörungen bereits leichte objektivierbare Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit bestehen oder die gut gebildet sind (Jonker et al. 2000). Man geht davon aus, dass gut gebildete Personen Veränderungen ihrer geistigen Leistungsfähigkeit einerseits subjektiv deutlicher wahrnehmen, aber andererseits bei testpsychologischen Untersuchungen durch ihre gute Bildung wegen Deckeneffekten der verwendeten Testinstrumente noch längere Zeit unbeeinträchtigt erscheinen.