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Erfolg im Arbeitsalltag mit fundiertem Wissen: Das Buch ist Ihr umfassendes Handbuch für alle Aspekte des Schwerbehindertenrechts und die Zusammenarbeit der SBV mit internen und externen Partnern. Es vereint sowohl die neuesten rechtlichen Vorgaben als auch jahrelange Praxiserfahrung des Autors als Rechtsanwalt sowie als Referent für Schwerbehindertenvertretungen. Warum dieses Buch für Sie unverzichtbar ist: •Geballtes Expertenwissen: Erhalten Sie einen tiefen Einblick in die Rechte und Pflichten der Schwerbehindertenvertretung und entdecken Sie Handlungsempfehlungen von staatlichen Stellen, Stiftungen und Vereinen. •Praktischer Nutzen: Die umfassende Darstellung aller für die SBV relevanten Themen unterstützt Sie direkt und effizient bei Ihren täglichen Herausforderungen. •Starke Zusammenarbeit fördern: Erfahren Sie, wie Sie Ihre Rechte gegenüber dem Arbeitgeber durchsetzen und wie Sie mit internen und externen Partnern, wie z.B. Betriebsrat und Integrationsamt, effektiv zusammenarbeiten. •Wichtige Hilfestellungen: Nutzen Sie Hinweise zur Inklusionsvereinbarung und zum BEM, zur Beantragung der Feststellung der Schwerbehinderung und Gleichstellung und zu vielen weiteren relevanten Themen. •Schützen und Fördern: Lernen Sie, wie Sie Kolleginnen und Kollegen effektiv helfen und die Arbeitgeberpflichten überwachen können. Entdecken Sie, wie Sie bei der Kündigungsprävention helfen und zum Anspruch auf behinderungsgerechte Beschäftigung informieren können. •Umfassender Rechtsüberblick: Vom Stellenbesetzungsverfahren und Kündigungsschutz, vom Urlaubsrecht und Teilzeitanspruch, vom Anspruch auf Befreiung von Mehrarbeit, vom betrieblichen Eingliederungsmanagement bis zum Reha-Recht und zur vorgezogenen Altersrente - das Buch klärt Sie umfassend über alle Rechte und Möglichkeiten auf. Das Buch ist ein unverzichtbares Tool für alle, die im Bereich der Schwerbehindertenvertretung und des Betriebsrats tätig sind und bietet konkrete, anwendbare Lösungen für die Praxis. Steigern Sie Ihre Kompetenz und Sicherheit im Umgang mit den genannten Themen und fördern Sie aktiv eine inklusive Arbeitskultur in Ihrem Unternehmen. Nutzen Sie dieses Wissen, um eine positive Veränderung zu bewirken und Ihre Arbeit effektiv und rechtssicher zu gestalten.
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Seitenzahl: 390
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Moritz Sandkühler
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Sozialrecht, Berlin
Handbuch der Schwerbehindertenvertretung
2. Auflage 2024
© 2024 Moritz Sandkühler
ISBN Softcover: 978-3-384-10886-9
ISBN Hardcover: 978-3-384-10887-6
ISBN E-Book: 978-3-384-10888-3
Druck und Distribution im Auftrag des Autors:
tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Germany
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Deutschland.
Vorwort
aus der 1. Auflage 2023
Ich sitze im Zug nach Paris und dieses Buch ist fertig. Ein Vorwort muss noch geschrieben werden. Warum ein „Handbuch der Schwerbehindertenvertretung“?
Vor allem möchte ich etwas zurückgeben. Zurückgeben an all die engagierten Schwerbehindertenvertretungen, die ich in den vergangenen Jahren kennen lernen durfte.
Die Berichte aus der Praxis, die Verve, mit der sich Schwerbehindertenvertretungen für Kolleginnen und Kollegen einsetzen, die Motivation, zu helfen und zu geben, zu stützen und zu stärken, die tatsächliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Betrieben, die Kraft zur Auseinandersetzung mit teils uneinsichtigen Arbeitgebern und last but not least die Persönlichkeiten der Vertrauenspersonen und Stellvertreterinnen und Stellvertreter imponieren mir stets aufs Neue.
Seit über acht Jahren schule ich als Rechtsanwalt Schwerbehindertenvertretungen und Betriebsräte im Schwerbehindertenrecht, Arbeits- und Sozialrecht. Wer lernt von wem, frage ich mich oft. Welcher Beruf könnte schöner sein?
Dieses Buch enthält das Wissen, das ich in meinem Berufsleben bislang lernen und lehren durfte und natürlich als Anwalt zugunsten meiner Mandantinnen und Mandanten anwende.
Ich hoffe, das Buch kann Schwerbehindertenvertretungen und Betriebsräten eine Hilfe bei der täglichen Arbeit sein. Mir bleibt noch, den Leserinnen und Lesern viel Kraft und Freude bei ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit zu wünschen.
„Wir sind die Veränderung, nach der wir suchen.“
Barack Obama
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Abkürzungsverzeichnis
1 Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung
2 Feststellung des Grades der Behinderung durch das Versorgungsamt
2.1 Begriffsdefinitionen
2.2 Der Schwerbehindertenausweis
2.3 Versorgungsmedizinische Grundsätze und GdS-Tabelle
2.4 Handhabung der GdS-Tabelle – Feststellung des Einzel-GdB
2.5 Bildung des Gesamt-GdB
2.6 Berücksichtigung der MdE bei Berufskrankheit oder Berufsunfall
2.7 Rückwirkende Feststellung des GdB
2.8 Neufeststellungsantrag bei bestehender Schwerbehinderung?
2.9 Befristung des Feststellungsbescheids?
2.10 Heilungsbewährung
2.11 Zauberei: Die Wirkung des § 199 SGB IX
2.12 Feststellung der Schwerbehinderung, Hinweisschreiben der SBV an Kolleginnen und Kollegen
3 Gleichstellung behinderter Menschen mit schwerbehinderten Menschen
3.1 Wann wird die Gleichstellung ausgesprochen?
3.2 Gleichstellung während der Berufsausbildung
3.3 Ablauf des Gleichstellungsverfahrens
3.4 Gleichstellungsantrag und Sonderkündigungsschutz
3.5 Mündliche Anhörung vor dem Widerspruchsausschuss
3.6 Gleichstellung der Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen oder eines Betriebsrats
4 Die Merkzeichen
4.1 Welche Merkzeichen gibt es?
4.2 Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen durch das Versorgungsamt
4.3 Vorteile der Merkzeichen
5 Ausübung des Ehrenamtes der SBV
5.1 Ehrenamt frei von Weisungen
5.2 Vorrang der Amtstätigkeit
5.3 Gleiche rechtliche Stellung wie ein Mitglied des Betriebsrats bzw. Personalrats
5.4 Kündigungsschutz der SBV
5.5 Entgeltfortzahlung oder Freizeitausgleich
5.6 Vertretung und Heranziehung
5.7 Freistellung und freiwillige Teilfreistellung
6 Geschäftsbedarf und Ausstattung der SBV
7 Kosten der SBV
7.1 Fachliteratur und Fachzeitschrift
7.2 Seminare
7.3 Bürokraft
7.4 Rechtsanwalt
8 Verschwiegenheitspflicht der SBV
8.1 Persönliche Geheimnisse der Beschäftigten
8.2 Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse
9 Die Versammlung schwerbehinderter Menschen
10 Verzeichnis der schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten behinderten Menschen und stets aktuelle Kopie für die SBV (§ 163 Abs. 1, Abs. 2 SGB IX)
11 Beschäftigungspflicht der Arbeitgeber
11.1 Ermittlung der Pflichtarbeitsplätze
11.2 Ermittlung der Beschäftigungsquote
11.3 Anzeige an die Agentur für Arbeit
11.4 Zahlung der Ausgleichsabgabe an das Integrationsamt
11.5 Höhe der Ausgleichsabgabe
11.6 Berechnung der Ausgleichsabgabe
11.7 Aufträge an anerkannte Werkstätten für behinderte Menschen
11.8 Unterrichtung des Betriebsrats und Bericht in der Versammlung schwerbehinderter Menschen
11.9 Wegfall der Ordnungswidrigkeit Verstoß gegen Beschäftigungspflicht
12 Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen
13 Beteiligung der SBV bei personellen Maßnahmen (§ 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX)
14 Durchsetzung der Beteiligungsrechte der SBV
15 Das Stellenbesetzungsverfahren
15.1 Pflichten des Arbeitgebers vor der Stellenbesetzung
15.2 Pflichten des Arbeitgebers während des laufenden Bewerbungsverfahrens
15.3 Abschluss der Stellenbesetzung
16 Fragerecht des Arbeitgebers nach einer Schwerbehinderung
16.1 Fragerecht im bestehenden Arbeitsverhältnis
16.2 Fragerecht im Bewerbungsverfahren
17 Der Kündigungsschutz der schwerbehinderten Menschen und ihnen gleichgestellten behinderten Menschen
17.1 Kündigungsschutz nach dem KSchG
17.2 Kündigungsschutz in der Probezeit
17.3 Kündigungsschutz in der Probezeit nach der Rechtsprechung des EuGH
17.4 Erforderliche Zustimmung des Integrationsamtes (§ 168 SGB IX)
17.5 Kündigungsprävention (§ 167 Abs. 1 SGB IX)
17.6 Beteiligung der SBV bei Kündigungen (§ 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX)
18 BEM (§ 167 Abs. 2 SGB IX)
19 Anspruch auf behinderungsgerechte Beschäftigung (§ 164 Abs. 4 SGB IX)
20 Anspruch auf Teilzeitarbeit (§ 164 Abs. 5 Satz 3 SGB IX)
21 Anspruch auf Befreiung von Mehrarbeit (§ 207 SGB IX)
22 Anspruch des schwerbehinderten Menschen auf Zusatzurlaub (§ 208 SGB IX)
23 Rechte der SBV gegenüber Arbeitgeber, Betriebsrat und Personalrat und deren Durchsetzung
23.1 Rechte der SBV
23.2 Durchsetzung der Rechte der SBV
24 Checkliste: Neu im Amt
25 Bestellung und Aufgaben des Inklusionsbeauftragten (§ 181 SGB IX)
26 Die Inklusionsvereinbarung (§ 166 SGB IX)
27 Einheitliche Ansprechstellen für Arbeitgeber als Lotsen für Inklusionsbeauftragte (§ 185a SGB IX)
28 Externe Partner der SBV
28.1 Integrationsamt (§ 185 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB IX I.V.M. §§ 15 ff. der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung (SchwbAV))
28.2 Agentur für Arbeit (§ 187 Abs. 4 SGB IX)
29 Einschaltung des Integrationsamtes als Erfolgsmodell
30 Hilfestellung der Integrationsfachdienste
31 Rehabilitationsrecht – Wie kann die SBV hier helfen?
31.1 Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB)
31.2 Medizinische Rehabilitation – Wie finde ich die richtige RehaKlinik?
31.3 Medizinische Rehabilitation, Wunsch- und Wahlrecht
31.4 Berufliche Rehabilitation, Gerichtsurteile
32 Was bedeuten Rehabilitation und Prävention?
33 Rehaträger und Reha-Leistungen
34 Welcher Rehaträger erbringt welche Leistungen?
35 Welcher Rehaträger ist im konkreten Fall zuständig?
36 Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen
36.1 Leistungsüberblick
36.2 Beitrittsrecht zur gesetzlichen Krankenkasse nach Feststellung der Schwerbehinderung
36.3 Stufenweise Wiedereingliederung in das Arbeitsleben („Hamburger Modell“)
37 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben („Berufliche Reha“)
38 Leistungen nach der Kraftfahrzeug-Hilfeverordnung
39 Budget für Arbeit und Budget für Ausbildung als Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben
40 Arbeitsassistenz als berufliche Reha (§ 49 Abs. 8 Nr. 3 SGB IX und § 185 Abs. 5 SGB IX)
41 Arbeitsassistenz und berufliche Neuorientierung
42 Mustertext: Begründung eines Widerspruchs gegen die Ablehnung einer beruflichen Rehabilitation (Umschulung/Weiterbildung) durch die Rentenversicherung
43 Unterhaltssichernde Leistungen als Reha-Leistungen
44 Soziale Teilhabe als Reha-Leistung der Berufsgenossenschaft
45 Bundesteilhabegesetz und neues Reha-Verfahrensrecht
45.1 Leistungen der Rehaträger ohne Kompetenzstreit (§ 14 SGB IX)
45.2 Reha-Leistungen „aus einer Hand“ (§ 15 Abs. 2 SGB IX)
45.3 Teilhabeplan und Teilhabeplankonferenz (§§ 19, 20 SGB IX)
45.4 Erstattung selbst beschaffter Leistungen (§ 18 SGB IX)
46 Das Wichtigste aus dem Sozialversicherungsrecht - Regelaltersrente und vorgezogene Altersrente für schwerbehinderte Menschen
46.1 Regelaltersrente und Hinzuverdienst
46.2 Vorgezogene Altersrente für schwerbehinderte Menschen und Hinzuverdienst seit dem 01.01.2023
46.3 Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Bezug einer Altersrente
47 Das Wichtigste aus dem Sozialversicherungsrecht - Wie sind erkrankte Kolleginnen und Kollegen finanziell abgesichert?
47.1 Entgeltfortzahlung: 6 Wochen
47.2 Krankengeld: 72 Wochen
47.3 Arbeitslosengeld I: 6 bis 24 Monate (Nahtlosigkeitsregelung)
47.4 Erwerbsminderungsrente: 3 Jahre oder unbefristet
47.5 Verletztengeld und Verletztenrente der BG
47.6 Berufskrankheit und Übergangsleistungen der BG
Literaturverzeichnis
Personenregister
Sachregister
Cover
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Urheberrechte
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336
Abkürzungsverzeichnis
a.A.
anderer Auffassung
AEUV
Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union
a.F.
alte Fassung
AGG
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
ArbG
Arbeitsgericht
ArbGG
Arbeitsgerichtsgesetz
ArbSchG
Arbeitsschutzgesetz
ArbStättV
Arbeitsstättenverordnung
ArbZG
Arbeitszeitgesetz
ASiG
Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und
andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit
(Arbeitssicherheitsgesetz)
ASR
Technische Regeln für Arbeitsstätten
AU
Arbeitsunfähigkeit
Az.
Aktenzeichen
BA
Bundesagentur für Arbeit
BAG
Bundesarbeitsgericht
BAR
Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e.V.
BAuA
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
BBiG
Berufsbildungsgesetz
BEM
Betriebliches Eingliederungsmanagement
BetrVG
Betriebsverfassungsgesetz
BDSG
Bundesdatenschutzgesetz
BG
Berufsgenossenschaft
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGG
Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit
Behinderungen
BGH
Bundesgerichtshof
BGHW
Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik
BIBB
Bundesinstitut für Berufsbildung
BIH
Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter
und Hauptfürsorgestellen (BIH) e.V.
BKV
Berufskrankheiten-Verordnung
BPE
Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e.V.
BPersVG
Bundespersonalvertretungsgesetz
BR
Betriebsrat
BR-Drucks.
Bundesrat-Drucksache
BSG
Bundessozialgericht
BT-Drucks.
Bundestag-Drucksache
BTHG
Bundesteilhabegesetz
BurlG
Bundesurlaubsgesetz
BVerwG
Bundesverwaltungsgericht
DGUV
Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung
DSGVO
Datenschutz-Grundverordnung
EFTA
Europäische Freihandelsassoziation
EG
Europäische Gemeinschaft
Eg-Check
Entgeltgleichheits-Check
Einzel-GdB
Einzel-Grad der Behinderung
EntgFG
Entgeltfortzahlungsgesetz
ERA
Entgeltrahmenabkommen
EStG
Einkommenssteuergesetz
EU
Europäische Union
EuGH
Gerichtshof der Europäischen Union
EUTB
Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung
EWG
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
EWR
Europäischer Wirtschaftsraum
ff.
folgende
Gb-Check
Gleichbehandlungs-Check
GdB
Grad der Behinderung
Gesamt-GdB
Gesamtgrad der Behinderung
GdS
Grad der Schädigungsfolgen
GewO
Gewerbeordnung
GG
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
ggfs.
gegebenenfalls
grds.
grundsätzlich
GSBV
Gesamtschwerbehindertenvertretung
IFD
Integrationsfachdienst
iR.
im Rahmen
iSv.
im Sinne von
i.V.m.
in Verbindung mit
IWW
Institut für Wissen in der Wirtschaft
KfzHV
Kraftfahrzeughilfe-Verordnung
KSBV
Konzernschwerbehindertenvertretung
KSchG
Kündigungsschutzgesetz
LAG
Landesarbeitsgericht
LasthandhabV
Lastenhandhabungsverordnung
LSG
Landessozialgericht
LVR
Landschaftsverband Rheinland
LWL
Landschaftsverband Westfalen-Lippe
MdE
Minderung der Erwerbsfähigkeit
MDK
Medizinischer Dienst der Krankenkassen
MD
Medizinischer Dienst
MuSchG
Mutterschutzgesetz
mwN
mit weiteren Nachweisen
Nr.
Nummer
OVG
Oberverwaltungsgericht
OWiG
Gesetz über Ordnungswidrigkeiten
PflegeZG
Pflegezeitgesetz
RAG
Reichsarbeitsgericht
Rdz.
Randziffer
S.
Seite
SBV
Schwerbehindertenvertretung
SchwbAV
Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung
SchwbAwV
Schwerbehindertenausweisverordnung
SchwbG
Schwerbehindertengesetz
SchwbVWO
Wahlordnung Schwerbehindertenvertretungen
SG
Sozialgericht
SGB IX
Sozialgesetzbuch IX
sog.
sogenannt
StGB
Strafgesetzbuch
TVöD
Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst
TzBfG
Teilzeit- und Befristungsgesetz
u.a.
unter anderem
u.U.
unter Umständen
UN-BRK
Übereinkommen über die Rechte von Menschen
mit Behinderungen
(UN-Behindertenrechtskonvention)
Unterabs.
Unterabsatz
VBG
Verwaltungsberufsgenossenschaft
VdK
Sozialverband VdK Deutschland e. V.
VG
Verwaltungsgericht
WVO
Werkstättenverordnung
ZBFS
Zentrum Bayern Familie und Soziales
1 Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung
Die Schwerbehindertenvertretung (SBV) vertritt die Interessen der schwerbehinderten Menschen in Betrieben und Dienststellen. Sie hilft und berät, immer mit dem Ziel vor Augen, schwerbehinderten Kolleginnen und Kollegen1 eine angemessene und für sie passende Berufsausübung zu ermöglichen. Die Teilnahme an Bewerbungsgesprächen und die zwingende Beteiligung vor einer Kündigung von schwerbehinderten Menschen runden das Bild ab. Die SBV ist der Lotse für schwerbehinderte Menschen. Weder Behörden noch Arbeitgeber können diese Lotsenfunktion übernehmen. Häufig genug wollen sie es auch nicht.
Die Schwerbehindertenvertretung besteht aus einer einzelnen Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen. Sie arbeitet im Gegensatz zum Betriebsrat nicht als ein aus mehreren Personen gebildetes Kollegialorgan. Nur wenn im Betrieb oder der Dienststelle wenigstens 100 schwerbehinderte Menschen beschäftigt sind, kann die Vertrauensperson den ersten Stellvertreter zu bestimmten Aufgaben heranziehen (§ 178 Abs. 1 Satz 4 SGB IX).
Alle Aufgaben der SBV finden sich in § 178 Abs. 1 SGB IX geregelt. Bitte lest2 Euch die Vorschrift in Ruhe durch. Soweit § 178 Abs. 1 SGB IX gleich im ersten Satz davon spricht, dass die SBV die Interessen schwerbehinderter Menschen im Betrieb vertritt, so ist immer mit zu denken, dass die SBV gleichzeitig auch für die gleichgestellten behinderten Menschen zuständig ist.
Alle nachfolgend dargestellten Rechte gelten daher (mit Ausnahme des Anspruchs auf Zusatzurlaub nach § 208 SGB IX) nicht nur für die schwerbehinderten Menschen, sondern auch für die gleichgestellten behinderten Menschen.3
Der Gesetzgeber hat in § 178 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX bestimmte Verpflichtungen der Arbeitgeber benannt, die besonders wichtig sind und deren Erfüllung insbesondere durch die SBV zu überwachen sind. Die SBV sollte sich deshalb in ihrem Gesetzbuch in § 178 Abs. 1 Nr. 1 SGB IXdie §§ 154, 155 und 164-167 SGB IX mit einem Textmarker hervorheben. In diesem Handbuch werden diese Pflichten der Arbeitgeber detailliert behandelt.
Viele Vertrauenspersonen sind unsicher, ob sie für die schwerbehinderten Kolleginnen und Kollegen Maßnahmen bei Behörden beantragen dürfen, ohne hierzu durch Ausstellung einer Vollmacht bevollmächtigt zu sein. Genau dies erlaubt das Gesetz aber in § 178 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX.
Es gibt Kollegen, die auf Kosten ihrer Gesundheit arbeiten und keine Lust oder keine Kraft haben, sich mit Behörden auseinanderzusetzen. Sieht die Vertrauensperson, dass dem Kollegen eigentlich relativ einfach geholfen werden könnte, zum Beispiel durch Einschaltung des Integrationsamtes, der Kollege sich über nicht kümmert, so ist es der Vertrauensperson erlaubt, auch ohne Vollmacht beim Integrationsamt oder einem Rehaträger Leistungen für den Kollegen zu beantragen. Fragt man sich nun, wie es möglich ist, dass Behörden Leistungen auch ohne Zustimmung des Betreffenden erbringen dürfen, so ist auf § 8 Abs. 4 SGB IX hinzuweisen.4
Tatsächlich dürfen danach die Vertrauenspersonen das Verfahren zu Gunsten der schwerbehinderten Kollegen zwar in Gang bringen. Vor endgültiger Bewilligung ist dann aber nach § 8 Abs. 4 SGB IX die Unterschrift des Kollegen erforderlich. Sinn ist es, die notwendige Hilfe organisieren zu dürfen, ohne speziell jeweils eine schriftliche Vollmacht einholen zu müssen.
Anderes kann nach meiner Auffassung nur dann gelten, wenn der Kollege es der Vertrauensperson ausdrücklich verbietet, sich mit Behörden Verbindung zu setzen, was allerdings selten der Fall sein dürfte.
Das Recht der SBV, nach § 178 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX auch ohne Bevollmächtigung Anträge für schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte Kollegen zu stellen, beinhaltet nicht das Recht, ohne Vollmacht Anträge auf Feststellung der Behinderung bei den Versorgungsämtern zu stellen.
Wichtig ist, dass die Schwerbehindertenvertretung nach § 178 Abs. 1 SGB IX zwar nur für die schwerbehinderten und gleichgestellten behinderten Menschen zuständig ist, ausnahmsweise aber auch für alle anderen Beschäftigten, soweit es um die Antragstellung nach 152 Abs. 1 SGB IX geht, sprich um die Anträge auf Feststellung der Behinderung beim Versorgungsamt. Auch hier sollen die Schwerbehindertenvertretungen Hilfe leisten, damit das Versorgungsamt zu Gunsten der Kolleginnen und Kollegen einen Grad5 der Behinderung (GdB) feststellt.
a) Die SBV sollte hier in der Regel aber weder die Anträge für die Kolleginnen und Kollegen ausfüllen noch (in Vollmacht) unterschreiben. Der Antrag auf Feststellung des Grades der Behinderung bei den Versorgungsämtern, welche in jedem Bundesland anders heißen, so zum Beispiel in Berlin Landesamt für Gesundheit und Soziales oder in Brandenburg Landesamt für Soziales und Versorgung (immer handelt es sich hierbei um das Versorgungsamt) kann – so zum Beispiel in Bayern – online ausgefüllt und ausgedruckt werden.
Alternativ reicht auch ein kurzer Brief oder ein Fax an das Versorgungsamt, dass die Feststellung der Behinderung beantragt wird. Das Versorgungsamt wird dann ein entsprechendes Antragsformular zusenden. Wann ist dann der Antrag gestellt? Mit Eingang des ersten Schreibens beim Versorgungsamt: „Ich beantrage…“
b) Da das Versorgungsamt bei allen behandelnden Ärzten, die im Antrag genannt werden, Befundberichte anfordern wird (wenn es korrekt arbeitet, was durch einen Antrag auf Akteneinsicht6 kontrolliert werden kann), ist es hilfreich, wenn die Kolleginnen und Kollegen vor der Antragstellung mit ihren Ärzten besprechen, welche Befundberichte diese denn abgeben werden. Dabei sollte die SBV darüber informieren, dass es wichtig ist, dass die Ärzte auch die sich aus den Erkrankungen ergebenden Beeinträchtigungen bei der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft benennen und nicht lediglich die Diagnosen.
Das Versorgungsamt richtet sein Hauptaugenmerk nämlich auf die „Funktionsbeeinträchtigungen“ und weniger auf die Diagnosen. Entscheidend ist also die Frage, welche Beeinträchtigung habe ich im Leben durch die diagnostizierte Erkrankung? Beispielsweise ist Kollegen, die häufig an Kopfschmerzen leiden, zu empfehlen, mit den Ärzten zu besprechen, dass diese eben nicht nur „Kopfschmerz oder Migräne“ diagnostizieren, sondern detailliert beschreiben, dass der Kollege wegen seiner Migräne zum Beispiel regelmäßig an 5 Tagen je Monat arbeitsunfähig ist und sich an diesen Tagen nur einem verdunkelten Zimmer aufhalten kann.7
Bei Wirbelsäulenbeschwerden sollte die behandelnde Orthopädin oder Fachärztin für Neurologie die Bewegungsmaße nach der „Neutral-Null-Methode“ beschreiben. Hierbei handelt es sich um eine ärztliche Dokumentation und Bewertung der Beweglichkeit von Gelenken, die auf standardisierten Messblättern notiert wird.8 Die Schwerbehindertenvertretung kann die Mitarbeiter mit folgendem Mustertext auf das Erfordernis aussagekräftiger Befundberichte hinweisen:
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Sie möchten einen Antrag auf Feststellung des Grades Ihrer Behinderung beim Versorgungsamt stellen. Bei Fragen hierzu unterstütze ich Sie gern. Bitte beachten Sie, dass das Versorgungsamt bei allen Ärztinnen und Ärzten Befundberichte anfordern wird, die Sie im Antrag benannt haben.
Es ist für Ihren Erfolg im Verfahren auf Feststellung des Grades Ihrer Behinderung wichtig, dass Ihre behandelnden Ärzte aussagekräftige Befundberichte erstellen. In diesen Befundberichten genügt es deshalb nicht, wenn Ihre Ärzte nur die Diagnosen mitteilen. Vielmehr muss Ihre Hausärztin, bzw. Ihr Hausarzt und Ihre behandelnden Fachärzte die sich aus den Diagnosen ergebenden Funktionsstörungen und negativen Folgen für Ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beschreiben.
Bei Fachärztinnen / Fachärzten für Neurologie und Psychiatrie muss ein psychopathologischer Befund dargelegt sein und die sich aus dem Befund ergebenden Funktionsstörungen und negativen Folgen für Ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft.
Versorgungsamt den Kopfschmerz mit einem zu niedrigen Einzel-GdB bewerten. Ein solches Kopfschmerztagebuch findet sich im Internet zum Download.
Bei Kopfschmerz- und Migräneerkrankungen sollte für die Dauer des Feststellungsverfahrens ein Kopfschmerztagebuch zwecks Vorlage beim Versorgungsamt geführt werden. Ein Vordruck eines Kopfschmerztagebuchs findet sich im Internet zum Ausdruck.
Auch in orthopädischen Befundberichten genügt nicht allein die Diagnose. Vielmehr sollten die Funktionsstörungen nach der „Neutral-0-Methode“ dargelegt und die sich aus den Funktionsstörungen ergebenden negativen Folgen für Ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft enthalten sein.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Schwerbehindertenvertretung
c) Ist eine Kollegin oder ein Kollege mit dem Bescheid des Versorgungsamtes über die Höhe des GdB nicht einverstanden, ist zu raten, Widerspruch beim Versorgungsamt vorab per Fax einzulegen und Akteneinsicht beim Versorgungsamt zu beantragen.
Die SBV sollte darüber informieren, dass der Widerspruch binnen eines Monats seit Zugang des Bescheids beim Versorgungsamt eingegangen sein muss. Dieser Hinweis ist auch auf jedem Bescheid des Versorgungsamtes am Ende enthalten. Fehlt der Hinweis ausnahmsweise einmal, beträgt die Widerspruchsfrist nicht einen Monat, sondern ein Jahr (§ 66 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).
Mustertext Widerspruch:
An das Versorgungsamt
Vorab per Fax:
Betreff: Bescheid vom….
Ihr Zeichen:
Sehr geehrte Damen und Herren,
in der im Betreff genannten Angelegenheit lege ich gegen Ihren Bescheid vom xxx
Widerspruch
ein.
Anträge und Begründung des Widerspruchs folgen. Ich bitte zunächst um Akteneinsicht durch Übersendung einer Kopie Ihrer Akte.
Mit freundlichen Grüßen
Merke: Bei Zugang des Bescheids beim Kollegen, (d. h. bei Einwurf in den Briefkasten), beispielsweise am 2. eines Monats, endet die Widerspruchsfrist am 2. des Folgemonats (§ 188 Abs. 2 BGB). Wir merken uns hier nur 2 (Fristbeginn) und 2 (Fristablauf) oder je nach Fallgestaltung eben dann 3 und 3 etc. Nur wenn der Ablauf der Frist auf einen Samstag, Sonntag oder Feiertag fällt, ist Fristablauf ausnahmsweise der nächste Werktag (§ 193 BGB).
Die SBV sollte auch dazu raten, den Widerspruch vorab per Fax einzulegen (nicht per E-Mail, welche nach § 84 Abs. 1 SGG nicht genügt) und dasselbe Schreiben, welches bereits gefaxt wurde, an das Versorgungsamt per normalem Brief hinterherzusenden. Es ist nicht notwendig, den Brief per Einschreiben zu versenden. Schon gar nicht sollte ein Brief per Einschreiben mit Rückschein versandt werden. Ein Brief, der derart versandt am Samstag beim Versorgungsamt zugestellt werden soll, kann nicht durch einen Mitarbeiter der Behörde gegengezeichnet werden. Der Postbote wird den Brief deshalb in der Postfiliale lagern, ohne dass er zugestellt wurde. Dort fristet der Widerspruch dann sein Dasein. Ein Faxbeleg reicht für den Nachweis der Fristwahrung dagegen aus.
d) In Deutschland hat jeder Bürger das Recht auf Akteneinsicht durch Erhalt einer Kopie seiner durch Behörden geführten Akten. Dieses Recht besteht gegenüber dem Versorgungsamt aus § 25 Abs. 5 Satz 1 SGB X. Das Versorgungsamt wird auf einen Antrag auf Akteneinsicht antworten, es mögen Kopierkosten in Höhe von etwa 10,- € überweisen werden, sodann werde die Akte kopiert und an den Antragsteller versandt. Mit demselben Schreiben wird das Versorgungsamt den Eingang des Widerspruchs bestätigen und eine Frist von ca. 6 Wochen für die Begründung des Widerspruchs setzen. Hier ist lediglich eine kurze Antwort dahingehend notwendig, dass beantragt wird, die Frist zur Begründung des Widerspruchs (beispielsweise) um weitere 6 Wochen bis zum (bestimmtes Datum) zu verlängern, da zunächst die Akte in Kopie benötigt wird und/oder ein Anwalt mit der weiteren Begründung des Widerspruchs beauftragt werden soll.
Aus der Akte des Versorgungsamtes wird sich unter anderem ergeben, ob das Versorgungsamt tatsächlich bei sämtlichen im Antrag genannten Ärzten Befundberichte eingeholt hat (was nicht immer der Fall ist und dann durch das Versorgungsamt auf einen entsprechenden Hinweis in der Widerspruchsbegründung nachzuholen ist) und ob diese inhaltlich nachvollziehbar sind.
e) Relativ weit hinten in der Akte des Versorgungsamtes findet sich immer eine gutachterliche Bewertung eines durch einen beim Versorgungsamt angestellten Arztes über die Höhe der Einzel-GdB betreffend die einzelnen Erkrankungen, genauer: betreffend die einzelnen Funktionsstörungen und die Bildung des Gesamt-GdB. Bestehen hier Anhaltspunkte dafür, dass schon die Einzel-GdB zu niedrig festgesetzt sind, was häufig der Fall ist, oder aber der Gesamt-GdB aus den Einzel-GdB fehlerhaft gebildet wurde, was selten der Fall ist, so hat man bereits Munition, um den Widerspruch zu begründen. Im weiteren Verfahren sollte allerdings ein Anwalt mit der Widerspruchsbegründung beauftragt werden. Ein sorgfältig arbeitender Anwalt wird immer selbst auch Akteneinsicht beim Versorgungsamt beantragen.
Jedenfalls ist es nicht Aufgabe der SBV, hier bei der Widerspruchsbegründung zu helfen. Schon nach dem Gesetz (§ 178 Abs. 1 Satz 3 SGB IX) soll die SBV Kollegen bei Anträgen unterstützen. Keine Rede ist davon, sich für die Kollegen im Widerspruchsverfahren einzusetzen, wofür die SBV auch häufig gar keine Zeit haben wird.
f) Und wenn die Widerspruchsfrist versäumt wurde? Teilt der Kollege der SBV mit, er habe leider nicht binnen der Widerspruchsfrist von einem Monat den Widerspruch eingelegt, kann die SBV folgenden Tipp geben: Zwar sei ein Widerspruch infolge des Fristablaufs nicht mehr zulässig. Der Kollege könne aber – wieder am besten vorab per Fax – nach § 44 SGB X einen Überprüfungsantrag beim Versorgungsamt stellen:
Mustertext Überprüfungsantrag:
An das Versorgungsamt
Vorab per Fax:
Bescheid vom….
Ihr Zeichen:
Sehr geehrte Damen und Herren,
in der im Betreff genannten Angelegenheit stelle ich einen
Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X
betreffend Ihren Bescheid vom xxx.
Anträge und Begründung des Antrags folgen. Ich bitte zunächst um Akteneinsicht durch Übersendung einer Kopie Ihrer Akte.
Mit freundlichen Grüßen
Nach erhaltener Akteneinsicht kann der Antrag durch die Kollegin, bzw. den Kollegen oder einen Anwalt schriftlich begründet werden.
Beispiel für eine Antragsbegründung: Entgegen der versorgungsärztlichen Stellungnahme auf Blatt 56 Ihrer Akte ist meine schwere Migräne mit mehrmals monatlich über mehrere Tage anhaltenden Anfällen nach Nr. 2.2 der GdS-Tabelle9 mit einem Einzel-GdB von 40 und nicht nur 20 zu bewerten.
Das Versorgungsamt muss als Reaktion auf den Überprüfungsantrag einen neuen Bescheid erlassen. In der Praxis hält das Versorgungsamt inhaltlich meistens an seinem vorherigen Bescheid (den betreffend der Kollege die Widerspruchsfrist versäumt hat) fest und wird keinen höheren GdB festsetzen. Aber: Da der Kollege nun einen neuen Bescheid durch seinen Überprüfungsantrag erhalten hat, kann er jetzt ganz normal das Widerspruchsverfahren und – falls notwendig – anschließende Klageverfahren führen. Der Überprüfungsantrag hat also bewirkt, dass sein Fristversäumnis nicht mehr tragisch ist.
In Deutschland können Überprüfungsanträge bei Behörden bis zu vier Jahre rückwirkend gestellt werden mit Ausnahme von Bescheiden der Jobcenter. Hier wurde die Frist auf ein Jahr verkürzt.
Hat also der Kollege die Widerspruchsfrist nur um wenige Wochen bis wenige Monate versäumt, kann ihm zum Überprüfungsantrag geraten werden. Nach Ablauf von mehr als 6-8 Monaten sollte die SBV aber eher dazu raten, keinen Überprüfungsantrag, sondern einen neuen Antrag auf Feststellung der Behinderung beim Versorgungsamt zu stellen. Ein solcher Antrag (landläufig als „Verschlimmerungsantrag“, juristisch als „Neufeststellungsantrag“ bezeichnet) ist immer möglich und in der Praxis insbesondere dann ratsam, wenn neue Befundberichte der Ärzte vorliegen.
1 Aus Gründen der einfacheren Lesbarkeit wird in diesem Buch mal die weibliche Form und mal die männliche Form verwendet. Gemeint ist stets jedes Geschlecht.
2 Der Autor behält das bei der Schulung von Schwerbehindertenvertretungen und Betriebsräten übliche „Du“ bei.
3 Siehe § 151 Abs. 1 und Abs. 3 SGB IX.
4 Die SBV sollte sich in ihrem Gesetz neben § 178 Abs. 1 S. 2 SGB IX einen Hinweis auf § 8 Abs. 4 SGB IX notieren.
5Grad der Behinderung, nicht Prozent der Behinderung.
6 Es genügt ein Schreiben an das Versorgungsamt: „Bitte senden Sie mir Ihre Akte in Kopie zu.“ Das Versorgungsamt wird Kopierkosten in Höhe von ca. 10,- bis 20,- € mitteilen und die Akte nach Ausgleich der Kopierkosten zusenden.
7 Zu raten ist in diesem Fall auch, ein detailliertes Kopfschmerztagebuch zu führen, welches im behördlichen Verfahren oder gerichtlichen Verfahren wichtig werden kann, sollte das
8 Die Messblätter finden sich im Internet unter „Messblatt für obere Gliedmaßen“ und „Messblatt für untere Gliedmaßen“.
9 GdS-Tabelle, abgedruckt in Teil B der Versorgungsmedizinverordnung. Durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zum Abruf bereitgestellt unter https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/k710-versorgungsmedverordnung.pdf?__blob=publicationFile&v=3.
2 Feststellung des Grades der Behinderung durch das Versorgungsamt
Auf Antrag der Kollegin stellt das Versorgungsamt den Gesamt-Grad der Behinderung nach § 152 Abs. 1 und Abs. 3 SGB IX per Bescheid fest. Örtlich zuständig ist das Versorgungsamt, in dessen Bezirk die Kollegin wohnt.
2.1 Begriffsdefinitionen
§ 2 Abs. 1 SGB IX definiert den Begriff der Behinderung. Danach sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können.
Es geht bei einer Behinderung also um die Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (§ 152 Abs. 3 SGB IX), sei es im Privaten, sei es im Beruf.
Und: Die Behinderung eines Menschen resultiert nicht allein und nicht in erster Linie aus der körperlichen Beeinträchtigung10, sondern vornehmlich aus den Barrieren, die die Umwelt in den Weg stellt, sei es durch einstellungsbedingte Barrieren, also Vorurteile (z.B. ein Legastheniker sei angeblich nicht klug genug11, um einen Text zu lesen), sei es durch umweltbedingte Barrieren (z.B. wird in Deutschland ein großer Teil der Bevölkerung von vielen Medienangeboten ausgeschlossen, weil – anders als in den USA oder Großbritannien – Fernsehsendungen nicht untertitelt sind und deshalb von Gehörlosen nicht genutzt werden können).
Zu betonen ist, dass sich eine (körperliche, seelische oder geistige) „Abweichung von der Regel“ insbesondere deshalb für die Betroffenen nachteilig auswirkt, weil die Umwelt im Hinblick auf die Bedürfnisse von Menschen ohne diese Abweichung gestaltet wird. „Dieser Tatsache kommt mit Rücksicht auf die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und dem sich aus Artikel 1 Abs 2 UN-BRK ergebenden Begriff der Behinderung besondere Bedeutung zu.“12
§ 2 Abs. 2 SGB IX definiert die Schwerbehinderung. Danach sind Menschen schwerbehindert, deren (Gesamt-)Grad der Behinderung mindestens 50 beträgt und die ihren Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthaltsort oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne von § 156 SGB IX in Deutschland haben.
Grundsätzlich führt deshalb ein Umzug in das Ausland zum Erlöschen der Schwerbehinderteneigenschaft im Sinne des § 2 Abs 2 SGB IX, wenn der behinderte Mensch im Anschluss weder einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt noch einen Arbeitsplatz in Deutschland hat.13
Menschen, die in das Ausland umziehen und auch keinen Arbeitsplatz mehr in Deutschland haben, können unabhängig von ihrer Nationalität14 gleichwohl einen Antrag auf Feststellung ihrer Schwerbehinderung bei einem deutschen Versorgungsamt stellen, wenn die Feststellung der Schwerbehinderung zu Rechtsvorteilen nach inländischen Recht, also deutschem Recht, führt.15 Hier ist insbesondere an steuerliche Vorteile (Steuerpauschbetrag nach § 33 b EstG) zu denken, wenn eine Steuerpflicht (auch) nach deutschem Recht besteht und weiterhin an einen Anspruch auf eine vorgezogene Altersrente für schwerbehinderte Menschen aus §§ 37, 236a SGB VI, wenn in Deutschland Rentenanwartschaften erworben wurden16 und das Renteneintrittsalter in ca. 3-5 Jahren bevorsteht.
Vor diesem Hintergrund darf das Versorgungsamt einen Bescheid, mit dem die Schwerbehinderung festgestellt wurde, wegen eines Umzugs in das Ausland nicht aufheben, wenn der schwerbehinderte Mensch auch im Ausland noch Rechtsvorteile nach deutschem Recht aufgrund der festgestellten Schwerbehinderung behält.17 Auch hier handelt es sich insbesondere um die rechtlichen Vorteile vorgezogener Bezug der Altersrente für schwerbehinderte Menschen nach § 236a SGB VI und steuerliche Erleichterungen bei (auch) bestehender deutscher Steuerpflicht.
Die vorgezogene Altersrente für schwerbehinderte Menschen kann problemlos im Europäischen Wirtschaftsraum, den sog. EWR-Ländern bezogen werden, also in der Europäischen Union, in den EFTA-Staaten Island, Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz sowie in Ländern bezogen werden, mit denen Deutschland entsprechende bilaterale Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen hat.
Bei einem Umzug in ein Land, das außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums (EU und EFTA-Staaten) liegt und mit dem Deutschland kein Sozialversicherungsabkommen geschlossen hat, kann es zu Einschränkungen beim Rentenbezug kommen, so dass eine Beratung durch die Auskunfts- und Beratungsstellen der Rentenversicherung ratsam ist. Denn der deutsche Rentenversicherungsträger hat trotz Feststellung der Schwerbehinderung ein eigenes Prüfungsrecht, ob ein Anspruch auf eine vorgezogene Altersrente für schwerbehinderte Menschen im jeweiligen ausländischen Staat besteht.18
Zu weiteren Ausnahmen vom Wohnsitzerfordernis beim Landesblindengeld und ähnlichen Leistungen vergleiche die Entscheidungen des EuGH vom 05.05.2011, C-206/10 und des SG München vom 05.08.2013, S 4 BL 27/12, Leitsatz 4.19
2.2 Der Schwerbehindertenausweis
Das Versorgungsamt erteilt nach Feststellung der Schwerbehinderung einen Schwerbehindertenausweis, der in der Regel nur befristet ausgestellt werden soll (§ 152 Abs. 5 Satz 3 SGB IX und § 6 Abs. 2 Satz 1 Schwerbehindertenausweisverordnung – SchwbAwV –), es sei denn, es ist keine Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen zu erwarten. In diesem Fall stellt das Versorgungsamt einen unbefristeten Ausweis aus (§ 6 Abs. 2 Satz 2 SchwbAwV).
Der Ausweis ist im Vergleich zu dem Bescheid über die Feststellung des GdB aber ganz unerheblich und rechtlich wenig relevant. Vertrauenspersonen können ihre Kolleginnen und Kollegen hier beruhigen. Solange die Schwerbehinderung durch Bescheid festgestellt ist, genügt es, ca. einen Monat vor Ablauf der Ausweisgültigkeit ein kurzes Fax an das Versorgungsamt mit der Bitte zu senden, einen neuen Ausweis zu übersenden. Das Versorgungsamt wird dann einen neuen (voraussichtlich wieder befristeten) Ausweis per Post schicken. Mehr ist nicht zu tun und mehr kann die SBV hier den Kollegen nicht raten.
Der Schwerbehindertenausweis ist nach § 152 Abs. 5 Satz 2 SGB IX lediglich ein Nachweis, dass das Versorgungsamt die Schwerbehinderung durch Bescheid festgestellt hat; er begründet aber nicht selbst die Schwerbehinderteneigenschaft.20Relevant ist der Bescheid, nicht der Ausweis. Der Ausweis muss durch das Versorgungsamt jeweils verlängert werden, solange die Schwerbehinderung durch Bescheid festgestellt ist.
2.3 Versorgungsmedizinische Grundsätze und GdS-Tabelle
Wie funktioniert die Feststellung des Gesamt-Grades (Gesamt-GdB) der Behinderung durch das Versorgungsamt?
Das Versorgungsamt wird der Kollegin den Eingang des Antrags auf Feststellung der Behinderung bestätigen und bei den im Antrag benannten Ärztinnen und Ärzten Befundberichte anfordern. Zu diesem Zweck werden die Ärzte im Antrag von ihrer ärztlichen Schweigepflicht entbunden.
Zwar kann die Kollegin einzelne Ärzte nicht von der ärztlichen Schweigepflicht entbinden. Im Gegenzug wird das Versorgungsamt dann aber die aus diesem medizinischen Fachgebiet resultierenden Funktionsbeeinträchtigungen bei der Bildung des Gesamt-GdB nicht berücksichtigen.
Genauso ist es rechtlich möglich (in der Praxis aber nicht ratsam), den Antrag auf die Feststellung bestimmter Gesundheitsstörungen zu beschränken.21 Das liegt auf der Hand. Denn die Verfügungsbefugnis über die eigene Behinderung und deren Offenbarung liegt allein bei dem behinderten Menschen. Das folgt aus dem durch die Verfassung geschützten Persönlichkeitsrecht:
„Der Schwerbehindertenstatus gehört zum grundrechtlich geschützten Bereich der Persönlichkeitsrechte (Art 1 Abs 1, Art 2 Abs 1 GG). Über dieses
Recht kann der Schwerbehinderte nach seinem Belieben verfügen; ihm ist freigestellt, die Feststellung ebenso wie einen Ausweis darüber zu beantragen, von einer Feststellung und vom Ausweis Gebrauch zu machen und einzelne Behinderungen von der Feststellung auszunehmen.“22
Aus dem Persönlichkeitsrecht folgt auch, dass der Arbeitgeber bei Anträgen an das Versorgungsamt nicht mitzureden hat. Er kann die versorgungsamtliche Feststellung des Schwerbehindertenstatus seines Arbeitnehmers ebenso wenig wie einen etwaigen Rückwirkungsvermerk im Schwerbehindertenausweis anfechten.23
Seite 1 des Bescheids über die Feststellung der Behinderung enthält keine Erkrankungen / Behinderungen der Kollegen. Die bei der Feststellung des Gesamt-GdB berücksichtigten Behinderungen notiert das Versorgungsamt auf Seite 2 des Bescheids. Dementsprechend kann dem Arbeitgeber zum Nachweis der Behinderung in der Regel anstelle des Schwerbehindertenausweises eine Kopie von Seite 1 des Bescheids vorgelegt werden, da er hieraus keine Diagnosen erfahren wird. Besteht der Arbeitgeber auf Vorlage des Schwerbehindertenausweises, ist dieser vorzulegen.
Nach Eingang aller Befundberichte legt das Versorgungsamt die Befundberichte einem beim Versorgungsamt beschäftigten Arzt vor, der (nach Aktenlage ohne Untersuchung des Antragstellers) anhand der einzelnen Befundberichte, genauer anhand der aus den Befunden folgenden Funktionsbeeinträchtigungen, einzelne GdB nach Zehnergraden feststellt und sodann den Gesamt-GdB bildet.
Einen Bescheid wird das Versorgungsamt ab einem Gesamt-GdB von 20 erlassen. Ein Gesamt-GdB von 10 ist theoretisch zwar denkbar; das Versorgungsamt stellt diesen aber nicht durch Bescheid fest.
Der Arzt wird die Einzel-GdB jeweils für die verschiedenen Gesundheitsstörungen auf Grundlage der in der Versorgungsmedizinverordnung abgedruckten Versorgungsmedizinischen Grundsätze (dort Teil B: Tabelle der Gesundheitsstörungen, sog. „GdS-Tabelle“) feststellen, welche durch den „Ärztlichen Sachverständigenbeirat Versorgungsmedizin“ beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales entwickelt und durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Internet zum Download bereitgestellt werden.24
Die Versorgungsmedizin-Verordnung stellt die Grundsätze auf, nach denen der Grad der Behinderung (GdB) festzustellen ist.
Exkurs: Gleichermaßen stellt die Versorgungsmedizin-Verordnung die Grundsätze auf, nach denen das Ausmaß einer nach dem Bundesversorgungsgesetz auszugleichenden Schädigungsfolge festzustellen ist, z.B. für Menschen, die Opfer von Gewalttaten wurden, („Grad der Schädigungsfolge“, abgekürzt „GdS“).25 Deshalb heißt die Tabelle der Gesundheitsstörungen in Teil B der Versorgungsmedizinischen Grundsätze auch GdS-Tabelle und nicht GdB-Tabelle. Der GdS ist für die Praxis der Schwerbehindertenvertretung nicht relevant. Das soll uns nicht stören. GdB und GdS werden nach denselben Grundsätzen anhand der GdS-Tabelle festgestellt.
Bitte seht Euch die GdS-Tabelle in Teil B der Versorgungsmedizinischen Grundsätze26 an und bestellt Euch den Kommentar zu den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen beim VdK. Die Kosten für die die Anschaffung notwendiger Fachliteratur trägt der Arbeitgeber (§ 179 Abs. 8 Satz 1 SGB IX).
2.4 Handhabung der GdS-Tabelle – Feststellung des Einzel-GdB
In der Praxis werden Mitarbeiter der SBV Erkrankungen mitteilen und danach fragen, ob es sich lohnt, wegen dieser Erkrankungen beim Versorgungsamt einen Erstantrag auf Feststellung der Behinderung oder einen Neufeststellungsantrag zu stellen.
Es handelt sich hier um Fragen, die letztendlich durch Ärzte und gegebenenfalls medizinische Sachverständige und Anwälte beurteilt werden. Gleichwohl ist es der SBV sehr gut möglich, hier den Kollegen „Erste Hilfe“ zu leisten:
Die Versorgungsmedizinischen Grundsätze27 enthalten am Ende ein Stichwortverzeichnis, dem eine Vielzahl von Erkrankungen entnommen werden kann. Schildert der Mitarbeiter beispielsweise seine häufigen, mehrmals pro Woche auftretenden Migräneanfälle und fragt die Vertrauensperson danach, ob das Versorgungsamt hierfür einen GdB feststellen wird, so kann die SBV relativ schnell über das Stichwortverzeichnis der Versorgungsmedizinischen Grundsätze unter dem Stichwort „Kopf“ feststellen, dass die Migräne unter Teil B Nr. 2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze behandelt wird, konkret unter Nr. 2.3 der GdS-Tabelle.
Zu dem gleichen Ergebnis kann die SBV über das am Anfang der Versorgungsmedizinischen Grundsätze enthaltene Inhaltsverzeichnis kommen.
Nach Nr. 2.3 der GdS-Tabelle muss das Versorgungsamt für die mehrmals wöchentlich auftretende Migräne des Kollegen einen Einzel-GdB zwischen 20-40 festsetzen. Voilà, damit ist die Antwort bereits geliefert. Dem Kollegen sollte dazu geraten werden, für einige Zeit (nach Möglichkeit bis zum Abschluss des Verfahrens) ein Kopfschmerztagebuch zu führen, welches im weiteren Verlauf wichtig werden kann. Das Kopfschmerztagebuch kann im Internet heruntergeladen werden.
Ein weiteres Beispiel: Schildert die Kollegin der Vertrauensperson, dass sie Wirbelsäulenschäden in zwei Wirbelsäulenabschnitten hat mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen (so der Befund des behandelnden Orthopäden oder Neurologen), z.B. in den Abschnitten Halswirbelsäule und Lendenwirbelsäule, so würde die SBV ebenfalls dazu raten können, einen Antrag beim Versorgungsamt zu stellen. Über das Stichwortverzeichnis der Versorgungsmedizinischen Grundsätze würde die SBV unter dem Stichwort Wirbelsäule auf Nr. 18.9 der GdS-Tabelle verwiesen, der zufolge bei Wirbelsäulenschäden in zwei Wirbelsäulenabschnitten ein Einzel-GdB von 30-40 festzusetzen ist.
Ein letztes Beispiel: Schildert die Kollegin oder der Kollege der Vertrauensperson eine Depression, so kommt es nach Nr. 3.7 der GdS-Tabelle auf den Schweregrad der Depression an, welcher Einzel-GdB in Ansatz zu bringen ist. Zwar enthält Nr. 3.7 nicht den Begriff der Depression, gleichwohl ist diese Erkrankung unter Nr. 3.7 der GdS-Tabelle einzuordnen.
Die Höhe des Einzel-GdB bei einer Depression hängt gemäß Nr. 3.7 der GdS-Tabelle ganz wesentlich davon ab, welchen Schweregrad die aus der Depression folgenden sozialen Anpassungsschwierigkeiten haben. Eine mindestens mittelgradige Depression mit mindestens mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten ist nach (umstrittener) Auffassung mit einem Einzel-GdB von 50 zu bewerten.28 Mit sozialen Anpassungsschwierigkeiten meint Nr. 3.7 der GdS-Tabelle den Rückzug aus dem Freundeskreis, die durch die Depression entstehende Probleme in der Partnerschaft, die Aufgabe von vorbestehenden Hobbys und die Schwierigkeiten im Berufsleben.29
Die Versorgungsämter argumentieren zwar häufig, dass eine mittelgradige Depression keine schwere gesundheitliche Störung im Sinne von Nr. 3.7 der GdS-Tabelle sei. Dies wird durch neurologischpsychiatrische Gutachter aber z.T. anders gesehen, da es sich auch bei der mittelgradigen Depression bereits um eine sogenannte Major Depression handelt.
2.5 Bildung des Gesamt-GdB
Das Schwerbehindertenrecht kennt nur einen Gesamtzustand der Behinderungen (GdB). Dieser kann auf den Auswirkungen mehrerer zugleich vorliegender Funktionsbeeinträchtigungen beruhen. Ein GdB wird nur für den Gesamtzustand der Behinderung festgestellt, nicht für einzelne Funktionsbeeinträchtigungen.30
Die Bildung des Gesamt-GdB aus den verschiedenen Einzel-GdB erfolgt nach § 152 Abs. 3 SGB IX und Teil A Nr. 3 Buchstabe c der Versorgungsmedizinischen Grundsätze nach der folgenden Grundregel, die nach meiner Erfahrung immer zu tragbaren Ergebnissen führt, welche notfalls auch vor Gericht standhalten:
Zunächst wird der höchste Einzel-GdB festgestellt. Wir nehmen als Beispiel an, der höchste Einzel-GdB bei mehreren Einzel-GdB beträgt 40, zum Beispiel wegen Wirbelsäulenschäden in mehreren Abschnitten. Dieser wird der Berechnung als Grundlage vorangestellt.
Sodann werden die weiteren, niedrigeren Einzel-GdB betrachtet. Beträgt mindestens einer dieser Einzel-GdB 30, erhöht dieser Einzel-GdB den höchsten Einzel-GdB (hier 40) um 10, sodass ein Gesamt-GdB von 50 und damit die Schwerbehinderung festzustellen ist.
Es darf keine Addition erfolgen, sodass im obigen Beispiel nicht ein Gesamt-GdB von 70 resultiert. Allerdings erhöht ein Einzel-GdB von mindestens 30 immer den höchsten GdB (hier 40) um mindestens 10, sodass vorliegend ein Gesamt-GdB von mindestens 50 festzustellen ist.
Einzel-GdB von 10 oder 20 erhöhen den höchsten GdB in der Regel nicht,31 so dass es im Beispielsfall bei einem Gesamt-GdB von 40 verbleibt.
Problematisch und eine Frage des Einzelfalls ist das Ergebnis von zwei Einzel-GdB von jeweils 30. Klar ist: Zwei Einzel-GdB von einmal 40 und einmal 30 ergeben 50, s.o.
Bei zwei Einzel-GdB von 30 hängt das Ergebnis davon ab, ob die beiden Gesundheitsstörungen, die Grundlage der Einzel-GdB sind, sich auf verschiedene Weise auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft auswirken, sich ggfs. sogar gegenseitig verstärken (dann in der Praxis häufig Gesamt-GdB von 50) oder sich die Auswirkungen der beiden Behinderungen vollständig überschneiden (dann Gesamt-GdB von 30, in der Praxis sehr selten) oder teilweise überschneiden (dann in der Praxis Gesamt-GdB von 40).32
Überschneiden von Gesundheitsstörungen meint hier, dass sich die zweite Gesundheitsstörung nicht noch zusätzlich negativ auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft auswirkt.
Bei der Gesamtbetrachtung ist also immer zu berücksichtigen, ob sich Behinderungen gegenseitig negativ verstärken, was zur Erhöhung des Gesamt-GdB führen kann, oder ob sie sich überschneiden, sodass eine Erhöhung nicht in Betracht kommt.33
Nach Einzelfällen34 aus der Rechtsprechung können ausnahmsweise auch:
„Vier „starke“ Einzel-GdB von 20 bei voneinander unabhängigen Gesundheitsstörungen zu einem Gesamt-GdB von 50 führen.“35
„Bei einer depressiven Störung mit einem GdB von 40 und einem Tinnitus mit einem GdB von 30 kann ein Gesamt-GdB von „nur“ 40 gerechtfertigt sein, nämlich dann, wenn sich die Auswirkung der beiden Gesundheitsstörungen überschneiden, bzw. die depressive Störung Folge des Tinnitus ist.“36
Zusammengefasst gilt folgende Grundregel: „Aus Einzel-GdB von 40 und 10 folgt in aller Regel ein Gesamt-GdB von 40, aus Einzel-GdB von 40 und 20 ein Gesamt-GdB von regelmäßig 40 und nur ausnahmsweise von 50 und aus Einzel-GdB von 40 und 30 in aller Regel ein Gesamt-GdB von 50.“37
2.6 Berücksichtigung der MdE bei Berufskrankheit oder Berufsunfall
Die gesetzliche Unfallversicherung (Berufsgenossenschaft, „BG“) stellt nach einem Arbeitsunfall gemäß § 8 SGB VII oder bei einer Berufskrankheit gemäß § 9 SGB VII i.V.m. der Berufskrankheitenliste (Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung)38 die MdE (Minderung der Erwerbsfähigkeit) gemäß § 56 Abs. 2 SGB VII durch Bescheid fest.
Die Höhe der MdE richtet sich nicht nach der GdS-Tabelle der Versorgungsmedizinischen Grundsätze, sondern nach einer eigenen MdE-Tabelle.39 Die Tabelle enthält ausschließlich Zehnerwerte zwischen 10 % und 100 %. Hier sprechen wir also von % und nicht von Grad.
Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von mindestens 20% zahlt die BG nach Ablauf von 26 Wochen seit dem Versicherungsfall (Berufsunfall oder Berufskrankheit) nach § 56 Abs. 1 SGB VII eine Verletztenrente. Bei einer MdE von 100 % zahlt sie eine Vollrente von 2/3 des Jahresarbeitsverdienstes, bei einer geringeren MdE eine Teilrente (§ 56 Abs. 3 SGB VII). Die Teilrente beträgt bei einer MdE von beispielsweise 50 % die Hälfte der Vollrente (mithin in Höhe von 50 % von 2/3 des Jahresarbeitsverdienstes).
Merke: Das Versorgungsamt muss bei der Feststellung des Gesamt-GdB die durch die Berufsgenossenschaft per Bescheid festgestellte MdE automatisch als Einzel-GdB berücksichtigen (§ 152 Abs. 2 Satz 2 SGB IX)! Es ist deshalb dazu zu raten, dem Versorgungsamt im Antragsverfahren den MdE-Bescheid in Kopie vorzulegen. Dabei ist das Versorgungsamt nicht berechtigt, die Entscheidung der BG betreffend die Höhe der MdE zu überprüfen und ggfs. anders zu bewerten.
Stellt die Berufsgenossenschaft beispielsweise für den Verlust eines Daumens im Grundgelenk nach der aktuellen MdE Tabelle in der Fassung vom 01.11.2019 eine MdE von 30 fest und leidet der Kollege darüber hinaus an einer Migräne mit schwerer Verlaufsform (Einzel-GdB von 40 nach Nr. 2.3 der GdS-Tabelle), wird das Versorgungsamt auf Antrag die Schwerbehinderung des Kollegen feststellen und einen Schwerbehindertenausweis ausstellen. Denn, so haben wir bereits festgestellt, ein Einzel-GdB von 40 und ein weiterer Einzel-GdB von 30 (hier infolge der festgestellten MdE 30) ergeben einen Gesamt-GdB von 50.
Wenn der Kollege keine weiteren Gesundheitsstörungen hat mit Ausnahme des infolge eines Arbeitsunfalls verlorenen Daumens (MdE 30 %), so gilt die Feststellung der Berufsgenossenschaft zugleich als Feststellung des GdB, so dass der Kollege ohne zwingende Einschaltung des Versorgungsamtes40 z.B. seine Gleichstellung bei der Agentur für Arbeit beantragen oder den Steuerpauschbetrag nach § 33b Abs. 3 EStG beim Finanzamt geltend machen kann.
Schwerbehindertenvertretungen sollten ihre Kollegen deshalb in der Beratung über Anträge auf Feststellung des Grades der Behinderung beim Versorgungsamt immer danach fragen, ob die Berufsgenossenschaften bereits eine MdE festgestellt hat.
2.7 Rückwirkende Feststellung des GdB
Der Grad der Behinderung wird in der Regel ab dem Datum der Antragstellung festgestellt.
Nach § 152 Abs. 1 Satz 2 SGB IX kann die Feststellung des GdB auf besonderen Antrag auch rückwirkend beantragt werden, wenn aus der rückwirkenden Feststellung ein rechtlicher Vorteil resultiert,41 z.B. ein Anspruch auf vorgezogene Altersrente für schwerbehinderte Menschen42 oder eine Beitragsreduzierung in der privaten Krankenversicherung.
Nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.04.2014 ist es im Beamtenrecht nicht möglich, nach