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"Verlange nicht, dass das, was geschieht, so geschieht, wie du es wünschst, sondern wünsche, dass es so geschieht, wie es geschieht, und dein Leben wird heiter dahinströmen." Goethe, Nietzsche und Hannah Arendt waren erklärte Bewunderer des kleinen Werks. Bis heute bietet dieser Klassiker der stoischen Philosophie Orientierung.
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Seitenzahl: 57
2014 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2018
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-960500-5
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019103-3
www.reclam.de
1 Worüber wir gebieten und worüber wir nicht gebieten
2 Begehren und Meiden
3 Bedenke das eigentliche Wesen der Dinge
4 Ärger meiden, Haltung bewahren
5 Die Dinge und die Meinungen darüber sind nicht dasselbe
6 Falscher und echter Stolz
7 Der Ruf des Steuermanns
8 Nicht mein Wille
9 Kein Hindernis für dich
10 Gegenkräfte in dir
11 Es gibt keinen Verlust
12 Gleichmut hat seinen Preis
13 Entweder – oder
14 Falsches und richtiges Wollen
15 Warte, bis du an die Reihe kommst
16 Mitleiden, aber mit Vorbehalt
17 Das Leben ein Schauspiel
18 Über Vorzeichen
19 Der Weg zur Freiheit
20 Beleidigungen treffen dich nicht
21 Meditatio mortis
22 Trotze dem Spott
23 Bleib deiner Maxime treu
24 Helfen ja, aber nicht um jeden Preis
25 Ehren haben ihren Preis
26 Duldsamkeit – auch wenn es dich trifft
27 Vom Bösen
28 Liefere dich keinem andern aus
29 Bedenke die Voraussetzungen und Folgen
30 Tu immer deine Pflicht
31 Frömmigkeit
32 Missbrauche das Orakel nicht
33 Wichtige Lebensregeln
34 Die Herausforderung sinnlicher Lust
35 Tue recht und fürchte niemanden
36 Übe Zurückhaltung
37 Überfordere dich nicht
38 Hüte dich vor seelischem Schaden
39 Zügle deine Ansprüche
40 Die Ehre der Frauen
41 Körper und Geist
42 Wem Beleidigungen schaden
43 Jedes Ding hat zwei Henkel
44 Fehlschlüsse
45 Urteile nicht voreilig
46 Handeln statt reden
47 Bilde dir nichts ein
48 Kennzeichen eines Fortschreitenden
49 Theorie und Praxis
50 Von der Treue zur Philosophie
51 Entscheide dich jetzt
52 Das Wichtigste: die Praxis
53 Kernsätze
Nachbemerkung
Hinweise zur E-Book-Ausgabe
Über das eine gebieten wir, über das andere nicht. Wir gebieten über unser Begreifen, unsern Antrieb zum Handeln, unser Begehren und Meiden,1 und, mit einem Wort, über alles, was von uns ausgeht; nicht gebieten wir über unsern Körper, unsern Besitz, unser Ansehen, unsere Machtstellung, und, mit einem Wort, über alles, was nicht von uns ausgeht.
Worüber wir gebieten, ist von Natur aus frei, kann nicht gehindert oder gehemmt werden; worüber wir aber nicht gebieten, ist kraftlos, abhängig, kann gehindert werden und steht unter fremdem Einfluss. Denk also daran:2 Wenn du das von Natur aus Abhängige für frei hältst und das Fremde für dein eigen, so wird man deine Pläne durchkreuzen und du wirst klagen, die Fassung verlieren und mit Gott und der Welt hadern; hältst du aber nur das für dein Eigentum, was wirklich dir gehört, das Fremde hingegen, wie es tatsächlich ist, für fremd, dann wird niemand je dich nötigen, niemand dich hindern, du wirst niemanden schelten, niemandem die Schuld geben, nie etwas wider Willen tun, du wirst keinen Feind haben, niemand wird dir schaden, denn du kannst überhaupt keinen Schaden erleiden.
Wenn du nun nach so hohen Zielen strebst, denke daran, dass du nicht mit nur mäßigem Bemühen nach ihnen greifen darfst, nein, du musst auf manches ganz verzichten, manches vorläufig aufschieben.
Wenn du aber außerdem auch auf Macht und Reichtum aus bist, so wirst du vielleicht auch hierin scheitern, weil du zugleich nach jenem strebst; auf alle Fälle wirst du das verfehlen, woraus allein Freiheit und Glück hervorgehen. Bemühe dich daher, jedem ärgerlichen Eindruck sofort entgegenzuhalten: »Du bist nur ein Eindruck, und ganz und gar nicht das, was du zu sein scheinst.« Dann prüfe und begutachte den Eindruck nach den Regeln, die du kennst, vor allem nach der ersten Regel, ob der Eindruck zu tun hat mit den Dingen, über die wir gebieten oder nicht gebieten, und wenn er mit etwas zu tun hat, über das wir nicht gebieten, dann habe die Antwort zur Hand:3 »Es geht mich nichts an.«
Bedenke: Begehren verheißt die Erreichung des Begehrten, Meiden verheißt, nicht dem anheimzufallen, was gemieden wird, und wer mit seinem Begehren scheitert, ist unglücklich, und wer dem anheimfällt, was er meiden möchte, ist auch unglücklich. Wenn du also von den Dingen, die du meisterst, nur das meidest, was gegen die Natur ist,4 so wirst du dem gewiss nicht anheimfallen, was du meidest. Wenn du aber Krankheit, Tod oder Armut zu entgehen suchst, wirst du unglücklich sein. Zieh also deine Abneigung von allen Dingen zurück, die wir nicht meistern, und übertrage sie auf das, was gegen die Natur ist unter den Dingen, die wir meistern. Das Begehren aber gib vorläufig ganz auf. Denn wenn du etwas begehrst von dem, was wir nicht meistern, so wirst du notgedrungen unglücklich, und von den Dingen, die wir meistern, und die du begehren solltest, hast du noch keinen rechten Begriff. Beschränke dich auf das Wollen und Nichtwollen, doch nicht verbissen, sondern mit Vorbehalt und Gleichmut.
Bei allem, was deine Seele verlockt oder dir einen Nutzen gewährt oder was du lieb hast, denke daran, dir immer wieder zu sagen, was es eigentlich ist. Fang dabei mit den unscheinbarsten Dingen an. Wenn du einen Krug liebst, so sage dir: »Es ist ein Krug, den ich liebe.« Dann wirst du nämlich nicht deine Fassung verlieren, wenn er zerbricht. Wenn du dein Kind oder deine Frau küsst, so sage dir: »Es ist ein Mensch, den du küsst.« Dann wirst du nämlich nicht die Fassung verlieren,5 wenn er stirbt.
Wenn du irgend etwas unternehmen willst, so mach dir klar, welcher Art das Unternehmen ist. Wenn du zum Beispiel zum Baden gehst, so stell dir vor, wie es in einer Badeanstalt zugeht, wie sie mit Wasser spritzen, einander anrempeln, beschimpfen und bestehlen. Und so wirst du dich mit größerer Sicherheit an dein Unternehmen machen, wenn du dir von vornherein sagst: »Ich will baden und zugleich meine sittlichen Grundsätze in Übereinstimmung mit der Natur bewahren.« Und so bei allem Tun. Denn wenn irgend etwas dein Baden beeinträchtigt, wirst du alsdann den Satz zur Hand haben: »Ich wollte ja nicht nur baden, sondern auch meine sittlichen Grundsätze in Übereinstimmung mit der Natur bewahren; ich werde sie aber nicht bewahren, wenn ich mich über solche Vorkommnisse aufrege.«
Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern ihre Meinungen und Urteile über die Dinge. So ist zum Beispiel der Tod nichts Furchtbares – sonst hätte er auch dem Sokrates6 so erscheinen müssen –, sondern nur die Meinung, er sei etwas Furchtbares, das ist das Furchtbare. Wenn wir also auf Hindernisse stoßen, beunruhigt oder gekränkt werden, wollen wir die Schuld nie einem anderen, sondern nur uns selbst geben, das heißt unseren Meinungen und Urteilen.