Epiktet: Über die Kunst der inneren Freiheit - Epiktet - E-Book

Epiktet: Über die Kunst der inneren Freiheit E-Book

Epiktet

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Beschreibung

Als Sklave geboren, war für Epiktet (55 – 135 n. Chr.) Freiheit ein lebenswichtiger Wert. Dabei sah er geistige Freiheit als fundamental an, da sie Menschen überall frei sein lässt, sogar im Gefängnis. Er definiert Freiheit nicht als Menschenrecht oder politische Forderung, sondern als einen ethischen Wert, den wir uns nur selbst erarbeiten können. Indem das Buch die griechischen Originaltexte der neuen Übersetzung gegenüberstellt, wird die Bedeutung und Aktualität, die der Freiheitsbegriff in der Lehre der Stoa heute noch besitzt, besonders herausgestellt. Eine brandaktuelle neue Ausgabe von Epiktets berühmtem Buch über die Stoa: Encheiridion (Anleitung zum glücklichen Leben) sowie einer Auswahl seiner Unterredungen– von einem der führenden Experten der Philosophie der Stoa. Eine brandaktuelle neue Ausgabe von Epiktets berühmtem Buch über die Stoa: Encheiridion (Anleitung zum glücklichen Leben) sowie einer Auswahl seiner Unterredungen– von einem der führenden Experten der Philosophie der Stoa.

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Epiktet

ÜBER DIE KUNST DER INNEREN FREIHEIT

Alte Weisheiten für ein Leben nach der Stoa

ÜBER DIE KUNST DER INNEREN FREIHEIT

Alte Weisheiten für ein Leben nach der Stoa

Epiktet

Herausgegeben und mit einer Einleitung versehen von A. A. Long

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

4. Auflage 2024

© 2019 by Finanzbuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Copyright der Originalausgabe © 2018 by Princeton University Press. All Rights Reserved.

Die englische Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel How to be Free. An Ancient Guide to the Stoic Life bei Princeton University Press, 41 William Street, Princeton, New Jersey 08540. In the United Kingdom: Princeton University Press, 6 Oxford Street, Woodstock, Oxfordshire OX20 1 TR.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Übersetzung aus dem Englischen: Nicole Hölsken

Redaktion: Friederike Thompson

Korrektorat: Dr. Manuela Kahle

Umschlaggestaltung: Marc-Torben Fischer

Umschlagfoto: © shutterstock.com

Satz: Carsten Klein, Torgau

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-95972-187-5

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96092-344-2

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96092-345-9

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.finanzbuchverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Für David

INHALT

EINLEITUNG

Epiktet in seiner Zeit und Umwelt

Stoizismus und Freiheit

Epiktet als Lehrer des Stoizismus

Leben in Harmonie mit der Natur

Freiheit und Ethik

Ein freier Wille?

Epiktet übersetzen

ÜBER DAS ENCHEIRIDION

ÜBER DIE KUNST, INNERLICH FREI ZU SEIN

Encheiridion

Das Encheiridion

AUS DEN DISKURSEN

1. Lernen, sich alles zu wünschen, was eintrifft

2. Freiheit und seelisches Leid

3. Freiheit von Unterwürfigkeit

4. Freiheit zur Zustimmung ohne Hemmnis

5. Zu wissen, was man wollen sollte

6. Freiheit des Willens

7. Den richtigen Gebrauch von Eindrücken machen

8. Freiheit und menschliche Natur

9. Freiheit und Würde

DANKSAGUNGEN

GLOSSAR

BIBLIOGRAPHIE

EINLEITUNG

Wie wird man frei!? Ist das eine Frage oder ein Ausruf, ein politisches Manifest oder die Sehnsucht, zu den Wurzeln zurückzukehren, das Streben nach Autonomie oder nach Emanzipation aus der Unterdrückung? Dieses Buch präsentiert den Ansatz eines antiken, griechischen Philosophen im Hinblick auf die Freiheit, die Freiheit aufgefasst als Leben in Einklang mit der Natur, als Bestrebung, sich selbst zu besitzen und zu beherrschen, ein Weltbürger zu werden, ausschließlich und stets das zu begehren, was man auch sicher bekommen kann und so vieles mehr. Epiktet (ca. 55–135 n. Chr.), unser Autor und stoischer Lehrmeister, wurde als Sklave geboren (sein griechischer Name bedeutet »erworben«) und diente als solcher im Haushalt des Epaphroditus, eines mächtigen Mannes in Neros Rom, der selbst ebenfalls ein freigelassener Sklave war. Zu dem Zeitpunkt, da Epiktet seine Gedanken zur Freiheit öffentlich kundtat, hatte er schon mehrere Jahre das freie Leben genossen, aber die Erfahrung der Sklaverei zieht sich wie ein roter Faden durch seine Philosophie und hinterließ dort ihre Spuren. Die erste Lektion seines Encheiridion, seines Handbuchs zum Stoizismus, beharrt darauf, dass alles, was wirklich auf unserem eigenen Handeln beruht, von Natur aus frei, ungehindert und ohne Zwang sei.

Seiner Auffassung nach ist Freiheit kein juristischer Status und auch nicht die Möglichkeit, sich frei zu bewegen. Es handelt sich um die geistige Orientierung von Menschen, die Frustrationen oder Enttäuschungen gleichgültig gegenüberstehen, weil ihre Wünsche und Entscheidungen von ihnen selbst abhängen und nichts beinhalten, das sie sich nicht selbst verschaffen können. Der Kaiser Marcus Aurelius (auch Mark Aurel, regierte 161–180 n. Chr.) verstand das und verarbeitete diesen Gedanken in seiner stoischen Schrift Meditationen. Der Romancier Tom Wolfe folgte seinem Beispiel in seinem 1998 erschienenen Roman Ein Ganzer Kerl. Hier beschreibt er, wie sein junger Held sowohl einem buchstäblichen als auch einem metaphorischen Gefängnis entkommt, nachdem er die Lehrgespräche des Epiktet gelesen und verarbeitet hatte.

Die größte Beschränkung der persönlichen Freiheit im antiken Griechenland und Rom kannte Epiktet aus erster Hand, nämlich die gesellschaftliche Praxis und Würdelosigkeit der Sklaverei. Die Sklaverei, durch die man buchstäblich einem anderen gehörte und den Belangen eines anderen diente, gab der Freiheit in der Antike ihren besonders positiven Wert und ihre emotionale Bedeutung. Die körperliche Bewegungsfreiheit von Sklaven während ihrer wachen Stunden wurde durch die Wünsche ihrer Herren ebenso stark beschränkt wie durch die niederen Aufgaben, die sie zu verrichten hatten. Aber Sklaven besaßen wie alle anderen auch Verstand, und sowohl der Geist als auch der Körper kann Freiheit oder Beschränkung unterlegen sein. Man kann äußerlich frei und innerlich ein Sklave sein, kontrolliert von psychologischen Herren in Form von innerlich fesselnden Wünschen, Leidenschaften und Sehnsüchten. Umgekehrt kann man äußerlich gefangen sein, ja sogar buchstäblich in Fesseln liegen, innerlich aber von jeglicher Frustration und Disharmonie frei sein, in der Tat so frei, dass man feststellt, dass man das eigene Wohlbefinden selbst in Händen hält, dass einem wenig oder sogar nichts fehlt, mit dem man sich selbst nicht versorgen könnte. Im Wesentlichen ist das jene Freiheit, die Epiktet, jener antike Philosoph der Stoa, zum zentralen Thema seiner Lehren machte.

EPIKTET IN SEINER ZEIT UND UMWELT

In den ersten Jahren des zweiten Jahrhunderts nach Christus gründete dieser ehemalige Sklave in Nikopolis, einer im Nordwesten Griechenlands gelegenen Stadt, die zur modernen Metropole avanciert war, eine Schule für junge Männer. Einer seiner Schüler war ein begabter junger Mann namens Arrian. Lucius Flavianus Arrianus, um seinen vollen Namen zu nennen, war von der Botschaft seines Lehrers so beeindruckt, dass er die Vorträge über die stoische Philosophie, die er von Epiktet gehört hatte, in insgesamt acht Büchern zusammenstellte, den sogenannten Lehrgesprächen. Er schrieb sie mehr oder weniger wortgetreu auf, verfasste aber zusätzlich auch noch eine Zusammenfassung, die wir als Encheiridion oder Handbüchlein der Moral kennen. Das vorliegende Werk mit dem Titel Epiktet: Über die Kunst der inneren Freiheit basiert auf meinen Übersetzungen des Encheiridion (übertragen ins Deutsche von Nicole Hölsken) und auf neun Auszügen der vier noch erhaltenen Bücher der Lehrgespräche. Arrian verfolgte sodann eine glanzvolle Karriere in der Römischen Verwaltung und veröffentlichte viele andere Bücher, einschließlich einer Geschichte Alexanders des Großen. Wir wissen nicht, wie es ihm gelang, die tatsächlichen Worte des Epiktet zu reproduzieren, aber der Text, der uns überliefert ist – verfasst in koinē, dem Umgangsgriechisch, das auch im Neuen Testament benutzt wurde –, ist offensichtlich die Sprache seines Lehrers und nicht bloß Arrians Version von Epiktets Sprechweise.

Als Leitfaden zur stoischen Lebensweise ist Epiktets Philosophie, insbesondere wie sie sich im Encheiridion präsentiert, seit der Erstveröffentlichung und dem Erstdruck im sechzehnten Jahrhundert, sehr beliebt. Seine Worte, die in zahlreiche Sprachen übersetzt und neu übersetzt wurden, treffen den Kern, weil sie sich so scharf und eindringlich auf Situationen konzentrieren, die vielen Menschen zu jeder Zeit und an jedem Ort gemein sind. Die Gefühle, für die er Heilung verspricht – Furcht, Angst, Neid, Wut, Groll, Kummer –, hat jedermann schon einmal erlebt, ob er nun im Kaiserlichen Rom oder im modernen Amerika lebt. Insofern benötigt Epiktet keine Einleitung. Doch während einige seiner Szenarien vertraute Platzhalter für unsere eigenen Erfahrungen sind, finden wir doch auch manche, die das spezielle Umfeld und die Sitten und Gebräuche der damaligen Zeit widerspiegeln.

Wir finden uns in einer Zeit wieder, zu der Sklaven gehören (Encheiridion 12, 14, 26), öffentliche Bäder (ibid. 4, 45), Gladiatorenspiele (ibid. 29, 33) und professionelle Wahrsager (ibid. 32). Eine Gefahr, der Epiktet selbst ausgesetzt war, war das Exil (ibid. 21). Das Kaiserliche Rom und seine Provinzen wurden durch ein streng reglementiertes und konkurrenzbetontes System aus Ämtern und Amtsträgern regiert (ibid. 19, 24). Gerangel und Intrigen um Ämter gehörten dazu, was wiederum die Suche nach Mäzenen, die Teilnahme an Festgelagen und das Bestreben, einflussreiche Persönlichkeiten zu beeindrucken implizierte (ibid. 19, 24, 25, 33).

Epiktet betont, wie wichtig es ist, sich die eigene Unabhängigkeit zu bewahren, was uns ins Gedächtnis ruft, dass seine jungen Schüler, wie auch sein Chronist Arrian, an der Schwelle zu großen Karrieren in der Kaiserlichen Armee oder im öffentlichen Dienst standen. Es handelte sich um eine von Männern dominierte Kultur, wie er mit seinen Bemerkungen über Frauen und deren Rolle deutlich macht (ibid. 40), aber das Encheiridion im Allgemeinen hat keine offensichtliche geschlechtliche Orientierung und ist vollkommen frei von Männlichkeitswahn. Das »du« und »wir«, das Epiktet anspricht, kann jeder von uns sein, wobei kulturelle Unterschiede kaum eine Rolle spielen.

Die römische Welt war zu seinen Lebzeiten eine vollkommene Autokratie, an deren Spitze der Kaiser oder Caesar stand. Epiktet kommt nur selten auf Politik zu sprechen, erwähnt Caesar nur ein einziges Mal in seinen Büchern (Lehrgespräche 3) und spielt niemals auf historische Begebenheiten an. In den kompletten Lehrgesprächen (z. B. 1.2) kommt er gelegentlich auf historische Persönlichkeiten zu sprechen, die sich kaiserlichen Anordnungen widersetzten, aber in Bezug auf die Kaiser, die zu jener Zeit, da er in Griechenland lehrte, herrschten, bewahrt er vollkommenes Stillschweigen. Obwohl Freiheit von Anfang an ein zentraler Begriff in der stoischen Weltanschauung war, verdankt sie ihre besondere Bedeutung Epiktet, nicht nur, weil er seine frühen Jahre als Sklave verbrachte, sondern auch, weil die Menschen, an die er sich wandte, keinerlei Aussicht auf politische Autonomie hatten.

STOIZISMUS UND FREIHEIT

Die stoische Philosophie hat ihren Ursprung im Griechenland des ausgehenden vierten Jahrhunderts vor Christus. Die Gründerväter waren Einwanderer, die aus dem östlichen Mittelmeerraum nach Athen gekommen waren. Die Stadt war nicht länger eine lebendige Demokratie wie zu Zeiten des Sokrates, sondern ein Satellitenstaat des Königreichs Mazedonien. Der Verlust der politischen Autonomie spiegelte sich in Athen auch in der Philosophie wider, und zwar durch Innenschau und die Fokussierung auf Ethik. Weder die Stoa noch die Epikureer, jene andere führende hellenistische Schule, befassten sich allzu sehr mit politischen Theorien, wie ihre Vorgänger Platon und Aristoteles es getan hatten. Das gesellschaftliche Erkenntnisinteresse der jüngeren Philosophen lag nicht auf Politik oder Gesetzgebung, sondern auf dem persönlichen Wohlbefinden und der Selbstvervollkommnung. Diese Wendung nach innen wird auffallend durch die Art und Weise illustriert, wie das stoische Gedankengut von Anfang an mit Gedanken über Freiheit und Sklaverei umging. Man fasste beides als vornehmlich ethische und psychologische Nenner auf und weniger als Zeichen des sozialen Status. Zenon zufolge, dem ursprünglichen Kopf der Stoischen Philosophie, ist Freiheit das exklusive Vorrecht der Weisen, während minderwertige Personen, zu denen er die Mehrheit der Menschen zählt, nicht nur töricht, sondern sogar Sklaven sind.

Auf den ersten Blick ist man vielleicht schockiert über dieses intellektuelle Elitedenken und seine Unempfindlichkeit dem Joch der Menschen gegenüber, die das Unglück hatten, buchstäblich versklavt zu sein. Man beachte aber, wie radikal Zenons Behauptung in einer auf Sklavenhaltung basierenden Wirtschaft war, wie sehr sie die Bewertung des Einzelnen in Bezug auf die konventionelle Diener-Herren-Dichotomie infrage stellt. Wenn Weisheit das wahre Kriterium ist, das zur Freiheit führt, verlagert sich die Hauptbürde der Sklaverei vom Äußeren ins Innere, vom Körperlichen zum Geistigen, und Philosophie und nicht der Freibrief wird zur eigentlichen Quelle der Freiheit. Dieser kompromisslosen Lehre zufolge ist man versklavt, wenn man sein Herz an irgendetwas hängt, das mit Hindernissen einhergeht, sei es, weil der eigene Körper einen im Stich lässt, oder man Sklave der eigenen Leidenschaften und Gefühle ist oder weil man das eigene Wohlbefinden von Äußerlichkeiten abhängig macht – von Menschen, Besitz, Beliebtheit oder auch einfach nur dem Glück.

In seinem gefeierten Essay »Zwei Freiheitsbegriffe« unterschied Isaiah Berlin zwischen »negativer Freiheit«, also der Vorstellung von äußeren Zwängen frei zu sein (nicht durch andere beeinträchtigt zu werden) und »positiver Freiheit«, also der Freiheit, so zu sein oder zu leben wie man will (Selbstbestimmtheit oder Selbstbestimmung). Für Epiktet kommen diese beiden Vorstellungen einander so nah, dass sie einander beinhalten, wie aus folgender Passage ersichtlich ist:

Unser Herr ist jeder, der die Macht hat, die Dinge, die wir wollen oder nicht wollen, zu gewähren oder zu verhindern. Wer immer also frei sein will, sollte sich nichts wünschen und nichts meiden, das anderen Menschen obliegt. Wem das nicht gelingt, der ist zwangsläufig ein Sklave. (Encheiridion 14)

Wir könnten den zweiten Satz auch anders formulieren: »Wer immer von äußeren Zwängen frei sein will, sollte seine Wünsche und Abneigungen auf Dinge beschränken, über die er die vollständige Kontrolle hat.«

Wie können wir sicher gehen, dass eine solche Wahl gut für uns und die Menschen in unserer Umgebung ist? Warum sollten wir auf uns selbst vertrauen, statt den zehn Geboten oder anderen altehrwürdigen Handlungsmaximen zu folgen? Woher sollen wir wissen, wie wir uns entscheiden sollen? Die Antwort auf diese Fragen führt uns zurück zu Zenons »Weisheit« als Essenz der Freiheit. Sein griechisches Wort sophia, in seiner normalen Gebrauchsform, kann jegliche Art von Expertise abdecken, angefangen von praktischem Handwerk wie dem Zimmermannshandwerk bis hin zu abstraktem Wissen wie die Kenntnis der Geometrie. In sämtlichen Fällen bezeichnet sophia den erfolgreichen Einsatz einer Fähigkeit, und die Fähigkeit, die Zenon und ihm nachfolgende stoische Philosophen am meisten interessierte, ist die Kunst des Lebens. Diese Kunst umfasst das Wissen darum, wie wir in Harmonie mit unserer menschlichen Natur und unserer sozialen und physischen Umgebung leben können. Dieses Verständnis zu erlangen oder es zumindest zu versuchen, obliegt dem Verstand, und der Verstand ist gemäß stoischen Lehren das, was den Menschen von den Tieren unterscheidet. (Lehrgespräche 7, 8)

EPIKTET ALS LEHRER DES STOIZISMUS

Die Texte des Epiktet, die Sie hier lesen werden, gehen näher auf diese Lehren ein und erforschen ihre Auswirkungen als Leitfaden für das Alltagsleben. Seine Inhalte decken eine enorme Bandbreite an Situationen ab, die von alltäglichen Umständen des Familien- und Berufslebens bis hin zu herausfordernden Situationen wie Krankheit, Armut und Tod reichen. Epiktet unterscheidet nicht scharf zwischen Moral und Verhalten (siehe Encheiridion 33). Alles, was wir zu tun oder zu denken aufgerufen werden, ist dieser einen Hauptfrage untergeordnet: Ist dieses oder jenes etwas, das wirklich meiner Entscheidungsgewalt unterliegt, das ich beeinflussen kann, oder sollte ich es mit Ruhe und Leidenschaftslosigkeit als eine Situation akzeptieren, die durch Dinge herbeigeführt wurde, die jenseits meiner Kontrolle liegen? Wenn wir kurz darüber nachdenken, erkennen wir, dass diese Entweder-oder-Frage beinahe jede vorstellbare Situation abdeckt. Jemand behandelt Sie grob: Das entzieht sich Ihrer Kontrolle, aber Sie haben die vollständige Freiheit, wie Sie darauf reagieren. Unfälle passieren, ein Angehöriger stirbt, Sie bekommen den Job nicht, auf den Sie sich beworben haben, Sie werden krank. Nichts von alldem ist auf Ihre Initiative oder Ihre Verantwortung zurückzuführen, aber eine Möglichkeit bleibt Ihnen auf jeden Fall: Sie können die Situation anders einschätzen und als Gelegenheit betrachten, sich eben nicht als Opfer äußerer Mächte, als jemand, dem man übel mitgespielt hat, oder als außergewöhnlich unglücklich zu betrachten.

Will man Epiktets Freiheitsbotschaft in prägnante, moderne Formulierungen fassen, so passen sie zu schlichten Ratschlägen wie: »Wach auf!«, »Werd erwachsen!«, »Zeig, aus welchem Holz du geschnitzt bist!«, »Lass gut sein!«, »Kümmere dich um deinen eigenen Kram!«. Einige mehr oder weniger genaue Entsprechungen zu diesen Slogans finden Sie in den übersetzten Texten dieses Büchleins. Sie sind uns vertraut, was damit zusammenhängt, dass die stoische Philosophie die westliche Denkweise und Erziehung seit der Zeit, da Epiktet, Seneca und Marcus Aurelius in die europäische und amerikanische Kultur integriert wurden, maßgeblich beeinflusst hat. Es waren diese Autoren, die die Wurzeln unserer modernen Auffassung von »Philosophie« und »philosophisch« als heitere, ruhige oder gar resignierte Haltung angesichts von Schwierigkeiten bilden. Diese Einstellung ist heutzutage nicht modern, da sie nicht mit der Vorstellung von Authentizität, Erwartung und der Zurschaustellung von Gefühlen sowie Durchsetzungsvermögen einhergeht. Aber in der Praxis sind diese Maximen, wie stoische Fachleute herausgefunden haben, auf zeitlose Weise bedeutsam und besonders in unserer hektischen Welt der sozialen Medien, der Clips, der Validierung, der Empörung, der Aufmerksamkeitsheischerei und selbst gewählten Angst anwendbar.

Parolen wie »Wach auf!« und so weiter haben ihre Berührung zu den antiken, stoischen Fundamenten verloren. Epiktet jedoch macht daraus Ratschläge, wie Menschen ihr Leben am besten gemäß dem stoischen Verständnis von Natur, Psychologie und menschlichen Werten organisieren können. Obwohl Epiktets Sprache schlicht und informell ist, neigte er nicht zu Slogans. Auf populäre Weise präsentierte er ein kompliziertes, philosophisches System, das – wie es bei jedem philosophischen System sein sollte – auf exakter Argumentation, innerer Stimmigkeit und empirischer Begründbarkeit fußt.

Eines seiner Schlüsselworte ist Natur (griechisch: physis). Dieser Terminus deckt drei miteinander verbundene Bereiche ab: (1) die Struktur und den Inhalt der greifbaren Welt, also den Gesamtrahmen unseres Wortes »Physik«, (2) die menschliche Natur im Hinblick auf unsere geistigen Fähigkeiten, Begabungen und Möglichkeiten und (3) die Werte, die mit menschlichen Leistungen und einem blühenden Leben in Einklang stehen oder eben ihr widersprechen. Als Hintergrundinformation zur Lektüre des Encheiridion und meiner Auswahl an Textauszügen aus den Lehrgesprächen, hier ein kurzer Überblick über diese drei Gebiete der Natur im Stoizismus wie Epiktet sie verstanden wissen will.

LEBEN IN HARMONIE MIT DER NATUR

Die äußere Natur