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Unabhängigkeit und Glück – wer hätte davon nicht gerne mehr? Diese Sammlung der kleinen Weisheiten eines großen Stoikers lehrt uns innere Freiheit, Gelassenheit und ein zufriedenes Leben. Ein Meisterwerk der Lebenskunst, das bereits Goethe, Montesquieu und Hannah Arendt zurate zogen.
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Seitenzahl: 60
Epiktet
Stoische Lebenskunst
Aus dem Altgriechischen von J.G. Schultheß und K. Enk
Herausgegeben von Wolfgang Kraus
Diogenes
Wohin ich auch gehe, da ist die Sonne,
da ist der Mond, da sind die Sterne,
die Träume, göttlichen Zeichen, da ist
Verkehr mit der Gottheit …
Seht mich an! Ich habe nicht Weib,
Kind, oder Haus, ich habe nur die Erde,
den Himmel und einen alten Mantel,
und bin ich nicht heiter, bin ich nicht
sorglos, bin ich nicht frei?
Die Kraft deiner Vernunft sei reiner
als die Sonne.
Epiktet
Hat man die Lehre Epiktets kennengelernt, fällt es nicht schwer, sich ein Bild von der Wesensart dieses Mannes vorzustellen. Nur wenige Einzelheiten über ihn selbst sind uns bekannt. Er wurde um 50 n. Chr. in Phrygien geboren, blieb bis ans Ende seines Lebens an einem Bein gelähmt und von schwächlicher Gesundheit. Vor dem Hintergrund der verfallenden Welt des Römischen Kaiserreiches, das trotz unmäßigem Reichtum von Korruption, Staatsstreichen, Revolutionen zerrüttet wurde, verlief sein einfaches Schicksal: von Kindheit an zu beeinträchtigt für körperliche Sklavenarbeit, gab ihn sein römischer Herr, ein reicher Freigelassener vom Hofe Kaiser Neros, zu einem Philosophen, wohl um ihn zum Erzieher seiner Kinder, wie es damals üblich war, ausbilden zu lassen. Epiktet zählte damals etwa zwanzig Jahre. Seine großen Fortschritte, durch die er seinen Lehrer Rufus Musonius bald in den Schatten stellte, scheinen ihm die Freiheit erwirkt zu haben. Er sammelte um sich nun eigene Schüler, gewann immer mehr Ansehen, bis ein Erlass des Kaisers Domitian als Vergeltung für eine Auflehnung des Adels alle einflussreichen Philosophen aus Italien verbannte. Epiktet zog nach Nikopolis, einer reichen Handelsstadt an der Westküste Griechenlands, und erreichte hier im Kreis von Menschen aller Klassen, die ihn zu hören aufsuchten, von armen Wanderern, Staatsmännern, von Jugend und Gelehrten, die Höhe seines Wirkens. Epiktet, sein Name heißt »der Hinzuerworbene«, ist sein Leben hindurch ohne Besitz und allein geblieben. Nur im Alter soll er das Kind eines Freundes zur Pflege zu sich genommen haben. Von seinem Tode wissen wir nicht mehr als die wahrscheinliche Jahreszahl 138.
Die Lehre Epiktets gehört der »Späteren Stoa« an, die vor und nach ihm noch Seneca und Marc Aurel vertreten haben. Mag Seneca der elegantere Stilist, Marc Aurel der mildere Geist gewesen sein: Epiktet hat die ursprüngliche Lebensnähe, die handgreifliche Anschaulichkeit, die herbe Reinheit der Gedanken voraus. Er spricht über die praktischen Schwierigkeiten, die das Dasein bringt, und erfasst sie in jener schlichten Art, deren Überzeugungskraft die ziselierten Reden der früheren Stoiker verblassen lässt. Epiktet entlehnte am ehesten noch aus der »Älteren Stoa«, die von Zenon aus Kition (336–264 v. Chr.) gegründet, von Kleanthes und Chrysippos gepflegt worden war, während er die »Mittlere Stoa« mit ihrer akademischen Verfeinerung (Panaitos, Poseidonios, Asklepiodotos) unbeachtet ließ.
Das Ideal der Stoa war der Besitz der unmittelbaren Lebensweisheit: Weltanschauung, Naturerkenntnis und Metaphysik sind nur Mittel, um sie zu gewinnen. Man spürt überall den Geist Platons und begegnet Sokrates in zahlreichen Zitaten, doch wird in der Stoa kein umfassendes System um einer Gesamtschau willen entworfen, sondern vor allem auf die Anwendbarkeit der gefundenen Erkenntnisse geachtet. Ihr Ziel ist der Weise, der die erhellende Kraft der Vernunft in sich erkannt hat, der sich als einen Teil des göttlichen Kosmos fühlt, der in der Einheit seiner Persönlichkeit ruht und darin das wahre Glück findet.
Origenes (gest. 254 n. Chr.), Plotin (203–269) und Boethius (480–525) sind wesentlich von der Stoa beeinflusst und leiten die Gedanken dieser Lehre in den christlichen Geist über. Wie nah sie diesem stets verwandt war, beweist die Tatsache, dass das Hauptwerk der Philosophie Epiktets mit nur geringen Änderungen als »Handbuch der christlichen Moral« mehrfach herausgegeben worden ist. Meister Eckehart erwähnt stoische Sätze immer wieder. Ihre Wirkung lässt sich bei den französischen Moralisten (Montaigne, de La Rochefoucauld, Vauvenargues) erkennen, bei Descartes, Spinoza, Leibniz, Lichtenberg, Kant, Schopenhauer, Feuchtersleben. Der europäische Geist ist von ihnen durchdrungen. Goethe erzählt in »Dichtung und Wahrheit«: »Zu den Stoikern hatte ich schon früher einige Zuneigung gefühlt und schaffte mir nun Epiktet herbei, den ich mit voller Teilnahme studierte.« Goethes Weltbild ist der Stoa tief verpflichtet. Und der französische Denker Montesquieu schrieb: »Nie hat eine Lehre würdigere und zur Bildung guter Charaktere geeignetere Grundsätze aufgestellt als die Stoa.«
Die Gedanken dieses schmächtigen Sklaven Epiktet werden durch ihre Klarheit, ihre Einfachheit und die »naturgemäße Haltung«, aus der sie kommen, die hilfreiche Wirkung nie verlieren.
Manches steht in unserer Macht, manches nicht. In unserer Macht steht das Denken, das Handeln, das Verlangen und das Meiden – dies sind also alle Dinge in uns. Nicht in unsere Macht gegeben sind Körper, Besitz, Ansehen und Würden – also alle außer uns. Was nun in unserer Hand liegt, ist seiner Natur nach frei, es kann von niemandem behindert oder gehemmt werden, was aber nicht in unserer Hand liegt, ist schwankend, gefährdet und fremder Gewalt unterworfen.
Und jetzt merke auf! Hältst du für frei, worüber fremde Gewalt gebietet, und für dein Eigen, worüber andere herrschen, so wirst du scheitern, in Leid geraten, aus der Fassung geraten und mit Gott und den Menschen hadern. Erkennst du aber nur die Dinge in dir als dein Eigen und alles außer dir, wie es richtig ist, als fremd, so wird dich niemand zwingen, niemand behindern können, du wirst dich über niemanden beklagen, du wirst nichts ungern tun. Niemand wird dir schaden, niemand dich anfeinden – denn dein Recht zu verletzen ist unmöglich.
Strebst du nun nach diesem hohen Ziel, so glaube nicht, dies gelänge dir ohne jede Anstrengung: Du musst alles andere zurückstellen, auf vieles für immer, auf manches wenigstens für eine Zeit verzichten.
Denn strebst du daneben noch nach Ämtern und Reichtum, so wirst du vielleicht auch sie nicht erreichen, weil du zugleich nach beidem trachtest. Sicher aber wirst du verfehlen, worin allein Freiheit und Glück liegen.
Gewöhne dich daher, bei jedem Missgeschick zu sagen: »Du bist nicht das, was du zu sein scheinst. Du bist bloß eine Vorstellung.« Dann prüfe es nach den Regeln, die du gehört hast, und frage erst: »Gehört es zu den Dingen, die in unserer Hand liegen oder nicht?« Gehört es nun zu jenen, die uns nicht gehorsam sind, so antworte dir selber: »Nun, es kümmert mich also nicht.«
Merke dir: Die Begierde wünscht den Besitz des Begehrten, die Abscheu das Vermeiden der abscheuerregenden Ursache. Wer nun für seine Begierde nicht Befriedigung und für seine Abscheu nicht Beseitigung findet, ist unglücklich.
Verabscheust du nun stets nur Dinge, die in deiner Hand liegen, so wird es nichts geben, das deine Abscheu erregt. Verabscheust du jedoch Krankheit, Tod und Armut, dann wird das Unglück nach dir greifen. Fort also die Auflehnung gegen das, was nicht in deiner Macht steht, und sei feind nur jenem Unheil, das in dir ist.
Die Begierde lege einstweilen ab. Denn begehrst du etwas, das nicht in deiner Macht steht, wirst du unglücklich werden. Von dem aber, was wohl in deiner Hand liegt und du auch begehren könntest, habe ich noch nicht gesprochen. – Beschränke dich daher auf das Bemerken von Abneigung und Zuneigung, doch auch dies tue nur mit Vorbehalt und Vorsicht.
B