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Das Buch liefert zu den Schlüsselbegriffen der Pädagogik bei Lernschwierigkeiten und Verhaltensproblemen grundlegende Information aus erziehungswissenschaftlicher Sicht. Inhaltlich konzentriert sich das Buch auf die Themen, die für Studierende der beiden Fächer und für die dem Studium folgenden Tätigkeitsbereiche relevant sind. Es werden repräsentative und aktuell handlungsleitende Begriffe behandelt, die die Quintessenz der pädagogischen Theoriebildung und Praxisreflexion erläutern und klären. Der Band bietet so insgesamt eine Einführung in das "wissenschaftliche Grundvokabular" der beiden Fächer. Das Handlexikon reagiert auf die immer wieder geäußerte Klage über die uneinheitliche begriffliche Ausgangslage der Fächer.
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Seitenzahl: 643
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1. Auflage 2014
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-021812-3
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-025691-0
epub: ISBN 978-3-17-025692-7
mobi: ISBN 978-3-17-025693-4
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Einleitung
I
Förderschwerpunkte und Störungsbilder
Ängstlichkeit und soziale Unsicherheit
Aggressivität und Gewalt
Analphabetismus
Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
Autismus-Spektrum-Störungen (ASS)
Delinquenz
Depression
Entwicklung
Essstörungen
ICD/ICF (ICF-CY)
Identität und Selbstkonzept
Intelligenz, Kognition
Kompetenz, Kompetenzorientierung
Lernschwierigkeiten, Lernbeeinträchtigung, Lernbehinderung
Lernen
Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten
Migration
Motivation und Lernmotivation
Motorik
Rechenschwierigkeiten
Schulabsentismus
Soziale Benachteiligung
Sprache
Sucht
Verhaltensstörung und Verhaltensauffälligkeit (Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung)
Wahrnehmungsstörungen
II
Förderkonzepte und therapeutische Ansätze
Arbeitslehre
Beratung
Berufliche Bildung
Biografiearbeit
Computer und Internet im Unterricht
Differenzierung und Individualisierung
Direkter Unterricht
Didaktik des Unterrichts im Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung
Didaktik des Unterrichts im Förderschwerpunkt Lernen
Entdeckendes Lernen
Erlebnispädagogik
Förderdiagnostik
Förderplanung
Förderung der Handlungsregulation
Frühförderung
Gemeinsame Erziehung
Inklusiver Unterricht
Integration in Arbeit
Intensive Erziehungshilfe
Kognitive Verhaltensmodifikation
Kooperatives Lernen
Lebensweltorientierung
Leistungsmessung und Leistungsbewertung
Lernförderung
Lerntherapie
Moralisches Urteilen und Handeln
Offener Unterricht
Prävention von Lernschwierigkeiten und Verhaltensstörungen
Projektunterricht
Psychoanalytische Pädagogik
Psychomotorische Förderung
Schulsozialarbeit
Selbstgesteuertes Lernen
Selbstinstruktionstraining
Sensorische Integration
Spielförderung und -therapie
Systemische Förderansätze
Tiergestützte Pädagogik, Förderung und Therapie
Wahrnehmungsförderung
III
Förderorte und Organisationsformen
Benachteiligtenförderung
Berufsbildungswerke
Förderschule
Heimschule/Schule und Heim
Inklusive Schulen/Inklusive Schulentwicklung
Jugendarrest
Jugendvollzug
Kooperationsklasse
Schule für Erziehungshilfe
Schule und Frühförderung
Schule und Jugendhilfe
Schule und Kinder- und Jugendpsychiatrie
Sonderpädagogische Beratungsstelle
Sonderpädagogische Diagnose- und Förderklassen
Sonderpädagogisches Förderzentrum (SFZ)
IV
Geschichte
Hilfsschule, Hilfsschulkonzeption
Konfessionelle schulische Einrichtungen
Rettungshäuser
Sonderschule für Erziehungshilfe
Sonderschule für Lernbehinderte
V
Theoriekonzepte und Grundbegriffe
Autonomie
Behaviorismus
Bildung
Bindung
Empirische Sonderpädagogik
Erziehung
Evidenzbasierte Praxis
Geisteswissenschaftliche (Sonder-)Pädagogik
Gender/Geschlecht
Humanistische Psychologie und Pädagogik
Individualpsychologie
Inklusion
Integration
Konstruktivismus
Kognitive Lernpsychologie
Materialistische Behindertenpädagogik
Ökologie
Partizipation/Teilhabe
Phänomenologische (Sonder-)Pädagogik
Psychoanalyse
Qualitätsmanagement
Risikomodell
Sonderpädagogische Profession
Soziologische Aspekte des Lernens und Verhaltens
Stigmatisierung
Symbolischer Interaktionismus
Systemtheorie
VI
Forschungskonzepte
Evaluation
Fallstudie und Einzelfallanalyse
Forschungsdesign
Metaanalyse
Qualitative Methoden
Quantitative Methoden
VII
Internationale Aspekte
Lernschwierigkeiten und Verhaltensstörungen in Entwicklungsländern
Lernschwierigkeiten und Verhaltensstörungen in Europa
Lernschwierigkeiten und Verhaltensstörungen in Nordamerika
Vergleichende Sonderpädagogik
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Sachregister
»Rem tene, verba sequentur.« Diese Sentenz, die Cato dem Älteren (234–149 A. D.) zugeschrieben wird, bedeutet in freier Übersetzung: Wenn man eine Sache nur richtig verstanden hat, folgen die passenden Worte von allein. Nach Catos Auffassung geht das Verstehen einer Sache deren sprachlicher Beschreibung voraus, das Verstehen ist primär bedeutsam, die Sprache sekundär. Bereits Plautus, ein Zeitgenosse Catos, hatte die Gegenposition formuliert: »Nomen est omen«, frei übersetzt etwa: Der Name ist Programm. In dieser Sicht liefert die sprachliche Bezeichnung einer Sache bereits eine Vorbedeutung und prägt das Vorverständnis des Gegenstandes, den sie bezeichnet.
In wissenschaftlichen Disziplinen kommt der sprachlichen Bezeichnung von Sachverhalten hohe Bedeutung zu: Im Idealmodell des wissenschaftlichen Forschungsprozesses werden in freien und offenen Diskursen durch Rede und Gegenrede strittige Sachfragen geklärt und alle Beteiligten bemühen sich um Begriffe, die möglichst eindeutig und empirisch gehaltvoll sind, die explizit definiert wurden und deren Bedeutungen möglichst überschneidungsfrei abgestimmt worden sind. Es entsteht im wechselseitigen Austausch der Forscherinnen und Forscher eine Fachsprache, die geeignet ist, Sachverhalte eindeutig und nüchtern zu beschreiben, sich über Sachverhalte kritisch auszutauschen und letztendlich zu verständigen. Gleichzeitig dient das Ringen um geeignetes Fachvokabular dem gedanklichen Durchdringen der zu klärenden Sachverhalte.
Eine Fachsprache ist keineswegs nur für die Kommunikation in grundlagenwissenschaftlichen Disziplinen erforderlich, sondern auch und erst recht in angewandten Disziplinen wie der Pädagogik, der Heil- und Sonderpädagogik oder der Inklusiven Pädagogik; denn in angewandten Wissenschaften erschwert ein alltagspraktisch geprägtes Vorverständnis nicht selten das korrekte Verständnis von Fachbegriffen, denen im präzisen wissenschaftlichen Sprachgebrauch andere Bedeutung zukommt als im wenig kontrollierten alltäglichen Sprachgebrauch. Sprachliche Missverständnisse können sich jedoch gerade in angewandten Disziplinen zu persönlichen und sachlichen Missverständnissen ausweiten und zu erhitzt ausgetragenen Debatten führen, die nicht immer ergiebig verlaufen. Das liegt u. a. daran, dass in der angewandten Forschung durchaus aktuell drängende, sozial bedeutsame und praktisch folgenreiche Streitfragen kontrovers diskutiert werden, in denen emotional gefärbte, persönliche Einstellungen und unterschiedliche Zielsetzungen die sachliche Diskussion erschweren. Dies gilt für nahezu alle Fragen der besonderen pädagogischen Förderung, die in den vergangenen 150 Jahren immer wieder neu gestellt und anders beantwortet worden sind, angefangen bei den → Hilfsschulen des 19. Jahrhunderts über die Sonderschulen des 20. Jahrhunderts bis hin zur Inklusiven Schule des 21. Jahrhunderts als der einen Schule für Alle, ausgehend von karitativen Vorstellungen der Hilfe für Behinderte aus Mitleid hin zu einer Hilfe zur Selbsthilfe. In aktuellen Bewegungen wie Empowerment und People First (»Nicht über uns ohne uns«) fordern Menschen mit Behinderungen selbstbewusst ein, die (so genannten) Experten sollten ihre Beiträge selbstkritisch reflektieren und bedenken, dass die betroffenen Menschen mit Behinderungen die ersten Experten und die wichtigsten Akteure in eigener Sache sind.
Das vorliegende Handlexikon will dazu beitragen, in der Heil- und Sonderpädagogik bzw. Inklusionspädagogik ein Fachvokabular zu entwickeln, das die Kommunikation über Sachfragen und die Kommunikation miteinander erleichtert. Als wissenschaftliche Disziplin hat sich die Heil- bzw. Sonderpädagogik interdisziplinär im Spannungsfeld von Kinder- und Jugendpsychologie und -psychiatrie, pädagogischer Psychologie und Entwicklungspsychologie, Lern- und Unterrichtspsychologie, Pädagogik und Sozialwissenschaften entwickelt. Sie musste immer bemüht sein, die leitende Fragestellung einer Pädagogik unter erschwerten Bedingungen nicht aus den Augen zu verlieren und eigene Begriffe zu klären und zu entwickeln. Dies gilt unverändert bis zum heutigen Tage, denn die Disziplin steht seit ihrer Formierung im Fokus wechselnder Sichtweisen und Interessen, gesellschaftlicher Umbrüche und Neuorientierungen. Es gilt, sich über die Bedeutung eingeführter Termini und über Bedeutungsverschiebungen Gedanken zu machen, bewährte Begriffe semantisch zu sichern und obsolet gewordene Begriffe durch neue und bessere Begriffe zu ersetzen. Zentrale Begriffe wie »Inklusion« oder »inklusive Schule« dürfen in den Zeiten radikaler Umbrüche hin zu einer – hoffentlich – inklusiven Gesellschaft ohne Aussonderung nicht zu Schlagwörtern verkommen, die mit zunehmendem Gebrauch an inhaltlicher Prägnanz verlieren und letztendlich zu leeren Worthülsen degenerieren könnten.
Das vorliegende Handlexikon will zur Weiterentwicklung einer wissenschaftlichen Fachsprache beitragen, indem es Fachbegriffe erläutert, die sich auf die zentralen Handlungsfelder der Lernschwierigkeiten und Verhaltensstörungen beziehen. Es ergänzt die bestehenden Handlexika zur Behindertenpädagogik (Antor & Bleidick, 2001, 2006; Antor, Beck, Bleidick und Dederich, i. Vorb.) und zur geistigen Behinderung (Theunissen, Kulig & Schirbort, 2007, 2013). Nahezu zwei Drittel der Kinder, denen im deutschen Schulsystem sonderpädagogischer Förderbedarf attestiert wird, weisen primär Förderbedarf in den Bereichen des Lernens und des Verhaltens auf und nahezu alle anderen Kinder und Jugendliche mit kognitiven, sensorischen oder motorischen Beeinträchtigungen zeigen in den Bereichen des Lernens, des Erlebens und des Verhaltens pädagogischen Unterstützungsbedarf. Schülerinnen und Schüler mit Lernschwierigkeiten und Verhaltensstörungen werden in inklusiv arbeitenden Schulen oft als besonders problematisch wahrgenommen, ihnen droht Marginalisierung und Stigmatisierung durch Mitschüler, mangelnde Akzeptanz durch Lehrkräfte und Ablehnung durch manche Eltern, die das erfolgreiche Lernen ihrer nicht behinderten Kinder gefährdet sehen. Folglich ist sachlich korrekte und präzise und nüchtern und zugleich einfühlsam kommunizierte Information als Bedingung für gelingende schulische Praxis wichtig, sodass sich dieses Handlexikon an pädagogisch-praktisch und an theoretisch-wissenschaftlich Tätige richtet, die sich über Lernschwierigkeiten und Verhaltensstörungen informieren möchten, seien es Eltern oder Erzieher, Studierende oder Lehrkräfte an Schulen, Kindergärtnerinnen oder Dozentinnen und Dozenten an Fachschulen, Fachhochschulen und Universitäten.
Das vorliegende Handlexikon positioniert sich zwischen einem lexikalischen Wörterbuch, das zentrale Informationen kurz und knapp auf den Punkt bringt, und einem Handbuch, das ausführlich und systematisch informiert. Es soll als Nachschlagewerk in Forschung und Praxis fungieren, dessen Inhalte sich leicht und gezielt auf zweifache Weise erschließen lassen:
Das Inhaltsverzeichnis (S. 5–8) dokumentiert das Inventar aller Textbeiträge in der Reihenfolge des Abdrucks im Buch, jedoch geordnet nach sieben Sachgebieten:
• Förderschwerpunkte und Störungsbilder,
• örderkonzepte und therapeutische Ansätze,
• Förderorte und Organisationsformen,
• Geschichte,
• Theoriekonzepte und Grundbegriffe,
• Forschungskonzepte,
• internationale Aspekte.
Wer das Inhaltsverzeichnis zu Rate zieht, kann Beiträge zu einzelnen Stichworten suchen oder aber das Buch bzw. alle Beiträge zu einem bestimmten Sachgebiet von A bis Z lesen wie in einem Lehrbuch.
Das Sachregister (S. 331–338) erschließt den Inhalt des vorliegenden Handlexikons besonders differenziert hinsichtlich relevanter Fachbegriffe, die im Rahmen anderer Termini erläutert worden sind. Aus Platzgründen konnten nämlich nicht alle wichtigen Begriffe in gesonderten Stichwortbeiträgen behandelt werden, aber selbst dann, wenn sich zu einem bestimmten Fachterminus kein eigenständiger Beitrag findet, findet sich die gesuchte Information möglicherweise in anderen verwandten Beiträgen. Das Sachregister listet in alphabetischer Reihenfolge alle Fachbegriffe auf, die im vorliegenden Handlexikon in eigenständigen Beiträgen erläutert werden und es listet zusätzlich Querverweise auf andere Beiträge, in denen ein Fachbegriff ebenfalls in einiger Ausführlichkeit behandelt wird. Das Sachregister wird folglich diejenigen, die bestimmte Fachbegriffe suchen, schneller und erschöpfender zum Ziel führen als das Inhaltsverzeichnis.
Bei der Auswahl der Stichworte waren die Herausgeber bemüht, traditionelle und aktuelle Begriffe zu berücksichtigen. Es ist gelungen, 72 fachlich ausgewiesene Autorinnen und Autoren zu gewinnen, die 118 Einzelbeiträge erarbeitet und dabei den Spagat zwischen verständlicher und kurzgefasster Information und notwendiger fachlicher Differenzierung gewagt haben. Diesen geschätzten Kolleginnen und Kollegen sind wir zu Dank verpflichtet, denn durch ihre Arbeit hat das Handlexikon inhaltlich Gestalt angenommen. Herrn Dr. Klaus-Peter Burkarth und dem Verlag Kohlhammer danken wir für die gute Zusammenarbeit, denn diese hat es möglich gemacht, dass die 118 Einzelbeiträge nun publiziert vorliegen und somit zugänglich sind.
Dortmund, Würzburg und München, im März 2014
Franz-B. Wember, Roland Stein und Ulrich Heimlich
Antor, G., Beck, I., Bleidick, U. & Dederich, M. (Hrsg.) (in Vorb.): Handlexikon der Behindertenpädagogik: Schlüsselbegriffe aus Theorie und Praxis. 3. neu erarb. Aufl. Stuttgart.
Antor, G. & Bleidick, U. (Hrsg.) (2001/2006): Handlexikon der Behindertenpädagogik: Schlüsselbegriffe aus Theorie und Praxis. 1./2. überarb. und erw. Aufl. Stuttgart.
Theunissen, G., Kulig, W. & Schirbort, K. (Hrsg.) (2007/2013): Handlexikon Geistige Behinderng: Schlüsselbegriffe aus der Heil- und Sonderpädagogik, Sozialen Arbeit, Medizin, Psychologie, Soziologie und Sozialpolitik. 1./2. aktualisierte und erw. Aufl. Stuttgart.
Während → Aggressivität und Gewalt sowie → Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen in der öffentlichen wie wissenschaftlichen Diskussion intensiv erörtert werden, stellen Ängstlichkeit und Angststörungen sowie → Depressivität scheinbar eher »versteckte«, deutlich weniger im Rampenlicht stehende Phänomene dar – vielleicht passend zu diesen Erscheinungen selbst. Ein Blick auf die epidemiologische Forschung offenbart eine erhebliche Schieflage, denn Angstproblematiken sind die häufigsten psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen (Ihle & Esser 2002). Zudem sind sie oft Vorläufer persistierender Angstproblematiken und auch späterer anderer Störungen.
Ein Blick in die Literatur zeigt, dass es zwar einige grundlegende Arbeiten zu diesem Thema gibt (Essau 2003; Krohne 2010; In-Albon 2011) – aber kaum eine pädagogische oder sonderpädagogische Auseinandersetzung.
Zu unterscheiden ist zunächst, ob es um Angst, Ängstlichkeit oder Angststörungen geht.
Angst stellt einen zentralen und grundlegenden menschlichen Affekt dar, der zum Leben gehört und den jede und jeder alltäglich erlebt. Fröhlich (1993, 56) definiert Angst als »allgemeine umfassende Bezeichnung für emotionale Erregungszustände, die auf die Wahrnehmung von Hinweisen, auf mehr oder weniger konkrete bzw. realistische Erwartungen oder allgemeine Vorstellungen physischer Gefährdung oder psychischer Bedrohung zurückgehen. A.-Zustände äußern sich in Gefühlen der Spannung bzw. Betroffenheit und gehen mit ausgeprägten autonomen Veränderungen einher«.
Zentrale Komponenten von Angst sind Aufgeregtheit (emotionality) und Besorgtheit (worry). Angst äußert sich auf verschiedenen Ebenen: physiologisch, im Verhalten, im Ausdruck (Mimik, Gestik, Körperhaltung), in der Sprache sowie im subjektiven Erleben – es handelt sich letztlich um ein Konstrukt, das »hinter« diesen Ausdrucksformen steht.
Ängstlichkeit hingegen ist nicht als ein Zustand zu verstehen, sondern als überdauernder Wesenszug: Eine Person reagiert besonders häufig, besonders stark und in vielen Situationen mit dem Affekt Angst. Dies kann, muss aber nicht mit einem besonderen Hilfebedarf verbunden sein.
Angststörungen sind gekennzeichnet durch das auf bestimmte Situationen beschränkte oder auch situationsunabhängige Auftreten massiver Ängste, welche die Funktionen einer Person erheblich einschränken und unter denen diese leidet. Internationale Klassifikationssysteme wie die → ICD-10 unterscheiden verschiedene Formen von Angststörungen (Essau 2003, 31 ff.). Besonders häufig treten bei Kindern und Jugendlichen Phobien auf, also abnorm starke, objekt- oder situationsbezogene Angstreaktionen. Aber auch Zwangsstörungen, Panikstörungen und Generalisierte Angststörungen, durch starke Ängste in verschiedenen Situationen gekennzeichnet, Störungen mit Trennungsangst sowie Posttraumatische Belastungsstörungen sind recht verbreitet (Essau 2003, 118 ff.).
Die kognitive Lernpsychologie hat das Konzept der »Sozialen Unsicherheit« oder des »sozial unsicheren Verhaltens« geprägt (Petermann & Petermann 2010). Hier handelt es sich um stark habitualisierte soziale Ängste mit Vermeidungstendenzen und Defiziten im Sozialverhalten.
Neben diesen Formen allgemeiner Angststörungen gibt es schulspezifische Problematiken: Schulangst kann aus leistungsbezogenen und aus sozialen Situationen heraus entstehen, jedoch, etwa im Falle von Mobbing und Gewalt, auch aus einer erlebten oder realen psychischen oder physischen Bedrohung, also als Existenzangst (Schwarzer 1993). Davon zu unterscheiden ist Schulphobie, die wissenschaftlich zumeist als besondere Form der Vermeidung von Schule verstanden wird, hinter der weniger Angst vor der Schule steht als vielmehr Ängste vor Trennung von den Eltern oder bestimmte familiäre Schwierigkeiten.
Den Angststörungen verwandt ist das Konzept der Erlernten Hilflosigkeit, welches auf die Forschung von Seligman (1995) zurückgeht. Er beschreibt, wie Tiere und auch Menschen Hilflosigkeitserfahrungen machen und generalisieren können: dass ihr Handeln keine Wirkung entfalten wird. Es entsteht ein Muster des Sich-selbst-Aufgebens mit dreifachem Defizit im Umgang mit situativen Herausforderungen: kognitiv, motivational und emotional. Das Konzept ist für sonderpädagogische Kontexte sehr bedeutsam.
Erklärungskonzepte für Ängstlichkeit und Angststörungen kommen aus der Lernpsychologie (Ängste als gelernte Reaktionen), aus der Psychoanalyse (Ängste auf Basis der inneren Dynamik und der intrapsychischen Konflikte einer Person) und aus der Kognitionspsychologie (Ängste auf Basis der Erwartung von kaum bewältigbaren Bedrohungen und auf Basis der Bewertung von Situationen als bedrohlich).
Pädagogisch hilfreich können zentrale Merkmale von Ängstlichkeit sein, die Krohne (1996, 291 ff.) zusammengestellt hat und die auch auf Angststörungen übertragen werden können – Ängstlichkeit ist demnach gekennzeichnet durch
• starke und häufige, automatisiert erscheinende, erlernte Angstreaktionen in ganz unterschiedlichen oder auch spezifischen Situationen;
• verstärkte Erwartungen, dass bestimmte situative Ereignisse unangenehme und negative Folgen haben – wobei es durch solche Erwartungen zur stärkeren Wahrnehmung von Bedrohungen kommt;
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