Happy End im Kettenhemd - Sina Blackwood - E-Book

Happy End im Kettenhemd E-Book

Sina Blackwood

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Beschreibung

Verrückt, frivol, schräg witzig, doch manchmal auch Nachdenkliches - aus dem Leben der Ritter, Hexen, Zwerge und Drachenwesen. Und andere Geschichten, bei denen es dem Ritter heiß in seiner Rüstung wird. Ein spritziges Gebräu aus der Alchimistenküche von Sina Blackwood, Matthias Albrecht und Mark Galsworthy.

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Inhaltsverzeichnis

Da droben dräut der Drache

Hugo, der Pisser

Ritter Gisbert lässt es krachen

Kunibert, der Erfinder

Pech für Botho

Die gepuderte Jungfrau

Otto gibt niemals auf

Gernot, der Foltermeister

Konrad, der Findige

Auf der Suche nach dem Heiligen Gral

Knappe Hannibal

Rüdiger, der Feinschmecker

Die weiße Katze

Die weiße Frau

Am Anfang war der Lehm

Am Blocksberg ist die Hölle los!

Das Gasthaus zur „Schlauen Gans”

Die stumme Annegret

Der Nebelwald

Ein Hexenprozess

Die Söhne des Grafen

Die kleine Hexe Hildegart

S(H)ex hex!

Hexenordnung

Ritter Kunz

Tante Agatha

Prügelei der Wetterhexen

In der Hexenschule

Eine alte Schuld

Gleich doppelt ein Zwerg

Krieg der Gartenzwerge

Der Außerirdische

Frieso, der Bergwerkszwerg

Die wahre Geschichte der Tochter des Grafen Weiß-Wittchen

Scorpio, der Gnom

Weihnachts-Wichtel

Tommotoi, der Riesenzwerg

Rumpelstößchen

Zwergengold

Kuno, der Kampfzwerg

Schneewichtel und die zwölf Kleinwüchsigen

GeSCHNAPPt

Der Hauskobold

Verbotene Liebe

Das hat er nun davon

Ritter Ethelbert von Rabenstein und der Drache

Der Spitzbube von Drachenfels

Drachenputz

Jungfer Hildegard

Zwergenlist

Wer anderen eine Grube gräbt…

Nessie

Ausblick auf die Zukunft

Die Befreiung der Prinzessin Irene

Das Fräulein aus dem 21. Jahrhundert

+++

Eilmeldung+++Paff gibt Exklusivinterview +++ Eilmeldung +++

Mitternacht in der großen Stadt

Jungfrauenraub

Drachenkomplott

Konferenz der Drachen

Dietlinde, die Liebreizende

Unterweisung

AbgeNICKt

Das Drachenschwert

Hausdrache Mathilda

Liebelei

Ein paar Worte vorab

Grausam, dunkel, dreckig und stinkend, das sind erste Adjektive, die mir zum Thema Mittelalter einfallen. Aber warum liegt dahinter solch eine Faszination? Ist es das einfache Leben ohne die uns geißelnde Technik? Ist es der vergleichsweise enge Horizont, der den Blick auf das Wesentliche im Leben lenkt? Nun, jedenfalls die Themen Ritterspiele, Mittelalterspektakel, Turniere und Burg-Feste sind im 21. Jahrhundert stark angesagt und finden bei Groß und Klein, Alt und Jung regen Beifall.

So sehe ich mich auch in Leinenhosen, geschnürtem Baumwollhemd, Ziegenledertasche und kurzem Dolch auf eben jene Veranstaltungen pilgern, um dazugehörig zu sein, zu dieser Zunft. Das Mittelalter mit all seinen Tugenden und Sehnsüchten, der Ritterlichkeit, höfischen Feste mit Schalmeien und Dudelsackmusik, Fressgelage mit rauen Sitten, Kleidung aus Leder und Leinen, Samt und Seide, Waffen und (Schau)-Kämpfen, wer kann sich da entziehen? Zum Reigen der Medien, die uns Heutige ins Mittelalter entführen, gehören Mittelalterromane, Geschichts- und Bilderbücher. Dazu gesellt sich nun ein kleines, aber feines Bändchen, das mit einem Augenzwinkern zu verstehen ist. „Happy End im Kettenhemd“ entstand aus einem Jux unter zwei Schriftstellern auf einer großen deutschen Buchmesse.

Sina Blackwood (geb. 1962, Mittelalter sozusagen; nicht alt und nicht mehr jung) hatte soeben ihr Kettenhemd vollendet, das sie als Recherchematerial und Deko für einen Mittelalterroman benötigte. Die Fans und Autoren-Kollegen waren erstaunt und begeistert zugleich.

Der Plan, ein kleines Ritterbüchlein zu verfassen, nahm Gestalt an. Sina Blackwood, eine der schnellsten Schreiberinnen, die ich je kennen gelernt habe, setzte sich an ihren Laptop und ließ Buchstaben auf virtuelles Papier purzeln. Sina, Matthias und ich treffen uns schon einige Jahre mit anderen Autoren in Sachsen oder Tschechien und lesen uns unsere Texte vor.

Matthias Albrecht stammt aus Leipzig (geb. 1961, auch Mittelalter also) und hat schon mehrere Bücher, sowie Kurzgeschichten erfolgreich veröffentlicht. Seine lockere und humorvolle Art machten ihn zu einem ebenbürtigen Co-Autor für Sina Blackwood.

Ich bin gebürtiger Karl-Marx-Städter (1979, noch im Knappenalter) und verfasse vornehmlich Lyrik und Kurzgeschichten. Das Schreiben begleitet mich seit dem elften Lebensjahr. Inzwischen leite ich einen Chemnitzer Schreibkurs und gebe eine Online-Literaturzeitung heraus.

Nun möchte ich Sie nicht weiter mit meiner Biografie langweilen, sondern einladen, die Welt der Drachen, Ritter, Jungfrauen, Streitrosse und Mägde zu betreten. Holen Sie sich einen Met oder ein Bier, viel-leicht in einem alten Tonkrug, dann sind Sie hier schon gut eingestimmt. Kramen Sie die CD mit den Gregorianischen Chören raus (ja ich weiß, dass Sie eine solche besitzen) und blättern Sie gleich ehrfürchtig um.

Viel Lesevergnügen wünsche ich Ihnen nun und kann schon mal verraten, dass diese Lektüre die Einstimmung für eine Reihe weiterer fantastischer Bücher ist.

Mit edlen Grüßen

Ritter Lenard James von Cropley

im September 2014

Und noch ein paar Zeilen voran gestellt

Für einige Geschichten der Kettenhemd-Reihe haben sich zwei Autoren, die unterschiedlicher kaum sein könnten, zusammengefunden, um uns einen Einblick in das geheimnisvolle Leben der Drachen zu geben. Ein bisschen CRAZY sind wohl beide, was sie wiederum genial verbindet.

Schreibt Mark Galsworthy aus Überzeugung in der alten Rechtschreibung, tut Sina Blackwood das in gleicher Weise mit der neuen.

Wie Sina immer wieder mit einem Augenzwinkern betont, verkörpern sie sämtliche Gegensätze, die es geben kann, und deren Koexistenz sich, laut allen gängigen Vorurteilen, komplett ausschließen müsste, wie Feuer und Wasser.

Die Zwergenfrau – der Riesenmann (natürlich rein körperlich betrachtet); Sie Sächsin – er Preuße; Sie Ossi – er Wessi;

Sie beim Schreiben die Arbeitswütige – er geht es eher ruhig und gelassen an; Sie geordnet und sortiert – er lieber chaotisch.

Lassen wir uns also völlig überraschen, in welche Welten uns ihre Drachen führen werden.

Ihr Joe Russel

Dozent am Drakologischen Institut

Da droben dräut der Drache

- Sina Blackwood -

In finst’rer Höhle dräut der Drache.

Sein Gold ist weg. Er sinnt auf Rache.

Es riecht nach Ritter und nach Pferd.

Das ist ihm die Verfolgung wert.

Er schwingt sich eilig in die Lüfte,

da wittert er ganz andre Düfte.

Es stinkt nach Knoblauch und nach Zwiebel.

Schon wird dem armen Drachen übel.

An einem Feuer tief im Wald,

sitzt Ritter Kunz und ihm ist kalt.

Sein Schaschlik müffelt vor sich hin,

er hat zu viele Zwiebeln drin.

Dem Drachen knurrt schon sehr der Magen,

das lässt ihn einen Angriff wagen.

Egal, ob’s stinkt, er stößt herab,

Kunz’ Gaul enteilt in schnellem Trab.

Die Echse denkt: Verdammter Mist!

Mal sehen, wie sich der Ritter frisst!

Der steckt in seiner Weißblechdose

und riecht schon jetzt nach voller Hose.

Der Drache zieht die Nase kraus.

Wie kriegt man den denn bloß da raus?

Und hat man ihn, was macht man dann?

Da klebt noch so viel Braunes dran!

Kunz begreift schnell, was hier passiert,

warum der Drache sitzt und stiert.

„Untier sollst dich an mir nicht laben,

kannst meine Schwiegermutter haben!“

Der Drache hebt entsetzt die Klauen.

„Die ist zu zäh! Kann sie nicht kauen!

Behalt das Gold und auch das Weib,

ich such mir anderen Zeitvertreib.“

Er steigt sofort hoch in die Lüfte.

Nur weg aus diesem Mix der Düfte!

Hugo, der Pisser

- Matthias Albrecht -

Hört, was sich vor fünfhundert Jahren

Auf einer Burg hat zugetragen:

Des Ritter Graubarts Töchterlein

Schlief immerdar für sich allein.

Die Kammer wurde Tag und Nacht

Von starken Knappen scharf bewacht.

Doch Hugo, einer von den Knappen,

Der wollte sich die Schöne schnappen

Und schlich sich eines Nachts hinein

Ins jungfräuliche Kämmerlein.

Beim Frühstück dann am nächsten Tage

Der Ritter seine Tochter fragte:

„Was ist denn los, mein liebes Kind?

Du bist ja völlig durch den Wind …“

„Das lag wohl an dem Gerstenbrei,

Da war ein faules Ei mit bei.

Ach Vater, mir ging’s ja so schlecht,

Da kam der Doktor grade recht,

Den Ihr auf ’s Zimmer mir gesandt.

Er hielt plötzlich in seiner Hand

Ein Ding wie einen Lanzenschaft

Und rammte es mit aller Kraft –

Ich trau mich kaum, es laut zu sagen –

Von unten mir bis vor den Magen.

Zog’s wieder raus, schob’s neu hinein,

Und meinte nur, das müsse sein!“

Der Vater, der’s mit Schaudern hörte,

Wollte, bevor er sich empörte,

Nun auch den Rest der Schmach vernehmen:

„Mein Kind, du brauchst dich nicht zu schämen;

Du konntest schließlich gar nichts tun.

Doch sag, was tat der Doktor nun?“

„Er pfropfte nun gar fürchterlich,

Nahm keine Rücksicht mehr auf mich.

Und kam doch nicht so recht voran;

Hat auch bald aufgegeben dann.“

„Dies ist ein starkes Stück, fürwahr.

Der Kerl wird’s büßen, das ist klar!

Nicht ungesühnt bleibt diese Tat …“

In diesem Augenblicke trat –

Welch Zufall – Hugo aus dem Tor.

„Da ist er ja, der Herr Doktor!“

„Was? Der? Bist du dir sicher auch?“

„Der stocherte mir rum im Bauch!“

Der Ritter winkte Hugo zu.

„So komm einmal herbei im Nu!

Sag an, Knappe, belüg mich nicht,

Warst du etwa der Bösewicht,

Der nachts, verkleidet als Doktor,

Der Jungfrau hier die Matte schor?“

„Oh ja, Herr, ich gesteh es wohl.

Die Jungfer, die ist innen hohl,

Und so wollte ich sie im Stillen

Mit etwas warmem Fleische füllen.“

„Das Füllen werd ich dir besorgen,

Und zwar jetzt gleich und nicht erst morgen.

Man nehme ihm das linke Ei!

Das rechte fülle man mit Blei!“

„Habt Gnade, Herr, oh habet Gnade!

Füllt lieber es mit Marmelade.“

„Halts Maul, du elendiger Schurke;

Man entferne ihm die Gurke!“

„Nein, bitte, lasset sie mir dran,

Ich brauch sie doch noch dann und wann …“

„Wozu wirst du sie brauchen müssen?

Du kannst ganz gut auch ohne pissen!“

„Oh Herr, so lasset Gnade walten,

Sonst kann ich nicht die Richtung halten.“

„Pisst du denn etwa nur im Stehen?

Das wär ein ziemliches Vergehen!“

Da warf der Kerkermeister ein:

„Durchlaucht, Ihr werdet mir verzeih’n –

Der Hugo schließlich jener ist,

Welcher die Richtungspfeile pisst,

Wenn man vor Schnee den Weg nicht kennt

Und an der Burg vorbei sonst rennt.“

Der Ritter stutzte. „Was, das isser?

Der ist der herrschaftliche Pisser?

Vom König eigens auserwählt,

Dass niemand seinen Weg verfehlt?“

Man nickte und bejahte dies.

Der Ritter fühlte sich ganz mies.

Dann fasste er sich, hob die Hand:

„Verkündet nun im ganzen Land den immerwährenden Beschluss:

Damit er pissen kann und muss,

Soll man ihm täglich Bier in Massen

Zum Einverleiben überlassen.“

„Oh Herr, Ihr seid wahrhaft zu gütig …“

„Geh, Knappe, mache mich nicht wütig!

Morgen gibt’s Schnee; du musst viel laufen,

Drum fang schon einmal an, zu saufen!“

So ging’s dem Schelm nicht an den Kragen.

Er schlürfte Bier nun mit Behagen.

Was aus ihm wurde, soll ich sagen?

Das dürft ihr mich weiß Gott nicht fragen.

Ritter Gisbert lässt es krachen

- Sina Blackwood -

Ritter Gisbert, der kühne Recke von unvergesslicher Gestalt, war bekannt dafür, die Nächte ausschließlich mit seinen vier Knappen zu verbringen.

Allerdings traute sich niemand, Einspruch dagegen zu erheben, denn Gisbert pflegte seine Gegner mitsamt Plattenpanzer auf ein handliches Maß zusammenzufalten.

Nun hatte König Gero zum Turnier geladen und alle warteten darauf, Gisbert mit seinem Tross antraben zu sehen. Den Weg säumten fast ausschließlich Mädchen und junge Frauen, denn schon der bloße Anblick des schwarzen Riesen war ein ernsthafter Grund, tagelang zu träumen.

Auf den letzten hundert Metern zum Areal der Königsburg standen adelige Damen mit ihren Söhnen, in der Hoffnung, Gisbert werde einen von ihnen als Knappen in sein Gefolge aufnehmen. Wobei sich dieses Sinnen und Trachten ausschließlich auf das Waffenhandwerk richtete.

Gegen Mittag kündigten lange Staubfahnen auf der Straße die Ankunft eines größeren Reitertrupps an. Der Turmwächter erspähte als Erster den schwarz gewandeten Ritter mit dem imposanten Straußenfederbusch auf dem Helm, der auch ohne diese Zier sein Gefolge um mindestens zwei Köpfe überragte.

„Er kommt! Er kommt!“

„Hätte mich auch gewundert, wenn es anders gewesen wäre“, murmelte ein Diener des Königs. Er beeilte sich, auf dessen Befehl, das Weinfässchen und die Becher für die fünf bereitzustellen, um sie später in deren Zelt zu bringen.

Vor dem Tor fielen die Damen reihenweise in Ohnmacht, wenn ihnen Gisbert im Vorbeireiten ein Lächeln schenkte. Die Visiere seiner Knappen blieben stets geschlossen und noch keiner hatte sie jemals ohne Rüstung gesehen. Auffällig an der ganzen Sache war, dass sie nicht, wie andere Knappen, als Waffenträger ihres Herrn fungierten. Für die groben Arbeiten standen zwei spezielle Knechte in seinen Diensten, die auch Lanzen, Schilde und sonstigen Waffenkram schleppten. Das prunkvolle Zelt des Hochbegehrten konnte bestenfalls durch das des Königs in den Schatten gestellt werden.

Gleich nach der Ankunft verschwand Gisbert mit seinen vier Gehilfen im eigenen Zelt, wobei zwei andere Bewaffnete sofort den Eingang für Unbefugte versperrten. Die Stallknechte des Königs kümmerten sich inzwischen um des Ritters Pferde.

Ein Bote Geros erschien. „Herr Gisbert, mein König erwartet Euch!“

„Gleich oder sofort?“, fragte der schwarze Ritter überrascht, weil es gegen jede Etikette verstieß, Neuankömmlinge rufen zu lassen, bevor diese ihre Zelte häuslich eingerichtet hatten.

„Sofort.“

Gisbert zog die Augenbrauen zusammen, nach seinem Helm fassend, den er eben erst an einen Knappen übergeben hatte. „Dann scheint es, lichterloh zu brennen. Führe mich zu deinem König.“

Er ignorierte die schmachtenden Blicke der Damen, ihre Ah und Oh Seufzer, genau wie die finsteren Gesichter deren Ehemänner.

Gisbert hatte erwartet, in den Thronsaal geführt zu werden. Stattdessen öffnete sich für ihn die Tür zum Arbeitskabinett des Königs, der ihm mit ausgestreckten Armen entgegenkam. Ritter Gisbert versteckte das ungläubige Staunen unter wie gemeißelt wirkenden Gesichtszügen. Kein Muskel zuckte und die stahlblauen Augen ließen nicht den geringsten Aufschluss über seine Gefühlswelt zu.

Er kam nicht einmal dazu, vor dem König demütig grüßend niederzuknien, denn Gero unterband den leisesten Versuch mit den Worten: „Lasst die Etikette! Ich bin glücklich, Euch zu sehen, edler Ritter.“ Er deutete auf einen bequemen Sessel. „Setzt Euch! Ich brauche Eure Hilfe.“

„Stets zu Diensten, mein König.“

Gero schenkte eigenhändig Wein in zwei Becher, was Gisbert auf die Brisanz der Informationen vorbereitete, die er wohl gleich bekommen werde.

„Sehr zum Wohl!“, rief der König, nahm einen großen Schluck und wandte sich fast flüsternd an seinen Gast: „Es geht um meinen Schwager, Kunz von Morgenthau.“

„Wollt Ihr, dass ich ihm eine Lektion erteile?“, fragte Gisbert äußerst vorsichtig.

„Nein. Ich will, dass Ihr ihm aus einer argen Klemme helft! Ihr kennt doch seine Kampfkünste?!“

Gisbert nickte noch vorsichtiger.

„Der Dummkopf hat bei einem Trinkgelage seine gesamten Ländereien darauf verwettet, bei diesem Turnier Ritter Theobald zu besiegen.“

„Ach, du großer Gott!“ Gisbert schlug in echtem Entsetzen die Hände vor das Gesicht.

„Seht Ihr! Genau so habe ich auch reagiert!“ Der König goss noch einmal Wein in die Becher. „Ihr sollt für mich diesem Haudrauf die Beute wieder abjagen!“

Die Frage nach der Gegenleistung war Gisbert so deutlich ins Gesicht geschrieben, dass Gero beinahe hilflos die Hände hob. „Wenn Ihr es schafft, bekommt Ihr die Burg Drachenfels mitsamt dem Dorf zu ihren Füßen.“

„Einverstanden.“ Gisbert hatte schon lange ein Auge auf dieses Fleckchen Land geworfen, welches im Augenblick noch Kunz von Morgenthau, dem Schwager des Königs, gehörte.

Nur wäre es wenig ratsam gewesen, die königliche Verwandtschaft anzugreifen, und so hatte er schweren Herzens auf jegliches Scharmützel verzichtet. Das Versprechen, die imposante Burg als Lohn für treue Dienste zu bekommen, beflügelte ihn. Gisbert verbeugte sich tief vor seinem König und beeilte sich, zu seinem Zelt zu kommen.

„Wir haben uns Sorgen gemacht“, verriet sein erster Knappe.

„In einer halben Stunde beginnt das Turnier“, berichtete der Zweite.

„Wünscht Ihr eine Massage, um die Glieder zu lockern?“, fragte der Dritte.

Gisbert grinste. „Massage klingt gut. Aufgrund der Kürze der Zeit, nur die, um das eine Glied zu straffen.“

Knappe Nummer vier machte sich mit kundiger Hand ans Werk. Gisbert wäre nun auch ohne Lanze in der Lage gewesen, seinen Gegner glatt vom Pferd zu stechen. Gern hätte er noch andere Annehmlichkeiten in Anspruch genommen, nur kannte er die Tücke plötzlich zuklappender Visiere bestens. Sich das Gemächt aus purer Lüsternheit noch vor dem Kampf zu klemmen, wäre der Gipfel der Erheiterung für die Meute der Gegner gewesen.

Gisbert fand rasch Erfüllung, verhieß seinen vier Knappen eine lange heiße Nacht, so er unversehrt aus allen Kämpfen hervorginge, und rüstete sich zum Kampf.

Kampf nur für ihn, den anderen deuchte es, ein Gemetzel zu sein, sobald er sein Pferd angaloppieren ließ.

In der ersten Runde standen drei ausgerenkte Arme, zwei schwere Stürze mit unabsehbaren Folgen und ein geradenwegs durch das geschlossene Visier ausgestochene Auge auf seiner Haben-Seite. Die Damen kreischten, die Herren spendeten Applaus und König Gero rieb sich die Hände.

Kunz von Morgenthau schien wieder einmal aus eigener Kraft vom Pferd gefallen zu sein, denn an seinem Brustharnisch ließen sich nicht die geringsten Spuren einer Fremdberührung finden. Sein Land war futsch. Seine Frau rang die Hände, bis ihr einfiel, dass es sinnvoller wäre, ihm Selbige mit Schwung um die Ohren zu schlagen. Gesagt – getan. Danach fühlte sie sich um vieles wohler.

In der langen Mittagspause ließ sich Gisbert von seinen vier geheimnisvollen Geharnischten verwöhnen. Sein wohliges Stöhnen hielt man außerhalb des Zeltes für die Reaktion auf die üblichen kräftigen Massagen, um die Muskeln geschmeidig zu halten.

Wo andere Ritter vor Schmerz ächzten, wenn der Bader kraftvoll an den verspannten Stellen zufasste, musste Gisbert wohl Gefallen daran finden – dachte man zumindest. Das laute Stöhnen seiner Masseure rührte vermutlich von der Anstrengung, wahre Muskelberge durchzukneten.

Als die Endkämpfe begannen, war Gisbert topfit und richtete erneut Blutbäder unter seinen Gegnern an. Der Einzige, der es ihm gleichtat, war Theobald von Grüntal. Es war nur eine Frage der Zeit, die beiden Kämpen gegeneinander antreten zu sehen.

Gisberts Rappe tänzelte in Kampfeslust. Gegen Theobalds Braunen war er schon oft der Bessere gewesen. Ein Wink der Königin mit dem Tüchlein, dann dröhnte die Erde unter den Hufschlägen ihrer Schlachtrösser.

Ritter Gisbert stieß mit solcher Wucht zu, dass er, trotz splitternder Lanze, Ritter Theobald zu Boden schickte. Sie hatte sich direkt am unteren Rand des Helmes verhakt und es grenzte an ein Wunder, dass Theobalds Genick den Anprall fast unbeschadet überstand. Ehe er jedoch aufstehen und sein Schwert ziehen konnte, kniete Gisbert auf ihm. „Ergebt Ihr Euch?“

„Ja, verdammt! Aber nur, weil die Königin keine Toten beim Turnier haben will.“

Gisbert begann zu lachen. Theobalds rabenschwarzer Humor war weithin bekannt. „Ich verlange das Land, welches Euch Ritter von Morgenthau schuldet“, raunte er ihm zu.

„Nehmt es und geht endlich von mir runter!“ Theobald blieb langsam die Luft weg.

Gisbert allein wog sicher an die 100 Kilo. Mit dünnem Gambeson, Kettenhemd und Plattenpanzer fast doppelt so viel. Er grinste Theobald breit an, hielt ihm die Hand hin und zog ihn auf die Füße.

Königin Ottilie überreichte Gisbert persönlich die Trophäe für den Gesamtsieg des Turniers. Er kniete vor ihr nieder, nahm das Damaszenerschwert mit dem juwelenbesetzten Gehänge entgegen und ließ sie mit den Augen wissen, dass er sich noch in der Nacht etwas mehr holen werde, als den Kuss auf die Stirn, welchen er soeben bekommen hatte.

Ottilie erwiderte die heiße Offerte mit einem huldvollen Lächeln. Das gleichzeitige rasche Zucken mit dem Augenlid gewahrte nur Gisbert mit tiefer Zufriedenheit.

Gero ließ für Gisbert ein heißes Bad bereiten. Der nahm es dankbar an, schickte aber des Königs Badeknechte hinaus, nachdem sie die Platten mit den Speisen abgestellt hatten. Die Marotte, nur seine vier Knappen bei sich zu dulden, nahm man hier, wie überall, mit einem Lächeln zur Kenntnis.

Nun fiel Gero aber ein, dass es besser sei, nicht offiziell über die Rückgabe der Ländereien an von Morgenthau zu verhandeln. Also begab er sich rasch zum Badehaus, um sich mit Gisbert ins Einvernehmen zu setzen.

Die Tür öffnete ein, noch komplett geharnischter, Knappe. Der Ritter saß bereits im heißen Wasser und die drei anderen halfen sich gegenseitig, ihre Rüstungen abzulegen.

Gero vergaß in den nächsten Sekunden völlig, weshalb er gekommen war. Unter Harnischteilen und Gambesons kamen eindeutig weibliche Rundungen zum Vorschein. Als die Helme fielen, klappte ihm der Unterkiefer fast bis auf die Spitzen seiner Schnabelschuhe. Langes, seidig glänzendes Haar, bis dahin, wo bei bekleideten Frauen der Gürtel gewesen wäre.

Gisbert blinzelte kaum merklich seinen vier goldblonden Schönheiten zu, die sich daraufhin gemeinsam dem König widmeten. Was Gisbert veranlasste, mit einem Satz aus der Wanne zu springen und in Ottilies Schlafgemach zu eilen.

Gero entging das völlig. Der war für die nächste halbe Stunde nicht in der Lage, an etwas anderes, als die Genüsse mit den vier geheimnisvollen Schönen, zu denken. Er merkte nicht einmal, dass Ritter Gisbert irgendwann wieder erschien und unbefangen seinen Platz in der Wanne einnahm.

„Seid Ihr zufriedengestellt?“, hörte er eine der vier, Gisbert ins Ohr hauchen und bezog es auf deren Künste.

„Zutiefst, meine Liebe. Nur habe ich auch nichts gegen einen Nachschlag einzuwenden“, lautete die Antwort, worauf sich die Schöne intensiv mit ihrem Ritter beschäftigte.

„Müsst Ihr morgen wirklich schon fort?“, fragte Gero Gisbert an der Abendbrottafel. Er hätte zu gern noch ein paar Tage, die anregende Gesellschaft dessen Knappen genossen.

Auch aus Ottilies Augen sprach die gleiche stumme Frage. Genau genommen lauerte die ganze weibliche Gesellschaft auf eine Antwort, welche ziemlich lange auf sich warten ließ.

„Wenn Ihr es befehlt, mein König, dann bleibe ich noch eine Woche.“

Der Jubel über diesen, wie es aussah, schweren Entschluss war riesig. Und keiner ahnte, dass sich hinter Gisberts unbewegten Gesichtszügen nur ein einziger Gedanke verbarg: Das ist Zeit genug, Ottilie das lang ersehnte Kind zu zeugen, weil es dem Gatten wohl an einigem gebricht.

Auf dem Turnier im folgenden Jahr wiegte Ottilie einen Säugling im Arm. Gisbert betrachtete den Kleinen mit einem warmherzigen Lächeln. „Einen prachtvollen Knaben hat Euch Ottilie geboren!“, wandte er sich an Gero.

Der strahlte Gisbert mit stolz geschwellter Brust an. „Ist er mir nicht wie aus dem Gesicht geschnitten?!“

Nur gut, dass im gleichen Moment das Zeichen zum Beginn der Kämpfe ertönte und sich Gisbert, ohne gegen die Etikette zu verstoßen, davonmachen konnte. Sein breites Grinsen versteckte er unter dem heruntergeklappten Visier.

Kunibert, der Erfinder

- Matthias Albrecht -

Kunibert von Wackerbarth schlug aus der Art. Im Alter von sieben Jahren, hatte er keine Lust, als Page eine Karriere zu beginnen und sich über einen Knappen zum Ritter heranzubilden. So war er auch stets typisch männlicher Freizeitbeschäftigungen wie Jagden, Reiterspielen und Turnieren fern geblieben. Stattdessen hatte er sich in stillem Kämmerlein mit allerlei grobem Unfug, hirnrissigen Ideen und brotloser Kunst beschäftigt.

Sein Vater, Archibald von Wackerbarth, schüttelte mit dem Kopf und rang verzweifelt die Hände, wenn aus der Alchimistenküche seines Sohnes beißende Dämpfe und fürchterlicher Gestank hervorquollen. Da Kunibert jedoch der einzige Stammhalter derer von Wackerbarth war (und es auch bleiben sollte, nachdem Archibald während eines Jagdunfalls durch einen angeschossenen, wild um sich beißenden Keiler seine Manneskraft eingebüßt hatte), machte der Vater gute Miene zu bösem Spiel.

Er ließ seinen Sprössling gewähren in der Hoffnung, dass sich dieser nach seiner pubertären Phase anderen Interessengebieten zuwenden werde. Leider ein im mittelalterlichen Guinnessbuch der Rekorde jahrhundertelang ungeschlagener Irrtum.

Das erste Vorhaben des damals zwölfjährigen Kunibert bestand darin, die Burg Habichtstein, den neuesten Sitz derer von Wackerbarth, anlässlich ihres fünfzigjährigen Bestehens, illuminieren zu wollen. Er war auf diesen Gedanken gekommen, nachdem ihm beim Herumstöbern in längst vergessenen Winkeln ein uraltes chinesisches Geheimrezept in die Hände gefallen war.

Es dauerte eine Weile, bis Kunibert begriff, dass die verschiedenen Ingredienzien kaum etwas mit der außergewöhnlichen chinesischen Küche zu tun haben konnten, waren doch neben verschiedenen Harzen und Essenzen auch Schwefel, Salpeter und gemahlene Holzkohle aufgeführt.

Da aus der Auflistung das prozentuale Mischungsverhältnis der Zutaten nicht hervorging, experimentierte er wild drauflos und stellte mehrere Tests an, während derer nichts Erwähnenswertes passierte.

Der fünfte Versuch jedoch verlief im wahrsten Sinne des Wortes erhellend. Kunibert konnte von Glück sagen, dass ihm die grellweiße Stichflamme nur Augenbrauen und Haupthaar versengte.

Nachdem er ohne Wissen des Vaters zwei Drittel aller Schwefel-, Holzkohle- und Salpetervorräte des Landes aufgekauft und zusammengemixt hatte, verpackte er das Ganze wasserdicht in sechzig mittelgroße Fässer. Seine zur Verschwiegenheit verdonnerten Bediensteten vergruben diese in der Nacht vor der Jubiläumsfeier in gleichmäßigen Abständen still und heimlich im ausgetrockneten Burggraben. Schließlich sollte es ja eine Überraschung werden!

Am Abend des großen Feiertags, postierte er über jedem vergrabenen Fass einen Fackelträger, welcher die kurze Lunte entzünden sollte, sobald die Posaunen zum Festmahl bliesen. Vater Archibald, von den wahren Zusammenhängen nichts ahnend, lobte seinen Sohn über die Maßen. Er war entzückt darüber, welch großartigen Anblick die beleuchtete Außenumwehrung bot. Warte nur, es kommt noch besser, kicherte Kunibert in sich hinein.

Wenig später ertönten die Posaunen. Ein paar Sekunden lang passierte nichts, dann aber flogen die Pulverfässer fast gleichzeitig in die Luft. Der Burggraben wurde infolge der gewaltigen Explosion innerhalb eines Augenblicks um das Doppelte vertieft und um das Dreifache verbreitert. Stinkender Auswurf, bestehend aus Pulverrückständen, Staub, Geröll und Fackelträgerfragmenten, bedeckte sowohl die noch halbwegs intakten als auch sämtliche eingestürzten Gebäudeteile zentimeterhoch.

Der Burgherr war außer sich. Nicht wegen der Zerstörung oder des flächendeckend verteilten Drecks und schon gar nicht angesichts der fünf Dutzend zu Hackfleisch verarbeiteten Bediensteten. Diesen Kollateralschaden konnte er verschmerzen. Aber dass Pegasus, sein liebstes Turnierpferd, einen acht Millimeter langen Kratzer an der Blässe davongetragen hatte, war zu viel des Guten. Kunibert erhielt einen Monat lang Verbot, seine Alchimistenkammern zu betreten.

Zudem die Auflage, keine weiteren Experimente, welche mit Krach, Gestank und Zerstörungen einhergehen könnten, durchzuführen und den Vater von geplanten Vorhaben jeglicher Art in Kenntnis zu setzen.

Schweren Herzens versprach es der Knabe. Sein Drang, zu experimentieren, gewann jedoch schon bald wieder Oberhand. So verbrachte er unter anderem die nächsten zwei Jahre damit, den Raum über dem Rittersaal in ein künstliches Seewasserbecken zu verwandeln. Hier wollte er Meeresschildkröten halten und züchten, um die Speisekarte seines Vaters aufzuwerten. Den Feierlichkeiten auf der Burg sollte damit ein lukullischer Schwung verliehen werden, welchen kein Edelmann des Landes zu überbieten vermochte.

Der Vater, dem dieses Ansinnen schmeichelte, nickte wohlgefällig, überließ Junior die gesamte obere Etage zur freien Verfügung und kümmerte sich im Weiteren nicht mehr darum. Er war ohnehin unfähig, die Tragweite dieses Projekts zu erfassen. Ganz gleich, was sein Sohn anstellen mochte, er sollte es in Gottes Namen tun, wenn nur die Burg heil blieb.

Eine geraume Zeit lang zog trügerische Ruhe ein ins beschauliche Leben derer von Wackerbarth auf Burg Habichtstein. Doch hatte Kunibert der alten Idee, die Sonne auch des Nachts scheinen zu lassen, längst nicht abgeschworen. Seine Schildkrötenzucht diente lediglich als Ablenkungsmanöver.

Die grellen Blitze während eines Gewitters müssten, wie er mutmaßte, hervorragend geeignet sein, das schummrige Kienspanlicht des großen Rittersaals optisch aufzuwerten. Aber wie sich die Naturgewalten nun zunutze machen? Aus Berichten wusste Kunibert, dass sich Blitze von den ehernen Rüstungen der Ritter angezogen fühlten. Sie waren in der Lage, ganze Heerscharen solcher „Krieger in Blechbüchsen“ während eines Gefechts regelrecht verdampfen zu lassen. Kämpfer in normaler Bekleidung und gehörigem Abstand zu den wandelnden Konservendosen kamen dagegen zumeist mit dem Leben davon. Auch schien die Höhe eine gewichtige Rolle zu spielen, waren es doch gerade die auf einem Hügel befindlichen Streitkräfte, welche die meisten Einbußen zu verzeichnen hatten.

Kunibert zog seine Schlüsse und deponierte eine Strohpuppe in voller Rüstung auf dem Burgfried. Diese verband er mit dünnen Kettensträngen, führte sie bis in den Rittersaal und stöpselte deren Enden an das Funkenfangblech vor dem riesigen Kamin. Er wusste auch, dass Bäume, vom Blitz getroffen, oftmals lichterloh zu brennen begannen. Also versorgte er sich mit Reisigbündeln, stapelte sie auf dem Blech zu einem Berg auf und streute den nicht unerheblichen Rest des Schwarzpulvers (Viel hilft viel!) vom letzten Experiment darüber. Schließlich sollte seine „zündende“ Idee ja auch ordentlich einschlagen und ihm den Respekt und die Anerkennung seines Vaters sichern.

Kunibert besah sich sein Werk mit glänzenden Augen. Ja, Vater würde stolz auf ihn sein. Nicht zuletzt die Teilnehmer des bevorstehenden großen Gelages, welche ihre Hühnerkeulen plötzlich als solche erkennen und zum Mund führen könnten in der Gewissheit, diesmal nicht die Hand des Nachbarn erwischt zu haben. Es würde in jeder Hinsicht eine visuelle Sinneserweiterung für alle bedeuten.

Jetzt, im Spätsommer, waren Gewitter an der Tagesordnung, sodass Kunibert nicht die geringste Befürchtung hegte, der Wettergott könnte ihm einen Strich durch die Rechnung machen. Und tatsächlich: Als der Abend und mit ihm das große Festmahl nahte, kündigte sich in der Ferne ein Unwetter an. Bald zöge es über die Burg hinweg, dessen war Kunibert gewiss. Jetzt sah er einen Blitz und zählte langsam bis neun, bevor sich der Donner vernehmen ließ. Das Gewitter war etwa drei Kilometer entfernt. Der Junge lenkte zufrieden seine Schritte in Richtung Rittersaal.

Wenig später begrüßte dort sein Vater die Gäste, schwenkte demonstrativ seinen Becher und prostete den geladenen Ländereibesitzern mit ihren Damen in der Hoffnung zu, Frieden schließen und des Weiteren gute nachbarschaftliche Beziehungen pflegen zu können.

„Was soll der Holzhaufen vor dem Kamin?“, fragte er seinen Sohn beiläufig und fügte schmunzelnd hinzu: „Hast du die Absicht, einen Ochsen zu braten oder uns ungeachtet der Sommerhitze gehörig einzuheizen?!“

„Weder noch, edler Vater“, gab Kunibert zurück. „Ihr werdet staunen!“

Archibald konnte sich eines unguten Gefühls nicht erwehren, kam jedoch nicht dazu, diesen Eindruck gedanklich weiter zu verfolgen, denn nun erhob sich der Nachbar zur Linken im Bestreben, seinerseits wohlwollend zu erwidern. Nach und nach schlossen sich die umstehenden Adligen an, bevor Archibald abermals das Wort ergriff:

„So lasset uns, edle Herren, unseren Bund besiegeln, auf dass zwischen uns nur eitel Freundschaft und eherner Friede auf ewig möge …“. Weiter kam er nicht. Ein greller Blitz, verbunden mit grässlichem Donnerschlag, tauchte Saal und Gesellschaft in glühendes Weiß.

Eine wie auch immer geartete Sinneserweiterung der Anwesenden war nicht festzustellen. Stattdessen verwandelte sich das Reisig in einen grellroten Feuerball. Eine Wolke schwarzen, klebrigen Rußes quoll aus dem Kamin und zischte fauchend durch den Saal, glühende Partikel des Holzhaufens sowie zwei Bedienstete mit sich reißend.

Die Kleider der geladenen Gäste in unmittelbarer Nähe zum Kamin verwandelten sich innerhalb von Sekunden zu Asche. In den Kelchen begann der Wein zu kochen. Die Haut warf Blasen. Und die Hunde, die in Erwartung des einen oder anderen leckeren Knochens um die Beine der Anwesenden geschlichen waren, verzogen sich mit verbrannten Schwänzen winselnd in die hintersten Winkel. Wenig später fing die hölzerne Kassettendecke Feuer.

Die Balken bogen sich unter der enormen Hitze, splitterten und krachten mitsamt vierzigtausend Litern Seewasser auf die Köpfe derer, welche sich einen Wimpernschlag zuvor nicht unter der eichenen Tafel in fragwürdige Sicherheit hatten bringen können. Fragwürdig deshalb, weil die massive Tafel zwar dem Wassereinbruch, nicht aber den nun herabstürzenden Balken standzuhalten vermochte. Den Rest besorgten die zentnerschweren Schildkröten.

Burg Habichtstein ist heute eine Ruine. Die spärlichen Überlieferungen berichten von wenigen Überlebenden der Katastrophe. Alle, die sich zum Zeitpunkt des Unglücks im Rittersaal aufgehalten hatten, haben noch an Ort und Stelle das Zeitliche gesegnet. So auch das Dutzend Schildkröten, das sich im Nachhinein die Bediensteten schmecken ließen, welche in der abgelegenen Gesindeküche mit dem Leben davongekommen waren.

Dem Feuer wurde von den einbrechenden Wassermassen zwar der Garaus gemacht und damit größerer materieller Schaden vermieden; dennoch verfiel die Burg mit den Jahren. Das Geschlecht derer von Wackerbarth war ausgelöscht. Die Hinterbliebenen der übrigen Teilnehmer des letzten Gelages, welche sich unter anderen Umständen die Burg mit den dazugehörenden Ländereien nur gar zu gerne einverleibt hätten, verzichteten schweren Herzens darauf.

Das Anwesen stand schon zu Lebzeiten Archibalds unter keinem guten Stern. Nun, nach seinem Ableben, hielt sich hartnäckig das Gerücht, der Burgherr sei mitsamt seiner Sippe einem uralten Fluch zum Opfer gefallen. Gegen einen solchen kam niemand an! Kein König, kein Kleriker, ja nicht einmal der Papst.

Die Angst davor scheint auch in unserer Zeit gegenwärtig zu sein; noch heute meidet man die Gegend bei Gewitter.

Pech für Botho

- Sina Blackwood -

Er fühlte einen Schlag gegen die Brust, einen brennenden Schmerz, dann gingen ihm die Lichter aus. Dabei hatte das Turnier so gut angefangen!

Das große Hauen und Stechen auf Burg Wiesenschön fand alle zwei Jahre statt und bisher hatte Ritter Botho von Weißenwolkenfels stets gewonnen. Die harmlosen Blessuren der letzten Jahre konnte man dabei getrost vergessen. Und nun dies!

Jetzt lag er hier, von unzähligen Augenpaaren mitleidig oder hämisch beobachtet, je nachdem, ob die Augen zu einer Frau oder einem Mann gehörten. Wobei die erste Rubrik eindeutig überwog.

Botho befand es für sinnvoll, die Lider geschlossen zu halten. Er spürte, wie er, in seinen Umhang gebettet, hochgehoben und vom Platz getragen wurde.

„Wie steht es um ihn?“, fragte eine, ihm bestens bekannte, Stimme und Botho wäre am liebsten auf der Stelle gestorben.

„Keine Ahnung“, lautete die Antwort. „Noch schlägt sein Herz.“

„Dann seht zu, dass das auch so bleibt“, befahl die erste Stimme. „Tragt ihn in mein Schlafgemach!“

Wenn Botho irgendwie in der Lage gewesen wäre, dann hätte er fluchtartig das Weite gesucht. Er fiel nicht einmal in gnädige Ohnmacht.

Bei vollem Bewusstsein erlebte er mit, wie man ihn in das Schlafgemach der ausnehmend hässlichen, fast zahnlosen Burgherrin verfrachtete, der er in den letzten zehn Jahren stets erfolgreich entkommen war.

Da spürte er auch schon ihre Hände über seine Haut gleiten. Heute war eindeutig nicht sein Tag, noch war gerade das sein Begehr.

Botho zog es vor, sich heftig zu übergeben …

(Was ihm eine Galgenfrist von nur wenigen Tagen einbrachte.)

Die gepuderte Jungfrau

– Matthias Albrecht –

Die Kunigunde, dieses Luder,

Verwendete, statt Seife, Puder,

Stand doch der Brunnen auf dem Hof,

Und das fand Kunigunde doof!

Denn um an Wasser zu gelangen,

Hätte sie müssen täglich bangen,

Dass ihre Unschuld sie verlöre –

Man war darauf erpicht, ich schwöre!

Die Kunigunde war im Land

Als Schönheit jedem wohlbekannt.

So lauerte man ihr zuhauf

Vor ihrer Kemenate auf,

Und hofft’, es würde einmal glücken,

Sie vor der Türe zu erblicken.

Der Kuno war besonders helle,

Lag Tag und Nacht vor ihrer Schwelle.

Wollt’ nutzen die Gelegenheit,

Als sich die Magd zur Schlafenszeit

Klammheimlich aus der Kammer schlich,

Ihr’s zu besorgen fürchterlich.

Doch ach, als er sie wollte greifen,

Roch er den Puder statt der Seifen,

Vermischt mit Schweiß und andern Sachen –

Die Männern keine Freude machen.

Das Weitere kann man sich denken:

Was grad noch stand, tat sich nun senken;

Die Nase hielt sich Kuno zu,

Gab Fersengeld; war fort im Nu.

Und die Moral von der Geschicht’?

Benutz nur Puder, Seife nicht!

Die Unschuld ist ein hohes Gut,

Für das Gestank sich lohnen tut.

Otto gibt niemals auf

- Sina Blackwood -

Es klingt der Stahl, es singt die Sehne.

Die Ritter zeigen sich die Zähne.

Doch keiner sieht’s. Visier geschlossen.

Von droben wird auf sie geschossen.

Der Ritter Otto denkt sich still:

Das ist nun gar nicht, was ich will.

Sein Schild ist dick – der Pfeil prallt ab.

Er zwingt sein Ross in schnellen Trab.

In seines Kopfes hint’ren Zonen,

da muss der Plan der Burg noch wohnen.

Rasant verschwindet er um Ecken,

ganz nah der Mauer hinter Hecken.

Er findet rasch das kleine Zeichen

und sieht ein Stück der Mauer weichen.

Er zieht den Dolch und auch sein Schwert,

die Sache ist Alleingang wert.

Und während draußen Söldner schrei’n,

dringt er in finst’re Gänge ein.

Der Duft ist grausam, glaubt mir das.

Von oben tropft es braun und nass.

Der Ritter denkt an seine Würde.

Er meistert bestens diese Hürde.

Nur findet er, zu seinem Schreck,

den Ausgang nicht. Denn der ist weg.

Er steht vor großen glatten Steinen

und möcht’ vor Wut am liebsten weinen.

Verdammter Mist! Was mach ich bloß?

Die Dinger sind gewaltig groß!

Er weiß genau, hinter der Mauer,

erwartet ihn ein wohlig’ Schauer.

Da ist das Reich von Adeleide,

die will er lange schon zum Weibe.

Dazu gehört zwar noch ihr Mann,

der Otto gar nicht leiden kann …

Der hat geschnallt, wenn Otto siegt,

der stets bei seinem Weibe liegt.

Was Kuno nicht gerad herzerfrischt,

weil er die beiden nie erwischt.

Wenn ich dich fang’, wirst du ertränkt.

Sich heimlich oft der Kuno denkt.

Doch Otto ist kein kleiner Dummer,

So macht er Kuno jährlich Kummer.

Und Otto hat gerad Geistesblitze,

er findet eine Mauerritze,

dort guckt ein Hebel aus der Wand.

Schon hat ihn Otto in der Hand.

Die schräge Rampe, die entstanden,

lässt ihn in Kunos Kammer landen.

Der hat darauf wohl nur gewartet,

weil er sofort den Angriff startet.

Es ist ein Hauen und ein Stechen.

Kuno will sich an Otto rächen.

Doch der hat jetzt die besseren Karten,

im Burghof seine Männer warten.

Mit diesem Wissen, unverfroren,

schlägt er nun Kuno um die Ohren,

was sich an Waffen greifen lässt.

Das gibt dem Kuno dann den Rest.

Den Gatten eine Lanze fällt.

Nun ist es wirklich Ottos Welt.

Er nimmt die Burg und auch das Land,

genau wie Adeleides Hand.

Gernot, der Foltermeister

- Matthias Albrecht -