Harder, Better, Faster, Stronger - Erik Ringertz - E-Book

Harder, Better, Faster, Stronger E-Book

Erik Ringertz

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Beschreibung

»Führung ist eine Gabe, keine Rolle« So das Selbstverständnis von Erik Ringertz, dem Gründer des schwedischen Vorzeigeunternehmens Netlight. Das hierarchiefreie Unternehmen, das nur einen CEO hat, weil es das Gesetz so will, berät die größten der Großen in Sachen IT und Digitalisierung. Dabei zeigt sich, dass der Hidden Champion mit seinem Ansatz der Un-Führung produktiver und kreativer ist als manch durchstrukturierter Konzern. Das mag nach Un-Fug klingen, aber das Credo vom organischen Wachstum durch seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter macht Netlight zu einem der attraktivsten Arbeitgeber der Branche. Etablierte Unternehmen wie populäre Start-ups könnten sich hier eine Scheibe abschneiden: Man kann hip und erfolgreich sein, ohne sich und andere auszupressen!

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Erik Ringertz, Fredrik Emdén

Aus dem Schwedischen von Britt-Marie Robrecht

HARDER, BETTER,

FASTER, STRONGER

Führen ohne Hierarchie. Das Netlight-Prinzip der Un-Führung

Campus Verlag

Frankfurt/New York

Über das Buch

»Führung ist eine Gabe, keine Rolle« So das Selbstverständnis von Erik Ringertz, dem Gründer des schwedischen Vorzeigeunternehmens Netlight. Das hierarchiefreie Unternehmen, das nur einen CEO hat, weil es das Gesetz so will, berät die größten der Großen in Sachen IT und Digitalisierung. Dabei zeigt sich, dass der Hidden Champion mit seinem Ansatz der Un-Führung produktiver und kreativer ist als manch durchstrukturierter Konzern. Das mag nach Un-Fug klingen, aber das Credo vom organischen Wachstum durch seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter macht Netlight zu einem der attraktivsten Arbeitgeber der Branche. Etablierte Unternehmen wie populäre Start-ups könnten sich hier eine Scheibe abschneiden: Man kann hip und erfolgreich sein, ohne sich und andere auszupressen!

Vita

Erik Ringertz ist CEO von Netlight Consulting, einem IT-Beratungsunternehmen mit fast 1300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und insgesamt acht Niederlassungen. Er wurde mehrmals ausgezeichnet, unter anderem als CEO des Jahres und Diversity Leader. Erik Ringertz ist in München aufgewachsen und lebt heute mit seiner Familie in Stockholm. Fredrik Emdén ist ein renommierter Wirtschaftsjournalist mit den Schwerpunkten Management und Führung.

INHALT

»WÄHL DIE ROTE PILLE«

PROLOG

Kapitel 1. Von innen nach außen wachsen

Werkzeug in der Hand des Menschen – nicht umgekehrt

Wie Ökonomie zur neuen Religion wurde

Beweglich sein in einer beweglichen Welt

Ein Netlight

Wachsen ohne sich selbst zu verlieren

Kein Monument

Ein Ökosystem aus Wissen

Kapitel 2.»Kann man gut mit an der Bar abhängen«

Schlagworte auf Kaffeetassen

Wir in unserer Gesamtheit

Wenn die Kultur bereichert wird

Jemand, auf den man sich verlassen kann

Kapitel 3. Verantwortung und Freiheit

Wenn jeder sich selbst leitet

Vorbilder statt Chefs

Ständiges Feedback

»In command« beim Abendessen

Vertrauen in das Individuum

Sich einfühlen und anschließend reagieren

Mensch

Liebe und Zugehörigkeit

Kapitel 4. Lust statt Wettbewerb

Wenn alle eingeladen sind

Die unsicheren Leistungsmenschen

Sich trauen, unvollkommen zu sein

Arbeiten ohne Ziel

Zeit mit dem Wettbewerb aufzuhören

Durch Lust motiviert, nicht durch Angst

Sein eigenes Vorbild sein

Schritt für Schritt

Auf dem Weg an die Spitze

Das Vorbildprinzip als Strategie

Entweder – oder

Kapitel 5. Das Werk, das wir erschaffen

Organisches Storytelling

Der Zukunft einen Namen geben

Du bist die Inspiration

Mehr als nur eine gute Geschichte

Das brennende Pferd

Gottes Daumen malen

EPILOG

ÜBER DIE KUNSTWERKE

»WÄHL DIE ROTE PILLE«

Once you free your mind about a concept of harmony and music being correct, you can do whatever you want.

So nobody told me what to do, and there was no preconception of what to do.

Giorgio Moroder im Lied »Giorgio by Moroder« mit Daft Punk

Es scheint vielleicht so, als handele dieses Buch von einem IT-Consulting-Unternehmen, das Netlight heißt und über tausend Angestellte hat. Aber so ist es nicht. Oder doch, teilweise schon. Die Konzepte, die in diesem Buch vorgestellt werden, wurden im Rahmen dieses Unternehmens geboren. Dort wurden sie angewendet, weiterentwickelt und verfeinert. Aber im Grunde genommen geht dieses Buch der Frage nach, ob der Glaube an das Individuum gezwungenermaßen dazu führt, dass wir alle zu Individualisten werden. Man könnte leicht zu dieser Auffassung gelangen, wenn man sich anschaut, wie große Teile der Gesellschaft heute organisiert sind – nicht zuletzt Unternehmen und andere Betriebe. Eine zentralistische Führung widerspenstiger Individuen. Offenbar glauben wir, dass es nur eine Möglichkeit gibt, sich zu organisieren. Und wir erfinden ständig neue Wege, diese zu verfeinern und noch effektiver zu machen. Ein Grund dafür ist, dass wir Unternehmen im Kern als Maschinen betrachten. Selbst wenn wir das Organigramm mit einem Nudelholz platt rollen und die Pyramide einreißen und auf den Kopf stellen – wir betrachten Mitarbeiter immer noch als Zahnräder in einer Maschine.

Dieses Buch will zeigen, dass wir eine Wahl haben.

Im Film Matrix von 1999 stellt der Charakter Morpheus dem Protagonisten Neo eine entscheidende Frage. Morpheus ist der Anführer der Widerstandsbewegung, Neo ist sein Schüler und derjenige, von dem man denkt, dass er »der Auserwählte« sei. Derjenige, der die Welt retten solle. Doch bevor Neo in die Rolle des potenziellen Erlösers schlüpft, muss er sich entscheiden, ob er die blaue Pille oder die rote schluckt. Nimmt er die blaue Pille, geht alles so weiter wie bisher. Er kehrt zurück zu seinem Leben wie es vorher war. Wählt er jedoch die rote Pille, wird er die Welt sehen wie sie wirklich ist. Dann stellt sich alles, was er früher als wahr angenommen hat, als Illusion heraus, als Luftschloss! Nimmt er die rote Pille, gibt es kein Zurück. Seine Wahrnehmung des Daseins wird sich für immer verändern.

Neo wählt die rote Pille.

Die Botschaft dieses Buches ist, dass es mehrere Möglichkeiten gibt, ein Unternehmen zu organisieren als die allgemein verbreiteten. Und mehrere Arten menschlicher Zusammenarbeit. Es gibt mehr als flache Organisationen, Matrixorganisationen oder die so verhassten strikt hierarchischen Organisationen. Der Versuch, etwas zu organisieren, was sich eigentlich nicht organisieren lässt, hat viele und offensichtliche Nachteile. Dieses Buch handelt davon, wie man es auf andere Art und Weise angehen kann. Es plädiert dafür, seinen eigenen Weg zu beschreiten und das zu tun, was sich tief im Innersten am natürlichsten anfühlt.

PROLOG

Der Kalender zeigte das Jahr 2004. Der IT-Crash, die sogenannte Dotcom-Blase, hatte jeden erschüttert – vom Herausforderer wie boo.com bis zum Branchenriesen Ericsson. Diejenigen, die überlebt hatten, rappelten sich auf wackeligen Beinen wieder auf. Dazu gehörte auch das IT-Consulting-Unternehmen Netlight. Die halbe Firma war weg, die Gründer waren gezwungen gewesen, vielen ihrer Freunde zu kündigen. Das Unternehmen war traumatisiert, aber am Leben. In diesem Sommer versammelten sich die sieben Freunde, die die Firma wenige Jahre zuvor gegründet hatten, zu einer Strategiekonferenz. Der neu dazu gestoßene Vorstandsvorsitzende stellte ihnen zwei Fragen: »Was habt ihr euch eigentlich gedacht?« und: »Wie lange haltet ihr durch?« Das waren gute Fragen. Die Firmengründer hätten durchatmen und feststellen können, dass sie überlebt hatten. Sie hätten die Arme in die Luft reißen und jubeln können: »Ja, wir haben es geschafft«. Sie hätten darüber nachdenken können, ob sie Netlight weiterführen sollten oder ob es an der Zeit war, sich einen richtigen Job zu suchen, bevor sie zu alt dafür wurden. Das Einzige, was das Unternehmen hatte zustande bringen können, war durchzuhalten. »Schön, dass ihr überlebt habt, jetzt verkauft den ganzen Mist«, sagte jemand.

Die beiden Fragen, die der Vorstandsvorsitzende stellte, waren wichtig, weil sie die Gründer dazu zwang nachzudenken und zu entscheiden, was sie wollten. Doch eigentlich war es kein schwerer Entschluss. Sie waren noch nicht fertig mit Netlight. Sie hatten zu einem Marathon angesetzt, nicht zu einem Sprint. Es war nie die Absicht gewesen, alles aufzubauen und dann zu verkaufen. Keiner der Firmengründer wollte schnell Kohle machen und abhauen. Und sich mit einem anderen Unternehmen zusammenzuschließen, kam erst Recht nicht infrage, auch wenn es keinen Mangel an Interessenten gab. Eine der Firmen, die Interesse an Netlight zeigte, sagte »Okay, schade«, fusionierte stattdessen mit einem anderen Unternehmen und wuchs über Nacht auf hundert Personen. Da stand Netlight nun mit seinen zwanzig Mitarbeitern. Sie wollten sich aber auch keinen Börsenplatz durch den Kauf eines in Konkurs gegangenen börsennotierten Unternehmens ergattern, so wie es gewisse andere Konzerne taten. Als dann Das große IT-Unternehmen hereinspazierte und sagte: »Lasst uns einen Konzern bilden, ihr bekommt unsere Marke, und dann könnt ihr machen, was ihr wollt, ihr könnt ihr selbst sein«, stellte das eine reizvolle Versuchung für die Firmengründer dar. Doch es war eindeutig, dass Netlight und das andere Unternehmen sich auf unterschiedliche Weise entwickelten. Netlight wollte es auf seine eigene Art machen, keine Kompromisse eingehen. Deshalb lehnten sie das Angebot ab.

»Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen unser Unternehmen aufzubauen«, sagten sich Netlights Gründer.

Was dies konkret heißen sollte, wussten sie allerdings noch nicht. Aber sie fühlten, dass Netlight etwas Besonderes war, und eben nicht so wie andere Beratungsunternehmen. Vielleicht hatte das auch mit ihrem Alter zu tun. Als sie die Firma 1999 gründeten, waren sie zwischen 24 und 28 Jahre alt. In diesem Alter ist es nicht selbstverständlich ausgerechnet eine eigene Consulting-Firma ins Leben zu rufen. Um eine solche zu betreiben, braucht man Erfahrung. Aber es ist auch kein Zufall, dass Erfahrung eben gerade kein Merkmal disruptiver Unternehmen ist und auch nicht ihr Fundament bildet. Es ist kein Zufall, dass Konzerne wie Facebook oder Google von Studenten gegründet wurden.

Netlights Geschäft waren Dienstleistungen in Spitzenbereichen der Technologie, das heißt Tätigkeit in einem Bereich, in dem niemand Erfahrung hatte. 1999 war dies synonym mit dem mobilen Internet. In der Verlängerung ging es um das, was man heute Digitalisierung nennt, also neue Geschäftsmodelle mithilfe neuer Technologie zu entwickeln. Netlight sollte stets in den Spitzenbereichen bekannter Technologien arbeiten, nicht einfach nach dem Motto: »Wir machen dieses und nur dieses«. Netlights Umgebung tat sich schwer damit, dieses Konzept zu verstehen. Man betrachtete es als verrückt. Man könne doch kein kleines Consulting-Unternehmen sein und gleichzeitig in alle Richtungen arbeiten. Normal war, dass man sich eine bestimmte Branche und ein Fachgebiet aussuchte und es für sich beanspruchte. Allgemein üblich war – und ist es immer noch – in festen Einheiten zu denken anstatt in beweglichen. Die Gründer beschlossen, dass Netlight nicht im Alten feststecken, sondern mit der technologischen Entwicklung gehen solle. Das erste Interview gaben sie schließlich der Fakultätszeitschrift für Wirtschaftsingenieurswesen der Königlich Technischen Hochschule in Stockholm, iMage. Auch das kein Zufall. Denn dort, im Studiengang für Wirtschaftsingenieurswesen an der KTH, waren sich die meisten der Firmengründer zum ersten Mal begegnet während der Studieneinführungswoche, in den Studentenverbindungen und in den Computersälen. Im Interview mit iMage erörterte einer der Gründer das mobile Internet und sprach über die sich in aller Munde befindliche Technologie WAP, die seinerzeit Netlights größten Kompetenzbereich darstellte. Er behauptete, dass das einzig wirklich sichere sei, dass ihre Firma nicht ewig mit dieser Technologie arbeiten würde, denn Technologien seien nicht dazu da, um zu bleiben. Das sei jedoch Netlight. Als Fünfundzwanzigjährige ohne Erfahrung waren sie gezwungen, sich auf ihre Talente zu verlassen. Alles basierte auf einer Can-do-Mentalität. Sie sprachen davon, ins kalte Wasser zu springen, um etwas zu schaffen, was noch keiner vor ihnen getan hatte. Sie konnten anspruchsvolle Probleme lösen – und damit ein Geschäft machen. Das Credo »Erfahrung ist gut, aber nicht alles« gab ihnen Selbstvertrauen – und sie machten sich bekannt mit dem »Talentmanagement«, wie man es später nennen sollte. Sie lernten auch, wie wichtig es war, sich auf andere verlassen zu können, wie wichtig Vertrauen ist, wenn es um Rekrutierung und Ablieferung geht. Die »Leitphilosophie«, die das Unternehmen heute prägt, wuchs zwar erst langsam über längere Zeit heran, aber es gab von Anfang an immer ein Zusammengehörigkeitsgefühl bei Netlight. Das geschah aus reiner Notwendigkeit heraus – sie hätten es nie geschafft, Ergebnisse zu liefern, wenn sie sich nicht gegenseitig geholfen hätten. Dieser Gedanke wurde mit der Zeit immer wichtiger: Die Firma sollte für jedes Projekt ihr gesamtes Wissen einbringen können. Die Firmengründer sahen schnell ein, dass Kultur, und nicht Struktur, das Wichtigste war und das Teilen von Wissen eine Verhaltens- und Einstellungsfrage.

Die ersten Jahre waren in vielerlei Hinsicht lehrreich. In ihnen bekamen viele Gedanken und Ideen der Firmengründer eine Chance zu reifen, sich zu entwickeln und in der Praxis getestet zu werden. Eine dieser Ideen, die später konkretere Formen annehmen würde, war die einer klaren Karriereleiter. Von Anfang an waren Karriere und persönliche Entwicklung wichtige Faktoren gewesen und einer der Gründe, weshalb sie das Unternehmen überhaupt gegründet hatten. Aber auf lange Sicht war »der Sprung ins kalte Wasser« nicht ausreichend als Führungsprinzip. Denn das »kalte Wasser«, verändert sich im Laufe einer Karriere immer wieder. Deshalb führten sie ein Mentoringsystem und transparente Beraterstufen ein, um die persönliche Entwicklung der Mitarbeiter sicherzustellen und zu strukturieren. Die Gründer lernten ebenfalls, dass man Muskelkraft braucht, um Visionen in die Tat umzusetzen. Wirtschaftliche Unabhängigkeit ist Voraussetzung für eine Vertrauenskultur, in der sowohl neue Mitarbeiter als auch neue Kunden mit Bedacht ausgewählt werden können. Nur so können gesunde, langfristige Beziehungen wachsen, die auf gegenseitiger Lust beruhen.

Im Herbst 2008, am Wochenende nach dem Lehman-Brothers-Kollaps, fuhr die gesamte Firma nach Paris, um Madonna spielen zu sehen. Madonna war zu Netlights Patin erkoren worden wegen ihrer Fähigkeit sich immer zeitnah ihrer Umwelt anzupassen. Der Flug war bezahlt und die Entscheidung getroffen, dass sie fliegen würden. Also flogen sie auch: »Um den Konjunkturrückgang kümmern wir uns am Montag«. Das Unternehmen Netlight war mittlerweile etabliert. Es wurde bald zehn Jahre alt. Doch die Erinnerungen an die harten Jahre nach dem IT-Crash waren noch immer frisch im Gedächtnis. Die frühere Crash-Erfahrung brachte Sorgen mit sich, aber auch Kampfgeist. Netlight war mittlerweile ein anderes Unternehmen und die Konjunkturflaute sollte es beweisen: »Wir werden es schaffen. Egal ob es drei Jahre dauert oder fünf, es wird uns nicht so hart treffen wie beim letzten Mal ...«

Man entschied sich, zu sparen. An allem, außer an Personal. Denn diejenigen, die ihre Mitarbeiter kündigen, sind diejenigen, die nicht einsatzbereit sind, wenn sich das Blatt wieder wendet. Administratives wurde auf ein Minimum gekürzt. Nur eine Person sollte sich damit beschäftigen. Das war eine kompromisslose Haltung. Innerhalb des Unternehmens sprach man von »klar Schiff machen«, darüber »den Ballast über Bord zu werfen« und »Überflüssiges abzuschaffen«. Alle Verträge und Abos wurden gekündigt, Handyverträge, Obstkörbe, Blumenpflege, Mietverträge – alles. Das Schlimmste, was passieren konnte war, dass die Hochkonjunktur zurückkehrte und man neue Blumen kaufen musste. »Übergewicht soll nicht dafür verantwortlich sein, dass wir sinken«, lautete die Devise.

Im selben Jahr, in dem die Welt eine der größten Finanzkrisen überhaupt erlebte, fand auf dem Consulting-Markt ein Massensterben statt. Doch Netlight wuchs um zwanzig Prozent. Zu diesem Zeitpunkt war der Markt für die Rekrutierung der beste der Welt. Kein anderer stellte ein. Plötzlich war Netlight das coole Unternehmen. Die Obstkörbe kamen zurück. Netlights große Expansion wurde eingeleitet, und zwar nicht nur in Schweden, sondern auch international. Die Netlight-Kultur konnte sich unter anderem auf dem deutschen Arbeitsmarkt beweisen. Das Unternehmen fuhr neue Erfolge ein, wuchs schnell und wurde von der Zeitung Dagens Industri wiederholte Male als »Spitzenreiter« ausgezeichnet. Die Zeitung Veckans Affärer wählte Netlight zum »Superunternehmen«, da die Firma vier Jahre in Folge die an sie gestellten Ansprüche von Wachstum, Rentabilität und Kapitalerträgen erfüllte. Welches sollten die nächsten Schritte sein? Sollte die Firma noch schneller wachsen? Dieser Gedanke fühlte sich nicht sonderlich inspirierend an. All die Erfolge hatten ein Gefühl von Leere und Müdigkeit hinterlassen. Die Auszeichnungen waren ein Beweis für ihren Durchbruch – Netlight machte offensichtlich etwas richtig – aber das war nur Fassade nach außen. Das Interesse für das Unternehmen an sich war immer noch gering. Die Umwelt interessierte sich einfach nicht dafür. Vielleicht weil Netlight tief im Innersten weiterhin ein unsicheres Unternehmen war, ein trotziger Teenager in der Vorpubertät.

Jetzt wurde es aber erst recht spannend. Das Gefühl der Leere und Ausgezehrtheit leitete eine Transformation der Firma ein. Netlight fand immer mehr zu sich selbst – und plötzlich erwachte auch das Interesse der Umwelt für die Firma. Sie bekamen zwar weiterhin Preise, wurden jedoch jetzt auch für ihre Art der Geschäftsführung und ihr Engagement als attraktiver Arbeitgeber in Schweden und Europa anerkannt. Netlight entwickelte sich nun richtig, nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ. Das Unternehmen wuchs in vielerlei Hinsicht, sowohl was die Anzahl seiner Mitarbeiter anging, als auch an Bekanntheit. Persönliche Entwicklung bedeutet nun nicht mehr bloß einen Schritt auf der Karriereleiter, sondern es ging um eine eigene innere Reise. Internationalisierung war keine Frage des Kulturimperialismus, sondern der Bereicherung von Netlights eigener Kultur mit neuen Anregungen.

Dieses Buch handelt von dieser Reise. Es beschreibt, wie sich die Vorstellung von einem aus sich selbst heraus wachsenden Unternehmen und natürlicher Führungsformen langsam entwickelt und zu einer Philosophie zusammengefügt haben, mit der man ein Unternehmen erfolgreich führen kann.

Heute hat Netlight über tausend Mitarbeiter in ganz Europa. Die gängige Interpretation von »organischem Wachstum« – also eigene Geschäfte zu entwickeln anstatt Unternehmen aufzukaufen – hat die Firma längst hinter sich gelassen. Heute geht es ihr darum herauszufinden, wie weit man den Begriff »organisch« eigentlich ausdehnen kann.

Kann sämtliche Entwicklung von innen heraus geschehen?

Kapitel 1. Von innen nach außen wachsen

»Organisation?«, sagt sie. »Wir streben keine Organisation an. Was organisch ist, muss nicht organisiert werden. Sie bauen von außen, wir werden von innen erbaut. Sie bauen mit sich selbst als Steinen und stürzen von außen nach innen ein. Wir werden von innen erbaut wie Bäume, und es wachsen Brücken zwischen uns, die nicht aus toter Materie und totem Zwang bestehen. Von uns geht das Lebendige hinaus. In sie geht das Leblose hinein.«

Karin Boye, Kallocain

Karin Boye schildert in ihrem Roman Kallocain von 1940 eine Gesellschaft, die von einem Weltstaat gesteuert wird, und in der Bürger kontrolliert und in Zellen organisiert werden. Die Mitbürger sind Zahnräder in einer Maschine, leicht zu leiten, leicht zu überwachen und leicht auszutauschen. Das Buch besteht aus dem Tagebuch der Hauptperson Leo Kall. Er ist Chemiker und hat die Droge Kallocain entwickelt, eine Art Wahrheitsserum, das die staatsfeindlichen Gedanken der Menschen enthüllen soll. Aber Leo beginnt die Souveränität des Staates infrage zu stellen und entwickelt schrittweise die Sehnsucht nach etwas anderem. Etwas, das jenseits von Überwachung und Kontrolle liegt. Großen Einfluss auf ihn hat ein Treffen mit einer Separatistin, die von einer Kraft spricht, die aus dem Inneren heraus wächst – so wie ein Baum.

Organisches Wachstum ist ein Schlagwort der Wirtschaft und bedeutet, aus eigener Kraft heraus zu wachsen anstatt durch Fusion oder Aufkauf.

Der amerikanische Autor und Managementguru Jim Collins, der unter anderem die Klassiker Der Weg zu den Besten und Immer erfolgreich geschrieben hat, hat ein ums andere Mal bewiesen, dass die Unternehmen, die langfristig erfolgreich waren, auch diejenigen waren, die organisch gewachsen sind. Scania und 3M sind nur zwei berühmte Beispiele, aber es gibt noch viele mehr. Eine systematische organische Entwicklung schafft keine schnellen Gewinne oder protzige Headlines, aber sie minimiert das Risiko negativer Überraschungen und verhindert Blasen, die unerwartet platzen können.

Trotz allem klingt diese Erklärung recht generisch. Wenden wir den Begriff »organisch« in anderen Zusammenhängen an, ist Organisation