Hass oder Verzweiflung - Manuela Kusterer - E-Book

Hass oder Verzweiflung E-Book

Manuela Kusterer

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Beschreibung

Ist es Hass, Verzweiflung oder beides? Ein Mann wird im Nordschwarzwald tot in seinem Auto aufgefunden. Dass es Mord war, steht schnell fest. Das Schömberger Polizeiteam nimmt die Ermittlungen auf. Da bleibt keine Zeit mehr, sich in Ruhe an die neue, hübsche Kollegin zu gewöhnen. Als kurz danach eine Frau auf die gleiche Art und Weise ermordet aufgefunden wird, verbreitet sich die Angst, dass der Täter noch einmal zuschlagen könnte. Wird das Team weitere Morde verhindern können? Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt.

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Manuela Kusterer, in Pforzheim geboren, Jahrgang 1964, lebt heute mit ihrem Mann und ihren zwei erwachsenen Söhnen in der Nähe von Karlsruhe. Ihre Krimis spielen in Schömberg, an der Pforte zum Schwarzwald und Umgebung.

Besuchen Sie die Autorin im Internet

www.manuelakusterer.com

oder in Facebook:

@AutorinManuelaKusterer

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden und toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

Buch

Ein Mann wird im Nordschwarzwald tot in seinem Auto aufgefunden. Dass es Mord war, steht schnell fest. Das Schömberger Polizeiteam nimmt die Ermittlungen auf. Da bleibt keine Zeit mehr, sich in Ruhe an die neue, hübsche Kollegin Luisa Rau zu gewöhnen. Vor allem Hauptkommissar Alexander Wandhoff hat so seine Probleme mit der etwas gewöhnungsbedürftigen Art der Oberkommissarin. Als kurze Zeit später eine Frau auf die gleiche Art und Weise ermordet aufgefunden wird, gibt Inspektionsleiter Rudolf Engel seinen Kollegen deutlich zu verstehen, dass jetzt keine Zeit für sinnlose Diskussionen sei. Die Angst geht um, dass es noch weitere Morde geben könnte. Wird das Team einen dritten Mord verhindern können?

Dieses Buch widme ich meinen Söhnen

Marvin und Nico

Inhaltsverzeichnis

5. Oktober 2005

12 Jahre später

7. Oktober 2005

September 2017

Epilog

5. Oktober 2005

Julia saß in die Ecke gekauert auf dem zerfetzten, von Motten zerfressenen alten Sofa, das rechts in dem kalten Kellerraum stand. Sie hatte sich in eine Decke eingehüllt und zitterte vor Angst, aber ihr Plan stand fest. Ihre Hand umklammerte die Gabel, die sie vom Mittagessen zurückbehalten hatte. Zur Tarnung diente ein Sofakissen. Da hörte sie auch schon, wie die schwere Kellertür aufgeschlossen wurde und der fette Mistkerl, wie sie ihn nannte, hereintrat. So wie es aussah, hatte er ihr Abendessen in der Hand. »Ich hoffe, wir haben ordentlich Hunger«, sagte er nun. Julia antwortete wie immer nichts. Der Mistkerl setzte das Tablet neben ihrem Sofa auf einer umgedrehten Kiste ab, wandte sich an seine Gefangene, beugte sich nach vorne und meinte: »Na, hast du dir mal überlegt, ob du ein bisschen Spaß mit mir haben möchtest?«

Zu seinem Erstaunen antwortete sie: »Warum eigentlich nicht?«

Vollkommen verblüfft setzte er sich neben sie auf das Sofa und schaute die junge Frau lüstern an. Er konnte sein Glück kaum fassen. Julia beugte sich zu ihm, legte ihren linken Arm um seinen Hals und stach blitzschnell mit der anderen Hand, in der sie die Gabel hielt, in Richtung seines Gesichts.

Wo sie ihn getroffen hatte, wusste Julia nicht, aber er heulte auf wie ein verletztes Tier. Diese Gelegenheit nutzte sie, sprang mit einem Satz auf, rannte aus dem Kellerraum, knallte die Tür zu und drehte den Schlüssel im Schloss herum. Dann lief sie keuchend die Treppe nach oben und betete, dass die obere Tür nicht abgeschlossen war. Da sie einige Wochen da unten verbracht hatte - sie hatte aufgehört die Tage zu zählen -, fehlte es ihr an Kondition. Schließlich war sie oben angekommen, stellte erleichtert fest, dass sich die Tür öffnen ließ, riss sie auf, trat in die Diele und erstarrte. Da stand „die Frau“ und starrte Julia mit weit aufgerissenen Augen an. Fieberhaft überlegte sie, was sie tun sollte, versuchen die Frau niederzuschlagen oder einfach davonrennen. Julia entschied sich für die Flucht, rannte zur Eingangstür, drückte den Türgriff nach unten und atmete auf, denn zum Glück war auch hier nicht abgeschlossen. Sie rannte um ihr Leben und drehte sich nicht mehr um, hatte aber auch nicht das Gefühl, verfolgt zu werden.

Gerlinde und Ralf Sommer saßen am Esstisch. Sie hatten gerade zu Abend gegessen, genaugenommen, sie hatten versucht etwas zu essen. Seit ihre Tochter vor vier Wochen verschwunden war, konnten sie kaum einen Bissen herunterbekommen. Schweigend saßen sie sich gegenüber, bis sie durch das Klingeln an der Haustür aus ihren Gedanken gerissen wurden. Fragend schauten sich die beiden an. Eigentlich erwarteten sie niemanden. Schließlich erhob sich Ralf und ging langsam zur Tür, öffnete sie und traute seinen Augen nicht. Da stand Julia, vollkommen durchnässt, weil es in Strömen regnete und sie durch ganz Schömberg gerannt war. Sie war ein Schatten ihrer selbst. Nach der ersten Freude breitete sich das Entsetzen in Ralf aus, weil seine Tochter fix und fertig aussah. Er stieß einen Schrei aus, machte einen Schritt auf Julia zu, zog sie ins Haus, schloss sie in seine Arme und ließ den Tränen freien Lauf. Inzwischen war auch Gerlinde in der Diele angekommen, schlug ihre Hand vor den Mund und schaute fassungslos auf das Bild, das sich ihr bot. Das Ehepaar hatte immer weniger Hoffnung gehabt, ihre Tochter noch einmal lebend zu sehen. Die Polizeibeamten hatten gemeint, da Julia schon 18 Jahre alt sei, könne es auch sein, dass sie sich einfach mal eine Auszeit genommen habe und ob es Schwierigkeiten in ihrem Elternhaus gäbe. Es wurde nichts unternommen, um sie zu finden, da nichts auf ein Verbrechen hindeutete.

Nun stürzte Gerlinde auf ihren Mann und ihre Tochter zu und umarmte beide, ohne ein Wort zu sagen. So standen sie zu dritt eine ganze Weile bewegungslos da und hielten sich ganz fest. Nachdem sich alle etwas beruhigt hatten und im Wohnzimmer saßen, begann Julia schluchzend zu erzählen, dass sie in einem Keller eingesperrt gewesen war und wie es dazu kam. Nachdem sie genau erklärt hatte, um welches Haus es sich handelte, sprang ihr Vater auf und rief laut: »Ich bringe diesen Kerl um.«

Entsetzt mischte sich Gerlinde ein und meinte: »Um Himmels willen. Lass das! Ich rufe sofort die Polizei.«

Nun bettelte Julia hysterisch: »Nein, nein, auf keinen Fall, dann weiß es die ganze Welt. Ich möchte das nicht!«

»Lass uns das später in Ruhe überlegen. Jetzt bin ich erst einmal froh, dass unsere Tochter wieder hier ist«, mischte sich Ralf ein.

12 Jahre später

Hanna wandte ihrem Mann den Rücken zu und räumte das Geschirr vom Abendessen in die Spülmaschine. Harald saß noch an der Tischgruppe im angrenzenden Essbereich, erhob sich nun aber und sagte beim Hinausgehen: »Ich mache mich dann mal fertig fürs Klassentreffen.« Er stieg die Treppe nach oben, wo sich der Kleiderschrank im Schlafzimmer befand.

Hanna murmelte ohne sich umzudrehen nur ein „ja“ vor sich hin und hätte Harald ihr Gesicht gesehen, wäre er nicht so locker und entspannt nach oben gegangen. Hanna wusste genau, dass ihr Mann nicht nach Karlsruhe zum Klassentreffen gehen würde, wie er es behauptet hatte, aber sie machte gute Miene zum bösen Spiel. Es war ihr inzwischen eigentlich auch gleichgültig, was ihr Mann so trieb. Damals war irgendetwas in ihr kaputtgegangen. Sie konnte noch nicht einmal sagen, dass sie ihn hasste, aber er war ihr schlichtweg gleichgültig. Ja, eine Zeit lang hatte sie ihn gehasst für das, was er getan hatte, aber sie konnte nicht die Kraft aufbringen, ihn zu verlassen.

Früher liebte sie ihn auch noch oder besser gesagt, sie war ihm hörig gewesen.

Harald schlenderte gut gelaunt zu seinem Auto. Er konnte sein Glück kaum fassen. Natürlich war das mit dem Klassentreffen nur vorgeschoben, aber seine Frau würde nicht auf die Idee kommen, ihm nachzuspionieren. Dazu war sie viel zu einfältig. Er hatte nie damit gerechnet, dass Barbara sich mit ihm verabreden würde. Damals vor 20 Jahren, da war sie wirklich rattenscharf gewesen, hatte aber für ihn keinen einzigen Blick übriggehabt. Er musste sich damals für ihre Freundin Dagmar entscheiden, mit der er leichtes Spiel hatte. Letzte Woche hatte Harald, als er in Pforzheim unterwegs gewesen war, um in der Stadt einige Sachen zu besorgen, durch Zufall Barbara getroffen. Er war selbst erstaunt, wie sehr sie sich freute, ihn zu sehen und sie hatten sich sogleich für heute Abend verabredet. Barbara wohnte inzwischen in Büchenbronn. Er würde sie jetzt abholen und vielleicht würden sie ins Hotel gehen. Wie auch immer, er würde es auf sich zukommen lassen.

An dem Haus angekommen, in dem seine Jugendfreundin - eigentlich war es ja eher die Freundin seiner Frau - eine Eigentumswohnung besaß, sprang Harald mit Elan aus dem Auto. Nicht immer war er so fit. Er wollte sich das natürlich nicht eingestehen, dass auch er älter wurde. Als er gerade geklingelt hatte, riss Barbara schon die Tür auf und kam im strahlend entgegen. »Hallo Harald«, sagte sie und sah dabei wieder umwerfend aus, sexy angezogen mit einem kurzen Rock und einem engen Oberteil. Da die Jacke geöffnet war, hatte er einen tiefen Einblick in ihr Dekolleté. Sie umarmte ihn und gab ihm rechts und links ein Küsschen. Er drückte sie an sich, aber sie befreite sich sanft und meinte: »Was machen wir zwei Hübschen denn heute Abend?«

Harald antwortete: »Ich wüsste da schon was.« Aber Babs, wie er sie schon immer nannte, erwiderte: »Lass uns doch einen romantischen Spaziergang im Mausbachtal machen, wo wir früher auch immer waren.

Lüstern schaute er sie an und sagte mit heiserer Stimme: »Das, finde ich, ist eine sehr gute Idee.«

Am Waldrand angekommen, überlegte sich Harald, weiter in den Wald hineinzufahren und fuhr über die kleine Mausbachbrücke, um dann sein Auto links zwischen den Bäumen abzustellen. Mit glänzenden Augen drehte er sich zum Beifahrersitz, legte Barbara die rechte Hand an den Nacken, um gleichzeitig mit der anderen Hand nach ihrer Brust zu grapschen. Er konnte sich kaum beherrschen und bemerkte, dass sein Glied schon ganz steif war.

»Halt, mein Lieber«, protestierte diese. »Ein bisschen romantischer bitte! Lass uns doch ein paar Schritte laufen. Das kann doch hier im dunklen Wald sehr aufregend sein.«

»Hast du denn überhaupt keine Angst vor dem Mausbechpudel?«, gab Harald zu bedenken, der auf etwas ganz anderes Lust hatte, als auf einen romantischen Abendspaziergang.

»Haha, du glaubst doch nicht etwa an die Sage, dass der Burgherr Erkinger, als er sich vom Turm der Burg Liebenzell gestürzt hat, in die furchterregende Gestalt eines Mausbechpudels verwandelt wurde und hier sein Unwesen treibt? Bist du etwa abergläubisch?«

»Naja, er wurde öfters gesehen. Sein Fell war rabenschwarz, sein Schweif peitschte durch die Luft und die feurigen Augen waren so groß wie Wagenräder.«

Barbaras Gesicht nahm nun doch einen ängstlichen, unsicheren Ausdruck an. Sie schluckte und meinte: »Papperlapapp, außerdem heißt es, dass er nur zwischen Mitternacht und 1 Uhr morgens umhergeht.« Entschlossen stieg sie aus dem Auto und Harald folgte ihr widerwillig

Es war stockdunkel. Man konnte die Hand vor den Augen nicht sehen, deshalb erwiderte ihr Begleiter missmutig: »Man sieht doch überhaupt nichts. Wie willst du denn da spazieren gehen?«

»Nun, ich habe an alles gedacht.« Barbara holte eine Taschenlampe aus ihrer Handtasche.

»Also gut«, erklärte Harald sich schließlich einverstanden. Er hätte sich jetzt auch mit Gewalt holen können, was er wollte, aber schließlich ging es ja in diesem Falle auch anders und außerdem mochte er Barbara. Also stiegen sie aus dem Auto und gingen eng umschlungen, den Waldweg mit der Taschenlampe beleuchtend, kichernd weiter in den Wald hinein.

Das Polizeiteam saß vollständig versammelt im Besprechungszimmer des Schömberger Polizeireviers. Die Stimmung war etwas bedrückt, da Lea - die Kriminalinspektionsleiterin gewesen war - ihre Stelle nach der Babypause nicht mehr angetreten und Katja Augenstein ebenfalls das Revier gewechselt hatte. Es war also eine vollkommen neue Situation entstanden. Als Ersatz für Katja war Luisa Rau zu dem Team gestoßen. Da diese etwas unnahbar wirkte, hatten Alex und selbst Rudi - der normalerweise ziemlich offen war - einige Probleme, mit ihr warm zu werden. Aber was konnte man schon nach nur 14 Tagen erwarten.

Die Kollegin war bildhübsch, mit ihren glatten, halblangen dunklen Haaren, ihrem ebenmäßigen schmalen Gesicht und ihrer guten Figur. Normalerweise genau der Typ Frau, auf den Alex, wenn er nicht glücklich mit Lea liiert gewesen wäre, voll abgefahren wäre. Er fühlte sich sehr unbehaglich, weil er Luisa überhaupt nicht einschätzen konnte und auch an nichts anderem Interesse hatte, als an einer guten Zusammenarbeit. Es irritierte Alex, wie sie ihn immer anschaute. Er wurde nicht schlau aus ihr und schätzte sie außerdem als ein bisschen oberflächlich ein. Das lag aber vielleicht daran, dass er bisher hübschen Frauen nicht allzu viel zugetraut hatte. Dieses Vorurteil hatte sich erst in letzter Zeit geändert, nachdem er nach einigen Anfangsschwierigkeiten mit Lea als Vorgesetzte, nun sogar zusammen mit ihr ein Kind hatte und sehr glücklich war. Außerdem hatte Alex sich in letzter Zeit sehr zum Positiven verändert.

Auch Rudolf Engel war mit seiner Situation sehr zufrieden. Seine Freundin Katja Augenstein - die zuvor auch Teil des Teams gewesen war - hatte sich in die Kriminalprävention versetzen lassen, weil sie für die Mordkommission zu zart besaitet war. Er war über diese Entscheidung sehr glücklich, konnte er sich doch so besser auf die Arbeit konzentrieren. Außerdem hatten sie sich nun abends immer viel zu erzählen. Rudi liebte seine Katja über alles. Es dauerte eine ganze Weile, bis es endlich auch bei ihr gefunkt hatte. Seitdem fühlte er sich wie der glücklichste Mensch auf Erden. Nur deshalb war er auf die Idee gekommen, sich auf die Stelle des Inspektionsleiters für dieses Revier zu bewerben, denn nun musste er an die Zukunft denken. Schließlich wollten Katja und er auch Kinder haben.

Dadurch gab es allerdings einige Risse in der bisher sehr guten, freundschaftlichen Beziehung zwischen ihm und seinem Kollegen Alex.

Für diesen war sonnenklar gewesen, dass er, nachdem er schon damals den Posten haben wollte und ihm seine jetzige Lebensgefährtin Lea Sonntag von Kriminaldirektor Karl-Heinz Rauschmayer vor die Nase gesetzt worden war, spätestens nun diese Stelle bekommen würde.

Lea hatte sich nach Pforzheim versetzen lassen, um bei einer 50%- Stelle mehr Zeit für ihre gemeinsame einjährige Tochter zu haben. Alex hatte damit gerechnet, diese leitende Position zu bekommen. Es war für ihn wie ein Schlag ins Gesicht gewesen, als Herr Rauschmayer sich für seinen Kollegen Rudi entschieden hatte.

Deshalb war nun das bis dahin freundschaftliche Verhältnis der beiden Kollegen etwas angeschlagen.

Luisa äußerte sich nun: »Viel zu tun haben wir hier in diesem Kurort aber nicht. Kaum zu glauben, dass es letztes Jahr drei Ermordete gegeben hat. Seit ich hier bin, langweile ich mich nur.« Provozierend schaute sie dabei Alex an, wusste sie doch, wie sehr ihn ihre Worte ärgerten. Es hatte den Anschein, dass er sich persönlich betroffen fühlte.

In diesem Moment klingelte das Telefon. Rudi nahm das Gespräch entgegen und sah danach seine Kollegen irritiert an. Er war normalerweise nicht so schnell aus der Ruhe zu bringen, aber nun schaute er doch etwas fassungslos drein und sagte: »Das darf doch nicht wahr sein. Wir kommen sofort!« Nachdem Rudi aufgelegt hatte, meinte er an seine Kollegen gewandt: »Wir müssen sofort nach Oberlengenhardt zum Mausbachtal. Dort wurde ein Mann tot in seinem Auto aufgefunden.«

Ungläubig schaute Alex Rudi an und Luisa blieb regelrecht der Mund offenstehen. Nachdem die beiden begriffen hatten, dass ihr Kollege keine Witze machte, griffen sie nach ihren Jacken und wollten davonstürmen, als Rudi sagte: »Halt! Ich werde Luisa begleiten und du Alex bleibst bitte hier.«

Wütend schaute dieser seinen Chef an, sagte aber nichts und setzte sich missmutig wieder hin.

Während des Hinausgehens informierten sie Saskia. Die Sekretärin saß an ihrem Arbeitsplatz, gleich vorne neben der Eingangstür im Empfangsbereich.

Als Rudi und Luisa am Tatort ankamen, hatte die Schutzpolizei schon alles mit Trassierbändern abgesperrt. Rudi, der näher an das geparkte Fahrzeug herangetreten war, sah sich nun die Leiche genauer an. Der tote Mann, so um die 60, saß vollkommen aufrecht auf der Fahrerseite und wäre sein Hals nicht durch einen Kabelbinder zusammengeschnürt gewesen, hätte man nicht bemerkt, dass er tot ist.

Zeitgleich mit der Spurensicherung - die sie informiert hatten - erschien auch der Gerichtsmediziner Dr. Hans-Peter Balbach. »Der muss wohl geflogen sein«, stellte Rudi kopfschüttelnd fest, da Balbach in Karlsruhe wohnte und dort auch in der Gerichtsmedizin tätig war. Hans-Peter war brummig wie immer. Rudi gegenüber riss er sich noch zusammen, wäre jedoch Alex da gewesen, wäre es viel schlimmer, denn auf diesen war er sowieso nicht besonders gut zu sprechen. Er selbst war mit dessen Lebensgefährtin Lea ein paar Wochen zusammen gewesen und trauerte ihr immer noch nach. Da er nun nicht mehr auf ein Treffen mit Lea am Tatort hoffen konnte, weil diese sich nach Pforzheim hatte versetzen lassen, hatte er eigentlich nicht vorgehabt zu kommen, aber seine Kollegen waren alle beschäftigt. So musste Hans-Peter nun in den sauren Apfel beißen. Missmutig stiefelte er an Rudi vorbei und murmelte: »Bitte zurücktreten, damit ich meine Arbeit machen kann.« Rudi war wie immer die Ruhe selbst und schüttelte nur den Kopf, aber Luisa empörte sich: »Hat der nen Knall? Was bildet der sich eigentlich ein?«

Ihr Chef erwiderte achselzuckend: »Da musst du dich dran gewöhnen, der ist immer so.« Nach ungefähr zehn Minuten näherten sich die beiden erneut dem Toten in der Hoffnung, nun von dem Gerichtsmediziner etwas zu erfahren. Die Spusi war inzwischen im Einsatz und entdeckte auch einige Fußabdrücke. Spuren von Autoreifen waren allerdings außer vom Fahrzeug des Toten, keine zu finden.

Luisa fragte schnippisch: »Ist es jetzt genehm, können wir nun vielleicht etwas erfahren?« Hans-Peter hob den Kopf und schaute sie mit finsterer Miene an, als plötzlich eine Wandlung in ihm vorzugehen schien. Sein Gesichtsausdruck erhellte sich. Etwas freundlicher schaute er Luisa zum ersten Mal richtig an und meinte: »Ja, wer sind denn Sie?«

»Luisa Rau«, antwortete diese kurz angebunden.

»Und mit wem habe ich das Vergnügen?«

Hans-Peter, der neben dem Auto kniete, erhob sich, streifte seine Handschuhe ab, reichte Luisa die Hand und sagte: »Ich bin Hans-Peter Balbach, der Gerichtsmediziner. Freut mich, Sie kennenzulernen.«

Rudi kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, so etwas hatte er noch gar nie bei Balbach erlebt. Zuckersüß und überfreundlich berichtete der Gerichtsmediziner nun: »Also, der Tote wurde, so wie es aussieht, von hinten mit einem Kabelbinder stranguliert. Fest steht, dass der Mann durch Ersticken - das sieht man an den Einblutungen in den Augen - zu Tode gekommen ist. Der Tod ist wahrscheinlich zwischen 22 Uhr gestern Abend und ungefähr 2 Uhr heute Morgen eingetreten. Genaueres erfahren Sie dann nach der Obduktion.«

»Es weist nichts darauf hin, dass er sich gewehrt hat«, meinte Rudi nachdenklich. »Das ist seltsam. Da müsste sich ja hinter seinem Sitz schon jemand versteckt haben, bevor er hier geparkt hat. Das wiederum ist mehr als verwunderlich. Was wollte er denn überhaupt um diese Uhrzeit hier? Da war es doch schon stockdunkel«, sprach Rudi mehr zu sich selbst.

Balbach, der seinen Blick kaum von Luisa abwenden konnte, drehte sich nun zu ihm und meinte wieder in seinem gewohnt brummigen Tonfall: »Das herauszufinden ist nun wirklich nicht meine Aufgabe, sondern Ihre.«