HASSO Imperator auf Mallorca - Wolfgang Fabian - E-Book

HASSO Imperator auf Mallorca E-Book

Wolfgang Fabian

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Beschreibung

Als größter Autovermierter auf den Balearen und Millionär kürten ihn die deutschen Medien zum König von Mallorca. Doch sein fragwürdiger Charakter - hauptsächlich geprägt von seinen Erlebnissen von Kindheit an bis zu seinem einundzwanzigsten Lebensjahr (siehe Band 1) - , sein Ruf allgemein (bei Frauen speziell) sowie sein Wirken im Bereich seines Imperiums waren alles andere als königlich. Die deutsche Wochenzeitung auf Mallorca schrieb u.a. über ihn: Schützendorf war einer der schillerndsten und exzentrischsten Persönlichkeiten, die jemals auf Mallorca lebten.

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Seitenzahl: 238

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Foto: Mallorca Magazin

Wolfgang Fabian wurde am 19.11.1937 in Alfeld/Nds. geboren. Bis zu seiner vorzeitigen Pensionierung war er in einem Versicherungskonzern leitend tätig; ausgleichend dazu nahm er literarische Engagements wahr. Er hospitierte zwei Mal für jeweils eine Woche bei Walter Kempowski. 1987 erhielt er den Literaturpreis des damaligen Deutschen Autoren-Verbandes e.V. (DAV). Bei den jährlichen Literaturwochen setzte ihn das Kulturamt Hannover als Moderator ein, der DAV gelegentlich als Dozent (Arten der Literatur). Berufliche und später gesundheitliche Gründe verhinderten eigenes literarisches Schaffen. Erst seit 2015 befasst er sich literarisch mit dem Dasein der Menschheit, betrachtet es auch gerne satirisch.

Mit seiner Frau lebte er in Alfeld, Hannover und auf Mallorca. Ihr Wohnort ist seit 2003 Bad Segeberg. Sie haben drei Kinder.

Foto: Hannoversche Allgemeine Zeitung

Hasso Schützendorf (1924-2003)im Alter von 70 Jahren

Band 2

George Sand 1839 in ihrem Buch

Ein Winter auf Mallorca:

„Mallorcas Natur in Worte zu kleiden, das ist bisher nur wenigen gelungen. Denn versucht man, die Großartigkeit und Schönheit dieser Insel darzustellen, erweist sich fast jeder literarische Ausdruck als armselig und ungenügend. Nur die malenden Künstler sind fähig, den Zauber der Insel wiederzugeben; für sie ist Mallorca einer der schönsten Flecken der Erde. Mallorca ist das grüne Helvetien, der Himmel Kalabriens, die Feierlichkeit und das Schweigen des Orients.“

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Eine wahrhaft treffende Aussage. Die Insel Mallorca ist ohne Zweifel paradiesisch – was die Natur betrifft.

Aber wie überall auf der Welt, dort, wo Menschen psychisch und materiell der Willkür Übergeordneter ausgesetzt sind, in allen Belangen abhängig, da sind paradiesische Verhältnisse nur für vom Leben Bevorzugte bestimmt.

An einem Sommerabend auf Mallorca.

Das Gespräch auf der Terrasse

Zwei alte Genießer

Am südwestlichen Rand der Llanura del Centro, der flachen Mitte der Insel, steht auf erhöhter Stelle ein kleines zweistöckiges, landestypisches Haus mit zwei ungleich versetzten Pultdächern und einem direkt über der Haus-Terrasse an beiden oberen Schlafzimmern angebrachten Balkon. Von der Terrasse aus geht der Blick weit hinein in die Region maroder, aber auch restaurierter Wasserschöpfmühlen, der Mandel- und Johannisbrotplantagen, Auberginen- und Paprikafelder, bis er zur Westküste hin auf teils eingeschnittene, mit krüppligen Kiefern und dichtem Mastixbewuchs bestandene Höhen trifft, die von hier aus die Sicht auf die Playa de Palma und die Vielzahl der Hotels verwehren.

Llanura del Centro, die Ebene in der Inselmitte

Der böige, warme Südwest hatte sich gelegt, wie seit vielen Tagen zu dieser Stunde, und der würzige Geruch von wildem Knoblauch und rotbrauner Erde erfüllte die samtweiche Luft.

Die vier himmelwärts strebenden Zypressen vor der Westseite der Terrasse, sich erholend nach lebhaftem Spiel mit dem Wind, warfen langsam länger werdende Schatten über die sandfarbenen Bodenkacheln. Im Salon ließ die Wanduhr hell und rein den siebten Schlag ausklingen. (Nach mallorquinischem Zeitbegriff war es immer noch Nachmittag.)

Die beiden in die Jahre gekommenen Herren, denen von der einheimischen Haushaltshilfe, zeitlich entsprechend deutscher Gepflogenheiten, das Abendessen serviert worden war, lehnten sich in ihren gepolsterten Sesseln behaglich zurück, schauten einander in die Augen und nickten sich einvernehmlich zu, wodurch sie ihre Zufriedenheit, was die Mahlzeit betraf, unterstrichen.

Am Abend zuvor hatte sich ihr Gespräch kurz um einen Mann auf Mallorca gedreht, das der eine der beiden, der jetzt das Wort führende Gastgeber, als abgehandelt glaubte. Wie die beiden Männer auf das Thema gekommen waren, schien keine Rolle mehr zu spielen. Für den Gastgeber war es ein Thema gewesen, das seinen Besucher vermutlich gar nicht so sehr interessiert hatte. Nun aber überraschte umso mehr dessen plötzliche Frage, ob er, der Hausherr, Weiteres von dem fragwürdigen Manne und dessen Vergangenheit zu berichten wisse. Und er wiederholte sich und fügte an:

»Anrüchig und ungewöhnlich ... Doch kann ich mir vorstellen, dass sich um solch einen absonderlichen Charakter eine Menge Geschichten ranken, deren Wahrheitsgehalt sicherlich nur jemand beurteilen kann, der eine lange Zeit ihm nahe stand, und zwar nicht nur an sonnigen Tagen. Sehe ich das richtig?«

Der Angesprochene atmete tief durch. »Da kann ich dir nur zustimmen. Hasso Schützendorf war eine so genannte Öffentliche Person. Als einer der schillerndsten Männer auf dieser Insel war er oft das Ziel von Medien aller Art. Er gab Dinge von sich, die alle Reporter höchst interessiert aufnahmen und verarbeiteten, Geschichten, die ihn in der Öffentlichkeit als Mann der Güte, der Hilfsbereitschaft, ja, als Heilsbringer darstellen sollten. Das gab natürlich jenen zu denken, die den Mann nicht nur überschlägig einzuschätzen wussten, allein schon aufgrund dessen, dass er als Erwachsener niemals eine dauerhafte Freundschaft eingegangen ist, ja eingehen konnte. Sein ausgesprochen dubioser Charakter ließ es gar nicht zu. Er sprach zwar oft von diesen und jenen Freunden in der Welt, doch länger als wenige Tage ‒ waren sie auf Besuch ‒ durften sie ihm nicht nahe sein; dann fielen sie ihm auf die Nerven, erst recht, wenn sie nicht für ihn arbeiten wollten. Dann mussten sie schnell verschwinden. Aber darauf kann ich später noch kommen. Sein Gefühlsleben beschränkte sich auf das Sexualleben und auf den täglichen Whisky der Marke Bells. Gefühlsmerkmale wie beispielsweise Mitleid, Liebe und Trauer waren ihm fremd. Geld und Macht, daran hing sein Herz … Was er wollte, kaufte er sich ‒ auch junge Frauen.«

Georg Steiner, der Hausherr, von dem diese Worte stammen, war ein hochgewachsener, kantiger Mann um die Siebzig, in dessen Antlitz sich die Alltagsjahre eingegraben hatten. Sein Haupthaar war noch von welliger Fülle und pfeffergrau. Der ehemalige Redakteur eines großen Zeitschriftenverlages in Hamburg war unmittelbar nach seiner Pensionierung mit seiner Ehefrau nach Mallorca übergesiedelt. Doch ihre Zufriedenheit in ländlicher Ruhe unter südlichem Klima erfuhr nach nur anderthalb Jahren eine schmerzliche Unterbrechung: Frau Steiner starb an einer zu spät erkannten Krebserkrankung. Dieses Ereignis lag mittlerweile vier Jahre zurück. Danach lebte der Witwer Georg Steiner überwiegend zurückgezogen, aber nicht informationslos. Und wollte er sich doch einmal unter Menschen bewegen, dann mischte er sich am Sonntagvormittag gerne unter die große Masse der Marktbesucher in Santa Maria und fuhr auch mal für einen halben Wochentag nach Palma. Seine erfreulichste Abwechslung aber bescherte ihn der jetzt mit am Tisch sitzende, gleichaltrige Dr. Ewald Storch, der mindestens zweimal jährlich von seinem Zuhause in Hamburg nach Mallorca reiste, um für drei oder vier Wochen bei seinem Freund zu wohnen. Dann wurde Steiners kleiner Opel mehr als sonst im Jahr warm gefahren. Die beiden alten Herren waren von Jugend an befreundet. Und wurde jedes Mal am Vorabend der Abreise Ewald Storchs eine letzte Flasche mit dem rubinroten Merlot entkorkt, dann konnte sich der ansonsten so gerne einsam lebende Georg Steiner einer wehmütigen Stimmung nur schwer erwehren. Aber auch dem Freund war die bevorstehende erneut einige Monate dauernde Trennung nicht einerlei, er redete dann schneller und lauter als gewöhnlich.

Der Hamburger Dr. Ewald Storch, Amtsgerichtsdirektor im Ruhestand und ebenfalls seit Längerem Witwer, war unwesentlich kleiner als der Freund, unterschied sich von ihm dadurch, indem er mehr Körpergewicht auf die Waage brachte und glatte, fast wächserne Gesichtszüge aufwies. Ein schlohweißer Haarkranz schmückte sein Haupt, und ungewöhnlich buschige, dunkelgraue Brauen beschatteten seine Augen.

Dr. Ewald Storch hatte unbeweglich und höchst aufmerksam seinem Freund zugehört. Nun richtete er sich im Oberkörper auf und versetzte erstaunt: »Etwas habe ich ja schon gestern Abend von dir gehört, nämlich von einer bestimmten Autovermietung. Jetzt hinterlässt du den Eindruck, als seist du recht kenntnisreich, was den ehemaligen Millionär Schützendorf betrifft. Nun ja, es war ja einmal dein Beruf«, und Storch lachte kurz auf, »hinter bekannten Persönlichkeiten her zu sein. Hast du noch immer die Feder hinterm Ohr?«

Georg Steiner lachte zurück. »Nein, nein, es ist Schluss mit dem Schreiben. Ich benutze nur noch mein Gehirn und lese nur noch. Doch nun kann ich dich ja auch sofort aufklären, da ich feststelle, dass dich das Thema Schützendorf, oder wie man es nennen soll, interessiert. Nun, kurz gesagt, die Person Hasso Schützendorf samt dessen Wesenszüge oder -merkmale vertraute mir der Autor, der dabei ist, Schützendorfs ganzes Leben und Wirken in einem Buch neu zu veröffentlichen, ziemlich ausführlich an. Ja, ich bemerkte sofort, dass er sich ausließ, um Wissen und Wahrheit einmal gründlich vorlegen zu können, dabei sich jemand Fremdes anzuvertrauen. Ich lernte ihn übrigens im Café Cappuccino in der Calle San Miguel in Palma kennen, eines meiner bevorzugten Cafés in der Stadt. Ja, du kennst es bereits. Aber weiter: Nachdem Autor und ich am Schluss übereinstimmten, dass es ein Vergnügen sei, miteinander zu plaudern, obwohl, das verhehle ich nicht, anfangs nur meine Neugier befriedigt werden wollte, so stehen wir auch heute noch in Verbindung. Kurzum, er erzählte mir von Schützendorf viele Male, ich empfand es, als las ich einen Fortsetzungsroman. Der Mann ist unwesentlich jünger als wir. Also, was dir ja nicht mehr neu ist, mein Lieber“, und Steiner stieß lächelnd den Zeigefinger in die Höhe: »dass neben dir ein ausgesprochener Kenner der High Society auf Mallorca sitzt«, und Steiner lachte weiter zu seinen Worten, »über einen dieser Gruppe weiß ich Bescheid, auch wenn ich den Betreffenden nicht persönlich kannte. Dennoch habe ich während meiner vielen Treffen mit dem Autor so viel erfahren, dass ich selbst ein kleines Buch erstellen könnte. Ich meine aber, es wird reichen, wenn ich dir berichte, was in meinem Hirn verankert ist«, und erneut lachend tippte er sich mit dem Finger an den Kopf, »was ich hier oben gespeichert habe und nicht aufschreiben musste oder noch muss. Nun, zum Inhalt des relevanten Buches, von dem ich sprach, ist zu sagen, dass der Autor den Abenteurer den Lesern sehr gemäßigt, ja vorteilhaft vorzustellen gedachte, wofür er einen triftigen Grund anführte: Er sei mit seinem Buchhelden, dem er mit seiner Arbeit tatsächlich ein Denkmal setzen wollte ‒ immerhin sei Schützendorf ein Star, ein bunter Vogel unter den europäischen Millionären gewesen ‒ , über viele Jahre hinaus freundschaftlich verbunden, mehr als zehn Jahre sogar. Aber dann habe sich sein Buch zu einem Wagnis gestaltet, das letztlich, pathetisch formuliert, des Autors Schicksal besiegelte.

Das Denkmal war noch nicht errichtet, da existierte es schon nicht mehr. Und warum? Bereits am nächsten Tag nach der Präsentation des Buches ‒ darauf komme ich später noch zurück ‒ beschwor der Geehrte plötzlich einen anhaltenden Skandal herauf, dessen Auswirkungen den Autor wie den Verlag völlig unvorbereitet vor den Kopf stießen und in arge Bedrängnis brachten, in voller Schärfe den Verlag. Schützendorf hatte mit seinem unverständlichen Verhalten jedoch nicht ahnen können, dass der von ihm verursachte Wirbel Dinge an die Oberfläche förderte, die ein Außenstehender kaum für möglich hält, nun aber, wenngleich nach langer Zeit, von dem Buchautor aufgegriffen worden sind; und dieses Mal, so sagte er mir, komme nichts als die Wahrheit ans Tageslicht. Das empfinde er als notwendig, da er sehr lange nicht darüber hinweg gekommen sei, dass ein langjähriger Freund sich plötzlich und völlig sinnlos als Feind verhielt; das lasse er nicht auf sich sich sitzen. Ich fragte ihn zu guter Letzt, ob er nicht fürchte, den Eindruck einer späten Rache zu hinterlassen. Seine Antwort war, das müsse er den Leserinnen und Lesern überlassen, ihn ginge es nur um die Wahrheit.

Nun, Ewald, ist das Buch fertig, dann wirst du es auch bald in den Händen halten. Der Autor meinte weiter, im Grunde froh zu sein, dass seine Lobgesänge auf Schützendorf abrupt stumm gemacht worden seien. Nein, als Lüge könne man sie nicht bezeichnen, denn Lobhudelei sei auch oftmals eine Abwandlung der Wahrheit. Nun aber empfinde er eine gewisse Genugtuung, Wahrheiten zu bearbeiten und nicht mehr an eine Vergoldung eines Denkmals denken zu müssen. Und was er zu Papier bringe, darüber hätten sich jahrelang die Medien in Europa kaum befasst, immer nur das, was ihnen Schützendorf aufgetischt hatte; ja, jetzt fasse er alles Wahre kontinuierlich zusammen.

Nun ja, mein Lieber, mich interessierte natürlich alles, was der Autor in all den Jahren in der Nähe des angeblich wahren Freundes erfahren und erlebt hatte. Sein Buch der Lobgesänge ist aber in keiner Buchhandlung gelandet, nirgendwo. Es sind nur die nach dem Erstdruck dem Autor überlassenen Freiexemplare vorhanden gewesen, von denen er mich mit einem beglückte. Nun bin ich gespannt auf die wahrhaftig biografische Erzählung, und auch du wirst neugierig sein. Weißt du, über Schützendorf ist kilometerlang geschrieben, auch gefilmt worden, aber keine Biografie von dessen Herkunft an. An sich könnte man die ganze Sache für unwichtig ansehen, sie ist es für viele sicherlich auch. Die Sache ist Unterhaltung, denn immerhin, ich erwähnte es bereits, war Hasso Schützendorf auf Mallorca und in einigen EU-Ländern nicht irgendwer. Im Übrigen werden wir Schützendorfs Biografie vor seinem Wirken hier auf der Insel und anderswo erfahren, in kurzen, bündigen Schritten, aber schnörkellos. Jedenfalls so die Ankündigung des Autors.«

Nach dieser langen Aussage beugte sich der Erzähler vor, umfasste die Handgelenke seines Gegenübers und setzte hinzu:

»Ich nahm an, dir reiche das gestern Gehörte. Aber da ich nun schon auf deine Vermutung hin weiteres Wissen signalisierte und schon etwas von mir gab, werde ich es dir gerne vermitteln, sobald wir es uns auf der Terrasse gemütlich gemacht haben.« Die beiden Männer standen auf und schickten sich an, den Salon zu verlassen; doch Steiner hielt plötzlich inne. Er wandte sich zur Seite, richtete den Blick auf eine im Hintergrund des Raumes leicht offenstehende Tür und rief mit lauter Stimme:

»Marga! Margarita! Versteckst du dich?« Kaum war das letzte Wort verhallt, da trat ein rundliches Persönchen – es mochte um die vierzig Jahre alt sein –, mit tiefbraunen, fragenden Augen im lächelnden Gesicht, in den Raum.

»Marga, das Kaninchen war köstlich«, lobte Steiner die Frau in holprigem Spanisch, und Freund Storch nickte heftig dazu, ohne ein Wort verstanden zu haben. »Aber willst du nächstens nicht doch einmal mit uns zu Abend essen? Ich sehe es nicht gern, wenn du dich vor unserem Besuch wie eine Magd verhältst.«

Marga lachte hell und rief:

»Aber nein, Georg! Wie eine Magd? Das fällt mir ganz und gar nicht ein. Aber was hättet ihr davon, wenn ich an euren Gesprächen nicht teilnehmen kann? Außerdem weißt du, dass ich immer mit meinem Mann zu Abend esse, um neun oder später, also wenn es tatsächlich Abend geworden ist. Wir essen doch nicht zu Abend nachmittags um sieben Uhr!«

Steiner griff sich lachend an die Stirn, stieß Storch mit dem Zeigefinger gegen die Brust, und rief: »Jetzt bin ich schon ziemlich lange hier und habe immer noch nicht begriffen, dass es für die Einheimischen am Abend noch Nachmittag ist. Um was wir dich noch bitten möchten, liebe Marga«, säuselte Steiner, »stell uns bitte, bevor du nach Hause gehst, eine Flasche Merlot draußen auf den Tisch, du weißt schon, den von Santa Catarina. Unser Gast soll, solange er uns mit seiner Anwesenheit beglückt«, und er legte den Arm um Storchs Schultern, »die Sonnenuntergänge immer mit doppeltem Genuss betrachten. Aber das kennst du ja schon von seinem letzten Besuch.«

Er nahm seinen Arm wieder herunter, schaute Storch in die Augen und hob das Kinn, als sei nun Bedeutsames zu vermelden:

»Nach unserem heutigen Ausflug nach Inca und dem guten Abendessen bedürfen wir nun der Muße, wobei es schwerpunktmäßig darum geht, dich mit dem zu unterhalten, was du zu hören wünschst, und ich werde nichts verschweigen. O ja, ich konzentriere mich immer noch gern, in unserem Greisenalter eine notwendige Übung, nicht wahr?«, rief er ausgelassen, als sei ein hohes Alter eine sehr vergnügliche Sache.

Arm in Arm schlenderten sie nun durch die weit offen stehenden Flügeltüren hinaus auf die im Verhältnis zu den Ausmaßen des Hauses beeindruckende, etwa anderthalb Meter sich über dem schlichten Gartengrundstück erhebende Terrasse. Eiserne, ansprechend geschmiedete und weiß lackierte Eisengitter vor den Flügeltüren und allen Fenstern boten Schutz, aber auch einen ansprechenden, ja eleganten Anblick. Der Hausherr hatte zusätzlich motorgetriebene Rollläden anbringen lassen. Die beiden Freunde traten an die steinerne weiße Balustrade, der breite Handlauf auf stämmigen Rundsäulen ruhend, die der Anlage insgesamt einen Hauch von herrschaftlicher Größe verlieh. Zwei runde wuchtige Eckpfeiler trugen den vorderen Teil des Balkons, der die Grundmaße der Terrasse aufwies und mittels einer elektrisch gesteuerten Marquise überspannt werden konnte. Die Möbel oben wie unten darauf und die beiden abstehenden schmiedeeisernen Lampen an der Hauswand der unteren Terrasse waren nicht nur vor heißer Sonneneinstrahlung geschützt, sondern auch vor gelegentlichen Unbilden des Wetters. In den beiden Außenecken der mit sandfarbenen Bodenkacheln belegten Terrasse blühte jeweils in einem schweren braunen Kübel der Jasmin.

Die Hände auf dem Handlauf gestützt, ließen die beiden Freunde schweigend das Panorama Revue passieren, bis hinter ihnen Margas Wirken ihre Sekunden der Muße unterbrach. Sie richteten sich auf, wandten sich der Mallorquinerin zu und verabschiedeten sie mit herzlichen Worten. Dann begaben sie sich an den schweren runden Rattantisch mit der halbfingerdicken Glasplatte, wo jeder seinen Sessel zurechtrückte und sich in ihn fallen ließ. Auf dem Tisch warteten indes der dunkelrote Merlot und die zu ihm passenden Gläser.

Nach kurzer Betrachtung über mallorquinische Kochkünste kam Ewald Storch sogleich auf den Mann zurück, über den er etwas mehr zu erfahren hoffte.

»Du sagtest schon gestern Abend«, erinnerte er sich, »dieser von den Medien zum König von Mallorca erkorene Hasso Schützendorf lebte und residierte über vierzig Jahre lang hier auf der Insel. Gesetzestreu und redlich wohl kaum, denke ich. Immerhin ist er bis Mitte seiner dreißig, falls ich das noch richtig im Kopf habe, ein recht aktiver Berufsschieber gewesen. Und wie du sagtest, galt er sogar als der schlimmste Wirtschaftsverbrecher in der DDR. Aber das alles erfahre ich sicherlich noch aus dem zu erwartenden Buch deines Autors. Und nun möchte ich nachhaken, weil du sozusagen als gut Informierter imstande bist, ein bisschen mehr auszusagen.« Storch neigte erwartungsfroh den Kopf zur Seite und grinste spitzbübisch, was seine Aufforderung, seine Bitte unterstreichen sollte, worauf Steiner die Brauen dermaßen hochzog, sodass seine Stirn augenblicklich die Struktur eines Waschbrettes annahm. Dazu bemerkte er in heiterer Stimmung:

»Nun kommt der Richter zum Vorschein. Nun gut, ich will aussagen!« Dann wiederholte er des Freundes Worte, nun in ernsterer Manier: »Gesetzestreu und redlich, lieber Ewald? Deine Frage zielt hin auf sein geschäftliches Verhalten, aber erschöpfend kann ich sie nicht beantworten, denn da hätte ich mich über Jahre hinweg in seiner Nähe aufhalten müssen. Das aber tat der Autor seines der Öffentlichkeit versagten ersten Buches. Ich sagte ja schon, dass es nie in den Handel kam. Auf das Warum, denn die wahren Gründe kennst du noch nicht, komme ich noch zurück. Doch nun weiter: Denke ich an Schützendorfs oft schäbigen Umgang mit vielen Angestellten seiner Firma, so war zumindest ein rechtliches Arbeitgebergebaren sehr infrage gestellt. Nein, was ich noch zu berichten weiß, ist Vermischtes und will es auch gar nicht trennen. Aber auf den Punkt gebracht: Hasso – bleiben wir einfach bei seinem Vornamen –, also Hasso war auf Mallorca nach seiner Schieberkarriere nicht von einem Saulus zu einem Paulus geworden, zu viel Verwerfliches ging von ihm aus. Er war nicht der, den er öffentlich gern in den Vordergrund rückte, nämlich ein gerechter und sehr großherziger Mensch zu sein. In Wahrheit führte er sich sehr oft boshaft, ungerecht und ichbezogen auf, ja verächtlich gegen jedermann. Noch bis rund zwei Jahre vor seinem Tod verschoss er – bedenke: ein sehr kranker Mann in den Siebzigern – seine Giftpfeile, auch von Andorra aus, wo er quasi über Nacht seinen Hauptwohnsitz angemeldet hatte. Er weilte aber nur selten dort und meldete sich natürlich in Palma nicht ab.«

Krankheit und Giftpfeile schienen Ewald Storch nicht zu berühren, stattdessen brachte er hervor:

»Andorra ...? – Er besaß hier zwei pompöse Villen und ein mächtiges Herrenhaus auf einem noch mächtigeren Grund und Boden; und die Villen, so sagtest du, stehen in exklusiver Gegend. Was also hatte er in Andorra verloren?«

»Eigentlich nichts«, entgegnete Steiner trocken. »Nun ja, vermutlich wollte er etwas hinbringen, Schwarzgeld. Und wer in Andorra wohnen will, muss, Monte Carlo lässt grüßen, etwas vorweisen, nämlich Geld. Verlauten lassen hatte Hasso gegenüber dem Autor, steuerliche Vorteile seien für ihn ausschlaggebend, Mallorca solle sich nicht mehr mit seinem Geld bereichern. Mit solchen und ähnlichen Äußerungen hielt er sich nie zurück. Aber die Sache mit Andorra, davon wusste zumindest anfangs nur der Autor. Ihn befragte Hasso sogar nach den Verhältnissen in Andorra und auch in Monte Carlo, was er, der Freund, von seinem eventuellen Vorhaben halte, welche Bedingungen zu erfüllen seien. Der Autor erkundigte sich. Hasso, mit seinen Millionen im Rücken, hatte nichts zu befürchten. Außerdem war er ein Meister in Sachen Bestechung. Er behauptete nicht gerade selten, dass jeder Mensch auf der Welt bestechlich sei, man müsse sich nur über die richtige Vorgehensweise im Klaren sein. Er jedenfalls sei sich im Klaren, in jeder Hinsicht. Du verstehst, Ewald? – Bestechung von Finanzbeamten, wenn es für ihn notwendig war. Auf Mallorca brachte er es bis zur Meisterschaft. Wie auch immer, Hassos junge Witwe wohnt seit Langem in Andorra. Die pompösen Villen hier waren als Kapitalanlagen gedacht, wurden aber auch vom Ehepaar Schützendorf wechselweise bewohnt. Was aus der mächtigen Residenz mit dem riesigen Grundstück in Son Sardina bei Palma geworden ist, darüber bin ich nicht informiert, ist auch völlig unwichtig für mich.«

Nach diesen Worten griff Steiner zur Flasche, hob sie unter seine Nase, prüfte schnüffelnd das Aroma des Weines, wenngleich er es von dieser Rebe hinreichend kannte, füllte dann, kopfnickend seine Zufriedenheit zum Ausdruck bringend, die Gläser und rief mit freudig gurrender Stimme dem erwartungsfroh zuschauenden Freunde zu:

»Und jetzt ran an den Roten! Er atmete lange genug!«

Nachdem der sogenannte Rote ihre Geschmacksnerven verwöhnt hatte, was mit einem leisen Schlürfen begleitet und anschließendem Lippenbelecken beendet worden war, sagte Storch:

»Du hast schon etliche Male den Autor des Buches, das es nicht gibt, erwähnt. Ich kenne ihn nicht, habe sogar seinen Namen nicht mehr im Kopf. Aber nun, da wir uns ohne ihn über Dinge unterhalten, die aus seinem Munde stammen, wüsste ich natürlich gern, wie er seine Ausbootung – ja, kann ich das so nennen? – verkraftet hat. Ist er von ihr erdrückt worden?«

»Ausbootung sagst du ... ja, das ist treffend. Natürlich ging sie nicht spurlos an ihm vorüber. Du wirst ihn gleich kennenlernen, besser, du wirst sein Verhältnis zu Hasso und teils auch dessen Umfeld kennenlernen und dir am Ende selbst ein Urteil bilden können oder alles nur langsam verrauchen lassen. Denn was ich dir jetzt unterbreite, hat mit dem Inhalt des zunichtegemachten Buches nicht viel überein. Du weißt ja längst, dass es im Grunde genommen der Autor Richard Randolf ist, der durch diese Geschichte führt.« Einen Augenblick schien Georg Steiner zu überlegen, lächelte seinem Freund zu und merkte dann an: »Randolf – jetzt hast du auch seinen Namen wieder. Er lebt in Norddeutschland und kommt sehr oft nach hier. Wir halten unsere Verbindung aber auch telefonisch aufrecht. Bleiben wir bei seinem Namen, denn immer nur vom Autor zu sprechen, ist anonym, ist unpersönlich.« Er hob das Kinn und setzte verschmitzt hinzu: »Also letztlich ist es eine von Randolf auf mich übertragene Geschichte, die zu erzählen du mich nötigst.«

Seine letzten Worte ließ Steiner in ein versöhnlich übermütig lautes Lachen übergehen, wodurch Storch angeregt wurde, mit einem ebenso herzlichen Lachen einzustimmen; und er gab dem Freund dann schnell zu verstehen:

»Nein, mein Lieber, ich nötige dich nicht. Solltest du dich aber widersetzen zu erzählen, dann könnte ich als Richter dich dazu verurteilen.« Nun lachten beide nochmals auf, bis Storch mit einer kurzen Handbewegung den Ernst der Lage wieder herstellte und sagte:

»Wie in aller Welt konnte dieser Randolf sich mit einem Manne freundschaftlich verbunden fühlen, und das langjährig, der durch ihn gewissermaßen Unsterblichkeit erlangen sollte und, wie mir klar zu sein scheint, dies auch wollte. Denn nichts schien diesen Hasso wichtiger zu sein, als seinen Status, sein Bild in der Öffentlichkeit ständig zu erweitern. Die Veröffentlichung des Buches verhinderte er. Doch kann es sein«, nun wurde er etwas lauter, »dass dieser ehemalige Schieber über Dinge hat schreiben lassen, die unter Umständen als Lügen erkennbar waren?«

»Nein, nein«, rief Steiner aus, »wenngleich nicht belegbare Begebenheiten fabuliert sein können. Nein, Randolf selbst hat nichts erfunden. Er hat von Hasso ausgegangene bedenkliche Ereignisse und Begebenheiten nicht beschönigt, hatte ihnen aber die Schärfe genommen. Beschönigt oder die Schärfe genommen: es kommt wohl aufs Gleiche hinaus. Er habe sich grundsätzlich dergestalt äußern wollen, und es ist ihm auch gelungen, Hasso einen verhältnismäßig positiven Charakter anzuhängen. Er habe sich, sagte er mir, immer nur eingeredet, in Hasso den Freund zu sehen, obwohl er nach langer Zeit innerhalb von wenigen Minuten erfahren musste, eher an das Gegenteil geraten zu sein. Er selbst sah sich immer außen vor, war überzeugt, niemals Hassos Unmut oder gar Zorn auf sich zu lenken, weil er dafür keine Anlässe bot. Hassos umfangreiche Schieberaktivitäten und überhaupt seine gefahrvollen Erlebnisse vor seiner Ankunft auf dieser Insel – er hat behandelt, was ihm erzählt worden ist, was er erforscht hatte, wie es eben gemacht wird, wenn eine biografische Sache niedergeschrieben werden soll. Ist eine angebliche biografische Erzählung aus der Luft gegriffen, dann ist es ein Märchen oder sonst was. Allerdings gab es für Randolf allerhand zu beschönigen. Realitäten geradezu umzudrehen, wäre also absurd gewesen. Aber nun, mein Ewald, will ich mit meiner Geschichte kontinuierlicher vorgehen, ich könnte mich sonst total verzetteln, vor allem in der zeitlichen Folge. Nun denn: Ich beginne mit dem Tage, an dem Randolf und Hasso sich kennenlernten. Ich möchte aber zunächst klarstellen, dass nicht alles, von dem ich hörte, in mir haften blieb; jedoch reicht es aus, sich Hasso als einen Menschen vorzustellen, dem Empfindungen fremd waren. Er war, krass formuliert, ein Seelenloser, kühl berechnend bei der Vorteilssuche auf jede nur erdenklichen Art. Ob es sich um sein Personal, um nahe oder ehemalige Familienmitglieder, Freunde oder Finanzbeamte handelte, er beherrschte sie nach Belieben. Er bestimmte, was Recht oder Unrecht war. Viele distanzierten sich von ihm nach einer relativ kurzen Zeit, was in ihm nur eines sofort auslöste: Gleichgültigkeit. Selbst jene, die er seine Freunde nannte, gaben, bis auf eine Ausnahme, den Umgang nach einer sehr kurzen Zeit mit ihm auf, warteten gar nicht erst, bis er sie hinauswarf.« Jetzt unterbrach Ewald Storch den Freund: »Eine Ausnahme? Nicht schwer zu erraten: sein Autor Randolf war die Ausnahme«, und Georg Steiner bestätigte: »Wo das nun geklärt ist, kann ich mit meiner Einführung auch zu Ende kommen. Ach Ewald, du weißt, dass ich vieles gerne auf einmal von mir geben will. Ich muss mich auch als alter Redakteur immer wieder selbst zurückrufen, natürlich, ohne es Fremden anmerken zu lassen. Du bist kein Fremder! Wenn ich für dein Empfinden zu ausschweifend werden sollte, dann halt mich sofort auf. Also: Hasso nutzte alles und jeden rigoros aus, sagte ich schon. Er legte jedoch eine unglaubliche Großzügigkeit an den Tag, wenn sich Medienvertreter ansagten und seinen krankhaften Drang nach Publizität befriedigten, höre, Ewald, nur Medienvertreter. Doch bei dieser Gelegenheit einmal anzusprechen: Tote, soweit sie nicht zu den Unholden zählten, soll man in Frieden ruhen lassen und ihnen nichts Schlechtes nachsagen. Hat Hasso seinen Frieden in der Ewigkeit gefunden, dann soll er ihn meinetwegen behalten. Außerdem: Tote ruhen nicht, sie sind tot und werden zu Erde oder Asche, nichts weiter. Mit deren Seele könnte das anders sein, niemand weiß es, auch nicht der Papst.«

Zu dieser Stunde senkte sich die Sonne dem Abend entgegen, durchflutete, bereits tief stehend, die Terrasse. Eine kurze, stille Pause lang nahmen die beiden alten Genießer die goldene Abendstimmung in sich auf; dann griffen sie zu und verwöhnten erneut Zunge und Gaumen, lehnten sich entspannt zurück, und Steiner begann vorzutragen, was in ihm stecken geblieben war.

Er setzte seiner Erzählung nochmals Allgemeines voran: Richard Randolf, begann er, sei ein Mann, der von sich sage – wie einsteigend in ein Bekenntnis, aber auch wie entschuldigend –, in seinem Leben schon einige Male auf fragwürdige Charaktere hereingefallen zu sein, obwohl er sie als solche durchaus erkannt habe. Schuld sei seine Aufgeschlossenheit gegenüber allem, was einmal sein Interesse geweckt habe, wobei es ihm schwerfalle, seine Geduld und Hartnäckigkeit abzulegen, wenn es beispielsweise gelte, eine Arbeit nicht nur zu beginnen, sondern auch abzuschließen. »Du erkennst, mein Lieber, dass er betonen wollte, auch über positiv zu wertende Eigenschaften zu verfügen, die oftmals gar nicht als positiv zu bewerten sind. Aber du weißt ja:

Manchem Menschen fällt es nicht leicht, einen für ihn noch recht Fremden erst einmal distanziert zu betrachten; er sieht zunächst