Hat China schon gewonnen? - Kishore Mahbubani - E-Book

Hat China schon gewonnen? E-Book

Kishore Mahbubani

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Beschreibung

Sie beobachten sich gegenseitig über den Pazifik hinweg mit Argusaugen und reden übereinander statt miteinander: Längst hat der entscheidende geopolitische Wettstreit des 21. Jahrhunderts zwischen China und den USA begonnen – beides Weltmächte ohne ernsthafte Rivalen. Kishore Mahbubani, renommierter und hervorragend vernetzter Diplomat und Gelehrter, analysiert die tiefen Verwerfungen in den Beziehungen zwischen Peking und Washington. Mit unverstelltem Blick erläutert er die Stärken, Schwächen, Fehler und Eigenheiten Chinas und der USA. In Zeiten schwelender Handelskriege und ständiger politischer Konflikte ist sein Buch ein unverzichtbarer Leitfaden für ein besseres Verständnis der beiden Supermächte – insbesondere des unaufhaltsamen Aufsteigers China.

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KISHORE MAHBUBANI

HAT CHINA SCHON GEWONNEN?

CHINAS AUFSTIEG ZUR NEUEN SUPERMACHT

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

HAS CHINA WON?: The Chinese Challenge to American Primacy

bei PublicAffairs, Hachette Book Group

ISBN 978-1-5417-6813-0

Copyright der Originalausgabe 2020:

Copyright © 2020 by Kishore Mahbubani.

Cover copyright © 2020 Hachette Book Group, Inc.

This edition published by arrangement with PublicAffairs, an imprint of Perseus Books,

LLC, a subsidiary of Hachette Book Group, Inc., New York, New York, USA.

All rights reserved.

Copyright der deutschen Ausgabe 2021:

© Börsenmedien AG, Kulmbach

Übersetzung: Matthias Schulz

Coverdesign: Pete Garceau

Satz: Manuel Schäfer

Herstellung: Timo Boethelt

Lektorat: Sebastian Politz

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-86470-773-5

eISBN 978-3-86470-774-2

Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Postfach 1449 • 95305 Kulmbach

Tel: +49 9221 9051-0 • Fax: +49 9221 9051-4444

E-Mail: [email protected]

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Inhalt

Vorwort

Kapitel 1:Einführung

Kapitel 2:Chinas größter strategischer Fehler

Kapitel 3:Amerikas größter strategischer Fehler

Kapitel 4:Ist China expansionistisch?

Kapitel 5:Ist Amerika fähig zu einer Wende?

Kapitel 6:Sollte China eine Demokratie werden?

Kapitel 7:Die Annahme von Tugend

Kapitel 8:Wie werden sich andere Länder entscheiden?

Kapitel 9:Ein paradoxes Fazit

Danksagung

Anhang:Der Mythos von der amerikanischen Einzigartigkeit

Endnoten

Meiner Schwiegermutter Adele –mit ihrer ganz eigenen Liebenswürdigkeitein Beispiel für amerikanische Großzügigkeit

VORWORT

Trump ist weg. Biden ist da. Und dennoch dauert Trumps unkluge China-Politik an und erfüllt leider eine Prognose, die dieses Buch auf der ersten Seite des Einführungskapitels aufstellt. Amerikas politische Landschaft ist zutiefst gespalten, aber es herrscht erstaunlicher Konsens darüber, dass es für Amerika an der Zeit ist, China entgegenzutreten. Doch es gibt keinerlei Einigkeit (oder wenigstens aufrichtig geführte Debatten) zu der Frage, welche Ziele Amerika durch eine derartige Konfrontation realistisch erreichen kann.

Das Hauptziel dieses Buchs besteht darin, Washington und Peking zu einem besseren Verständnis des geopolitischen Wettstreits zu verhelfen, in den die beiden Länder hineingestolpert sind.

Als Freund Amerikas habe ich versucht, deutlich zu machen, dass Amerika einen grundlegenden Fehler beging, als es einen Wettstreit mit China ausrief, ohne sich zuvor eine umfassende Strategie überlegt zu haben. Henry Kissinger, Architekt der amerikanischen China-Politik der 1970er-Jahre, erklärte mir persönlich, er könne derzeit keine derartige Strategie erkennen. Um eine geopolitische Strategie entwickeln zu können, bedarf es zunächst einmal klar formulierter Ziele. Amerika hat nie genau gesagt, was es mit seiner China-Politik zu erreichen beabsichtigt. Ausgehend von seinen Worten und Taten sehen die Ziele wohl wie folgt aus: China muss daran gehindert werden, die weltgrößte Volkswirtschaft zu werden. Die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) muss gestürzt werden. Chinas weltweiter Einfluss muss eingehegt oder eingeschränkt werden. Sollten dies tatsächlich die Ziele sein, ist eines klar: Keines dieser Ziele lässt sich erreichen. Warum das so ist, erklärt dieses Buch.

Die Amerikaner müssen ein Paradoxon begreifen, um die tatsächlich von China ausgehende Bedrohung zu verstehen: Chinas Aufstieg ist unaufhaltsam, aber Chinas Aufstieg bedroht Amerika nicht. Diese harten Wahrheiten können im politischen Diskurs Amerikas jedoch nicht angesprochen werden.

Chinas Aufstieg ist unaufhaltsam, weil diese 4.000 Jahre alte Zivilisation nach über 100 Jahren der schmerzhaften Erniedrigung nunmehr eine natürliche Phase der Verjüngung durchläuft. Das chinesische Volk ist darüber sehr glücklich und das unterscheidet die Herausforderung, die China darstellt, sehr stark von der Herausforderung, die die Sowjetunion darstellte. Als ich in den 1970er-Jahren die Sowjetunion besuchte, konnte ich aus erster Hand die trübsinnige und düstere Stimmung der Menschen dort erleben. In China dagegen erlebt man erstaunlichen Optimismus. Wie kommt das? Was die menschliche Entwicklung angeht, hat Chinas Bevölkerung gerade die besten 40 Jahre in ihrer 4.000 Jahre währenden Geschichte durchlaufen. Eine Studie der Harvard Kennedy School bestätigte kürzlich, dass zwischen 2003 und 2016 der Rückhalt der KPCh bei der chinesischen Bevölkerung von 86 auf 93 Prozent gestiegen ist. Das heutige China ist eine glückliche Gesellschaft. Das ist auch der Grund, warum die 130 Millionen chinesischen Touristen, die 2019 ins Ausland reisten, freiwillig und mit einem guten Gefühl in ihre Heimat zurückkehrten. Doch in Amerika wird der politische Kurs gegenüber China von einer düsteren Betrachtungsweise dominiert – von China als Unterdrücker, ein Bild, das durch eine sehr reale unterbewusste Furcht verstärkt wird, eine Furcht, die die amerikanische Öffentlichkeit früher als „gelbe Gefahr“ bezeichnete. Die Bezeichnung selbst hört man heute nicht mehr häufig, aber das Gefühl schwingt weiterhin stark mit.

Die Furcht der amerikanischen Politik vor China ist real. Praktisch jeder in Washington vertritt die Auffassung, dass China eine „Bedrohung“ darstellt. Aber stimmt das? Was zeigen die Fakten? Amerikas große Stärke ist die, dass es ein stolzes Produkt der westlichen Erleuchtung ist. Diese Schule hat uns gelehrt, dass es keine besseren Werkzeuge als Vernunft und wissenschaftliche Beweise gibt, will man ein vertracktes Problem begreifen. Wenden wir diese westlichen Analyse-Werkzeuge doch auf die „chinesische Bedrohung“ an.

„China stellt eine Bedrohung für unsere Sicherheit dar, für unseren Wohlstand und über eine breite Spanne von Themen hinweg für unsere Werte“, sagte Avril Haines, Präsident Bidens Direktorin der nationalen Nachrichtendienste. Viele Amerikaner dürften ihr dafür applaudiert haben, die Wahrheit so unverblümt ausgesprochen zu haben. Tatsächlich jedoch ist jeder einzelne Aspekt ihrer Aussage faktisch falsch.

Zunächst einmal bedroht China Amerikas Wohlstand nicht. Dafür sind die Chinesen zu klug. Amerikas Wohlstand ist für sie ein Mittel zum Zweck, ein Faktor, der Chinas Wirtschaft zu Wohlstand verhalf und es auch in Zukunft tun wird. Amerikas Wirtschaft war die Zugmaschine, die es möglich gemacht hat, dass Chinas Volkswirtschaft, die 1980 (kaufkraftbereinigt) noch ein Zehntel der amerikanischen Volkswirtschaft ausmachte, 2014 an den USA vorbeizog. Es ist also anders, als Avril Haines sagt: Sollte Präsident Biden China ein Wirtschaftsabkommen vorschlagen, das sowohl der amerikanischen Wirtschaft (und damit den amerikanischen Arbeitern) als auch China hilft, dann würde China ein derartiges Abkommen begeistert begrüßen. Amerikas Wohlstand ist für China ein Pluspunkt und kein negativer Aspekt.

Zweitens stellt China keine Bedrohung für Amerikas Sicherheit dar. China droht Amerika nicht mit einer militärischen Invasion (und seine Streitkräfte sind einen Ozean entfernt) oder mit einem Atomschlag (Amerikas Arsenal an Atomsprengköpfen ist 20-mal so groß). China bedroht auch nicht Amerikas militärische Überlegenheit in Gebieten wie dem Nahen Osten. Nicht einmal beim Rüstungshaushalt stellt China ansatzweise eine Bedrohung für Amerika dar. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin erklärte, Amerika habe sich 20 Jahre lang auf den Nahen Osten konzentriert und China habe in dieser Zeit sein Militär modernisiert. „Wir werden den Vorsprung halten“, sagte er, „und wir werden den Vorsprung zukünftig noch ausweiten.“ Fareed Zakaria hat absolut recht mit seinem Kommentar: „Was Austin als Amerikas ‚Vorsprung‘ gegenüber China bezeichnet, ist mehr eine tiefe Kluft. Die Vereinigten Staaten besitzen etwa 20-mal so viele Atomsprengköpfe wie China. Ihre Kriegsmarine kommt auf etwa die doppelte Tonnage wie die chinesische und darunter sind elf atomar betriebene Flugzeugträger, während China zwei besitzt (noch dazu weitaus weniger moderne). ‚Washington verfügt über 2.000 Kampfflugzeuge, Peking über etwa 600‘, sagt Sebastien Roblin, Analyst für nationale Sicherheit. ‚Und die Vereinigten Staaten können diese Macht über ein gewaltiges Netzwerk aus rund 800 Auslandsstützpunkten verteilt zum Tragen bringen. China hat drei. Chinas Rüstungshaushalt beträgt um die 200 Milliarden Dollar, nicht einmal ein Drittel dessen, was die USA ausgeben.‘“

Hätte Avril Haines recht mit ihrer Aussage, dass China eine Bedrohung für Amerikas Sicherheit darstellt, würde es die Logik diktieren, dass China es nur zu gern sehen würde, dass Amerika seinen Rüstungshaushalt, die Flugzeugträgerflotte, die Kampfflugzeuge und die Zahl der Flottenstützpunkte reduziert. Tatsächlich jedoch wäre China unglücklich über eine derartige Entwicklung. Chinas strategische Planer finden es großartig, dass Amerika dermaßen viel Geld für unnötige Kriege verschwendet und währenddessen einen aufgeblähten Rüstungshaushalt unterhält, der in wichtigeren Bereichen – etwa dem Bildungswesen oder bei der Forschung und Entwicklung – Amerikas Wettbewerbsvorteil schmälert. Amerikas gewaltiger Rüstungshaushalt verleiht dem Land denselben Vorteil, den ein Dinosaurier von seinem gewaltigen Leib hat – keinen sehr großen.

Und schließlich: Wenn Haines sagt, China bedrohe amerikanische Werte „über eine breite Spanne von Themen“ hinweg, dann würde das nur dann zutreffen, wenn China damit drohte, seine Ideologie nach Amerika zu exportieren oder den dortigen Wahlprozess zu untergraben. Beides ist nicht der Fall. Und dennoch ist eine erstaunliche Zahl von Amerikanern – sogar besonnene, gut informierte Amerikaner – überzeugt, dass China beabsichtigt, amerikanische Werte zu untergraben. Dieser Glaube beruht möglicherweise auf zwei großen Fehleinschätzungen bezüglich China. Erstens: In China ist eine kommunistische Partei an der Macht, das Land muss also, genauso wie früher die Sowjetunion, darauf aus sein, zu beweisen, dass der Kommunismus der Demokratie überlegen ist. Empirische Beweise zeigen jedoch, dass China bereits vor Jahrzehnten aufgehört hat, andere kommunistische Parteien zu unterstützen. Chinas größter Traum besteht darin, die chinesische Zivilisation zu verjüngen. Zeit verschwenden, indem man kommunistische Ideologie exportiert, will man nicht. Zweitens: Wenn China Amerika überholt und zur weltgrößten Wirtschaftsmacht aufsteigt, wird es sich, so wie Amerika es mit dem „amerikanischen Modell“ getan hat, zur Aufgabe machen, das „chinesische Modell“ in alle Welt zu exportieren. Hier haben wir es mit einem perfekten Beispiel dafür zu tun, wie ignorant Amerika gegenüber seinem strategischen Rivalen ist. Amerikaner mögen glauben, dass jeder Mensch ein Amerikaner sein kann, aber die Chinesen glauben nicht, dass jeder Mensch ein Chinese sein kann. Die Chinesen glauben schlicht, dass nur Chinesen Chinesen sein können. Und sie wären verwirrt, sollte jemand anderes versuchen, chinesisch zu werden.

Könnten Amerikas strategische Denker akzeptieren, dass China nicht versucht, mit einem „chinesischen Modell“ das „amerikanische Modell“ abzulösen, könnten sie vielleicht auch einen Schritt zurücktreten und eine besser durchdachte und tragfähigere Reaktion auf die von China ausgehenden Herausforderungen entwickeln. Aktuell sind die meisten politischen Entscheider und Fachleute in Amerika insgeheim von der Angst erfüllt, dass Chinas Wirtschaft, die im Hinblick auf das reale BIP bereits größer als die amerikanische ist, sich innerhalb eines Jahrzehnts auch im Hinblick auf das nominale BIP an die Spitze setzen könnte.

Dennoch spricht überhaupt nichts dagegen, dass Amerika auch als zweitgrößte Volkswirtschaft das „am meisten bewunderte und einflussreichste“ Land der Welt bleibt (wie es das beispielsweise unter Präsident John F. Kennedy war). Das ist das Kriterium, dem Amerikas Politiker Aufmerksamkeit schenken sollten, nicht die Größe des amerikanischen BIP. Zum Glück gab George Kennan, einer von Amerikas klügsten strategischen Denkern, Amerika exakt diesen Rat, als er Empfehlungen für den Umgang mit der Herausforderung durch die Sowjets aussprach.

An Kennan erinnert man sich heutzutage vor allem wegen seiner „Containment“-Politik (die gegen eine global integrierte Macht wie China nicht funktionieren würde), aber er betonte auch, dass das Ansehen Amerikas im Vergleich zu dem der Sowjetunion davon abhänge, inwieweit es den USA gelinge, „unter den Völkern der Welt den Eindruck eines Landes zu erwecken, das weiß, was es will, das erfolgreich mit seinen internen Problemen und den Pflichten einer Weltmacht umzugehen imstande ist und das eine spirituelle Lebendigkeit an den Tag legt, die es mit den führenden ideologischen Strömungen seiner Zeit aufzunehmen vermag“.

Dieser wichtige Ratschlag enthält vier Facetten: Ein Land, das weiß, was es will (1), hat seine internen Probleme ebenso erfolgreich im Griff (2) wie seine globalen Verpflichtungen (3) und es besitzt spirituelle Vitalität (4). Gegenüber der Sowjetunion lag Amerika in sämtlichen vier Punkten vorn, gegenüber China ist Amerika heutzutage jedoch in allen vier Kategorien ins Hintertreffen geraten. Lassen Sie mich das anhand eines konkreten Beispiels verdeutlichen. Als Joe Biden erklärte: „Amerika ist wieder da“, hat sich die Welt gefreut, das zu hören. Aber man müsste in strategischen Belangen schon ein kompletter Idiot sein, um nicht die naheliegende Anschlussfrage zu stellen: „Für wie lange?“ Ein häufiger Fehler bei Amerikas strategischen Planern und Denkern besteht darin, die Intelligenz der restlichen Welt zu unterschätzen. Die meisten Beobachter Amerikas wissen, dass Trump persönlich oder der Trumpismus im Allgemeinen eine reelle Chance besitzt, 2024 wieder ins Weiße Haus einzuziehen. Im Juli 2021 schrieb Edward Luce: „Solange Donald Trump atmet, ist es wahrscheinlich, dass er 2024 erneut kandidieren wird … Die [Republikanische] Partei als Ganzes folgt inzwischen einer einzigen Wahrheit: Was immer Trump sagt, ist richtig. Auch wenn sich seine Meinung seit dem Frühstück schon wieder geändert hat.“ Wird Trump erneut Präsident, wird er das Land vermutlich wiederum aus multilateralen Abkommen und Organen (wie dem Pariser Abkommen und der WHO) herausführen, Verbündete (wie Frankreich und Deutschland) verächtlich machen, sie auffordern, mehr zu zahlen (wie Südkorea und Japan), oder die Zahl der Fachkräfte aus befreundeten Ländern wie Indien drastisch zusammenstreichen. Kann Amerika sich hinstellen und mit Gewissheit erklären, dass etwas Derartiges nie wieder geschehen wird? Wenn die Antwort darauf „Nein“ lautet, ist es dann für die meisten Länder nicht vernünftig, ihre Möglichkeiten, was die Auseinandersetzung zwischen Amerika und China anbelangt, sorgfältig abzuwägen?

Der wahre Wettstreit zwischen Amerika und China wird nicht auf irgendwelchen ausländischen Schlachtfeldern ausgetragen werden, er findet vielmehr mitten im Herzen Amerikas statt. Bidens Hauptpriorität sollte darin bestehen, die drei Jahrzehnte wirtschaftlicher Stagnation vergessen zu machen, die die weiße Arbeiterklasse in ein „Meer der Verzweiflung“ gestürzt hat. Nur auf diese Weise kann er die Rückkehr eines Trump oder einer Trump-ähnlichen Figur verhindern. Und nur auf diese Weise kann langfristiges Vertrauen in Bidens Behauptung, Amerika sei wieder da, heranwachsen. All das bringt uns zu einem finalen Paradoxon: Amerikas Wirtschaft haucht man am besten neues Leben ein, indem man eng mit den anderen starken und dynamischen Volkswirtschaften des Planeten zusammenarbeitet, allen voran mit dem Land, das über die größte Mittelklasse der Welt verfügt – China. China kann Teil der Lösung für Amerikas innere Spaltungen sein.

Doch auch wenn es logisch sein und dem gesunden Menschenverstand entsprechen mag, in Zusammenarbeit mit China die amerikanische Wirtschaft zu stärken und die Lebensumstände der Amerikaner zu verbessern, ist im heute in Amerika herrschenden politischen Klima ein derartiges Vorgehen absolut undenkbar. Allein schon der Vorschlag käme für die Regierung Biden politischem Selbstmord gleich. Und wenig überraschend tut sich die Regierung Biden schwer damit, auch nur die Schritte Trumps gegen China zurückzunehmen, die den amerikanischen Interessen schaden.

Im April 2021 nahm ich an einer Podiumsdiskussion der Harvard Asia Conference zu den kommerziellen Beziehungen zwischen den USA und China teil. Mit mir auf dem Podium saßen Steve Orlins, Präsident des National Committee on United States-China Relations, sowie die beiden Harvard-Professoren Graham Allison und William Kirby. Erstaunlicherweise stimmten wir alle darin überein, dass Trumps Handelskrieg gegen China Amerikas Arbeitnehmern wie auch Amerikas Verbrauchern nicht geholfen habe. Das Handelsdefizit hatte er auch nicht reduziert. Oder der US-Wirtschaft geholfen. Kurzum: Der Handelskrieg war ein völliger Fehlschlag.

Aber wenn es ein Fehlschlag war, warum hat die Regierung Biden die Maßnahmen dann nicht umgehend zurückgenommen? Ein ranghoher Regierungsvertreter sagte dazu, die USA würden die Handelssanktionen und die Strafzölle in Kraft lassen, um über Verhandlungsmasse zu verfügen. Einer der Diskussionsteilnehmer erklärte, das sei so, als erkläre man China: „Entweder geht ihr auf meine Forderungen ein oder ich schieße mir noch einmal in den Fuß.“

Ganz offensichtlich sollte es in Amerikas Interesse liegen, sich nicht länger in den Fuß zu schießen. Aber will die Regierung Biden versuchen, Trumps China-Politik rückgängig zu machen, muss sie sehr klug und gewieft vorgehen. Die Republikanische Partei und andere China-Falken warten nur darauf, sich auf Biden zu stürzen und ihm eine schwache China-Politik vorzuwerfen. Die Regierung Biden benötigt politische Rückendeckung, um den Kurs gegenüber China zu ändern. Diese Rückendeckung ließe sich an drei Stellen finden:

Zunächst einmal könnte die Regierung den Empfehlungen strategischer Denker wie Kissinger folgen. Kissinger zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass er sehr vorsichtig agiert und zögert, einen amtierenden Präsidenten zu kritisieren, selbst wenn dessen politischer Kurs so offenkundig falsch ist, wie es 2003 beim Einmarsch im Irak der Fall war. Insofern ist es schon bedeutsam, wenn Kissinger sich leicht aus dem Fenster lehnt und warnt, man dürfe nicht zulassen, dass sich die Beziehungen zwischen den USA und China weiter verschlechtern. Im April 2021 sagte er: „Wenn wir nicht zu einer Verständigung mit China gelangen … werden wir in eine Situation geraten, wie sie in Europa vor dem Ersten Weltkrieg herrschte, in der dann also mehrjährige Konflikte auf unmittelbarer Basis gelöst werden, bis einer von ihnen ab einem gewissen Punkt außer Kontrolle gerät … Ein Konflikt zwischen Ländern, die über Hochtechnologie verfügen und über Waffen, die sich ihre Ziele selbst suchen und die den Konflikt von allein beginnen können, ohne dass eine Vereinbarung über Einschränkungen in irgendeiner Form existiert, kann nicht gut gehen.“

Der amerikanische Journalist Peter Beinart schrieb in der New York Times über die Gefahr, wegen der Taiwan-Frage einen Konflikt anzuzetteln, und sagte, die Falken sollten sich fragen: „Wie viele amerikanische Leben sind Sie bereit aufs Spiel zu setzen, damit die USA offizielle diplomatische Beziehungen zu Taiwan aufnehmen können?“ Kurzum: Als allerersten Schritt könnte die Regierung Biden Schärfe aus dem Wettstreit zwischen USA und China nehmen. Dabei helfen können ihr die Argumente im letzten Kapitel dieses Buchs.

Zweitens: Die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika propagiert, Amerika solle „Anstand und Achtung für die Ansichten der Menschheit“ zeigen. Insofern sollte die Regierung Biden die Ansichten der sechs Milliarden Menschen bedenken, die weder in Amerika noch in China leben. Kapitel 8 dieses Buchs geht auf die durchdachten und nuancierten Ansichten ein, die diese sechs Milliarden Menschen zu diesem Wettstreit haben. Während des Kalten Kriegs unterstützten – insbesondere in Westeuropa – die Nachbarn der Sowjetunion begeistert die Bemühungen Amerikas, den Einfluss der Sowjetunion zurückzudrängen. Bei China wären das heutige Äquivalent die 650 Millionen Einwohner der zehn ASEAN-Staaten in Südostasien. In dieser Region genießt Amerika weiterhin einen gewaltigen Vertrauensvorschuss, denn ASEAN, die nach der Europäischen Union zweiterfolgreichste Organisation der Welt, ist eine proamerikanische Kreation.

Doch Amerika ignorierte diesen Vertrauensvorschuss und Chinas Einfluss nahm zu. Noch im Jahr 2000 war der Einfluss der USA deutlich größer. Woran lag das? Die amerikanische Volkswirtschaft war in absoluten Zahlen achtmal größer als Chinas. Die USA betrieben im Jahr 2000 mehr Handel mit den ASEAN-Staaten als China (134 Milliarden Dollar gegenüber 41 Milliarden Dollar). 2020 war Chinas Einfluss in den ASEAN-Ländern gewachsen. Woran lag das? Zum einen war die US-Wirtschaft nur noch 1,6-mal so groß wie Chinas, zum anderen war Chinas Handel mit ASEAN gewachsen (508 Milliarden Dollar gegenüber den 295 Milliarden Dollar der USA). All das geschah, weil die USA 6.000 Milliarden Dollar dafür ausgaben, unnötige Kriege im Nahen Osten zu führen, und China in der Zwischenzeit 2001 ein Freihandelsabkommen mit ASEAN vereinbarte. Kurzum: Der zentrale strategische Fehler, den die USA begangen haben, bestand darin, sich auf die militärische Dimension zu konzentrieren, während China unbeirrbar die wirtschaftliche Dimension im Blick behielt.

Mit ASEAN als Fallstudie im Hinterkopf könnte die Regierung Biden argumentieren, dass es in Ostasien in Wirklichkeit um die Wirtschaft geht. Das würde bedeuten, dass Amerika nicht seine militärischen Anstrengungen, sondern seine wirtschaftlichen Bemühungen dort intensivieren sollte.

Das alles führt uns zu dem dritten Argument, das die Regierung Biden anführen sollte: Der wahre Wettstreit zwischen Amerika und China wird in Ostasien auf dem Feld der Wirtschaft ausgetragen. Insofern muss Amerikas Wirtschaft mit Ostasien verbunden bleiben. Doch um dies zu erreichen, muss Amerika seine wirtschaftlichen Verbindungen zu China verstärken.

Warum? Sollten sich die USA und China wirtschaftlich voneinander abkoppeln, würde dies dazu führen, dass sich die USA auch von Ostasien abkoppeln (da Chinas Wirtschaft extrem eng in die ostasiatische integriert ist). Umgekehrt könnte eine engere wirtschaftliche Verzahnung von USA und China zu einer stärkeren Verzahnung von USA und Ostasien führen. Eine derartige wirtschaftliche Verzahnung wäre die beste langfristige Garantie für eine starke und dauerhafte US-Präsenz in Ostasien, was der Sicherheit von Japan und Australien zugutekäme. Es ist paradox, aber der beste Weg, eine langfristige Präsenz der USA in Ostasien zu zementieren, besteht darin, den Handel mit allen großen Volkswirtschaften der Region auszubauen, und zwar inklusive des Handels mit China.

Dieses Paradoxon unterstreicht den wichtigen Punkt, dass viele Elemente von Amerikas jüngerer China-Politik (wie etwa Trumps Handelskrieg) in sämtlichen Schlüsselbereichen ein Fehlschlag waren: Sie haben China nicht geschwächt, sie haben Amerika nicht gestärkt und sie haben Amerikas Freunde und Verbündete nicht mit an Bord geholt. Und sie sind gescheitert, weil Amerika nicht im ersten Schritt eine umfassende und durchdachte langfristige Strategie für den Umgang mit der größten geopolitischen Herausforderung in der gesamten Geschichte des Landes entwickelte.

Es ist wichtig anzuerkennen, dass die China-Politik der Regierung Biden von einer Gruppe ehrenhafter Staatsdiener gelenkt wird, die sich bemühen, Amerikas nationale Interessen nach besten Kräften zu vertreten, und dabei nicht vergessen, welchen innenpolitischen Zwängen ein Kurswechsel in der China-Politik unterliegen würde. Die China-Politik der Regierung Biden mag sich nicht groß von der Politik der Regierung Trump unterscheiden, aber Amerikas Freunde und Verbündete erkennen, dass, während sich die zentralen Persönlichkeiten in der Amtszeit Trumps (Pence, Pompeo, Navarro) China gegenüber geradezu aggressiv verhielten (regelmäßig wurden schwere und gelegentlich auch grobe Beleidigungen vom Stapel gelassen), die zentralen Mitglieder der Regierung Biden (Blinken, Yellen, Sullivan und Campbell) konstruktiver und durchdachter begannen. Yellen legte beträchtlichen Mut an den Tag, als sie erklärte, die Zölle, die Trump gegen China erließ, würden „den amerikanischen Verbrauchern schaden“. Biden wiederum zeigte Mut, als er „pensionierte“ amerikanische Staatsdiener nach Taiwan schickte, um zu demonstrieren, dass Amerika wieder eine zentrale Übereinkunft zwischen Peking und Washington ehrt – dass Amerika nämlich mit Peking offizielle Verbindungen pflegt und inoffizielle mit Taipeh. Kurzum: Der stark antichinesische Konsens, der die amerikanische Politik erfasst hat, engt den Spielraum der Regierung Biden enorm ein, aber dennoch bemüht sie sich, einen stärker von der Vernunft getriebenen Kurs in der China-Politik einzuschlagen.

Die sechs Milliarden Menschen außerhalb von Amerika und China würden einen derartigen Kurs freudig begrüßen. Der Großteil der Menschheit plagt sich mit großen gemeinsamen Herausforderungen herum, von der Corona-Pandemie bis hin zum Klimawandel. Keine zentrale globale Herausforderung lässt sich lösen, ohne dass China und Amerika mit an Bord sind. Und wenn die beiden Supermächte kooperieren, können Wunder wahr werden. Lassen Sie mich ein Beispiel anführen: Würden Amerika und China gemeinsam verkünden, jeweils 50 Milliarden Dollar in die Hand zu nehmen und für dieses Geld alle 7,8 Milliarden Menschen auf dem Planeten Erde impfen zu lassen, würde die Weltwirtschaft um 9.000 Milliarden Dollar wachsen – das entspricht 180 Dollar Ertrag für jeden Dollar, den Amerika und China ausgeben.

Viele Leser mögen sich gegen einen derartigen Vorschlag sträuben, 50 Milliarden Dollar klingt schließlich nach einer Menge Geld. Aber als im April 2009 die Staats- und Regierungschefs der G20-Länder in London zusammenkamen, um die Weltwirtschaft nach der globalen Finanzkrise (ausgelöst durch den Kollaps der New Yorker Bank Lehman Brothers) wieder anzuschieben, stellte China 50 Milliarden Dollar für die Rettung des globalen Bankensystems bereit. Insgesamt sagten die G20-Staaten über 1.000 Milliarden Dollar zu. 50 Milliarden Dollar, um die ganze Welt 2022 impfen zu lassen, sind eine bescheidene Investition. Könnten wir Amerika und China überzeugen, zumindest minimal wieder zu kooperieren, wäre die ganze Welt – und damit auch Amerikaner und Chinesen – besser dran.

Kishore Mahbubani, Singapur, August 2021

Kapitel 1

EINFÜHRUNG

Eines ist gewiss: Der geopolitische Wettbewerb zwischen Amerika und China wird die nächsten ein, zwei Jahrzehnte weitergehen. Präsident Donald Trump läutete 2018 die erste Runde ein, aber dieser Zustand wird seine Amtszeit überdauern. Der Präsident hat mit seiner Politik Amerika in Bezug auf sämtliche Themen gespalten, mit einer einzigen Ausnahme: bei seinem Handels- und Technologiekrieg gegen China. Tatsächlich erhielt er für sein Vorgehen parteiübergreifend viel Zuspruch und in der amerikanischen Politiklandschaft bildete sich ein klarer Konsens heraus, dass China für Amerika eine Bedrohung darstellt.

General Joseph Duford, Stabschef der US-Streitkräfte, sagte: „Ab ungefähr 2025 wird China vermutlich die größte Bedrohung für unsere Nation darstellen.“1 In der Zusammenfassung des 2018 erstellten Strategiepapiers der USA zur nationalen Sicherheit heißt es, bei China und Russland handele es sich um „revisionistische Mächte“, die danach streben, „die Welt nach ihrem autoritären Modell zu formen – und ein Vetorecht über die wirtschaftsbezogenen, diplomatischen und sicherheitspolitischen Entscheidungen anderer Länder zu erlangen.“2 FBI-Direktor Christopher Wray äußerte sich so: „Wir versuchen, die China-Bedrohung nicht bloß als Bedrohung für den gesamten Staat, sondern für die gesamte Gesellschaft zu sehen … und ich glaube, sie wird uns eine Reaktion der gesamten Gesellschaft abverlangen.“3 Selbst George Soros, der Millionen Dollar für den Versuch ausgab, einen Wahlerfolg Trumps zu verhindern, hat Trumps China-Politik gelobt. Er sagte: „Die größte – und möglicherweise einzige – außenpolitische Leistung der Regierung Trump bestand darin, eine in sich schlüssige und wahrhaftig überparteiliche Politik gegen das China von Xi Jinping zu entwickeln.“4 Und er fuhr fort, es sei von der Regierung Trump richtig gewesen, China zum „strategischen Rivalen“ zu erklären.

Doch obwohl das amerikanische Establishment Trumps China-Politik größtenteils begeistert unterstützte, wies seltsamerweise niemand darauf hin, dass Amerika einen gewaltigen strategischen Fehler begeht. Es hat sich nämlich in diese Auseinandersetzung mit China gestürzt, ohne sich zunächst eine umfassende und globale Strategie für den Umgang mit China zu überlegen.

Der Mann, der mich darauf aufmerksam machte, zählt zu Amerikas größten strategischen Denkern – Dr. Henry Kissinger. Ich erinnere mich sehr lebhaft an das private Mittagessen, das wir beide Mitte März 2018 in einem Separee seines Klubs in Manhattan einnahmen. Ich hatte Sorge, dass der Termin abgesagt werden würde, weil für diesen Tag ein Schneesturm angekündigt worden war, doch trotz der Wetterwarnung tauchte Kissinger auf. Wir führten ein wunderbares Gespräch, das zwei Stunden dauerte. Um der Wahrheit Genüge zu tun, sagte er nicht wortwörtlich, dass Amerika eine langfristige Strategie für den Umgang mit China fehlt, aber das war die Botschaft, die er mir während unseres Essens vermittelte. Und das ist auch die zentrale Botschaft seines Buchs „On China“ [dt. Titel: „China: Zwischen Tradition und Herausforderung“, C. Bertelsmann, München, 2011].

Ganz anders war es zu der Zeit, als sich Amerika auf den Kalten Krieg mit der Sowjetunion einließ. Damals ließ man sich die Angelegenheit zunächst gründlich und ausführlich durch den Kopf gehen. George Kennan war der Chefstratege, der Amerikas erfolgreiche Strategie zur Eindämmung der Sowjetunion (Containment-Politik) formulierte. Erstmals öffentlich erläutert wurde sie in dem berühmten Essay, den Kennan unter dem Pseudonym „Mister X“ in der Zeitschrift Foreign Affairs veröffentlichen ließ. Der sogenannte „X-Artikel“ beruhte auf Kennans „langem Telegramm“, das er im Februar 1946 verfasst hatte. Zu diesem Zeitpunkt leitete Kennan im US-Außenministerium den politischen Planungsstab, der langfristige strategische Planungen anstellte.

Für die politischen Planungen im Außenministerium war von September 2018 bis August 2019 Professorin Kiron Skinner von der Universität Carnegie Mellon zuständig. Bei einer Podiumsdiskussion erklärte sie am 29. April 2019, ihre Abteilung sei, was den erneuten Aufschwung Chinas angehe, noch immer damit beschäftigt, eine Strategie auszuarbeiten, die so umfassend wie die ihres Vorgängers George Kennan ausfalle.

Als ich für das Außenministerium von Singapur tätig war, gehörte es zu meinen Aufgaben, langfristige Strategien für die Regierung zu verfassen. Von Singapurs drei außergewöhnlichen Meistern der Geopolitik (Lee Kuan Yew, Goh Keng Swee und Sinnathamby Rajaratnam) habe ich dabei vor allem eines gelernt: Der erste Schritt zum Erstellen einer langfristigen Strategie besteht darin, dass man die richtigen Fragen stellt. Sind die Fragen falsch, werden auch die Antworten falsch sein. Und Rajaratnam hat mich gelehrt, dass es am wichtigsten sei, stets „das Undenkbare zu denken“, wenn man derartige Fragen formuliert.

Im Geiste des „Das-Undenkbare-Denkens“ möchte ich zehn Themenbereiche vorstellen, die Fragen aufwerfen, mit denen sich die politischen Planer befassen sollten. Ich habe George Kennan Ende der 1990er-Jahre einmal in Princeton in seinem Büro im Institute of Advanced Study getroffen und ich glaube, er wäre auch dafür, direkt die schwierigsten Themen anzugehen, die vor einem liegen.

Die großen Zehn

1.Am Ende des Zweiten Weltkriegs belief sich Amerikas Anteil am globalen Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf nahezu 50 Prozent, der Anteil an der Weltbevölkerung auf vier Prozent. Während des Kalten Kriegs kam das BIP der Sowjetunion nicht einmal ansatzweise an dasjenige Amerikas heran und erreichte zu seinen besten Zeiten gerade einmal 40 Prozent des amerikanischen BIP.5 Besteht die Möglichkeit, dass Amerikas BIP innerhalb der nächsten 30 Jahre kleiner als das chinesische wird? Falls ja, welche strategischen Änderungen müsste Amerika vornehmen, wenn es nicht mehr die größte Wirtschaftsmacht der Welt ist?

2.Worin sollte Amerikas Hauptziel bestehen? Darin, das Leben seiner 330 Millionen Bewohner zu verbessern, oder darin, seine Vormachtstellung innerhalb des internationalen Systems zu bewahren? Wenn diese Ziele im Konflikt zueinander stehen, welches Ziel sollte dann Priorität haben?

3.Die enormen Rüstungsausgaben, die Amerika während des Kalten Kriegs vornahm, erwiesen sich als umsichtige Entscheidung, denn auf diese Weise wurde die Sowjetunion mit ihrer schwächeren Volkswirtschaft gezwungen, bei Amerikas militärischen Ausgaben mitzuhalten. Das trug letztlich dazu bei, die Sowjetunion in den Bankrott zu treiben. China hat aus dem Zusammenbruch der Sowjetunion seine Lehren gezogen. Das Land deckelt seine Rüstungsausgaben und legt den Schwerpunkt auf seine wirtschaftliche Entwicklung. Ist es klug, dass Amerika weiterhin einen derart großen Verteidigungshaushalt unterhält? Oder sollte das Land seine Rüstungsausgaben und seine Beteiligung an kostspieligen Kriegen im Ausland zurückfahren und stattdessen mehr Geld in den Ausbau sozialer Leistungen und eine Modernisierung der nationalen Infrastruktur stecken? Was will China? Dass Amerika mehr Geld für sein Militär ausgibt oder weniger?

4.Den Kalten Krieg hat Amerika nicht im Alleingang gewonnen. Vielmehr schmiedete das Land mit seinen westlichen Partnern ein festes Bündnis in Form der NATO und kultivierte in der Dritten Welt zentrale Freunde und Verbündete wie China, Pakistan, Indonesien und Ägypten. Amerika ließ seine Wirtschaft offen für seine Verbündeten und verteilte großzügig Hilfen. Vor allem war Amerika während des Kalten Kriegs für seine Großzügigkeit bekannt. Die Regierung Trump hat eine Politik des „America First“ verkündet und wichtigen Verbündeten wie der EU und Japan sowie Freunden aus der Dritten Welt wie Indien Strafzölle angedroht. Kann Amerika eine starke globale Allianz als Gegengewicht zu China aufbauen, während es gleichzeitig seine wichtigsten Verbündeten vor den Kopf stößt? War Amerikas Entscheidung, sich nicht am Freihandelsabkommen Trans-Pacific Partnership (TPP) zu beteiligen, ein geopolitisches Geschenk an China? Hat China bereits einen Präventivschlag gegen eine Containment-Politik geführt, indem es im Rahmen der „Belt & Road“-Initiative (BRI) neue wirtschaftliche Partnerschaften mit seinen Nachbarn einging?

5.Welches ist die wirksamste Waffe, die Amerika einsetzen kann, um seine Verbündeten und seine Widersacher auf Linie zu bringen und seine Wünsche durchzusetzen? Nicht das US-Militär, sondern der US-Dollar. Der US-Dollar ist aus dem globalen Handel und weltumspannenden finanziellen Transaktionen praktisch nicht mehr wegzudenken und fungiert als eine Art globales Gemeinschaftsgut für die Weltwirtschaft. Für ausländische Banken und Einrichtungen ist es unumgänglich, den Dollar zu verwenden, was es Amerika ermöglicht hat, auch außerhalb seines Territoriums nationales Recht durchzusetzen und amerikanische Banken mit hohen Geldstrafen zu belegen, wenn sie Geschäfte etwa mit dem Iran oder anderen Nationen machen, gegen die die USA Sanktionen verhängt haben. Amerikanische Widersacher wie Nordkorea und der Iran wurden mithilfe lähmender Finanzsanktionen an den Verhandlungstisch gezwungen. Am besten funktionierte die Sanktionierung dieser Länder, wenn Amerika dabei von multilateralen Institutionen wie dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen unterstützt wurde, dessen Entscheidungen bindend für die UNO-Mitgliedsstaaten sind. Unter der Regierung Trump ist Amerika von multilateralen auf unilaterale Sanktionen umgestiegen und hat den Dollar in eine Waffe verwandelt, die gegen Amerikas Widersacher eingesetzt wird. Ist es klug, ein globales Gemeinschaftsgut in eine Waffe zu verwandeln und für unilaterale Zwecke einzusetzen? Aktuell gibt es keine praktischen Alternativen zum US-Dollar, aber wird das stets so sein? Handelt es sich hier um die Achillesferse der amerikanischen Wirtschaft, um eine Schwachstelle, die China angreifen und schwächen kann?

6.Als er eine Strategie gegen die Sowjetunion entwickelte, betonte Kennan, wie wichtig es sei, dass die Amerikaner unter den Völkern der Welt allgemein den Eindruck eines Lands erwecken, das innenpolitisch erfolgreich sei und „spirituelle Vitalität“ genieße.6 „Amerikas Soft Power“ nannte das Professor Joseph Nye. Von den 1960er- bis zu den 1980er-Jahren boomte amerikanische Soft Power. Seit 9/11 hat Amerika gegen Völkerrecht und internationale Menschenrechtskonventionen verstoßen (und führte als erstes westliches Land die Folter wieder ein). Die Soft Power Amerikas hat – insbesondere unter Trump – beträchtlich nachgelassen. Sind die Amerikaner bereit, die Opfer zu bringen, die es braucht, um Amerikas Soft Power erneut zu stärken? Kann Amerika die ideologische Auseinandersetzung mit China gewinnen, wenn es als „normale“ Nation und nicht als Land mit einer „Sonderstellung“ angesehen wird?

7.General H. R. McMaster, 2017 bis 2018 nationaler Sicherheitsberater von Präsident Trump, sagte, die Auseinandersetzung zwischen Amerika und China stelle letzten Endes die Auseinandersetzung zwischen „freien und offenen Gesellschaften und geschlossenen autoritären Systemen“ dar.7 Trifft diese Einschätzung zu, dann sollten sich alle freien und offenen Gesellschaften von der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) gleichermaßen bedroht fühlen. Zwei der drei größten Demokratien der Welt finden sich in Asien – Indien und Indonesien. Weder die indische noch die indonesische Demokratie fühlen sich von Chinas Ideologie bedroht, genauso wenig die meisten europäischen Demokratien. Im Gegensatz zur Sowjetunion versucht China nicht, Amerikas Ideologie infrage zu stellen oder zu bedrohen. Indem es die neue Bedrohung durch China mit der alten Strategie der Sowjets gleichsetzt, begeht Amerika einen klassischen strategischen Irrtum und führt den Krieg von morgen mit den Strategien von gestern. Gelingt es Amerikas Strategen, neue analytische Grundgerüste zu entwickeln, die das Wesen des Wettbewerbs mit China abbilden?

8.Bei jedem größeren geopolitischen Wettbewerb ist die Partei im Vorteil, die rational bleibt und kühlen Kopf bewahrt, während die Partei, die sich, bewusst oder unbewusst, von Emotionen treiben lässt, Nachteile hat. Kennan merkte klug an, „Wutausbrüche und ein Verlust der Selbstkontrolle“ seien ein Zeichen der Schwäche. Aber sind Amerikas Reaktionen auf China von Vernunft getrieben? Oder doch von unterbewussten Gefühlen? In der westlichen Psyche hat sich vor langer Zeit eine tief sitzende und unterschwellige Furcht vor der „gelben Gefahr“ eingenistet? Beim Wettbewerb mit China handele es sich um eine Auseinandersetzung mit einer „nicht-kaukasischen“ Macht, sagt Kiron Skinner und legt damit den Finger auf den Auslöser der emotionalen Reaktionen auf China. Kann ein strategischer Denker im von Political Correctness dominierten Klima Washingtons auf einen so politisch unkorrekten, aber zutreffenden Aspekt hinweisen, ohne dafür politisch aufgespießt zu werden?

9.Sun Tzu, einer von Chinas größten strategischen Denkern, sagt: „Wenn du den Feind und dich selbst kennst, brauchst du sogar hundert Schlachten nicht zu fürchten. Wenn du dich selbst kennst, den Feind aber nicht, wirst du für jeden errungenen Sieg eine Niederlage erleiden. Kennst du weder den Feind noch dich selbst, wirst du in jeder Schlacht unterliegen.“8 Kennt Amerika seinen chinesischen Rivalen? Begeht Amerika beispielsweise einen grundlegenden Wahrnehmungsfehler, wenn es die KPCh als eine chinesische kommunistische Partei ansieht? Das würde nämlich bedeuten, die Seele der KPCh ist in ihren kommunistischen Wurzeln vergraben. Für viele objektive asiatische Betrachter dagegen fungiert die KPCh in Wahrheit viel eher als „chinesische Kulturpartei“. Ihre Wurzeln liegen nicht in der ausländischen Ideologie des Marxismus-Leninismus, sondern in der chinesischen Kultur. Die wichtigste Aufgabe eines Strategen besteht darin, möglichst exakt so wie der Widersacher zu denken. Hier also eine Testaufgabe: Zu wie viel Prozent beschäftigt sich der Geist eines chinesischen Führers mit marxistisch-leninistischer Ideologie und zu wie viel Prozent mit der reichen Kulturgeschichte Chinas? Die Antwort würde viele Amerikaner vermutlich verblüffen.

10.In „On China“ betont Henry Kissinger, dass Chinas Strategie vom chinesischen Spiel Wei Qi () und nicht vom westlichen Schachspiel geleitet wird. [Anm. d. Übers.: Bei uns ist Wei Qi vermutlich eher unter seinem japanischen Namen Go bekannt.] Beim Schach geht es darum, schnellstmöglich den gegnerischen König zu fangen. Bei Wei Qi besteht das Ziel darin, langsam und geduldig darauf hinzuarbeiten, dass sich das Gleichgewicht des Spiels irgendwann zum eigenen Vorteil verlagert. Es geht um langfristige Strategien, nicht um schnelle Erfolge. Arbeitet China also langsam und geduldig darauf hin, das strategische Gleichgewicht Schritt für Schritt zu seinen eigenen Gunsten zu verschieben? Interessanterweise hat Amerika zwei größere Anstrengungen unternommen, Schritte zu vereiteln, die China auf lange Sicht Vorteile einbringen sollten. Beide schlugen fehl. 2014/15 bemühte sich die Regierung Obama vergebens, ihre Verbündeten daran zu hindern, sich der von China angeregten Asiatischen Infrastrukturinvestmentbank (AIIB) anzuschließen. Ebenso scheiterte die Regierung Trump mit ihren Bemühungen, zu verhindern, dass sich ihre Verbündeten an Chinas „Belt & Road“-Initiative beteiligen. Stellt Amerika ausreichend Ressourcen für den langfristigen Wettbewerb ab? Verfügt die amerikanische Gesellschaft von Natur aus über die Stärke und die Ausdauer, die es braucht, um bei Chinas auf lange Sicht ausgelegtem Vorgehen mitzuhalten?

Die Absicht dieser Fragen besteht darin, eine Strategiedebatte anzustoßen, das Undenkbare zu denken und die vielen komplexen Schichten des geopolitischen Wettstreits, der sich im Verlauf des nächsten Jahrzehnts zwischen USA und China herausbilden wird, zu sezieren und zu begreifen. Eines der Ziele dieses Buchs ist es, sachliches und rationales Denken zu einem Thema zu fördern, das unvermeidbar komplex sein und Wandlungen unterliegen wird. Jeder amerikanische Stratege wird sich, bevor er sich in einen großen geopolitischen Wettbewerb stürzt, eine grundlegende Frage stellen müssen: Bin ich mir des wahren Ausmaßes der damit einhergehenden Risiken bewusst? Oder anders formuliert: Kann Amerika verlieren? Der Gedanke wirkt unvorstellbar. Sowohl physisch wie auch moralisch hält sich Amerika seit Langem für die stärkste Nation. Amerikas Wirtschaft – und in der Folge sein Militär – ist seit mehr als einem Jahrhundert die weltweite Nummer 1. Der natürliche Vorteil, einen dünn besiedelten, mit Bodenschätzen gesegneten Kontinent zu bewohnen, in Kombination mit der Innovationskraft und der Vitalität der amerikanischen Institutionen (insbesondere seinen freien Märkten, seiner Rechtsstaatlichkeit und seinen Universitäten) und des amerikanischen Volks haben in Amerika die Überzeugung geweckt, keine andere Nation auf der Erde könne es auch nur annähernd mit seinem Einfallsreichtum und seiner Produktivität aufnehmen.

Auf moralischer Ebene ist es für die meisten Amerikaner eine absolut absurde Vorstellung, eine freie und offene Gesellschaft wie Amerika, die stärkste Demokratie der Welt, könnte einen Wettstreit gegen eine geschlossene kommunistische Gesellschaft wie die chinesische verlieren. Die Amerikaner neigen zu dem Glauben, dass das Gute stets über das Böse triumphiert und kein politisches System von Natur aus so gut ist wie das, was den Gründern der Republik vorschwebte. Das könnte auch erklären, warum die Verteufelung Chinas in den vergangenen Jahren so stark zugenommen hat. Je mehr China als böser Akteur hingestellt wird (vor allem, weil China sich über Amerikas Erwartung hinwegsetzte, dass sich das Land progressiv öffnen und im Verlauf einer Annäherung an Amerika in eine demokratische Gesellschaft verwandeln würde), desto einfacher ist es für Amerikaner geworden, sich an den Glauben zu klammern, dass man früher oder später gegen China triumphieren werde, unabhängig davon, wie die Chancen dafür tatsächlich stehen.

Amerika rühmt sich des Weiteren, eine rationale Gesellschaft zu sein, und in vielerlei Hinsicht ist sie das auch. Sie ist Erbin der großen Erzählung von der westlichen Gesellschaft mit ihren Wurzeln in Vernunft und Logik. Die wissenschaftliche Revolution, die der westlichen Kultur so viel Schub verlieh, ermöglichte auch ihre Dominanz. Mit den Vorteilen, die mit einem lebendigen Markt, den stärksten Universitäten und den am besten ausgebildeten Eliten der Welt verbunden sind, ging Amerika davon aus, dass keine Gesellschaft würde mithalten können, wenn es um die entscheidenden Bereiche ging – um wirtschaftliche und militärische Stärke, um intellektuellen Einfallsreichtum und um moralische Überlegenheit.

Und weil sie in der offensten Gesellschaft auf diesem Planeten leben, gingen die Amerikaner auch davon aus, dass die unterschiedlichen Mechanismen dieser offenen Gesellschaft sie schon alarmieren würden, sollte Amerika auf einen völlig falschen Weg geraten. Leider ist das in den vergangenen Jahrzehnten nicht geschehen. Die meisten Amerikaner sind sich nicht bewusst, dass das Durchschnittseinkommen der unteren 50 Prozent der Bevölkerung über einen Zeitraum von 30 Jahren hinweg gesunken ist.9 Das liegt nicht daran, dass man an einer einzelnen Stelle falsch abgebogen ist. Dieses Buch wird zeigen, dass Amerika sich deutlich von einigen zentralen Grundsätzen entfernt hat, die soziale Gerechtigkeit innerhalb der amerikanischen Gesellschaft definierten. Amerikas größter politischer und moralischer Philosoph der jüngeren Vergangenheit war John Rawls. In seinen Werken versuchte er, die Weisheit von Europas großen Philosophen zu destillieren. Von ihnen hatten auch Amerikas Gründerväter gelernt. Leider ist vielen Amerikanern gar nicht bewusst, wie sehr sie sich von einigen Gründungsgrundsätzen abgewendet haben.

Ebenso sind sich nur wenige Amerikaner bewusst, dass sich die Welt, seit Amerika in den 1950er-Jahren auf dem Höhepunkt seiner Macht stand, in vielen wichtigen Dimensionen verändert hat. Gemessen in Kaufkraftparitäten entfielen 1950 auf Amerika 27,3 Prozent des globalen BIP, während China nur auf 4,5 Prozent kam.10 1990, in einem triumphalen Augenblick am Ende des Kalten Kriegs, stand Amerika bei 20,6 Prozent und China bei 3,86 Prozent. 2018 lag Amerika (15 Prozent) hinter China zurück (18,6 Prozent).11 In einem wichtigen Aspekt ist Amerika bereits nur noch die Nummer 2. Nur wenige Amerikaner sind sich dessen bewusst und noch weniger haben darüber nachgedacht, was das bedeutet.

Noch entscheidender: Der globale Kontext, vor dem die Rivalität zwischen den USA und China ablaufen wird, unterscheidet sich sehr von den Zuständen, die während des Kalten Kriegs herrschten. Die Welt ist komplexer geworden. Eines ist klar: Es ist nicht unmöglich, dass Amerika auch künftig die vorherrschende Weltmacht sein wird, aber wenn Amerika sich nicht an die Umstände anpasst, die in der neuen Welt herrschen, wird dieser Ausgang mit der Zeit immer unwahrscheinlicher.

Was die zivilisatorische Dynamik anbelangt, kehrt die Welt zu einer Art historischem Gleichgewicht unterschiedlicher menschlicher Gesellschaften zurück. Mehr als 200 Jahre schnitt die westliche Gesellschaft deutlich besser ab als der Rest der Welt und konnte auf diese Weise historische Präzedenzen abschütteln. Vom Jahr 1 bis 1820 waren China und Indien stets die Gesellschaften mit den weltweit größten Volkswirtschaften gewesen. Insofern waren die vergangenen 200 Jahre eine Abweichung von der Norm.

Dass der Westen die Welt nicht länger dominieren kann, liegt unter anderem daran, dass die restliche Welt so viel vom Westen gelernt hat. In Feldern wie Ökonomie, Politik, Wissenschaft und Technologie haben die anderen Länder vieles übernommen, was sich im Westen zum Standard entwickelt hat. Das Ergebnis: Weite Teile der westlichen Zivilisation (insbesondere Europa) wirken erschöpft, antriebsarm und energielos, während gleichzeitig andere Zivilisationen gerade erst loslegen. In dieser Hinsicht ähneln menschliche Gesellschaften anderen lebenden Organismen. Sie durchlaufen Lebenszyklen.

Chinas Zivilisation hat viele Aufs und Abs hinter sich, insofern sollte es niemanden überraschen, dass sie jetzt wieder erstarkt. China existiert seit mehr als 2.000 Jahren und seine Zivilisation hat im Laufe der Zeit kräftige Sehnen entwickelt. Professor Wang Gungwu merkt an, dass die Welt viele alte Zivilisationen kennt, aber es nur eine einzige gibt, die viermal abgestürzt und wieder auferstanden ist – die chinesische. Als Zivilisation ist China erstaunlich widerstandsfähig, zudem ist das chinesische Volk ausgesprochen talentiert. Blicken die Chinesen auf ihre über 2.000 Jahre währende Geschichte zurück, ist ihnen sehr wohl bewusst, dass es der chinesischen Zivilisation, seit Qin Shi Huang im Jahr 221 vor unserer Zeitrechnung China vereinte, niemals so gut ergangen ist wie während der vergangenen 30 Jahre unter der Herrschaft der KPCh. Unter dem kaiserlichen System der vergangenen 2.000 Jahre ist der gewaltige Pool an zur Verfügung stehender Intelligenz größtenteils nie dermaßen entwickelt worden wie heute, in den vergangenen 30 Jahren wurde er zum ersten Mal in der Geschichte Chinas in enormem Umfang angezapft.

Die Kombination aus kulturellem Selbstvertrauen, das die Chinesen seit Jahrhunderten besitzen, und dem vom Westen übernommenen Wissen verleiht der chinesischen Gesellschaft heute eine ganz besondere Vitalität. Jean Fan, eine chinesischstämmige Amerikanerin, die an der Uni Stanford im Bereich Wissenschaft forscht, besuchte 2019 China und merkte anschließend an: „China verändert sich auf eine weitreichende und instinktive Weise und es verändert sich schnell, auf eine Art und Weise, die, wenn man es nicht selbst erlebt, nahezu unverständlich ist. Im Gegensatz zu Amerikas Stagnation sind in China Kultur, Selbstverständnis und Moral einem raschen Wandel unterzogen – größtenteils zum Besseren.“12

Könnte man messen, wie sich die jeweilige Stärke und Widerstandskraft unterschiedlicher menschlicher Zivilisationen über einen Zeitraum von mehr als 2.000 Jahren entwickelt haben, könnte Chinas Zivilisation durchaus auf dem ersten Platz stehen. Die außerordentliche Vitalität von Chinas Gesellschaft ist kein Einzelfall. Auch andere asiatische Gesellschaften blühen auf, weil der Westen ein guter Lehrer für die restliche Welt war und seine Lehren breit gestreut hat.13

Aufgrund einer ungewöhnlichen kulturellen Eigenart kann ich mich kompetent zur zivilisatorischen Vitalität unterschiedlicher asiatischer Gesellschaften äußern. Meine kulturellen Verbindungen reichen in diverse Gesellschaften Asiens hinein, Heimat der einen Hälfte der Menschheit, von Teheran bis Tokio. Geboren wurde ich 1948 in Singapur als Kind zweier hinduistischer Sindhi-Eltern, was mich mit mehr als einer Milliarde Hindus in Südasien verbindet. [Anm. d. Übers.: Sindhi wird vor allem in der südpakistanischen Region Sindh gesprochen.] In neun der zehn südostasiatischen Staaten weist die Kultur indische Wurzeln auf. Wenn ich in Südostasien Zeuge werde, wie Geschichten aus dem Ramayana und dem Mahabharata (ein fester Bestandteil meiner Kindheit) aufgeführt werden, spüre ich meine Verbindung zu ihnen. [Anm. d. Übers.: Es handelt sich um die beiden indischen Nationalepen.] Mehr als 550 Menschen leben in diesem südostasiatisch-indischen Raum. Meine Eltern waren 1947 wegen der schmerzhaften Trennung zwischen dem hinduistisch dominierten Indien und dem islamisch geprägten Pakistan ausgewandert. Als Kind lernte ich, Sindhi mit seiner arabischen Schrift zu lesen und zu schreiben. Mein Name Mahbubani stammt vom arabisch-persischen Wort mahbub ab, was so viel wie „Angebeteter“ bedeutet. Wann immer ich also den arabischen oder iranischen Kulturraum besuche, kann ich dorthin ebenfalls eine kulturelle Verbindung spüren. Und wenn ich buddhistische Tempel in China, Korea und Japan aufsuche, kann ich ebenfalls eine Form der kulturellen Verbundenheit wahrnehmen. Die Ursprünge des Buddhismus mit seinen Wurzeln im Hinduismus liegen in Indien. Als ich klein war, ging meine Mutter zum Beten mit mir genauso in buddhistische Tempel wie in Hindutempel.

Diese persönliche Verbindung zu einer erstaunlich weiten Spanne asiatischer Gesellschaften sowie meine zehn Jahre als Botschafter an den Vereinten Nationen haben mich zu der Überzeugung gebracht, dass sich im Reich der internationalen Angelegenheiten die Textur und die Chemie der Welt auf eine Art und Weise gewandelt haben, von der die meisten Amerikaner nichts mitbekommen haben. 193 Nationalstaaten sind Mitglieder der UNO. Eine einfache Frage, die wir uns in diesem Zusammenhang stellen sollten: China oder die Vereinigten Staaten, welches Land schwimmt in dieselbe Richtung wie die Mehrheit der anderen 191 Staaten?

Die meisten Amerikaner gehen davon aus, dass Amerikas Politik und Amerikas Ziele von Natur aus im Einklang mit dem Rest der Welt stehen, schließlich übt Amerika seit Jahrzehnten eine Führungsrolle gegenüber dem Rest der Welt aus. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab Amerika die allgemeine Richtung für die liberale internationale Ordnung vor (die „auf Regeln basierende internationale Ordnung“ wäre vermutlich treffender). Die wichtigsten globalen multilateralen Institutionen entstanden allesamt auf dem Höhepunkt der amerikanischen Macht, darunter die Vereinten Nationen, die Welthandelsorganisation (WTO), der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank. Sie spiegeln amerikanische Werte wider und ihre kulturelle Identität ist westlich, nicht asiatisch oder chinesisch. Doch obwohl diese Institutionen westliche Werte und Prioritäten repräsentieren, hat sich Amerika in den vergangenen Jahren von ihnen abgewandt, während sich der Rest der Welt und insbesondere China ihnen zugewandt hat.

Kurzum: Es ist alles andere als gewiss, dass Amerika den Wettstreit gewinnen wird. Chinas Chancen, als dominierender Einfluss auf der Weltbühne hervorzugehen, sind genauso groß wie die Amerikas. Tatsächlich bereiten sich viele aufmerksame Anführer und Beobachter in strategisch sensiblen Ländern rund um den Globus auf eine Welt vor, in der China die Nummer 1 sein könnte.

Aber genauso wie es ein strategischer Fehler amerikanischer Denker war, einen Erfolg als unumgänglich vorauszusetzen, wäre es ein ebenso kolossaler strategischer Schnitzer Chinas, nun seinerseits einen Erfolg als garantiert zu erachten. Wenn es um die Größe und die Widerstandsfähigkeit seiner Gesellschaft geht, genießt China viele Vorteile, aber Chinas Führung wäre schlecht beraten, würde sie die grundsätzliche Stärke der amerikanischen Wirtschaft und Gesellschaft unterschätzen. Nachdem die Finanzkrise 2008/2009 (die man treffender als „Finanzkrise im Westen“ bezeichnen sollte) die Volkswirtschaften des Westens erschütterte, ließ sich China unvernünftigerweise zu einem arroganten Auftreten hinreißen. Das kam das Land teuer zu stehen. Zum Zeitpunkt der Krise rund um die Bank Lehman Brothers wirkte es, als hinge das viel gerühmte amerikanische Finanzsystem in den Seilen. Chinas Führung war so unklug, sich abfällig über Amerika zu äußern. Zehn Jahre später hat sich Amerika wieder erholt. Wäre ich ein ranghoher Berater von Chinas Präsident Xi Jinping, würde ich Xi dringend ans Herz legen, Amerikas Stärken eher zu überschätzen als zu unterschätzen. Und würde man mich bitten, für Präsident Xi ein Memo über Amerikas große Stärken zu erstellen, würde dieses Schriftstück so aussehen:

Memo an den Genossen Xi Jinping: „Vorbereitung auf die große Auseinandersetzung mit Amerika“

1. Januar 2020

In 20 Jahren jährt sich zum 200. Mal der Jahrestag der erniedrigendsten Phase der chinesischen Geschichte. Wir, das chinesische Volk, wurden von den Briten gezwungen, als Bezahlung für unseren kostbaren Tee Opium zu akzeptieren. Wie Genosse Xi sagte: „Der Opiumkrieg von 1840 stürzte China in die Dunkelheit innerer Unruhen und ausländischer Aggression. Das vom Krieg geplagte Volk musste mitansehen, wie sein Heimatland zerrissen wurde, und es lebte in Armut und Verzweiflung.“14 Wir waren schwach. Wir haben 100 Jahre der Erniedrigung erlitten, bis der Vorsitzende Mao bei der Gründungszeremonie für die Volksrepublik China erklärte: „Das chinesische Volk hat sich erhoben.“15

Heute sind wir stark. Keine Macht kann China erniedrigen. Wir befinden uns auf dem Weg zu einer nationalen Verjüngung. Bei der Eröffnung des 19. Parteitags der KPCh inspirierte Genosse Xi uns mit seiner Erinnerung: „Das Hauptthema dieses Parteitags lautet: Die ursprüngliche Zielvorstellung im Kopf behalten, die Mission beherzigen, das große Banner des Sozialismus chinesischer Prägung hochhalten, den entscheidenden Sieg der umfassenden Vollendung des Aufbaus einer Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand erringen, um große Siege des Sozialismus chinesischer Prägung im neuen Zeitalter kämpfen und ununterbrochen nach Verwirklichung des chinesischen Traums des großartigen Wiederauflebens der chinesischen Nation streben.“16

Dennoch sehen wir uns jetzt der größten Herausforderung auf dem Weg zu Chinas Verjüngung ausgesetzt. Wir hatten gehofft, dass das „schöne Land“ weiterschlafen würde, während China aufsteigt. [Anm. d. Übers.: Auf Mandarin heißt Amerika meiguo (), wörtlich „schönes Land“.] Leider jedoch ist es mittlerweile erwacht. Wir müssen uns auf eine intensive Auseinandersetzung in den nächsten paar Jahrzehnten vorbereiten, bevor wir unser Ziel der nationalen Verjüngung erreichen.

Es wäre ein gewaltiger strategischer Fehler, die großen Stärken Amerikas zu unterschätzen. Das chinesische Volk fürchtet Chaos. Es ist die eine Kraft, die China in der Vergangenheit in die Knie gezwungen hat und großes Leid über das chinesische Volk brachte. Ganz offenkundig erleidet Amerika derzeit Chaos. Präsident Donald Trump war eine polarisierende und spaltende Persönlichkeit. Seit dem Bürgerkrieg von 1861 bis 1865 war die amerikanische Gesellschaft niemals derart gespalten.

Chaos sollte ein Zeichen von Schwäche sein, doch für Amerika ist es ein Zeichen von Stärke. Das Chaos ist die Folge davon, dass die Menschen lautstark darüber streiten, welche Richtung Amerika einschlagen sollte. Dass die Menschen so laut streiten, liegt daran, dass sie glauben, das Land gehöre ihnen und nicht der Regierung. Dieses Besitzgefühl sorgt beim amerikanischen Volk für ein gewaltiges Maß an individueller Befähigung. Die chinesische Kultur schätzt gesellschaftliche Harmonie höher als die Befähigung des Einzelnen. In Amerikas Kultur ist es genau andersherum.

Dieses Gefühl der individuellen Befähigung hat es der amerikanischen Gesellschaft erlaubt, einige der mächtigsten Personen auf dem Planeten Erde hervorzubringen. In vielen Gesellschaften wird der Nagel, der hervorsteht, flach gehämmert. Ein chinesisches Sprichwort besagt: „Ein hoher Baum steht im Wind“ (shù dà zhāo fēng, ) – eine Person in herausragender Position muss sich darauf einstellen, Angriffen ausgesetzt zu sein. In Amerika wird der hohe Baum verehrt. Bei den Amerikanern, die am meisten bewundert und respektiert werden, handelt es sich deshalb um erfolgreiche Individuen wie Bill Gates von Microsoft, Steve Jobs von Apple oder Jeff Bezos von Amazon.

Selbst Mark Zuckerberg und Elon Musk werden weiterhin bewundert, obwohl doch ihre Unternehmen Facebook beziehungsweise Tesla viel Kritik einstecken müssen. Wenn es darum geht, starke Individuen hervorzubringen, verfügt keine Gesellschaft über ein dermaßen förderliches Klima wie Amerika.

Diese große Stärke Amerikas kann unsere Gesellschaft nicht kopieren. Dass sich China nach 100 Jahren wieder erhoben hat, liegt an einer alles überragenden Figur wie Mao Zedong. Amerikas Gesellschaft bringt viele Mao Zedongs hervor.

Amerikas zweiter großer strategischer Vorteil besteht darin, dass das Land Zugriff auf die klügsten Köpfe der Menschheit hat. Mit 1,4 Milliarden Menschen ist Chinas Bevölkerung viermal so groß wie Amerikas, theoretisch kann sich China also aus einem größeren Pool an Talenten bedienen als Amerika. Doch wie Lee Kuan Yew so klug anmerkte, verfügt Amerika über die Fähigkeit, die besten Talente aus der ganzen Welt anzulocken. Anders als die meisten Länder akzeptiert Amerika im Ausland geborene Menschen bereitwillig, wenn diese in Amerika erfolgreich sind. Das ist der Grund, warum in den vergangenen Jahren viele große Unternehmen Chefs hatten, die zwar amerikanische Staatsbürger waren, aber nicht in den USA geboren sind, beispielsweise Indra Nooyi von PepsiCo, Sundar Pichai von Google, Satya Nadella von Microsoft und Andy Grove von Intel. Es ist kein Nachteil, im Ausland geboren zu sein. Ganz anders die Situation in China: Keine größere chinesische Firma oder Institution wird von einer nicht in China geborenen Person geführt.

Amerikas dritter großer strategischer Vorteil sind seine starken Institutionen. Amerika glaubt an die Befähigung des Einzelnen und ermutigt dazu, aber es verlässt sich nicht auf starke individuelle Anführer, sondern darauf, dass starke Institutionen die Gesellschaft schützen. Es war wirklich brillant von den Gründern der amerikanischen Republik, eine Verfassung mit dem System von Checks and Balances zu entwerfen. Präsident und Kongress werden demokratisch gewählt und besitzen viel Macht, aber ihr Handeln wird von anderen Institutionen beobachtet, etwa den freiesten Medien der Welt und dem Obersten Gerichtshof. Als der Oberste Gerichtshof erklärte, das Einreiseverbot, das Präsident Donald Trump gegen Muslime verhängte, verstoße gegen die Verfassung, konnte Trump nicht mithilfe des Militärs das Oberste Gericht stürzen (wie es viele Präsidenten in vielen anderen Ländern getan haben). In Amerika ist die Rechtsstaatlichkeit stärker als die jeweils amtierende Regierung.

Die Stärke der amerikanischen Institutionen und der Rechtstaatlichkeit erklären, warum die ganze Welt dem amerikanischen Dollar vertraut. Auf diesem Glauben an den US-Dollar beruht sein Status als primäre globale Leitwährung. Auf diese Weise kommt Amerika in den Genuss des „exorbitanten Privilegs“, zum Finanzieren seiner Haushaltsdefizite und Leistungsbilanzdefizite einfach Geld drucken zu können. In den vergangenen Jahren hat Amerika darüber hinaus den Dollar als mächtige Waffe dafür eingesetzt, andere Länder zu sanktionieren oder unter Druck zu setzen. China verfügt über keine derartige Waffe.

Unsere Wirtschaft war früher nur ein Zehntel so groß wie die amerikanische. Inzwischen sind es über 60 Prozent.17 Unser Land betriebt mehr Handel mit dem Rest der Welt als Amerika. Wir haben einen Anteil von 10,22 Prozent an den globalen Gesamtimporten und 12,77 Prozent an den globalen Gesamtexporten, während der Anteil der USA an den globalen Importen 13,37 Prozent und an den globalen Exporten 8,72 Prozent beträgt.18,19 Betrachtet man hingegen die globalen Handelstransaktionen, entfallen noch immer 41,27 Prozent aller Transaktionen auf den Dollar, während der Renminbi (RMB) 0,98 Prozent ausmacht.20

Warum ist das so? Weil Länder und wohlhabende Personen an den Dollar glauben. Der Renminbi kann den Dollar bei globalen finanziellen Transaktionen nicht ablösen, denn dazu müssten wir den Renminbi zu einer frei konvertierbaren Währung machen. Dieser Schritt ist auf absehbare Zeit für unsere Volkswirtschaft nicht zu realisieren, insofern wird der Dollar noch auf viele Jahrzehnte hinaus die wichtigste globale Währung darstellen.

Amerikas vierter großer strategischer Vorteil besteht darin, dass das Land über die besten Universitäten der Welt verfügt. In der langen Geschichte der Menschheit waren die erfolgreichsten Gesellschaften stets jene, die unterschiedliche Gedankenschulen gefördert haben.

In Chinas kreativster Periode entstanden viele Gedankenschulen gleichzeitig – Konfuzianismus, Taoismus, Legalismus. Heute ist Amerika weltweit führend, wenn es darum geht, unterschiedliche Ansichten zu fördern. Amerikas Universitäten haben die stärksten intellektuellen Ökosysteme der Welt erschaffen. Diese Kultur, althergebrachtes Wissen infrage zu stellen und zu kritisieren, fördert wiederum Kreativität und Innovation. Auf einem Gebiet nach dem anderen bringt Amerika aus diesem Grund mehr Nobelpreisträger hervor als jedes andere Land. In den 1980er-Jahren gab es eine Phase, da schien es, als ob Japan wirtschaftlich an Amerika vorbeiziehen könnte. Doch selbst auf dem Höhepunkt seiner Erfolge brachte Japan vergleichsweise wenige Nobelpreisträger hervor. An amerikanischen Universitäten lehren Hunderte Wissenschaftler, die mit einem Nobelpreis ausgezeichnet wurden.