Hat die Wissenschaft Gott begraben? - John Lennox - E-Book

Hat die Wissenschaft Gott begraben? E-Book

John Lennox

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Beschreibung

Wenn man Richard Dawkins und anderen glauben soll, dann hat die moderne Wissenschaft Gott in die Ecke gestellt, "umgebracht" und schließlich begraben. Der Atheismus sei die einzig legitime Denkposition und die Vorstellungen von einem Schöpfer- und Erhaltergott eine verzichtbare Hypothese, die die Wissenschaft nur behindert. In diesem anregenden und provozierenden Buch lädt der bekannte Mathematiker John Lennox ein, solche Thesen ernsthaft zu überdenken. Gott passt viel besser in die moderne Wissenschaft, als es sich manche Ideologen träumen lassen. Eine durchgesehene und umfassend ergänzte Neufassung des seit Jahren bekannten Longsellers! "Ein Muss für alle, die über die großen Fragen des Lebens nachdenken" Alister McGrath Stand: 9. Gesamtauflage 2009

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John Lennox

Hat die Wissenschaft

Gott begraben?

Eine kritische Analyse

moderner Denkvoraussetzungen

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Dieses Buch erscheint in der Reihe »Glaube und Wissenschaft«

des INSTITUTS FÜR GLAUBE UND WISSENSCHAFT

Herausgeber der Reihe ist Dr. Jürgen Spieß

Titel der Originalausgabe: God’s Undertaker – Has Science Buried God?

Published by Lion, Oxford

Copyright © 2009 John C. Lennox

Bibelzitate folgen der »Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift«, © 1980, Katholische Bibelanstalt Stuttgart

Dieses Buch basiert auf Vorträgen zum Thema Glaube, Vernunft und Wissenschaft im Rahmen einer Vorlesungsreihe am Department for Continuing Education an der Universität Oxford und am Institut für Philosophie an der Universität Salzburg. Es versucht, die Argumente der modernen Wissenschaft in der Debatte zwischen der atheistischen und theistischen Deutung des Universums zu beurteilen und eine Grundlage für Diskussionen zu schaffen.

Deutsch von Ursel Schmidt

9. Gesamtauflage

© 2009 SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten

Umschlag: Krausswerbeagentur.de, Herrenberg

Satz: Satz & Medien Wieser, Stolberg

Druck: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

ISBN 978-3-417-21949-4 (E-Book)

ISBN 978-3-417-26261-2 (lieferbare Buchausgabe)

Bestell-Nr. 226.261

Datenkonvertierung E-Book:

Fischer, Knoblauch & Co. Medienproduktionsgesellschaft mbH, 80801 München

»Eine glänzend begründete Neueinschätzung der Beziehung zwischen Wissenschaft und Religion, die ein begrüßenswert neues Licht auf die aktuelle Debatte wirft. Für jeden, der über die größten Fragen des Lebens nachdenkt, ist dieses Buch ein Muss.«

Alister E. McGrath, MA DPhil DD,

Professor für Historische Theologie an der Universität Oxford und

Senior Research Fellow am Harris Manchester College

»Dieses Buch ist mehr als nur eine kritische Analyse der im Titel tiefgründig gestellten Frage. Es ist eine wissenschaftliche Detektivgeschichte, die die volle Aufmerksamkeit des Lesers fesselt, während ein Beweis nach dem anderen geführt wird. Ganz im Stile Hercule Poirots gelangt John Lennox zu seinem abschließenden Fazit, indem er eine Antwort liefert, die die aus seiner Sicht einzig mögliche Lösung aus den zusammengetragenen Beweisen ist. Wer zu Beginn des Buches denkt, die Antwort auf die Titelfrage sei ›Nein‹, wird an der beachtlichen Beweissammlung Gefallen finden. Denkt jemand zu Beginn, die Antwort laute ›Ja‹, dann ist er am Ende des Buches vielleicht nicht vom Gegenteil überzeugt, aber er wird sicher mit vielen Herausforderungen konfrontiert und erhält Gedankenanstöße, die die eigene Argumentation entkräften. Zu welchem Schluss man auch kommt, es ist unmöglich, die Lektüre nicht anregend zu finden.«

Keith Frayn, PhD ScD FRCPath,

Professor für Innere Medizin mit Schwerpunkt Stoffwechsel

an der Universität Oxford

»Für mich als Agnostiker (›Nicht-Wissender‹ im eigentlichen Sinne des Wortes) war dieses Buch von John Lennox faszinierend und bot eine Menge Stoff zum Nachdenken. Die Beziehung zwischen der Wissenschaft, sowohl im Bereich der Biologie als auch der Kosmologie, und dem christlichen Glauben wird eingehend diskutiert. Indizien werden sorgfältig abgewogen, um die Ansicht, die beiden Denkansätze seien unvereinbar, zu hinterfragen. Der Autor ist ein engagierter Christ und ein international anerkannter Mathematiker. Kann er den Leser mit seinen Argumenten überzeugen? Dies zu beurteilen, überlasse ich anderen. Unabhängig, zu welcher Schlussfolgerung man kommt, man muss zugeben, dass es ein gut geschriebenes und anregendes Buch ist, das zur argumentativ geführten Diskussion mit der grundlegenden Frage beiträgt: ›Hat die Wissenschaft Gott begraben?‹«

Alan Emery, MD PhD DSc FRCP FRCPE FRSE FRSA,

Professor emeritus für Humangenetik an der Universität Edinburgh

»Hat die Wissenschaft Gott begraben? von John Lennox ist ein wichtiger und aktueller Beitrag zu der Debatte und zu den Fragen über den Ursprung des Universums und seiner physikalischen Gesetze, über die Entstehung der komplexen biologischen Strukturen und – wenn es sie gibt – der Bestimmung des Menschen. Es gibt einige (sowohl religiöse Menschen als auch Materialisten), die den Eindruck vermitteln, dass wir Antworten auf diese sehr grundlegenden Fragen haben und, was bedenklich ist, sie versuchen sogar die Debatte abzuwürgen und zu zensieren. Meiner Meinung nach sollten wir weitere niveauvolle Debatten über die Entstehung der Menschheit anregen, anstatt länger Diskussionen zu hemmen. Deshalb halte ich es für wesentlich, dass Manuskripte wie Hat die Wissenschaft Gott begraben? publiziert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, damit jeder selbst urteilen kann.«

Chris Paraskeva, BSc DPhil,

Professor für Experimentelle Onkologie an der Universität Bristol

Für Sally, ohne deren Liebe, Ermutigung und Unterstützung dieses Buch – und vieles andere – nie beendet worden wäre.

Inhalt

Vorwort

1. Krieg der Weltanschauungen

2. Reichweite und Grenzen der Wissenschaft

3. Reduktion, Reduktion, Reduktion ...

4. Geplantes Universum?

5. Geplante Biosphäre?

6. Wesen und Bereich der Evolution

7. Ursprung des Lebens

8. Der genetische Code und sein Ursprung

9. Information

10. Die Affenmaschine

11. Ursprung der Information

12. Verletzung der Naturgesetze? Das Vermächtnis von David Hume

Nachwort: Jenseits der Wissenschaft, aber nicht jenseits der Vernunft

Anmerkungen

Index

Vorwort

»Was ist der Sinn des Ganzen?«

Richard Feynman

Warum gibt es etwas und nicht nichts? Warum, vor allem, gibt es ein Universum? Woher kam es und wohin – wenn es ein Wohin gibt – steuert es? Ist es selbst die eigentliche Wirklichkeit, hinter der nichts mehr kommt, oder gibt es etwas darüber hinaus? Stellen wir uns mit Richard Feynman die Frage: »Was ist der Sinn des Ganzen?«, oder hatte Bertrand Russell recht, als er sagte: »Das Universum ist einfach da, und das ist alles«?

Diese Fragen haben nichts von ihrer Kraft verloren, die menschliche Fantasie anzuregen. Angespornt von dem Wunsch, den Mount Everest des Wissens zu erklimmen, haben uns Wissenschaftler bereits spektakuläre Einblicke in das Wesen unseres Universums ermöglicht. Auf der Skala des unvorstellbar Großen überträgt das Hubble-Weltraumteleskop aus seiner Umlaufbahn über der Atmosphäre überwältigende Himmelsbilder. Auf der Skala des unvorstellbar Kleinen deckt das Rastertunnelmikroskop die unglaublich komplexe Molekularbiologie der belebten Natur mit seinen informationsreichen Makromolekülen und seinen mikroskopisch kleinen Proteinfabriken auf, deren Komplexität und Präzision selbst die hoch entwickelten menschlichen Technologien im Vergleich dazu als unausgereift erscheinen lassen.

Sind wir und das Universum mit seiner Fülle an galaktischer Schönheit und subtiler biologischer Komplexität nichts anderes als das Produkt irrationaler Kräfte, die ungesteuert auf geistlose Materie und Energie einwirken? Ist es nicht eher unwahrscheinlich, dass das menschliche Leben nur eine von vielen Ansammlungen von Atomen ist, die sich außerdem noch zufällig ereignet? Oder, wie können wir in irgendeiner Hinsicht etwas Besonderes sein, seitdem wir wissen, dass wir einen winzigen Planeten bewohnen, der einen ziemlich durchschnittlichen Stern umkreist, weit draußen an einem Arm einer Spiralgalaxie, die Milliarden ähnlicher Sterne enthält und die selbst nur eine von Milliarden von Galaxien ist – verteilt in der unermesslichen Weite des Weltraums?

Darüber hinaus gibt es Mutmaßungen, dass sicher noch weitere Universen mit ganz unterschiedlichen Strukturen existieren könnten, wenn bestimmte grundlegende Eigenschaften unseres Universums, wie die Stärke der Grundkräfte der Natur und die Anzahl der wahrnehmbaren Raum-Zeit-Dimensionen, das Ergebnis von zufälligen Auswirkungen bei der Entstehung des Weltalls sind. Kann es nicht sein, dass unser Universum nur eines aus einer Unmenge nebeneinander bestehender Universen ist, die für immer voneinander getrennt sind? Ist es deshalb nicht absurd zu meinen, dass den Menschen irgendeine entscheidende Bedeutung zukommt? Ihre Größe, gemessen in einem Multiversum, würde praktisch gegen null gehen.

Deshalb wäre es sicher ein intellektuell blamables und nostalgisches Vorhaben, zu den Anfängen der modernen Wissenschaft zurückzugehen, als Naturwissenschaftler, wie zum Beispiel Bacon, Galilei, Kepler, Newton und Clerk Maxwell, noch an einen intelligenten Schöpfergott glaubten, dessen geistiges Produkt das Universum war. Von diesem primitiven Denken hat sich die Wissenschaft weiterbewegt, sagt man uns. Sie hat Gott durch ihre allumfassenden Erklärungen in eine Ecke gedrängt, getötet und ihn dann begraben. Gott, so heißt es, ist nicht greifbarer als das Grinsen der kosmischen Katze aus »Alice im Wunderland«. Im Unterschied zu Schrödingers Katze ist Gott keine geisterhafte Überlagerung zwischen Leben und Tod – er ist ganz sicher tot. Zudem zeigt der ganze Verlauf seines Ablebens, dass jeder Versuch, Gott wieder einzuführen, wahrscheinlich den Fortschritt der Wissenschaft behindern würde. Es wird immer offensichtlicher, dass Naturalismus – die Annahme, alles ist Natur ohne jede Transzendenz – unangefochten an erster Stelle steht.

Peter Atkins, Professor für Chemie an der Universität Oxford, verteidigt diese Ansicht energisch, räumt aber das religiöse Element am Anfang der Entwicklung der Wissenschaft ein: »Das Glaubenssystem Wissenschaft, das fest gegründet auf allgemein anerkanntem, reproduzierbarem Wissen basiert, hat sich aus Religion entwickelt. Als die Wissenschaft ihre Verpuppung abstreifte, um der jetzige Schmetterling zu werden, löste sie die unscheinbare Motte ab. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass Wissenschaft nicht jeden Aspekt der Existenz bewältigen kann. Nur die Frommen – zu denen ich nicht nur die Voreingenommenen, sondern auch die wenig Informierten zähle – hoffen, dass es einen dunklen Winkel im physikalischen Universum oder im Universum der Erfahrungen gibt, den die Wissenschaft nie beleuchten wird. Aber die Wissenschaft ist nie auf ein Hindernis gestoßen, und die einzigen Gründe anzunehmen, dass der Reduktionismus scheitern wird, sind der Pessimismus der Naturwissenschaftler und die Angst in den Köpfen der Frommen.«1

Im Jahre 2006 fand im Salk Institute for Biological Studies in La Jolla, Kalifornien, eine Konferenz zum Thema: »Beyond belief: science, religion, reason and survival« statt. Zu der Frage, ob Wissenschaft sich der Religion entledigen sollte, sagte Nobelpreisträger Steven Weinberg: »Die Welt muss von ihrem langen Albtraum Religion aufwachen. […] Alles, was von uns Wissenschaftlern getan werden kann, um den Einfluss der Religion abzuschwächen, sollte getan werden, es könnte tatsächlich unser größter Beitrag für die Zivilisation sein.« Es überrascht nicht, dass Richard Dawkins in seiner Aussage noch weiter ging: »Ich habe es satt, wie wir durch Gehirnwäsche dazu gebracht wurden, der Religion Respekt zu zollen.«

Aber stimmt das tatsächlich? Können alle religiösen Menschen als voreingenommen und wenig informiert abgeschrieben werden? Schließlich sind einige von ihnen Wissenschaftler, die einen Nobelpreis erhalten haben. Setzen sie wirklich ihre Hoffnung darauf, einen dunklen Winkel des Universums zu entdecken, den die Wissenschaft nie beleuchten wird? Das ist keine faire oder wahre Darstellung der frühen Pioniere der Wissenschaft, die, wie Kepler, gerade wegen ihrer Überzeugung von der Existenz eines Schöpfers in ihrer Forschung zu immer Größerem inspiriert wurden. Für sie waren es gerade die dunklen Winkel des Universums, die, von der Wissenschaft beleuchtet, zahlreiche Hinweise für die Genialität Gottes lieferten.

Und wie verhält es sich mit der Biosphäre? Ist ihre vielschichtige Komplexität nur scheinbar geplant, wie Richard Dawkins, Peter Atkins’ treuer Verbündeter im Glauben, annimmt? Kann Vernunft unter den Zwängen der Naturgesetze wirklich durch ungesteuerte natürliche Prozesse, aus den Grundstoffen des Universums nach dem Zufallsprinzip entstehen? Liegt die Lösung des Leib-Seele-Problems einfach darin, dass sich der rationale Verstand aus einem geistlosen Körper durch ungerichtete geistlose Prozesse entwickelt hat?

Wie das öffentliche Interesse zeigt, verschwinden Fragen zur Bedeutung der naturalistischen Theorie nicht so schnell. Ist Naturalismus für die Wissenschaft tatsächlich unabdingbar? Oder ist es auch denkbar, dass Naturalismus eine Philosophie ist, die an die Wissenschaft herangetragen wurde, eher so etwas wie eine Beigabe? Ist die Frage erlaubt, ob es sich dabei vielleicht um einen Ausdruck von Glauben handelt, ähnlich dem religiösen Glauben? Denen, die so denken, möge man wenigstens verzeihen; sieht man doch, wie manche behandelt werden, die es wagen, solche Fragen zu stellen. Ähnlich religiösen Ketzern aus früheren Zeiten erleiden sie eine Art Martyrium, indem man ihnen die Zuschüsse kürzt.

Aristoteles soll gesagt haben, wer Erfolg haben will, muss die richtigen Fragen stellen. Offensichtlich gibt es bestimmte Fragen, die man besser nicht stellt – und noch gefährlicher ist es, wenn man versucht, bestimmte Fragen zu beantworten. Sich jedoch auf diese Art von Risiko einzulassen, entspricht sowohl dem Geist als auch den Interessen der Wissenschaft. Vom historischen Standpunkt aus ist diese Frage an sich nicht kontrovers. Im Mittelalter beispielsweise musste sich die Wissenschaft von bestimmten Sichtweisen der aristotelischen Philosophie befreien, ehe sie einen wirklichen Schub nach vorne machen konnte. Aristoteles hatte gelehrt, dass jenseits des Mondes alles Perfektion besaß und, da für ihn nur die Kreisbewegung vollkommen war, sich die Planeten und Sterne in kreisförmigen Bahnen bewegten. Diesseits des Mondes war Bewegung linear, und es gab Unvollkommenheit. Jahrhundertelang beherrschte diese Ansicht das Denken, bis Galilei durch sein Teleskop die zerklüftete Oberfläche des Mondes sah. Das Universum hatte gesprochen. Ein Teil von Aristoteles’ Schlussfolgerungen aus seinem apriorischen Ansatz der Vollkommenheit lag in Trümmern.

Aber Galilei war nach wie vor besessen von den aristotelischen Kreislinien: »Danach scheint mir der Schluss völlig gerechtfertigt, dass behufs Aufrechterhaltung der vollkommenen Ordnung die beweglichen Teile der Welt notwendig sich kreisförmig bewegen, […].«2 Jedoch die Kreise selbst waren dem Untergang geweiht. Dies ging zurück auf Kepler, der die ersten, sehr genauen Beobachtungen von der Marsbahn benutzte, die sein Vorgänger Tycho Brahe, Kaiserlicher Hofmathematiker in Prag, gemacht hatte. Kepler wagte es zu behaupten, dass astronomischen Beobachtungen eine größere Bedeutung zukommt als den auf die apriorische Theorie gestützten Berechnungen für die kreisförmige Planetenbewegung. Alles Weitere ist Geschichte. Er kam als Erster auf die bahnbrechende Idee, dass die Umlaufbahn der Planeten um die Sonne durch eine ›perfekte‹ Ellipse beschrieben werden kann, in deren einem Brennpunkt sich die Sonne befindet. Später wurde diese Auffassung eindeutig durch Newtons Gesetz bestätigt, dass die Gravitationskraft proportional zum inversen Abstand im Quadrat ist (G ~ 1/r). Dieses Gesetz fasste alle diese Entwicklungsschritte in einer erstaunlich kurzen, eleganten Formel zusammen. Kepler hatte die (Natur-)Wissenschaft für immer verändert, indem er sie von der unzulänglichen Philosophie, die sie über Jahrhunderte gefesselt hatte, löste. Es wäre wahrscheinlich ein wenig vermessen anzunehmen, dass ein derartig befreiender Schritt nie wieder getan werden muss.

Dem werden Wissenschaftler wie Atkins und Dawkins entgegenhalten, dass seit der Zeit von Galilei, Kepler und Newton die Naturwissenschaft ein exponentielles Wachstum gezeigt hat und es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, dass die Philosophie des Naturalismus, mit der die Naturwissenschaft so eng verbunden ist (zumindest in den Köpfen von Vielen), unzureichend ist. Ihrer Ansicht nach dient der Naturalismus dazu, die Naturwissenschaft voranzubringen, die sich nun ungehindert, sozusagen ohne den mythologischen Ballast, der sie in der Vergangenheit so oft behindert hat, weiterentwickelt. Der große Vorzug des Naturalismus, so wird argumentiert, liegt darin, dass er unmöglich die Naturwissenschaft behindern kann, ganz einfach, weil er davon ausgeht, die wissenschaftliche Methode sei überlegen. Es ist die einzige Philosophie, die schon von ihrer Definition her mit Naturwissenschaft absolut vereinbar ist.

Aber stimmt das wirklich? Zweifellos empfand Galilei die aristotelische Philosophie mit ihrer apriorischen Theorie, wie das Universum auszusehen hat, als wissenschaftliches Hemmnis. Aber weder Galilei noch Newton noch die meisten anderen großen Wissenschaftler, die zu dieser Zeit zum meteorhaften Aufstieg der Wissenschaft beitrugen, glaubten, dass ein Schöpfergott diesen Aufstieg hemmt. Im Gegenteil, er war für viele ein positiver Ansporn und für einige sogar der Hauptbeweggrund für wissenschaftliche Forschung. Wenn das so ist, dann drängt sich aufgrund der Vehemenz, mit der der Atheismus von einigen zeitgenössischen Autoren vertreten wird, die Frage auf: Warum sind sie gerade jetzt so davon überzeugt, dass Atheismus der einzige intellektuell haltbare Standpunkt ist? Stimmt es wirklich, dass alles in der Wissenschaft auf Atheismus hinweist? Sind Naturwissenschaft und Atheismus natürliche Verbündete?

Anders argumentiert der bekannte britische Philosoph Antony Flew, der über viele Jahre hinweg ein führender Vertreter des Atheismus war. In einem BBC-Interview3 gab er öffentlich bekannt, dass eine Überintelligenz die einzig gute Erklärung für die Entstehung des Lebens und für die Komplexität der Natur ist.

Die Debatte um »Intelligent Design«

Diese Stellungnahme seitens eines Denkers vom Format Flews gab der heftigen, manchmal hitzig geführten Auseinandersetzung um »Intelligent Design« neue Aufmerksamkeit. Zum Teil ist die Vehemenz darin begründet, dass der Begriff »Intelligent Design« bei vielen Menschen den Eindruck vermittelt, es handle sich um einen relativ neuen, versteckt kreationistischen, antiwissenschaftlichen Standpunkt, der hauptsächlich darauf ausgerichtet ist, die Evolutionsbiologie anzugreifen. Das bedeutet, dass der Begriff »Intelligent Design« einen subtilen Bedeutungswandel erlebt hat. Es besteht die Gefahr, dass ernsthaft geführte Auseinandersetzungen nicht mehr möglich sind.

»Intelligent Design« ist für einige ein seltsamer Begriff, da wir Design als Folge von Intelligenz ansehen und damit das Adjektiv überflüssig ist. Würden wir den Begriff einfach nur durch »Design« oder »intelligente Kausalität« ersetzen, dann sprächen wir von einer sehr bekannten Anschauung in der Geschichte des Denkens. Denn die Auffassung, dass eine intelligente Kausalität hinter dem Universum steht, ist längst nicht mehr neu, sie ist so alt wie die Philosophie und die Religion selbst. Bevor wir als Nächstes die Frage stellen, inwiefern es sich bei »Intelligent Design« um versteckten Kreationismus handelt, müssen wir zunächst den Begriff »Kreationismus« selbst klären, um einem weiteren möglichen Missverständnis vorzubeugen. Auch die Bedeutung von Kreationismus hat sich geändert. Er bedeutete zunächst ganz einfach den Glauben an einen Schöpfer. Heute jedoch beinhaltet er nicht nur den Glauben an einen Schöpfer, sondern auch ein Bekenntnis zu einer Vielzahl zusätzlicher Auffassungen, von denen die wichtigste eine besondere Interpretation der Genesis darstellt, nach der die Erde nur einige Tausend Jahre alt ist. Dieser Bedeutungswandel von »Kreationismus« oder »Kreationist« hat drei sehr bedauernswerte Folgen nach sich gezogen. Zuallererst polarisiert er die Diskussion und bietet offensichtlich denen ein leichtes Ziel, die pauschal jegliche Annahme von intelligenter Kausalität im Universum ablehnen. Außerdem wird er der Tatsache nicht gerecht, dass es selbst unter den christlichen Denkern, die dem biblischen Bericht letzte Autorität zuschreiben, eine große Bandbreite von Meinungen hinsichtlich der Interpretation der Genesisberechnung gibt. Schließlich verschleiert er den ursprünglichen Verwendungszweck des Begriffs »Intelligent Design«, der eine wesentliche Unterscheidung zwischen dem Erkennen von Design und der Identifikation des Designers macht.

Es handelt sich hier um verschiedene Sachverhalte. Der zweite – die Identifikation des Designers – ist im Wesentlichen theologischer Art und wird von den meisten als außerhalb des Bereiches der Wissenschaft angesehen. Mit der Unterscheidung von Design und Designer ebnet man den Weg für die Frage, ob Wissenschaft uns irgendwie bei der Beantwortung des ersten Sachverhaltes – Design – behilflich sein kann. Es ist daher bedauerlich, dass diese Unterscheidung zweier grundlegend verschiedener Sachverhalte ständig verschleiert wird durch den Vorwurf, »Intelligent Design« stehe für versteckten Kreationismus.

Die oft wiederholte Frage, inwiefern »Intelligent Design« Wissenschaft ist, kann daher irreführend sein, wenn wir den Begriff »Intelligent Design« in seiner ursprünglichen Bedeutung verstehen. Angenommen, wir würden die Fragen analog stellen: Ist Theismus Wissenschaft? Ist Atheismus Wissenschaft? Dann würden die meisten Menschen dies verneinen. Aber stellen wir überhaupt die richtigen Fragen? Sind wir nicht eigentlich daran interessiert, ob es einen wissenschaftlichen Beweis für Theismus (oder Atheismus) gibt?

Entsprechend kann die Frage nach der Wissenschaftlichkeit von (»Intelligent«) »Design« sinngemäß uminterpretiert werden in: Gibt es einen wissenschaftlichen Beweis für »Design«? Wenn die Frage so gemeint ist, dann sollte sie auch so formuliert und damit Missverständnisse der Art vermieden werden, wie sie bei der Begründung im Dover-Prozess zutage traten: »ID ist ein interessantes theologisches Argument, aber es handelt sich dabei nicht um Wissenschaft.«4 Tatsächlich scheint Richard Dawkins in dem Film »Expelled« (April 2008) einzuräumen, dass man wissenschaftlich erforschen kann, ob der Ursprung des Lebens natürliche Prozesse widerspiegelt oder nicht, oder ob es eher das Ergebnis des Eingreifens einer externen, intelligenten Ursache zu sein scheint.

In dem faszinierenden Artikel »Public Education and Intelligent Design«5 (Staatliches Erziehungswesen und Intelligent Design) schreibt Thomas Nagel, ein prominenter atheistischer Professor der Philosophie in New York: »Die Ziele und Absichten Gottes – so es denn einen Gott gibt – und die Art seines Willens können nicht Gegenstand einer wissenschaftlichen Theorie oder wissenschaftlichen Erklärung sein. Aber das bedeutet nicht, dass es keine wissenschaftlichen Beweise für oder gegen das Eingreifen einer solchen ohne-Gesetz-wirkenden Ursache in die natürliche Ordnung gibt.«6 Nachdem er sich mit »Edge of Evolution« von Michael Behe (ein Zeuge im Dover-Prozess) beschäftigt hat, schreibt er: »Intelligent Design scheint nicht auf einer massiven Verdrehung der Beweislage oder hoffnungslosen Unstimmigkeiten ihrer Interpretationen zu beruhen.«7 Seiner Beurteilung nach basiert Intelligent Design nicht auf der Voraussetzung, dass es »immun gegen empirische Beweise« ist, wie etwa Vertreter eines biblischen Literalismus glauben, dass die Bibel immun gegen Widerlegung durch Beweise ist, und er schließt »ID unterscheidet sich stark von Schöpfungs-Wissenschaft«8. Professor Nagel schreibt weiter, dass er selbst »lange Zeit sehr skeptisch gegenüber dem Anspruch der traditionellen Evolutionstheorie war, dass sie die ganze Wahrheit über die Geschichte des Lebens sei«.9 Und: »Es ist schwierig, in der zurzeit zugänglichen Literatur ein Fundament für diese Ansprüche zu finden.« Seiner Auffassung nach rechtfertigt die »derzeitig verfügbare Beweislage bei Weitem nicht«, als Tatsache zu behaupten, »dass die evolutionären Standardmechanismen die Evolution des Lebens insgesamt erklären«.10

Bekanntlich behaupten Autoren wie Peter Atkins, Richard Dawkins und Daniel Dennett, dass es überzeugende wissenschaftliche Beweise für den Atheismus gibt. Sie haben kein Problem damit, die Wissenschaft heranzuziehen, um eine metaphysische Position zu verteidigen. Daher haben sie am allerwenigsten einen Grund zur Kritik denen gegenüber, die mit Wissenschaft die entgegengesetzte metaphysische Position, göttliches »Design«, stützen. Dabei bin ich mir wohl bewusst, dass einige sofort einwenden werden, es gäbe gar keine zwei Alternativen. Aber das könnte etwas vorschnell geurteilt sein.

Eine andere Möglichkeit die Frage zu interpretieren, ob »Intelligent Design« Wissenschaft ist, ist zu fragen, ob die »Intelligent-Design«-Hypothese zu wissenschaftlich überprüfbaren Hypothesen führen kann? Wir sehen später, dass in zwei wesentlichen Bereichen eine solche Hypothese bereits Ergebnisse geliefert hat: bei der rationalen Verstehbarkeit des Universums und bei der Entstehung des Universums.

Eine weitere Schwierigkeit bei der Verwendung des Begriffs »Intelligent Design« ist, dass selbst schon die Verwendung des Wortes »Design« in den Köpfen einiger Menschen untrennbar mit dem Uhrwerk-Universum von Newton verbunden ist, von dem sich die Wissenschaft bereits seit Einstein verabschiedet hat. Mehr noch, es beschwört Erinnerungen an Paley und seine »Design«-Argumente aus dem neunzehnten Jahrhundert herauf, von denen viele denken, sie seien bereits von David Hume widerlegt worden. Ohne über den letzten Punkt im Voraus zu urteilen, wäre es vielleicht klüger, von intelligenter Kausalität oder intelligentem Ursprung als von »Intelligent Design« zu sprechen.

Die in diesem Buch vorgebrachten Argumente habe ich in vielen Ländern in Vorträgen, auf Seminaren und Konferenzen entwickelt. Obwohl ich glaube, dass noch sehr viel getan werden muss, habe ich auf Drängen vieler Teilnehmer den Versuch unternommen, die Argumente schriftlich festzuhalten. Das Buch ist bewusst kurz gehalten, um der Nachfrage nach einer übersichtlichen Einführung in die wichtigsten Themen gerecht zu werden. Ich bin dankbar für die vielen Fragen, Anregungen und Kritiken, die mir bei meiner Arbeit geholfen haben. Natürlich bin ich allein für verbliebene Unstimmigkeiten verantwortlich.

Einige Bemerkungen zu der Vorgehensweise sind angebracht. Ich werde versuchen, meine Ausführungen in einen Zusammenhang mit der derzeitigen Debatte zu stellen, so wie ich sie verstehe. Der häufige Gebrauch von Zitaten führender Wissenschaftler und Denker soll ein klares Bild davon vermitteln, was in vorderster Reihe der Debatte tatsächlich gesagt wird. Mir ist bewusst, dass bei kontextlosen Zitaten immer die Gefahr besteht, der zitierten Person gegenüber nicht fair zu sein und außerdem die Wahrheit zu verzerren. Ich hoffe, es ist mir gelungen, dies zu vermeiden.

Ich habe die Befürchtung, dass bei dem Gebrauch des Wortes »Wahrheit« einige Personen mit postmoderner Überzeugung versucht sind, nicht weiterzulesen, weil der Text von jemandem geschrieben ist, der noch an Wahrheit glaubt. Im besten Falle lesen sie ihn aus Neugierde oder um ihn auseinanderzunehmen. Was mich betrifft, so finde ich es seltsam, dass die, welche behaupten, dass es so etwas wie Wahrheit nicht gibt, von mir erwarten, dass ich das, was sie sagen, für wahr halte. Vielleicht missverstehe ich sie, aber sie scheinen sich selbst aus ihrer allgemeinen Aussage, dass es keine Wahrheit gibt, herauszunehmen, wenn sie mit mir reden oder ihre Bücher schreiben. Denn letzten Endes glauben sie doch an Wahrheit.

Jedenfalls haben Wissenschaftler ein offensichtliches Interesse an Wahrheit. Warum sonst würden sie sich der Mühe unterziehen, Wissenschaft zu betreiben? Und weil ich an Wahrheit glaube, habe ich versucht, nur faire Zitate zu wählen, die den allgemeinen Standpunkt eines Autors widerspiegeln, und keine Äußerungen zu zitieren, die an einem schlechten Tag gemacht wurden – wie es jedem von uns einmal passieren kann. Letztlich beurteilt der Leser, ob es mir gelungen ist.

Wie steht es mit der Befangenheit? Niemand – weder Autor noch Leser – kann ihr entgehen. Wir sind alle befangen in dem Sinne, dass unsere Weltanschauung aus Antworten und Teilantworten besteht, die wir auf die Fragen geben, die uns das Universum und das Leben stellen. Vielleicht sind unsere Weltanschauungen nicht einmal klar oder bewusst formuliert, aber sie sind trotzdem da. Sie sind geprägt durch Erfahrung und Reflexion. Sie können sich ändern und tun es auch – hoffentlich auf der Grundlage von stichhaltigen Beweisen.

Die zentrale Frage dieses Buches erweist sich als eine Weltanschauungsfrage: Welche Weltanschauung steht der Wissenschaft näher – Theismus oder Atheismus? Hat die Wissenschaft Gott begraben oder nicht? Wir werden sehen, wohin die Beweise führen.

1. Krieg der Weltanschauungen

»Naturwissenschaft und Religion können nicht versöhnt werden.«

Peter Atkins

»Alle meine naturwissenschaftlichen Studien […] haben meinen Glauben bestätigt.«

Ghillean Prance

»Wenn Ihnen das nächste Mal jemand erzählt, dass etwas wahr ist, dann fragen Sie ihn doch, welchen Beweis es dafür gibt. Erhalten Sie keine gute Antwort, dann denken Sie hoffentlich gut darüber nach, bevor Sie ein Wort glauben.«

Richard Dawkins

Der letzte Nagel in Gottes Sarg?

Es herrscht die weitverbreitete Vorstellung, dass mit jedem wissenschaftlichen Fortschritt ein weiterer Nagel in Gottes Sarg geschlagen wird. Dieser Eindruck wird von einflussreichen wissenschaftlichen Denkern vorangetrieben. Peter Atkins, Professor für Chemie in Oxford, schreibt: »Die Menschheit sollte akzeptieren, dass die Wissenschaft die Rechtfertigung für den Glauben an Sinn und Zweck des Kosmos beseitigt hat und dass jegliches Überleben von Zweckbestimmung nur dem Gefühl zu verdanken ist.«1 Es ist jedoch fraglich, wie der Wissenschaft so etwas gelingen konnte, da sie sich traditionell nicht mit Fragen der Zweckbestimmung beschäftigt; aber darauf kommen wir später zurück. Was klar wird, ist, dass Atkins den Glauben an Gott mit einem Schlag herabsetzt; nicht nur auf die Gefühlsebene, sondern auf ein wissenschaftsfeindliches Gefühl. Atkins ist nicht allein mit dieser Ansicht. Richard Dawkins geht – unübertroffen – noch einen Schritt weiter. Für ihn ist der Glaube an Gott ein Übel, das ausgemerzt werden muss: »Es ist modern, sich apokalyptisch mit der Bedrohung der Menschheit auseinanderzusetzen, die sich im Aids-Virus, im Rinderwahnsinn (BSE) und in anderen Krankheiten darstellt, aber ich stelle die These auf, dass der Glaube eines der größten Übel dieser Welt ist, vergleichbar mit dem Pockenvirus, aber schwieriger auszurotten. Glaube als eine Überzeugung, die nicht auf empirischen Indizien beruht, ist der größte Makel jeder Religion.«2

Unlängst ist der Glaube, laut Dawkins, vom Makel zur Wahnvorstellung aufgestiegen (sofern man das so bezeichnen kann). In seinem Buch Der Gotteswahn3 zitiert er Robert Pirsig, Autor des Buches Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten:»Leidet ein Mensch an einer Wahnvorstellung, so nennt man es Geisteskrankheit. Leiden viele Menschen an einer Wahnvorstellung, nennt man es Religion.« In Dawkins’ Augen ist Gott nicht nur eine Wahnvorstellung, sondern eine bösartige Wahnvorstellung.

Solche extremen Ansichten stellen das äußerste Ende einer Meinungsvielfalt dar, und es wäre falsch zu denken, sie seien typisch. Viele Atheisten heißen diesen Kampfgeist nicht für gut, ganz zu schweigen von den repressiven, ja sogar totalitären Andeutungen. Leider erhalten gerade die extremen Ansichten die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Medien mit dem Ergebnis, dass viele Menschen davon erfahren und beeinflusst werden. Es wäre dumm, sie zu ignorieren; wir müssen sie ernst nehmen.

Anhand seiner Aussagen wird deutlich, dass Dawkins’ Feindseligkeit gegenüber dem Glauben auf der Annahme beruht, dass, während »wissenschaftliche Standpunkte auf öffentlich prüfbaren Indizien basieren, religiöser Glaube nicht nur solche Indizien vermissen lässt, sondern die Unabhängigkeit von Indizien ist seine Freude, die er von den Dächern pfeift«.4 Mit anderen Worten: Religiöser Glaube ist für ihn immer blinder Glaube. Wenn es so wäre, ist es vielleicht angemessen, Glauben mit Pocken gleichzusetzen. Aber befolgen wir doch Dawkins’ eigenen Rat und fragen: Wo ist der Beweis, dass religiöser Glaube nicht auf Tatsachen basiert? Zugegeben, es gibt leider Menschen, die sich zum Glauben an Gott bekennen und offen einen antiwissenschaftlichen und aufklärungsfeindlichen Standpunkt einnehmen – was bedauerlicherweise den Glauben an Gott in Verruf bringt. Vielleicht hatte Richard Dawkins das Pech, unverhältnismäßig vielen von ihnen zu begegnen.

Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass die breite Masse unter den Christen davon ausgeht, dass Glaube und Indizien untrennbar sind. In der Tat ist der Glaube eine Antwort auf Indizien und nicht der Jubel über das Nichtvorhandensein von Indizien. Der christliche Apostel Johannes schreibt in seiner Biografie über Jesus: »Diese [Zeichen] aber sind aufgeschrieben, damit ihr glaubt, …«5 Das heißt, er versteht das, was er schreibt, als einen Teil der Indizien, auf die sich der Glaube stützt. Der Apostel Paulus sagt, was viele Wegbereiter der modernen Wissenschaft glaubten, und zwar, dass die Natur selbst auf die Existenz Gottes hinweist: »Seit Erschaffung der Welt wird seine unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen, seine ewige Macht und Gottheit. Daher sind sie unentschuldbar.«6 Es gehört nicht zur biblischen Sichtweise, dass Dinge geglaubt werden müssen, für die es keine Indizien gibt. Genau wie in der Wissenschaft gehören Glaube, Vernunft und Indizien zusammen. Dawkins Definition von Glaube als »blinder Glaube« erweist sich als das genaue Gegenteil des biblischen Glaubens. Seltsam, dass er den Widerspruch nicht zu bemerken scheint. Könnte das die Folge seines eigenen blinden Glaubens sein?

Dawkins’ eigenartige Definition von Glaube ist ein verblüffendes Beispiel für ein Denken, wie er es eigentlich selbst verabscheut – Denken, das nicht auf Indizien basiert. Denn in einer Darstellung von atemberaubender Widersprüchlichkeit liefert er keine Beweise für seine Behauptung, dass der Glaube sich darüber freut, von Indizien unabhängig zu sein. Der Grund, warum er den Beweis nicht liefern kann, ist – es gibt ihn nicht. Es bedarf keiner großen Nachforschung, um sich zu vergewissern, dass kein ernsthafter biblischer Gelehrter oder Denker Dawkins’ Definition von Glauben befürworten würde. Francis Collins sagt zu dieser Definition: »Sie beschreibt sicher nicht den Glauben der meisten ernsthaften Gläubigen in der Geschichte noch der meisten, die ich persönlich kenne.«7

Collins’ Standpunkt ist in diesem Zusammenhang als Beleg sehr wichtig. Er weist darauf hin, dass die neuen Atheisten ihre eigene Glaubwürdigkeit stark untergraben, wenn sie sagen, dass jeder Glaube blinder Glaube sei. John Haught sagte bereits: »Die Existenz einer einzigen weißen Krähe genügt, um zu zeigen, dass es nicht nur schwarze Krähen gibt. Ebenso genügt die Existenz zahlloser Gläubiger, die die simplizistische Definition der Neuen Atheisten über Glauben ablehnen, die Anwendbarkeit ihrer Kritik auf einen Großteil der religiösen Bevölkerung infrage zu stellen«.8

Alister McGrath9 macht in seiner kürzlich erschienenen, sehr verständlichen Beurteilung von Dawkins’ Standpunkt klar, dass dieser es eindeutig verpasst hat, sich mit irgendwelchen ernsthaften christlichen Denkern auseinanderzusetzen. Was sollten wir sonst von seiner ausgezeichneten Maxime halten: »Wenn Ihnen das nächste Mal jemand erzählt, dass etwas wahr ist, dann fragen Sie ihn, welchen Beweis es dafür gibt. Erhalten Sie keine gute Antwort, dann denken Sie hoffentlich gut darüber nach, bevor Sie ein Wort glauben.«10 Es sei dem verziehen, der der starken Versuchung nicht widerstehen kann, Dawkins’ Maxime an ihn selbst anzulegen und kein Wort von dem zu glauben, was er sagt.

Dawkins ist nicht der Einzige, der an der irrigen Auffassung festhält, der Glaube an Gott basiere auf keinerlei Indizien. Die Erfahrung zeigt, dass diese Auffassung unter den Mitgliedern der Gemeinschaft der Wissenschaftler weitverbreitet ist, auch wenn es etwas anders formuliert wird. Es wird zum Beispiel oft gesagt, dass der Glaube an Gott »in den privaten, und das wissenschaftliche Bekenntnis in den öffentlichen Bereich gehört, [dass] Glaube an Gott etwas anderes ist, als das, was wir in der Wissenschaft betreiben« – kurz gesagt, ein »blinder Glaube«. Dieses Thema wird in Kapitel vier im Abschnitt über die rationale Verstehbarkeit des Universums noch näher behandelt.

Zunächst verschaffen wir uns einen Überblick über das Verhältnis von Glaube und Unglaube in der Gemeinschaft der Wissenschaftler. Eine der interessantesten Umfragen dazu wurde 1996 von Edward Larsen und Larry Witham durchgeführt und in der Zeitschrift Nature11 veröffentlicht. Es handelte sich dabei um eine Wiederholung der Leuben-Umfrage von 1916, in der tausend Wissenschaftler (zufällig ausgewählt aus der Liste der »American Men of Science« von 1910) befragt wurden, ob sie an einen Gott glaubten, der Gebete erhört, und an ihre persönliche Unsterblichkeit (was viel tiefer geht als der Glaube an irgendeine Art göttliches Wesen). Die Antwortquote lag damals bei 70 Prozent, von denen 41,8 Prozent mit »Ja« und 41,5 Prozent mit »Nein« antworteten; 16,7 Prozent gaben an, Agnostiker zu sein. 1996 lag die Antwortquote bei 60 Prozent, von denen 39,6 Prozent mit »Ja«, 45,5 Prozent mit »Nein« antworteten und 14,9 Prozent waren Agnostiker.12 In der Presse wurden diese Statistiken nach der Devise halb voll oder halb leer unterschiedlich ausgelegt. Einige sahen darin einen Beweis für das Überleben des Glaubens, andere für das konstante Gleichbleiben des Unglaubens. Was überraschte, war die relativ kleine Abweichung im Verhältnis von Gläubigen und Ungläubigen während eines Zeitraums von achtzig Jahren, in dem ein enormes Wachstum an wissenschaftlicher Erkenntnis stattgefunden hat. Dieser Befund steht in scharfem Kontrast zur vorherrschenden öffentlichen Meinung.

Eine ähnliche Umfrage13 von Larsen und Witham im Jahre 1998 unter Topwissenschaftlern ergab einen höheren Prozentsatz an Atheisten. Von den aus der National Academy of Sciences, USA, ausgewählten Topwissenschaftlern, die antworteten, waren 72,2 Prozent Atheisten, sieben Prozent glaubten an Gott und 20,8 Prozent waren Agnostiker.

Leider gibt es keine vergleichbaren Statistiken von 1916, um zu sehen, inwiefern sich der Prozentsatz von damals verschoben haben würde. Es ist jedoch bekannt, dass über 90 Prozent der Gründer der Royal Society in England Theisten waren.

Die Auswertung solcher Statistiken ist eine vielschichtige Angelegenheit. So fand Larsen auch heraus, dass bei einem Jahreseinkommen über 150.000 US-Dollar der Glaube an Gott erheblich abnahm, ein Trend, der nicht nur bei Naturwissenschaftlern zu beobachten ist.

Unabhängig davon, welche Schlussfolgerungen man aus solchen Statistiken zieht, werden Umfragen dieser Art genügend Anhaltspunkte liefern, um Dawkins recht zu geben, wenn er davon spricht, wie schwierig es ist, seine bedrohlich totalitär klingende Aufgabe zu erfüllen, nämlich den Glauben an Gott auszurotten. Zusätzlich zu den fast 40 Prozent gläubigen Naturwissenschaftlern, die in der allgemeinen Umfrage erfasst wurden, gab und gibt es sehr angesehene Naturwissenschaftler, die an Gott glauben. Dazu gehören Francis Collins, Leiter des Humangenomprojektes, Professor Bill Phillips, Physik-Nobelpreisträger von 1997, Sir Brian Heap, Mitglied und ehemaliger Vizepräsident der Royal Society sowie Sir John Houghton, Mitglied der Royal Society, ehemaliger Generaldirektor der Behörde für Meteorologie in Großbritannien, Co-Vorsitzender des Weltklimarates (IPCC) und derzeitiger Direktor der John Ray Initiative mit Schwerpunkt Umwelt, um nur einige zu nennen.

Selbstverständlich soll unsere Frage nicht anhand von Statistik geklärt werden, so interessant diese auch sein mag. Allerdings hat selbst der Glaube von angesehenen bekennenden Naturwissenschaftlern keine ausgleichende Wirkung auf die scharfen Töne von Atkins, Dawkins und anderen, wenn diese im Namen der Naturwissenschaft ihren Krieg gegen Gott inszenieren. Präziser formuliert müsste man sagen, sie sind nicht so sehr davon überzeugt, dass die Naturwissenschaft mit Gott im Krieg liegt, als vielmehr, dass der Krieg vorbei ist und die Naturwissenschaft den Sieg davongetragen hat. Es bleibt nur noch, die Welt darüber zu informieren, dass (um auf Nietzsche zurückzugreifen) Gott tot ist und die Naturwissenschaft ihn begraben hat. In diesem Sinne schreibt Peter Atkins: »Naturwissenschaft und Religion können nicht versöhnt werden, und die Menschheit sollte damit beginnen, die Macht dieses ihres Kindes zu schätzen und alle Kompromissversuche abzuwehren. Die Religion hat versagt, und ihr Versagen sollte offengelegt werden. Die Naturwissenschaft ist gegenwärtig erfolgreich in ihrem Streben nach universeller Kompetenz, indem sie die einfachsten Erklärungen findet. Sie ist die höchste Freude des Intellekts und sollte als Königin anerkannt werden.«14 Dies ist die Sprache der Triumphalisten. Aber ist der Triumph wirklich berechtigt? Welche Religion hat versagt und auf welcher Ebene? Auch wenn Naturwissenschaft eine wirkliche Freude ist, ist sie tatsächlich die höchste Freude des Intellekts? Haben Musik, Kunst, Literatur, Liebe und Wahrheit nichts mit dem Intellekt zu tun? Ich kann die zunehmende Welle des Protestes vonseiten der Geisteswissenschaften bereits hören.

Außerdem ist es nicht das Gleiche, ob sich Wissenschaftler mit Gott im Krieg befinden oder ob die Wissenschaft selbst mit Gott Krieg führt. Stellen wir uns vor, einige Musiker sind militante Atheisten. Schließen wir daraus, dass sich die Musik selbst im Krieg mit Gott befindet? Wohl kaum. Deshalb sind Aussagen von Wissenschaftlern auch nicht zwangsläufig Aussagen der Wissenschaft. Auch sind solche Aussagen nicht notwendigerweise wahr, obwohl sie aufgrund des hohen Ansehens der Wissenschaft oft dafür gehalten werden. In diese Kategorie fallen beispielsweise die zu Beginn angeführten Behauptungen von Atkins und Dawkins. Dabei handelt es sich nicht um Aussagen der Wissenschaft, sondern sie sind Ausdruck einer persönlichen Überzeugung, ja eines Glaubens, der dem entspricht (nur weniger tolerant), den Dawkins unbedingt ausrotten möchte. Selbstverständlich heißt das nicht, dass diese Aussagen falsch sind, sondern nur, dass sie nicht als maßgeblich wissenschaftlich behandelt werden dürfen. Es bleibt zu untersuchen, zu welcher Kategorie sie gehören und, was noch wichtiger ist, ob sie wahr sind oder nicht.

Bevor wir fortfahren, möchte ich die Waage ins Gleichgewicht bringen und einige angesehene Wissenschaftler zitieren, die an Gott glauben. So schreibt Sir John Houghton, Mitglied der Royal Society: »Unsere Wissenschaft ist Gottes Wissenschaft. Er trägt die Verantwortung für die gesamte wissenschaftliche Erfolgsgeschichte […] Die außergewöhnliche Ordnung, Folgerichtigkeit, Zuverlässigkeit und die faszinierende Komplexität in den wissenschaftlichen Beschreibungen des Universums reflektieren die Ordnung, Folgerichtigkeit, Zuverlässigkeit und Komplexität von Gottes Handlungen.«15 Der ehemalige Direktor von Kew Gardens und Mitglied der Royal Society, Professor Sir Ghillean Prance, macht ebenso klare Aussagen bezüglich seines Glaubens: »Seit vielen Jahren glaube ich, dass Gott als großer Planer hinter der ganzen Natur steht. […] Alle meine naturwissenschaftlichen Studien […] haben seitdem meinen Glauben bestätigt. Für mich ist die Bibel die wichtigste Autoritätsquelle.«16

Selbstverständlich sind die hier angeführten Aussagen nicht wissenschaftlicher Art, sondern geben eine persönliche Überzeugung wieder. Zugleich enthalten sie allerdings auch Andeutungen bezüglich der Indizien, die erbracht wurden, um den Glauben zu stützen. Sir Ghillean Prance geht sogar so weit zu sagen, dass Wissenschaft selbst seinen Glauben bestätigt. Wir befinden uns hier in der eigenartigen Situation, in der uns einerseits die Naturwissenschaftler sagen, dass die Wissenschaft Gott beseitigt hat, und uns andererseits Theisten bezeugen, dass die Wissenschaft ihren Glauben an Gott bestätigt. Beide Standpunkte werden von überaus kompetenten Wissenschaftlern eingenommen. Was heißt das? Es heißt, es ist zu bequem, einfach anzunehmen, dass sich Naturwissenschaft und Glaube an Gott feindselig gegenüberstehen. Es heißt aber auch, dass es sich lohnt herauszufinden, wie genau die Beziehungen aussehen zwischen Wissenschaft und Atheismus sowie zwischen Wissenschaft und Theismus. Dabei liegt das Augenmerk darauf, ob eine und welche der beiden diametral entgegengesetzten Weltanschauungen von der Wissenschaft gestützt wird.

Wir wenden uns zunächst der Geschichte der Wissenschaft zu.

Die vergessenen Wurzeln der Wissenschaft

Grundsätzlich sind alle Wissenschaften von einem geordneten Universum überzeugt. Ohne diese tiefe Überzeugung wäre Wissenschaft nicht möglich. Das berechtigt zu der Frage: Woher kommt diese Überzeugung? Melvin Calvin, Nobelpreisträger für Chemie, hegt wenig Zweifel an ihrer Herkunft: »Bei dem Versuch, den Ursprung dieser Überzeugung herauszufinden, bin ich auf den Grundgedanken gestoßen, der bereits vor zwei- oder dreitausend Jahren entdeckt wurde und der zuerst in der westlichen Welt von den alten Hebräern verbreitet wurde, nämlich, dass das Universum von einem einzigen Gott regiert wird und nicht das Produkt einer Laune vieler Götter ist, von denen jeder seinen Bereich nach eigenen Gesetzmäßigkeiten regiert. Diese monotheistische Sichtweise ist wohl die historische Grundlage für die moderne Wissenschaft.«17

Diese Aussage ist sehr provokativ angesichts der Tatsache, dass in der Literatur der Beginn der heutigen Wissenschaft zuerst auf die Griechen im sechsten Jahrhundert vor Christus zurückgeführt wird. Es wird aber auch darauf hingewiesen, dass zuerst der Polytheismus aus der griechischen Weltanschauung überwunden werden musste, damit die Wissenschaft sich entfalten konnte. Wir kommen später noch auf diesen Punkt zurück.

Wir wollen hier nur darauf hinweisen, was die Beobachtung von Melvin Calvin impliziert: Die Griechen waren zwar in vieler Hinsicht die Ersten, die Wissenschaft in unserem heutigen Sinn betrieben. Aber die hebräische Überzeugung, dass das Universum von Gott geschaffen ist und erhalten wird, war für das heutige wissenschaftliche Verständnis vom Universum außerordentlich förderlich. Und diese Weltanschauung ist älter als die griechische.

Vielleicht sollte dies – um hier Dawkins’ Sprache zu verwenden (übrigens eine Anleihe aus dem Neuen Testament!) – von den Dächern gerufen werden, als ein Gegenmittel zur endgültigen Ablehnung Gottes. Dies bedeutet, dass das Fundament, auf welchem die Wissenschaft steht (die Basis, von der aus sich ihr Aufstieg bis zum Rand des Universums emporgeschwungen hat), eine starke theistische Dimension hat.

Schon vor Melvin Calvin hat der angesehene Wissenschaftshistoriker und Mathematiker Sir Alfred North Whitehead auf diese Zusammenhänge aufmerksam gemacht. Er beobachtete, dass das mittelalterliche Europa in der Zeit um fünfzehnhundert weniger wusste als Archimedes im dritten Jahrhundert vor Christus. Trotzdem hatte Newton bereits um siebzehnhundert sein Meisterwerk Principia Mathematica (Mathematische Prinzipien der Naturphilosophie) geschrieben. Whitehead fragte sich, wie in einer so relativ kurzen Zeit eine derartige Wissensexplosion vonstattengehen konnte. Seine Antwort: »Die moderne Wissenschaft muss von dem mittelalterlichen Festhalten an der Rationalität Gottes herrühren. […] Meine Erklärung ist, dass der Glaube an die Möglichkeit von Wissenschaft schon vor der Entwicklung der modernen wissenschaftlichen Theorie entstand und eine unbewusste Ableitung der mittelalterlichen Theologie ist.«18 C.S. Lewis’ kurze Darstellung von Whiteheads Sichtweise ist es wert, hier festgehalten zu werden: »Die Menschen begannen wissenschaftlich zu forschen, weil sie Gesetze in der Natur erwarteten, und sie erwarteten Gesetze in der Natur, weil sie an einen Gesetzgeber glaubten.« Diese Überzeugung brachte Francis Bacon (1561–1626), der von Vielen als der Vater der modernen Wissenschaft angesehen wird, dahin zu lehren, dass Gott uns mit zwei Büchern ausgestattet hat, dem Buch der Natur und der Bibel, und um wirklich gebildet zu sein, sollte man beide studieren.

Darin stimmten viele der überragenden Persönlichkeiten der Wissenschaft überein. Männer wie Galilei (1564–1642), Kepler (1571–1630), Pascal (1623–62), Boyle (1627–91), Newton (1642–1727), Faraday (1791–1867), Babbage (1791–1871), Mendel (1822–84), Pasteur (1822–95), Kelvin (1824–1907) und Clerk Maxwell (1831–79) waren Theisten, die meisten waren sogar Christen. Ihr Glaube an Gott stand ihrer Wissenschaft nicht im Wege, er war oft eine wesentliche Inspiration, und sie scheuten sich nicht, dies zu sagen. Die treibende Kraft hinter Galileis forschendem Geist war beispielsweise seine tiefe innere Überzeugung, dass der Schöpfer, »der uns mit Sinnen, Vernunft und Verstand ausgestattet hat, nicht will, dass wir den Einsatz derselben aufgeben, indem er uns durch andere Möglichkeiten das Wissen vermittelt, das wir durch ihren Einsatz erlangen können.« Johannes Kepler beschrieb seine Motivation wie folgt: »Das Hauptziel der Nachforschungen über die Außenwelt sollte sein, deren rationale Ordnung zu entdecken, die ihr von Gott aufgeprägt worden ist und die er uns in der Sprache der Mathematik geoffenbart hat.«19 Diese Entdeckung veranlasste Kepler zu seinem berühmten Ausspruch: »Gottes Gedanken nachdenken.«

Ganz anders war die Reaktion der Chinesen im achtzehnten Jahrhundert, als ihnen von jesuitischen Missionaren die großen wissenschaftlichen Entwicklungen der westlichen Welt gebracht wurden. Der britische Biochemiker Joseph Needham berichtet, dass für sie der Gedanke, das Universum könnte von einfachen Gesetzen regiert werden, die von Menschen entdeckt werden könnten und auch wurden, außerordentlich töricht war. Ihre Kultur war für solche Aussagen einfach nicht empfänglich.20

Um keine Verwirrung zu stiften, sei noch einmal betont: Wir behaupten nicht, dass alle Standpunkte der Religion im Allgemeinen und des Christentums im Besonderen zum Aufstieg der Naturwissenschaft beigetragen haben. Wir wollen darauf hinaus, dass die Lehre vom einzigen Schöpfergott, der verantwortlich ist für die Existenz und die Ordnung des Universums, eine bedeutende Rolle gespielt hat. Wir behaupten nicht, dass Religion der Naturwissenschaft nie feindselig gegenüberstand. So hebt T.F. Torrance21 in seinem Kommentar über die Untersuchungen von Whitehead hervor, dass die Entwicklung der Naturwissenschaft »von der christlichen Kirche oft ernsthaft behindert wurde, selbst wenn fortschrittliche Ideen ihren Anfang innerhalb der Kirche nahmen«. Als Beispiel führt er die augustinische Theologie an, die tausend Jahre in Europa vorherrschte und mit ihrer Macht und Pracht einen großen Beitrag zur mittelalterlichen Kunst leistete. Aber ihre »Eschatologie, die den Gedanken vom Zerfall und dem Ende der Welt und vom Seelenheil als Erlösung von ihr aufrechterhielt, richtete die Aufmerksamkeit von der Erde weg zum Überirdischen. Ihre Vorstellung vom heiligen Universum ließ nur ein symbolisches Verständnis und nur einen religiösen, erklärenden Gebrauch von Natur zu. Folglich wurde eine kosmologische Sicht aufgenommen und geheiligt, die jeweils ersetzt werden musste, wenn wissenschaftlicher Fortschritt stattfinden sollte.« Torrance sagt weiter, was den wissenschaftlichen Geist oft ernsthaft entmutigte, war eine »verhärtete Autoritätsauffassung sowie das Verhältnis zu den Lehren, die auf Augustinus zurückgingen. […] Beides gab Anlass zu bitteren Vorwürfen gegen die Kirche.«22 Wie wir später sehen werden, ist Galilei ein typisches Beispiel dafür.

Dennoch unterstützt Torrance den grundlegenden Tenor von Whiteheads These: »Trotz der bedauerlichen Spannung, die sich oft zwischen dem Fortschritt der wissenschaftlichen Theorien und den traditionellen Denkgewohnheiten der Kirche einstellte, kann die Theologie für sich in Anspruch nehmen, über viele Jahrhunderte hinweg für die grundlegenden Überzeugungen und Impulse gesorgt zu haben, die insbesondere die Entwicklung der modernen empirischen Wissenschaft zur Folge hatte, und dies nur durch den unermüdlichen Glauben in die Verlässlichkeit des Schöpfergottes und in die grundlegende Verständlichkeit seiner Schöpfung.«

John Brooke, erster Professor für Naturwissenschaft und Religion in Oxford, drückt sich etwas vorsichtiger aus als Torrance: »In der damaligen Zeit dienten die religiösen Überzeugungen als Annahmen der Forschergemeinschaft, sofern sie sich der Uniformität verpflichteten […] eine Schöpfungslehre konnte mit wissenschaftlichen Bestrebungen übereinstimmen, solange eine verlässliche Ordnung hinter dem Wandel der Natur erhalten blieb, […] dies muss nicht zu der massiven Behauptung führen, dass ohne eine frühere Theologie die Naturwissenschaft nie gestartet wäre, aber es bedeutet, dass die einzelnen, von ihren Pionieren aufgestellten wissenschaftlichen Konzepte von theologischen und metaphysischen Überzeugungen untermauert waren.«23

Kürzlich stellte Peter Harrison, Nachfolger von John Brooke in Oxford, die beeindruckende These auf, dass die protestantische Haltung zur Auslegung biblischer Texte ein hervorstechendes Merkmal der aufkommenden Naturwissenschaft war und das Ende der symbolischen Herangehensweise im Mittelalter bedeutete.24

Natürlich ist es außerordentlich schwierig zu wissen, »was gewesen wäre, wenn …«, aber es ist sicher nicht übertrieben zu sagen, dass sich der Aufstieg der Naturwissenschaft stark verzögert hätte, wenn eine bestimmte theologische Lehre, die Schöpfungslehre, nicht existiert hätte, eine Lehre, die Judentum, Christentum und Islam gemeinsam haben. Brooke rät dazu, die These nicht überzubewerten: Nur weil Religion die Naturwissenschaft unterstützt, beweist das noch nicht, dass Religion wahr ist. Richtig – und natürlich kann Gleiches im Hinblick auf den Atheismus gesagt werden.

Die Schöpfungslehre war nicht nur wichtig für den Aufstieg der Wissenschaft, weil sie die Ordnung des Universums forderte, sondern noch aus einem anderen Grund, der bereits im Vorwort erwähnt wurde. Damit sich die Naturwissenschaft entwickeln konnte, musste das Denken von der damaligen allgegenwärtigen aristotelischen Methode befreit werden, die von festen Grundsätzen ausging, wie das Universum zu sein hatte, hin zu einer Methodik, die es dem Universum erlaubte, für sich zu sprechen. Diese grundlegende Verschiebung der Perspektive wurde erleichtert durch die Auffassung von einer Kontingenten (abhängigen) Schöpfung, das heißt, dass Gott, der Schöpfer, das Universum nach seinem Belieben schaffen konnte. Deshalb ist die einzige Alternative, um herauszufinden, wie das Universum wirklich ist oder wie es tatsächlich funktioniert, hinzugehen und nachzusehen. Allein die Schlussfolgerungen aus den apriorischen philosophischen Prinzipien reichen dafür nicht aus. Und das ist genau das, was Galilei sowie später Kepler und andere taten: Sie gingen und sahen nach – und revolutionierten die Naturwissenschaft. Aber wie jeder weiß, geriet Galilei mit der römisch-katholischen Kirche in Konflikt. Wir sollten uns daher seiner Geschichte zuwenden und sehen, was wir daraus lernen können.

Konflikt-Legenden: Galilei und die römisch-katholische Kirche, Huxley und Wilberforce

Der Aufstieg der Wissenschaft wurde nicht nur von der Schöpfungslehre beeinflusst, sondern auch von anderen Aspekten des religiösen Lebens (und übrigens religiös motivierter Politik). Diese beiden Aspekte müssen klar unterschieden werden, damit wir zwei klassische Berichte aus der Geschichte besser verstehen. Diese beiden Berichte dienen oft dazu, die verbreitete öffentliche Meinung am Leben zu halten, Wissenschaft habe sich ständig im Krieg mit der Religion befunden – eine Ansicht, die oft als »Konfliktthese« bezeichnet wird. Bei den Berichten handelt es sich um zwei der bekanntesten Konfrontationen der Geschichte: Zum einen der gerade erwähnte Konflikt zwischen Galilei und der römisch-katholischen Kirche und zum anderen die Debatte zwischen Huxley und Wilberforce, die das Thema des berühmten Buches Über die Entstehung der Arten von Charles Darwin zum Gegenstand hat. Bei näherer Untersuchung zeigt es sich, dass die beiden Begebenheiten die »Konfliktthese« nicht stützen. Eine Schlussfolgerung, die für viele überraschend kommt, die aber doch die historische Wahrheit auf ihrer Seite hat.

Zunächst ist augenfällig, dass Galilei auf der Liste der Naturwissenschaftler unter denen ist, die an Gott glaubten. Er war weder Agnostiker noch Atheist, noch lag er mit dem Theismus seiner Zeit in den Haaren. In ihrer hervorragenden Biografie Galileos Tochter25 räumt Dava Sobel mit der mythischen Vorstellung auf, Galilei sei »ein Abtrünniger gewesen, der die Bibel verhöhnt«. Tatsächlich stand er sein Leben lang fest im Glauben an Gott und die Bibel. Er hielt daran fest, dass »die Naturgesetze mit Gottes Hand in der Sprache der Mathematik geschrieben seien« und dass der »menschliche Verstand eines der hervorragendsten Werke Gottes ist«.

Zudem erfreute sich Galilei – zumindest anfänglich – einer breiten Unterstützung seitens religiöser Intellektueller. Die Astronomen der mächtigen jesuitischen Schule Collegio Romano stimmten zunächst mit seinem astronomischen Werk überein und feierten ihn dafür. Anders die weltlichen Philosophen, von denen er, wegen seiner Kritik an Aristoteles, heftigen Widerstand erfuhr.

Das musste zu Schwierigkeiten führen. Aber, das sei hier betont, nicht zuerst mit der Kirche. Zumindest stellt Galilei es so in seinem berühmten Brief an Christina von Lorena, 1615, dar. Darin behauptet er, dass die Professoren dermaßen gegen ihn eingestellt waren, dass sie versuchten, die kirchlichen Autoritäten zu beeinflussen, Stellung gegen ihn zu beziehen. Der Grund für die Einflussnahme der Professoren war klar: Galileis wissenschaftliche Argumente bedrohten den alles durchdringenden Aristotelismus ihrer Schule.

Ganz im Geist der sich entwickelnden modernen Naturwissenschaft wollte Galilei seine Thesen auf der Grundlage von Beweisen aufstellen und nicht aufgrund apriorischer Grundsätze oder aristotelischer Autorität. Was er durch sein Teleskop sah, ließ einige von Aristoteles’ grundlegenden astronomischen Spekulationen in Trümmern zurück. Galilei beobachtete Sonnenflecken, die die Oberfläche von Aristoteles’ »vollkommener Sonne« buchstäblich befleckten. 1604 stellten seine Beobachtungen einer Supernova die »unwandelbaren Himmel« von Aristoteles infrage.

Aristotelismus war die herrschende Weltanschauung, und wie fast jeder zu dieser Zeit hatte sich auch die römisch-katholische Kirche dazu bekannt. Allerdings zeigten sich in dem Gedankengebäude bereits erste Risse. Hinzu kam, dass die protestantische Reformation die Autorität Roms infrage stellte und damit – aus der Perspektive Roms – die religiöse Sicherheit zunehmend bedroht war. Eine sehr schwierige Zeit. In ihrer Bedrängnis sah sich die Kirche außerstande, eine ernsthafte Herausforderung gegen Aristoteles zuzulassen, obwohl sich erste Unruhen (besonders unter den Jesuiten) verbreiteten, dass die Bibel selbst die aristotelischen Ansichten nicht immer unterstützen würde. Aber die Unruhen waren noch nicht stark genug, um den mächtigen Widerstand gegen Galilei – sowohl seitens der Kirche als auch von den weltlichen Lehranstalten – zu verhindern. Die Gründe für den Widerstand waren nicht bloß intellektueller oder politischer Art. Auch Eifersucht und Galileis eigenes undiplomatisches Auftreten trugen dazu bei. So reizte er die herrschende Elite, indem er seine Werke nicht in Latein verfasste, sondern auf Italienisch, um den einfachen Menschen ein intellektuelles Machtmittel in die Hand zu geben. Sein Ziel war es, Naturwissenschaft öffentlich verständlich zu machen.

Denen, die nicht mit ihm übereinstimmten, begegnete Galilei mit beißendem Spott, was wenig hilfreich war. Er tat sich auch keinen Dienst damit, wie er die öffentliche Anweisung handhabte, das Argument seines ehemaligen Freundes und Förderers Papst Urban VIII. (Maffeo Berberini) in seinem Dialog über die beiden hauptsächlichen Weltsysteme mit einfließen zu lassen. Dieses Argument besagt, dass Gott aufgrund seiner Allmacht jedes gegebene natürliche Phänomen auf viele verschiedene Weisen schaffen kann, und dass es deshalb vonseiten der Naturphilosophen eine Anmaßung sei, zu behaupten, sie hätten die einzige Lösung gefunden. Galilei kam der Anweisung pflichtbewusst nach, legte das Argument jedoch in den Mund einer einfältigen Gestalt namens Simplicio (Dummkopf). Ein klassisches Beispiel, wie man sich selbst ins Knie schießt.

Das entschuldigt nicht, dass die römisch-katholische Kirche die Macht der Inquisition benutzte, um Galilei mundtot zu machen, und auch nicht, dass sie einige Jahrhunderte brauchte, um ihn zu »rehabilitieren«. Es sei noch erwähnt, dass Galilei, entgegen der verbreiteten Ansicht, nie gefoltert wurde, und dass er seinen späteren »Hausarrest« zum größten Teil in luxuriösen Privatwohnungen seiner Freunde verbrachte.26

Aus Galileis Geschichte lassen sich wichtige Lehren ziehen. Dies gilt zunächst für alle, die bereit sind, den biblischen Bericht ernst zu nehmen. Es ist kaum vorstellbar, dass heute noch jemand glaubt, die Erde sei der Mittelpunkt des Universums, und Planeten und Sonne kreisten um sie herum. Das bedeutet, jeder akzeptiert die heliozentrische Sicht des Kopernikus, für die Galilei gekämpft hat, und keiner denkt, dass sie im Konflikt steht mit der Bibel, obwohl zur Zeit des Kopernikus und davor fast jeder an das aristotelische Weltbild – die Erde als Mittelpunkt des Universums – glaubte und dieses Denken mit der Bibel begründete. Woher kam dieses neue Verständnis? Einfach daher, dass die Bibel differenzierter betrachtet wurde27 und man erkannte, dass die Bibel, wenn sie zum Beispiel vom »Aufgehen« der Sonne spricht, einen phänomenologischen Blick auf das Geschehen hat, wie es sich dem Betrachter darstellt, ohne sich dabei auf eine besondere Sonnen- und Planetentheorie zu beziehen. Heutige Wissenschaftler tun dasselbe, wenn sie in ihrem normalen Sprachgebrauch vom Aufgang der Sonne reden, ohne dass sie damit als verdeckte Aristoteliker angesehen werden.

Wir sollten daraus lernen, respektvoller mit der Bibel umzugehen, und zu unterscheiden zwischen dem, was die Bibel sagt und unserer Interpretation ihrer Aussagen. Die Aussagen der Bibel könnten tiefgründiger sein, als zunächst erwartet, und es besteht die Gefahr, dass man damit Anschauungen rechtfertigt, die die Bibel so nicht lehren will. So dachte jedenfalls Galilei zu seiner Zeit – und die Geschichte hat gezeigt, dass er recht hatte.

Eine weitere Lehre, die aber nicht oft gezogen wird, ist die, dass Galilei, als jemand, der an die Bibel glaubte und ein besseres naturwissenschaftliches Verständnis des Universums vorantrieb, dies nicht nur gegen die aufklärungsfeindlichen Kirchenobersten,28 sondern besonders gegen den Widerstand (und die Aufklärungsfeindlichkeit) der säkularen Philosophen seiner Zeit tat, die beide überzeugte Anhänger von Aristoteles waren. Philosophen und Wissenschaftler haben heute den gleichen Respekt angesichts von Tatsachen nötig, selbst wenn der, der ihnen die Tatsachen klarmacht, an Gott glaubt. Fehlender Glaube an Gott ist genauso wenig eine Garantie für wissenschaftliche Rechtgläubigkeit wie der Glaube an Gott. Es trifft sowohl für Galileis als auch für unsere Zeit zu, dass Kritik am etablierten wissenschaftlichen Paradigma riskant ist, unabhängig davon, wer sie übt. Das Aufsehen um Galilei lässt nicht die Schlussfolgerung zu, hierin lediglich einen Beziehungskonflikt zwischen Wissenschaft und Religion zu sehen.

Die Huxley-Wilberforce-Debatte

Ebenso wenig trifft dies auf die häufig zitierte Debatte zu, die am 30. Juni 1860 zwischen T.H. Huxley (»Darwins Bulldogge«) und Bischof Samuel Wilberforce (»Soapy Sam« »Seifen-Sam«) im Oxford University Museum of Natural History im Rahmen einer Versammlung der British Association for the Advancement of Science stattfand. Anlass für die Debatte war ein Vortrag über Darwins Evolutionstheorie, gehalten von John Draper, nachdem sieben Monate vorher Darwins Buch Über die Entstehung der Arten erschienen war. Das Zusammentreffen wird oft als ein einfacher Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion geschildert, bei dem der kompetente Wissenschaftler überzeugend über den ignoranten Kirchenmann triumphierte. Wie Wissenschaftshistoriker gezeigt haben, entspricht auch diese Darstellung nicht der Wahrheit.29

Erstens war Wilberforce kein Ignorant. Bereits einen Monat nach dem historischen Treffen veröffentlichte er eine fünfzigseitige Rezension im Quarterly Review über Darwins Werk. Darwin selbst kommentierte sie als »ungewöhnlich klug. Sie deckt geschickt alles auf, was auf Vermutungen beruht, und stellt gut alle Schwierigkeiten dar. Er hat mir großartig auf den Zahn gefühlt.« Zweitens war Wilberforce kein Feind der Aufklärung. Es war nicht vorgesehen, eine Debatte zwischen Wissenschaft und Religion zu führen, vielmehr sollte eine wissenschaftliche Debatte stattfinden – Wissenschaftler gegen Wissenschaftler auf wissenschaftlicher Grundlage – so wie es auch aus seiner Rezension hervorgeht: »Wir haben zu den Auffassungen Einwendungen gemacht, mit denen wir uns befassen, und das allein auf wissenschaftlicher Grundlage. Wir haben dies in der festen Überzeugung getan, dass so die Wahrheit oder Falschheit solcher Argumente geprüft werden sollte. Wir hegen keine Sympathie für solche, die Einwände erheben gegen Tatsachen oder vermeintliche Tatsachen in der Natur oder sich daraus logisch ergebende Schlussfolgerungen, nur weil sie denken, dass diese dem widersprechen, was ihnen durch Offenbarung klar wurde. Solche Einwände lassen eine Furcht erahnen, die nicht vereinbar ist mit einem starken und verlässlichen Glauben.«30 Die Festigkeit dieser Aussage könnte überraschend sein für alle, die die legendenhafte Darstellung des Zusammentreffens einfach hingenommen haben. Vielleicht kann man Wilberforce und Galilei sogar als Gleichgesinnte bezeichnen.

Es entspricht auch nicht der Wahrheit, dass die einzigen Widersprüche gegen Darwins Theorie vonseiten der Kirche kamen. Sir Richard Owen, führender Anatom seiner Zeit (der, nebenbei bemerkt, von Wilberforce zurate gezogen worden war), lehnte Darwins Theorie ab; ebenso der renommierte Wissenschaftler Lord Kelvin.

John Brooke31 führt zu der Debatte an, dass diese zunächst nur wenig oder keine Aufregung auslöste: »Es ist bezeichnend, dass das berühmte Treffen zwischen Huxley und dem Bischof damals in keiner einzigen Londoner Zeitung erwähnt wurde. In der Tat gibt es keine offiziellen Aufzeichnungen von diesem Treffen und die meisten Berichte stammen von Huxleys Freunden. Huxley selbst schrieb, dass es ein ›anhaltendes Gelächter unter den Leuten gab‹ wegen seiner Schlagfertigkeit, und ›er nimmt an, dass er für ganze vierundzwanzig Stunden der bekannteste Mann in Oxford war.‹« Es ist hingegen gesichert, dass die Debatte keinen klaren Sieger hatte. Eine Zeitung berichtete später, dass sich ein Anhänger von Darwins Theorie von dieser wieder lossagte, als er Zeuge der Debatte wurde. Den Botaniker Joseph Hooker ärgerte es, dass Huxley den Sachverhalt dem Publikum nicht so darstellte, dass er die Zuhörerschaft mitriss, sodass er dies selbst tun musste. Wilberforce schrieb drei Tage danach an den Archäologen Charles Taylor: »Ich glaube, ich habe ihn gründlich geschlagen.« Ein Bericht in der Zeitschrift The Athenaeum vermittelt den Eindruck, dass die Zustimmung etwa gleich verteilt war. Es heißt darin, dass beide, Huxley und Wilberforce, »einen ihnen ebenbürtigen Gegner gefunden haben«.

Der Historiker Frank James von der Royal Institution in London deutet an, dass der weitverbreitete Eindruck, Huxley habe den Sieg davongetragen, vielleicht deshalb entstehen konnte, weil Wilberforce nicht sehr beliebt war, ein Detail, das in den meisten Berichten fehlt. Er schreibt dazu: »Wäre Wilberforce in Oxford nicht so unpopulär gewesen, hätte er den Sieg davongetragen und nicht Huxley.«32 Das erinnert sehr an Galilei!

Bei genauer Untersuchung geraten zwei der Hauptstützen der Konfliktthese ins Wanken. Tatsächlich ist sie durch die Nachforschungen so weit unterhöhlt, dass der Wissenschaftshistoriker Colin Russell zu dem folgenden Schluss kommt: »Die allgemeine Überzeugung, […] die tatsächlichen Beziehungen zwischen Religion und Naturwissenschaft seien über die letzten paar Jahrhunderte von tiefer und bleibender Feindseligkeit geprägt gewesen, […] ist nicht nur historisch ungenau, sondern eine dermaßen groteske Verzerrung, dass sich die Frage aufdrängt, wie es möglich war, dass diese Überzeugung auch nur einen Hauch von Zustimmung erlangen konnte.«33