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Rylees Tochter und Sohn sind ins Internat für Hüterinnen-Kinder nach Olundara abgereist, aber sie hat nur wenig Zeit zum Traurigsein, denn Haus Securus Refugium schlägt Alarm, als intergalaktische Flüchtlinge im See in der Nähe notlanden. Wegen ihrer Fähigkeit, Unsterblichkeit zu verleihen, werden sie gejagt und sind die letzten ihrer Art. Securus Refugium scheint besorgt und bei Vlad kann Rylee sich keinen Rat holen, weil er auf Reisen ist. Also gewährt die Hüterin den Fremden Asyl und bietet ihnen Schutz gegen ihre Verfolger. Doch dann geschieht in dem hermetisch abgeschotteten Haus ein Mord. Ein Gast wird getötet. Um den Fall aufzuklären, schickt die Gesellschaft einen Gesandten, ein alter Bekannter von Rylee. Er nimmt die Ermittlungen auf, doch bald verwischen sich die Grenzen zwischen Freund und Feind, Opfern und Tätern. "Die Flüchtlinge" ist Band 15 der Fantasy-Serie "Haus der Hüterin" von Andrea Habeney. Band 1 "Das Erbe", Band 2 "Das Erwachen", Band 3 "Das leere Bild", Band 4 "Das Portal", Band 5 "Der Verrat", Band 6 "Der verschwundene Schlüssel", Band 7 "Die Hochzeit", Band 8 "Die Rettung", Band 9 "Die Fremden", Band 10 "Die Wächterin", Band 11 "Die Bedrohung", Band 12 "Der Händler", Band 13 "Der Umsturz" und Band 14 "Die Zeitfalle" liegen ebenfalls bei mainbook vor. Die Bände 1-15 auch als audiobooks (Band 15 ab Sept/Okt 2023!) Die E-Book-Bände 1-3, 4-6, 7-9, 10-12 und 13-14 liegen auch als Taschenbuch-Sammelbände vor.
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Seitenzahl: 230
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Rylees Tochter und Sohn sind ins Internat für Hüterinnen-Kinder nach Olundara abgereist, aber sie hat nur wenig Zeit zum Traurigsein, denn Haus Securus Refugium schlägt Alarm, als intergalaktische Flüchtlinge im See in der Nähe notlanden. Wegen ihrer Fähigkeit, Unsterblichkeit zu verleihen, werden sie gejagt und sind die letzten ihrer Art.
Securus Refugium scheint besorgt und bei Vlad kann Rylee sich keinen Rat holen, weil er auf Reisen ist. Also gewährt die Hüterin den Fremden Asyl und bietet ihnen Schutz gegen ihre Verfolger.
Doch dann geschieht in dem hermetisch abgeschotteten Haus ein Mord. Ein Gast wird getötet. Um den Fall aufzuklären, schickt die Gesellschaft einen Gesandten, ein alter Bekannter von Rylee. Er nimmt die Ermittlungen auf, doch bald verwischen sich die Grenzen zwischen Freund und Feind, Opfern und Tätern.
„Die Flüchtlinge“ ist Band 15 der Fantasy-Serie „Haus der Hüterin“ von Andrea Habeney. Band 1 „Das Erbe“, Band 2 „Das Erwachen“, Band 3 „Das leere Bild“, Band 4 „Das Portal“, Band 5 „Der Verrat“, Band 6 „Der verschwundene Schlüssel“, Band 7 „Die Hochzeit“, Band 8 „Die Rettung“, Band 9 „Die Fremden“, Band 10 „Die Wächterin“, Band 11 „Die Bedrohung“, Band 12 „Der Händler“, Band 13 „Der Umsturz“ und Band 14 „Die Zeitfalle“ liegen ebenfalls bei mainbook vor.
Zudem gibt es die Bände 1-3, 4-6, 7-9, 10-12 und 13-14 als Sammelband-Taschenbücher und alle Bände als Hörbücher.
Andrea Habeney, geboren 1964 in Frankfurt am Main, in Sachsenhausen aufgewachsen. Nach dem Abitur studierte sie in Gießen Veterinärmedizin. 1997 folgte die Promotion. Bis 2013 führte Andrea Habeney im Westen Frankfurts eine eigene Praxis. Heute arbeitet sie als Tierärztin für einen Tierärzteverbund.
Als Autorin hat sie sich einen Namen gemacht mit ihrer Frankfurter Krimi-Reihe um Kommissarin Jenny Becker: „Mörderbrunnen“ (Frühjahr 2011), „Mord ist der Liebe Tod“ (Herbst 2011), „Mord mit grüner Soße“ (April 2012), „Arsen und Apfelwein“ (2013), „Verschollen in Mainhattan“ (2014), „Apfelwein trifft Weißbier“ (Oktober 2015), „Abgetaucht“ (November 2017) und „Apfelwein auf Rezept“ (2019)
Zudem hat Andrea Habeney zwei weitere Fantasy-E-Books und audiobooks bei mainbook veröffentlicht: „Elbenmacht 1: Der Auserwählte“ und „Elbenmacht 2: Das Goldene Buch“.
eISBN 978-3-948987-93-0
Copyright © 2023 mainbook Verlag
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Gerd Fischer
Covergestaltung: Olaf Tischer
Coverbild: © Christian Müller - fotolia
Auf der Verlagshomepage finden Sie weitere spannende Taschenbücher und E-Books www.mainbook.de
Andrea Habeney
Fantasy-Serie
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Rylee empfand eine Mischung aus Kummer und Erleichterung, als sich das Portal hinter ihrer Tochter schloss. Das Haus würde jetzt, wo auch Ivy das Internat auf dem Planeten Olundara besuchen würde, stiller sein. Der einzige Grund, dass sowohl sie als auch Vlad sich dazu hatten durchringen können, war, dass Rylees Eltern diese Schule gegründet hatten und leiteten. Der Plan war aus der Idee eines Augenblicks entstanden, als Rylee und Vlad darüber diskutierten, wie die Ausbildung ihrer gemeinsamen Kinder ablaufen sollte. Rylee hätte sie gerne auf eine ganz normale Schule geschickt, zumindest für einige Jahre. Immerhin war sie selbst auch so erzogen worden. Die nächste befand sich allerdings im etliche Kilometer entfernten nächstgrößeren Ort, und Vlad hatte den Gedanken, dass seine Kinder sich mehrere Stunden täglich ohne jede Bewachung unter Menschen aufhielten, für absurd erklärt. Auch hatte er argumentiert, dass der Stoff, den sie als Hüter-Kinder lernen mussten, ein gänzlich anderer war, als das, was anderen Kindern in ihren ersten Schuljahren beigebracht wurde. Und die Gefahr, dass sie ihre wahre Herkunft enthüllen würden, war groß.
„Du wusstest damals nicht, dass du eine Hüterin mit magischen Kräften bist“, hatte er ihr ungeduldig dargelegt. „Aber glaubst du wirklich, ein Sechsjähriger wäre in der Lage, was er sagt und tut, zu kontrollieren?“
Rylee hatte ihm recht geben müssen, konnte sich jedoch nicht mit der Alternative, die Kinder zu Hause zu unterrichten, anfreunden.
„Sie brauchen soziale Kontakte“, hatte sie vorgebracht. „Freundinnen und Freunde. Es ist ungesund, wenn sie nur einander haben!“
„Du führst eine magische Herberge“, hatte Vlad gekontert. „Sie haben mehr als genug Gesellschaft.“
„Und wie oft sind Kinder darunter?“, hatte Rylee ärgerlich geantwortet. „Außerdem bleibt kaum jemand länger als ein paar Tage. Wie soll sich da eine Freundschaft entwickeln?“
„Ich hatte auch keine Freunde“, hatte der große Vampir geknurrt.
„Und sieh, was aus dir geworden ist!“, hatte Rylee nur halb im Scherz geantwortet. „Vlad, der Pfähler. Vielleicht werden unsere Kinder einmal Hüter und leiten ebenfalls magische Häuser. Dafür müssen sie Sozialkompetenz lernen.“
„Die können wir ihnen auch beibringen“, hatte Vlad gemurrt und dabei so düster dreingesehen, dass Rylee unwillkürlich lachen musste und die Diskussion für den Moment für beendet war.
Als sie ihrer Mutter von dem Disput erzählte, nickte diese nachdenklich. „Wir haben uns die gleichen Gedanken über deine Erziehung gemacht“, erklärte sie. „Als dein Bruder Philipp auf die Welt kam, waren die Zeiten noch anders. Die meisten Kinder aus besserem Hause wurden zu Hause unterrichtet. Doch als du auf die Welt kamst, hatten wir irgendwie nicht das Gefühl, dass wir dir alles beibringen könnten, was du brauchst.“
Rylee, die schon als Kleinkind gewaltsam von ihren Eltern getrennt worden war und sie erst vor einigen Jahren wieder gefunden hatte, fragte neugierig: „Und wie habt ihr euch entschieden?“
Ihre Mutter schüttelte den Kopf. „Dazu ist es nicht mehr gekommen. Ich weiß nicht, was wir letztendlich gemacht hätten. Nichts erschien uns richtig. Eigentlich müsste es eine Schule, oder besser eine Art Internat, speziell für die Kinder der neutralen Häuser geben.“ Sie sah einen Moment in die Ferne. „Genau“, sagte sie dann leise. „Ein Ort, wo sie andere zukünftige Hüter kennenlernen und wichtige Kontakte knüpfen können.“
Rylee dachte einen Moment darüber nach. „Das wäre ideal. Aber so etwas gibt es nicht, oder?“
„Nein. Ich glaube nicht“, sagte ihre Mutter Maria nachdenklich. „Aber ich werde mich erkundigen.“
Zwei Tage später kündigte das Direkt-Portal nach Olundara überraschend einen erneuten Besuch ihrer Mutter an. Rylee hastete die Treppe hinunter in den Portalraum und musterte sie besorgt. „Ist etwas passiert? Ich wusste gar nicht, dass du heute kommen wolltest.“
Maria lächelte und umarmte sie. „Aber nein, ich wollte nur etwas mit dir besprechen. Eine Idee. Am besten mit dir und Vlad zusammen, wenn er da ist.“
„Er ist drüben im Haus bei seinen Leuten“, erklärte Rylee. „Ich hole ihn.“
Und so kam es, dass Marias Eltern auf dem Planeten Olundara, auf dem sie eigentlich ihren Ruhestand verbringen wollten, ein Internat gegründet hatten, das allen Kindern der neutralen Häuser offen stand.
Olundara hatte sich in den letzten Jahren stark verändert. Schon lange wurden keine Gefangenen mehr dort abgeladen, und die wenigen, die noch dort lebten, blieben für sich und hatten kaum Kontakt zu der Siedlung, in der Rylees Eltern und ihr Bruder mit seiner Frau ihr Domizil aufgeschlagen hatten. Einige von ihnen hatten sich auch den Siedlern angeschlossen und waren zu wertvollen Mitgliedern ihrer Gemeinschaft geworden. Der kaum besiedelte Planet stellte ein noch weitgehend unerforschtes Naturparadies dar, und so hatte, nachdem die Einwohner zögernd die bestehenden Reisebeschränkungen gelockert hatten, ein bescheidener Tourismus an Naturliebhabern und -forschern eingesetzt. Sie stellten die wichtigste Einnahmequelle für Philipps magisches Haus dar.
Das Internat schuf einen willkommenen Zusatzverdienst, da Eltern ihre Zöglinge ablieferten und abholten und dabei oft ein oder mehrere Tage übernachteten. Immer noch gab es kein öffentliches Portal, und das würde, wenn es nach dem Willen der Einwohner ging, auch so bleiben.
Besucher mussten per Raumschiff anreisen oder Rylee bitten, ihr Direktportal zur Verfügung zu stellen.
Es hatte ein paar Monate gedauert, bis sich die Nachricht über das Internat herumgesprochen hatte, dann jedoch war eine Anmeldung nach der anderen eingegangen. Rylees Sohn Finn war der erste Schüler gewesen. Ihre Sorge, dass er sich fern von Securus Refugium unwohl fühlen würde, hatte sich als völlig unbegründet erwiesen. Im Gegenteil, er genoss den Aufenthalt bei seinen Großeltern und seinem Onkel und dessen Frau und sog begeistert alles Wissen, was ihm in der Schule vermittelt wurde, in sich auf. Einige Wochen nach ihm waren die Zwillinge Thim und Bhob vom Planeten Xuvor hinzugekommen. In kürzester Zeit waren die drei beste Freunde geworden und verbrachten inzwischen die Ferien abwechselnd in den Häusern ihrer Eltern.
Jetzt, zwei Jahre später, hatte Rylee auch Ivy in der Schule angemeldet und hoffte, dass ihre zarte, sensible Tochter sich dort ebenso wohl fühlen würde wie ihr älterer Bruder.
Wahrscheinlich würde Ivy weniger Probleme haben als Vlad, dachte sie, seufzte und machte sich auf den Weg nach oben. Er war vom Tag ihrer Geburt an in sein kleines Töchterchen vernarrt gewesen und hätte sie nach Strich und Faden verwöhnt, wenn Rylee nicht ab und zu Einspruch erhoben hätte. Es war nicht so, dass er seinen Sohn nicht ebenso liebte, aber Ivy hatte ihn vom ersten Tag um den Finger wickeln können.
Als Vlad und Rylee ein Paar geworden waren, hatte sie geglaubt, niemals Mutter werden zu können. Vampire waren unfruchtbar und konnten sich weder miteinander noch mit Menschen fortpflanzen. Doch die Magie der Hüter hatte diese Regel ignoriert, und so waren sie beide schneller, als Rylee es sich hätte vorstellen können, Eltern geworden. Als die beiden Kinder klein waren, hatte sie manchmal geglaubt, die Doppelbelastung mit Nachwuchs und einem magischen Haus nicht zu schaffen. Doch ihre Eltern hatten sie, wo immer es ging, unterstützt. Und zu aller Überraschung hatte sich Vlad, der düstere, einzelgängerische Vampir-Fürst, als fantastischer Vater herausgestellt, der so viel Zeit wie möglich zu Hause verbrachte, mit den Kindern spielte und sie hemmungslos verwöhnte.
Rylee liebte ihre beiden Kinder bedingungslos und auf die gleiche Weise. Doch es war nicht von der Hand zu weisen, dass sie sich auch auf die in den letzten Jahren selten gewordene Zeit der Zweisamkeit mit Vlad freute. Der Alltag als Hüterin eines inzwischen so großen und mächtigen Hauses und als Mutter zweier kleiner Kinder war anstrengend, und es blieb nicht allzu viel Raum für romantische Unternehmungen mit ihrem Ehemann.
Vlad hatte dafür jedes Verständnis, doch sie wusste, dass auch er sich nach mehr Nähe sehnte.
Deswegen hatte sie von langer Hand etwas vorbereitet. Sobald er am Abend nach Hause käme, würde sie ihn mit einem gemeinsamen Paris-Wochenende überraschen. Zu Beginn ihrer Beziehung, zu einem Zeitpunkt, an dem sie nie gedacht hätte, dass sie einmal ein Paar werden würden, hatte er sie zu einem Kurztrip in die Stadt der Liebe eingeladen. Der Aufenthalt war von der ersten bis zur letzten Minute unvergesslich gewesen. Nun würden sie das erste Mal als Paar dorthin fahren, in einem romantischen Hotel an der Seine übernachten und all die albernen Dinge tun, die Liebespaare nun mal taten, wie zum Beispiel den Eiffelturm zu besichtigen oder abends an der Seine entlang zu bummeln. Sie konnte es kaum erwarten, bis er nach Hause kam.
Es wurde spät und die Sonne stand schon tief, als Securus Refugium ihr endlich Vlads Rückkehr ankündigte. Da das Haus viele Gäste hatte, war ihr Tag mit Arbeit angefüllt gewesen. Majs Tochter Maja ging ebenfalls seit einigen Wochen auf das Internat, sodass die Tabatai wieder ganztags als Haushälterin arbeitete. Emilys Nichte Emmea sprang ab und zu ein, wenn sie zwischen Studium und Kindererziehung ein bisschen Zeit fand und eine junge Frau von Olundara kam stundenweise, um Maj zu unterstützen. Nur so war es möglich, dass Rylee sich für ihren geplanten Kurzurlaub mit Vlad drei Tage frei nehmen konnte. Wenn die Zahl der Gäste weiter so anstieg, wie bisher, musste sie sich eine weitere Hilfe suchen, auch wenn der Gedanke Maj ganz und gar nicht gefiel. Doch seit Maj Ehefrau und Mutter war, hatte sogar sie gelernt, Freizeit zu schätzen.
Rylee rieb sich die Augen. Es würde schwierig werden, jemand Passenden zu finden. Immerhin konnte sie nicht einfach ein Mädchen aus dem Dorf anheuern, nicht in einem Haus, wo Vampire, Hexen und alle Arten von Außerirdischen ein- und ausgingen. Vielleicht würden noch andere junge Frauen aus Olundara die Gelegenheit ergreifen, etwas von der Welt zu sehen und sich dabei etwas dazu zu verdienen.
Rylee eilte in die Eingangshalle, um Vlad zu empfangen. Sie öffnete gerade in dem Moment die Haustür, als er den Weg von der Gartenpforte entlang kam. Lächelnd ging sie ihm die wenigen Schritte entgegen und breitete die Arme aus. Ohne seinen Schritt zu verlangsamen, küsste er sie im Vorübergehen auf die Stirn und ging an ihr vorbei ins Haus. Über die Schulter rief er: „Tut mir leid, Schatz. Ich habe es unheimlich eilig.“
„Was?“, fragte sie verwirrt und lief ihm nach. „Wieso eilig?“
Als sie die Halle betrat, ging gerade die Tür zu ihrem Schlafzimmer im ersten Stock zu. „Vampire und ihr Tempo“, murrte sie und folgte ihm langsamer.
Als sie ins Zimmer trat, sah sie, wie er Kleidungsstücke in seine große Reisetasche packte. Ohne aufzusehen, sagte er: „Hast du meine Nachricht nicht gelesen? Ich muss für einige Zeit verreisen. Du weißt, dass ich seit Wochen Probleme mit unserem brasilianischen Handelspartner habe. Unsere Unstimmigkeiten lassen sich nur vor Ort klären. Ich habe es lange vor mir her geschoben, aber jetzt droht die Angelegenheit zu eskalieren.“
„Aber …“, wandte Rylee ein.
Er hörte einen Moment auf zu packen, und sah zu ihr. „Es tut mir leid, wenn es für dich überraschend kommt. Jetzt, wo du dich nicht um die Kinder kümmern musst, kommst du doch sicher einige Zeit alleine zurecht.“
Sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Der Traum vom gemeinsamen Paris-Wochenende löste sich gerade in Luft auf. Vermutlich hatte sie sich nur eingebildet, dass er sich ebenso auf die freien Tage zu zweit freute. Doch dann schob sie den Gedanken energisch beiseite. Eine Krise war eine Krise und wichtiger als persönliche Gefühle. Da ging es ihr in ihrer Position als Hüterin eines magischen Hauses nicht anders als Vlad, der einer riesigen Vampir-Familie vorstand und die Verantwortung für sie innehatte. Sie zwang sich zu einem Lächeln und trat zu ihm. „Natürlich, kann ich dir helfen?“
Er wandte sich wieder seiner Tasche zu. „Danke, ich bin schon quasi fertig.“
Rylee hörte, wie sich das Geräusch eines Hubschraubers näherte. Vlad küsste sie kurz auf den Mund und verschwand, die Reisetasche in der Hand und ohne sich noch einmal zu ihr umzusehen, durch die Tür.
Rylee verharrte eine Weile reglos. Als sie sich endlich in Bewegung setzte und das Zimmer verließ, hörte sie noch, wie unten die Haustür zuschlug. Ratlos blieb sie oben an der Treppe stehen. Was war da gerade passiert? Vor nicht allzu langer Zeit hatten ihre Verabschiedungen völlig anders ausgesehen, zärtlich und voller Leidenschaft. Hatte sie im Doppelstress der Leitung des Hauses und als Mutter übersehen, dass etwas in ihrer Beziehung zu Vlad nicht in Ordnung war? Sie strich sich über die Hüften, die auch nach zwei Geburten kaum voller geworden waren. Sie war noch immer schlank und durch die Magie des Hauses nicht gealtert. Daran konnte die mangelnde Aufmerksamkeit ihres Gatten also nicht liegen.
Ein Gefühl von Angst schnürte ihr einen Moment die Brust zusammen. Sie atmete tief durch und schob es energisch fort. Sobald Vlad zurück war, würde sie mit ihm reden.
Das Haus knarrte besorgt, und Rylee legte eine Hand auf den Türrahmen. „Keine Sorge“, sagte sie sanft. „Wir bekommen das schon hin.“
In den letzten Jahren hatte das Haus durch die vielen Gäste so sehr an Magie gewonnen, dass seine Fähigkeiten Rylee täglich aufs Neue überraschten. Sie hatte ihre Eltern nach deren Erfahrungen gefragt, und diese versicherten ihr, das Haus habe nie zuvor über solche Kräfte verfügt.
Rylee musste manchmal einschreiten, weil es ihre Kinder maßlos verwöhnte. Vor Kurzem hatte Finn sich einen Pool gewünscht, und am nächsten Morgen hatte Rylee beim Aufstehen im Garten einen Schwimmteich von olympischen Ausmaßen vorgefunden. Das Haus und der Lebende Baum strahlten um die Wette. Das Haus ging sogar so weit, die Tiefe des Beckens zu verringern, wenn die Kinder darin spielten und es zu vertiefen, wenn Vlad, Rylee oder einer der anderen Erwachsenen darin schwammen.
Doch Securus Refugium beruhigte sich, trotz ihrer Beteuerung, nicht. Wo immer Rylee sich im Haus bewegte ächzten die Dielen und knarrten die Fensterrahmen jämmerlich. Immer wieder nahm sie Verbindung auf und versuchte, ihm gut zuzureden. Doch das Haus schien sich mehr und mehr aufzuregen.
Irgendwann gab Rylee genervt und verzweifelt auf und rief ihre Mutter an. Erst vor einigen Monaten hatte Squeech es geschafft, eine Telefonverbindung zwischen den beiden weit voneinander entfernten Planeten einzurichten, und so war es, obwohl sie inzwischen regelmäßig telefonierten, noch ein ungewohntes Gefühl, die Stimme ihrer Mutter klar und deutlich zu hören.
„Machst du dir schon Sorgen um deinen Nachwuchs“, fragte ihre Mutter Maria zur Begrüßung belustigt. „Die Kinder essen gerade zu Abend und haben eine Menge Spaß.“
„Das ist schön“, antwortete Rylee, „aber darum geht es mir nicht. Mit dem Haus stimmt etwas nicht.“ Sie beschrieb ihrer Mutter, wie Securus Refugium sich verhielt. „Hör selbst!“, sagte sie und hielt den Hörer Richtung Boden. Die Dielen stießen ein gequältes Ächzen aus.
„Ich kann es einfach nicht beruhigen. Hast du eine Idee, was mit ihm los sein könnte?“
„Etwas muss ihm Angst machen“, sagte ihre Mutter. „Hast du keinerlei Hinweis, was es sein könnte?“
„Nicht den geringsten“, antwortete Rylee. „Vlad ist vorhin für ein paar Tage weggefahren, aber das macht er ja dauernd. Eigentlich wollte ich ihm ein gemeinsames Wochenende schenken, aber ich bin gar nicht mehr dazu gekommen, es ihm zu sagen. Aber das kann doch nicht der Grund sein, dass Securus Refugium sich so aufregt.“
„Sicher nicht“, sagte ihre Mutter. „Soweit ich das Haus kenne, regt es sich nicht grundlos auf. Es muss etwas passiert sein. Ihr beide seid so eng verbunden, kann es dir kein Bild schicken?“
„Ich habe das Gefühl, es ist so aufgeregt, dass es sich nicht richtig konzentrieren kann. Vielleicht kann Boh helfen, aber er ist irgendwo unterwegs.“
„Boh ist mit Aurelie bei deinem Bruder. Ich gehe rüber und bitte ihn, zurückzukommen.“
„Nicht nötig, ich kann ihn von hier aus rufen“, wandte Rylee ein. „Ich wollte nur zuerst wissen, ob du eine Ahnung hast, was mit dem Haus sein könnte.“
„Für mich hört es sich an, als wäre es in Panik. Sollen wir zu dir kommen? Aramanth könnte auf die Kinder aufpassen.“
„Aber nein“, sagte Rylee rasch. „Ich weiß ja nicht einmal, worum es geht. Sobald ich Näheres herausgefunden habe, melde ich mich.“
Sie legte auf und konzentrierte sich in Gedanken auf Boh, ihren Werkater. Er nahm seine Rolle als Wächter des Hauses immer noch sehr ernst, besuchte jedoch regelmäßig seine Jungen, die inzwischen in anderen neutralen Häusern lebten.
Sie eilte hinab in den Keller zum Portalraum und öffnete das Portal zum Planeten Olundara. Während Boh im und um das Haus wie aus dem Nichts auftauchte und wieder verschwand, war er auf seinen Reisen zu anderen Planeten auf das Portal angewiesen. Nur das Schnellportal zu Haus Bayern und das Portal zu Gargosians Haus hatte Rylee so einrichten lassen, dass er und Aurelie hinaufspringen und es mit der Pfote selbst aktivieren konnte. Portale zu anderen Planeten musste sie ihm öffnen.
Kurz darauf sprang er elegant aus dem Rahmen und sah sie fragend an. Rylee kniete sich hin und streckte die Hand aus. „Hörst du das?“, fragte sie und blickte nach oben zur Decke, deren Balken laut knarzten. „Kannst du mir sagen, was das Haus hat?“
Seine Pupillen weiteten sich. Er schien einen Moment zu lauschen, dann projizierte er das Bild einer Wasserfläche, in der verschwommene Gestalten trieben, in ihren Kopf.
„Was bedeutet das?“, fragte Rylee verwirrt.
Das Bild änderte sich. Fremdartige Wesen erschienen am Ufer und beschossen die Gestalten im Wasser. Rasch versanken sie, und das Wasser färbte sich rot.
Rylee schüttelte den Kopf, um das grässliche Bild loszuwerden. Sie legte eine Hand auf eine Kellerwand. „Bist du deswegen so aufgeregt?“
Die Tür zum Portalraum begann, wie wild zu klappern.
„Wo befindet sich dieser See? Hat dieser Überfall schon stattgefunden oder liegen diese Ereignisse in der Zukunft? Was sind das überhaupt für Wesen?“ Rylee sah sich hilflos um. „Was soll ich tun, was erwartet ihr von mir?“
Bohs abwesender Gesichtsausdruck zeigte ihr, dass er immer noch mit Securus Refugium kommunizierte. Wieder empfing sie ein Bild, diesmal das von einem Wald, der ihr bekannt vorkam.
„Das ist doch ganz in der Nähe!“, rief sie. An einer uralten, durch einen Blitzschlag korkenzieherartig wachsenden Eiche, hatte sie das Waldgebiet erkannt, das sich direkt an das Baugebiet neben Securus Refugium anschloss. Sie wusste, dass sich auf dessen anderer Seite, verborgen zwischen hohen Bäumen, ein kleiner See befand. Nicht weit davon entfernt lag das Häuschen der Hexe Thekla, die sie einige Zeit, nachdem sie Securus Refugium übernommen hatte, kennengelernt hatte. Ab und zu besuchte Thekla Securus Refugium und verbrachte Zeit bei Rylees Freundin Evanora, die ebenfalls eine Hexe war, und seit Kurzem ein kleines Häuschen auf dem benachbarten Grundstück bewohnte. Obwohl beide nicht gerne darüber sprachen, wusste Rylee, dass sie so alt waren, dass sie die Inquisition überlebt hatten. Während Evanora sich auf magische Weise ein jugendliches Aussehen erschaffen hatte, bevorzugte Thekla das Aussehen einer alten, etwas tattrigen Frau.
Rylee griff kurzentschlossen nach einer Jacke. „Ich werde nachsehen, was dort los ist. Wenn ich nichts finde, habe ich wenigstens einen schönen Spaziergang gemacht.“
Boh rieb sich an ihrem Bein und blieb dicht bei ihr, als sie zur Haustür hinausging. Einen Moment hielt sie inne. Vlad würde es nicht gerne sehen, wenn sie ganz alleine auf Erkundungstour ginge, auch wenn Boh ein fähiger Beschützer war.
Sie lief aus dem Gartentor und wandte sich nach links in Richtung der kleinen Siedlung, die dort in den letzten Jahren entstanden war. Sie ließ sowohl das Haus von Emmea und Squeech als auch das von Emily und ihrem Mann, dem Oberst, links liegen. Sie waren gemeinsam zu ihrem Heimatplaneten gereist, um dort einer Jahresfeier beizuwohnen, und würden erst in der kommenden Woche zurück sein. Sie ging an einer kleinen, runden Hütte vorbei, die zeitweise den Botschafter eines waldreichen Planeten beherbergte. Dieser versuchte, auf der Erde Handelspartner für seltene Urwaldpflanzen, aus denen Medikamente hergestellt werden konnten, zu finden. Ein schwieriges Unterfangen, da deren Herkunft nicht enthüllt werden durfte.
Sie lief weiter zu dem zweistöckigen Haus, in dem Vlad die Vampire, die er vor Ort benötigte, untergebracht hatte. Die meisten seiner Abkömmlinge, Vampire, die er selbst erschaffen hatte, dienten hier für ein oder zwei Jahre, bis sie in die Welt hinaus zogen und ihren eigenen Zukunftsplänen folgten. Die große Mehrheit waren Waisen oder obdachlose Jugendliche, die zunächst gegen Kost und Logis und die Aussicht auf Unsterblichkeit als laufende Blutspender angeworben wurden. Zeigten sie sich als charakterlich geeignet, wandelte Vlad sie nach ein paar Jahren zu Vampiren.
Bevor Rylee klopfen konnte, öffnete sich, wie sie erwartet hatte, die Eingangstür. Das Gehör der Vampire war so fein, dass sie sie vermutlich schon wahrgenommen hatten, als sie das Gartentor von Securus Refugium passierte.
„Kurt“, lächelte sie den wie Anfang zwanzig wirkenden Vampir an, der sie überrascht musterte. Seine karottenroten Haare hatte er zu einem Pferdeschwanz gebunden, und ein Piercing schmückte seine rechte Augenbraue.
„Fürst Vlad ist nicht hier“, kam er ihr zuvor und deutete eine Verbeugung an.
„Ich weiß“, antwortete sie. „Ich muss jedoch etwas Merkwürdiges außerhalb des Anwesens erkunden, und ich denke, es wäre ihm lieber, wenn einer von euch mitkommt.“
„Auf jeden Fall“, erklärte Kurt zögernd. „Aber …“
Rylee meinte zu sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete.
„Du brauchst ihm nicht Bescheid zu sagen“, versicherte sie rasch. „Tatsächlich folge ich nur einer Art Hirngespinst.“
Er schien nicht wirklich überzeugt, nickte aber. „Na gut, soll ich den Wagen holen?“
„Eigentlich ist mir danach, ein Stück zu laufen“, erklärte sie. „Wir müssen auf die andere Seite des Wäldchens, und es dauert nicht viel länger, wenn wir zu Fuß gehen, als wenn wir außen herum mit dem Auto fahren.“
Er zog die Tür hinter sich ins Schloss und wandte sich an Rylee. „Es wäre mir lieber, wenn wir noch etwas warten könnten. Die anderen sind in die Stadt gefahren, müssten aber jeden Moment zurück sein.“
„Das geht nicht“, erklärte Rylee bestimmt. „Wir müssen sofort los!“
„Und was genau wollen wir uns dort anschauen?“, hakte er nach.
Sie zuckte verlegen mit den Achseln. „Das Haus hat mir eine Vision von irgendwelchen Wesen im Teich geschickt. Sie könnten in Gefahr sein. Es ist aber auch möglich, dass ich die Bilder ganz falsch interpretiert habe. Oder dass das, was ich gesehen habe, schon vor langer Zeit stattgefunden hat oder irgendwann in der Zukunft stattfinden wird. Aber ich bin neugierig und würde mir den Teich gerne anschauen.“
„Vielleicht sollte ich doch besser Vlad anrufen“, sagte er langsam.
„Das wird nicht nötig sein“, erklärte sie entschlossen und lief los.
Dem jungen Vampir blieb nicht viel mehr übrig, als ihr zu folgen. Er zog sein Handy aus der Tasche, wählte und sprach ein paar leise Worte. Als er ihren fragenden Blick sah, sagte er fest: „Ich sage den anderen Bescheid, sie sollen sich beeilen.“
Rylee nickte. Als sie um die Hausecke kam, sah sie aus dem Zelt des Händlers TeqTeq lilafarbenen Rauch aufsteigen. „Was ist denn da los?“, fragte sie.
Der Vampir schnaubte. „Keine Ahnung, das geht schon den ganzen Tag so. Der Gestank ist furchtbar.“
Rylee schnupperte. „Ich rieche gar nichts.“
„Wenn Ihr den feinen Geruchssinn von Vampiren hättet, wüsstet Ihr, was ich meine.“ Boh maunzte zustimmend und schüttelte sich.
„Bei nächster Gelegenheit werde ich ihn fragen, ob es möglich ist, weniger Gerüche zu produzieren“, versprach Rylee.
„Wir wären sehr dankbar!“
Kurz darauf tauchten sie in die kühle Dämmerung des Waldes ein. Rylee vermutete, dass er von der Magie, die Securus Refugium und seine Bewohner kontinuierlich abgaben, beeinflusst wurde. Die Bäume waren riesig, und lange Moosflechten hingen von ihnen herab. Vereinzelt erhoben sich große Findlinge, und üppige Farne streckten ihre Wedel über den kaum erkennbaren Pfad. Man konnte sich unschwer vorstellen, dass hier Elfen und Feen, oder gar Kobolde zu Hause waren.
Von allen Seiten ertönte das Rascheln kleiner Tiere, und Vögel sangen in den Ästen.
Als sie eine Wegbiegung passierten, zog Kurt sie am Arm zurück. „Es kommt jemand“, flüsterte er.
„Das ist ein öffentlicher Weg“, gab sie zu bedenken. „Sicher gehen hier auch Leute aus dem Ort spazieren.“
Doch sie wusste, dass der Wald von den Einwohnern des Dorfes gemieden wurde. Er galt als unheimlich und verwunschen, und sie vermutete, dass der Zauber, der die Dorfbewohner davon abhielt Securus Refugium genauer zu betrachten, sich auch auf den Wald ausdehnte.
Es dauerte einen Moment, bis auch sie die sich nähernden Schritte hörte.
„Thekla!“, rief sie erstaunt, als die alte Hexe auf ihren Stock gestützt aus dem Unterholz kam. „Wolltet Ihr zu mir? Oder seid Ihr auf dem Weg zu Evanora?“
Eine Mischung aus Erleichterung und Sorge zeigte sich auf dem faltigen Hexengesicht. „Ich wollte zu dir“, sagte sie schnaufend. „Etwas ist nicht in Ordnung.“
„Was meint Ihr?“, fragte Rylee und setzte hinzu: „Sagt mir nicht, dass es etwas mit dem Teich zu tun hat.“
„Du hast es also auch gespürt? Eine entsetzliche Gefahr geht von dort aus. Viel zu stark, als dass ich mich ihr allein stellen könnte. Du solltest auch nicht alleine dort hingehen. Wir müssen Evanora holen. Und deinen Vampir.“ Sie musterte Kurt von oben bis unten. „Und alle, die du sonst noch zusammenrufen kannst.“
„Vlad ist nicht da. Von welcher Gefahr redest du?“, rief Rylee. „Ich verstehe überhaupt nichts.“
„Verdammt. Das weiß ich nicht“, antwortete die Hexe ungeduldig. „Aber ich spüre genau, dass uns keine Zeit mehr bleibt. Wenn meine Nichte nicht mein Smartphone mitgenommen hätte, um mir ein paar neue Apps aufzuspielen, hätte ich telefoniert. Aber so blieb mir nichts anderes übrig, als herzulaufen. Und wie du weißt, bin ich nicht mehr die Jüngste.“
Das war Evanora auch nicht, und doch war sie zumindest äußerlich jung und körperlich offensichtlich genauso fit wie Rylee. Doch das war eine Frage, der sie sich zu einem anderen Zeitpunkt widmen müsste. Sie wandte sich an den Vampir.