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In Rylees magischer Herberge trifft lang ersehnter Besuch ein. Die Hüterin Adriana weist sie nicht nur in den Gebrauch des Portals ein, sondern erzählt ihr auch endlich alles über das Schicksal ihrer Eltern. Schneller, als Rylee denkt, muss sie das Portal selbst benutzen, um Squeech und Boh zu suchen, die spurlos verschwunden sind. Auch neue Gäste stellen ihre Geduld auf eine harte Probe. Zum einen die Vampirin Marilee, die eine mysteriöse Anziehungskraft auf bestimmte Männer ausübt. Warum läd Vlad, der Fürst der Dunkelheit, sie ohne Erklärung bei Rylee ab? Zum anderen der winzige Gimlik Richard, der sein Volk vor einer schrecklichen Seuche retten will. Auch er braucht Rylees Hilfe. Doch wird sie allem gewachsen sein und vor allem: Wem kann sie überhaupt trauen? "Der Verrat" ist Band 5 der Fantasy-Serie "Haus der Hüterin" von Andrea Habeney. Band 1 "Das Erbe", Band 2 "Das Erwachen", Band 3 "Das leere Bild" und Band 4 "Das Portal" liegen ebenfalls bei mainbook vor. Weitere Bände folgen ...
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Seitenzahl: 174
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In Rylees magischer Herberge trifft lang ersehnter Besuch ein. Die Hüterin Adriana weist sie nicht nur in den Gebrauch des Portals ein, sondern erzählt ihr auch endlich alles über das Schicksal ihrer Eltern.
Schneller, als Rylee denkt, muss sie das Portal selbst benutzen, um Squeech und Boh zu suchen, die spurlos verschwunden sind.
Auch neue Gäste stellen ihre Geduld auf eine harte Probe. Zum einen die Vampirin Marilee, die eine mysteriöse Anziehungskraft auf bestimmte Männer ausübt. Warum läd Vlad, der Fürst der Dunkelheit, sie ohne Erklärung bei Rylee ab? Zum anderen der winzige Gimlik Richard, der sein Volk vor einer schrecklichen Seuche retten will. Auch er braucht Rylees Hilfe. Doch wird sie allem gewachsen sein und vor allem: Wem kann sie überhaupt trauen?
„Der Verrat“ ist Band 5 der Fantasy-Serie „Haus der Hüterin“ von Andrea Habeney. Band 1 „Das Erbe“, Band 2 „Das Erwachen“, Band 3 „Das leere Bild“ und Band 4 „Das Portal“ liegen ebenfalls bei mainbook vor. Weitere Bände der Serie folgen.
Andrea Habeney, geboren 1964 in Frankfurt am Main, in Sachsenhausen aufgewachsen. Nach dem Abitur studierte sie in Gießen Veterinärmedizin. 1997 folgte die Promotion. Bis 2013 führte Andrea Habeney im Westen Frankfurts eine eigene Praxis. Heute arbeitet sie als Tierärztin für eine Pharma-Firma.
Als Autorin hat sie sich einen Namen gemacht mit ihrer Frankfurter Krimi-Reihe um Kommissarin Jenny Becker: „Mörderbrunnen“ (Frühjahr 2011), „Mord ist der Liebe Tod“ (Herbst 2011), „Mord mit grüner Soße“ (April 2012), „Arsen und Apfelwein“ (2013), „Verschollen in Mainhattan“ (2014) und „Apfelwein trifft Weißbier“ (Oktober 2015).
Zudem hat Andrea Habeney zwei weitere Fantasy-E-Books bei mainbook veröffentlicht: „Elbenmacht 1: Der Auserwählte“ und „Elbenmacht 2: Das Goldene Buch“.
ISBN 978-3-946413-31-8
Copyright © 2016 mainbook Verlag Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Gerd Fischer Covergestaltung: Olaf Tischer Coverbild: © Christian Müller - fotolia
Auf der Verlagshomepage finden Sie weitere spannende Taschenbücher und E-Books http://www.mainbook.de
Band 5: Der Verrat
Fantasy-Serie
Rylee starrte wie betäubt auf die Mail. Erst seit wenigen Stunden verfügte sie über Zugang zum interstellaren Web. Squeech, der junge, heimatlose Squatch, der bei ihr Unterschlupf gefunden hatte, war auf technischem Gebiet ein Genie und hatte ihren Laptop auf Vordermann gebracht. Und jetzt das! Eine Mail von einer unbekannten Hüterin war eingegangen, die sich Adriana nannte und ankündigte, um Mitternacht durchs Portal einzutreffen. Durch jenes Portal, das Rylee im Keller entdeckt hatte, das sie aber noch nicht bedienen konnte und, wenn es nach der Gesellschaft ging, die den Häusern vorstand, auch nicht durfte.
Rylee und ihre Freundin Emily hatten mit Unterstützung des Schamanen Stephan einen Hilferuf an alle anderen neutralen Häuser, deren Anschrift sie herausbekommen konnten, geschickt, aber dass so schnell eine Antwort käme, hätte wohl niemand von ihnen erwartet. Geschweige denn, dass eine Hüterin persönlich anreisen würde.
War dies die Lösung ihrer Probleme? Von allen Seiten war ihr bisher nur Ablehnung entgegengebracht worden. Angeblich hatten ihre Eltern ein Verbrechen verübt und waren dafür von der Gesellschaft hingerichtet worden. Doch es mehrten sich die Hinweise, dass das nicht der Wahrheit entsprach.
Rylee stand auf und ging in die Küche, wo Emily noch einen Kaffee trank, bevor sie sich auf den Heimweg machen wollte. Die Herrscherinmutter des Planeten Marisol wollte sich dauerhaft auf der Erde zur Ruhe setzen und hatte ein eigenes kleines Häuschen im Ort gekauft. Aufgeregt erzählte ihr Rylee von der Mail.
„Sie kommt selbst? Und gleich heute Nacht?“, fragte Emily erstaunt. „Aber das ist fantastisch!“
„Ja, nicht wahr? Ich kann es kaum glauben. Hoffentlich bekomme ich es hin, die richtigen Koordinaten einzugeben. Aber sie hat eine genaue Anweisung angehängt.“ Sie zögerte einen Moment. „Ich weiß, der Zeitpunkt ist mitten in der Nacht, aber würdet Ihr ...?“
„Um nichts in der Welt würde ich mir das entgehen lassen!“, erklärte Emily. „Ich gehe jetzt nach Hause und komme gegen Abend wieder vorbei. Hast du momentan Gäste?“
„Außer Squeech niemanden und der wässert sich gerade. Aber er isst für fünf. Zum Glück ist er nicht anspruchsvoll. Er hat schon gefragt, ob ich wieder Burger und Pommes mache.“
Kaum hatte sie sich wieder an ihren Laptop gesetzt, als das Objekt ihrer Unterhaltung ins Wohnzimmer geschlendert kam.
Rylee sah erstaunt auf. „Du solltest doch in der Wanne liegen? Du siehst immer noch völlig ausgetrocknet aus.“
Der Squatch musste jeden Tag einige Zeit baden oder wenigstens duschen, um nicht völlig auszutrocknen. Die Schwimmhäute zwischen Fingern und Zehen zeugten von seiner Affinität zu Wasser.
„Ich habe schon ein Bad eingelassen“, erklärte er. „Aber vorher wollte ich noch eine Idee mit Euch besprechen. Ich habe ein komplettes Sicherheitssystem entwickelt.“
Rylee hob abwehrend die Hand. „Das ist toll, aber momentan habe ich andere Probleme und du, so wie du aussiehst, auch! Ab in die Wanne und ich will dich nicht wieder sehen, bevor du ordentlich durchweicht bist!“
Missmutig dreinschauend zog er ab und Rylee lehnte sich erleichtert zurück. Doch sofort setzte sie sich wieder gerade hin. Es gab noch eine Menge zu tun. Sie ging im Geist durch, was noch zu erledigen war.
Zuerst machte sie sich auf den Weg in die Küche und durchstöberte den Tiefkühlschrank. Wenn sie bloß wüsste, welche Vorlieben die Hüterin hatte. Aß sie vegetarisch? Oder gar vegan? Hoffentlich nicht! Die Ankündigung ihrer Ankunft war sehr knapp erfolgt. Vielleicht würde von ihr erwartet, auf alles vorbereitet zu sein. Sie wollte sich diesbezüglich keine Blöße geben. Rylee entschied sich für eine Lende, die sie zum Auftauen in den Kühlschrank legte. Kartoffeln, Gemüse und Salat hatte sie ausreichend da und auch Baguette zum Aufbacken. Dann hielt sie inne. Die Hüterin würde nachts ankommen, also wäre das Frühstück die erste Mahlzeit. Allerdings hatte sie geschrieben: Um Mitternacht Eurer Zeit ... Wer wusste, ob es auf ihrem Heimatplaneten vielleicht später Nachmittag war. Rylee seufzte tief. Sie würde es einfach auf sich zukommen lassen. Immerhin konnte sie sich um eine angemessene Unterkunft kümmern. Sie ging die Treppe hinauf zum ersten Stock, blieb jedoch nach etwa zehn Stufen stehen und ging wieder zwei hinunter. Dann nahm sie die Stufen erneut und trat extra fest auf. Sie hatte sich nicht geirrt. Das Knarren war weg. Offenbar hatte sich das Haus darum gekümmert. Sie hatte sich schon gewundert, dass ihr kaum Verbesserungen aufgefallen waren.
Im ersten Stock wählte sie das größte Zimmer. Sie putzte es gründlich und bezog das Bett neu. Dann kletterte sie auf den Speicher, den sie immer noch ungern alleine betrat, und durchsuchte die alten Kisten nach Brauchbarem. Gleich in der zweiten fand sie einen wertvoll aussehenden Kerzenleuchter, nahm ihn heraus und stellte ihn beiseite. In einer anderen Kiste waren bestickte Kissenbezüge. Rylee warf einen Blick aus dem Dachfenster. Die Sonne schien und ein leichter Wind ließ die Blätter der Bäume rascheln. Wenn sie die Kissenbezüge jetzt waschen und hinaushängen würde, müssten sie bis zum Abend trocken sein.
Auch einen Teppich entdeckte sie, den sie nach draußen brachte, über einen Ast hängte und ausklopfte. Als er genug gelüftet war, trug sie ihn ins Zimmer und legte ihn vors Bett. Den Kerzenleuchter stellte sie auf den kleinen Tisch. In der Vorratskammer hatte sie dunkelblaue Kerzen gefunden, die perfekt mit den Blautönen des Teppichs harmonierten.
Befriedigt sah sie sich um. Das Zimmer war immer noch einfach aber geschmackvoll und gemütlich eingerichtet. Sie nahm sich vor, nach und nach auch die anderen Zimmer herzurichten und vielleicht sogar den einen oder anderen Einrichtungsgegenstand anzuschaffen. Immerhin hatte sie inzwischen einiges an Geld eingenommen und musste nicht mehr auf jeden Cent schauen. Sie dachte an den SUV, den sie vor Kurzem in dem alten Schuppen am hinteren Ende des Grundstücks entdeckt hatten. Ob sie ihn verkaufen sollte? Immerhin hatte sie gar keinen Führerschein und wusste momentan auch nicht, wann und wie sie Fahrstunden nehmen sollte. Sie konnte das Haus zwar für kurze Zeit sich selbst überlassen, weiter weg traute sie sich jedoch noch nicht.
Aber das war jetzt alles eher unwichtig im Vergleich zum Eintreffen der Hüterin. Vielleicht würde sie Rylee wirklich beibringen, wie das Portal funktionierte und vielleicht, aber nur vielleicht, könnte sie selbst irgendwann damit reisen und fremde Welten besuchen.
Sie schüttelte den Kopf und rief sich zur Ordnung. Es würde noch lange dauern, bis sie auch nur an so etwas denken durfte. Es gab anderes, wichtigeres. Bald würde sie Reisenden eine einfache Möglichkeit bieten können, große Entfernungen zurück zu legen. Die Gesellschaft würde ihr die Benutzung des Portals schwerlich verbieten können, wenn sie eine ordnungsgemäße Einweisung erhalten hätte. Ihr Haus würde florieren und sie würde genug Geld einnehmen, um es zu früherem Glanz und Ansehen zurückzuführen. Und sie würde dadurch das Ansehen ihrer Eltern wieder herstellen!
Sie hielt inne und musste über sich selbst grinsen. Noch war es gar nicht sicher, dass die Hüterin wirklich eintreffen würde und bereit wäre, ihr alles beizubringen. Neben dem großen Portal waren da auch noch die vielen kleinen Bilder, die angeblich dazu dienen sollten, Dinge zu transportieren. Sie würden alles vereinfachen und sie könnte auch für ihre exotischen Gäste angemessene Nahrungsmittel besorgen.
Bis zum Abend war sie mit Vorbereitungen beschäftigt. Nachdem sie Squeech sein Abendessen bereitet hatte, Burger mit Pommes wie gewünscht, legte sie sich in ihrem Zimmer hin und versuchte zu schlafen. Wenn ihr Gast um Mitternacht eintreffen würde, wollte sie fit sein und wer wusste, was die Nacht sonst noch bringen würde.
Natürlich ließ die Aufregung sie nicht einschlafen. Unruhig wälzte sie sich hin und her und gab es nach einer Stunde endgültig auf. Sie ging hinunter in die Küche und setzte Kaffee auf. Er würde ihr helfen, wach zu bleiben. Obwohl das nervöse Kribbeln in der Magengegend vermutlich ausreichen würde.
Als der Kaffee fertig war, goss sie sich eine Tasse ein und öffnete die Tür zum Garten. Die einsetzende Nacht war frisch, aber nicht kalt und sie setzte sich auf die Stufen der Veranda und starrte ins Dunkle. Am Himmel waren nur einige Sterne zu sehen, die immer wieder von dahin jagenden Wolken verdeckt wurden. Die Nacht roch nach Geißblatt und hin und wieder raschelte es im Gebüsch. Ihr Katzenwächter Boh tauchte kurz auf, verschwand aber wieder in der Dunkelheit.
Gegen elf Uhr spürte sie, dass Emily das Haus betrat. Als Rylee aufstand und sich die Hose abklopfte, kam die ältere Dame auf die Veranda hinaus. „Ich glaube, ich bin aufgeregter als du!“, erklärte sie und fächelte sich Luft zu.
Rylee schüttelte vehement den Kopf. „Unmöglich! Stellt Euch vor, sie weiß vielleicht etwas über meine Eltern!“
Ein Anflug von Mitleid ging über Emilys Gesicht. „Ich wünsche es dir“, sagte sie langsam „aber du musst auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass sich das Schicksal deiner Eltern nie klären lässt.“
„Ich weiß!“, antwortete Rylee trotzig. „Aber ich werde nicht aufgeben!“
Um halb zwölf gingen sie in den Keller zum Portalraum. Rylee öffnete die Schlösser und stellte ihren Laptop auf einen der Tische. Die darauf gestapelten Bilder schob sie zur Seite.
Mit einem letzten Seitenblick zu Emily atmete sie tief durch und trat an den großen Rahmen an der Stirnseite des Raumes. Sie drückte die Ornamente nacheinander, wobei sie sich akribisch an die Anweisungen aus der Mail hielt.
Wer wusste schon, wohin sich ein Portal öffnen würde, falls sie sich nur einmal verdrückte.
Unsicher sah sie zu ihrer Freundin. „Und wenn wieder jemand mit hindurch kommt?“
Der junge Squeech war einfach durch das Portal gesprungen, bevor es sich nach einem Abreisenden schließen konnte, und ihnen vor die Füße gefallen.
„Die Hüterin wird schon dafür sorgen, dass das nicht passiert“, beruhigte Emily sie.
Um Punkt Mitternacht drückte Rylee das letzte Ornament. Die Leinwand leuchtete gleißend hell auf und sie trat erschrocken einen Schritt zurück.
Es dauerte einige Sekunden, die Rylee wie eine Ewigkeit vorkamen. Boh drückte sich beruhigend gegen ihr Bein.
Endlich geschah etwas. Im hellen Licht wurde eine Gestalt sichtbar. Rylee kniff die Augen zusammen. Zuerst sah sie nur die Umrisse, dann wurde das Licht schwächer und sie konnte die Gestalt einer Frau ausmachen, die anmutig aus dem Rahmen stieg.
Sie trug ein elegantes dunkelrotes Kleid und hielt eine Reisetasche in der Hand. Als das Licht im Rahmen langsam erstarb, konnte Rylee ihr Gesicht sehen.
Die Frau war etwa fünfzig. Ihre Züge waren hoheitlich, ein besserer Ausdruck fiel Rylee nicht ein. Boh maunzte und holte sie aus ihrer Erstarrung. Sie trat einen Schritt vor.
Ein Lächeln flog über das Gesicht ihrer Besucherin. Sie ging auf Rylee zu und zog sie zu ihrer Überraschung in die Arme. „Mein liebes Kind!“, rief sie. „Es ist so lange her! So lange!“
Rylee erstarrte einen Moment, entspannte sich jedoch und ließ sich an den üppigen Busen drücken. Nach einer Weile entließ die Frau Rylee aus der Umarmung, hielt sie jedoch noch an den Oberarmen fest. Mit einem merkwürdigen Unterton sagte sie: „Du siehst genau aus wie deine Mutter!“
„Meine Mutter? Ihr kanntet meine Mutter?“, fragte Rylee aufgeregt.
Sie lächelte wieder. „Natürlich! Ich bin Adriana. Deine Mutter war meine Schwester. Ich bin deine Tante, Kind!“
Eine halbe Stunde später saßen sie am Küchentisch und tranken Kaffee.
Die Nachricht, dass Adriana ihre Tante sei, hatte bei Rylee wie eine Bombe eingeschlagen. Obwohl ihr tausend Fragen durch den Kopf geschossen waren, war sie zunächst stumm wie ein Fisch geblieben und hatte nicht aufgehört, ihre Tante mit großen Augen anzustarren. Emily hatte die Vorstellung übernommen.
Erst nach und nach hatte Rylee sich gefangen und angefangen, Fragen zu stellen. Bisher hatte sie sich jedoch noch nicht getraut, nach dem zu fragen, was ihr am meisten auf der Seele brannte.
Adriana musterte sie lächelnd. „Du möchtest mehr über deine Eltern wissen, stimmts?“
Rylee nickte hastig. „Ja. Ich kann einfach nicht glauben, dass sie ein Verbrechen begangen haben.“
Adriana lachte traurig. „Oh, das haben sie auch nicht. Es handelte sich um ein perfides Komplott, das die Gesellschaft gegen sie geschmiedet hat, um an das Haus zu kommen.“
„Aber warum?“, fragte Rylee. „Warum wollten sie ihnen das Haus wegnehmen?“
Adriana seufzte. „Das Portal! Es ist der Schlüssel zu allem. Wer es besitzt oder vielmehr darüber bestimmt, verfügt über fast unbegrenzte Macht.“
Emily nickte und warf Rylee einen besorgten Seitenblick zu.
Adriana nickte gewichtig. „Natürlich bist auch du in Gefahr. Deshalb bin ich hier. Ich werde dir helfen.“
Rylees Gedanken rasten. Ohne nachzudenken sprach sie das aus, was ihr als erstes in den Sinn kam. „Aber warum erst jetzt? Warum hast du dich all die Jahre nicht bei mir gemeldet? Ich wusste gar nichts von meinen Eltern. Wusste nicht einmal, wer ich bin!“
Tiefe Traurigkeit schien sich auf Adriana zu senken. „Ich werde es mir nie verzeihen, dass ich nicht für dich da war, als du mich gebraucht hast. Aber ich bin damals von der Erde auf einen weit entfernten Planeten geflohen, aus Angst, die Gesellschaft würde auch mich töten lassen. Ich habe mich lange versteckt. Der Hauptgrund aber war, dass ich glaubte, auch du wärst tot. Deine Eltern müssen geahnt haben, was auf sie zukommt. Sie haben dich in Sicherheit gebracht oder zumindest Vorkehrungen für den Ernstfall getroffen. Erst als deine Mail an die anderen Häuser kam, ging es wie ein Lauffeuer über alle Planeten, dass du am Leben bist und Securus Refugium übernommen hast. Und, was fast noch wichtiger ist, das Portal entdeckt hast!“
Emily warf eine Frage ein. „Und wenn sie das Portal nicht entdeckt hätte?“
Adrianas Antwort war eindeutig. „Dann wäre sie nicht würdig gewesen, Hüterin zu sein. Ich hätte nie von ihrer Existenz erfahren und die Gesellschaft hätte irgendwann einen Weg gefunden, ihr das Haus abzunehmen.“
Rylee dachte einen Moment über das Gesagte nach und auch Emily schwieg nachdenklich. Endlich schüttelte Rylee den Kopf. „Ich bin sicher, ich hätte das Haus auch ohne das Portal halten können.“
„Sicher denkst du das“, sagte Adriana liebevoll. „Aber du hast keine Vorstellung, wie wichtig es ist. Deine Eltern müssen unglaublich starke Schutzzauber gewirkt haben, sodass sich niemand in den letzten sechzehn Jahren Zugang zu ihm verschaffen konnte!“
Rylee wollte etwas sagen, doch ihre Besucherin hob die Hand vor den Mund und gähnte verhalten. „Sei mir nicht böse, aber ich bin todmüde. Auf meinem Planeten ist es früher Morgen und ich habe mich sowieso nie daran gewöhnen können, dass die Tage neunundzwanzig Stunden haben. Sicher hast du ein Zimmer für mich?“
Rylee stand auf. „Natürlich, entschuldige bitte. Ich habe mein schönstes Zimmer vorbereitet, allerdings haben wir nicht viel Luxus zu bieten, wie du dir sicher vorstellen kannst.“
„Das macht nichts“, beruhigte Adriana sie. „Ich bin nicht anspruchsvoll. Du musst auch keinen großen Aufwand mit dem Frühstück betreiben. Ich würde außerdem vorschlagen, dass wir gleich nach dem Frühstück mit dem Unterricht beginnen? Oder hast du Gäste, um die du dich kümmern musst? Außer Emily, meine ich?“
Emily hatte sich ebenfalls erhoben. „Oh, ich wohne nicht mehr hier. Ich besitze im Ort ein kleines Häuschen.“
„Schön, schön ... dann gute Nacht.“
Auf dem Weg in den ersten Stock erzählte Rylee von Squeech. Adriana lachte. „Ich mag diese wässrigen Gesellen. Auch wenn sie oft recht mürrisch sind.“
Sie küsste Rylee auf die Stirn und verschwand im Zimmer.
Etwas verloren blieb Rylee auf dem Treppenabsatz stehen. Emily hatte das Haus verlassen und die Halle lag still und dunkel da.
Wie aus dem Nichts erschien Boh neben ihr und rieb sich an ihrem Bein. Dankbar sah sie nach unten, bückte sich und kraulte ihn hinter den Ohren.
„Lass uns schlafen gehen“, murmelte sie. „Es ist spät genug.“
Im Bett lag sie noch lange wach und grübelte über den Besuch der Hüterin. Würde sie morgen alles über das Schicksal ihrer Eltern erfahren?
Irgendwann schlief sie ein und träumte unruhig.
Beim ersten Morgengrauen war sie wach, stand auf und schleppte sich ins Bad. Nach Katzenwäsche und kurzem Zähneputzen legte sie noch etwas Wimperntusche auf..
Zum Glück, wie sie eine Viertelstunde später feststellte. Die Sonne war noch nicht richtig aufgegangen, als sie eine starke und unerwartete Präsenz am Gartentor spürte. Vlad Tepes!
Der Vampir hatte sich nicht gemeldet, seit er ihr wenige Tage zuvor einen Strauß wunderschöner fast schwarzer Rosen geschickt hatte. Die Rosen waren sowohl ein Dank für den Abend, den sie gemeinsam in Paris verbracht hatten, als auch Verheißung auf zukünftige Treffen. Rylee lief es heiß und kalt den Rücken hinunter, als sie an den heißblütigen Abschiedskuss dachte, den er ihr gegeben hatte.
Sie hatte wenig Erfahrung mit Männern und der Jahrhunderte alte Vampir machte ihr Angst, weckte in ihr aber auch Sehnsüchte, über deren Natur sie sich noch nicht ganz im Klaren war.
Und jetzt stand er plötzlich und völlig unerwartet vor dem Tor. Sie öffnete ihre Zimmertür und rannte die Treppe hinunter. Um diese Zeit dürfte es sich kaum um einen romantischen Besuch handeln. Ob etwas passiert war?
Im Licht der aufgehenden Sonne erkannte sie die hoch aufragende Gestalt Vlads nur silhouettenhaft. Neben ihm stand eine zweite, kleinere Person, die sich beim Näherkommen als Frau entpuppte. Und zwar, wie Rylee zu ihrem Missfallen feststellte, als ausgesprochen schöne Frau.
Sofort bereute Rylee, nicht mehr Zeit im Bad vorm Spiegel verbracht zu haben. Ihre Haare sahen sicher unmöglich aus.
Sie blieb kurz vor dem Tor stehen und sah die beiden fragend an. „Vlad?“, sagte sie zaghaft, „Was ...?“
„Öffne, Rylee, ich gelobe, alle Gesetze zu achten und Maribell auch.“ Er sah die Frau auffordernd an.
Gehorsam senkte sie den Kopf, sah Rylee aber weiter unter gesenkten Lidern an. „Ich gelobe“, sagte sie mit melodiöser Stimme.
Sie trug einen Mantel aus einem seidigen hellgrünen Stoff, der ihre Figur vorteilhaft zur Geltung brachte. Ihre Haare waren goldblond und fielen gewellt bis fast auf ihre gerundeten und trotzdem schmalen Hüften hinab.
Rylee fühlte, wie ihr ein Gefühl der Eifersucht den Brustkorb zusammen schnürte.
„Rylee?“, fragte Vlad mit halb ärgerlicher halb amüsierter Stimme.
„Oh ... natürlich!“ Sie öffnete das Tor. Er trat mit zwei großen Schritten hindurch und schloss sie in die Arme. Ohne auf die Frau, die hinter ihm das Grundstück betrat, zu achten, küsste er Rylee innig auf den Mund. Seine Zunge fand den Weg zwischen ihre Lippen und er umspielte ihre warme Zungenspitze mit der seinen.
Als er sie endlich losließ, war sie atemlos und ihre Knie fühlten sich weich an.
Ungerührt drehte er sich zu seiner Begleiterin um. „Darf ich vorstellen? Die Hüterin Rylee Montgelas, Maribell Popovici.“
Rylee grüßte sie höflich, erntete aber nur ein hoheitsvolles Nicken.
Vlad griff nach ihren Oberarmen und sah ihr intensiv in die Augen. „Ich muss dich um einen Gefallen bitten!“, sagte er eindringlich. „Bitte nimm Maribell bei dir auf und beschütze sie mit aller Macht, die dir das Haus verleiht!“
Rylee ließ ihren Blick verwirrt von ihm zu der Frau und zurück schweifen. „Ja, natürlich ... aber warum ... ich meine, wovor?“
Vlad sah sie einen langen Moment unbewegt an. „Ich möchte im Moment noch nichts darüber sagen. Ich bitte dich, mir zu vertrauen. Kannst du das?“
Konnte sie das? Konnte sie dem undurchschaubaren Fürsten der Finsternis vertrauen?