Haushaltstag und Westpakete - Wolfgang Walther - E-Book

Haushaltstag und Westpakete E-Book

Wolfgang Walther

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Beschreibung

ABV, UTP, ESP, BSG, EVP, GST, LPG, PGH, KWV. Wer kann mit diesen Abkürzungen etwas anfangen? Wer weiß noch, was Deli, Ex und Intershop bedeuteten? Wer fuhr mit der Reichsbahn in den FDGB-Urlaub, ließ sich vom Fahrkartenknipser die Fahrkarte durchlöchern und schrieb im Urlaub Ansichtskarten nach Hause? Wer erinnert sich an Nylonmäntel und Feinstrumpfhosen in Westpaketen? Wer gammelte im Schein der Gaslaternen mit der Heule unterm Arm am Kino oder der Eisdiele herum? Wer kennt Annemarie Brodhagen und Erika Radke, und wer hat noch die Stimme von Heinz-Florian Oertel im Ohr? Wer bei all diesen Dingen rufen kann: Ich!, der ist hier richtig und muss dieses Buch lesen, denn er wird in Erinnerung versinken, in Nostalgie verweilen und von vergangenen Zeiten schwärmen. Die Anderen, die fragend die Schultern zucken, müssen dieses Buch erst recht lesen, um zu erfahren, wie die Eltern und Großeltern lebten, was sie beschäftigte, womit sie sich täglich herumschlugen und woran sie sich erfreuten. Sie werden lesen, dass der Arbeiter nach Feierabend gern in die Kneipe ging, und dass manchmal die grüne Minna kommen und dem zu heftigen Treiben ein Ende setzen musste, Dass es Hausgemeinschaften gab, dass am Haushaltstag in der Kittelschürze nicht nur sauber gemacht wurde, und dass RIAS-Enten nichts zu essen waren.

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Die „Bande vom Eiskellerberg“ ist nun schon seit 2010 und mittlerweile in der vierten Auflage auf dem Markt und noch immer gehen beim Verlag und bei mir Bestellungen ein. Auch erhalte ich weiterhin Zuschriften, in denen die Leser mir ihre Kindheits- und Jugenderlebnisse mitteilen und Anmerkungen zur „Eiskellerbergbande“ bringen. Mittlerweile hat sich so viel angesammelt, an Fakten, Nachdenklichkeiten und Erinnerungen, dass ich beschlossen habe, ein weiteres Buch zum Thema „Leben in der DDR“ zu veröffentlichen. Nicht als Nachfolgeband der Eiskellerbergbande, sondern als ein Buch, das die damalige Zeit ein Stück ins Gedächtnis zurück rufen soll. Für alle, die vor 1980 geboren sind und damit die Gestaltung der „entwickelten sozialistischen Gesellschaft“ bewusst miterlebt haben, sowie auch für jene, die nach 1989 aufgewachsen sind und die DDR nur aus Erzählungen der Eltern und Großeltern kennen. Was hatten wir noch, was gab es damals noch nicht, was gibt es jetzt wieder. All die vielen kleinen Dinge und Selbstverständlichkeiten, die man hinnahm ohne groß darüber nachzudenken, die aber den Alltag ausmachten, wie das System SERO (Sekundärrohstoffe), Hausgemeinschaften, Brötchen für fünf Pfennig, den EVP (einheitlicher Verkaufspreis). Heute gibt’s das Handy, fast jeder hat ein Auto, die Mieten steigen in schwindelerregende Höhen und Politiker werden öffentlich beschimpft. Mancher schaut wehmütig zurück und doch möchten nur Wenige die DDR zurück haben. Ich erinnere aber nicht nur an Gegenstände, die wir damals noch hatten oder eben nicht, ich thematisiere auch Zustände, Situationen, Sachverhalte, und Gepflogenheiten und wende mich Lebensumständen zu, die als bedrückend empfunden oder einfach akzeptiert wurden, je nachdem. Die Kommentare dazu drücken meine ganz persönliche Meinung aus.

In meiner Beschreibung nehmen die fünfziger und sechziger Jahre einen großen Raum ein, doch kommt die zweite Hälfte der vierzig DDR-Jahre keinesfalls zu kurz, und wenn ich auch auf meine Heimatstadt Zwickau, sowie Potsdam manchmal im Text Bezug nehme, so trifft der Inhalt in seiner Gesamtheit wohl für den gesamten Osten zu.

In der Rückschau mag man es anders sehen, aber die Meisten hatten sich eingerichtet und waren zufrieden, wenn wir auch teilweise gelebt haben, wie hinter dem Mond und auf vielen Ebenen gutgläubig bis naiv waren. Wir kannten es halt nicht anders, und wenn wir glaubten, es anders zu kennen, dann aus dem Westfernsehen, und das war, wie wir heute wissen, nur die halbe Wahrheit.

Vorliegendes Buch soll kein Lexikon sein und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es soll verstanden werden als Anstoß, in der eigenen Vergangenheit eine Weile Umschau zu halten und fast Vergessenes neu zu entdecken. Die Reihenfolge der einzelnen Stichpunkte ist rein zufällig gewählt und stellt keine Wertung dar.

Folgen Sie mir, liebe Leser, ein paar Augenblicke zurück in die Vergangenheit unseres Alltags, und entdecken Sie mit mir Dinge wieder, die noch nicht ganz vergessen sind. Ich wünsche Ihnen viel Spaß dabei.

* * * * *

Damals gab es noch …

Inhaltsverzeichnis

… echte Kommunikation.

… den Drang nach draußen.

… echte Freunde.

… kreative Freizeitgestaltung.

… organisierte Freizeitgestaltung

… keine Spielplätze.

… Höfe und Hinterhöfe.

… Leselust.

… gemeinsame Sonntagnachmittage.

… FDGB – Urlaub

… wenige Autos.

… Schaffner und preiswerten Nahverkehr.

… ein Recht auf Arbeit.

… keine Arbeitslosigkeit.

… für jeden eine Lehrstelle.

… acht Wochen Sommerferien.

… Ferienspiele.

… Betriebsferienlager.

… Kindergarten.

… Fasching für Draußen-Kinder.

… mehr Freibäder.

… keinen Kühlschrank.

… Konsummarken.

…keine Waschmaschine,

… die alte Wäschemangel.

… keinen Geschirrspüler.

… Ofenheizung.

… Kohlenkarten.

… kein Badezimmer.

… kein Privatfernsehen.

… Fernsehansagerinnen.

… Reformationsbrötchen.

… Spaß am Tanzen.

…Tanzstunden.

… DISCOs.

… Haarschnitt für eine Mark.

… UTP.

… GST.

… Kampfgruppen.

… die Wehrpflicht.

… keinen Klettverschluss.

… kein Einweggeschirr.

… teuren Kaffee.

… keine Kaffeemaschine.

… echten Kakao.

… an jeder Ecke eine Kneipe.

… Lohnauszahlung in bar.

… die grüne Minna.

… moderate Getränkepreise, Bierpreise.

… Russenmagazine.

… Hausgemeinschaften.

… Hausbücher.

… Haushaltstage.

… Goldbroiler.

… Goldbrand.

… Feierabendbrigaden.

… ABVs.

… Polizeihelfer.

… Erntekapitäne.

… Beratungsmuster.

… Bückware.

… Ersatzteilmangel.

… Tante Emma Läden.

… Selbstbedienungsläden.

… lose Butter, Milch und Quark.

… einheitliche Preise (EVP).

… Delikat und Exquisit.

… Intershop.

… viele Onkel und Tanten.

… den § 175.

… Plattenspieler.

… Tonbandgeräte.

… Schmalfilme.

… Kofferradios.

… Gammler.

… keinen Computer.

… Betriebssportgemeinschaften.

… einheimische Fußballspieler.

… einfache Bügeleisen.

… Datschen.

… keine Hamburger.

… keine Döner.

… keine Fertigprodukte.

… keine Pizza.

… einheitliche Lehrpläne.

… den FDGB.

… keine EC-Karte, Kreditkarte.

… keinen Föhn.

… keine Aufklärung.

… Gepäckaufbewahrung.

… Fahrkartenschalter.

… Fahrkartenknipser.

… eine Bahnsteigaufsicht.

… Schrankenwärter.

… den Minol-Pirol.

… Fairness und Ehre.

… keine ausufernde Gewalt.

… weniger Kriminalität.

… keine Drogen.

… keine Bandenkriminalität.

… keine Spekulanten.

… VEB, LPG und PGH.

… keine Alteigentümer.

… soziale Sicherheit.

… das SV System.

… Polikliniken.

… keine Freiheit.

… Planwirtschaft.

… sozialistischen Wettbewerb.

… Neuerer.

… Bezirksneuererzentren.

… Messen der Meisten von Morgen.

… Respekt vorm Schutzmann.

… Respekt vorm Lehrer / Direktor.

… Respekt und Anstand.

… handfeste Erziehung.

... Fahnenappelle.

… Pioniere.

… Timurhilfe.

… die FDJ.

… keine Batterieuhren, keine Digitalanzeige.

… kein Klopapier.

… Plumpsklos.

… Frauen in Röcken.

… keine rauchende Frauen auf der Straße.

… kostenlose Brillen.

… keine Jeans.

… kein Internet.

… Milchkocher.

… Gaslaternen.

… keine Flüchtlingskrise.

… Teppichklopfer.

… Teppichkehrmaschinen.

… Negerküsse.

… Heinz-Florian Oertel.

… keine Küchentücher.

… Schuhmacher.

… Jugendweihe.

… Kollektive.

… keine Mikrowelle.

… langlebige Produkte.

… Pfandflaschen.

… Milchtüten.

… das System SERO.

… Wärmflaschen.

… öffentliche Wasserspender.

… schreckliche Weihnachtsbäume.

… selbst gebackenen Stollen.

… Vorfreude.

… besinnliche Weihnachten.

… Luftroller.

… Tee in der Schule.

… die Berliner Mauer.

… zwei Deutsche Staaten.

… RIAS - Enten.

… Westpakete.

… Miniröcke.

… Parkas.

… Nylonmäntel.

… Kittelschürzen.

… Spezialläden.

… Saft zum Verdünnen.

… keine Feinstrumpfhosen.

… Leibchen.

… innerdeutsche Transitstrecken.

… keinen Wasserkocher.

… Wasch- und Putzmittel.

… keinen Kugelschreiber.

… Briefpapier.

… keine Verkehrsampel.

… keinen Toaster.

… Telegramme.

… Sepplhosen.

… Uller.

… keine Papiertaschentücher.

… kein Telefon.

… Patenonkel.

… Brottaschen.

…marode Bausubstanz.

… die KWV.

… Reli in der Schule.

… lange Haare und Schlaghosen.

… Schulranzen.

… Schulwege zu Fuß.

… keine Spraydosen.

… kein Navi.

… eine staatliche Versicherung.

… weniger Anwälte und Makler.

… den schwarzen Kanal.

… Stieleis.

… Werkunterricht.

… Subbotniks.

… Tele – Lotto.

… Sputniks.

… einen Schwarzmarkt.

… Wertschätzung von Lebensmitteln

… Lebensmittelkarten.

… keine Privatisierung.

… keine Wendehälse.

… kein denglisch.

… Patenbrigaden.

… Parteisekretäre.

… sozialistische Namensgebung.

… richtige Maidemos.

… Winkelemente.

… Schlange stehen.

… Betriebsvergnügen.

… Einmischung und Bevormundung.

… Zusammenhalt.

... Glühbirnen.

… Lehrertage.

… Kinderfernsehen.

… Kinderfilme.

… Kultfilme.

… Propagandafilme.

… mehr Kino.

… die Friedensfahrt.

… beliebte Fernsehsendungen.

… Eberhard Cohrs.

… das NAW.

… Dederon.

… einen Ehekredit.

… Orden und Medaillen.

… Ferienarbeit.

Alphabetisches Stichwortverzeichnis

… echte Kommunikation.

Die Jugend heute fragt sich: „Wie konnten die nur überleben?“

Ohne Smartphone, ohne Handy, ja nicht mal ein Telefon hatten wir. Wir sprachen noch richtig miteinander. Wenn wir am Nachmittag oder am Sonntag (Sonnabend war noch Schule bis Mittag) mit einem Freund, einem Kumpel spielen oder ins Kino gehen wollten, konnten wir weder SMS oder Mail oder Whats App Nachricht schicken, auch kein einfacher Anruf war möglich. „Hast du Zeit zum Spielen, kommst du mit ins Kino?“

Entweder haben wir uns während der Pausen oder während des Unterrichts per Zettelnachricht über mehrere Stationen, die manchmal durch den Lehrer abgefangen wurden, verabredet, oder auf dem Nachhauseweg Zeit und Treffpunkt ausgemacht: „Um halb drei am Eiskellerberg, bei den Schrottkarren.“

Natürlich kam es auch vor, dass wir es verpassten, uns zu verabreden. Dann gab es zwei Möglichkeiten: Erstens konnte ich in die Werdauer oder Liebenaustraße oder wo auch immer die Kumpels wohnten, gehen, klingeln und fragen: „Ist Frank zu Hause, kommt der Gerhard runter, kann Siegfried spielen kommen?

Irgendeiner war immer da und hatte Lust zum Spielen, zum Fahrradfahren, zum Dummheiten Machen. Das Rumgammeln kam später, als wir mit der Kofferheule unterm Arm, Schlaghosen, langen Loden und einer Casino zwischen den Lippen am Kino in der Hauptstraße rumstanden, jepp.

Die zweite Möglichkeit gemeinsamer Freizeitgestaltung war die, dass ich einfach zum Eiskellerberg, der Lutherkirche oder wo auch immer wir momentan zu spielen pflegten, ging in der Hoffnung, jemanden anzutreffen, der bereit war, mit mir den Nachmittag zu verbringen. Das klappte auch fast immer. Ich glaube, während meiner gesamten Kindheit, meiner „Eiskellerbergzeit“, habe ich niemals diesen Ort verwaist angetroffen. Es sei denn, die ganze Bande hatte sich zusammen gerottet und war losgezogen, zum Mittelgrundbach, zum Marientaler Bach, zum Schwanenteich oder zur Lutherkirche, um eben an einem anderen Ort als unserem Herrschaftsgebiet die Gegend unsicher zu machen.

Als ich das letzte Mal in Zwickau war und auch den Eiskellerberg besucht habe, traf ich meinen ehemaligen Liebligsaufendhaltsort leer und kinderfrei an. Auch am Schwanenteich war an dem Tage niemand. Es war August, ein ganz normaler Sommertag, ein Ferientag, weder kalt noch besonders heiß und auch nicht nass. Wo waren die Kinder?

Gibt es sie überhaupt noch, die frechen Gören, die Lausebengel, die Rasselbande, die Kinder, die in meist größeren Gruppen durch die Straßen getobt sind, nicht zu übersehen, nicht zu überhören, denen jeder die Lebensfreude ansah? Ich glaube nicht.

Ich glaube, die haben alle schon einen Handynacken. Heute geht das doch schon in der Grundschule los. Spätestens in der vierten Klasse muss der Goldjunge oder die Prinzessin ein Smartphone haben, sicher nicht das neueste Modell für knapp neunhundert Euro, aber immerhin.

Wenn sie sich nicht am Smartphone festklammern und sich gegenseitig mit Whats App Nachrichten zutexten

- machst’n - ,

- häng rum -,

- cool -,

- jo - ,

- du - ,

- auch so -,

- krass - ,

surfen sie mit Mamas Tablet, manche haben selbst so ein Ding, durchs Internet oder spielen elektronische Spiele, bis sie viereckige Augen bekommen. Sie heißen jetzt Kids, sind hinter innovativen Games her und denken, die Kühe haben eine lila Farbe. Sie sprechen nicht mehr direkt miteinander, sie schicken sich Nachrichten, Botschaften auf Whats App und Instagram oder was auch immer sich für neue Portale etablieren. Dort organisieren sie sich in Gruppen und können so mit einer Mitteilung alle Mitglieder zugleich erreichen, was manchmal fatale Folgen haben kann.

Wenn also beispielsweise die Melanie aus der Neunten eine Party feiern will, weil sie übers Wochenende sturmfreie Bude hat und dazu ihre allerbesten Freundinnen einladen will, den Kevin dazu, logisch und die Nachricht dringt aus dem Kreis der Auserwählten ins gemeine Volk, dann braucht nur eine oder einer der Nichtbevorzugten eine Nachricht bei Facebook abzusetzen:

„He Leute, Melanie in der Gartenstraße 5 hat am Samstag sturmfreie Bude und feiert Party. Wer Lust hat, ist herzlich eingeladen.“

Das reicht, um hunderte, vielleicht tausende teils völlig unbekannte Fans von Melanie und Kevin vor bzw. in der Gartenstraße 5 auftauchen zu lassen, und die geschockten Eltern finden bei ihrer Heimkehr am Sonntagabend ein völlig verwüstetes Haus vor. Hat’s alles schon gegeben.

Facebook ist neuerdings out, jedenfalls für die Großen, weil sich dort mittlerweile Mama, Papa, Oma und Opa tummeln, die ebenfalls diese Form der Kommunikation für sich entdeckt haben, und die wissen wollen, was ihre Sprösslinge treiben.

… den Drang nach draußen.

Was sollten wir auch zu Hause rumsitzen? Wenn es nicht gerade Strippen regnete, waren wir in der Wohnung nicht zu halten. Die Streber, davon gab es Gott sei Dank nicht allzu viele, mussten natürlich vor dem Rausgehen ihre Hausaufgaben erledigen. Die Anderen nutzten dafür oft die Zeit vor Unterrichtsbeginn oder arbeiteten in der ersten Stunde für die zweite, in der zweiten für die dritte und so weiter. Ich glaube auch, so sehr viele Hausaufgaben hatten wir nicht auf.

Wollten wir unsere Nachmittage mit abwechslungsreichem Spiel verbringen, war Fantasie gefragt, und es gelang uns immer wieder aufs Neue, mehr als Gummihopse und Fußballspiel auf die Beine zu stellen. Es wurden Roller- und Fahrradrennen veranstaltet, Dreiräder waren auch zugelassen, Theaterspiel durchgeführt und Ballspiele in allen möglichen Variationen zelebriert. Sehr beliebt war „Ball gegen die Wand“, zehnmal links, zehnmal rechts, zehnmal hinter dem Rücken, zehnmal mit Bein hoch und so weiter. Beim Hauswirt hielt sich die Beliebtheit dieses Spieles in Grenzen, weil wir natürlich seine teure Wand mit unserem Ball beschädigten. Mindestens ebenso beliebt wie Ball spielen war titschern und pimpern. Mit „pimpern“ wurde nicht etwa ein vorpubertärer, sexueller Zeitvertreib bezeichnet, sondern einfach das Werfen von Pfennigen gegen eine Wand mit dem Ziel, dem zuvor geworfenen Geldstück möglichst nahe zu kommen - dann konnte man beide einheimsen. Titschern war die gebräuchliche Bezeichnung für Murmelspiel. Begehrt waren Titscherkugeln aus Glas, farbig und mit Muster, von zwei Zentimeter Durchmesser oder Eisenkugeln. Peitsche und Kreisel, schöne bunte Holzkreisel, konnten uns gleichermaßen stundenlang begeistern, wie diverse Rollenspiele - Post, Büro, Bahnhof, Kaufmann und so weiter. Wir machten Wettbewerbe im Federballspiel und Seilspringen, und als meine Schwester einen Hula-Hoop-Reifen bekam, versuchten wir uns auch damit. Wir waren ständig auf der Jagd nach Streichhölzern und kokelten, was das Zeug hielt. Aus alten Decken und Planen, Kisten und Brettern bauten wir Buden und fanden es toll, da drinnen mit zusammen gefalteten Gliedmaßen zu hocken. Wir spielten Fanger und Verstecker, kletterten auf Bäume und machten uns dreckig bis zum geht nicht mehr.

Wenn dann die Abendglocken der Lutherkirche uns mit ihrem Geläut mitteilten, dass es an der Zeit sei, das Spiel zu beenden, gingen wir müde und hungrig nach Hause. Lag ich schließlich sauber und gesättigt in meinem Bett, erinnerte ich den lieben Gott noch kurz an seine Aufgabe als Feuerwehrmann und Wächter und überlegte mir Dinge, die ich morgen erledigen wollte. Darüber bin ich meist eingeschlafen.

… echte Freunde.

Was heutzutage alles als Freund bezeichnet wird, sind bestenfalls Bekannte. Unsere Freunde waren richtige Freunde, keine virtuellen Identitäten. Während der Schulzeit waren es Schulfreunde, die zusammen spielten, rumstromerten, Dummheiten machten, gemeinsam heimlich rauchten. Zur Lehre kamen andere Leute hinzu, mit denen man zusammen tanzen ging, Motorradtouren machte, Mädchen kennen lernte. Als dann der Ernst des Lebens begann und uns mit Arbeit, Frau und Kind, Wohnungssuche und so weiter in Beschlag nahm, war nicht mehr so richtig Zeit, neue Freunde zu finden. Es gab dann Kollegen, die in der Mehrzahl die gleichen Probleme wie man selbst hatte, und manchmal war einer darunter, mit dem man sich etwas besser verstand als mit dem Rest der Belegschaft, und wenn man Glück hatte, wurde eine Freundschaft daraus.

… kreative Freizeitgestaltung.

Wir waren „Draußen - Kinder“. Unsere angeborene Abneigung gegen Wasser und Seife verhalf uns zu einer robusten, widerstandsfähigen Konstitution. Wir waren gesund, hatten immer Hunger und bettelten trotzdem nicht. Im Gegensatz zu einer klinisch reinen, antibakteriellen Umgebung, die manche junge Mutter nicht müde wird, täglich neu zu erzeugen, wuchs ich innerhalb einer natürlichen Umwelt auf und verhalf mir so, in Zusammenarbeit mit etlichen Kinderkrankheiten, zu einem intakten Immunsystem, das mir noch immer die Treue hält. Am liebsten gingen wir auf Entdeckertour. Keine Mauer war uns zu hoch, kein Zaun zu dicht, kein Durchschlupf zu eng. Wir trieben uns an den Stadtbächen und in den Schwanenteichanlagen herum. Wir waren am Bahnhof, an der Lutherkirche und überall dort, wo wir nix zu suchen hatten. Wir ärgerten die Leute, die wir nicht leiden konnten, und hatten Angst vorm Schutzmann. Wir machten „Klingelrutschen“ und trieben Schabernack. Wir schlugen uns mit den Kindern anderer Wohnviertel und kamen selten ohne Kratzer und Beulen nach Hause. Wir spielten ohne Aufsicht, fuhren Fahrrad ohne Helm und wussten beim Spielen selten, wie spät es ist. Wir blieben allein zu Hause, und unsere Spielzeuge hatten kein Gütesiegel. Wir kletterten auf Bäumen herum, hatten aufgeschlagene Knie, und ein großes Vergnügen war das Springen in Pfützen. Wir aßen das Obst direkt von Strauch und Baum ohne es vorher zu waschen und spielten mit Schleuder und mit Pfeil und Bogen, ohne uns dabei die Augen auszuschießen. Wir regelten Streitigkeiten untereinander und nicht über Eltern, die heute wegen jeden Pubs einen Rechtsanwalt in Marsch setzen müssen. Petzen wurden verdroschen, und wenn erforderlich, gab es Klassenkeile.

… organisierte Freizeitgestaltung

Im Gegensatz zur kreativen Freizeitgestaltung, bei der wir machen konnten, was wir wollten und was die örtlichen Möglichkeiten hergaben, gab es die organisierte Freizeitgestaltung in Form der aller zwei Wochen stattfindenden Pioniernachmittage, wo gebastelt, gespielt und Sport getrieben wurde. Wir gingen gemeinsam ins Kino, wanderten und sammelten Altstoffe oder Eicheln und Kastanien. In zahlreichen Sportvereinen waren Kinder gern gesehen und konnten dort, unter professioneller Anleitung und beitragsfrei, ihrer Lieblingssportart nachgehen. Zu jeder Grundschule gehörte ein Hort, in dem die Kinder auf Wunsch der Eltern den Nachmittag über kostenlos bespaßt wurden. Über die Ferienspiele wird an anderer Stelle berichtet.

… keine Spielplätze.

Unser Spielplatz war die Straße.

Wir spielten in den Ruinen, die noch zahlreich vorhanden waren. Wir erkundeten Keller und Dachböden, auch für Schrottplätze und Schutthalden konnten wir uns begeistern, denn irgendetwas fand sich dort immer, was wir verwenden konnten. Zum Klettern brauchten wir kein Klettergerüst, dafür gab es genug Bäume, Mauern oder Gartenzäune.

… Höfe und Hinterhöfe.

In Berlin war dieses System weit verbreitet. Da gab und gibt es Höfe und Hinterhöfe, einen ersten Hinterhof und oft einen zweiten und manchmal einen dritten.

Meine Heimatstadt hatte nicht so viel Land umbaut. Meist besaßen die Häuser nur einen Hof und meist war der recht klein. Selten war der Hof so großzügig wie in der Bahnhofstraße 37, meinem Geburtshaus. Der hatte sogar noch einen Hinterhof, und der war so groß, dass wir dort Fußball spielen konnten, was verboten war. Darüber hinaus war es von dort aus möglich, über Zäune, Mauern und Dächer auf andere Höfe des Karrees zu gelangen, was strengstens verboten war.

In den Gebäuden, die Hof und Hinterhof begrenzten, hatte sich im Erdgeschoss die Firma „Martha Elisabeth“ angesiedelt, die Eau de Cologne und weitere Riechwässerchen produzierte und in alle Welt verschickte. Darüber, im ersten Stock, werkelten in der Druckerei „Martin Conrad“ der Meister höchstselbst nebst Gemahlin und dem wackeren Setzer Herrn Voigt.

Die Höfe und Hinterhöfe luden zum Spielen ein, denn sie waren naturbelassen und voller geheimnisvoller Ecken und Winkel, Schuppen, Keller und sonstiger Räume, die auf entdeckungsfreudige Kinder warteten.

… Leselust.

Mann, was hab ich gelesen! Regelrecht verschlungen habe ich die Bücher.

Die wenigen Exemplare, die ich besaß und die nicht wesentlich größere Anzahl Bücher meiner Schwester waren schnell ausgelesen. Dann wurde in der Klasse reihum ausgeliehen und getauscht. Entsprechend sahen die Bücher aus, wenn sie die Runde gemacht hatten. Pingelige Mitschüler beteiligten sich natürlich nicht an den Buchtauschaktionen. Sie hielten sich für was Besseres und wollten ihre Literatur bis ans Lebensende aufbewahren. Sollen sie.

Natürlich gab es auch Kinder, die nicht gerne lasen, weil sie es nicht richtig konnten und die sich durch die Leistungskontrolle stottern mussten. Das fand ich grauenvoll und hatte damals kein Verständnis dafür.

Bevor ich Lesen lernte, war ich ein aufmerksamer Zuhörer. Bevorzugt kurz vorm Einschlafen wollte ich immer eine Geschichte vorgelesen oder erzählt haben. Vater kam dafür nicht in Frage, weil der immer lange arbeitete. Mutter konnte sich auch nur während der Früh- und der Nachtschicht zu mir ans Bett setzen. Die Oma hat sich, glaube ich, aus dieser Pflicht immer tunlichst rausgehalten. So blieb letztendlich meine drei Jahre ältere Schwester übrig, die sich, ob ihrer unendlichen Zuneigung zu mir, immer wieder breitschlagen ließ und meinem Quengeln nachgab.

Natürlich besaß ich auch schon im Vorschulalter etliche Bücher, meist Bilderbücher mit kurzen erläuternden Texten unter den Illustrationen, und natürlich kannte ich die Texte allesamt auswendig, aber es war eben besser, sich vorlesen zu lassen. Außerdem konnte durch Vorlesen und Zwischenfragen und Wiederholungswünschen die Einschlafenszeit nach hinten verschoben werden. Schlau, oder?

Noch im Grundschulalter konnte man sich in der Kinderbibliothek am Dr.-Friedrichs-Ring anmelden und Stammgast, Stammleser werden. Null Mark kostete die Mitgliedschaft und somit die Ausleihe. Das muss man sich mal vorstellen.

Als der pubertierende Jüngling mittels Feierstunde und Spruch fürs Leben inklusive „Weltall, Erde, Mensch“ in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen wurde, sich ungeachtet dessen keineswegs wie ein Erwachsener benahm, erfolgte die Mitgliedschaft in der Erwachsenenbibliothek automatisch.

Die Bücherei war für mich einmal pro Woche Anlaufziel, um den Schulranzen voller Bücher abzugeben und ebenso viele Exemplare wieder mitzunehmen. Ich hab gelesen wie ein Wilder.

Ich hatte auch Lieblingstitel, die ich mir öfter ausgeliehen habe.

Eines der ersten Bücher, das ich mir später gekauft habe und es immer noch besitze, war „Das Tal des zornigen Baches“ von Benno Völkner, ein Western der Extraklasse, fern jeder sozialistischen Moral und Propaganda. Das Buch habe ich insgesamt sicher zehnmal gelesen.

Dann gab es die Bücher, die alle Kinder lasen: „Robin Hood“, „Die Schatzinsel“, „Tom Sawyer und Huckleberry Finn“, „Ali und die Bande vom Lauseplatz“, „Die Söhne der großen Bärin“ und so weiter.

Im fortgeschrittenen jugendlichen Alter gab es fast nur noch Interesse für die sogenannte „wissenschaftlich phantastische Literatur“ (wir sagten „utopische Bücher“, heute heißt es „Sience Fiktion“). Was von diesem Genre in den Regalen der Bücherei stand, habe ich gelesen und von meinem Taschengeld einen Großteil in den Besitz diverser Neuerscheinungen investiert. Mein Bestand an utopischen Büchern war zwischenzeitlich auf über einhundertzwanzig Exemplare angewachsen.

Mangels des entsprechenden Platzes, auch weil die fortschreitenden Erkenntnisse der Wissenschaft manche schriftstellerische Theorie ad absurdum führte und das Interesse sich wandelte, strandeten meine utopischen Bücher in einer großen Kiste im Keller und wurden schließlich nach zwanzig Jahren Kellerdasein, weil durchweg stockfleckig und teilweise schimmelig geworden, in die Tonne befördert. Cest la vie, nichts ist für die Ewigkeit.

Ein paar Kinderbücher sind mir auch noch in Erinnerung geblieben, „Der kleine Hase Gernegroß“ zum Beispiel oder „Der Findling auf dem Vogelbaum“, wo ein entflogenes Blauchen in die Vogelgemeinschaft aufgenommen wurde, „Nimmerklug im Knirpsenland“ und natürlich „Der Ameisenferdl“. Den Ameisenferdl und die beiden Folgebände habe ich mir vor kurzem für teures Geld im Internet ersteigert und bin immer noch schwer begeistert. Jetzt, beim Schreiben, ist mir ein weiterer literarischer Held meiner Kindertage eingefallen: Mischa Kugelrund.

Mischa Kugelrund war ein kleiner Braunbär, und über seine Abenteuer wurde in mehreren, reich bebilderten Büchern berichtet, „Mischa Kugelrund im Walde“, „Mischa Kugelrund im Zirkus“ und so weiter.

Meine Leselust hält bis heute an. In meinem Bücherschrank stehen weit über eintausend Bände, und zu Weihnachten werden immer noch gern Bücher verschenkt.

… gemeinsame Sonntagnachmittage.

Meine Eltern hatten wenig Freizeit. Als ich noch zur Schule ging, war in den Betrieben an die vierzig Stunden Woche noch nicht zu denken, und ein Urlaubanspruch von dreißig Tagen, wie er heute fast überall üblich ist, wurde nicht mal in utopischen Büchern beschrieben.

Vater war Kraftfahrer. Da waren Überstunden an der Tagesordnung und auch Samstagarbeit selbstverständlich. Mutter hat erst bei einem Schauspielerehepaar als Haushaltshilfe gearbeitet, praktisch rund um die Uhr, später in der Brauerei im Dreischichtbetrieb und dann bei einem Bäckermeister in Weißenborn. Der Bäckermeister kannte keinen Feierabend, besonders für seine Angestellten. Irgendwann hatte Mama die Nase voll und sich in der PGH „Fortschritt“ als Backhilfe beworben. Dort wurde zwar auch in drei Schichten gearbeitet, aber wesentlich mehr Geld verdient als zuvor in der Brauerei oder gar beim Bäckermeister. Und es gab, ähnlich der Jahresendprämie der VEBs, eine jährliche Gewinnausschüttung. Die war nicht ohne und ermöglichte der Familie Walther einige nützliche, ungeplante Neuanschaffungen und manchmal eine Urlaubsfahrt.

Man kann sich vorstellen, dass die Eltern nach einer Arbeitswoche rechtschaffen müde waren und nicht viel Lust auf großartige Menkenke am Wochenende hatten. Neben der Arbeit war die reichlich anfallende Hausarbeit zu erledigen und mangels heute üblicher Haushalthelfer wie Waschmaschine und Geschirrspüler war der zeitliche Aufwand dafür ziemlich hoch.

Trotz all der Plackerei ging es regelmäßig am Sonntag raus aus der Wohnung und meist rein in die Natur. Unsere gemeinsamen Ausflüge wurden im Lauf der Jahre zur Tradition.

Mit meinen Eltern durfte ich Natur erleben. Am Sonntag ging es durch den Weißenborner Wald, an den drei Teichen und dem „Bösen Brunnen“ vorbei, zum „Meinhardt“, wo Bockwurst und Fassbrause warteten, oder von der Straßenbahnendhaltestelle in Marienthal bis zum „Fernblick“.

In diesen Ausflugsgaststätten sausten am Sonntagnachmittag die Kellner mit schweren Tabletts durchs Gelände. Auf den Tabletts waren Tassen und Kännchen, Bier und Brause gestapelt. Es wurde angeboten und gleich abkassiert. Eine sehr effektive Methode, ohne die man des Andrangs wahrscheinlich nicht Herr geworden wäre. Den Kuchen und die Bockwurst musste sich der hungrige Gast am Buffet selbst holen.

Die Fassbrause war ein Gedicht. Es gab Waldmeister und Himbeer.

Im Laden war manchmal Brausepulver für ein paar Pfennige zu haben. Das Pulver konnte man in einem Glas Wasser auflösen. Gern schüttete ich mir den Inhalt der kleinen Papiertüte in den Mund und hatte so ein prickelndes Erlebnis.

Der „Böse Brunnen“ übrigens war keine Ausflugsgaststätte sondern ein sumpfiger verwunschener Platz mitten im Wald, an dem zu früheren Zeiten ein Dorf gestanden haben soll. Dieses Dorf soll verflucht gewesen sein, warum weiß heute niemand mehr. Wahrscheinlich waren es gottlose Leute, die es zu übermütig getrieben hatten oder irgendetwas anderes. Jedenfalls soll der Ort in einer dunklen, stürmischen Nacht mit Mann und Maus versunken sein. Wie es heißt, taucht das Dorf aller hundert Jahre für eine Nacht wieder auf. Wer sich dann dorthin begibt, ist gefangen und versinkt für die nächsten hundert Jahre.

Ich liebte die sonntäglichen Ausflüge.

Wir fuhren mit der Eisenbahn nach Voigtsgrün, um von da durch Wiesen und Felder nach Hauptmannsgrün zu wandern, wo mein Patenonkel Feld- und Viehwirtschaft betrieb. Wir besuchten den Tierpark in Hirschfeld und ließen uns zu diesem Zweck von der Bimmelbahn vom Zwickauer Hauptbahnhof über Lichtentanne und Stenn bis Ebersbrunn schaukeln, um von dort wiederum zu laufen. Wir erkundeten die Prinzenhöhle bei Hartenstein, die Burg in Schönfels und was weiß ich nicht alles.

In Hartenstein war ich unlängst, als wir in der Köhlerhütte „Fürstenbrunn“ nahe Waschleithe Urlaub machten. Die Prinzenhöhle gibt es natürlich noch, nur existiert die jahrzehntelang dazu gehörende Ausflugsgaststätte jetzt leider als verlassenes Gebäude. Schade, wir hätten gern eine Bockwurst gegessen und ein Bier getrunken.

Ein-, zweimal im Jahr stand der Besuch des Leipziger Zoo‘s auf dem Plan, ein Tagesausflug. Nicht nur, weil der Leipziger Zoo so riesig und die zur Schau gestellten Tiere so zahlreich waren, besonders Löwen und Tiger hatten es mir angetan, auch die Fahrt dorthin wurde zu einer halben Weltreise. Dass wir nicht mit einem Schnellzug fuhren, ist logisch, denn für die gesparten Zuschläge, 1,50 Mark (Eilzug) oder 3,00 Mark (D-Zug) pro Nase und Strecke, gab es schon Bockwurst und Brause zum Mittag. Für das zweite Frühstück, das als Bestandteil der Reise kurz nach Abfahrt im Zug eingenommen wurde und fast so schön war wie der Zoobesuch selbst, fanden sich im Rucksack Brote, gekochte Eier und kalter Tee oder Malzkaffee in der Feldflasche. Die Fahrt von Zwickau nach Leipzig dauerte drei Stunden.

Mitten in der Nacht aufstehen und im Dunkeln zum Bahnhof war für uns Teil des Abenteuers Zoo. Am späten Nachmittag ereilte uns dann unweigerlich die Müdigkeit, während eine Dampflok schnaufend die Wagen in Richtung Heimat zog.

Die Lokomotiven waren riesige, schwarze Ungetüme. Allein deren Räder überragten mich um Längen. Aus dem Führerstand hoch oben schaute der Lokführer, den ich in meinem Herzen über alles bewunderte. Allerdings war Lokführer niemals einer meiner Berufswünsche gewesen. Eher Tierpfleger im Zoo, aber da war, wie ich später feststellen musste, nicht ranzukommen. Kuhbusenmasseur hätte ich ohne Schwierigkeiten werden können, das wiederum wollte ich nicht.

Ob es nun die Sonntagsausflüge waren oder die wenigen, nicht sehr weiten Urlaubsreisen, bei denen Vogtland und Erzgebirge abgelaufen wurde, meine Liebe zur Natur und die Lust am Durchwandern und Erkunden derselben wurde frühzeitig in mir geweckt und hält an bis heute. Dafür bin ich meinen Eltern sehr dankbar, denn was wäre mir alles entgangen, wäre ich ein Stubenhocker geblieben.

… FDGB – Urlaub

Hotels, in denen man Urlaub machen konnte, wie es heutzutage allgemein üblich ist, gab es zu meiner Zeit nicht. Es gab FDGB-Ferienheime und Betriebsferienheime. Über die Belegung der Betriebsferienheime entschied, wie der Name schon sagt, die Ferienkommission des jeweiligen Betriebes. Der Einfachheit halber wurden bei der Gelegenheit die Plätze der FDGB-Heime mit verteilt. Ein Durchgang dauerte immer dreizehn Tage (zwölf Übernachtungen), und so waren während der Sommerferien vier Durchgänge möglich.