Kein Hund für Stubenhocker - Wolfgang Walther - E-Book

Kein Hund für Stubenhocker E-Book

Wolfgang Walther

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Beschreibung

Wer kennt sie noch, Tibor und Rashida, die Helden aus dem Roman Kaukasen küsst man nicht? Sicher erinnern sich viele Leser an die beiden Wurfgeschwister, die jeder für sich einen abenteuerlichen Weg zurücklegen mussten, bevor sie in Brandenburg wieder zueinander fanden. In diesem Buch gibt es ein Wiedersehen mit den beiden Owtscharki. Im ersten Teil erleben Tibor und Rashida Abenteuer im Kaukasus und treffen dort auf ihren alten Widersacher, den schwarzen Wolf. Die Geschichten im zweiten Teil erzählen von den täglichen kleinen Abenteuern, die Rashida, genannt Jana mit ihrem Zweibeiner erlebt. Vieles davon ist so geschehen, wie es aufgeschrieben wurde. Einige Erlebnisse wurden etwas aufgehübscht, und manche Anekdoten sind gänzlich erfunden. Eines jedoch haben alle siebzehn Geschichten gemein: Sie sind vergnüglich zu lesen und jeder Hundeliebhaber wird seine Freude daran haben, denn die eine oder andere Situation wird ihm bekannt vorkommen.

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Zugegeben, der Kaukasische Owtscharka ist kein Laufweltmeister, und er wird wohl auch keinen Joggingwettbewerb gewinnen, aber als Stubenhocker kann man ihn wahrlich nicht bezeichnen.

Er will draußen sein, auf dem Hof, dem Grundstück, will nach dem Rechten sehen, am Zaun entlang schnüffeln, Fußgänger und Radfahrer anbellen. Er will sich auf der Wiese wälzen und im Winter im Schnee. Er lässt sich einschneien oder vollregnen, und es stört ihn eher Hitze als Kälte. Der Kaukase geht gern spazieren, eher gemütlich als schnell, jagt aber auch schon mal einem Hasen hinterher, wenn er darf. Er spielt manchmal, wenn ihm danach zumute ist. Meistens macht er dies jedoch seinem Herrchen oder Frauchen zuliebe und verliert ziemlich schnell die Lust daran.

Hat der Owtscharka genug geschnüffelt und untersucht, geschaut, gespielt und gebellt, liegt er faul in der Gegend rum und lässt es sich wohl sein. Bei dieser Beschäftigung wird er ungern abgelenkt, höchstens zur Essenszeit oder zwischendurch von einem Leckerchen.

Wird der Kaukase irgendwann gerufen, überlegt er erst einmal, ob es sich lohnt zu kommen und was der Chef wohl wollen könnte, und dann kommt er, vielleicht, meistens nicht, jedenfalls nicht beim ersten Rufen.

Am Abend geht er schließlich ins Haus, wenn es Abendbrot gibt und bleibt auch drin, weil er nicht mehr raus gelassen wird. Er kommt zur Ruhe, liegt auf seiner Decke, verfolgt das Treiben um sich herum und lässt sich kraulen.

Nachts liegt er recht ruhig, dreht und schüttelt sich ab und zu, schlappert Wasser und wartet auf den Morgen.

Soweit die Theorie. Wehe aber, wenn draußen ein ungewohntes Geräusch zu hören ist, ein Geräusch, dass der Kaukase nicht einordnen kann. Dann ist er im Handumdrehen hoch von seiner Decke, steht vor der Tür und will raus gelassen werden. Natürlich hat er dabei alle Bewohner wachgebellt und braucht eine Zeit, um sich wieder zu beruhigen. Ähnlich läuft die Reaktion auf eine Störung der Freilandruhe ab, ob es nun ein Jogger, ein Spaziergänger oder die Postfrau ist. Nur, dass da die Beruhigungsphase wesentlich länger dauert, nämlich so lang, bis der jeweilige Grund der Aufregung aus dem Gesichtsfeld des Kaukasen verschwunden ist.

Wenn ich von „dem Kaukasen“ spreche, meine ich natürlich die Exemplare, die bei mir ein zu Hause gefunden hatten. Da es bei Hunden wie bei Menschen individuelle Persönlichkeiten gibt, kann das Geschilderte auf andere Kaukasische Owtscharki ebenso gut nicht zutreffen. Einige Eigenschaften aber können, glaube ich, fast allen Kaukasen zugeordnet werden.

Eigensinn und Dickköpfigkeit (bis zu Sturheit)

Beschützerinstinkt für Haus, Hof und Menschenrudel

gesteigerte Verteidigungsbereitschaft

Das muss man wissen und mögen, sonst sollte man sich keinen Kaukasischen Owtscharka zulegen. Hat der Kaukase sich vorgenommen, eine Bedrohungssituation näher zu analysieren, kann man ihn schlecht von seinem Vorsatz abbringen. Es ist wie in einer Firma.

„Okay, du bist der Chef, du sagst, wo’s lang geht, aber ich bin der Sicherheitsinspektor. Ich bin für die Sicherheit der Firma verantwortlich. Davon hast du keine Ahnung. Also rede mir nicht rein in meine Arbeit.“

Owtscharka heißt „Hund des Hirten“. Die frühere Bezeichnung „Kaukasischer Schäferhund“ ist irreführend, denn der Kaukasische Owtscharka ist kein Schäferhund im üblichen Sinn. Er hütet und treibt die Herde nicht, er bewacht, beschützt und verteidigt sie. Die Eigenschaften, die sie für diese Aufgabe benötigen, haben die Owtscharki von Generation zu Generation vererbt und dabei immer weiter vervollkommnet. Dazu lernen sie während der täglichen „Arbeit“ von ihren Rudelmitgliedern und machen eigene Erfahrung. „Kaukasen“ sind große Hirtenhunde. Sie haben eine kräftige Erscheinung mit massivem Knochenbau und starker Muskulatur. Es sind ruhige, ausgeglichene Tiere mit einer gut ausgeprägten Verteidigungsreaktion und starkem Misstrauen Fremden gegenüber. Die Kaukasen sind kraftstrotzend und selbstbewusst und wollen meist nur eines: Das Territorium verteidigen und die Herde beschützen. Das ist ihnen angeboren, in dieser Aufgabe finden sie ihre Erfüllung.

Bei unseren Spaziergängen durch Wald und Feld, durch Stadt und Land haben wir, mein Hund und ich, viel erlebt. Viele dieser kleinen Erlebnisse habe ich aufgeschrieben und einige davon haben ihren Platz gefunden im Roman „Kaukasen küsst man nicht“ und seinem Folgeband, der noch in Arbeit ist. Die Restlichen waren mir zu schade, um im Computer ein vergessenes Dasein zu fristen. Sie sollen sich hier in diesem Buch wohlfühlen und dem Leser Freude bereiten.

Die ersten fünfzehn Erzählungen beschreiben Erlebnisse, die ich mit meinem Kaukasen hatte, manchmal etwas mehr ausgeschmückt, manchmal weniger, meistens wahr und manchmal ausgedacht, darunter auch eine Anekdote aus Sicht des Hundes erzählt, desgleichen eine Weitere von ihrer Freundin Kaja, die nach Amerika auswanderte. Die Leser der erweiterten Auflage des Kaukasenbuches von 2018 kennen zwei dieser Erlebnisse schon. Sie mögen mir verzeihen, aber ich wollte auch die zahlreichen Käufer der ersten Ausgabe an allen Geschichten teilhaben lassen.

In der vorletzten Geschichte gibt es ein Wiedersehen mit Rashida und Tibor, den vierbeinigen Helden aus dem Kaukasenroman. Die beiden Owtscharki sind Wurfgeschwister, die als Welpe getrennt wurden und im Erwachsenenalter, nachdem jeder seine Abenteuer erlebte und verschlungene Pfade ging, zueinander fanden. Sie lebten als Samson und Jana bei der Familie Foerster im brandenburgischen Damsdorf. Noch die „Großeltern“ der beiden Herdenschutzhunde „arbeiteten an der Herde“, das heißt, sie waren im aktiven Schutzdienst und zusammen mit anderen Hunden verantwortlich für die Sicherheit von Menschen und Tieren. Da die meisten Eigenschaften bei den Kaukasischen Owtscharki durch Vererbung weitergegeben werden, ist es nicht verwunderlich, wenn Jana im Traum gemeinsam mit ihrem Bruder Abenteuer besteht, in einer Umgebung, die sie nie gesehen hat.

Das letzte Kapitel dieses Buches schließlich lässt den Leser eintauchen in eine Welt weit vor unserer Zeit, als noch Drachen die Lande bevölkerten und tapfere Ritter versuchten, diese unschädlich zu machen, um nach siegreichen Kämpfen bei holden Jungfrauen der Minne frönen zu können.

Hier versuche ich die Frage der Abstammung des Kaukasischen Owtscharkas zu klären. Wem diese Erzählung etwas zu weit hergeholt und märchenhaft vorkommt, liegt mit seiner Vermutung völlig richtig.

Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen und eine schöne Zeit.

Inhalt

Auf den Hund gekommen

Hund und Katze

Der Findling

Die Begegnung

Der Überfall

Im Moor um Mitternacht

Eine traurige Geschichte

Ein ganz normaler Sommertag

Jagd am Abend

Urlaub am Meer

Eine Klapperschlange zum Frühstück

Die Moorhexe

Sonntagsspaziergang

Im Nebel

Pemmie

ZumKämpfen geboren

Als die Drachenhunde starben

Auf den Hund gekommen

Kurz nach dem Einzug im Spätsommer 1995 stand für uns fest: Wir brauchen einen Hund.

Erstens gehört auf ein Grundstück von zweitausend Quadratmetern ein Hund, und zweitens wünschte ich mir schon seit vielen Jahren so einen vierbeinigen Freund. Genauso sehr, wie ich mir als Kind eine elektrische Eisenbahn wünschte. Meine Eltern konnten mir leider keine kaufen, und so ging ich immer zu den wenigen Freunden, die damals ein solch’ Wunderding ihr Eigen nannten. Später als Jugendlicher war ich um die Weihnachtszeit ein regelmäßiger Gast bei meiner Cousine Sigrid in Weißenborn, einem Stadtteil von Zwickau. Ihr Mann baute jedes Jahr für zwei, drei Monate das halbe Wohnzimmer mit einer wundervollen Modellbahnanlage zu. Da gab es mehrere, voneinander unabhängige Fahrkreise, automatische Weichen, elektrische Abkopplungen und viele Sachen mehr.

Offenbar konnten mich die beiden gut leiden, denn ich durfte immer allein mit der Eisenbahn spielen und war recht häufig zu Besuch.

Mit fünfunddreißig Jahren endlich erfüllte ich mir meinen Kinderwunsch und baute im Wohnzimmer, später dann im Kinderzimmer, eine Eisenbahnplatte auf, die mindestens ebenso groß war, wie die meiner Cousine.

So ist das mit Kinderträumen. Einen hatte ich mir erfüllt, wenn auch die Platte dem Umzug zum Opfer gefallen war. Die Einzelteile lagern fein säuberlich in Kartons verpackt im Keller und warten auf einen erneuten Einsatz.

Jetzt rückte die Erfüllung eines weiteren, langgehegten Wunsches in greifbare Nähe. Ein Hund!

Meine Frau war nicht abgeneigt. Warum auch.

Das Grundstück bietet genügend Platz, der Zaun ist hoch und ein Zwinger mit Hütte schon vorhanden.

Überstürzen sollten wir allerdings nichts, war ihre Meinung.

Wirklich vergingen noch fast zwei Jahre, ehe im August 1997 die Kaukasenhündin Jana unser neues Familienmitglied wurde.

In der Zwischenzeit hatte sich einiges verändert.

Das Nachbargrundstück war bebaut und das Häuschen bezogen worden, meinem Geschäft ging es nicht eben gut, und die Gesundheit ließ auch zu wünschen übrig. Dies jedoch nur am Rande.

An einem Samstag saßen wir gemütlich am Frühstückstisch, als mein Blick auf ein Foto in der Zeitung fiel. „Kaukasenhündin Jana sucht neues Zuhause“ stand unter dem Bild.

Sofort wusste ich, das ist mein Hund!

Meine Frau brauchte ich nicht lang zu überzeugen.

Ich rief sofort im Tierheim an und bekundete mein Interesse. Noch am gleichen Tag fuhren wir nach Potsdam, um uns die Jana anzusehen. Wir standen einem struppigen, mageren Hund gegenüber, der wild entschlossen schien, seinen Zwinger gegen alles und jeden zu verteidigen. Er wurde raus gelassen und zeigte weder an uns noch am Pfleger das geringste Interesse, reagierte auf nichts und niemanden und lief nur wie verrückt auf dem Hof umher. Sicher war die Hündin froh, aus dem kleinen Verschlag herauszusein.

Nach einer kurzen Verständigung stand für uns fest: Wir nehmen ihn.

Eigentlich wollten wir vor seinem endgültigen Einzug bei uns ein paar Tage lang mit dem Hund spazieren gehen, um auszuprobieren, ob wir mit ihm klarkommen und er mit uns.

Pustekuchen!

Bei diesem Entschluss hatten wir nicht mit den Tierheimmitarbeitern gerechnet.

„Entweder sie nehmen den Hund gleich mit, oder es bekommt ihn ein anderer. Es haben schon mehrere Interessenten angerufen. Wir brauchen dringend den Platz“

Was nun? Da standen wir, wie Max in der Sonne.

„Ach was, wir nehmen ihn mit. Wird schon schiefgehen.“

Kurzentschlossen kauften wir Leine und Futter und hatten von Stund an einen neuen Hausgenossen.

Die Hündin sprang auch willig in unseren Kombi, wir erledigten die Formalitäten, fertig.

Als hätte ich es geahnt, war ich wenige Tage zuvor mit Schaufel, Besen und reichlich Wasser über den vorhandenen, großen Hundezwinger samt Hütte hergefallen und hatte alles gründlich gesäubert. Fress- und Trinknapf waren auch vorhanden.

Na bitte!

Um es vorweg zu nehmen: Wir haben es niemals bereut.

Jana taute zwar sehr langsam auf, schloss sich uns jedoch im Laufe der Jahre mehr und mehr an. Wir hätten sie nicht wieder hergegeben.

Die Hündin war von Unbekannten an einen Laternenpfahl in Potsdam angebunden worden. Nachdem sie fast die ganze Nacht geheult hatte, waren die von genervten Anwohnern alarmierten Mitarbeiter des Tierheimes gekommen und hatten sie abgeholt. Es wurde nie bekannt, wer dieses herrliche Tier ausgesetzt hatte.

Laut Einschätzung des Tierarztes war sie zum Zeitpunkt des Fundes etwa ein Jahr alt und bereits einmal läufig gewesen. Ihren Namen wusste niemand, und so tauften die Mitarbeiter des Tierheimes die „Kleine“ auf „Jana“. Keine Ahnung, warum.

Selbstverständlich hörte sie nicht im Geringsten auf diesen Namen. Aber mit dem „Hören“ war es immer etwas schwierig. Kaukasen haben eben einen richtigen Dickschädel, aber einen liebenswerten.

Leider gab es anfangs noch ein kleines Problem. Unser Grundstück war zu der einen Seite nicht abgetrennt, es fehlte ein Zaun. Wir wussten nicht, wieviel Maulwurf in Jana steckt. Meine Schwester, die mit ihrer Familie das Nachbarhaus bewohnt, hätte sich nicht besonders über frisch ausgegrabene Blumen und Pflanzen gefreut. Außerdem konnten wir sie nicht den Zudringlichkeiten eines Hundes aussetzen, den wir selbst überhaupt nicht kannten.

Jana hatte trotz ihrer Jugend bereits eine beachtliche Größe. Ihre Zähne waren auch nicht ohne. Wie ernst sie es mit dem Bewachen nahm, bewies sie uns schon in der zweiten Woche.

Als wir Jana zu uns holten, lag unser erwachsener Sohn wegen einer Knieverletzung im Krankenhaus. Vierzehn Tage später kam er in Begleitung meiner Frau wieder nach Hause, wurde von unserer Hündin eingehend untersucht und für gut befunden. Zu diesem Zeitpunkt stand der Zaun schon und sie konnte sich frei auf dem Grundstück bewegen. Als nun unser Junge das Haus verlassen wollte, sah er sich einem zähnefletschenden, knurrenden Ungeheuer gegenüber, das keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit seiner Drohung aufkommen ließ. Zum Glück war ich in der Nähe, und die Sache ging glimpflich ab.

Wo sollten wir nun unseren vierbeinigen Freund fürs Erste lassen? Von heute auf morgen war kein Zaun zu haben. Blieb also nur der Zwinger. Sie sah mich an, als wollte sie sagen:

‚Hast du mich aus dem Tierheim geholt, um mich hier einzusperren?‘

Sie tat mir leid, aber es ging nicht anders.

Für die nächste Zeit fiel mir die Aufgabe zu, unseren Hund morgens zu einer kleinen und abends zu einer großen Runde auszuführen. Als sie später frei auf dem Grundstück umherlaufen konnte, habe ich mir den Gang am Morgen gespart. War auch immer arg zeitig. Unsere große Runde am Abend oder Nachmittag haben wir jedoch immer beibehalten. Meist waren wir eine Stunde oder länger unterwegs und erlebten zuweilen lustige, aber auch spannende Abenteuer.

Dieser tägliche Spaziergang brachte mir Entspannung und Zeit zur Besinnung. Hier entwickelte ich Ideen, ließ neue Gedanken in mir reifen. Ich beobachte sehr genau die Natur, und die Erlebnisse fließen in meine Erzählungen und Gedichte ein.

Für Jana war es die Gelegenheit, das Revier abzugehen, neue Gerüche zu erkunden, nachzusehen, ob sich ein Fremder hierher gewagt hatte.

Da wir uns in Wald und Flur sehr leise bewegten, konnten wir manchmal ganz erstaunliche Dinge sehen. So beobachteten wir eines Tages aus nicht einmal fünf Meter Entfernung eine komplette Fuchskinderstube beim Spielen in der Sonne. Die kleinen Racker waren so sehr in ihr Toben vertieft, dass sie uns lange nicht bemerkten. Jana hätte sicher dem fröhlichen Spiel gern ein Ende bereitet und mindestens einem dieser kleinen, roten Kobolde (ein schwarzer war auch dabei) den Garaus gemacht. Jedoch war sie an der kurzen Leine dicht bei mir. Ich hatte mich neben sie geduckt und hielt ihr die Schnauze zu. Stundenlang hätte ich dieser aufgeweckten Rasselbande zusehen können. Leider bemerkten sie uns irgendwann und verschwanden schnell wie der Wind. Um die Fuchseltern nicht zu beunruhigen, näherten wir uns dem Bau auch nicht weiter. Diese mussten allerdings doch etwas mitbekommen und ihre Jungen an einen anderen, sicheren Ort geschleppt haben. Bei unserem nächsten Besuch lag der Platz verlassen. Auch später haben wir von der Familie nichts mehr gesehen.

Schade.

Unser Hund bezog also für die Nacht und die Zeit unserer Abwesenheit seinen Zwinger und hielt sich ansonsten nahe der Haustür auf, angebunden mit einer langen Leine am Terrassengeländer. Wie sollten wir es anders machen? Jedenfalls dachten wir, vorläufig sei alles in Ordnung.

Am Abend des ersten Tages ging Jana bereitwillig in ihren Käfig.

‚Kommst du auch bestimmt wieder?‘, fragte mich ihr Blick.

Am liebsten hätte ich sie mit ins Schlafzimmer genommen. Wir waren uns jedoch einig: Der Hund kommt nicht ins Haus, Punkt!

Als ich am nächsten Morgen das Rollo hochzog, saß Jana vor dem Schlafzimmerfenster und sah mich mit großen Augen an.

‚Guten Morgen, da bist du ja endlich! Ich habe die ganze Nacht gewartet.‘

Wie war die Hündin aus dem Zwinger gekommen? Die Tür war zu, davor ein Schloss.

Blieb nur eine Möglichkeit: Sie konnte über die gut zwei Meter zwanzig hohen Gitterstäbe klettern. Dies erschien uns zwar als sehr unwahrscheinlich, aber wie sonst hätte sie da rauskommen sollen? Es soll ja unter den Hunden wahre Kletterkünstler geben. Hatten wir etwa auch so ein Exemplar erwischt? Dann konnten wir uns auf etwas gefasst machen.

Rasch befestigte ich ein großes Stück Maschendraht als provisorisches Dach auf dem Zwinger. Für einen Tag sollte das halten. Wir mussten ja zur Arbeit.

Zwei Stunden später rief mich mein Schwager, der zu dieser Zeit gerade Urlaub machte, im Geschäft an. Ich hatte damals einen Laden für Käse und Molkereiprodukte in Potsdam.

„Du musst sofort kommen. Dein Hund haut ständig ab.“

Was war geschehen?

Unglaublich aber wahr, Jana zwängte sich durch die nicht mal zwölf Zentimeter auseinander stehenden Gitterstäbe in die Freiheit. Sie drehte den Kopf, schob ihn durch, die Schultern hinterher und war Ruck Zuck draußen. Wer hätte das für möglich gehalten?

Nun war guter Rat teuer.

Immer, wenn mein Schwager den Hund eingefangen und in den Zwinger gesperrt hatte, brauchte er nur ein paar Schritte wegzugehen und schwuppdiwupp, war Jana wieder draußen. Schließlich wusste er sich nicht anders zu helfen, als sie im Zwinger an die Leine zu legen.

So konnte Jana aber nicht den ganzen Tag verbringen. Kurzentschlossen fuhr ich nach Hause, lud sie in mein Auto und nahm sie mit ins Geschäft. Wir hatten einen großen Lagerraum. Dort lag sie, am Heizungsrohr angeleint, den halben Tag und beobachtete mit Interesse das rege Treiben um sie herum. Jeder, der vorbeiging, streichelte sie und sprach ein paar Worte mit ihr.

Wenn das die Hygiene erfahren hätte!

Zu Mittag nahm meine Frau das Auto samt Hund mit nach Hause. Dieses spielten wir drei Tage lang, bis ich den Hundezwinger ausbruchsicher hergerichtet hatte. Nun konnte sie nicht mehr abhauen. Dafür heulte sie jeden Morgen, wenn wir losfuhren, zur Freude unserer Nachbarn ein, zwei Stunden lang wie ein trauriger Wolf.

Das Geheul erscholl auch am zweiten Tag bis spät in die Nacht und ließ uns nicht zur Ruhe kommen. Bis ich es schließlich nicht mehr ertragen konnte, meinen Hund aus dem Zwinger holte und ihn sich neben meinem Bett hinlegen lies. Mit einem Seufzer der Erleichterung plumpste Jana zu Boden und rührte sich bis zum Morgen nicht mehr von der Stelle.

So viel zum Thema: „Der Hund kommt nicht ins Haus!“

Seitdem hatte Jana ihren Schlafplatz in der Diele, gleich neben der Eingangstür. Da lag ihre Decke, standen Futternapf und Wasserschale.

Ins Schlafzimmer kam sie nur noch, wenn wir sie riefen. Dann rannte sie von einem Bett zum anderen, stupste uns mit ihrer feuchten Nase und schnaufte freudig.

‚Aufstehen, ihr Langschläfer! Es ist heller Tag, und ich will raus!‘

Wir folgten natürlich immer ihrer Aufforderung

Der Zwinger wurde nur noch als Anschauungsobjekt genutzt und hatte seine Funktion, wenn Leute auf das Grundstück kamen, die Jana nicht unbedingt liebhaben musste. Sie selbst ging manchmal hinein, wenn der Maulwurf in ihr die Oberhand gewann. Dann grub sie mit einer rasenden Geschwindigkeit wahre Fluchttunnel. Der Graf von Monte Christo wäre vor Neid erblasst, hätte er Jana bei ihrer Bergwerksarbeit zusehen können. Wenn es dabei noch regnerisch war, machte das Buddeln doppelt Freude. Dann verwandelte sich der helle, puschlige Hund in ein gewöhnliches Erdferkel. Igittigitt.

Kurze Zeit nach Janas Flucht aus dem Zwinger wurde ein Zaun gesetzt, und wenige Wochen danach war unser Hund schon auf ein ordentliches Körpergewicht angewachsen. Sie hätte sich nun mit Sicherheit nicht mehr durch die Gitterstäbe quetschen können.

Ja, so war das, damals im August, als wir plötzlich auf den Hund gekommen waren.

Hund und Katze

Als wir uns Hals über Kopf für oder gegen einen Hund entscheiden mussten, war eine ganz wichtige Sache noch völlig ungewiss: Wie würde sich Jana, unser neuer Hund, mit den beiden Katzen vertragen? Was machen wir, wenn sie ein Katzenhasser und Katzenjäger ist?

Sie war es nicht! Im Gegenteil.

Sie mochte die beiden Samtpfoten von Anfang an und forderte sie sogar hin und wieder zum Spiel auf, was diese allerdings missverstanden und mit Fauchen und Tatzenhieben beantworteten.

Mause, die Katze, hatten wir zusammen mit Haus und Hof gekauft. Katzen sind standorttreu. Der Kater war uns ein Jahr später zugelaufen. Mause war damals schon recht alt, geschätzte fünfzehn Jahre. Sie lebte jedoch noch über fünf Jahre bei uns, ehe wir sie einschläfern lassen mussten. Ihr Körper hatte einige Tumore, die teilweise nach außen wuchsen. Ich denke, sie hat sich nicht mehr wohlgefühlt und Schmerzen gehabt. Nun wartet sie am Rande der Regenbogenbrücke, um dereinst, wenn wir kommen, mit uns gemeinsam ins Paradies zu gehen, wie man in Tibet sagt.

Mause war eine reine Hofkatze, an das Leben im Freien gewöhnt. Nachdem sie unsere Versuche, ihr das Haus schmackhaft zu machen, mit mehreren Häufchen auf dem Teppich belohnt hatte, gaben wir auf.

Sie war auch eine richtige Kratzbürste. Streicheln oder sonstiges Anfassen duldete sie nicht. Ich habe mir oft blutige Hände geholt, weil ich es immer wieder versuchen musste. Tatsächlich brachten wir es im Laufe der Jahre dann soweit, dass sie sich wenigstens kurzzeitig anfassen ließ.

Das ganze Gegenteil unserer Mause war der Kater. Der konnte vom Streicheln und Anfassen nie genug bekommen. Ständig schnurrte er wie ein Brummkreisel und suchte eine Hand, an die er mit seinem dicken Kopf stoßen konnte. Wie bereits erwähnt, war er uns zugelaufen, hatte sich sozusagen seine Menschen selbst ausgesucht.

Eines Abends, als wir etwas später nach Hause kamen, saß er auf der Mülltonne und funkelte uns mit seinen grünen Augen an. Es dauerte nur ein paar Tage, bis der Kater uns auf die Terrasse folgte und sich schließlich seinen Platz im Haus und unseren Herzen eroberte. Er hatte einen etwas zu kurz geratenen Schwanz und völlig zerfranste Ohren. Oft kam er, aus frischen Wunden blutend, aber strahlend wie ein Sieger spät am Abend nach Hause und musste verarztet werden. Er war ein echter Raufbold, der keine fremden Kater in seiner Nähe duldete. Selbst als er später kastriert war, jagte er alle davon. Unser Hund unterstützte ihn bei dieser verantwortungsvollen Tätigkeit.

Ich war mir bei Jana allerdings nie sicher, ob sie die fremden Katzen jagte, weil diese vor ihr davonrannten, aus Spaß sozusagen, oder weil sie die Fremden vertreiben wollte. Warum wir unser Katerchen „Cato el Grande“ tauften, kann ich heute beim besten Willen nicht mehr sagen. Wir riefen ihn immer nur Cato, und er hörte auf seinen Namen wie ein Hund. Besser noch als ein Hund. Jana kam das zehnte Mal nicht, wenn sie gerufen wurde.

Ich bin auch nie dahintergekommen, wie sich die Rangordnung unter den drei Tieren gestaltete. Einerseits durften die Katzen ungestraft aus Janas Futternapf fressen und Streicheleinheiten entgegennehmen, ohne irgendwelche Eifersuchtsbekundungen auszulösen. Andererseits genügte schon die bloße Aussicht auf ein Leckerchen, und der Kater bekam einen Stups mit Janas Tatze, wenn er zufällig am falschen Ort zur falschen Zeit auftauchte. Er schien auch immer gleich den Ernst der Situation zu verstehen, denn nach solch einem Hinweis trollte er sich widerspruchslos von dannen.

Mit der Zeit wurde unser Cato so anhänglich, dass er sogar mit spazieren ging, wenn wir unseren Hund ausführten. Er lief dann so drei, vier Meter die ganze Strecke über hinter uns her. Wenn wir zu schnell gingen, miaute Cato, und wir warteten, bis er wieder ran war. Cato war dann aber so eigensinnig, sich nicht tragen zu lassen. Wir hätten ihn ein Stück des Weges auf dem Arm transportiert. Wollte er aber nicht, wand sich wie ein Aal und war nicht zu halten. Nun gut, Cato, wenn du nicht willst, musst du dir halt die Pfoten wundlaufen.

Unser Cato war sicherlich in seiner Jugend ein Hauskater gewesen. Er eroberte sich sofort die besten Plätze in der Wohnung. Versuchte auch schon mal, sich heimlich ins Bett zu schleichen und sich unter der kuscheligen Bettdecke zu verstecken. Er lag eigentlich immer dort, wo wir selbst gern saßen. Wenn sich Cato in seiner Sofaecke befand und ich aus dem Sessel aufstand, um mal kurz rauszugehen, war er im Handumdrehen auf meinem Platz und tat, als schliefe er tief und fest, wenn ich wiederkam. Jagte ich ihn dann runter, war er beleidigt.

Ich hatte immer den Eindruck, Jana würde dem Kater gegenüber so etwas wie Geschwisterliebe empfinden, wenn dies zwischen Hund und Katze überhaupt möglich ist. Wenn wir zum Beispiel nach Hause kamen, lag Jana vorn am Tor und wartete. Natürlich war die Freude über unser Kommen groß. Es dauerte gar nicht lang und Cato kam auf seinen kurzen Beinen die Auffahrt herunter gewackelt. Im Überschwang ihrer Freude wollte sich nun der Hund dem Kater mitteilen, was jedoch gründlich misslang. Cato verstand Janas fröhliche Gesten regelmäßig völlig falsch, fauchte sie an und verschwand in der Hecke.

Während unser Hund zur Nacht ins Haus gerufen wurde, zog es der Kater meist vor, draußen zu schlafen. Meist roch er nach Heu (ein irrer Duft), wenn er früh am Morgen wieder vor unserer Tür auftauchte. Sicher schlief er auf dem Dachboden des Nebengebäudes, wo der Heuvorrat für die Kaninchen lagerte.

Cato wurde von Jana nach der Nachtruhe immer sehnsüchtig erwartet. Ehe sich dieser nämlich in seiner Sofaecke niederlegte (es ist unwahrscheinlich, wie viel Zeit Katzen mit Schlaf verbringen), miaute er immer solange, bis ihm einer von uns ein paar Streusel Trockenfutter in seinen Napf gab. Gleichzeitig fielen auch für den Hund ein paar Brocken ab.

Jana liebte Katzenfutter über alles und war am Morgen nur sehr schwer aus dem Haus zu bekommen, wenn der Cato noch nicht auf dem Sofa lag. Er durfte ihr auch mit seinem Kopf an die Schnauze stoßen und wurde dafür kurz abgeleckt. Da Cato immer einige Krümel übrigließ, war es für Jana selbstverständlich, dass sie bis zum Ende seines Fressens drinnen blieb und ihn beobachtete. Wehe, Cato entfernte sich mehr als einen halben Meter von seiner Futterschüssel. Hast du nicht gesehen, war die Hündin ran und nichts mehr übrig. Dann endlich stand sie an der Tür und drehte sich ungeduldig nach mir um oder kam mich holen.

‚So, fertig! Nun kannst du die Tür aufmachen und mich raus lassen. Jetzt hab ich keinen Grund mehr, drinnen zu bleiben. Hoffentlich kommt die Zeitungsfrau bald.‘

Ob wir im Garten zu tun hatten, auf der Terrasse saßen oder sonst irgendwie draußen beschäftigt waren, Jana und Cato hielten sich immer in unserer Nähe auf. Mause hingegen war stets bei ihrer Unterkunft, einer ehemaligen Voliere, die sie in der letzten Zeit nur verließ, um ihr Geschäft zu verrichten.

Es tat uns sehr leid, als wir die Katze einschläfern lassen mussten. Vielleicht ergibt sich wieder mal eine Gelegenheit, und wir können ein weiteres Tier als Hausgenossen begrüßen, wer weiß.

Der Findling

Der Winter wollte in diesem Jahr einfach nicht kommen. Der Herbst hatte sich deshalb gemütlich eingerichtet und dachte nicht ans Gehen.

Dem heißen, trockenen Sommer waren einige wenige Regentage gefolgt. Mit kräftigen Schauern versuchte der Herbst, die Versäumnisse des Sommers und des Frühlings auszugleichen. Natürlich konnte ihm dies nicht gelingen. Wiesen, Felder und Wege wurden überschwemmt. Der harte, rissige Boden nahm die Feuchtigkeit nicht auf. Danach beruhigte sich das Wetter. Wochenlang hielt sich die milde Witterung. Die Blätter färbten sich nur langsam und fielen vereinzelt von den Bäumen.

Der Wetterumschwung kam Ende November über Nacht und völlig unerwartet. Wieder einmal hatten die Meteorologen nichts gesehen und nichts gehört. Plötzliche Strömungen polarer Kaltluft warfen den überraschten Herbst von seinem Sofa und machten ihm Beine. Der angekündigte Regen fiel in flauschigen Flocken aus dicken, tiefhängenden Wolken.

Manfred Foerster stand am Fenster und sah verwundert dem Treiben zu. Seit dem frühen Morgen schneite es und schien auch so bald nicht aufhören zu wollen. Lustig wirbelte die weiße Pracht durch die Luft. Jede Schneeflocke beeilte sich, um schneller als ihre Brüder und Schwestern zur Erde zu kommen. Wo vor Stunden noch Weg und Steg, Wiese und Feld zu sehen war, breitete sich eine weite, weiße Fläche aus. Wenn das so weiterging, waren sie bald eingeschneit.

Foersters Nachbar schaufelte wie ein Wilder und versuchte, seine Wege freizuhalten. Ein nutzloses Unterfangen. Kaum war er an einem Ende angelangt, konnte er an der anderen Seite wieder von vorn beginnen. Wie in dem Märchen von Hase und Igel. Nur dass hier der Schnee zu ihm sagte: „Ück bün all hier!“

Nach kurzer Überlegung stufte es Herr Foerster als sinnlos ein, das Gleiche auf seinem Grundstück zu probieren. Erst mal abwarten. Er ging lieber mit dem Hund raus, bevor die Dunkelheit einsetzte. Schön warm angezogen, konnte auch solch ein Schneegestöber Spaß machen. Der Hund brauchte keine Jacke, der hatte seinen Pelzmantel schon an.

Der Mann wandte sich vom Fenster ab, ging in die Diele und kramte seine Wintersachen aus dem Schrank, Mütze, Handschuhe und Stiefel. Dann nahm er die Leine vom Haken und zog die Tür hinter sich zu.

Wo war die Hündin? Anstatt sie freudig wedelnd vor sich zu sehen, gähnte ihn eine leere Decke an. Sicher lag sie unter den Fichten am Zaun. Da konnte sie sich stundenlang versteckt halten. Wenn die ahnungslosen Spaziergänger oder Radfahrer auf ihrer Höhe angelangt waren, fuhr sie unvermittelt vor ihnen mit wütendem Gebell in die Höhe und erschreckte diese fast zu Tode. Das schien ihr einen Riesenspaß zu machen. Nebenbei erfüllte sie damit auch ihre Wachhundpflichten.

Mittlerweile hatte es sich im Dorf herumgesprochen, dass ihr Gehöft von einem scharfen Hund bewacht wurde. Das war gut so. Da kamen irgendwelche Leute erst gar nicht auf dumme Gedanken.

Unter den Fichten lag sie nicht. Mehrmaliges Rufen und Pfeifen brachte keine Resultate. Das fehlte ihm gerade noch! Sollte er bei dem Wetter seinen Hund erst suchen? Vielleicht war sie im Zwinger? Dessen Tür stand immer einen Spalt breit offen. Eine große Hütte befand sich darin. Da konnte sie es sich bei Wind und Wetter gemütlich machen.