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Wer war der Schöpfer der "Schöpfung"? Diese zeitgenössische Biografie weiß es besser als jede andere. So gut, dass Stendhal sie geschrieben haben wollte. Giuseppe Carpani wurde zum Biografen Joseph Haydns (1732-1809), weil er sein Freund geworden war. Er musizierte gemeinsam mit dem Komponisten und war über lange Jahre sein enger Vertrauter und Gesprächspartner. Was er über die Musik Haydns zu sagen weiß, ist klar und kenntnisreich, überzeugend und voller Enthusiasmus. Was er aus dessen Leben erzählt, ist so lebendig, so voller Geist, dass Stendhal das Werk kurzerhand als sein eigenes ausgab. Carpanis Haydn-Biografie erschien im italienischen Original 1812, drei Jahre nach dessen Tod. Der Biograf lässt uns die Gestalt des Komponisten mit den Augen seiner Zeitgenossen sehen, gleichermaßen offen wie lebensnah. Er gibt uns kostbare Einblicke in das Wesen und die arbeitsweise eines Künstlers, der, einfallsreich und furchtbar wie kaum ein anderer, in seinem Leben ein einfacher Mensch war und mit seiner Musik unsterblich wurde. Die Biografie von Giuseppe Carpani erscheint hier, zwei Jahrhunderte nach Haydns Tod, erstmals auf Deutsch. Ein einzigartiges kulturgeschichtliches Dokument.
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Seitenzahl: 356
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Giuseppe CarpaniHAYDN
Giuseppe Carpani
Aus dem Italienischenund mit einem Vorwortvon Johanna Fürstauer
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografischeDaten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
www.residenzverlag.at
© 2009 Residenz Verlagim Niederösterreichischen PressehausDruck- und Verlagsgesellschaft mbHSt. Pölten – Salzburg
Alle Urheber- und Leistungsschutzrechte vorbehalten.Keine unerlaubte Vervielfältigung!
ISBN ePub:978-3-7017-4237-0
ISBN Printausgabe:978-3-7017-3105-3
Man kann sich Haydn als geselligen Mann vorstellen, mit einem großen Bekanntenkreis:
Künstler, interessierte Hocharistokraten, Jagdgenossen, Musiker, Bauern, Dienstpersonal, und natürlich auch die Frauen aus all diesen Kreisen. – Wie ich vermute, sprach er mit Jedem und Jeder in deren Sprachidiom. So gab es viele Menschen, die meinten, Haydn zu kennen, aber wie viele gesellige Menschen war er wohl eher verschlossen und schwer durchschaubar. – Die gängigen Biographien spiegeln das und bringen wenig Interessantes ans Tageslicht.
Carpani ist da eine Ausnahme; er war ein Fachkollege, mit dem Haydn gerne musizierte und dem er manches über sein Schaffen und über seine Ausdrucksweise erzählte. Es ist für mich völlig unbegreiflich, daß diese wichtige Arbeit bisher in deutscher Sprache nicht vorliegt. Keiner führt mich näher an Haydns Werke heran – von keinem habe ich so viel gelernt und erfahren; besonders für meine Arbeit als Interpret. Ich meine, das muß jeden Musiker und auch jeden Hörer interessieren.
Nikolaus Harnoncourt
Vorwort
Das letzte Drittel des 18. Jahrhunderts war für Europa eine Zeit des gesellschaftlichen und kulturellen Umbruchs. Aus England kommend, überfluteten neue gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Ideen den Kontinent. In Frankreich errichteten die Enzyklopädisten ihr neues Lehrgebäude der Wissenschaften, Voltaire predigte unablässig sein gesellschaftliches Credo: »Je aufgeklärter die Menschen sind, umso freier werden sie sein.« Vor allem aber war es Jean-Jacques Rousseau, der mit seinen Ideen von den Vorzügen des einfachen Lebens, seiner schwärmerischen Bewunderung für die Natur, wie auch mit seiner Ästhetik des Gefühls seine Zeitgenossen zu beeindrucken verstand. Von England und Frankreich ausgehend, verlor die bis dahin allgemein geltende feudalistisch-hierarchische Gesellschaftsordnung mehr und mehr an Boden. Ein ebenso aufgeklärtes wie selbstbewußtes Bürgertum prägte dem gesellschaftlichen Leben zunehmend seinen Stempel auf.
Eine wichtige Rolle bei dieser Entwicklung nahmen die sogenannten Hommes des Lettres ein, zu denen nicht nur Dichter und Literaten aller Art, sondern auch Philosophen, Juristen und die Angehörigen des neuen Berufsstandes der Journalisten gehörten. Wie es in der Zeit einer sich mit zunehmender Geschwindigkeit verändernden Gesellschaftsordnung nicht anders sein konnte, begegnen wir darunter auch so mancher obskuren Existenz, wie etwa dem »Grafen« Cagliostro, dem legendären Abenteurer und Frauen-verführer Casanova, dem »Wunderheiler« Mesmer oder Mozarts kongenialem Librettisten, Lorenzo da Ponte; als Sohn jüdischer Eltern geboren, konvertierte er zum Katholizismus, wurde zum Geistlichen ohne Amt, nahm den Namen seines Paten, eines italienischen Bischofs, an und mutierte in Wien zum angesehenen Hofdichter, der Mozarts beste Opernlibretti schrieb, um wenig später, weitgehend verarmt, im kulturellen Niemandsland der Neuen Welt zu entschwinden.
Auch Giuseppe Carpani, der 1752 – also knapp vier Jahre vor Mozart – im oberitalienischen Städtchen Vilalbese das Licht und wohl auch die Düsternis der Welt erblickte, erwartete eine vielseitige und oft wechselhafte Karriere. Nach seinen Studien am Jesuitenkolleg und später an der juristischen Fakultät von Mailand machte er sich bald einen Namen als Dichter und vielbeschäftigter Librettist. Er verfaßte seine Texte sowohl in der italienischen Hochsprache als auch im spezifischen Mailänder Idiom. 1780 wurde sein Libretto zur Oper Gli antiquari in Palmira ein so durchschlagender Erfolg, daß er danach mit Aufträgen zu Opernlibretti förmlich überschüttet wurde. Durch zahlreiche Übersetzungen aus dem französischen Repertoire unternahm er auch den Versuch einer Versöhnung zwischen dem italienischen und dem französischen Opernstil. Seine Leidenschaft gehörte der Musik nicht weniger als der Literatur. In Monza, der Sommerresidenz des österreichischen Erzherzogs Ferdinand, der damals Statthalter in Mailand war, wirkte Carpani an der Inszenierung zahlreicher Theaterstücke und vor allem Opern mit. Dabei erwiesen sich seine offenbar nicht unbeträchtlichen Kenntnisse der Musik als äußerst nutzbringend. Er muß selbst ein guter Pianist gewesen sein – gut genug, um während seiner späteren Bekanntschaft mit Joseph Haydn gemeinsam mit diesem vierhändig am Klavier zu musizieren. – Auch als Komponist trat er mehrmals in Erscheinung. Von 1792 bis 1796 war er Herausgeber der Gazetta di Milano, in der er sich vehement gegen die Französische Revolution und deren Folgen wandte. Als Mailand 1796 von französischen Truppen besetzt wurde, übersiedelte er nach Wien, kehrte aber nach dem Frieden von Campoformio nach Italien zurück und hatte mehrere Jahre lang das Amt eines Zensors und Theaterdirektors in Venedig inne, ehe er sich 1804 endgültig in Wien niederließ. Dort wurde er mit dem Titel eines Hofdichters ausgezeichnet. Über alle Wechselfälle der Politik hinweg hielt er dem Haus Habsburg die Treue, was so weit ging, daß er sich während des Wiener Kongresses als habsburgischer Geheimagent betätigte.
Seine besondere Liebe aber gehörte der Musik und dem Musikleben seiner Zeit, an dem er zeitlebens regen Anteil nahm. Seine Bekanntschaft mit dem von ihm hochverehrten Haydn veranlaßte ihn schließlich, ein Buch über dessen Leben und Kunst zu verfassen, das er Le Haydine ovvero lettere sulla vita e le opere del celebre maestro Giuseppe Haydn nannte und das 1812 in Mailand veröffentlicht wurde.
Le Haydine, Carpanis »Haydngeschichte«, unterscheidet sich in besonderer Weise von den beiden anderen wesentlichen zeitgenössischen Haydnbiographien. Sie ist zum einen ein literarisches Meisterwerk und enthält nicht nur Biographisches zum Leben und zur Musik des Meisters, sondern bietet darüber hinaus auch einen umfassenden Überblick über die musikästhetischen Strömungen des ausgehenden 18. Jahrhunderts.
Wie bei einem musikbegeisterten Italiener nicht anders zu erwarten, betrachtete Carpani die Melodie als das vorherrschende Element der Musik und gab ihr – darin mit Rousseau völlig einig – den Vorrang vor jeder Harmonik. Er verweist in seinem Buch immer wieder auf den Unterschied zwischen italienischer und »deutscher« Musik und stand dieser mehr oder weniger skeptisch gegenüber, weil durch die »harmonischen Exzesse« der Deutschen die Reinheit der Melodie getrübt worden sei, ein Vorwurf, von dem er auch Mozart nicht ausnahm.
Vieles von Carpanis musiktheoretischen Ansichten mag dem Leser heute unrichtig und oft sogar skurril erscheinen, doch zeichnet er damit immerhin ein deutliches Bild der Musikästhetik seiner Zeit. Wir erfahren daraus viel über das künstlerische Umfeld, in dem sich Haydns Spätstil entwickeln konnte, aber auch über die sich immer rascher wandelnde Weltsicht, in die dann der junge Beethoven hineinwachsen sollte.
Auch Bücher haben ihre Schicksale, und das von Carpanis Le Haydine mutet besonders seltsam an.
Im besetzten Wien ließ der französische Kulturbeauftragte und Generaldirektor der französischen Museen, Vivant Devon, für Haydn, der sich in Napoleons Frankreich besonderer Wertschätzung erfreute und als eine Zelebrität an der Académie française gefeiert worden war, in der Schottenkirche eine pompöse Trauerfeier veranstalten. Sie hinterließ, wegen der Anwesenheit zahlreicher französischer Militärs, sehr zum Verdruß der Wiener und sehr unpassend für einen so friedfertigen Menschen wie Haydn, einen durchaus martialischen Eindruck, gegen den sich selbst die ergreifenden Klänge des Mozart-Requiems nur schwer durchzusetzen vermochten. An dem Ereignis nahm auch ein junger Beamter der französischen Militär-Intendantur, Henri Beyle, teil. Jahre später sollte er unter seinem Künstlernamen Stendhal zu einem Stern am Pariser Literatenhimmel werden. Der empfindsame junge Mann, der ganz und gar ein Kind der Romantik war, verstrickte sich, hingerissen von der Musik des Verstorbenen wie von dem wenigen, was er über Haydns Person in Erfahrung bringen konnte, mehr und mehr in den Wunsch, ihm ein Buch zu widmen. Als 1812 Carpanis »Haydngeschichte« in seine Hände geriet, muß das für den literarischen Schwärmer wie eine Offenbarung gewesen sein, die er völlig für sich vereinnahmte. Er nahm das Buch und machte es kurz entschlossen zu seinem eigenen, indem er es weitgehend für sich adaptierte und unter dem Pseudonym Louis Auguste César Bombet in französischer Sprache veröffentlichte. Er übernahm darin selbst die Rolle des späten Haydn-Freundes, obwohl dies schon aus zeitlichen Gründen völlig absurd erscheinen mußte.
Nun war freilich die Vorstellung von geistigem Eigentum im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts längst nicht so ausgeprägt, wie dies heute der Fall ist, doch dieser mehr als dreiste literarische Beutezug erboste nicht nur Carpani selbst, der vehement auf seiner Urheberschaft beharrte und den obskuren Bombet eine »räuberische Ratte« nannte, sondern löste auch eine lange Kontroverse aus, durch die der schamlose Räuber förmlich in die Welt der Hommes des Lettres hineinkatapultiert wurde. Er begriff, daß Schreiben sein Schicksal sein würde, und weil er genug Eigenes zu sagen hatte, ließ sein späterer Ruhm die aus schwärmerischer Begeisterung erwachsene frühere Entgleisung bald vergessen.
Carpani verfaßte sein Werk in der damals sehr beliebten Form von Briefen an einen offenbar fiktiven Adressaten. Dadurch sollte dem Leser zum einen eine gewisse Intimität suggeriert werden, zum anderen bot sich durch diese lockere Schreibweise immer wieder die Möglichkeit zu Abschweifungen in alle möglichen künstlerischen Überlegungen. Wir erfahren aus dem Buch viel über die Arbeitsweise Haydns, aber auch zahlreicher anderer Komponisten. Manches davon mag in den Bereich der Anekdote gehören, doch im großen und ganzen scheint die Skepsis, die die Musikwissenschaft Carpani lange entgegengebracht hat, wohl unberechtigt. Bedauerlicherweise ist sein Werk im 19. Jahrhundert bald in Vergessenheit geraten; der Weg in den deutschen Sprachraum blieb ihm bis vor kurzem überhaupt versperrt. Die Forschung um die Person Joseph Haydns hielt sich eher an die Biographischen Notizen des Legationsrats Georg August Griesinger oder an die Darstellung des hannoveranischen Malers Albert Christoph Diez. Beide beziehen ihre Berichte zu Leben und Werk Joseph Haydns, ebenso wie Carpani, aus persönlichen Gesprächen und Notizen Haydns, mit dem sie in dessen späten Jahren bekannt wurden. Durch den unterschiedlichen Blickpunkt aller drei Biographen ergibt sich ein sehr umfassendes zeitgenössisches Bild des Menschen wie des Musikers. Es ist dem Musikforscher und Dirigenten Nikolaus Harnoncourt zu danken, daß die Bedeutung von Carpanis Haydine heute wieder erkannt wird. Er bezeichnet das Werk als die »interessanteste und bedeutendste Biographie Haydns« und hat dadurch auch den Anstoß zur vorliegenden Übersetzung gegeben.
Für Harnoncourt stehen die Bedeutung und der Stellenwert der Musik Haydns außer Frage. Er war einer der ersten jener Interpreten, die mit dem Zerrbild vom biederen und altväterischen »Papa Haydn«, das auf dem Umweg über die Romantik des 19. Jahrhunderts in unsere Gegenwart geraten ist, durch ihre Interpretationen gründlich aufgeräumt haben. »Joseph Haydn gehört zu den ganz Großen«, versichert der einstige Pionier der Klangrede, »und er ist besonders experimentierfreudig. Das hat wahrscheinlich damit zu tun, daß er jahrzehntelang so isoliert war, daß er nicht in einem musikalischen Zentrum, in ständiger Konkurrenz mit anderen großen Komponisten gelebt hat. Haydn machte Sachen, die noch nie vorher gemacht worden sind; auf seine Erfindungen greifen dann die anderen Komponisten zurück.«
Im Gegensatz zu Carpani, der in dieser Hinsicht ganz und gar als Italiener des ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhunderts geurteilt hat, ist Harnoncourt von der hohen Qualität auch der Haydnschen Opern überzeugt. Für ihn ist Haydns Armida »ein unbestreitbares Meisterwerk. Auch L’ Anima del Filosofo ist ein ganz großer Wurf, da behilft man sich heute noch mit der Ausrede, die Oper sei nicht komplett, was aber nicht stimmt. L’ isola disabitata ist ein unglaublich starkes Stück, eine erste durchkomponierte Oper, in der es keine Seccorezitative gibt. Grandios finde ich auch Haydns frühe Buffe, wie L’ Infedeltà delusa oder Il Mondo della luna. Jedesmal, wenn etwas Witziges gewollt wird, denke ich sofort an Haydns komische Opern. … Aber ich kenne auch keine Haydn-Symphonie, die nicht irgendwo einen Witz hat. Und zwar Witz nicht nur im Sinne von geistvoll, sondern auch von komisch. Bei Haydn lauert in jeder Symphonie irgendwo ein Schalk. Je pathetischer ein Stück anfängt, desto sicherer kann man sein, daß es irgendwann ins Gegenteil umschlägt. Haydn hatte für die Vermittlung von Emotionen eine derartig reichhaltige Palette an kompositorischen Mitteln zur Verfügung wie kein Komponist vor ihm. Routine gibt es bei ihm nicht. Man hat den Eindruck, er habe nach jedem Werk sofort vergessen, was er gerade gemacht hat. Haydn hat sich als Komponist immer wieder selbst vernichtet. Das empfinde ich als unheimlich modern.«
Haydn war zweifellos der innovativste Komponist seiner Zeit. Das hing in erster Linie mit seiner speziellen Lebenssituation zusammen. Er empfand sich zunächst in gewisser Weise als Autodidakt der Musik und hatte dann während seiner langen Berufskarriere als Esterházyscher Kapellmeister die Möglichkeit, mit dem ihm zur Verfügung stehenden Orchester und dem dazu gehörigen Sängerensemble nach Belieben zu experimentieren, Wirkungen zu erproben und neue Ausdrucksformen zu finden. Die Musik verdankt ihm das Streichquartett in seiner heutigen Form in der Besetzung von zwei Violinen, Viola und Violoncello, das in der Kammermusik die absolute Vorherrschaft erlangte. Haydn hat den Typus des Streichquartetts, der noch heute das Kernstück der Kammermusik bildet, nicht nur gleichsam erfunden, sondern auch zu einem ersten Höhepunkt geführt. Selbst Mozart war sich der Bedeutung Haydns auf diesem Gebiet voll bewußt, als er bekannte: »Von ihm habe ich gelernt, wie man Quartette schreiben muß.«
Zwar hat Carpani maßlos übertrieben, als er behauptete: »Wie Minerva (!) dem Haupt des Zeus, so entsprang die Instrumentalmusik, schön und bereits vollkommen fertig, dem Gehirn eines einzigen Menschen.« Die Instrumentalmusik als solche gab es natürlich schon längst, doch hat Carpani hier wohl auch eher die »klassische« viersätzige Symphonie gemeint, die Haydn zwar nicht erfunden, der er aber doch weitgehend ihre endgültige Form gegeben hat. Die Veränderungen, die von der Barockmusik zur sogenannten »Vorklassik« führten, betrafen vor allem die größer besetzte Instrumentalmusik. Durch die Einbeziehung eines gestisch-körperlichen Elements, das als Menuett und Trio zwischen den zweiten und den Finalsatz eingeschoben wurde, konnte der Abwechslungsreichtum und damit der Unterhaltungswert der Symphonie gesteigert werden. Der Sonatenform folgend, standen Haupt- und Nebenthema einander kontrastierend gegenüber und wurden in der Durchführung, bereichert durch eine vielfältige Motivik, miteinander verwoben. Hinzu kam die Einbeziehung der Dynamik als Bestandteil der Komposition sowie eine gewisse Vereinfachung des zu diesem Zeitpunkt auch für die Instrumentalmusik noch geltenden rhetorischen Prinzips. Auch der Bläsersatz bekam eine größere Selbständigkeit, die Pauke wurde nicht mehr nur als Baß-Stimme der Trompeten, sondern auch als eigene Instrumentalstimme geführt, anstelle der Oboen vermittelten Klarinetten und Bassetthörner einen romantisierenden Klang.
Haydn übernahm all diese Bausteine und formte daraus die Symphonie der »Wiener Klassik«, wie wir sie heute kennen. Er war sich der Originalität seines Schaffens durchaus bewußt: »Niemand in meiner Nähe konnte mich an mir selbst irre machen und mich quälen. So mußte ich originell werden, ich konnte als Chef eines Orchesters mit diesem Versuche machen, beobachten, was den Eindruck hervorbringt, was ihn schwächt, ich konnte verbessern, zusetzen, wegnehmen und wagen …« Die Möglichkeiten, die sich ihm dadurch boten, machten Haydn zu einem Meister der Orchestrierung und waren mit ein Grund, daß er zu seiner Zeit, weit über den begrenzten Raum des Esterházyschen Imperiums hinaus, in den damaligen Weltstädten der Musik wie London, Paris und Wien als unbestrittener Meister der Instrumentalmusik gefeiert wurde.
Vieles von dem, was Carpani über die Arbeitsweise des Komponisten zu berichten weiß, wurde lange Zeit als »unglaubwürdig« abgelehnt und in den Bereich des Fabulösen verwiesen. So wurde der Umstand, daß sich Haydn, seinen eigenen Aussagen zufolge, vor der Komposition eines Instrumentalwerks auf seinen Spaziergängen kleine Geschichten ausdachte, an denen er seine musikalische Phantasie entzünden und weiter entwickeln konnte, von der Musikwissenschaft lange als reine Erfindung bezeichnet, als ein Scherz, den sich der witzige Haydn mit seinem neugierigen Besucher geleistet habe. Tatsächlich war es schon lange vor Haydn durchaus üblich, literarische Handlungsvorlagen oder auch visuelle Eindrücke als Inspirationsquellen der Komposition zu verwenden. Dabei ging es den Komponisten vor allem um die den inspirierenden Werken innewohnende Spannung, um das Gegeneinander rhetorischer Prinzipien, die auf die Instrumentalmusik übertragen wurden.
Ausgehend von der textierten Musik der um 1600 als Dramma per musica entstandenen Oper wurde im Verlauf weniger Jahrzehnte ihr gesamtes Affektrepertoire auf die Instrumentalmusik übertragen. Mit der Erfindung des Basses als Gegenstimme begannen die Komponisten alle jene musikalischen Formen und Floskeln, die in der Oper bestimmte Affekte ausdrückten, in die Instrumentalmusik einzubeziehen, und erzeugten so beim Hörer Assoziationen zur ursprünglichen Textsituation. Dadurch wurde eine imaginäre Verbindung zwischen einem unterschwellig wahrgenommenen Textbezug und seiner rein instrumentalen Darstellung hergestellt.
Gelegentlich bekannten sich die Komponisten sogar ausdrücklich zu derartigen Inspirationsquellen, wie etwa Biber in seinen Rosenkranzsonaten oder Vivaldi in den Vier Jahreszeiten, deren Originalpartitur der Komponist jene Sonette voranstellte, die ihn dazu inspiriert hatten. Oft war es für die ausführenden Musiker wie auch die Hörer eine intellektuelle Herausforderung, zu verstehen, was der Komponist in Tönen sagen wollte. Von Tartini z. B. wissen wir, daß er bestimmte Sonette von Petrarca als Inspirationsquellen benutzte und ein besonderes Vergnügen darin fand, seinen Hörern damit Rätsel aufzugeben. Selbst in Beethovens Sonaten wurden von aufmerksamen Zeitgenossen noch literarische Vorlagen, z. B. von Shakespeare oder Ariost, wahrgenommen, doch reagierte der Komponist auf Entschlüsselungsversuche seiner Umgebung zumeist eher unwirsch.
Von Carpani bekommen wir eine Vielzahl von interessanten Hinweisen zu Haydns Kompositionsarbeit. »Die Musik dieses großen Komponisten ist ein wahres Arsenal an rhetorischen Waffen«, schreibt er und berichtet ausführlich, wie Haydn, der weitgehend ein musikalischer Autodidakt war, seine schöpferische Phantasie bereicherte, indem er u. a. die originellsten Volkslieder verschiedener Nationen erforschte und sich aus diesen Folklore-Elementen eine melodische Vorratskammer schuf, auf die er bei passenden Gelegenheiten zurückgreifen konnte. »Er legte sich auch eine Sammlung von musikalischen Motiven zu, die je nach seiner Gemütslage heiter oder melancholisch sein konnten und manchmal auch Zorn und Unmut ausdrückten. Später verwendete er diese Sammlung unterschiedlicher Affektmotive, wie er sie gerade brauchte.« Von Händel wird in diesem Zusammenhang ganz Ähnliches berichtet.
Haydn verwendete in seinen Symphonien immer stark dialoghafte Elemente. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Symphonie Nr. 22 mit dem Beinamen Der Philosoph. Der Wechsel von schnellen, gleichsam geschwätzigen Passagen zu betont getragenen läßt durchaus die Vorstellung eines lebhaft fragenden Studenten und der nachdenklichen Antworten des Philosophen zu. Die meisten der sogenannten Namenssymphonien bekamen diese Namen wie Die Uhr, Der Bär, Mit dem Paukenschlag, die Feuersymphonie und Ähnliches, allerdings nicht vom Komponisten selbst, sondern diese Bezeichnungen entstanden im Lauf der Zeit durch die Konzertveranstalter oder das Publikum, um bestimmte Eigenheiten der Komposition hervorzuheben.
Haydns programmatische Kompositionsweise war also längst nicht so ungewöhnlich oder gar unwahrscheinlich, wie man dies lange angenommen hatte. Die fatale Unterscheidung zwischen »Programmusik« und »Absoluter Musik« war zu Haydns Lebzeiten noch nicht vorhanden, sie war vielmehr ein Produkt der radikal veränderten Musikästhetik in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Heute sprechen wir von Programmusik, wenn ein Komponist eine bestimmte Situation, einen außermusikalischen Ablauf mit musikalischen Mitteln wiedergeben will, wie dies etwa bei den Sinfonischen Dichtungen von Dvořák, Smetana oder Richard Strauss der Fall ist. Diesen außermusikalischen Programmen wurde eine »absolute« Musik gegenübergestellt, die durch ausschließlich reine Klänge, durch die kunstvolle und abwechslungsreiche Aufeinanderfolge von Tönen auf den Hörer wirken sollte. Das 17. und 18. Jahrhundert kannte diese Unterscheidung nicht. Schon ein Zeitgenosse Bachs riet als Musiktheoretiker: »Der Komponist soll sich eine Szene mit einer bestimmten Situation vorstellen und danach die Affekte und die Rhetorik des Stücks einteilen.«
Carpani betont ausdrücklich, daß viele Komponisten zwar ähnliche Methoden wie Haydn verwendeten, jedoch: »Der Unterschied zwischen Haydn und jenen Komponisten liegt darin, daß Haydn nicht vorgab, die Musik etwas sagen zu lassen, was sie nicht ausdrücken kann. Er bediente sich vielmehr dieser außermusikalischen Formen, um seine Phantasie zu beflügeln, ihren Verlauf zu regeln und ihr Glut und Farbe zu geben.«
Haydn wurde, zumindest in der zweiten Hälfte seines langen Lebens, als international hochgeehrter Meister und Vollender der Instrumentalmusik gefeiert. Seine Symphonien zogen sowohl in Paris als auch in London das Publikum magisch an, seine Streichquartette wurden von unzähligen Berufsmusikern und Dilettanten gespielt. Sie bildeten gleichsam das Rückgrat kammermusikalischer Betätigung. Doch etwa zwanzig Jahre nach seinem Tod geriet seine Instrumentalmusik ins Abseits der Publikumsgunst. Die Hochromantik hatte für den Meister des instrumentalen Witzes wenig übrig, er galt als verzopft und langweilig, eben antiquiert, gehörte für die nachfolgenden Generationen in die Zeit der Rokokozöpfe und entsprach mit seiner sozialen Angepaßtheit und seiner standesgemäßen Lebensweise, die gesellschaftliche Autoritäten nicht in Frage stellte, nicht den Vorstellungen vom »romantischen« Künstler. So schrieb Robert Schumann 1831 in einer Rezension: »Man kann nichts Neues mehr von ihm erfahren. Er ist wie ein gewohnter Hausfreund, der gerne und achtungsvoll empfangen wird. Tieferes Interesse aber hat er für die Jetztzeit nicht.«
Haydns Symphonien standen im späteren 19. Jahrhundert kaum auf den Konzertprogrammen. Erst um die Wende zum 20. Jahrhundert wurden einige von ihnen, wie die späten Londoner Symphonien, wieder öfter aufgeführt, allerdings meist als Vorspann zu irgendeiner gewichtigeren »großen« Symphonie, ähnlich wie dies heute bei Popkonzerten mit dem »Vorglühen« durch weniger bekannte Gruppen geschieht. Während die Streichquartette Haydns schon relativ früh wieder zum Standardrepertoire zahlreicher Kammermusikensembles gehörten und auch durch private Musikliebhaber eine weite Verbreitung fanden, kam es erst in der 2. Hälfte des 20 Jahrhunderts zu einer wirklichen Renaissance der Haydn-Symphonien im öffentlichen Konzertbetrieb. Eine der unmittelbaren Ursachen lag in den Bestrebungen der sogenannten »Originalklangbewegung«, durch die die Musizierpraktiken der Haydn-Zeit weitgehend wieder entschlüsselt werden konnten. So bewirkte u. a. die Verwendung von Darmsaiten bei den Streichern sowie von alten oder nachgebauten Blasinstrumenten eine wesentlich bessere Klangbalance, und die von Haydn oft gewünschte unterschiedliche Artikulation der Instrumentalstimmen einen größeren Ausdrucksreichtum, was sich als sehr hilfreich für die Wiedererschließung des ursprünglichen Klangbildes erwies. Einen großen Anteil an der gegenwärtigen Haydn-Renaissance haben die Aufnahmemöglichkeiten der modernen Tonträgertechnik, durch die ein breites musikinteressiertes Publikum auch außerhalb der Konzertsäle in die Lage versetzt wird, Haydns Werke in adäquater Qualität hören zu können.
Haydns Ruhm unter seinen Zeitgenossen wurde nicht zuletzt durch seine beiden vokalen Spätwerke, Die Schöpfung und Die Jahreszeiten, begründet. Mit ihnen war Haydn seit den Tagen ihrer Uraufführung bis in unsere unmittelbare Gegenwart ununterbrochen im Konzertleben präsent. Er – und in gewisser Weise auch sein Textdichter van Swieten – haben vor allem bei der Schöpfung genau den Ton getroffen, der die geistigen Strömungen der Zeit, Aufklärung und Romantik, miteinander verband. Die Schöpfung ist weder ein Oratorium in der katholisch-italienischen noch in der lutherischen Tradition. Haydn war zweifellos von den Händelschen Oratorien, vor allem vom Messias, beeinflußt, zumal das ursprüngliche Textbuch für Händel verfaßt worden war. So folgt Haydn in seiner Einteilung des Werks dem Vorbild des Messias: Auf zwei Teile, in denen die einzelnen Phasen der Schöpfung als Aktion dargestellt werden, folgt, gleichsam als Resümee, ein dritter Teil, der als Lobpreis des Menschenpaares auf die göttlichen Schöpfungstaten und als Schilderung ihres »paradiesischen« Glücks angelegt ist. (In Händels Messias wird in den beiden ersten Teilen das Leben des Messias und die dadurch bewirkte Evangelisierung der Völker dargestellt, der dritte Teil zeigt – als Resultat – die Überwindung des Todes.) Carpani hebt in seiner Eloge der Schöpfung vor allem den Umstand hervor, daß es Haydn in diesem Werk gelungen sei, italienische Melodik und deutsche Harmonik zu vereinen und miteinander auszusöhnen.
Beide Werke – sowohl die Schöpfung als auch die Jahreszeiten – markieren durch ihren deskriptiven Stil gleichsam den Übergang von der Klangrede zur Klangmalerei, wobei die Prinzipien der ersteren zwar noch weitgehend beibehalten wurden, aber bei passenden Anlässen oft durch Lautmalereien und »Klangbilder« überlagert werden. Hinzu kam zwischen der ersten und der zweiten öffentlichen Aufführung um 1805 eine Veränderung der Klangidee; so wurde der noch aus dem Barock übernommene reiche Bläsersatz durch die »klassische« einfache Bläserbesetzung abgelöst. Der alte Haydn hat diese Veränderungen, die sich unter seinen Augen vollzogen, voll mitgetragen.
Es scheint, daß die Jahreszeiten Haydn ungleich mehr Mühen bereiteten als die Schöpfung. Die Ursache mag zum Teil in van Swietens sprödem Text zu suchen sein. Auf Haydn, der das Landleben aus eigener Anschauung kannte, müssen die vom Stadtmenschen van Swieten entworfenen Genrebilder einigermaßen befremdlich gewirkt haben. Laut Griesinger beklagte er sich zuweilen über den unpoetischen Text. So meinte er, er sei zwar sein ganzes Leben hindurch fleißig gewesen, doch wäre es ihm nicht eingefallen, den Fleiß in Noten zu setzen. Am wirkungsvollsten zeigt er sich in den Jahreszeiten an den Stellen, wo er sich selbst und seinen Einfällen überlassen bleibt: beim Sonnenaufgang, der brütenden Hitze des Sommers, dem Gewittersturm und der lastenden Einsamkeit des winterlichen Wanderers. –
Der Komponist war sich der Unterschiedlichkeit beider Werke durchaus bewußt. Zu Carpani soll er auf dessen Komplimente geantwortet haben: »Der Unterschied liegt darin: In der Schöpfung singen die Engel, in den Jahreszeitendie Bauern.« Folgerichtig präsentieren sich die Arien in der Schöpfung mit kunstvoll beeindruckenden Koloraturen, während die Jahreszeiten einen eher liedhaften, »deutschen« Ton anschlagen.
Dort, wo sich Carpani mit der italienischen Vokalmusik Haydns beschäftigt, dürfen wir seinem Urteil längst nicht immer trauen. Das gilt vor allem von seiner Einschätzung der Opern Haydns, aber auch für einige der geistlichen Werke. So läßt er bei Il Ritorno di Tobia, dem dritten großen Oratorium Haydns, das um die Mitte der siebziger Jahre entstanden war, zwar die gelungene »Italianità« und die Großartigkeit der Chöre gelten, meint aber doch, das Werk sei vollkommen veraltet. Am Beispiel adäquater heutiger Aufführungen können wir aber erkennen, daß der von Giovanni Gastone Boccherini nach dem alttestamentlichen Buch Tobias verfaßte Text von Haydn auf eine außerordentlich dramatische Weise vertont wurde. Das Werk ist zweiteilig angelegt, wie es der italienischen Oratorientradition entspricht. Haydn verwendet anstelle der üblichen Secco-Rezitative über weite Strecken Accompagnati, die vom ganzen Orchester begleitet werden. Die umfangreichen und sehr virtuosen Arien, die er seinen Sängern auf den Leib geschrieben hatte, stellen für heutige Sänger eine schwer zu bewältigende Herausforderung dar. Für eine weitere Aufführung im Jahr 1784 führte er darüber hinaus zwei weitere große Chöre ein, um der Abfolge Rezitativ-Arie mehr Abwechslung zu verleihen.
Carpanis Ausführungen zu Haydns Kirchenmusik, und im besonderen seinen Messen, kommen zwar streckenweise eher einer Verteidigungsrede gleich, er lobt die Melodiosität, tadelt aber gleichzeitig ihre vermeintliche Heiterkeit, die »des erhabenen Sujets nicht angemessen« sei. Seine sehr »gelehrt« wirkenden Argumente zu diesem Thema können wir heute kaum nachvollziehen, doch waren Haydns Messen schon zu dessen Lebzeiten und auch später häufig der Anlaß zu innerkirchlichen Querelen. Dies ging so weit, daß der Wiener Erzbischof Sigiswald von Hohen-warth tatsächlich erwogen hatte, sie wegen ihrer vermeintlichen Weltlichkeit aus dem Stephansdom zu verbannen. Derartige Überlegungen hatten mit dem geistigen Kampf zu tun, mit dem die katholische Kirche sich gegen die zunehmende Kirchenfeindlichkeit der Aufklärung und ihrer Folgeerscheinungen zu wehren hatte.
Ursprünglich war die Unterscheidung zwischen weltlicher und geistlicher Musik dem Barock und damit weitgehend dem 18. Jahrhundert etwas Wesensfremdes. Im Gegenteil, die Kirchen waren der Uraufführungsort für alle Arten von neuester Musik, hier hatte das Volk Gelegenheit, beim sonntäglichen Gottesdienst nicht nur die neuesten Meßkompositionen, sondern auch virtuose Motetten im italienischen Stil sowie Kirchensonaten und -konzerte zu hören, die so mit der gottesdienstlichen Handlung verwoben wurden, daß sie gleichzeitig der geistlichen Erbauung wie dem kunstbewußten Entzücken dienten. Die in der Komposition verwendeten affektiven Motive konnten, wie schon Bach in seinen Parodiekantaten bewiesen hatte, sowohl der weltlichen als auch der geistlichen Sphäre zugeordnet werden. An dieser Einstellung konnten auch die wiederholten Versuche der Päpste, das musikalische Gepränge im Gottesdienst zurückzudrängen, wenig ändern. Doch im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts und vor allem im Zusammenhang mit den Josefinischen Reformen änderte sich die offizielle Einstellung zur Kirchenmusik mehr und mehr. Es ist bezeichnend, daß Haydn in dieser Zeit kaum Meßkompositionen schuf. Seine großen Messen sind vorher und nachher entstanden, und oft genug mußte er sie gegen den Unverstand seiner klerikalen Zeitgenossen verteidigen.
Im beginnenden 19. Jahrhundert mit seinen Strömungen des Jansenismus und später vor allem des sogenannten Cäcilianismus kam es dann zu einer Rückbesinnung auf die strengen Formen des Palästrinastils. Haydns Messen wie die seiner Zeitgenossen wurden auf weite Strecken aus dem Kirchenraum verbannt. Die Angriffe auf Haydns – und natürlich auch Mozarts – Messen wurden so heftig geführt, daß schließlich Papst Leo XIII. selbst ein Machtwort sprechen mußte, das der Konzertmesse ihren seit dem Barock angestammten Platz im Gottesdienst zurückgab. Sie galt nunmehr unbestritten als »konzertante Gottesverehrung«, eine Einschätzung, die, ungeachtet der Liturgiereform des 2. Vatikanums, unangefochten bis heute Geltung hat. Die großen Messen Haydns, Mozarts und auch vieler ihrer Zeitgenossen und Nachahmer sind heute wieder als fester Bestandteil zahlreicher Festgottesdienste zu hören. Kirchenchöre setzen vielerorts ihren Ehrgeiz darein, die Werke in stilgerechter Weise aufzuführen, und regen dadurch auch viele Nichtgläubige zu einem Kirchenbesuch an, bei dem sie sich der spirituellen Wirkung dieser Werke schwerlich entziehen können. Umgekehrt haben die großen Konzertmessen ihrerseits aber auch die Konzertsäle erobert und bringen durch qualitativ hochwertige Aufführungen ein Flair von religiöser Ergriffenheit auch in den weltlichen Raum. Mustergültige Aufführungen und sogar Aufnahmen dieser Werke verfehlen auch in einer weitgehend säkularisierten Gesellschaft nicht ihre tiefgreifende spirituelle Wirkung.
Carpani kannte Haydns Instrumentalmusik sehr genau, ebenso wie seine Messen, die er bei vielen festlichen Gelegenheiten in den zahlreichen Kirchen Wiens hören konnte. Dasselbe galt für die beiden großen oratorischen Spätwerke, deren Entstehung sich sozusagen unter seinen Augen vollzogen hat. Was er hingegen bestenfalls vom Hörensagen und in manchen Fällen von den Partituren her kannte, waren Haydns Opern. Die stellen in dem bunten Kaleidoskop des damaligen Opernbetriebes insofern eine Sonderform dar, als sie – mit Ausnahme der letzten, zu Haydns Lebzeiten nicht mehr aufgeführten Oper L’Anima del Filosofo (Orfeo ed Euridice) – ausschließlich für einen bestimmten Ort und für bestimmte lokale Gegebenheiten konzipiert waren. Die Opern seiner italienischen Zeitgenossen fanden – auch wenn sie ursprünglich für ein bestimmtes Opernhaus und vor allem für ganz bestimmte Sängerpersönlichkeiten konzipiert waren – doch eine ungleich weitere Verbreitung. Die da-Ponte-Opern Mozarts wurden in öffentlichen Opernhäusern, z. B. in Prag und Wien, aufgeführt, Haydns Opern hingegen zunächst nur am Esterházyschen Schloßtheater. Es scheint, daß er diesen Umstand selbst als Mängel empfunden hat, denn er schrieb 1781 an seinen Verleger Artaria:
»[…] Nun etwas von Paris. Monsieur le Gros Directeur v. concert spirituel schrieb mir ungemein viel Schönes von meinem Stabat mater, so alldort 4 mahl mit größtem Bey-fall producirt wurde; die Herren baten um die Erlaubnüß dasselbe stechen zu lassen. Sie machten mir den Antrag, alle meine zukünftige Werke zu meinem nahmhaften Besten stechen zu lassen, und sie wunderten sich sehr, daß ich in der Singcomposition so ausnehmend gefällig wäre; ich aber wunderte mich gar nicht, indem sie noch nichts gehört haben; wann sie erst meine Operette L’ Isola disabitata und meine letzten Vorfasten Opera La fedeltà premiata hören würden: dann ich versichere, daß dergleichen Arbeith in Paris noch nicht ist gehort worden und vielleicht ebensowenig in Wien, mein Unglück ist nur der Aufenthalt auf dem Lande. […]« (Ab 1780 bis kurz nach seinem Tod wurden einige seiner Opern auch auf internationalen Opernbühnen aufgeführt.)
Haydn war sich der Qualität seiner Opern offenbar durchaus bewußt, und wenn er, wie im Fall eines Angebotes aus Prag, auf Mozart verwies, so geschah dies sicher nicht, weil er sein eigenes Opernschaffen für inferior gehalten hätte. Er war vielmehr sehr penibel, soweit es die Aufführungsbedingungen seiner Werke betraf, und befürchtete, daß sie ohne seine Leitung nicht den vollen gewünschten Effekt haben würden. Es ist bekannt, daß er selbst im Fall seiner Kirchenmusik, die ja weit über den Esterházyschen Raum hinaus verbreitet war, den Aufführenden genaue Anweisungen zu geben pflegte, was sie beachten sollten, um seine Kompositionen zur vollen Wirkung zu bringen. Auch gehörte er zu jenen eher seltenen Komponisten der Zeit, die die oft ausufernden Verzierungen durch ehrgeizige Gesangssolisten ablehnten und darauf bestanden, sich an das zu halten, was der Komponist als angemessen betrachtete. Von den Sujets her war Haydn offenbar eher ein Anhänger des Buffa- als des Seria-Stils. Mit Ausnahme von L’ Anima del Filosofo verlieh er sogar jenen Sujets, die eher dem Seria-Typ entsprachen, in der musikalischen Darstellung eine Art von komischer Würze, die das gewollt Heroische ad absurdum führte. In einem Fall, dem Orlando Paladino, ging er darin so weit, gleichsam eine neue Gattungsbezeichnung zu erfinden: »eroi-comico«, eine komische Heldenoper. Carpani behauptet in diesem Zusammenhang, der Orlando sei nicht einmal in Eisenstadt geschätzt worden. Adäquate Aufführungen in unserer Zeit hingegen beweisen im Gegenteil die außerordentliche Qualität dieses Stückes, in dem bramarbasierendes »Heldentum« und Liebeswahn auf geistvoll ironische Weise enttarnt werden.
Dort, wo es sich um echte Buffa-Opern handelt wie in Il Mondo della luna oder L’ Infedeltà delusa, präsentiert Haydn einen facettenreichen, vielschichtigen Humor, der auf unerhört unterhaltsame Weise musikalisch die menschlichen Schwächen aufs Korn nimmt, gleichzeitig aber tiefe Einblicke in die Psyche der Protagonisten vermittelt. Wahrscheinlich ist es genau diese Mischung von witziger Unterhaltsamkeit und psychologischem Tiefgang, die Haydns Opern heute wieder aktuell erscheinen läßt.
Giuseppe Carpani stand zu sehr inmitten des sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts stark wandelnden Zeitgeschmacks, um Haydns Opern gerecht werden zu können. Auch hatte er, wie er selbst zugibt, wegen seiner späten Bekanntschaft mit Haydn keine Gelegenheit mehr gehabt, Aufführungen auf Schloß Esterháza oder in Eisenstadt mitzuerleben. Immerhin hatte Maria Theresia bei mehr als einer Gelegenheit festgestellt, »an keinem anderen Ort der Welt« könne »man bessere Opern als auf Schloß Esterháza hören.«
Im 19. Jahrhundert mit seiner gänzlich anders gelagerten Opernästhetik war für Haydns Opern allerdings kein Platz mehr, und bis weit ins 20. Jahrhundert waren höchstens einzelne Arien als gelegentliche Studienobjekte für Gesangsstudenten in Gebrauch.
Erst nach 1950 rückte – nicht zuletzt durch die Bemühungen der in Boston gegründeten Haydn Society – das Opernschaffen Haydns wieder mehr ins Bewußtsein einer musikinteressierten Öffentlichkeit, freilich nicht im Opernbetrieb als solchem, sondern vielmehr dank des damals neuen Mediums, der Langspiel-Schallplatte, durch Gesamtaufnahmen. Federführend bei diesem Großprojekt war der Haydnforscher Robin C. Landon, gemeinsam mit dem ungarischen Exilorchester Philharmonia Hungarica und ihrem Chefdirigenten Antal Dorati. Parallel zu diesem Unternehmen entwickelte sich die immer wieder unterbrochene Arbeit an einer Gesamtausgabe der Werke Haydns, die heute vom Joseph-Haydn-Institut Köln wissenschaftlich betreut wird. Was diese Arbeit im Fall Haydn so schwierig macht, ist die ungesicherte Quellenlage. Viele Autographe sind in einer Brandkatastrophe zu Haydns Lebzeiten verloren gegangen und – wenn überhaupt – nur in nicht immer authentischen Abschriften vorhanden. Außerdem war Haydns Berühmtheit für viele Komponisten ein Anlaß, eigene Werke unter seinem Namen herauszubringen. Zwar sind viele Drucke von Haydns Werken erhalten, aber nur wenige von ihm ausdrücklich autorisiert. Haydns Opern möglichst so auf die Bühne zu bringen, wie er es gewollt hätte, ist also, trotz aller Erkenntnisse der historischen Aufführungsbedingungen, ein schwieriges, aber, wie manche gelungene Resultate zeigen, durchaus lohnendes Unterfangen. –
Zurück zu Carpanis Haydngeschichte. Auch wenn wir manche darin enthaltenen Einschätzungen heute nicht mehr nachvollziehen können, verdanken wir ihr doch ein lebendiges und vielschichtiges Bild einer außerordentlichen Künstlerpersönlichkeit und ihrer Arbeitsweise; wir lernen Haydn jenseits betulicher Rokoko-Anekdoten kennen, einen in seiner Kunst auf sich gestellten und selbstbewußten Meister, dessen innovativer und erfindungsreicher Geist über die Jahrhunderte hinweg weiter wirkt, und dem wir – hoffentlich verständnisvoller als die unmittelbar auf ihn folgenden Generationen – eine immense Bereicherung unseres Musiklebens verdanken.
Biographische Angaben zu den im Text genannten und mit gekennzeichneten Personen finden Sie im Register ab Seite 247.
Wien, am 15. April 1808
Der Mann lebt noch,doch der Künstler ist nicht mehr.
Haydn! – Welch ein illustrer Name, dessen Ruhm wie ein Stern im Tempel der Harmonie erstrahlt. Dieser Haydn, der Sie, mein Freund, so sehr interessiert, lebt noch aber ach –, quam mutatus ab illo* – wie verschieden ist er von dem, der er einmal war.
Am äußersten Rand einer Wiener Vorstadt, nahe dem kaiserlichen Park von Schönbrunn findet sich, an der Grenze zu Maria Hilff, eine kleine ungepflasterte Straße; dort, wo sie wenig begangen wird, ist sie mit Gras bewachsen. Etwa in der Mitte dieser Gasse steht ein bescheidenes kleines Haus, das immer von Stille umgeben ist. Dort – und nicht im Palais Esterházy, wie Sie vielleicht glauben und wie es tatsächlich sein könnte, wenn er dies wollte – lebt der Vater der Instrumentalmusik, eine der phantasiereichsten Gestalten des 18. Jahrhunderts, der das Goldene Zeitalter der Musik geformt hat.
Wenn man das stille Domizil besucht, wo Haydn von seinen Werken ausruht, öffnet seine betagte Haushälterin mit lächelnder Miene. Man geht eine kleine hölzerne Treppe hinauf, und dann findet man im zweiten Raum einer sehr einfachen Wohnung einen stillen Greis an einem Schreibtisch sitzen; er ist völlig in den trüben Gedanken verstrickt, daß das Leben ihn verläßt, und im übrigen so sehr nichts, daß er Besucher braucht, um sich daran zu erinnern, was er einmal war. Sobald er jemand eintreten sieht, erscheint ein mildes Lächeln auf seinen Zügen. Eine Träne entquillt seinen Augen, sein Gesicht belebt sich, seine Stimme wird klar, er erkennt seinen Gast und spricht mit ihm von seinen früheren Jahren, an die er sich besser erinnert als an die späten. Man könnte fast glauben, der Künstler, der er einmal war, existiere noch. Doch bald fällt er vor den Augen seines Besuchers wieder in seinen üblichen Zustand von Lethargie und Traurigkeit zurück.
Jener Haydn, der feurige, von fruchtbaren Ideen erfüllte und so originelle Künstler, der an seinem Piano die schönsten Musikstücke schaffen konnte und in wenigen Augenblicken alle Herzen entflammte, der alle Gemüter zu den köstlichsten Empfindungen führte, ist von der Erde verschwunden. Der Schmetterling, von dem Plato gesprochen hat, breitete seine Flügel aus, um in den Himmel zu fliegen, und ließ nichts zurück als die plumpe Larve, als die er nunmehr vor unseren Augen erscheint. Ich gehe von Zeit zu Zeit hin, um die teuren Überreste eines großen Mannes zu besuchen, um in dieser Asche zu rühren, die noch heiß ist von den Feuern Apolls. Und wenn es mir gelingt, einen Funken zu entdecken, der noch nicht ganz erstickt ist, dann gehe ich wieder, die Seele voller Rührung und Traurigkeit. Denn das ist alles, was von einem der größten Musiker übrig blieb, die je existiert haben.
Ich könnte jetzt innehalten, denn ich habe Ihnen genug gesagt, um Ihre Fragen über diesen berühmten Mann zu beantworten, von dem Sie mit solcher Inständigkeit Neuigkeiten erbaten. Aber ich weiß, daß Sie ein ebenso aufgeklärter wie leidenschaftlicher Musikliebhaber sind, ein Bewunderer Haydns, der ihn, wie ich, über alle berühmten Instrumentalkomponisten setzt. Diese wenigen Einzelheiten seiner dahinschmachtenden Existenz können also Ihre Neugierde keineswegs befriedigen. Sie verdienen es vielmehr, daß ich von jenem Haydn spreche, der während fünfzig Jahren das ganze kultivierte Europa von seinem Namen widerhallen ließ, und dessen Musik man in Mexiko wie in Calcutta kennt, in Neapel wie in London, in Peru wie in Paris.
Dieser Haydn, mein teurer Freund, lebt noch, voller Vitalität und Kraft, genau so wie der großartige Dichter des Achill noch, dreitausend Jahre nach seinem Tod, in seinen Versen weiterlebt. Ich werde Ihnen in Briefform die Erinnerungen dieses auserwählten Hohenpriesters der Harmonie nachzeichnen. Ich werde sie Ihnen teils als das enthüllen, was ich von ihm selbst gehört habe, teils, was ich an Berichten von verschiedenen Personen gesammelt habe, die während einzelner Abschnitte seines Lebens einen regelmäßigen Kontakt zu ihm hatten. Darunter finden sich der Baron van Swieten, Maestro Fabert, seine würdige Schülerin und Freundin Mademoiselle Kutzbeck, Maestro Pichl, der Cellist Bertoja, Hofrat Griesinger, Maestro Weigl, Herr Martinez, sein getreuer Kopist, und viele andere, deren Namen ich der Kürze wegen nicht erwähne.
Alles ist interessant im Leben jener seltenen Genies, welche durch die Entwicklung ihrer geistigen Fähigkeiten der Menschheit nur Tröstungen und Freuden geben. Sie sind die wahren Helden und dieses schmeichelhaften Titels würdiger als alle andern. Wüßten die Menschen mit einer weisen Unparteilichkeit die Verdienste derer zu schätzen, die sie mit Wohltaten überhäufen und ihnen die größten Genüsse verschaffen, wären sie weit davon entfernt, sich vom Ehrgeiz und der Raserei der Eroberer blenden zu lassen, die sie quälen, unterdrücken und zerstören.
Der musikalische Parnaß zählte schon eine große Anzahl gefeierter Komponisten, als in einem österreichischen Dorf der Schöpfer der Symphonie geboren wurde. Die Studien und der Erfindungsgeist dieser Vorgänger waren mehr auf die Vokalmusik gerichtet; sie ist tatsächlich die Basis des Wohlgefallens, das uns die Musik geben kann. Man verwendete die Instrumente damals nur als eine angenehm klingende Zutat, so wie die Landschaften bei historischen Gemälden oder die Ornamente in der Architektur verwendet werden.
Die Musik war eine Hierarchie. Der Gesang beherrschte sie als Gebieter; die Instrumentalbegleitungen waren nur die Untertanen. Jene Art von Musik, an der die menschliche Stimme keinen Anteil hat, jene Republik getrennter und doch wieder vereinigter Töne, wo nach und nach jedes Instrument Aufmerksamkeit erwecken muß, stand zu Beginn des 17. Jahrhunderts erst am Anfang ihrer Karriere.
Es war, glaube ich, Lully, der jene Sinfonien erfand, die wir Ouverturen nennen. Doch selbst darin bemerkte man, sobald der Teil, den man Fuge nennt, zu Ende war, die Hierarchie; denn die Violinstimme enthielt die gesamte Melodie, und die übrigen Instrumente dienten nur zur Begleitung, wie sie in der Vokalmusik den Gesangstimmen dienen, die allein die musikalische Idee oder Melodie innehaben.
Die Symphonie war also in jener Zeit meist nur eine Arie, die gespielt wurde, anstatt daß man sie sang. So war die Instrumentalmusik der alten Griechen, die in der Folge von den Römern übernommen wurde. Ja, genau genommen war ihre Musik nur eine reine Vokalmusik, die von den Instrumenten wiederholt wurde. Niemand hätte es gewagt, diesen Brauch zu übertreten und eine Melodie zu komponieren, die für die Instrumente allein bestimmt und passend gewesen wäre, wie es nun geschieht, da diese bezaubernde Kunst den Kinderschuhen entwachsen ist, die sie während so vieler Jahrhunderte anbehalten hat. Lesen Sie nur, was Kalkbrenner in seiner Geschichte der Musik zu diesem Thema sagt:
»Die Griechen waren zu genau in der Befolgung des Rhythmus, des Metrums und der sonstigen Charakteristika, als daß man annehmen könnte, sie hätten jemals dem zugestimmt, daß die Instrumentalmusik etwas anderes werde als eine kalte und einförmige Imitation der Vokalmusik.«
Vor den Symphonien Lullys kannte man in Europa keine andere Instrumentalmusik als jene, die zum Tanzen notwendig war. Und selbst in dieser hatte nur ein einziges Instrument die Melodie inne. Die anderen waren nur auf verschiedene Akkorde beschränkt und machten die Begleitung. In Italien wurde diese sehr unvollkommene Musik für gewöhnlich nur mit den Instrumenten ausgeführt, die Caliari* in seinem Abendmahl von San Giorgio und vor ihm Giorgione im Bildnis eines Konzerts dargestellt hat, das als Kupferstich veröffentlicht wurde. Diese Instrumente waren: die Viola, die Laute, das Bassetto, die Flöte und das Psalterium, wozu man manchmal noch die Harfe, die Querpfeifen und das Horn hinzufügte. Wenn man zu bestimmten Gelegenheiten eine lautere Musik haben wollte, erhöhte man die Zahl dieser Instrumente um die geraden Trompeten. Die Orgel spielte beinahe immer allein. Man hatte noch nicht einmal die Vorstellung einer Orchesterbildung wie der heutigen, von Instrumenten, die mit soviel Ordnung, Geschmack und einer solchen Methode angeordnet werden, wie dies heute der Fall ist. Die Instrumentalmusik befand sich also in einem armseligen Zustand, während die Vokalmusik in der musikalischen Welt die Oberhand behielt.
Ich will mich hier nicht damit aufhalten, Ihnen die unzähligen unvollkommenen Instrumente anzuführen, wie die großen und kleinen Dudelsäcke, Trommeln aller Formen und Größen, Flöten, Pfeifen, Flageolette, Cembali, Pauken, Trompeten, Jagdhörner, Sackpfeifen, Gitarren, Chitarroni und Monocords, deren sich im 14. Jahrhunderts die provenzalischen Troubadours bedienten. Ihr Gebrauch war fast nur in Frankreich bekannt, und selbst dort überlebten sie nur bis zum 15. Jahrhundert.** Dann wurde von Viadana – oder wie andere mit mehr Grund glauben, von Caccini