Heart over Mind - Charlene Vienne - E-Book
SONDERANGEBOT

Heart over Mind E-Book

Charlene Vienne

0,0
2,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 2,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Leonies bisheriges Leben lief so gar nicht nach Plan. Wen wundert es da, dass sie schon mit dreiundzwanzig Jahren davon überzeugt ist, mit dem Kapitel Liebe abgeschlossen zu haben. Zumindest bis ihr überraschend ein Mann in die Quere kommt – noch dazu ein Weiberheld, wie er im Buche steht. Und dieser Casanova ist kein anderer, als ihr langjähriger Bekannter Marc! Obwohl sie ihn gut zu kennen glaubt, zwingt er sie mit Charme und entwaffnender Ehrlichkeit, ihre Meinung über ihn zu überdenken. Dennoch bleibt die Frage, was er tatsächlich von ihr will, schließlich passt sein Plan vom Leben so gar nicht zu dem ihren. Ein bittersüßer Krieg entbrennt. Wer wird gewinnen? Herz oder Verstand?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Kurzbeschreibung:
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Epilog
Danksagung
Über den Autor
Weitere Bücher der Autorin

Heart over Mind

© 2019/ Charlene Vienne

www.facebook.com/Charlene.Vienne.Autorin/

Alle Rechte vorbehalten!

 

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors.

 

Umschlaggestaltung

Charlene Vienne; Bilder: istock.com, pixabay.com

 

Bildmaterial Buchlayout

pixabay.com

 

Lektorat/ Korrektorat

Elke Preininger

 

Erst Lektoriat/ Korrektorat

Kristina Mangold/ Andreas März

 

Erschienen im Selbstverlag:

Karin Pils

Lichtensterngasse 3-21/5/9

1120 Wien

 

Dieser Roman wurde unter Berücksichtigung der neuen deutschen Rechtschreibung verfasst, lektoriert und korrigiert. Es handelt sich um eine fiktive Geschichte. Orte, Events, Markennamen und Organisationen werden in einem fiktiven Zusammenhang verwendet. Alle Handlungen und Personen sind frei erfunden. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Markennamen und Warenzeichen, die in diesem Buch verwendet werden, sind Eigentum ihrer rechtmäßigen Eigentümer. Das Buch enthält explizit beschriebene Sexszenen und ist daher für Leser unter 18 Jahren nicht geeignet.

 

2. Auflage

 

 

 

 

Für Maria!

Du wirst mir immer Vorbild bleiben, weil die Stärke, mit der Du all die Schicksalsschläge deines Lebens gemeistert hast, einfach bewundernswert ist.

Kurzbeschreibung:

 

Leonies bisheriges Leben lief so gar nicht nach Plan. Wen wundert es da, dass sie schon mit dreiundzwanzig Jahren davon überzeugt ist, mit dem Kapitel Liebe abgeschlossen zu haben. Zumindest bis ihr überraschend ein Mann in die Quere kommt – noch dazu ein Weiberheld, wie er im Buche steht. Und dieser Casanova ist kein anderer, als ihr langjähriger Bekannter Marc! Obwohl sie ihn gut zu kennen glaubt, zwingt er sie mit Charme und entwaffnender Ehrlichkeit, ihre Meinung über ihn zu überdenken. Dennoch bleibt die Frage, was er tatsächlich von ihr will, schließlich passt sein Plan vom Leben so gar nicht zu dem ihren. Ein bittersüßer Krieg entbrennt. Wer wird gewinnen? Herz oder Verstand?

Kapitel 1

 

Vierzehn Uhr dreiunddreißig!

Noch eine Stunde siebenundzwanzig Minuten muss ich rumkriegen, bevor ich den heutigen Arbeitstag geschafft habe. Es ist ja nicht so, als würde ich nicht gerne zur Arbeit gehen. Ich mag meinen Job, auch wenn ein paar meiner Bekannten und Freunde nicht verstehen, warum. Ich liebe Menschen, und mir ist es eben egal, ob diese jung, alt, hübsch, hässlich, dick oder dünn sind. Nett sollen sie sein und höflich – mit Unhöflichkeit kann ich so überhaupt nicht umgehen.

»Schwester Leonie!«, unterbricht Herr Lang meine Gedanken. Ich sehe auf, direkt in sein grimmig dreinblickendes Gesicht. Reste der Gemüsesuppe haften an seinen Mundwinkeln, bis hinauf auf die Wangen. Die Furchen der Zeit haben sich in seine Züge gegraben, doch ich weiß, dass sie tiefer geworden sind, seit seine Frau vor sechs Monaten überraschend an einem Schlaganfall verschieden war. Sie war einfach morgens nicht mehr aufgewacht – das muss man sich mal vorstellen!

»Ach, Herr Lang«, seufze ich, während ich ihm eine Serviette reiche. Ich würde ihn ja sauber machen, aber das mag er nicht. Er meidet – hasst fast – Berührungen, seit seine Lissi ihn verlassen hat.

»Warum muss es auch immer Suppe geben?«, poltert er prompt los. »Ein Steak würde mir nicht aus den Mundwinkeln laufen.«

»Aber Sie könnten es nicht beißen«, kontere ich augenzwinkernd, was mir ein Augenrollen seinerseits einbringt.

Er isst weiter, während ich mich erhebe, um ein wenig der von ihm täglich aufs Neue veranstalteten Unordnung in seinem Appartement etwas zu Leibe zu rücken. In mir schlummert der Verdacht, dass das wahllose Platzieren der Dinge ihn beruhigt. Er erzählt mir gerne von der Zeit, als er noch ein lebenslustiger, glücklich verheirateter Mann gewesen war. Seiner Lissi wäre das Durcheinander stets auf die Nerven gegangen, was regelmäßig zu Unstimmigkeiten zwischen ihnen geführt hatte. Aber nach jedem Streit hätte es tollen Versöhnungssex gegeben.

Es klopft an der Tür, doch noch bevor einer von uns beiden Zeit hat, darauf zu reagieren, geht sie auch schon auf. Es ist Herr Novotny, Herr Langs Nachbar von gegenüber.

»Na, Leo«, grüßt er fröhlich. Ich weiß, er meint damit Herrn Leopold Lang. Zu mir würde er niemals Leo sagen, ganz abgesehen davon, dass mein Kosename mit einem englischen e ausgesprochen wird.

Herr Lang brummt nur in seinen nicht vorhandenen Bart, schiebt seinen beinahe leer gegessenen Teller zur Seite und verschränkt die Arme vor der Brust. Er mag Hans Novotny – das weiß ich –, dennoch ist es stets das Gleiche, wenn sie zusammentreffen. Prinz Charming meets Herrn Brummbär sozusagen.

»Schwester Leonie«, widmet sich Herr Novotny mangels Reaktion seines Freundes nun mir. »Sie sehen wie immer bezaubernd aus. Kann es sein, dass Sie noch schöner geworden sind, seit Sie mir heute Morgen bei meinen Übungen geholfen haben?« Obwohl er mit seinen sechsundsiebzig Jahren Glatze trägt und sein, laut eigenen Aussagen, früher athletischer Körper einiges an Schlankheit und Festigkeit eingebüßt hat, hat er immer noch das Auftreten eines Playboys.

Ich danke ihm für sein Kompliment mit einem herzlichen Lächeln. Gleichzeitig schnappe ich mir das Geschirr von Herrn Lang, um es in die sogenannte Schleuse zu stellen. Am Beginn meiner Anstellung hier hatte ich keine Ahnung, was damit gemeint war, doch nun bin ich klüger. Es ist ein Kästchen, das neben der Eingangstür in die Wand eingebaut ist und sowohl von der Wohnung als auch vom Flur aus zu öffnen geht. Hierdurch wird zum Beispiel die Post der Bewohner geliefert oder eben das schmutzige Geschirr entsorgt.

»Wo haben Sie nur diesen unendlichen Charme her, Herr Novotny? Ich wünschte, Sie würden Kurse halten. Die Männer in meinem Alter könnten auf jeden Fall Nachhilfe gebrauchen«, gebe ich zurück und meine es genau so.

»Schleimen nennt man das, nicht Charme«, poltert Herr Lang auch schon wieder los.

Ich grinse innerlich, halte mein Gesicht aber neutral.

Der Gemaßregelte ist da weniger für versteckte Reaktion und kontert offen. »Nur weil du ein Eisklotz bist, muss ja nicht jeder so sein.«

»Ich bin, wie ich bin …«, schimpft Herr Lang los, wird jedoch von seinem Freund unterbrochen.

»… und das wird niemand mehr ändern«, vollendet der nämlich seinen Standardsatz, was mir nun wirklich ein sichtbares Grinsen entlockt.

Ich mag die Kabbeleien der beiden, und vor allem weiß ich, wie wichtig sie einander sind, auch wenn sie es je auf ihre eigene Art zu verstecken versuchen.

»Was willst du hier?« Die Worte schießen einer Anklage gleich aus Herrn Langs Mund, was sein Gegenüber allerdings nur schmunzeln lässt.

»Dich fragen, ob du mitkommst? Ich geh rüber ins Casino und später auf einen Cocktail an die Bar.«

Jetzt schaffe ich es kaum noch, mir ein kleines Lachen zu verbeißen. Die Ausformulierung des üblichen Nachmittagsplans der beiden ist aber auch zu komisch. In die Realität versetzt bedeutet er nämlich nichts anderes als eine Runde Canasta im Aufenthaltsraum und danach einen Kräutertee im Frühstücksraum, der nachmittags für die Bewohner als Kaffeehaus freigegeben wird.

»Ich setz heut aus!« Herr Lang stemmt sich hoch, schnappt sich seinen Gehstock und humpelt auf die Balkontür zu. »Ich bleib lieber hier und genieße die Sonne.«

»Ach komm, du Langweiler«, folgt darauf prompt die Beschwerde unseres alternden Sunnyboys.

An der Schwelle zu der kleinen Terrasse angekommen, dreht Herr Lang sich zu uns um. »Schönen Nachmittag«, brummt er, tritt nach draußen und zieht die Fliegengitter-Schiebetür hinter sich zu.

Herr Novotny schüttelt den Kopf, danach blickt er mich an. »Das ist dann wohl ein Rauswurf«, merkt er an.

Nickend sehe ich mich noch einmal um. Meine Arbeit hier ist erledigt.

»Ja, wenn er Trübsal blasen möchte, dann soll er das tun.« Es ist ihm anzuhören, wie enttäuscht er ist. Auf eine spontane Meinungsänderung zu hoffen, hat jedoch keinen Sinn. Das weiß er und ich auch. Ist Herr Lang in dieser Stimmung, kommt man nicht an ihn ran!

»Schönen Nachmittag, Leo. Wenn du doch noch Lust bekommst, du weißt, wo du mich findest«, ruft Herr Novotny hinaus ins Freie, worauf ein ablehnendes Brummen zu hören ist. Danach zwinkert er in meine Richtung. »Auch Ihnen noch einen schönen Tag!«

»Danke, ebenfalls.« Ich warte, bis er verschwunden ist, und trete an die Gittertür, um durch das Netz nach draußen zu sehen. Mit hängenden Schultern sitzt Herr Lang in seinem breiten Korbsessel, seinen Strohhut hat er tief ins Gesicht gezogen. »Alles okay, Herr Lang?«, erkundige ich mich freundlich.

»Ja, Schwester Leonie. Alles gut.« Jetzt klingt er zwar traurig, aber nicht mehr ganz so ungehalten.

»Kann ich noch etwas für Sie tun?« Eigentlich möchte ich nach draußen gehen, doch es ist, als hätte er eine unsichtbare Mauer aufgebaut, die mich daran hindert, mich ihm zu nähern.

Ohne Blickkontakt wird meine Frage verneint, danach dreht er sich ein weiteres Stück weiter von mir weg, was im Klartext wohl auch meinen Rausschmiss bedeutet.

»Ich wünsch Ihnen einen schönen Tag!« In mir drin weiß ich, dass es das für ihn nicht werden wird, dennoch meine ich es aus tiefstem Herzen.

Wie oft war ich hier oben und hab ihn und seine geliebte Lissi hier sitzen sehen? Jetzt steht ihr Stuhl verwaist in der Ecke – niemand darf ihn benutzen!

Mein Herz zieht sich zusammen, während ich mir seine unendliche Trauer vorzustellen versuche. Wie muss es sein, jemanden so sehr zu lieben und ihn dann überraschend zu verlieren?

»Ihnen auch, Leonie«, höre ich ihn sagen, jetzt klingt er bereits ungeduldig.

Warum will er keine Gesellschaft, wenn er doch so einsam ist?, frage ich mich. Ich denk darüber nach, während ich nun wirklich das Appartement verlasse. Ich bin ebenfalls gerne allein, war ich schon immer. Oder anders gesagt, ich habe kein Problem, allein zu sein. Nicht mehr!

Ich gehe zu meinem Medikamentenwagen und prüfe meine Liste, doch eigentlich weiß ich ohnehin, dass alles erledigt ist. Seit ich vor zwei Jahren hier in der Seniorenvilla Zum schönen Brunnen meinen ersten Dienst angetreten habe, ist diese Arbeit für mich zur Routine geworden. Ich bin keine ausgebildete Schwester, weshalb ich auch richtige Pflegedienstarbeit nicht verrichten darf. Meinen Job verdanke ich schlicht und einfach dem Umstand, dass mein Onkel der Direktor des Hauses ist. Das wissen nicht viele, aber diejenigen, die informiert sind, weisen mich gern darauf hin. Als ob ich nicht selber wüsste, dass ich ohne diese Tatsache wahrscheinlich immer noch auf der Straße sitzen würde. Und das nicht sinnbildlich, denn von genau dort hatte mich Onkel Paul aufgelesen, nachdem ihn der Hilfeschrei seiner Schwester – meiner Mutter – erreicht hatte.

Ich bin nicht stolz auf diese Zeit – war ich nicht mal damals, als ich glaubte, mir nach all den Jahren als Musterschülerin und braver Tochter jetzt auch mal Flegeljahre erlauben zu können. Meine Mutter hatte sich neu verliebt – das war ihr ganzes Verbrechen gewesen –, doch für mich hatte es den Einsturz meiner Welt bedeutet.

Ich liebte meinen Vater mit der abgöttischen Naivität einer Tochter. Dass er ein fauler Sack war, der es nicht schaffte, einen Job auch mal länger als zwei Monate zu behalten, sah ich nicht. Ich könnte mich damit herausreden, dass ich ein Kind gewesen war, doch das lasse ich selbst vor mir nicht gelten.

Auf jeden Fall ging er – oder wurde gegangen. Meine Mutter stellte ihn vor vollendete Tatsachen, indem sie ihm seinen Nachfolger präsentierte, und mein Vater verschwand. Ohne zurückzusehen – auch nicht auf mich! Ich habe ihn seit damals nicht mehr gesehen. Kein einziges Mal hat er sich gemeldet – weder schriftlich noch per Telefon.

Seine Flucht löste Wut in mir aus, doch weil ich ihn liebte, war es mir nicht möglich, sie gegen ihn zu richten. Also hasste ich meine Mutter und mich selbst. Zur Schule ging ich nur mehr sporadisch, was meine Lehrer erst auf die Barrikaden brachte, schlussendlich, mangels Reaktion meinerseits, aber zur Gleichgültigkeit verdammte.

Meine Mutter wusste ebenfalls nicht so recht, wie sie mich bändigen sollte, was zum Teil daran lag, dass der Großteil ihrer Energie dabei verloren ging, ihre neue Beziehung zu retten, die sich bereits einige Monate danach im Tiefflug befand. Kurz vor dem Scheitern beschloss sie, mit ihrem Romeo nach Italien auszuwandern. Ihre Pläne beinhalteten keine Rücksichtnahme auf mich. Also beschloss ich, es genauso zu halten. Ich verließ sie nach einem Riesenstreit am Vorabend meines sechzehnten Geburtstags.

Anfangs suchte sie mich, wobei ihre Intensität dabei nicht unbedingt ein gutes Licht auf ihre Muttergene warf. Schon zwei Monate später gab sie auf, packte ihre Sachen und kehrte Österreich und somit auch mir den Rücken. Sie überließ es ihrem großen Bruder sich um das Problem – sprich mich – zu kümmern.

Ich erfuhr es, als ich heimlich zu Hause vorbeisah, um mir noch ein paar Klamotten zu holen. Der Schlüssel passte nicht mehr, und eine nette Nachbarin erzählte mir vom Auszug meiner Mutter. Für mich starb sie in diesem Moment, und außer einer Weihnachts- und Geburtstagskarte jedes Jahr gibt es bis heute keinen Kontakt mehr zwischen uns.

Trotz allem hielt sich der Schock über ihren Weggang in Grenzen. Schließlich hatte mir schon vorher mein Vater bewiesen, dass ich anscheinend nichts war, auf das man bei seiner Lebensplanung Rücksicht zu nehmen hatte. Dann eben ohne Eltern – dachte ich mir!

Die darauffolgenden vierzehn Monate lebte ich bei Freunden in einer WG, hielt mich mit Kellner- und Reinigungsjobs über Wasser. Verlor meine Unschuld, mein Vertrauen in die Welt und am Ende sogar mich selbst. Ich trank – viel zu viel –, doch zum Glück blieb mir die Erfahrung mit härteren Drogen erspart. Abgesehen von einem gelegentlichen Joint hielt ich mich von diesen Dingen fern, auch wenn ich keinen Grund nennen kann, weshalb ich es tat.

Warum ich trank, wusste ich dafür nur zu gut. Zu lieben und nicht zurückgeliebt zu werden gehörte damals zu meinem Leben. Dennoch traf es mich wie aus heiterem Himmel, als Alex – meine erste große Liebe – mich für eine andere verließ. Nicht, dass es nur dieses eine Mal gewesen war, dass er mich betrogen hatte. Die ganze Zeit über hatte ich seine Seitensprünge geduldet. Versucht, meine Wut, den Schmerz darüber mit Alkohol zu ertränken. Dennoch, als er ging, rutschte ich endgültig ab, arbeitete am Ende gar nicht mehr und flog schlussendlich aus der Wohnung. Auch wenn dies nicht allein aus meinen Alkoholproblemen resultierte. Das Leben lässt eben ungern mit sich handeln, genauso wenig wie meine Mitbewohner, die meine Schlampigkeit und meine ewigen Zahlungsschwierigkeiten irgendwann satthatten.

Drei Nächte schlief ich in einem Obdachlosenasyl, was sich am Ende als Glück herausstellte. Auch wenn ich versucht hatte, meine wahre Identität zu verbergen, machte sich ein furchtbar pflichtbewusster Streetworker nachts an meinem Rucksack zu schaffen, fand meinen Personalausweis und verständigte die Polizei. Vierundzwanzig Stunden später befand ich mich in der Obhut meines Onkels, der, wie sich herausstellte, seit mehr als einem Jahr nach mir suchte. Er hatte sogar, mit Erlaubnis meiner Mutter, die vorläufige Vormundschaft für mich übernommen.

Onkel Paul ist ein toller Kerl, das kann ich mittlerweile akzeptieren. Er liebt mich – hat er immer –, selbst wenn ihm früher die tiefe Zuneigung zu meinem Erzeuger nicht viel Platz in meinem Herzen gelassen hatte. Heute liebe ich ihn auch, und das nicht nur, weil er der Letzte ist, der mir von meiner Familie geblieben ist. Es kam nie zu einer richtigen Versöhnung mit meiner Mama. Ein Telefonat, kurz nachdem Onkel Paul mich gefunden hatte, war alles gewesen!

»Leonie!« Eben war er noch in meinen Gedanken, nun höre ich seine Stimme und seine Schritte, die auf mich zukommen. Automatisch schleicht sich ein Lächeln auf mein Gesicht. Er ist einer dieser Männer, die mit dem Alter attraktiver werden. Dichtes blondes Haar und blitzblaue Augen hat er – ein Erbe, das wohl auf unsere nordischen Vorfahren zurückzuführen ist. An den Schläfen haben sich graue Strähnen in das Blond geschlichen, doch man sieht es kaum.

»Onkel Paul!« Ich lasse mich von ihm umarmen und genieße das vertraute Gefühl der Geborgenheit, das mich immer umfängt, sobald er mir nah ist.

»Hast du nicht schon Feierabend?«, erkundigt er sich, kaum dass er mich losgelassen hat.

Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass ich noch fünfundvierzig Minuten bis zu meinem Dienstschluss vor mir habe. Das teile ich ihm mit, doch er lächelt nur.

»Wenn du fertig bist, dann verschwinde einfach«, bietet er großzügig an.

»Nein!«, erwidere ich bestimmt. »Du weißt …«

»Du möchtest keine Bevorzugung. Tut mir leid, es ist schwer für mich, dich nicht zu verwöhnen.« Er drückt mich noch einmal kurz an sich, und ich schließe die Augen, weil mir seine Worte so guttun.

Immer wieder sagt er mir, wie stolz er auf mich ist. Wie stolz ich sein muss, es zurück auf den richtigen Weg geschafft zu haben. Er sieht es als eine Heldentat an – meine Heldentat –, dabei wäre ich ohne ihn nichts.

»Ich könnte in deinem Büro ein wenig Ordnung machen«, schlage ich vor, was ihm ein Grinsen entlockt, das ihn von jetzt auf gleich zehn Jahre jünger macht. Auch wenn er eine Seele von einem Menschen ist, sind die Gene eines Chaoten tief in ihm verankert. Würde ich nicht regelmäßig dafür sorgen, dass seine Papiere und Unterlagen ihren rechten Platz finden, kann das mitunter zu kleinen organisatorischen Katastrophen führen.

»Du bist ein Schatz«, nimmt er meinen Vorschlag sofort an. »Bernd holt mich später ab. Wir werden den Nachmittag zusammen verbringen. Wahrscheinlich kommt Marc auch mit, wenn ihm seine Geschäfte Zeit lassen.«

Meine Augen drehen einen Kreis. Marc Ullmann, der einzige Sohn von Onkel Pauls bestem Freund.

»Marc ist ein aufstrebendes Talent, Leonie«, bekomme ich sofort einen kleinen Rüffel. Natürlich ist ihm meine Skepsis diesem Schönling gegenüber bekannt. Er mag ihn, obwohl ich bezweifle, dass die Sympathie anhalten würde, wüsste mein Onkel, was Marc für ein Weiberheld ist.

Um bei der Wahrheit zu bleiben, es ist nicht so, dass ich Marc nicht leiden kann. Doch sein Umgang mit Frauen ist nun mal gewöhnungsbedürftig, auch wenn ich zugeben muss, dass er zu mir bis heute immer nur nett war.

Ich kenne Marc, seit ich einen Platz in Onkel Pauls Leben gefunden hatte, was kein Wunder ist. Immerhin verbringen sein Vater und mein Onkel den Großteil ihrer Freizeit zusammen.

Marc ist älter als ich, hat mit Bestnoten seinen Abschluss gemacht und steht am Anfang einer großen Karriere. Klar, dass unsere ersten Zusammentreffen recht steif vonstattengingen. Welcher junge Mann von dreiundzwanzig Jahren will schließlich etwas mit einer achtzehnjährigen Ausreißerin zu tun haben?

Dass unsere Familienmitglieder miteinander befreundet sind, bedeutet natürlich nicht zwangsläufig, dass Marc und ich uns auch ständig begegnen. Onkel Paul und Bernd spielen mit Begeisterung Tennis, genauso wie Marc. Ich hingegen kann mich für den Sport nicht recht erwärmen. Dieses Hin- und Herschlagen von Bällen hat für mich die gleiche Faszination wie das Paarungsverhalten von Regenwürmern.

Dafür begleite ich die beiden Freunde gern bei ihren Wanderungen. Ich mag die Natur – sie ist still und erzählt dennoch ihre Geschichte über die Tiere und Pflanzen, die sie bewohnen. Marc teilt diese Vorliebe nicht – er flitzt lieber auf seinem Motorrad oder in seinem Sportwagen durch die Gegend, also begegnen wir uns bei diesen Aktivitäten ebenfalls nicht.

Wo ein Zusammentreffen allerdings unumgänglich ist, sind die Besuche bei den Ullmanns zu Hause, die eigentlich mindestens einmal im Monat stattfinden. An jenen Tagen ist Marc immer da, weil er weiß, dass es seinen Eltern wichtig ist. So arrogant und versnobt er manchmal rüberkommt, niemals würde ich daran zweifeln, dass er sie über alles liebt.

Das kann ich übrigens vollkommen nachvollziehen, denn ich mag die beiden ebenfalls sehr. Überhaupt, Marcs Mutter Marianne – von ihren Freunden aber Mia genannt – ist genau das, was ich mir je unter einer perfekten Mama vorgestellt habe. Ob sie weiß, was ihr Sohn für ein …

»Leonie!« Mein Onkel versucht wohl schon länger, zu mir durchzudringen, denn er klingt etwas ungeduldig.

»Was?«, pariere ich patziger als beabsichtigt.

»Ob du Bernd mit einem Kaffee verwöhnen könntest, sollte ich nicht rechtzeitig zurück sein. Ich muss jetzt meine Hausrunde machen, und er wird in …« Er wirft einen Blick auf seine Uhr. »… fünfzehn Minuten da sein.«

»Klar, mach ich«, versichere ich ihm schnell, schenke ihm noch ein Lächeln und lenke meinen Wagen anschließend Richtung Schwesternzimmer. Bernd mag ich ja, ich kann nur hoffen, dass Marc sich wie üblich zu spät oder bestenfalls gar nicht einfindet.

Kapitel 2

Das Büro von Onkel Paul entspricht so gar nicht seinem Naturell. Er ist locker, freundlich, aufgeschlossen, und hier drin ist alles düster, erdrückend und alt. Das liegt natürlich nicht an seinem Geschmack, sondern daran, dass die Einrichtung noch von seinem Vorgänger stammt. Leider ist ein Re-Design im Moment kein Thema.

Bernd muss nicht lange warten. Kaum wird der Boden seiner Kaffeetasse sichtbar, ist auch Onkel Paul wieder da. Sie unterhalten sich, wobei ich mich natürlich ebenfalls ein wenig ins Gespräch einbringe. Irgendwie habe ich das Gefühl, als versuchten sie die Zeit totzuschlagen. Vielleicht, weil sie tatsächlich darauf warten, dass Marc kommt. Die häufigen Blicke auf die Uhr sind nur ein Indiz.

Irgendwann ist ihre Geduld jedoch erschöpft, und sie beschließen, allein aufzubrechen. Obwohl ich miteingeladen bin, lehne ich ab.

»Ich werde hier noch klar Schiff machen, dann mach ich mich auf den Weg nach Hause«, erkläre ich den beiden, erhebe mich und beginne das Kaffeegeschirr auf das kleine Tablett zu schichten.

»Sie ist mein Engel«, schwärmt Onkel Paul und streichelt kurz dankbar meinen Arm.

»Ja, das ist sie.« Bernd lächelt mir zu, und ich lächle automatisch zurück.

Ich mag ihn, beinahe genauso sehr wie ich seine Frau mag. Sein Sohn hingegen ist ein anderes Kapitel. Es ist nicht Antipathie, die ich für ihn empfinde, ich hab nur ein Problem mit seinem Umgang mit Frauen. Er läuft durch die Welt, als wäre er ein Gottesgeschenk an die weibliche Zunft. Und was mich noch mehr ärgert – sie lassen sich das nicht nur gefallen – nein –, sie unterstützen ihn sogar in diesem Glauben, indem sie ihn ausnahmslos anhimmeln.

Ich bin da die leuchtende Ausnahme – also zumindest sehe ich mich als solche. Wir können uns unterhalten, was – auch wenn ich es ungern zugebe – tatsächlich immer sehr lustig ist. Ich mag es, dass er eigentlich zu jedem Thema eine Meinung hat. Selbst zu denjenigen, die so gar nicht sein Ding zu sein scheinen. Ich kann mich erinnern, dass er sich mal an einer regen Diskussion über Liebesschnulzen zwischen seiner Mutter und mir beteiligt hatte. Während Mias Best-of-Liste eher Filme älteren Datums enthielt, war mein Favorit »Notting Hill« mit Julia Roberts und Hugh Grant gewesen. Marcs Kommentar dazu hatte gelautet, ob Hugh Grant derjenige war, der mal mit einer Nutte im Auto erwischt worden war, was davon zeugte, dass auch er, zumindest ab und zu, Klatschblätter las.

»Na dann. Ich wünsche euch einen schönen Nachmittag!«, versuche ich dem Schmeicheln zu entgehen. Es ist mir ein wenig unangenehm, da ich mir unsicher bin, inwieweit Onkel Paul seinen besten Freund jemals in meine, nicht ganz so rühmliche Vergangenheit eingeweiht hat. Ich bin kein Engel – ich weiß zu genau, was ich in meinem Leben schon alles angestellt habe.

Die beiden verabschieden sich herzlich, gleich darauf bin ich allein. Das bisschen Geschirr ist schnell weggeräumt, der Tisch abgewischt und ich somit fertig. Umgezogen hatte ich mich bereits vorher, also begebe ich mich nur kurz in das Mini-Badezimmer und checke mein Aussehen. Meine bis zur Schulter reichenden braunen Locken schimmern rötlich. Das tun sie nicht immer. Vielleicht sind sie ein inneres Barometer. Steht das Gefühlswetter auf Sturm, ist eben rot angesagt. Ich schmunzle über meine eigenen Gedanken. Als würde mich das Fernbleiben von Herrn Arroganter-Arsch-Marc so aus der Fassung bringen.

Eine meiner Locken um einen Finger rollend überlege ich, ob ich sie vielleicht wieder glatt tragen sollte? Habe ich früher getan. Erst seit sie kürzer geschnitten wurden, lasse ich sie natürlich gewellt. Das gibt mir irgendwie einen frecheren Touch. Ich persönlich finde ja, dass ich ein Allerweltsgesicht besitze, nur mein Onkel Paul widerspricht mir da gern. Er meint, meine Augen sind etwas Besonderes. Ich kann das nicht erkennen. Heute wirken sie eher müde. Mehr grau als grün. Sie spiegeln tatsächlich meine Stimmung wider.

Schulterzuckend schnappe ich mir meine Handtasche, eile zurück ins Büro, wo ich plötzlich vom Vorraum aus ein lautes »Hallo« höre. Ich runzle die Stirn. Die Stimme kenn ich doch.

Schon geht die Tür auf, und darin steht niemand anderes als Mister Ich-bin-so-cool Marc!

Obwohl ich es nicht mal unter Folter zugeben würde, sieht er wie immer perfekt aus. Gewollt chaotisch verstrubbelte, dunkelblonde Haare. Blau blitzende Augen, groß, schlank, einfach atemberaubend in hellgrauen Jeans und schwarzem Hemd, das nicht ganz zugeknöpft ist und so einen kleinen Einblick auf seine gebräunte Haut erlaubt.

»Du bist fast eine Stunde zu spät«, begrüße ich ihn säuerlich, doch wenn ich eine reuige oder vielleicht zumindest zerknirschte Miene auf seinem Gesicht erwartet habe, werde ich enttäuscht. Er grinst.

»Auch schön, dich zu sehen!« Seine lässige Erwiderung, so vollkommen ohne eine Spur von Bedauern, lässt meine Magensäfte brodeln. Wie kann man nur so ignorant sein?

»Dein Vater ist schon weg. Also er und Onkel Paul.« Ich klammere mich an die Tasche, die über meiner Schulter hängt, weil ich tatsächlich wütend bin. Schon allein deshalb, da ja scheinbar niemand außer mir darüber sauer war. Sein Vater und selbst mein Onkel finden nichts dabei, dass Mister Marc-ich-bin-ein-egoistischer-Arsch mal wieder nach seinen eigenen Regeln spielt.

Kurz frage ich mich, ob das der wirkliche Grund ist, warum mich das so echauffiert, und das Ergebnis gefällt mir nicht. In Wahrheit bin ich neidisch! Eben weil er anscheinend machen kann, was er will.

Seine Mundwinkel wandern noch höher, gleichzeitig tritt ein eigentümlicher Glanz in seine Augen. Mir ist nicht klar, wie er das macht, aber was es auch ist, es wirkt magnetisierend. Man möchte zurücklächeln oder ihm sogar etwas Nettes sagen, doch ich kenne ihn zu lange, um nicht gegen diesen Trick immun zu sein.

»Ich weiß, ich habe eben mit Dad telefoniert, während ich hergefahren bin«, erklärt er mir mit einer Selbstsicherheit, die mir die Galle hochjagt. Ist das eine Entschuldigung, dass er den Termin verschwitzt hat?

»Es ist mir egal, warum du zu spät bist«, stoße ich hervor, bevor er noch weitersprechen kann. Ich habe zwar keine Ahnung, ob er das überhaupt wollte, aber Vorsorge ist besser als Nachsorge.

Leider ist sein Redefluss nicht aufzuhalten, und was er rauslässt, bringt mich dazu, ungläubig zu blinzeln. »Warum bist du eigentlich so sauer?«, fragt er nämlich allen Ernstes.

Zuerst mal muss ich Luft holen, um überhaupt antworten zu können. »Weil du mal wieder zu spät bist.«

Er legt den Kopf schief. Dabei fällt ihm eine Strähne seiner Haare ins Gesicht, die ich ihm zu gern wegstreichen würde. Innerlich zeige ich mir selbst den Vogel – wie komme ich nur plötzlich auf solche Gedanken?

»Aber ich hatte doch keine Verabredung mit dir, warum also bist du sauer?«, erkundigt er sich amüsiert.

Dieses Mister Charmebolzen-Gehabe kann er gern wieder abstellen – das ist ja nicht zum Aushalten. »Aber mit meinem Onkel!«

»Ich wusste nicht, dass du als seine Sekretärin arbeitest und somit für seine Zeiteinteilung zuständig bist.« Er sieht sich demonstrativ um, als würde er auf Spurensuche seiner Annahme gehen.

»Tu ich auch nicht«, keife ich zurück. Der Ärger erhitzt meine Wangen.

»Dann versteh ich nicht, warum dich das betrifft.«

»Weil er mein Onkel ist«, blaffe ich ihn an. Zur Unterstreichung meiner Entrüstung verschränke ich meine Arme vor der Brust.

Sieh an, nun dürfte ich doch einen Nerv getroffen haben, zumindest schnauft er etwas genervt, bevor er sich dem Schreibtisch von Onkel Pauls Vorzimmerdame nähert, um ihn als Sitzgelegenheit zu missbrauchen. Zu meiner Schande muss ich mir eingestehen, dass das sehr gut aussieht, wie er da, einem Männermodel gleich, lässig darauf lehnt. Seine Jeans spannt sich über seinen muskulösen Oberschenkeln, die mir heute übrigens zum ersten Mal auffallen. Sein Hemd sitzt ebenfalls recht knapp, wenn auch nicht zu eng, was natürlich daran liegen kann, dass er gerade seine Arme verschränkt hat.

»Weder mein Vater noch Paul haben irgendwie sauer geklungen am Telefon. Denn sie verstehen, dass man in meinem Job nicht immer minütlich voraussagen kann, wann der Arbeitstag endet«, lässt er mich schließlich an seinen Gedanken teilhaben.

»Aber …« Ich breche ab, weil ich ehrlicherweise nicht weiß, was ich darauf sagen soll. Das ist ja wieder mal typisch. Dieser Typ hat doch immer eine Ausrede parat.

»Ich kann nicht Punkt fünf den Bleistift fallen lassen, wenn du weißt, was ich damit meine.« Er grinst triumphierend.

Natürlich weiß ich, was er meint. Und leider auch, dass er recht hat. Verdammt, kaum habe ich den Gedanken zugelassen, ist es mir unmöglich, ihm noch länger böse zu sein.

Das scheint Marc gleichfalls zu ahnen, denn der Triumph in seinen Augen glitzert heller als die Sonne. »Na dann hat sich das ja geklärt«, stellt er lapidar fest.

Gar nichts ist geklärt, will ich protestieren, lasse es aber, weil mich dieses Funkeln ganz irre macht. Stattdessen dränge ich mich mit einem »Ist ja auch egal. Ich muss jetzt los«, resolut an ihm vorbei.

Doch weit komme ich nicht, er legt mir einfach den Arm um die Mitte und hält mich fest. »Hoppla, schöne Frau. Nicht so eilig!«

Ungläubig wende ich mich ihm zu, er grinst immer noch oder schon wieder – was weiß ich. »Was fällt dir ein?«, schnaube ich, außer mir vor Wut.

Marc scheint davon leider so gar nicht beeindruckt. Er bleibt cool, lässt mich jedoch los, allerdings hält er sich bereit, jederzeit erneut zuzugreifen. »Paul meinte, du wärest sicher noch hier und könntest mir die Unterlagen geben, die er hier vergessen hat. Er ist sich ziemlich sicher, dass er sie auf dem …«, er zieht kurz eine Denkermiene, bevor er weiterspricht, »… kleinen Tisch am Fenster liegen lassen hat.«

Meine Augen drehen einen Kreis. Das ist ja wieder mal typisch Onkel Paul. Kurzerhand mache ich kehrt, gehe ins Büro zurück und schnappe mir zielsicher die gesuchte Mappe, die wirklich dort liegt, wo vermutet. Als ich damit zurückkehre, hat sich Marc, mir erwartungsvoll entgegenblickend, an der Bürotür platziert.

»Hier!« Ich reiche ihm die Papiere, was mir ein betont freundliches »Vielen Dank, Leonie« einbringt.

Mir zuzwinkern muss er auch noch, der Schuft, doch ich bin mir ziemlich sicher, dass es mir gelingt, darauf keine Reaktion zu zeigen.

»War’s das?«, erkundige ich mich versucht gelangweilt.

Statt einer Antwort spüre ich seinen Blick. Es ist fast, als würde er unter meinen Pulli dringen – ein Gedanke, der mir übrigens einen Schauer über meinen Rücken jagt. Ein ganz anderes Gefühl – genannt Wut – weckt seine Stimme in mir, die gleich darauf erklingt. »Wo musst du denn so dringend hin?«, erkundigt er sich nämlich süffisant.

»Was geht dich das an?«, maule ich und ärgere mich gleichzeitig darüber, dass ich nicht annähernd so beherrscht sein kann wie er.

»Warum bist du so unhöflich? Ich dachte, das ist eine der wichtigsten Eigenschaften für dich: Höflichkeit und gute Umgangsformen.« Seine Worte, denen eindeutig eine große Portion Sarkasmus anhaftet, sind dennoch leider allzu wahr.

Er steht da, lächelnd, so als könne er kein Wässerchen trüben. Dabei weiß ich, dass er es faustdick hinter den Ohren hat. Mal ehrlich, der Typ ist ein Playboy! Er behandelt Frauen wie Spielzeug, aber, und das muss ich nicht wirklich neidlos anerkennen, er tut es mit Charme, und das ist meiner Meinung nach eine sehr gefährliche Mischung.

»Tut mir leid«, entschuldige ich mich. Es ist ein zwar nicht ehrlich gemeinter, doch ziemlich gut gelungener Versuch, zu meiner gewöhnlich freundlichen Art zurückzufinden.

Nun tanzt seine rechte Augenbraue schräg nach oben. Mir ist schleierhaft, wie er das macht. Hab das bis jetzt nur bei ihm gesehen. »Tut es nicht. Aber es ehrt dich, dass du möchtest, dass ich es glaube.«

»Kann ich dir noch irgendwie helfen?«, frage ich, um dieser Situation endlich zu entkommen.

Er nimmt sich einen kurzen Moment, in dem er vorgibt, ernsthaft zu überlegen, doch was dann seinen Mund verlässt, kann einfach nur als Scherz gemeint sein. »Leider nicht. Ich muss nämlich auch los. Dein Onkel und mein Dad erwarten mich in etwa …«, er sieht auf die Uhr und nach dem Schneiden einer lustigen Grimasse zurück zu mir, »… drei Minuten beim Heurigen.«

Mein Mund geht auf und wieder zu. Dazu fällt mir einfach nichts Passendes ein. Was allerdings ohnehin unnötig wäre, denn der Herr betrachtet seinen Auftritt wohl für beendet.

»Also, schönen Nachmittag noch. Ich hoffe, wir sehen uns bald.« Mir ein letztes Lächeln schenkend wendet er sich ab und entschwindet.

Und ich? Ich stiere ihm hinterher, wobei ich erst nach einigen Sekunden merke, dass ich ihm auf seinen knackigen Arsch starre.

Kapitel 3

Der Samstagmorgen begrüßt mich mit strahlendem Sonnenschein, was natürlich daran liegt, dass ich ungewöhnlich spät aus den Federn krieche. Es ist bereits kurz nach zehn, trotzdem bin ich müde oder, konkreter ausgedrückt, total erledigt. Das kommt davon, wenn man statt zu schlafen Gehirnfürze ausbrütet.

Grummelnd verlasse ich mein Bett, schlüpfe in meine Zuhauseklamotten, bestehend aus weiten grauen Shorts und einem weißen T-Shirt mit dem Paddington-Bär drauf, und schleppe mich in die Küche.

Mehr noch als meine unausgeschlafene schlechte Laune drückt mir der Grund dafür aufs Gemüt. Denn ich hatte mir des nachts nicht über wichtige Dinge den Kopf zerbrochen.

Nein!

Dieses verdammte Zusammentreffen mit Mister Ich-bin-der-coolste-Kerl-auf-Erden Marc hat meine Gehirnwindungen zu Höchstleistungen angespornt. Besser gesagt der Umstand, völlig übertrieben auf ihn reagiert zu haben.

Mein Gott, ich kann nicht zählen, wie oft ich den Typen schon gesehen hatte, trotzdem war das gestern irgendwie anders gewesen. Zu sagen, er hätte mich nicht bereits tausendmal auf hundertachtzig gebracht, entspräche einer Verschleierung von Tatsachen, doch ich bin mir ziemlich sicher, dass er nie zuvor so eine Charmeoffensive an mir gestartet hatte. Und das ist es wohl auch, was mich am meisten beschäftigt hat oder ehrlicherweise immer noch meine Gedanken beherrscht. Warum zur Hölle hatte er mich das erste Mal wie eine Frau behandelt?

Mittels zwei Durchgängen meiner schon etwas in die Jahre gekommenen Kaffeemaschine fülle ich mir meine Thermoskanne voll mit Kaffee – reichlich Koffein ist niemals ein Fehler – und gebe einen guten Schuss Milch dazu. Die Kanne und meine Lieblingstasse – auch hier ist Mr Paddington drauf – finden ihren Platz auf einem Tablett. Eine kurze Überlegung später schnappe ich mir noch den Gugelhupf, der von der letzten Jause drüben bei Onkel Paul übrig geblieben war, und lege ihn dazu.

Danach checke ich meine Umgebung auf der Suche nach weiteren frühstückstauglichen Dingen. Leider ist das Einzige, das ich finde, mein verdammtes Spiegelbild in meiner erst kürzlich erworbenen Mikrowelle. Ich sehe aus, wie ich mich fühle, doch mit der Tiefe meiner dunklen Augenringe könnte ich wohl sogar einem Schreckgespenst Konkurrenz machen.

Seufzend wende ich mich ab, schnappe das Tablett und begebe mich auf meinen Mini-Balkon. Er ist vom Wohnzimmer aus zu erreichen. Sein Highlight ist ein wunderschöner Ausblick auf Onkel Pauls Garten. Seit ich vor über zwei Jahren bei ihm ausgezogen bin, um ein selbstständiges Leben zu führen, wohne ich hier. Genauer gesagt, in der Anlegerwohnung im ehemaligen Dienstbotenhaus, das zu seiner Villa gehört. Ich könnte behaupten, dass nur meine dürftigen beziehungsweise nicht vorhandenen Ersparnisse an diesem distanzarmen Umzug schuld gewesen waren. Doch die Wahrheit ist, dass ich so den buchstäblichen Lotto-Sechser gemacht hatte. Ich war der elterlichen oder eigentlich onkelichen Fürsorge entkommen, konnte aber dennoch die Vorzüge seiner Nähe auskosten.

Mein Fünfundfünfzig-Quadratmeter-Paradies liegt im Obergeschoss des Hauses, welches, wenn man den Zweck bedenkt, für den es erbaut wurde, wirklich großzügig angelegt ist. Das Erdgeschoss ist in zwei Appartements geteilt. Eines bewohnt eine alte Schachtel, die ich, nach mehrmaligen Versuchen, ihr freundlich zu begegnen, mangels annehmbarer Reaktion nun gar nicht mehr beachte, und das andere einem jungen Student, der eigentlich so gut wie nie zu Hause ist. Es ist angenehm ruhig hier – der Vorteil einer eher teureren Wohngegend, in der ich mir von meinem Gehalt nicht mal eine Besenkammer leisten könnte. Ein Grundstück reiht sich hier an das andere, die darauf gebauten Gebäude jeweils schöner als das des Nachbarn. Die Gärten sind gepflegt und jeder kennt jeden. Also sozusagen ein eigenes Dorf in der Stadt.

Ein freches Zwitschern zwingt mich, von meiner bereits gefüllten Tasse aufzusehen: Ein kleiner Vogel mit rotem Bauch sitzt am äußersten Rand der Balkonbrüstung und singt sein Lied. Das Echo lässt nicht lange auf sich warten, bald trällert es aus allen Richtungen. Ich muss lächeln, was für ein herrliches Leben der Piepmatz führt. Freiheit, Gesang und wenn dir jemand auf den Keks geht, kackst du ihm einfach aufs Dach.

Eine Bewegung im Garten der Villa lenkt meine Aufmerksamkeit um. Erst sehe ich nur einen Schatten, doch gleich darauf tritt Onkel Paul aus der Hintertür. Er sieht sofort in meine Richtung, lächelt und winkt mir zu. Allerdings sehr verhalten, was in mir die Vermutung weckt, dass die Herren gestern den Abend bei Bernd ausklingen ließen. Oder konkret gesagt, in dessen wunderschön eingerichtetem Keller, der unter anderem eine exclusive Whiskey-Sammlung beherbergt. Dort rauchen sie dann gern Zigarren und genießen ein gutes Tröpfchen.

Der Gedanke bringt leider die Erinnerung an mein gestriges Intermezzo mit Marc zurück. Der teilt diese Leidenschaft nämlich, was mich ziemlich sicher macht, dass er ebenfalls bis zum Ende dabei war. Das dämpft etwas meine Begrüßungseuphorie, trotzdem schenke ich Onkel Paul natürlich ein Lächeln und ein Winken.

Er gähnt ausgiebig, bevor er seinen Arm noch einmal grüßend schwenkt und ins Haus zurückkehrt. Dann muss ihn wirklich ein schlimmer Kater plagen, sonst hätte er zumindest versucht, mich zu einem gemeinsamen Frühstück zu überreden – immerhin weiß er, dass ich heute frei habe.

Wie auf Kommando geht die Verandatür drüben wieder auf und Onkel Paul schlurft zurück in den Garten. Er trägt nun eine Sonnenbrille, was meine Mundwinkel zucken lässt. Er wirkt ein bisschen wie ein alternder Casanova, wie er da in Stoffhosen, Hemd und der dunklen Brille auf mich zukommt.

»Guten Morgen!«, ruft er hinauf, kaum dass er in Hörweite ist.

»Morgen!«, grüße ich zurück, stelle meinen Becher ab und trete ans Geländer, um besser zu ihm hinunterblicken zu können.

Er mustert mich kurz, dann graben sich Falten in seine Stirn. »Hast du nicht gut geschlafen?«

Meine Augenringe sind wohl auch von da unten gut zu sehen, was in mir den Wunsch aufkommen lässt, ebenfalls eine Sonnenbrille parat zu haben.

»Nicht so wirklich«, gebe ich also das Offensichtliche zu.

»Möchtest du rüberkommen?«, spricht er nun doch die erwartete Einladung aus, die wohl vorhin die gleißende Sonne verhindert hat.

»Nein, danke. Außerdem siehst du auch so aus, als würdest du eher noch ein paar Stündchen Ruhe benötigen.«

Er grinst verhalten, zuckt kaum merklich mit den Schultern. »Das ist vielleicht keine schlechte Idee. Und du solltest dir auch noch ein Schläfchen gönnen.«

»Wieso?« Gedankenverloren greife ich mir meine Zigaretten – es wird Zeit für den morgendlichen Nikotinschub –, ziehe ein Lungenbrötchen aus der Packung und stecke es an.

Wie auf Kommando verzieht Onkel Paul sein Gesicht – er toleriert meine Sucht, was aber nicht heißt, dass er davon begeistert ist. »Weil wir nachmittags bei den Ullmanns zum Grillen eingeladen sind.«

»Oh«, mache ich, runzle die Stirn und will eben protestieren, als Onkel Paul mir auch schon zuvorkommt. »Drücken verboten!«

Resignierend seufzend nehme ich noch einen Zug, stütze anschließend meinen Arm auf das Balkongeländer und meinen Kopf gegen meine Hand. Ein Schmollgesicht heraufbeschwörend starre ich so griesgrämig wie ich kann nach unten. Doch innerlich bin ich bereits wieder versöhnt. Was macht es schon, dass ich dort vielleicht Marc treffe, die gegrillten Filetsteaks von Bernd sind jedes Opfer wert.

 

Onkel Paul ist so nett, den Chauffeur zu geben, was mir die kommenden Stunden schon jetzt versüßt. Bernds Begabung beim Cocktailmixen ist nämlich ähnlich groß wie die als Grillmeister.

Als wir ankommen, halten wir uns nicht mit Klingeln auf. Wie erwartet, finden wir das Ehepaar Ullmann auf der Terrasse hinter dem Haus. Die Begrüßung fällt leiser aus als gewohnt, was wohl darauf zurückzuführen ist, dass Bernd der Kater vom gestrigen übertriebenen Whiskey-Genuss ähnlich stark anzusehen ist wie meinem Onkelchen. Ich tausche ein wissendes Lächeln mit Mia, während wir uns kurz umarmen. Wie immer genieße ich den Moment ihrer Nähe – sie duftet nach frischer Wäsche, gutem Essen und Liebe, eben wie eine Mama riechen muss. Danach blicke ich mich unauffällig um. Der dritte Stuhl steht nicht auf seinem Platz, sondern ist ein Stück herausgezogen. Meine Sherlock Holmes Spürnase irrt nicht, nur einen Moment nach meiner Entdeckung folgt die nächste.

Marc schlendert lässig wie eh und je vom Haus aus auf uns zu. Er trägt helle Jeans und ein weißes T-Shirt, sein Gürtel und seine Schuhe sind hellbraun und – wie ich mir sicher bin – aus Leder. Was bei anderen langweilig wirken würde, sieht an ihm fantastisch aus. Was mich allerdings daran stört, ist, dass ich es heute auch tatsächlich so empfinde.

»Leonie!« Er kommt direkt auf mich zu, zieht mich in eine kurze Umarmung, wie er es sonst eigentlich nur bei Geburtstagsfeiern oder ähnlichen Anlässen getan hat, und dann küsst er mich doch allen Ernstes auf die Wange.

Vor lauter Schreck kann ich gar nicht entsprechend reagieren, sondern stehe nur blöd da und starre ihn an.

»Paul«, macht Marc einfach mit der Begrüßung weiter, als wäre nichts passiert, dann pflanzt er sich auf seinen Stuhl und lächelt selbstzufrieden in die Runde.

Mir wird bewusst, dass ich ihn immer noch anstarre, also lenke ich meinen Blick lieber auf etwas anderes. Meine erste Wahl fällt auf Onkel Paul, der eben dabei ist, den bereits vorbereiteten Grill zu bewundern, danach weiter auf Bernd, der ihm scheinbar die Fleischauswahl erklärt. Beide beachten mich nicht, genauso wenig wie Mia, die ebenfalls Platz genommen hat und eifrig dabei ist, Onkel Paul und mir Kaffee einzuschenken. Nur einer sieht mich an, mit einem schiefen Grinsen und der künstlerisch herausragend hochgezogenen Augenbraue: Marc!

Als könnte ich durch seine Hirnplatte auf seine Gedanken sehen, wird mir bewusst, dass er meine Irritation, den Kuss betreffend, nicht nur mitbekommen hat, sondern sie regelrecht genießt. Der Ärger darüber kriecht in mir hoch, doch ich schaffe es, ihn in meiner Magengegend zu bannen, wo er allerdings drückend auf sich aufmerksam macht.

»Leonie?«

Mias Stimme klingt verwundert, also wende ich mich ihr zu. »Ja?«

»Ob du Kuchen möchtest?« Sie mustert mich irritiert, anscheinend ist das nicht das erste Mal, dass sie die Frage gestellt hat.

»Ähm – ja, klar«, erwidere ich schnell, dabei fühle ich mich furchtbar ertappt. Ohne zu Marc hinüberzusehen, ahne ich, wie sehr er sich gerade über mich amüsiert.

Hat er das früher schon gemacht?, frage ich mich, finde jedoch keine befriedigende Antwort. Klar hat er mich ab und zu geneckt, aber geküsst hat er mich noch nie! Wobei ich wieder zum eigentlichen Thema zurückgekehrt bin. Innerlich schnaubend schnappe ich mir erst mal meine Tasse, um im Koffein Ablenkung zu suchen.

»Warum hast du keinen Kater«, erkundigt sich Onkel Paul versucht genervt bei Marc, dem im Gegensatz zu den beiden älteren Semestern tatsächlich nichts anzusehen ist. Wenigstens ist so geklärt, dass er gestern dabei war, als die beiden zu tief ins Whiskey-Fass geguckt haben.

»In dem Alter hab ich so etwas auch noch locker weggesteckt«, mault Bernd sofort.

Marc sagt nichts dazu – lacht nur leise.

»Ich muss nach drinnen. Da wartet noch ein wenig Arbeit auf mich.« Mia lächelt schon wieder, meine Lust auf ihren tollen Kirschenkuchen hat sie wohl mit meiner Unaufmerksamkeit ausgesöhnt.

»Soll ich dir helfen?«, biete ich an, obwohl ich eigentlich keine Lust habe. Aber die beiden Männer sehen nicht so aus, als würden sie allzu bald an den Tisch zurückkehren, und im Moment ist mir alles recht, um nicht mit Marc allein hier sitzen zu müssen.

Leider wird mein großzügiges Angebot von der Hausfrau abgelehnt, und zu allem Überfluss bittet Bernd Onkel Paul um seine Meinung, was eine Delle an seinem Wagen angeht. Die beiden entschwinden in Richtung Garage, was im Klartext bedeutet, dass ich mich schneller, als mir lieb ist, plötzlich in alleiniger Gesellschaft von Mister Charmebolzen himself wiederfinde. Der stibitzt sich grinsend eine Kirsche von meinem Kuchen und wirft sie sich in seinen Mund.

»Hey!«, beschwere ich mich sofort, doch er lächelt nur.

»Nimm dir deinen eignen Kuchen!«

»Ich bin doch nicht irre. Weißt du, wie viele Kalorien dieses Zucker-Mehl-Ungetüm hat?«, erklärt er mir selbstgerecht.

Ich stecke mir demonstrativ ein besonders großes Stück in den Mund und kaue genüsslich.

Das beeindruckt ihn leider wenig. Irre ich mich, oder mustert er mich mit einem Mal prüfend? Ich versuche, unauffällig meinen Bauch einzuziehen – natürlich weiß ich genau, dass ich nicht so dürr bin wie die Magermodels, mit denen er sich sonst so trifft.

»Man sieht dir nicht an, dass du so ungesund isst«, lässt er mich an seiner anscheinend neugewonnenen Weisheit teilhaben.

»Na, zum Glück«, kontere ich, bin aber eher unzufrieden mit meiner eigenen Antwort. Also rupfe ich mir noch ein Stück von meinem Kuchen ab und genieße es mit einem langgezogenen »Hmmm«.

Marc ärgert sich leider nicht darüber, er lacht nur. Und das auch noch auf eine sehr angenehme Weise.

Zur Hölle, hat der immer schon so gelacht?

»Warum bist du so abweisend?«, erkundigt er sich, wobei er ehrlich interessiert klingt.

»Bin ich doch gar nicht«, protestiere ich sofort.

»Doch, bist du. Sonst haben wir uns doch auch immer gut unterhalten.«

Das stimmt, da kann ich schlecht etwas dagegen sagen. Also schweige ich lieber und nehme mir noch einen Schluck Kaffee.

»Bist du immer noch sauer wegen gestern?«

Irgendwie gefällt es mir, dass ihn das beschäftigt. Also gönne ich ihm einen Blick, was sich sofort als Fehler herausstellt.

Waren seine Augen wirklich immer schon so blau?

Ich könnte schwören, dass sie funkeln. Doch nicht wie in diesen Kitschfilmen, wo ein weißes Strahlen Zähne oder Blicke hervorhebt. Nein, es sind dunkle Reflexionen, die mir die Attribute »geheimnisvoll« und »gefährlich« suggerieren.

»Leonie«, schmeichelt er mit sanfter, angenehm rauer Stimme.

Dieser Tonfall lässt meinen Bauch kribbeln und noch etwas ein Stück tiefer. Röte kriecht in meine Wangen, also wende ich mich wieder ab. »Ich bin nicht sauer, nur unausgeschlafen«, versichere ich ihm und hoffe verzweifelt, dass das Thema damit abgeschlossen ist.

Bevor ich dieser These auf den Grund gehen kann, erklingt Mias Stimme. »Wann musst du weg? Kannst du noch eine Kleinigkeit mitessen?«

Verwirrt blicke ich auf. Wer muss weg?

Anscheinend Marc, denn er antwortet. »Ausgemacht ist siebzehn Uhr, also muss ich spätestens in …«, auf seine unglaublich protzige Uhr sehend runzelt er die Stirn, »… zwanzig Minuten los.«

Baff sehe ich zwischen ihm und seiner Mutter hin und her. Ich war überzeugt, dass er ebenfalls zum Grillen hier wäre – doch offensichtlich ist sein Besuch nur eine Stippvisite.

»Okay. Kein Problem.« Sie schenkt ihm ein strahlendes Lächeln und geht weiter, um das Tablett, das sie in den Händen hält, neben dem Grill abzustellen.

»Du bleibst nicht zum Essen?«, höre ich meine eigene erstaunte Stimme.

Wie unqualifiziert ist denn bitte diese Bemerkung? Manchmal frage ich mich, ob zwischen meinen Lippen und meinem Hirn tatsächlich eine direkte Verbindung besteht.

»Nein. Bin verabredet.« Wieder blitzt es dunkel in seinen Augen – also zumindest interpretiere ich es so. »Oder soll ich lieber hierbleiben?«

Was zur Hölle soll denn das jetzt?

Spürbar gräbt sich eine tiefe Falte zwischen meine Augen.

»Was gibt es denn hier, das mich überzeugen könnte, meine Verabredung abzusagen?« Sich lässig zurücklehnend grinst er mich an.

In mir wächst das Gefühl, als wäre das im Moment ein Spiel für ihn. »Was wird das, Marc?«, frage ich ihn also direkt.

Ich verstehe es wirklich nicht. Wir kennen uns so lange, warum plötzlich die Veränderung?

»Was denn?«, erkundigt er sich scheinheilig.

»Du hast noch nie so mit mir gesprochen. Ich meine, auf diese Art. Normalerweise pflegen wir oberflächliche Konversation, mit gelegentlich humoristischem Einschlag.«

Er schmunzelt. »Und das jetzt würdest du als tiefgehende, ernste Diskussion bezeichnen, oder wie?«

Dass dieser Typ auch jederzeit eine passende Antwort parat haben muss!

Lachend kommen Onkel Paul und Bernd aus Richtung Garage zurück. Mia steht immer noch am Grill, also wage ich es, das Problem direkt anzusprechen. »Es kommt mir vor, als würdest du seit gestern plötzlich wahrnehmen, dass ich eine Frau bin.«

»Okay!« Ein kurzes Lachen folgt, doch schnell findet er zu einer etwas ernsteren Miene zurück, die ich ihm abnehmen würde, wäre da nicht dieses schelmische Funkeln in seinen Augen. Er beugt sich näher zu mir. »Ich versichere dir, Leonie, ich weiß sehr genau, dass du eine Frau bist, und das schon ziemlich lange.«

»Aber …«, stammle ich, werde jedoch unterbrochen, bevor ich meine Gedanken ausformulieren kann, denn Bernd ist an den Tisch getreten.

»Deine Mutter hat mir gesagt, dass du nicht zum Essen bleibst«, wendet er sich an seinen Sohn.

»Nein, sorry. Bin verabredet. Aber ich habe Mum versprochen, euch dafür nächste Woche mal zum Brunch auszuführen.« Charmant präsentiert Marc sein perfektes Lächeln.

»Noch lebst du in Österreich, junger Mann. Vielleicht könntest du dann auch deutsche Worte benutzen«, meckert Mia, die ebenfalls zu uns gestoßen ist.

Marc lacht und sein Vater und mein Onkel mit ihm. »Sei nicht so streng«, bittet Bernd, während er seiner Frau einen Arm um die Schultern legt.

»Sie hat bloß Angst, dass ihm London bald besser gefällt als Wien«, erläutert er mir danach.

»Aber London ist eben auch wunderschön«, entkommt es mir, bevor mir bewusst ist, dass ich es sagen möchte. Ich liebe London – immer schon –, obwohl ich noch nie da gewesen bin.

Das merkt auch gleich mal mein Onkel an, verwirrt schmunzelnd. Diesen Traum habe ich bis jetzt in meinem Herzen verschlossen, aus dem einfachen Grund, weil ich ihn mir nicht leisten kann.

»Themenwechsel«, ruft Mia laut, was Gelächter auslöst. Marc steht auf, haucht ihr einen Kuss auf die Wange und drückt sie danach noch kurz an sich. Das ist die andere Seite dieses Womanizers. Mir ist selten so ein gestandener Mann begegnet, der so offensichtlich seine Eltern verehrt. Es scheint ihm egal zu sein, wer das sieht, und das finde ich einfach extrem liebenswert.

Mein Inneres zieht sich zusammen. Habe ich gerade ernsthaft das Wort ›liebenswert‹ im direkten Zusammenhang mit Marc Ullmann verwendet?

»Ich komm gleich«, eröffne ich, erhebe mich und eile nach vorn in den Vorgarten, um mir eine Zigarettenauszeit zu gönnen. Da hier außer mir niemand raucht, ziehe ich es vor, mich hierher zurückzuziehen.

Einige Züge später beginnt Entspannung einzusetzen, was ja der eigentliche Zweck des Glimmstängels ist. Leider ist mir keine lange Ruhepause gegönnt, nur ein paar Minuten. Noch bevor ich aufgeraucht habe, kommt Marc um die Ecke geschlendert. Zuerst denke ich, dass er vielleicht wirklich mich sucht, doch dann fällt mir ein, dass er ja vorhin seinen baldigen Aufbruch verkündet hat.

»Na, Zeit für dein Date?«, frage ich ihn also, als er bei mir angekommen ist.

Er wirft einen angewiderten Blick auf meine Marlboro – natürlich ist er ein Gesundheitsapostel und strikter Nichtraucher –, bevor er mir eine knappe Antwort gönnt: »Ja.«

Mehr kommt nicht, und ich benötige einiges an Anstrengung, mich davon abzuhalten, die Augen zu verdrehen. »Na dann. Viel Spaß!«

»Werde ich haben«, erwidert er lapidar.

Warum nur habe ich sofort zweideutige Gedanken, wenn er so etwas sagt?

Meine Zigarette landet im Kanalgitter – man möchte ja keinen Dreck hinterlassen. »Ist das nicht anstrengend?«, höre ich mich fragen, gleichzeitig wundere ich mich, warum ich meine Gedanken ausspreche.

»Was?«, erkundigt er sich.

Obwohl ich es mir nicht ganz erklären kann, habe ich mit einem Mal das Bedürfnis, es auszusprechen. »Ständig mit anderen Frauen auszugehen.«

Er grinst. »Nein, warum soll das anstrengend sein?«

»Na ja.« Ich weiß es doch selber auch nicht so recht. »Wäre es nicht netter, mal jemanden auszuführen, den du näher kennst? Mit dem du vielleicht eine Art Beziehung aufbauen kannst?« Was zur Hölle ist denn in mich gefahren, dass ich solche Dinge sage? Meine Wangen flammen auf.

»Ist das ein Angebot?« Er wirkt amüsiert, wenn auch ein wenig überrascht.

»Nein!«, protestiere ich natürlich sofort. So war das ja wirklich nicht gemeint! Die Verlegenheit brennt heiß in meinen Wangen.

»Warum eigentlich nicht?«, sagt er, als hätte ich seine Vermutung nicht eben aufs Schärfste zurückgewiesen.

»Das war überhaupt kein Angebot. Es geht nicht um mich«, versuche ich es noch einmal.

»Aber höchstens mal spontan. Ich hab grad meine Termine nicht im Kopf.«

Warum zur Hölle ignoriert der Typ mich eigentlich? Wütend möchte ich zu einem weiteren lautstarken Protest ansetzen, doch schneller, als ich reagieren kann, hat er sich in Bewegung gesetzt und marschiert auf seinen verdammten Audi zu.

»Ich meld mich«, ruft er, gleichzeitig entsperrt er den Wagen.

Perplex starre ich ihm hinterher. Er hingegen steigt ein, startet den Motor und fährt los.

Und ich frage mich ernsthaft, ob ich das alles nicht nur geträumt hab.

Kapitel 4

Eine Woche ist seit dem Grillnachmittag bei den Ullmanns vergangen, und ich habe das Thema Marc-benimmt-sich-anders bereits ad acta gelegt. Ist doch egal, was an diesen zwei Tagen mit ihm los war, ist ja schließlich nichts passiert. Außer einem kleinen Begrüßungskuss. Ist ja nicht so, als würde ich die Berührung seiner Lippen immer noch spüren, wie das in kitschigen Liebesschnulzen so gern zitiert wird.

Ich denk nicht mal mehr an ihn, zumindest bemühe ich mich darum. Dabei hilft natürlich Arbeit! Trotzdem bin ich froh, als mein Arbeitstag fast vorbei ist. Nachdem ich meinen Abschlussbericht geschrieben habe, beschließe ich, beim Freitags-Kaffeekränzchen vorbeizuschauen. Das wöchentlich veranstaltete Treffen im Hauptspeisesaal soll das Leben der Bewohner mit Abwechslung füllen. Jede Woche gibt es eine andere Mehlspeise, die dann auch der Namensgeber des Nachmittags ist. Heute haben wir somit Apfelstrudel-Jause, wie das bunte Ankündigungsschild am schwarzen Brett zeigt.

Der Duft des Strudels zieht in meine Nase, kaum dass ich den Saal betreten habe. Meine Laune sinkt dennoch ein wenig, denn wie schon so oft wird mir sofort klar, dass es wohl nicht bei allen gelingt, die Einsamkeit und Altersdepressionen mit Kaffee und Kuchen zu vertreiben. Zwischen den lustig schnatternden Grüppchen sitzen die üblichen Einzelgänger, die entweder keine Lust auf Gesellschaft haben, oder denen die eigene schlechte Laune die Möglichkeit nimmt, sich irgendjemandem anzunähern.

»Schönen Nachmittag, Frau Dr. Bauer«, grüße ich eine besonders grimmig dreinblickende alte Dame mit elegantem grauem Hütchen auf dem Kopf. Es passt perfekt zu dem Kostüm, das sie trägt. Sie ist die Witwe eines Neurologen, der eine Privatklinik geleitet und ihr dementsprechend viel Geld hinterlassen hat. Die anderen Bewohner meiden sie, weil sie zickig, unfreundlich und abweisend ist.

---ENDE DER LESEPROBE---