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Die Vergangenheit hat Tom eingeholt und ihn wieder in seine Rolle als Tommaso gezwungen. Verstrickt in die Machenschaften seines Vaters ist er dessen Willkür hilflos ausgeliefert. Am Ende einer schicksalhaften Nacht muss er erkennen, dass die Weichen längst neu gestellt wurden. Der Kampf, der nun vor ihm liegt, fordert eine Entschlossenheit, die nur Tommaso Cosolino hervorrufen kann. Sich erneut völlig auf sein altes Ich einzulassen, birgt die Gefahr, sich endgültig zu verlieren. Trotzdem ist er bereit, alles zu geben - um das zu schützen, was er auf gar keinen Fall verlieren darf! Band zwei der Time to-Trilogie
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Time to battle – Time to-Reihe Band 2
© 2020/ Charlene Vienne
www.facebook.com/Charlene.Vienne.Autorin/
Alle Rechte vorbehalten!
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors.
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Charlene Vienne; Bilder: istock.com
Bildmaterial Buchlayout
istock.com
Lektorat/ Korrektorat
Elke Preininger
Erschienen im Selbstverlag:
Karin Pils
Lichtensterngasse 3-21/5/9
1120 Wien
Dieser Roman wurde unter Berücksichtigung der neuen deutschen Rechtschreibung verfasst, lektoriert und korrigiert. Es handelt sich um eine fiktive Geschichte. Orte, Events, Markennamen und Organisationen werden in einem fiktiven Zusammenhang verwendet. Alle Handlungen und Personen sind frei erfunden. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Markennamen und Warenzeichen, die in diesem Buch verwendet werden, sind Eigentum ihrer rechtmäßigen Eigentümer. Das Buch enthält explizit beschriebene Sexszenen und ist daher für Leser unter 18 Jahren nicht geeignet.
Für alle Träumer – hört niemals auf für euer Glück zu kämpfen!
Die Vergangenheit hat Tom eingeholt und ihn wieder in seine Rolle als Tommaso gezwungen. Verstrickt in die Machenschaften seines Vaters ist er dessen Willkür hilflos ausgeliefert.
Am Ende einer schicksalhaften Nacht muss er erkennen, dass die Weichen längst neu gestellt wurden. Der Kampf, der nun vor ihm liegt, fordert eine Entschlossenheit, die nur Tommaso Cosolino hervorrufen kann.
Sich erneut völlig auf sein altes Ich einzulassen, birgt die Gefahr, sich endgültig zu verlieren. Trotzdem ist er bereit, alles zu geben - um das zu schützen, was er auf gar keinen Fall verlieren darf!
Band zwei der Time to-Trilogie
Tommaso Salvatore Cosolino, 12. Januar 2000, London
Durch den Schleier meines Rausches beobachte ich die anderen. Früher waren sie mir wichtig, jetzt sind sie Mittel zum Zweck. Nun, da die Illusion der Freiheit wie eine Seifenblase zerplatzt ist, brauche ich ihr Vertrauen, um das meine in die Zukunft nicht zu verlieren.
Ein geschmackloser Witz, daraufhin Gelächter. Ich lache mit – bleibe in meiner Rolle. Ein Schluck meines Drinks brennt sich meine Kehle hinunter.
Mein Herz krümmt sich unter der Angst, die der Gedanke an morgen in mir auslöst. Versprechungen sind leere Worte – zumindest, solange sie aus dem Mund meines Vaters kommen. Die wichtigsten Menschen in meinem Leben werden hier zurückbleiben, während ich meinen Job erledige.
»Das wird morgen ein Spaß, meinst du nicht Figo?«
Er sieht mich an. Ich weiß, was er hören will, also ziehe ich meinen rechten Mundwinkel nach oben und brumme ein »Auf jeden Fall.«
Für ihn ist es Spaß. Menschenleben-Roulette.
»Freust du dich auf Zuhause?«
Es kostet mich Mühe, mein Lächeln zu halten. Dieses Mal nicke ich lediglich, doch seine spöttische Miene danach zeigt mir, wie wertlos mein Bluff ist.
»Er liebt dich!«, sagt er leise, vielleicht möchte er nicht, dass die anderen ihn hören.
»Es geht aber nicht nur um mich«, entkommt es mir, bevor ich es verhindern kann.
»Du setzt einfach falsche Prioritäten«, spottet er.
Der Hass schwappt in mir hoch, doch ich dränge ihn zurück. Nicht jetzt! »Was hat er vor?« Mein Herzschlag ist so stark, dass es sich anfühlt, als müsste man das Pochen durch den ganzen Raum hören.
Wieder Gelächter, ein Glas zerbirst irgendwo im Hintergrund. Wir drehen uns beide nicht um, fixieren uns mit wissendem Blick.
»Du kennst den Plan«, sagt er, und ich weiß, dass er lügt.
Und er weiß, dass ich es weiß.
Als Sue Tom am Morgen des 12. Januar nach nur knapp drei Stunden Schlaf weckte, fühlte sich sein Kopf an, als würde er jeden Moment zerspringen. Whisky und Champagner vertrugen sich wohl nicht besonders. Joe hatte am Vorabend unbedingt ihren Abschied von London feiern wollen, und Tom hatte keine Gelegenheit gesehen, sich dem zu entziehen, ohne dass es aufgefallen wäre. Sie hatten bis drei Uhr früh getrunken, und als er nach oben gekommen war, hatte Denise, gehüllt in einen Hauch von Nichts, auf ihn gewartet. Wie hätte er da widerstehen sollen?
Mit dem Finger an den Lippen deutete er Sue an, leise zu sein, schlüpfte dann aus dem Bett und blickte noch einmal lächelnd auf Denises entspanntes Gesicht. Er wusste nicht mehr, wie oft sie sich in dieser Nacht geliebt hatten, doch bis in die frühen Morgenstunden hatten sie nicht voneinander lassen können. Es war fast wie eine Abschiedsfeier gewesen, auch wenn keiner von beiden gewagt hätte, es so zu nennen.
Als er nach seiner Hose griff, segelte ein Stück Papier zu Boden. Vorsichtig bückte er sich und hob es auf. Sue zog wieder ungeduldig an seiner Hand, und er erhob sich gähnend, während er die Zeilen der Nachricht überflog.
Tom,
instruiere Denise, Sue keinen Moment aus den Augen zu lassen. Salvatore hat irgendetwas vor, vielleicht sie zu trennen, während du den Job machst. Das darf nicht passieren, sonst ist unsere Flucht in Gefahr. Mein Plan ist fertig, hol sie nach dem Auftrag ab und fahre zu Sues alter Schule. Erinnere dich an Beth, sie hat einen Umschlag für dich!
Sei vorsichtig!
Huck
Wer auch immer hinter Huck steckte, kannte tatsächlich jedes Detail seines Lebens. Tom fühlte sich sofort ein Stück sicherer bei dem Gedanken daran, dass sie es wirklich schaffen würden zu entkommen. Um Denise nicht zu wecken, ließ er den Zettel unter einem der Couchkissen verschwinden – er würde ihn später entsorgen. Danach folgte er Sue auf leiser Sohle, erst auf den Flur und dann hinunter.
Im Esszimmer erwartete sie wie gewohnt ein reichhaltiges Frühstücksbuffet. Sue plapperte fröhlich vor sich hin und Tom nahm dankbar eine riesige Tasse Kaffee von Pierre entgegen. »Könnten Sie mir noch ein Aspirin besorgen? Das wäre wirklich nett«, murmelte er, während er bereits an seiner Tasse nippte.
»Natürlich, Mr. Tommaso.« Pierre entfernte sich lächelnd und Tom lehnte sich kraftlos auf seinem Stuhl zurück.
»Was machen wir heute?« Sue kletterte auf seinen Schoß.
»Ach, Prinzessin. Ich bin noch so müde.« Er küsste kurz ihre Stirn und seufzte erleichtert, als Pierre mit einem Glas auf ihn zukam. Er trank es hastig aus und verzog angewidert das Gesicht.
»Was ist mit dir? Wie lange warst du auf? Hast du schlecht geschlafen?« Sue zappelte auf ihm herum, was für seine Kopfschmerzen nicht förderlich war. Er drückte die Augen zusammen und gähnte.
»Miss Sue, möchten Sie mir vielleicht beim Waffelmachen zusehen?« Pierre lächelte die Kleine an.
»Oh ja. Darf ich, Tom?«
»Mhm.« Er nickte dankbar und grinste Pierre kurz zu, während dieser seine Schwester mit nach draußen nahm.
Tom nutzte die freie Zeit, um weitere zwei Tassen Kaffee hinunterzustürzen, und als Sue fünfzehn Minuten später zurückkehrte, war der Schmerz in seinem Kopf zu einem dumpfen Pochen abgeklungen. Er konnte sogar schon wieder lächeln, als sie ihm stolz ihr Waffelhaus präsentierte und wich zurück, damit sie auf seinen Schoß klettern konnte.
Sie schmiegte sich an ihn wie ein Kätzchen. »Gehen wir heute in den Zoo? Onkel Salvatore hat mir erzählt, dass ein Eisbärenbaby geboren wurde.«
»Ich kann heute nicht, Prinzessin. Ich muss arbeiten.«
»Aber ich will in den Zoo.« Schmollend schob sie ihre Unterlippe vor.
»Vielleicht gehen Alex, Melina und Denise mit dir?«
»Darf ich sie fragen? Bitte!!« Schon war sie wieder zu Boden gesprungen und hüpfte wie ein Gummiball auf und ab.
»Sue, bitte. Alle schlafen noch«, stöhnte Tom gequält, worauf Sue sich an seinem Hosenbein festklammerte. »Aber mir ist sooooo langweilig.«
Ihre Quengelei zerrte an seinen Nerven. »Willst du dir vielleicht einen Film ansehen?«
»Oh ja!«
Tom presste erneut die Augen zusammen. »Okay. Dann rüber mit dir in den Salon. Such inzwischen etwas aus.«
Pierre stand bereits wieder mit der Kanne neben ihm. Schmunzelnd hielt er ihm den Becher entgegen. »Danke!«
»Wenn Sie mir erlauben, Mr. Tommaso, würde ich Ihnen gerne sagen, wie sehr ich Sie für Ihre Geduld mit unserer kleinen Miss Sue bewundere. Ich habe schon für viele Herrschaften gearbeitet, aber das ist auch für mich eine sehr schöne, aber neue Erfahrung, Sir.«
Tom grinste ihn an. »Sie ist aber auch toll, oder?«
»Ja, Sir. Das ist sie.«
Als Tom fünf Minuten später ins Wohnzimmer kam, lief bereits Alice im Wunderland – welche Überraschung! Auf seinen Armen trug er Stephanie. Es ging ihr nun wirklich bedeutend besser, also hatte er beschlossen, dass sie lange genug allein in ihrem Zimmer gewesen war. Außerdem musste sie ohnehin heute Abend das Haus verlassen, immer vorausgesetzt, seines Vaters Plan war tatsächlich der, den er ihnen vorgebetet hatte.
Vorsichtig legte er sie auf das kleinere Sofa und lümmelte sich zu Sue auf die große Couch. Sie kuschelte sich an ihn, und obwohl er sich dagegen wehrte, war er binnen weniger Minuten eingeschlafen.
Ein paar Mal weckte sie ihn – »Tom, du schnarchst!« –, doch er brummte nur kurz und döste weiter.
Gegen Mittag kam endlich Leben ins Haus. Melina kam als Erstes nach unten. Unsicher suchte sie das Erdgeschoss ab. Als sie die drei schließlich entdeckt hatte, setzte sie sich vor Stephanie auf den Boden, und die beiden plauderten leise, um Tom nicht zu wecken.
Kurz danach endete der Film und Sue kletterte zu ihnen hinüber. »Warum ist Tom denn heute so müde?«, flüsterte sie.
Stephanie strich ihr übers Haar. »Er hat gestern lange gefeiert, Kleines. Lass ihn noch ein bisschen schlafen. Er hat heute einen schweren und sehr langen Tag vor sich.«
Lina blickte sie fragend an.
»Du solltest nicht mehr als nötig wissen, glaub mir«, raunte Steph ihr zu.
»Alex hat mir einiges erzählt. Er sagte, Tom muss heute noch einen Job machen, dann …«, begann Melina, doch Stephanie unterbrach sie nervös lächelnd.
»Nicht vor der Kleinen, bitte!«, wisperte sie und sprach sofort weiter, als Sue neugierig hinübersah. »Ist mit dir und Alex alles in Ordnung?«
Das Blut schoss Lina in die Wangen. »Ja. Ich denke schon. Die letzten Tage waren sehr schön.«
»Was macht denn Tom heute?«, piepste Sue plötzlich ängstlich, und Melinas Gesicht zeigte deutlich ihr Bedauern. Sie hatte Sue nicht aufregen wollen.
Stephanie wandte sich schnell um und stupste mit dem Zeigefinger auf ihr Näschen. »Ich hab Hunger, Kleines. Würdest du mir bitte etwas vom Buffet holen?«
»Ich gehe mit, ich habe auch Hunger.« Lina stand auf und nahm Sues Hand. Immer noch dominierte Reue ihre Miene.
Während die beiden durch die Halle eilten, kam Joe aus seinem Zimmer und ließ sich nach einem kurzen Gruß im Esszimmer nieder. Alex, Will und Mike kamen, gefolgt von Julia, ein paar Minuten später.
Alles in allem verlief das Frühstück schweigend. Nur Sue lief plaudernd zwischen Ess- und Wohnzimmer hin und her, bis sie es schaffte, auch Tom aufzuwecken. Noch etwas benommen wechselte er das Zimmer, um sich eine weitere Tasse voller Koffein zu besorgen.
»Na? Alles klar, Tom?« Alex grinste ihm entgegen.
»Woher nimmst du diese Energie? Ist ja schrecklich.« Tom ließ sich neben ihm auf den Stuhl fallen.
Sein Freund feixte. »Ich bin eben noch jung.«
»Aja, ich vergaß«, brummte Tom sarkastisch mit den Lippen an der Kaffeetasse.
»Alex, würdest du bitte mit deiner Freundin und der Kleinen ins Wohnzimmer verschwinden? Wir Männer haben zu reden.« Joe hatte die Zeitung beiseitegelegt und starrte über den Tisch hinweg auf die zwei Angesprochenen.
»Komm, Alex. Wir können uns noch einen Film angucken.« Sue zog schon ungeduldig an seiner Hand, und auch Melina erhob sich und eilte hinter den beiden aus dem Esszimmer.
Kaum waren sie allein, stand Mike auf. »Wann kommt Wayne?« Er ging zum Buffet, um sich Kaffee nachzuschenken.
»Der ist doch schon da. War er nicht gestern schon da?« Verwirrt schaute Joe umher.
»Gestern war er da. Wenn er nicht gegangen ist, wird er wohl irgendwo oben schlafen.« Gelangweilt zuckte Tom mit den Achseln. »Mike, such ihn bitte.«
Sekunden später fiel die Tür ins Schloss.
»Ich nehme mal an, ich gehöre zu den Männern, nachdem du mich nicht hinausgeschickt hast, Joe.« Julia spielte mit ihrem Löffel an der Tasse.
»Halt einfach den Mund und mach, was man dir sagt.« Tom rieb sich über die Stirn und gähnte, bevor er mit eintöniger Stimme fortfuhr. »Wir sind gut vorbereitet. Will fährt in einer Stunde los, wir folgen um neunzehn Uhr. Ich schlage vor, ihr geht noch ein letztes Mal den Ablauf durch, und ich leg mich noch ein oder zwei Stunden hin, sonst schaff ich nicht mal die erste Runde.«
»Okay. Mach das. Ich kümmere mich um alles«, erklärte Joe.
»Bis später.« Tom erhob sich, eilte zur Tür und drängte sich an Mike vorbei, der eben mit Wayne hereinkam. Er schaute noch kurz ins Wohnzimmer. Der nächste Film lief, es war ruhig, also blickte er auf die Uhr. Okay, es war mehr als genug Zeit!
Zwei Stufen auf einmal nehmend erklomm er die Treppe und war im Nu in seinem Zimmer. Denise lag noch im Bett, doch ihre Augen waren offen. Sie lächelte, als er sich neben sie fallen ließ und unter die Decke kroch.
»Seit wann bist du auf?« Ihre Haare kitzelten ihn, als sie den Kopf auf ihn legte.
»Seit Stunden! Die Kleine war so früh wach.«
»Du Armer.« Sanfte Küsse hagelten auf seine Brust nieder.
»Hast du nach heute Nacht immer noch nicht genug?« Er war so müde, dass er nicht mal die Augen aufmachen konnte, um sie anzusehen.
»Niemals«, flüsterte sie verführerisch, bemerkte jedoch gleichzeitig, dass er dabei war, einzuschlafen. Etwas später ging sie hinunter, um zu frühstücken.
Als sie gegen siebzehn Uhr dreißig wieder ins Zimmer kam, lag Tom noch genauso im Bett, wie sie ihn vor Stunden verlassen hatte. Vorsichtig legte sie sich an seine Seite und strich mit einer ihrer Haarsträhnen über seine Nase und seinen Mund.
»Hm.« Er drehte den Kopf weg, seine rechte Hand fuhr zu seinem Gesicht, um die Störung wegzuwischen.
Denise wich zuerst zurück, doch dann senkte sie ihre Lippen an seinen Hals und strich sachte nach oben. Als sie unter seinem Ohr angekommen war, verharrte sie kurz und drückte ihm einen sanften Kuss auf. »Aufwachen, Schlafmütze«, wisperte sie schließlich, als er sich immer noch nicht bewegte. Keine Reaktion.
Ratlos hob sie den Kopf, beugte sich über sein Gesicht und quietsche laut, als Tom sie plötzlich um die Taille packte. Ruckartig warf er sie auf den Rücken und sich selbst auf sie. »Du Scheusal. Lass mich sofort los!«, kicherte sie und drückte beidhändig gegen seine Brust.
Er presste sie nur tiefer in die weichen Kissen, fesselte ihre Hände mit einer der seinen und grinste sie an. »Willst du das wirklich?«
»Nein, aber Joe und die anderen möchten schon um achtzehn Uhr dreißig los. Das heißt, in einer Stunde. Leider.« Sie betonte das letzte Wort mit trauriger Stimme, zusätzlich zog sie einen Schmollmund.
Tom holte sich seufzend einen Kuss, bevor er sie losließ. »Okay, dann spring ich kurz unter die Dusche.« Er robbte rückwärts vom Bett und küsste dabei schmatzend eine unsichtbare Linie ihren Bauch entlang nach unten.
Denise seufzte wohlig und schloss die Augen. »Soll ich mitkommen unter die Dusche?«
»Nicht, wenn ich pünktlich unten sein soll«, wisperte er, den Kopf in ihrem Schoß vergraben.
Sie stöhnte und leckte über ihre Lippen. »Wie du willst.« Heiser klang ihre Stimme, ihr Herzschlag beschleunigte sich.
Toms Mund wanderte weiter ihr rechtes Bein hinab, und als er bei ihren Zehen angelangt war, sah sie zu ihm hinunter. Sein lausbubenhaftes Grinsen brachte sie zum Lachen. »Du bist grausam.« Ihre Stimme sollte wütend klingen, war jedoch tonlos und schwach.
»Entschuldige.« Er erhob sich vom Bett, beugte sich aber noch einmal zu ihr, um sie zu küssen. »Ich mach’s wieder gut. Heute Nacht, okay?«
»Das will ich dir auch geraten haben.« Schmollend rollte sich Denise zu einer Kugel zusammen und schloss die Augen. Sie spürte seine Hand über ihre Wange streicheln und lächelte. Still lag sie da, bis sie hörte, wie das Duschwasser aufgedreht wurde. Ihr Pulsschlag hatte sich im Gleichklang mit ihrer Erregung wieder soweit beruhigt, dass sie aufstehen konnte, ohne zu ihm ins Badezimmer stürmen zu müssen.
Also stieg sie langsam aus dem Bett und griff sich den Kleidersack, den ihr Joe vorhin in die Hand gedrückt hatte. Neugierig zog sie den Reißverschluss hinunter. Zum Vorschein kam ein Hosenanzug mit weiten Beinen und engem Oberteil. Der Stoff war winterweiß, mit silbern und hellblau scheinenden Fäden durchzogen. Sogar eine passende Garnitur Dessous hing mit an dem Bügel. Vorsichtig zog sie alles aus dem Plastiküberzug und warf es aufs Bett. Die Sachen waren edel, genauso wie die, die sie gemeinsam mit Tom gekauft hatte. Erneut erfasste sie die Gewissheit, wie reich Salvatore und somit auch irgendwie Tom war, dennoch war ihr gleichzeitig bewusst, dass er nicht umsonst vor seinem Vater geflohen war. Heute war es soweit – sie beide mussten den Preis dafür zahlen, dass Tom Tommaso hinter sich gelassen hatte – oder zumindest gedacht hatte, es getan zu haben.
Seufzend zog sie sich aus und die neue Unterwäsche an. Dann trat sie vor den Spiegel und begutachtete ihre Haare. Die Locken waren durch die aktive Nacht etwas wilder als gewöhnlich, aber durchaus ausbaufähig. Mit einigen geschickten Handgriffen und etlichen Spangen gelang es ihr schließlich, die Mähne zu bändigen. Danach war das Make-up dran. Sie legte viel Sorgfalt hinein, weil sie instinktiv spürte, dass Salvatore das von ihr erwartete. Perfektionismus durch und durch. Von ihr und von seinem Sohn.
Als sie mit dem Ergebnis zufrieden war, betrachtete sie sich im Spiegel. Die Frau, die ihr entgegensah, ähnelte ihr nur bedingt, und das lag nicht nur am ungewohnt starken Make-up. Das Bewusstsein, dass in wenigen Stunden die Entscheidung fallen würde, ob sie es gemeinsam hier herausschaffen würden oder nicht, zeichnete ihr Gesicht. Und natürlich die Angst davor.
Tom hatte sie in den vergangenen Tagen vorsichtig darauf vorbereitet, und obwohl es ihr gehörige Furcht einjagte, wenn er versuchte, sie auf alle Eventualitäten einzustellen, sah sie diese Notwendigkeit ein. Sie wussten nicht sicher, ob der Plan, der in den letzten Wochen von Joe und Tom ausgearbeitet worden war, tatsächlich dem Vorhaben seines Vaters entsprach. Es war möglich, sogar mit großer Wahrscheinlichkeit, dass Salvatore im Hintergrund andere Fäden zog. Ebenso unsicher war, ob Huck nun wirklich Freund oder doch Feind war, was genau seine Taktik war, und ob alles nach seinen Vorstellungen verlief. Die Angst um Sue und Stephanie hatte sich wie ein Fieber von Tom auf sie übertragen, und heute brannte es lichterloh – in ihnen beiden.
Sie verdrängte ihre Überlegungen und ging dann zum Bett, um auch den Rest anzuziehen. Die Dusche war inzwischen verstummt, kurz darauf hörte sie, wie sich die Badezimmertür öffnete. Durch den Spiegel sah sie Tom, der nur mit einem knappen Handtuch um die Hüften in der Tür stand und mit einem weiteren Tuch seine Haare trocken rubbelte. Ein zauberhaftes Lächeln formte seine Lippen.
»Casanova, ich bitte dich. Zieh dich schnell an, oder ich falle doch noch über dich her«, rief sie lachend, worauf er hinter sie trat und ihren Nacken küsste. »Dito, meine Schöne.«
Von dem Punkt, der von seinen Lippen berührt wurde, breitete sich die Wärme über ihre Schulter aus. Sie seufzte leise. Wieder drängten sich die Gedanken von vorhin in den Vordergrund, und sie atmete tief ein. »Tom?«
»Hm?« Er küsste die Senke neben ihrem Schlüsselbein.
Im Spiegel suchte sie seinen Blick, und als er ihn erwiderte, trat ein furchtsamer Ausdruck in ihre Augen. »Wenn wir getrennt werden …«, begann sie und zog die Stirn in Falten, als er sie unterbrechen wollte. »Wenn wir getrennt werden, weiß ich, dass du alles tun wirst, um mich wieder zu dir zu holen. Ich weiß, dass du mich, oder Sue und mich finden wirst, also …« Sie zögerte kurz, drehte sich in seinen Armen um und legte ihre Hände an seine Wangen. »Lass dir von niemandem einreden, dass ich dich nicht mehr will oder verlassen habe. Auch wenn du nichts von mir hörst, Tom, oder selbst, wenn du wieder einen Brief, ein Video oder was auch immer bekommst – glaub ihnen nicht. Vergiss nie, wie sehr ich dich liebe, und dass du alles bist, was mein Leben ausmacht. Ich werde auf dich warten. Egal wie lange, egal was passiert. Es wird für mich nie jemand anderen geben.«
Seine Augen schimmerten wie ein See im Mondlicht. Die Angst vor den nächsten Stunden und die Besorgnis um Sue schwammen darin, doch als er kurz blinzelte und dann in ihrem Blick versank, war da nur noch die Liebe zu ihr. »Ti amo, tesoro, flüsterte er und küsste sie.
»Vergiss das nur nie.« Lächelnd sah sie zu ihm auf, aber ihre Miene war ernst. »Ich erwarte von dir das Gleiche. Keine andere Frau – versprich es mir. Egal was passiert.«
Laut stieß er den Atem aus und erwiderte dann mit vollkommener Aufrichtigkeit: »Niemals. Ich verspreche es dir.«
Sie besiegelten den Schwur mit einem langen, zärtlichen Kuss.
Als sich Tom schließlich von ihr löste, wanderte sein Blick neugierig von den Sachen auf dem Bett zu ihrer Unterwäsche. »Wofür machst du dich denn so fein?«
»Dein Vater hat den Plan etwas geändert. Joe hat mich den ganzen Nachmittag instruiert.« Sie sah ihn misstrauisch über ihre Schulter lugen. »Na ja, nachdem er Julia nicht mehr wirklich traut, werde ich einspringen.«
Ruckartig richtete Tom sich auf. »Das kommt überhaupt nicht in Frage!«
Denise schluckte, biss auf ihre Unterlippe und drängte sich an ihm vorbei. »Dein Vater will es so. Und unsere oberste Priorität ist, ihn nicht zu verärgern, damit Sue sicher ist. Das waren deine Worte, weißt du nicht mehr?«
Er schnaubte. »Ich sagte, eure Sicherheit geht vor, das schließt dich ja wohl mit ein.«
»Ich werde sicher sein, denn du bist ja bei mir. Ich glaube eher, dass du mir den Job nicht zutraust.« Sie klang enttäuscht.
Tom verdrehte die Augen. »Darum geht es doch nicht. Ich will nicht, dass du zu tief in die Sache hineingerätst. Das ist keine Welt für dich!« Wütend ging er zum Schrank, und die Tür knallte an die Wand, als er sie aufriss.
»Das ist deine Welt, wie kann ich da nicht hingehören?«, fragte sie, an ihrem Daumennagel kauend.
»Du weißt nicht, was du da redest, Denise. Hier geht es nicht um ein Familienfest, von dem ich dich ausschließen will.«
»Nein, es geht um unsere Zukunft, von der du mich gerade ausschließen willst«, murrte sie in verzweifeltem Tonfall.
Tom legte stöhnend die rechte Hand an seine Stirn. »Das ist nicht unsere Zukunft, Denise. Wir werden es schaffen, hier rauszukommen, und ich werde nicht zulassen, dass du irgendwie in Gefahr gerätst.«
»Aber ich will dir dabei helfen. Ich möchte dich unterstützen und für dich da sein.« Ihre Stimme war immer leiser geworden.
Mit zwei großen Schritten war er bei ihr. Die Hand unter ihr Kinn legend, zwang er sie sanft, ihn anzusehen. »Es ist zu gefährlich, und außerdem …« Er zögerte kurz, schloss danach gequält die Augen. »Ich will nicht, dass du mich so siehst. Ich bin … ich muss anders sein während des Jobs.« Er ließ sie los und blickte zu Boden. »Wenn du dabei bist, dann …«
»Nicht!« Denise nahm sein Gesicht fest zwischen ihre Hände. Nun war sie es, die seinen Blick auf sich lenkte. »Du machst deinen Job und ich meinen. Ich weiß, wie du wirklich bist, und nur das zählt. Ich liebe dich, Tom. Nichts kann daran etwas ändern.«
Seine zweifelnde Miene war voller Trauer und Unsicherheit. »Du weißt nicht, wie ich sein kann, Denise. Sein muss. Es wird dir nicht gefallen, was ich tue. Du wirst es …«
Ihr Zeigefinger legte sich zärtlich auf seinen Mund. »Hör auf damit. Vertrau mir.«
Seufzend zog er sie an sich. »Ich hab solche Angst, dich zu verlieren.«
Ein Klopfen schreckte sie auf. »Zehn Minuten noch, Figo. Wie weit bist du?« Mikes Stimme drang durch die Tür.
»Ja, wir kommen gleich runter«, schnauzte Tom. Abrupt ließ er Denise los, griff fahrig nach dem Kleiderhaken mit seinem Smoking, warf ihn aufs Bett und begann, sich anzuziehen.
Denise spürte seine Wut, wusste jedoch, dass sie nur seiner eigenen Hilflosigkeit geschuldet war. Still schlüpfte sie ebenfalls in ihr Outfit, beobachtete dabei aber jede seiner Bewegungen. Als er noch einmal kurz im Bad verschwand, war sie bereits fertig und setzte sich auf den Lehnsessel, um ein letztes Mal ein wenig Entspannung zu suchen.
Tom kam schnell zurück und stellte sich vor den Spiegel, um sich die Fliege zu binden. Seine Augen funkelten immer noch verärgert.
Denise linste ängstlich zu ihm hinüber. »Alles okay zwischen uns?«
Er atmete tief ein und stieß dann die Luft wieder aus. Als er sich zu ihr umdrehte, lag ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht. »Natürlich.«
»Bist du sicher?« Zögerlich stand sie auf, streckte ihm ihre Hand entgegen.
Er griff danach und nickte. »Du siehst übrigens wunderschön aus.«
»Du auch. Richtig elegant.«
Sie lachten kurz, doch Tom wurde plötzlich wieder ernst. Die Nachricht von Huck war ihm gerade eingefallen. »Shit!«
»Was ist?« Denise blickte ihn stirnrunzelnd an.
»Du musst bei Sue bleiben.«
»Alex bleibt hier, bei Sue und Steph. Gemeinsam mit Melina. Er hat mir versprochen, dass er sie keinen Moment aus den Augen lässt. Tom? Was hast du denn?«
»Nein, du musst bei ihr sein. Er hat es mir …« Er rieb über die tiefe Falte, die über seiner Nase erschienen war und blickte dann hektisch auf seine Uhr. »Es ist zu spät. Wenn wir es jetzt umdrehen, wird er Verdacht schöpfen.«
»Tom, du machst mir Angst. Wovon sprichst du?«
»Ich muss mit Alex reden. Schnell! Komm!« Er packte ihr Handgelenk und zog sie hinter sich her.
Als sie unten ankamen, sandte ihnen Mike einen misstrauischen Blick. »Warum ist deine Freundin denn so aufgestylt, Figo?«
»Der Capo hat sie zu Julias Nachfolgerin ernannt. Weißt du, wo Alex ist?« Tom scannte nervös die Halle, dabei verkrampfte seine Hand an ihrem Arm.
»Du tust mir weh!« Denise befreite sich aus seinem festen Griff und rieb kopfschüttelnd ihr Handgelenk, während Mike schnell zu Tom lief. »Was soll das heißen? Ich dachte, sie bleibt bei der Kleinen!«
Toms Blick irrte weiter durch die Halle. »Ja, ich auch. Ich hab’s eben erst erfahren. Verdammt, wo ist Alex?«
»Ich schau mal im Salon nach.« Denise entfernte sich von ihnen, immer noch strichen ihre Finger über ihre Hand.
Mike sah ihr hinterher, dann huschte sein Blick durch den Raum, bevor er sich ganz nah zu Tom beugte und raunte: »Du kannst Alex nicht trauen.«
Tom fuhr zu ihm herum, die Augen ungläubig aufgerissen. »Was meinst du damit?«
»Pscht. Sprich leiser, verdammt.« Er drängte Tom ein paar Schritte nach hinten. »Wir haben jetzt keine Zeit. Ich lass mir was einfallen. Mach einfach weiter wie geplant. Aber kein Wort zu Alex – bitte vertrau mir, Tom!«
Tom blinzelte, als er plötzlich verstand, wer sein heimlicher Helfer war. »Woher wusstest du …?«
Mike klopfte ihm auf die Schulter und lachte laut. »Na, dann kann ja nichts mehr schiefgehen – Figo.«
Die Schritte der anderen erfüllten die Halle. Tom verschloss seine Gefühle und setzte gedanklich seine Maske auf. Er schlenderte vor den großen Spiegel neben dem Eingang und richtete seine Fliege, Joe stellte sich zu ihm und reichte ihm eine brennende Havanna. »Bereit, Tommaso?«
»Mehr als das. Lasst uns unseren Job machen, etwas Spaß haben und jede Menge Geld verdienen, Jungs.« An seiner Zigarre ziehend wandte er sich um, Denise kam eben zur Tür herein. »Und Mädels.«
Sie runzelte leicht die Stirn und nickte unauffällig zu Alex, der wartend zu ihm sah.
»Bereit, Baby?« Tom deutete ihr an, näherzukommen. Als sie vor ihm stand, legte er grob eine Hand auf ihren Hintern und zog sie an sich. Dann küsste er ihren Hals und raunte ihr leise zu: »Ich erkläre es dir später. Vergiss das mit Alex.«
Gleich darauf ließ er sie wieder los und schlenderte zu Joe. »Ok. Dann raus zum Auto.«
Den Arm lässig um Denise legend setzte er an, loszugehen, da fiel ihm plötzlich ein, dass er sich nicht von Sue verabschiedet hatte, und fuhr herum. Denise folgte seinem Blick, der fast schmerzhaft sehnsüchtig auf die Salontür gerichtet war, und legte ihre Handfläche an seine rechte Gesichtshälfte.
»Es wird alles gut gehen, Tom. Wir sehen sie nachher«, wisperte sie und er nickte versteckt, bevor er sich tatsächlich in Bewegung setzte. Denise folgte ihm, dabei verzweifelt hoffend, ihm nicht zu viel versprochen zu haben.
Als die Limousine aus der Einfahrt fuhr, verteilte Tom die vorbereiteten Champagnergläser. »Auf heute Nacht.« Er hob sein Glas und Joe, Mike und Denise taten es ihm gleich.
Sie tranken jeder einen großen Schluck. Denise blickte durch das Wagenfenster nach draußen. Es schneite wieder, doch dieses Mal machte der Sturm das Wintermärchen kaputt. Eiskalt fegte er durch die abendliche Stille und formte die Schneekristalle zu eisigen Körnern. Sie nippte an ihrem Glas und zog ihre Pelzstola zurecht. »Darf ich eigentlich wissen, warum wir das heute machen? Ich meine, das Geld wird ja wohl nicht der einzige Grund sein. Salvatore erwähnte das Wort ›ausgleichende Gerechtigkeit‹.
»Möchtest du Denise aufklären?« Tom lehnte sich zurück und nickte Joe auffordernd zu. »Immerhin warst du damals dabei. Ich kenne die Geschichte nur von Dad.«
»Wie du willst.« Joe beugte sich nach vorn, sein Mund verzog sich zu einem seelenlosen Lächeln. »Das Pokerturnier, das wir heute besuchen werden, findet zu Ehren des einundzwanzigsten Geburtstages von Klein Charly – Carlos Charles Drum dem Dritten – statt. Sein Vater, Carlos Drum der Zweite, ist einer der reichsten Männer Englands. Er besitzt unter anderem das Casino, in dem heute das Turnier stattfindet.«
Joe lehnte sich wieder zurück und zündete sich eine Havanna an. Während der Rauch in kurzen Schwaden aus seinem Mund entwich, stieß er ein verächtliches Lachen aus. »Carlos kommt ursprünglich aus Venezuela, da hieß er auch noch Sánchez, kam aber mit etwa zwanzig nach Chicago. Er war nie ein Freund des Gesetzes. Deshalb auch der Namenswechsel, als er in Amerika angekommen war. Schon früher hat er das Recht gerne so hingebogen, wie es seinem Vorteil nützte. Salvatore machte seit den frühen Siebzigerjahren Geschäfte mit ihm. Immer sehr lukrativ – für beide Seiten. Vor einigen Jahren hatten wir einen ziemlich guten Auftrag an Land gezogen. Einer dieser arabischen Geldsäcke war an Salvatore herangetreten. Er wollte ins Casinogeschäft einsteigen, Salvatore hatte die nötigen Kontakte nach Vegas. Eigentlich war alles geregelt. Mein Bruder Silvano war nach Abu Dhabi gereist, um alles zu fixieren. Als der Capo und ich nachkamen, war Drum bereits wieder dabei, abzureisen. In seinem Gepäck unser Vertrag, und an seinen Händen Silvanos Blut.«
Denise schnappte schockiert nach Luft. »Das tut mir leid, Joe.«
»Danke, meine Liebe. Aber das ist schon ewig her.« Erneut ein leeres Lächeln, bevor er abwinkte und tief den Rauch einsog. Während er ihre Gläser ein weiteres Mal füllte, fuhr er fort. »Um die Geschichte abzuschließen – Drum hat uns gelinkt, ist als Mittelsmann aufgetreten und hat sich dann die gesamte Kohle unter den Nagel gerissen. Die des Scheichs und die von Salvatore. Der Araber war nicht sehr glücklich darüber, und Salvatore und ich bekamen das zu spüren. Zwei überaus unbequeme Tage verbrachten wir in eine Zelle gepfercht, was sich nicht wirklich gut auf die frischen Verletzungen auswirkte, die uns seine Schläger beigebracht haben. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass Madeleine, die damalige … Freundin … von Salvatore, ihr Leben verloren hat, als wir Carlos an der Flucht hindern wollten. Ich weiß bis heute nicht, ob er sie absichtlich getroffen hat, oder ob es ein Unfall war, aber das spielt auch keine Rolle. Sie war eines der wenigen Mädchen, die Salvatore wirklich gemocht hat, also traf ihn der Verlust ziemlich hart. Auf jeden Fall kamen wir erst frei, nachdem Anthony mit der Summe antanzte, die der Scheich verloren hat. Wir flogen zurück, doch Drum war bereits erfolgreich untergetaucht. Als er drei Jahre später aus der Versenkung zurückkehrte, war er so reich und gut geschützt, dass wir nicht mehr an ihn herankamen. Er war in London untergekommen und hat sich in England einen guten Namen gemacht. Deshalb musste Salvatore bis heute auf seine Rache warten. Auf der Suche nach Tommaso sind wir durch Zufall auf die nötigen Infos gestoßen, um Carlos endlich mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Der Plan ist gut – ich bin sicher, dass es funktionieren wird!«
Denise blickte mit gerunzelter Stirn in die Runde. »Und wie kommt es, dass die Polizei hier mit uns zusammenarbeitet?«
Joe schenkte ihr ein weiteres Mal nach und lächelte überheblich. »Wir haben einige Cops gekauft, nicht alle, Kleines. Drum wäscht seit Jahren über seine Casinos Geld. Er lässt zum Beispiel seine Geschäftspartner hohe Gewinne einstreichen und rechnet die Verluste über die Versicherung ab. So wie es auch für heute Nacht geplant ist.«
Denise hob ihr Glas an den Mund und trank es mit zwei großen Schlucken leer. Ihr Magen war zu einem Klumpen Eis mutiert, und trotzdem spürte sie Hitze in ihren Wangen. »Und ihr habt ihn verpfiffen?«
»Wir haben nur dafür gesorgt, dass die Cops mitbekommen, was ihnen bis jetzt entgangen ist.« Tom grinste arrogant und griff nach der Champagnerflasche, um sich erneut nachzuschenken. »Der Fettsack und seine Familie müssen lernen, dass man nicht ewig davonkommt.«
»Das ist der Plan?«, hakte sie nach. »Du streifst den Gewinn ein, und er geht ins Gefängnis?«
»Natürlich nicht«, schnaubte er spöttisch. »Der geht nirgendwo mehr hin.« Er zwinkerte Joe zu und der brach in ein gemeines Lachen aus.
»Ich glaube, ich nehme noch Champagner.« Denise reichte Tom ihr Glas und begegnete erstaunt seinem starren Blick.
»Du hast genug! Schließlich haben wir noch zu arbeiten«, fuhr er sie an, und sie wich erschrocken zurück.
»Süße?« Mike nahm ihr das Glas aus der Hand. »Du willst uns doch helfen, dass Salvatore zu seinem Recht kommt, oder?«
»Natürlich.« Unsicher drehte sie den Kopf wieder nach rechts, starrte aus dem Wagenfenster, spähte jedoch aus dem Augenwinkel zu Tom hinüber. Er beachtete sie nicht, zog nur gelangweilt an seiner Zigarre. Der Eisbrocken in ihrem Magen rotierte.
Plötzlich ließ er den Blick über die anderen gleiten, sie aussparend. »Okay, nachdem jetzt alle im Bilde sind, sollten wir uns auf den Job konzentrieren. Es ist überaus wichtig für meinen Vater, dass heute alles klappt. Und ich wünsche keine Fehler. Ist das klar?« Zuletzt sah er sie doch an, die Augen kalt und leer, nur sein Mund lächelte. »Du bist noch neu im Geschäft, Baby. Also halte dich an das, was ich dir gesagt habe, dann wird schon alles gutgehen.« Da er sich wieder wegdrehte, konnte sie sein Gesicht nicht mehr sehen. Aber sie sah das von Joe, seine Reaktion auf Toms Worte – ein dreckiges Grinsen.
Leise seufzend sank sie zurück in den Sitz. Toms Gehabe verunsicherte sie doch intensiver, als sie gedacht hatte. Er klang und benahm sich wie an dem Tag im Restaurant, aber obwohl er sie vorgewarnt, sie eindringlich darauf vorbereitet hatte, dass er in diese Rolle schlüpfen würde, spürte sie eine gewisse Abneigung in sich aufsteigen. Natürlich hatte sie ihn in den letzten Tagen des Öfteren in dieser Stimmung erlebt, aber stets nur kurz. Zwischendurch hatte er immer wieder eine Möglichkeit gefunden, sie mit einem Lächeln oder Augenzwinkern zu beruhigen. Das würde heute nicht passieren. Er würde über Stunden so bleiben, und sie hatte Angst, dass ihr Versprechen an ihn zu voreilig gewesen war. Was, wenn diese Nacht doch Spuren hinterlassen würde?
Sie verdrängte diese Gedanken und reckte ihr Kinn nach vorn. Das war ein Spiel, ein Job! Sie würden das erledigen und danach würden sie frei sein!
Denise stieg mit Mike ein paar Straßen vorher aus, damit sie nicht zusammen mit Tom gesehen wurden. An der Treppe zum Eingang des Casinos eingetroffen, sahen sie daher nur noch, wie er einer Gruppe kichernder junger Damen durch das prächtige Portal folgte. Joe war nicht bei ihm, der würde später, nachdem er seine Verkleidung angelegt hatte, über den Personaleingang folgen. Mike legte fast liebevoll seinen Arm um Denises Mitte und zog sie langsam weiter. Ihr Herz klopfte wie wild und sie zog ihre Stola enger, um sich vor der eisigen Nachtluft zu schützen – genauso wie vor den Schauern der Angst, die sie in regelmäßigen Abständen zittern ließen. Was heute Vormittag, als Joe sie eingewiesen hatte, noch ein wenig nach einem Spiel geklungen hatte, war nun dabei, ernst zu werden.
Mike warf ihr immer wieder besorgte Blicke zu. »Alles okay?«, fragte er sie schließlich, kurz bevor sie die goldbeschlagene Eingangstür erreichten. »Bist du bereit?«
Sie nickte nervös, blies die Luft aus und lächelte.
»Braves Mädchen.« Er lächelte ebenfalls, die sonst meist ausdruckslose Miene für einen kleinen Augenblick weich und freundlich, dann verschwand der Anflug von Menschlichkeit und er fiel zurück in seine Starre. Irgendwie war sie froh, dass er an ihre Seite gestellt worden war, weil er von all den Männern Salvatores derjenige war, der zumindest ein wenig Sympathie in ihr weckte. Dennoch konnte er ihr kein wirkliches Gefühl der Sicherheit schenken – das hätte nur Tom gekonnt. Aber der würde den ganzen Abend zwar in ihrer Nähe sein, jedoch einen Fremden mimen.
Ihr Handtäschchen umklammernd, spielten ihre zitternden Finger mit den Strass-Steinen darauf, während Mike ihre Einladungen vorzeigte. Die Prüfung der beiden baumhohen Türsteher dauerte lange und steigerte ihre Nervosität noch mehr. Endlich wurden sie durchgewinkt und von einem rothaarigen Mädchen im knappen gelben Glitzerkleid zur Bar begleitet.
Denise ließ ihren Blick möglichst unauffällig durch den Saal gleiten. Schließlich erblickte sie Tom, umringt von einer Gruppe Frauen, deren Aufmerksamkeit gänzlich auf ihm lag. Sie kicherten, spielten nervös mit ihren Haaren, und einige von ihnen flirteten ihn so ungeniert an, dass es Denise übel aufstieß. Vor allem deshalb, weil er auf diese Avancen mit einem absolut hinreißenden Lächeln reagierte. Innerlich mit den Augen rollend seufzte sie. Sie liebte seine einnehmende Art und konnte nicht abstreiten, dass sie, gepaart mit der männlich-geheimnisvollen Aura, die ihm seine heutige Rolle verlieh, noch stärker war als sonst.
Mehrere Kellner mit Jacken aus dem gleichen lächerlichen gelben Glitzerstoff wie die Kleider der Barmädchen, liefen mit großen Tabletts mit Gläsern herum. Tom schnappte sich einen Whiskey und verwickelte eine der Blondinen, die mit ihm hineingekommen waren, in ein Gespräch. Sie himmelte ihn mit verklärtem Blick an, und ihre Freundinnen vergingen vor Neid, als Tom sich lächelnd näher zu ihr beugte und ihr etwas zuflüsterte.
Natürlich war Toms locker-leichte Fassade nur aufgesetzt, doch das merkte niemand. Innerlich hatte ihn die Anspannung jedoch fest im Griff. Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie sich Mike mit Denise am Arm einen Weg durch die Menge der Gäste bahnte; einige Männer wandten sich nach ihr um. Was kein Wunder war – sie sah wirklich umwerfend aus! Die Aufregung hatte ihre Wangen mit einem zarten Rot überzogen und ihre Augen glitzerten geheimnisvoll. Er belächelte höflich einen Witz, den sein Gegenüber eben schüchtern zum Besten gegeben hatte. Nebenbei stellte er sein Whiskeyglas auf dem Tablett eines vorbeieilenden Kellners ab und schnappte sich stattdessen ein Glas Champagner. Nun nippte er allerdings nur langsam daran. Er musste bei klarem Verstand bleiben. Denises Blick streifte ihn unauffällig, als sie an ihm vorbeischritt, doch er konnte eigentlich nur auf Mikes Hand starren, die wie selbstverständlich auf ihrem Rücken lag, knapp über ihrem Po Ansatz.
Er riss sich von dem Anblick los, als er bemerkte, wie sich mit einem Mal die drei riesigen Flügeltüren am Ende des Raumes öffneten. In der mittleren Tür stand Carlos Drum mit seiner Frau Vivienne und seinem Sohn Carlos junior, der jedoch allgemein nur Charly genannt wurde. Er war ähnlich hässlich wie sein Vater. Sein verschwitztes Haar klebte an seinem eher kleinen, runden Schädel fest und er war kaum größer, dafür noch breiter als sein Erzeuger. Tom hoffte nur, dass der Doc die Dosis für das Gift ordentlich berechnet hatte.
Mit gierigen Augen musterte der Junior die anwesenden Damen und fing letztendlich Denise ein. Tom sah, wie sein lüsterner Blick ihren Körper scannte, seine Zunge über seine spröden Lippen glitt. Träum weiter, du kleines Ekelpaket, dachte er, bevor er seine Hand an den unteren Rücken der Blondine legte, um sie näher an die Gastgeber heran zu lenken.
Carlos Drum umfasste seine Frau, eine hübsche, schlanke Brünette, bei deren Anblick sich Tom die Frage stellte, was sie – außer Macht und Geld – an diesen Mann fesselte. Eine kurze Begrüßungsrede folgte. Bis er zum Toast auf seinen Sohn kam, hatte es das Personal geschafft, dass sämtliche anwesende Gäste ein neues Glas Champagner in der Hand hielten. Diese wurden nun von allen zu Charlys Ehren erhoben. Tom entdeckte Joe, der sich bereits unter die Menge gemischt hatte. Natürlich hinter Bart und Perücke versteckt, immerhin war er Drum aus der Vergangenheit bekannt.
Applaus erklang, der nur langsam abebbte. Danach traten die Gastgeber zur Seite, worauf die Massen in die Spielhalle strömten. Tom und seine Begleitung folgten dem Strom, dabei sah er sich um und entspannte sich ein wenig. Am Tisch fünf bereitete Will eben die Karten und Chips vor – alles verlief nach Plan. Die Blondine schob ihren Arm in seinen und er lächelte sie kurz an. Er konnte sich beim besten Willen nicht an ihren Namen erinnern. »Ich bin an Tisch fünf und Sie, Thomas?«, säuselte sie, und es dauerte einen Augenblick, bis ihm klar wurde, dass sie mit ihm sprach. Stimmt, er hatte sich ihr als Thomas Miller vorgestellt, was fast schon komödiantisch war. Sein Deckname als Schutz vor seinem Vater war nun seine Tarnung für einen neuen Coup des Capo.
»Thomas?«, versuchte sie erneut, seine Aufmerksamkeit zu erregen, also wandte er sich ihr zu. »Ja?«
»Ich sagte, dass ich Tisch fünf zugeteilt bin.« Ihr Blick glitt zur Brusttasche seiner Jacke, in der seine Einladung steckte.
Seine Mundwinkel wanderten mechanisch hoch. »Das trifft sich ja großartig. Ich auch.«
Er führte sie weiter, während sie sich kichernd an seinen Arm klammerte. »Ich bin so aufgeregt. Wäre es nicht wunderbar, wenn wir es zusammen in die Endrunden schaffen würden?« Ihr säuselnder Tonfall war nervtötend, doch das zeigte er natürlich nicht. Stattdessen nickte er und neigte lächelnd den Kopf zu ihr hinunter. »Das wäre wirklich toll«, hauchte er, dabei streifte sein Atem gekonnt die Haut ihres Halses, ließ dort eine zarte Gänsehaut erblühen.
»Ach, Thomas«, seufzte sie, gleichzeitig überkam Tom ein seltsames Gefühl. Ein Blick nach rechts bestätigte seine Vermutung. Denise, die eben von Mike an Tisch sieben begleitet wurde, starrte mit schlecht kaschierter ärgerlicher Miene zu ihm hinüber. Angestrengt darum bemüht, nicht wegen ihrer Eifersucht zu schmunzeln, wich er von der Blondine zurück und rückte ihr stattdessen den Stuhl zurecht. Danach riskierte er einen Blick zu seiner Traumfrau, die ihm ein dankbares Lächeln schickte.
»Setzen Sie sich zu mir, Thomas?« Miss Blond war anscheinend nicht bereit, seine Aufmerksamkeit zu teilen, und mit dieser Kritik schien sie nicht allein dazustehen. Als Tom nämlich nun ebenfalls Platz nahm, entdeckte er, dass sich Joe zu ihnen an den Tisch gesellt hatte. Und seiner finsteren Miene nach hatte er den Blickaustausch zwischen Denise und ihm bemerkt.
Tom räusperte sich, fokussierte seine Rolle. Gelangweilt mit seinen Chips spielend, lauschte er der Begrüßung von Will, der sich ihnen als ihr heutiger Croupier vorstellte. Kurz darauf kam das Geburtstagskind an ihren Tisch und ließ sich mehr oder weniger elegant auf dem eigens für ihn vorbereiteten Ledersessel nieder. Er glich einem Thron, und genau das war anscheinend der Plan gewesen. Kaum hatte er seinen breiten Arsch erfolgreich hineingequetscht, wandte er sich lächelnd an Toms Tischnachbarin. »Irena. Es freut mich, dass du es geschafft hast.«
Danke, Fettsack, dachte Tom erleichtert und wiederholte den Namen in Gedanken, um ihn sich einzuprägen. Schließlich sollte sie das Gefühl haben, ihm wichtig zu sein – zumindest für heute Abend.
Irena gratulierte Drum und übernahm es auch gleich, Tom vorzustellen. Natürlich als Thomas Miller.
Tom murmelte ebenfalls einen Glückwunsch, bevor er Charlys Hand schüttelte. Er war froh, als er die verschwitzte Pranke wieder loslassen konnte. Seine Abscheu zauberte ein zufriedenes Lächeln auf sein Gesicht; dass er den Typ nicht mochte, machte die Sache um ein Vielfaches leichter.
Irena beugte sich zu Tom, und ihre rotgeschminkten Lippen berührten dabei fast seine Haut. »Ich wünsche Ihnen viel Glück, Thomas«, raunte sie ihm zu, und Tom fing einen weiteren eifersüchtigen Blick von Denise ein, den er dieses Mal aber geflissentlich ignorierte.
Und dann begann das Spiel.
Will machte seine Sache großartig. Tom gewann gerade so unregelmäßig, dass es nicht auffiel, und sich seine Chips doch mehrten. Es lief alles nach Plan, eine Stunde später waren Irena und fünf der anderen Mitspieler bereits ausgeschieden.
Die Männer waren nach ihrem Aus ärgerlich vom Tisch geflohen, hatten das Casino verlassen oder sich an die Bar zurückgezogen. Nur Irena war zu Toms Bedauern geblieben, um ihm als – wie sie es nannte – Glücksengel zu dienen. Seine Aufmerksamkeit ihr gegenüber, die eigentlich nur seine Rolle als reicher Playboy hätte stärken sollen, war anscheinend einen Hauch zu gut gespielt gewesen, denn sie machte keinerlei Anstalten, zu gehen. Ihre Finger spielten mit ihrem Haar und ihre Augen beobachteten jede seiner Bewegungen, was für die nächsten Minuten keineswegs hilfreich sein würde. Als weder seine Versuche, sie zu ignorieren, noch seine schwindende Freundlichkeit Erfolge brachten und auch Joe auf seine hilfesuchenden Blicke nicht reagierte, gab er auf und winkte einen der Kellner zu sich.
Kurz darauf wurde die von ihm georderte Runde Drinks serviert. Er gab Joe das vereinbarte Zeichen, und während der und Will das improvisierte Streitgespräch begannen, das sowohl Charlys als auch Irenas Aufmerksamkeit fesselte, ließ Tom die vorbereitete Kapsel in eines der Gläser fallen. Jenes Champagnerglas stellte er danach vor Drum auf den grünen Filz, der den Tisch zierte, bevor er die anderen verteilte.
Joe hatte inzwischen planmäßig die Diskussion beendet. Es folgte ein Trinkspruch auf das Geburtstagskind. Alle tranken, und als sie die Gläser wieder abgesetzt hatten, begann Irena, in ihrer Tasche zu kramen, was Tom nutzte, um Joe einen weiteren verzweifelten Blick zu senden. Der erwiderte ihn erst verständnislos, doch als Tom unauffällig auf die Blondine neben sich deutete, schien er endlich zu begreifen. Nach kurzem Überlegen entschuldigte er sich und verschwand.
Tom beschloss, die Unterbrechung zu nutzen, um noch einmal einen Toast auf das Geburtstagskind auszusprechen – es galt schließlich dafür zu sorgen, dass Charly seinen Drink gänzlich leerte. Ein Blick auf dessen Glas zeigte jedoch, dass diese Bemühung nicht nötig war – es war bereits leer! Drum Junior selbst schien schon leicht angeschlagen – verdammt, es wirkte schneller als gedacht!
»Miss Trane?« Einer der Kellner trat an ihren Tisch und Irena fuhr herum. »Ich würde Sie bitten, an der Bar zu warten. Die letzten Runden beginnen jetzt, und die Konzentration der Spieler sollte nicht gestört werden.«
Verwirrt blickte sie zuerst zu dem jungen Mann auf, danach zu Tom. »Dann muss ich wohl draußen auf Sie warten, Thomas«, flötete sie bedauernd, und er nickte ihr zu. »Ich kann es kaum erwarten, Sie wiederzusehen.«
Joe kehrte zurück, und Tom zwinkerte ihm zu, was dieser mit einem kurzen Nicken quittierte. Danach versuchte Tom, geduldig zu sein, während Irena umständlich ihre Sachen zusammenpackte. Er konnte jedoch nicht vermeiden, dass seine Finger ein nervöses Muster auf den Tisch trommelten. Erst ein Räuspern von Joe machte ihn darauf aufmerksam, und er stoppte es.
»Also, viel Glück«, hauchte ihm Irena noch zu, bevor sie letztendlich doch das Weite suchte.
Sowohl Joe als auch Tom sahen ihr ungeduldig hinterher. Als sie endlich außer Hörweite war, wandte sich Tom an Drum Junior. »Fühlen Sie sich nicht wohl, Charly? Sie sind ganz blass«, sagte er harmlos.
»Ich … mir ist wirklich etwas seltsam … mein Kopf …« Er räusperte sich, schloss kurz die Augen, dann rollte sein Kopf zur Seite und er sackte zusammen. Toms Blick glitt zwischen Joe und Will hin und her, und er nickte ihnen zu. »Es geht los!«
Will scannte prüfend den Raum und nickte danach ebenfalls. »Also los!«
Sofort erhoben sich Tom und Joe und traten hinter Charly. Sie stützten ihn gemeinsam, während sie ihn vom Sessel hochhievten.
»Achtung, Jungs. Er sieht her«, nuschelte Will, legte den Kartenstapel beiseite und setzte eine besorgte Miene auf.
Tom blickte skeptisch auf die Bürotür am gegenüberliegenden Ende des Saales, anschließend zurück auf Charly, der kraftlos wie ein nasser Sack an ihm hing. Joe zuckte kaum merklich mit den Schultern, doch Tom verstand. Sie griffen fester zu, zogen den schlaffen Körper höher, dann gingen sie langsam los. Bereits nach einigen Metern keuchten beide – der Drum-Kronprinz war deutlich schwerer, als Tom vermutet hatte. Etwa auf der Hälfte des Weges spürte er, wie der Fleischberg zwischen ihnen weiter an Spannung verlor und zu stöhnen begann. Also packte er noch härter zu, Joes Schnaufen im Ohr, gemischt mit einem leisen Fluchen. »Wie kann man nur so ein fettes Schwein sein?«
Tom wandte den Kopf nach hinten und sah, dass Carlos Drum den Raum mit großen Schritten und halb ärgerlicher, halb besorgter Miene durchquerte. »Er folgt uns«, drängte er. »Wir müssen uns beeilen.«
»Leichter gesagt als getan«, ächzte Joe, doch sie schafften es trotzdem, schneller zu werden.
Einige Gäste waren auf die Situation aufmerksam geworden. Ein stetiges Gemurmel erfüllte den Saal, während sich nach und nach Köpfe in Richtung der Gruppe drehten. Will unterrichtete unterdessen den Turnierleiter, und dieser gab, mit einem entschuldigenden Lächeln an die restlichen Spieler, eine kleine Pause bekannt.
Denise und Mike hatten ihren Aufbruch natürlich ebenfalls bemerkt. Mike deutete ihr mit einem beinahe unsichtbaren Kopfnicken an, dass ihr Auftritt nahte, also holte sie tief Luft und stand auf. Sein aufmunterndes Lächeln half ihr, sich zu straffen, bevor sie mit gemächlichem Tempo losging. Ihre rechte Hand grub sich in ihre Handtasche, und als sie den kühlen Lauf der Waffe darin spürte, fühlte sie sich eine Spur ruhiger. Sie dachte an das Schießtraining am Nachmittag mit Joe und lächelte ungläubig. Hätte ihr das jemand vor ein paar Wochen vorausgesagt, sie hätte ihn für verrückt erklärt.
Tom und Joe waren inzwischen mit ihrer Last im Büro angekommen und setzten das mittlerweile halb bewusstlose Geburtstagskind auf die braune Ledercouch. Sobald Tom sich wieder aufgerichtet hatte, vernahm er die schweren Schritte von Carlos Drum, der kurz darauf im Eingang erschien. »Was ist mit ihm?«, herrschte er ihn in gebieterischem Ton an und drängte sich in den Raum.
Tom grinste zu Joe hinüber, bevor er sich mit einem arroganten Lächeln im Gesicht an ihren Gastgeber wandte. »Nun, Mr. Drum. Ich denke, Ihrem Sohn geht es nicht besonders gut.«
Drum zuckte vor Tom zurück. Unglaube und – er war sich sicher – auch ein bisschen Angst spiegelten sich in seinem Blick. Joe trat an Carlos heran und schob ihn weiter zur Couch, während er hinter ihm die Tür schloss.
»Was zum Teufel …« Mit eisern ausdruckslos gehaltener Miene blickte Drum von einem zum anderen.
»Beruhigen Sie sich und hören Sie mir jetzt aufmerksam zu«, begann Tom mit sonorer Stimme. »Im Körper Ihres Sohnes befindet sich ein Gift, das ihn innerhalb der nächsten acht Stunden töten wird. Wir haben ein Gegengift, und dieses können Sie sich verdienen, indem Sie unsere Wünsche erfüllen, verstehen Sie?«
Drums Hand schob sich in seinen Anzug, und Toms Lächeln verwandelte sich in ein bösartiges Grinsen. »Wenn Sie versuchen, einen von uns anzugreifen oder zu töten, oder wenn sich unsere Mitarbeiter, die, wie ich sagen kann, reichhaltig über dieses Gebäude verteilt sind, in irgendeiner Weise bedroht oder verraten fühlen, erlischt das Angebot der Rettung Ihres Sohnes natürlich ohne vorherige Warnung.«
Drums Hand tauchte leer wieder aus den Tiefen seiner Jacke auf, Resignation grub sich in seine Züge.
Tom machte zufrieden auf seinem Absatz kehrt und ließ sich neben Charly auf die Couch fallen. Betont lässig legte er seinen Arm um ihn und Charlys Kopf fiel auf seine Schulter. »Lassen Sie sich nicht zu viel Zeit. Im Moment spürt er noch keine Schmerzen, aber in zwei Stunden geht’s dann richtig los.« Wie beiläufig tätschelte er Drum juniors Wange.
Auf Carlos’ Gesicht erblühten dunkelrote Nervenflecken, die unterdrückte Wut zeichnete eine tiefe Falte in seine Stirn. »Sie Schwein, was wollen Sie?«
»Was denken Sie denn, was ich will?« Tom lächelte süffisant. »Geld.«
»Was?« Drums Miene war fassungslos.
»Sie werden Mr. Landon zu verstehen geben, dass er Will, den Croupier von Tisch fünf, zum Spielleiter des Finales macht, und Sie werden als Geburtstagsüberraschung den Jackpot verzehnfachen. Ich meine, eine Million Pfund ist ein guter Preis für das Leben Ihres einzigen Sohnes.«
Drum blickte ihn hasserfüllt an. Man konnte förmlich sehen, wie er im Kopf seine Möglichkeiten durchging. »Wo ist dieses Gegenmittel? Ich will es sehen!«
Tom zeigte ihm ein überhebliches Grinsen und hob entschuldigend die Hände. »Ich bluffe nicht, Carlos, aber ich werde Ihnen doch nicht verraten, in welchem meiner Ärmel das Ass steckt.«
Er erhob sich und Drum junior rutschte, jetzt, da er ihn nicht mehr stützte, langsam tiefer, bis er seitlich auf der Couch lag.
Joe trat hinter den Senior. »Sie sollten sich schnell entscheiden, die Gäste werden schon unruhig.«
Carlos zögerte nur kurz, dann stieß er ein resignierendes, leises Schnaufen aus. »Okay. Ich mache mit, aber lassen Sie mich einen Arzt holen. Er kann sich um Charly kümmern, bis … alles erledigt ist.«
Sein Blick wurde flehend. Er bettelte richtig, und Toms Augen wandten sich ab, teils aus Abscheu, teils aus Mitleid. »Ihre Frau kann bei ihm bleiben, und eine unserer Mitarbeiterinnen wird auf die beiden aufpassen.« Er nickte in Joes Richtung, und dieser öffnete die Tür. Dort stand Will, der Vivienne Drum hereindrängte, welche wiederum von Denise verfolgt wurde, die ihre Waffe an Mrs. Drums Rücken drückte. Denises Wangen waren leicht gerötet, ansonsten wirkte sie vollkommen entspannt. Will machte kehrt und verschwand, Joe schloss wieder die Tür.
»Alles klar hier Jungs?« Denises Blick glitt über Tom zur Couch. Nicht einen Moment zuckte sie zusammen, als sie den bewusstlosen Körper liegen sah. Sie hatte sich absolut im Griff.
Sie ist ein Naturtalent, dachte Tom, dabei empfand er gleichzeitig Widerwille und Bewunderung.
Mrs. Drum lief zum Sofa und fiel neben ihrem Sohn auf die Knie. »Was ist mit ihm? Carlos, tu doch etwas.«
Ihr Mann seufzte. »Das mache ich gerade, Darling. Bleib du bei ihm und mach bitte nichts Unüberlegtes. Ich weiß, du neigst zu Heldentaten, aber die sind hier nicht angebracht. Es geht um unseren Sohn, also sei einfach für ihn da, okay?«
Sie nickte und strich mit der Hand über Charlys gerötetes Gesicht. Er atmete schwer, Schweißperlen standen auf seiner Stirn.
»Kann ich etwas tun, damit es ihm besser geht?« Mrs. Drum wandte sich an Tom, instinktiv spürte sie, dass er hier das Sagen hatte.
»Er wird schlafen, aber sollte er wach werden, sollten Sie ihm so viel Wasser wie möglich einflößen. Das Gift löst Fieber aus, dadurch verliert sein Körper viel Flüssigkeit.«
Sie nickte wieder und seufzte.
Tom ging zur Tür. »Okay – lasst uns weiterspielen.« Betont fröhlich klatschte er in die Hände und deutete den Männern an, zu gehen. Als er an Denise vorbeikam, streiften seine Fingerspitzen kurz ihre Hand, und er spürte ihren Seufzer mehr, als dass er ihn hörte. Es fiel ihm schwer, sie in dem Raum zurückzulassen, und es verwirrte ihn, sie mit der Waffe zu sehen, der Gesichtsausdruck so ernst und hart. Doch das durfte ihn nicht ablenken. Nicht jetzt!
Also konzentrierte er sich auf seine Aufgabe, während er gemeinsam mit Joe und Mr. Drum zu Mr. Landon ging. Der Spielleiter nahm die Befehle seines Bosses ohne Nachfrage und Murren entgegen, und fünf Minuten später versammelten sich wieder alle an ihren Tischen. Die letzte Runde der Qualifikation musste noch gespielt werden.
Im Büro kam Carlos Drum junior langsam wieder zu sich. Denise, die mit gezogener Waffe am Schreibtisch lehnte, deutete Mrs. Drum, die eben ein Tuch mit Wasser tränkte, um sie darauf aufmerksam zu machen. Schnell trat diese zu ihrem Sohn und breitete den feuchten Lappen über seine Stirn.
»Mum? Was ist passiert?« Er klang kraftlos, und Vivienne schloss in stummer Qual die Augen. »Es wird dir bald besser gehen. Dein Dad ist gerade dabei, alles in Ordnung zu bringen.«
Denise hörte die Tränen in ihrer Stimme und musste sich bemühen, sich ihre Zweifel nicht ansehen zu lassen. Klar war ihr bewusst, dass sich ein Mensch wie Carlos Drum nur dann einem fremden Willen beugte, wenn tatsächlich etwas auf dem Spiel stand. Also hatte Salvatore das Wichtigste ausgewählt – sein eigen Fleisch und Blut. Trotzdem war sie schockiert von der Brutalität dieses Plans, immerhin hatte Charly nichts mit den damaligen Geschehnissen zu tun. Die Ausmaße der Opferbereitschaft, die Salvatore bei der Ausübung seines Racheplans an den Tag legte, war milde gesagt erschreckend, und plötzlich war sie froh, dass sie nicht genau wusste, was Tom und die anderen noch alles vorhatten.
»Wie kommt es, dass sich so ein hübsches, junges Mädchen für so etwas hergibt?« Mrs. Drum hatte sich erhoben. Charlys Augen waren wieder geschlossen, sein Gesicht war entspannt. Er schlief – oder war bewusstlos – was auch immer.
»Ich habe keine Lust, mich mit Ihnen zu unterhalten.« Denises Stimme triefte vor Überheblichkeit.
»Wie Sie wünschen, es interessiert mich aber wirklich.« Vivienne Drum kam einen Schritt näher, worauf Denise den Lauf der Pistole ein Stück anhob. »Ich schlage vor, Sie kümmern sich um Ihren Sohn und halten den Mund.«
Vivienne lächelte selbstsicher. »Ich glaube Ihnen nicht, dass Sie so hart sind, wie Sie sich geben, meine Liebe. Sie sehen aus wie eine Elfe, nicht wie eine Hexe!«
Denise stieß sich von der Tischplatte ab und ging auf die Frau zu. Joe hatte sie heute Nachmittag auf genau so eine Situation vorbereitet. Du musst ihr von Anfang an zeigen, wer das Sagen hat, hatte er ihr erklärt. Das ist das Wichtigste!
Mrs. Drum hielt ihrem Blick jedoch selbstbewusst lächelnd stand. »Kommen Sie. Helfen Sie mir, meinem Sohn zu helfen. Ich schicke nach einem Arzt. Sie müssen den anderen ja nichts davon sagen. Ich habe Geld, gleich hier im Safe. Oder vielleicht gibt es sonst etwas, was ich für Sie tun kann?« Das Schmeicheln in ihrer Stimme passte nicht zu der aufmerksamen Miene, während sie das Zimmer scannte.
Denise wurde klar, dass, genauso wie sie, auch diese Frau gerade eine Rolle spielte, um ihr Ziel zu erreichen. Also überlegte sie nicht lange. Jetzt kam es darauf an, wer besser überzeugen konnte. Sie holte aus, und die Wucht ihres Schlages ließ Mrs. Drum schwanken. Geschockt duckte sie sich, hob die Arme über ihren Kopf und starrte irritiert zu ihr auf.
»Setz dich hin und halt die Klappe! Verstanden?«, fauchte Denise, dabei schrak sie innerlich vor ihrer eigenen Stimme zurück – sie klang knallhart und gefühllos.
Auch ihr Gegenüber schien nun höchst verunsichert. Schweigend ließ sie sich neben ihrem Sohn, der nun spannungslos auf dem Sofa lag, auf dem Boden nieder.
Denise stellte sich ebenfalls wieder an ihre ursprüngliche Position. Sie fühlte sich seltsam. Das Schweigen von Vivienne Drum erfüllte sie mit Triumph. Sie hatte es geschafft, dass sich diese Frau, die an der Seite eines der mächtigsten Männer Londons lebte, von ihr Befehle erteilen ließ. Gleichzeitig war sie geschockt, wie schnell sie zur Gewalt bereit gewesen war, nur um ihren Willen durchzusetzen. Sie verstand Tom nun ein Stück besser. Das hier konnte man nur überstehen, wenn man alle Gefühle ausschaltete. Also verschloss sie ihr Herz, ihr Mitgefühl und ihre Angst. Sofort entspannte sich ihr Körper, und ihr Blick wurde wieder ruhig und fest.
In der Spielhalle versammelten sich die Gewinner der Vorrunde am Finaltisch. Die Zuschauer hatten in einem Abstand von etwa vier Metern einen Kreis um den Tisch gebildet. Das Hauptlicht war gedimmt, nur einige Spots erhellten den grünen Filz des Spielfeldes.
Die Gesichter der fünf Spieler lagen im Halbdunkel. Joe befand sich unter den Schaulustigen, fast direkt hinter Tom, und er wirkte mehr als zufrieden. Will erledigte seinen Job ausgezeichnet, und auch Denise hatte ihn sehr positiv überrascht. Mike war bereits verschwunden, um sich umzuziehen, und Tommaso selbst saß hochkonzentriert auf seinem Platz. Eigentlich konnte nichts schief gehen.