Heartless - Elsie Silver - E-Book

Heartless E-Book

Elsie Silver

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Beschreibung

SIE KANN IHRE GEFÜHLE NICHT LEUGNEN, DOCH ER IST IHR BOSS

Willa ist sich sicher, dass sie für den grumpigsten Single Dad aller Zeiten arbeitet. Denn seit sie den Job als Kindermädchen für Cade Eaton angenommen hat, lässt dieser sie deutlich spüren, dass er von dem Arrangement eigentlich überhaupt nicht begeistert ist. Seit seine Ex ihn und seinen kleinen Sohn im Stich gelassen hat, geht der wortkarge Rancher den Frauen aus dem Weg und hat ganz sicher nicht vor, sich noch einmal das Herz brechen zu lassen. Doch die sonnige Willa schafft es immer wieder, hinter seine raue Fassade zu blicken, und schon bald beginnen seine Schutzmauern zu bröckeln ...

»Eine perfekte Liebesgeschichte, die mir von der ersten Seite an den Atem geraubt hat!« MAUREEN’S BOOKS

Band 2 der CHESTNUT SPRINGS-Reihe von TIKTOK-Sensation Elsie Silver

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Seitenzahl: 486

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Leser:innenhinweis

Widmung

Motto

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Epilog

Danksagung

Die Autorin

Die Bücher von Elsie Silver bei LYX

Impressum

Elsie Silver

Heartless

Roman

Ins Deutsche übertragen von Maike Hallmann

Zu diesem Buch

Willa Grant führt die erfolgreiche Bar ihres Bruders, doch als diese über den Sommer wegen Renovierungsarbeiten geschlossen wird, steht sie auf einmal auf der Straße. Da kommt ihr das Angebot, als Nanny auf der Wishing Well Ranch zu arbeiten, gerade recht. Sie verliebt sich auf den ersten Blick in den kleinen Luke, der sie mit seinem Charme um den Finger wickelt – ganz im Gegensatz zu seinem alleinerziehenden Vater. Zwar kann Willa nicht leugnen, dass sie Cade Eaton höllisch attraktiv findet, aber von Charme kann bei dem Rancher keine Rede sein. Er lässt kaum eine Situation verstreichen, in der er der jungen Frau nicht klarmacht, dass er eigentlich nicht will, dass sich jemand anders um seinen Sohn kümmert. Doch immer wieder gelingt es Willa, hinter die raue Fassade des Cowboys zu blicken, und sie sieht den Schmerz und die Einsamkeit, die die Trennung von seiner Frau hinterlassen haben. Langsam kommen sich die beiden näher, und die Luft zwischen ihnen knistert bei jedem Aufeinandertreffen und jedem Wortgefecht ein bisschen mehr. Und obwohl Cade sich geschworen hat, die Finger von Willa zu lassen, lässt ihn eine heiße Begegnung im Whirlpool alle Vorsicht vergessen …

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.

Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!

Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.

Euer LYX-Verlag

Für die unglaublichen Frauen, die mich so sehr unterstützt haben. Und für all die Frauen da draußen, die andere Frauen aufbauen, statt sie niederzumachen.

Gemeinsam sind wir stärker.

Sometimes good things fall apart so better things can fall together.

Marilyn Monroe

1

Cade

Lucy Reids Blick zuckt in meine Richtung, für meinen Geschmack ist er ein klein wenig zu angetan.

»Also, ich liebe es zu basteln. In meiner Freizeit mache ich viel Scrapbooking. Und ich stricke. Ich wette, Luke würde gern stricken lernen. Meinst du nicht auch, Cade?«

Ich muss fast darüber lachen, wie sie meinen Namen schnurrt. Außerdem würde ich gern sehen, wie jemand Luke dazu bringt, so lange still zu sitzen und mit zwei Stöckchen herumzuhantieren, bis er was auch immer fabriziert hat.

Sie lächelt Summer an, die Verlobte meines jüngeren Bruders, und fügt hinzu: »Wir brauchen doch alle irgendein Frauen-Hobby, nicht wahr?«

Ich höre meinen Vater Harvey leise lachen. Die Einstellung eines Kindermädchens für meinen Sohn hat sich zu einer Beschäftigung für die ganze Familie entwickelt.

Und zu einem wahren Albtraum.

Summers Lippen verziehen sich zu einem dünnen Lächeln. »Ja, natürlich.« Fast hätte ich ein Schnauben ausgestoßen. Summer versteht unter einem Frauen-Hobby, im Fitnessstudio schwere Gewichte aufzulegen, erwachsene Männer zu quälen und das Ganze Personal Training zu nennen.

Vielleicht hat Lucy das recht neue Studio noch nicht auf dem Schirm.

Vielleicht hat Lucy aber auch gerade eine bissige Spitze gegen meine zukünftige Schwägerin geschossen.

»In Ordnung.« Ich stehe auf. »Gut, danke. Wir melden uns dann bei dir.«

Lucy scheint ein wenig erstaunt über das abrupte Ende des Gesprächs, aber ich habe alles gehört und gesehen, was ich hören und sehen musste. Und Behutsamkeit zählt nicht zu meinen Stärken. Ich bin eher der Typ, der das Pflaster möglichst schnell abreißt.

Ich drehe mich auf dem Absatz um, senke das Kinn und gehe raus, bevor allzu offensichtlich wird, dass ich ihre ausgestreckte Hand gesehen habe, sie aber nicht schütteln will. Ich stapfe in die Küche, stütze mich mit beiden Händen auf die Arbeitsplatte und lasse den Blick durchs Fenster über die weite Landschaft schweifen. Über die Gipfel der Rockies, die hoch in den Himmel ragen.

Diese wilde und zerklüftete Gegend strotzt im Frühsommer nur so vor Farben – das Gras ist fast zu grün, der Himmel eine Spur zu blau und die Sonne so hell, dass alles ein wenig unscharf wird und man unwillkürlich die Augen zusammenkneift.

Ich werfe eine Handvoll Kaffeebohnen ins Mahlwerk, drücke auf den Deckel, sodass der vertraute Lärm durchs Haus schallt, und versuche, die Frage zu verdrängen, wie ich mich in den nächsten zwei Monaten um mein Kind kümmern soll. Sonst verfalle ich nur in Selbstvorwürfe. Ich habe ständig das Gefühl, dass ich mehr für ihn tun sollte. Mehr für ihn da sein müsste.

Diese Vorwürfe helfen niemandem.

Der Lärm hat den zusätzlichen Vorteil, dass er die höflichen Floskeln übertönt, die mein Vater und Summer an der Haustür mit Lucy austauschen.

Nicht mein Haus, nicht meine Verantwortung. Wir führen Vorstellungsgespräche mit potenziellen Kindermädchen im Haupthaus der Ranch, das mein Vater bewohnt, denn ich lasse ungern irgendwelche Leute in mein eigenes Haus. Vor allem nicht solche, die mich ansehen wie ihre Eintrittskarte, um sich ihren albernen Traum von einer glücklichen kleinen Familie zu erfüllen.

Harvey hingegen würde hier wohl am liebsten eine Frühstückspension betreiben und hätte einen Heidenspaß daran, sich um seine Gäste zu kümmern. Seit er verletzt wurde und die Ranch an mich übergeben hat, scheint er rund um die Uhr Kontakte zu knüpfen.

Ich sehe zu, wie der gemahlene Kaffee in den weißen Papierfilter der Kaffeemaschine rieselt, und fülle die Kanne am Spülbecken mit Wasser.

»Schon ein bisschen spät für eine Kanne Kaffee, meinst du nicht?« Harvey schlendert herein, gefolgt von Summer.

Er hat ja keine Ahnung. Ich bin bereits randvoll mit Kaffee und schon richtig zappelig. »Ich bereite ihn nur schon mal für dich vor, für morgen.«

Summer schnaubt, und mein Vater rollt mit den Augen. Sie wissen beide, dass ich Blödsinn rede.

»Du warst nicht sehr nett zu ihr, Cade«, stellt mein Vater fest, und jetzt bin ich an der Reihe, mit den Augen zu rollen. »Deinetwegen war dieses Gespräch ganz schön anstrengend.«

Ich verschränke die Arme vor der Brust und lehne mich gegen die Arbeitsplatte. »Ich bin nun mal nicht sehr nett. Und ich bin gern anstrengend, wenn es um das Wohl meines Kindes geht.«

Ich könnte schwören, dass die Lippen meines Vaters zucken, als er sich an den Tisch setzt und den im Stiefel steckenden Fuß aufs Knie legt. Summer steht einfach da, lehnt mit der Hüfte am Türrahmen und mustert mich. Das tut sie manchmal, und es macht mich nervös.

Sie ist klug. Ihr entgeht nichts. Ich kann förmlich hören, wie sich die Zahnräder in ihrem Kopf drehen, aber sie neigt nicht dazu, viel zu reden, und so weiß man oft nicht, was sie gerade denkt.

Ich mag sie und bin froh, dass mein jüngerer Bruder so schlau war, ihr einen Heiratsantrag zu machen.

»Du bist schon nett«, sagt sie nachdenklich, »auf deine eigene Art.«

Ich beiße die Zähne zusammen, um mir meine Belustigung nicht anmerken zu lassen.

Sie seufzt. »Hör zu, wir haben jetzt alle Bewerberinnen durch. Und dabei habe ich mir wirklich Mühe gegeben, vorher schon mal die auszusortieren, die weniger daran interessiert schienen, Zeit mit Luke zu verbringen, sondern eher mit … dir.«

»Und Junge, Junge, das waren einige.« Dad trommelt mit den Fingern auf den Tisch. »Wer hätte gedacht, dass sich Frauen freiwillig melden, um deine finsteren Blicke und deine schlechte Laune zu ertragen? So gut ist die Bezahlung nun auch wieder nicht.«

Ich werfe ihm einen dieser Blicke zu, bevor ich mich wieder Summer zuwende. »Du hast nicht gründlich genug aussortiert. Ich will jemanden, der null Interesse an mir hat. Ich hab absolut keine Lust auf irgendwelchen komplizierten Scheiß. Wie wäre es mit einer Frau, die glücklich verheiratet ist?«

»Glücklich verheiratete Frauen wollen nicht den Sommer in deinem Haus verbringen.«

Ich grunze. »Wie wäre es mit jemandem aus einer anderen Stadt? Jemandem, der unsere Familie nicht kennt? Gern jemand, der nicht mit einem meiner Brüder im Bett war.« Ich rümpfe die Nase. »Oder mit meinem Vater.«

Harvey gibt ein kurzes, ersticktes Lachen von sich. »Ich bin schon seit Jahrzehnten Single, mein Sohn. Kümmer dich um deine eigenen Angelegenheiten.«

Summer wendet sich errötend ab und blickt aus dem Fenster, aber ich sehe trotzdem, wie sie lächelt.

»Ich kann mich doch um Luke kümmern«, bietet Harvey an – nicht zum ersten Mal.

»Nein.«

»Warum nicht? Er ist mein Enkelsohn.«

»Exakt. Und ich will, dass eure Beziehung genau so bleibt, wie sie ist. Du hast wirklich schon genug geholfen. Dein Rücken, deine Knie – du musst dich schonen. Du kannst was mit ihm unternehmen, wann immer du willst, aber ich will nicht, dass du früh aufstehen und manchmal lange wach bleiben musst und dich abrackerst. Auf keinen Fall, ich werde dich nicht ausnutzen. Das ist mein letztes Wort.« Dann schaue ich wieder meine Schwägerin in spe an. »Summer, könntest du nicht doch die zwei Monate einspringen? Du wärst perfekt. Luke liebt dich. Du kannst mich nicht leiden. Und du wohnst sowieso schon auf der Ranch.«

Ich sehe, wie ihr Kiefer zuckt. Sie hat es langsam satt, dass ich sie darum bitte, aber ich will meinen Jungen eben nicht irgendwem anvertrauen.

Er ist sehr anstrengend. Man hat mit ihm wirklich alle Hände voll zu tun. Ich schaffe die Arbeit auf der Ranch nicht, wenn sich nicht den Sommer über jemand um ihn kümmert. Jemand, dem ich vertraue.

»Auf gar keinen Fall. Ich habe gerade ein Unternehmen gegründet, und in den Sommermonaten habe ich am meisten zu tun. Hör auf, mich das zu fragen, ich fühle mich immer ganz schlecht, wenn ich Nein sage. Weil ich dich und Luke liebe. Aber weißt du … wir haben langsam keine Lust mehr, ständig Bewerberinnen einzuladen, wenn wir keinen Schritt weiterkommen.«

»Okay, na schön«, murmele ich. »Ich gebe mich notfalls auch mit jemandem zufrieden, der genau so ist wie du.«

Nachdenklich legt sie den Kopf schief. »Ich hätte da vielleicht eine Idee.« Sie tippt sich mit einem Finger an die Lippen, und Harvey sieht sie fragend an.

Er sieht so verdammt hoffnungsvoll aus. Wenn ich es schon leid bin, ein Kindermädchen für den Sommer zu suchen, dann muss Harvey davon inzwischen völlig erschöpft sein.

Mit gerunzelter Stirn mustere ich sie. »Wer?«

»Du kennst sie nicht.«

»Hat sie Erfahrung?«

Summer blickt mich mit großen dunklen Augen an, die nichts verraten. »Sie hat jede Menge Erfahrung im Umgang mit rüpelhaften Jungs, ja.«

»Wird sie sich in mich verlieben?«

Summer schnaubt auf höchst undamenhafte Weise. »Nein.«

Ihre Gewissheit sollte mich eigentlich beleidigen, aber ich ignoriere es. »Perfekt, dann mach du mal«, sage ich und steuere auf die Hintertür zu. Ich habe genug von dem Chaos, das die Suche nach einem fähigen Kindermädchen für einen fünfjährigen Jungen mit sich bringt. Ich brauche doch nur jemanden, der für den Sommer einspringt und dann wieder weggeht, professionell und ohne Komplikationen.

Es sind nur zwei Monate. Das sollte nicht so schwer sein.

Ich überlege, wann ich zum letzten Mal Sex hatte.

Ist es zwei Jahre her? Drei? War es in jenem Januar, als ich eine Nacht in der Stadt verbracht habe? Wie lange ist das überhaupt her? Wie hieß sie noch mal?

Die Frau vor mir in der Schlange bewegt sich, die Röhrenjeans umschließt ihren runden Hintern so eng, dass es verboten gehört. Die Falte zwischen Po und Oberschenkeln ist fast ebenso verführerisch wie das kupferfarbene Haar, das weich über ihren schlanken Rücken fällt.

Sie lenkt mich wirklich sehr ab, auch mit ihrem engen Oberteil, das sie in die Jeans gesteckt hat, als wollte sie jede verdammte Kurve zur Schau stellen. Sie ist der Anlass für meine Überlegungen.

Ich weiß wirklich nicht mehr, wann das letzte Mal war. Offenbar ist es so lange her, dass ich mich nicht daran erinnern kann. Aber die Gründe dafür, dass ich mich nicht mehr auf diese Weise mit dem anderen Geschlecht befasse, die sind mir allgegenwärtig.

Ich ziehe allein ein Kind groß. Führe allein eine Ranch. Verantwortung ohne Ende und viel zu wenig Zeit. Nie genug Schlaf.

Zeit für mich selbst kenne ich schon lange nicht mehr. Mir war nur nicht klar, wie lange es her ist.

»Was darf ich Ihnen bringen, Ma’am?«

Die Frau vor mir lacht, der Klang erinnert mich an das Glockenspiel auf meiner hinteren Veranda, wenn der Wind es zum Tanzen bringt – melodisch und heiter.

Was für ein Lachen.

Wenn ich es schon mal gehört hätte, würde ich es wiedererkennen. Ich habe diese Frau definitiv noch nie zuvor getroffen. Ich würde mich daran erinnern, weil ich jeden in Chestnut Springs kenne.

»Ma’am? Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, so genannt zu werden«, sagt sie, und ich höre das Lächeln in ihrer Stimme. Ich frage mich, wie dieses Lächeln auf ihren Lippen aussieht.

Ellen, die Inhaberin des kleinen Gourmet-Cafés Le Pamplemousse in unserem Städtchen, schaut sie freundlich an. »Nun, wie soll ich Sie denn sonst nennen? Normalerweise kenne ich jedes Gesicht hier, aber Sie habe ich noch nie gesehen.«

Ah, also stammt sie wirklich nicht von hier. Ich beuge mich ein wenig vor, in der Hoffnung, ihren Namen zu hören, aber ein Mitarbeiter wählt genau diesen Moment, um Kaffee zu mahlen. Ich knirsche mit den Zähnen.

Keine Ahnung, warum ich den Namen dieser Frau wissen will. Es ist einfach so. Ich komme aus einer Kleinstadt, da darf man neugierig sein.

Die Kaffeemaschine hört auf zu lärmen, und Ellen lächelt. »Was für ein schöner Name.«

»Danke«, sagt die Frau. »Wie kommt es, dass dieses Café Grapefruit heißt?«

Ellen grinst belustigt. »Ich habe meinem Mann gesagt, ich will einen ausgefallenen, schicken Namen. Etwas Französisches. Er sagte, das Einzige, was er auf Französisch sagen könne, sei le pamplemousse. Das hat mir gefallen, und jetzt ist es ein kleiner Scherz zwischen uns.« Ihr Blick wird zärtlich bei der Erwähnung ihres Mannes, und ich verspüre einen Stich von Neid in der Brust, gefolgt von leichter Verärgerung.

Ich habe mich nur deshalb noch nicht über ihr nicht endendes Geplauder beschwert, weil ich damit beschäftigt bin, den Ständer niederzukämpfen, den mir das Lachen dieser Frau beschert hat. Unter normalen Umständen würde es mich echt ankotzen, so lange auf meinen Kaffee zu warten. Ich habe meinem Dad gesagt, dass ich gleich wieder zurück bin, und zwar genau – ich blicke auf die Uhr – genau jetzt. Ich muss los, um mich mit Summer und der Frau zu treffen, die hoffentlich Lukes Kindermädchen sein wird.

Aber meine Gedanken schweifen auf eine Weise ab, wie ich es mir seit Jahren nicht mehr erlaubt habe. Vielleicht sollte ich es einfach genießen. Vielleicht ist es okay, das einfach mal zuzulassen.

»Ich nehme einen Medium, extra heiß, ohne Schaum, nur die halbe Menge Zucker …«

Ich neige den Kopf, damit die Krempe meines schwarzen Huts mein Augenrollen verbirgt. Natürlich muss diese Fremde mit dem heißen Körper eine ärgerlich lange und komplizierte Getränkebestellung aufgeben.

»Das macht drei Dollar und fünfundsiebzig Cent«, sagt Ellen und blickt auf den Touchscreen der Kasse, während die Frau in ihrer übergroßen Handtasche herumkramt, offensichtlich auf der Suche nach ihrem Portemonnaie.

»Ach, Scheiße«, murmelt sie, und aus dem Augenwinkel sehe ich, wie etwas aus ihrer Handtasche auf den polierten Betonboden neben ihre Füße, die in Sandalen stecken, fällt.

Ohne darüber nachzudenken, gehe ich in die Hocke und hebe das kleine schwarze Stück Stoff auf. Sie dreht sich zu mir um.

»Bitte sehr«, sage ich, und meine Stimme ist ganz rau vor Nervosität. Mit fremden Frauen zu reden ist nicht gerade eine meiner Stärken.

Darin, Frauen blöd anzustarren, bin ich hingegen Profi.

»Oh mein Gott«, sagt sie.

Ich starre ihr Gesicht an. Meine Füße scheinen Wurzeln im Boden zu schlagen, und meine Lunge quittiert für einen Moment den Dienst. Ihr Lachen passt überhaupt nicht zu einem Gesicht wie diesem. Katzenhafte Augen, bogenförmige Brauen und milchweiße Haut.

Sie ist umwerfend.

Und ihre Wangen sind feuerrot.

»Es tut mir so leid«, keucht sie und presst eine Hand auf die üppigen rosigen Lippen.

»Kein Problem, alles gut«, sage ich, aber ich habe immer noch das Gefühl, dass alles in Zeitlupe abläuft. Es fällt mir schwer, mich zu fangen, ich bin immer noch zu sehr auf ihr Gesicht fixiert.

Und, gottverdammt noch mal …

Ihre Brüste.

Ich bin bekanntermaßen ein gruseliger alter Typ. Mein Blick wandert zu meiner Faust hinunter, zu dem weichen Stoff, der zwischen den Fingern hervorlugt.

Sie stöhnt, als ich die Finger öffne, und dann sehe ich, weshalb die Höflichkeit, mit der ich wie ein echter Gentleman etwas für sie aufgehoben habe, sie so entsetzt.

Es ist ein Höschen.

Ich starre den schwarzen Stofffetzen in meiner Hand an, und es ist, als würde alles ringsum verschwimmen. Mein Blick zuckt vom Höschen zu ihren Augen. Sie sind riesengroß und grün. So viele Schattierungen von Grün. Ein Mosaik.

Ich bin jemand, der nicht oft lächelt, aber jetzt zucken meine Mundwinkel. »Sie, äh, haben Ihr Höschen fallen lassen, Ma’am.«

Ein ersticktes Kichern entweicht ihr, und ihr Blick wandert zu meiner Hand und dann wieder zu meinem Gesicht. »Wow. Das ist peinlich. Ich bin echt …«

»Ihr Kaffee ist fertig, Schätzchen!«, ruft Ellen.

Anstelle des Unbehagens tritt Erleichterung in das Gesicht der Rothaarigen. »Danke!«, ruft sie ein wenig zu fröhlich, bevor sie einen Fünfer auf den Tresen wirft und sich den Pappbecher schnappt. Ohne sich noch einmal umzusehen, macht sie sich auf den Weg zur Tür. Als könnte sie nicht schnell genug wegkommen. »Der Rest ist für Sie! Auf Wiedersehen!«

Ich schwöre, dass ich sie leise kichern höre, während sie an mir vorbeiläuft und meinem Blick ausweicht. Und wenn ich mich nicht sehr irre, murmelt sie etwas von einer guten Geschichte, die sie eines Tages ihren Kindern erzählen könne.

Ich frage mich kurz, was für Geschichten diese Frau ihren zukünftigen Kindern wohl sonst noch so zu erzählen gedenkt, dann rufe ich ihr hinterher: »Sie haben Ihr …« Ich verstumme, denn ich will diesen Satz nicht in einem Café voller Menschen vollenden, denen ich fast täglich begegne.

Schon beim Ausgang, dreht sie sich noch mal um und drückt mit dem Rücken die Tür auf, sieht mir kurz geradewegs ins Gesicht, und ich sehe kaum zu bändigende Belustigung in ihren Augen funkeln. »Wer es findet, darf es behalten«, sagt sie mit einem Schulterzucken. Dann lacht sie, warm und aus vollem Herzen, und tritt auf die Straße hinaus. Ihr Haar gleißt in der Sonne auf wie eine Stichflamme, und sie lässt die Hüften schwingen, als gehöre ihr die Stadt.

Fassungslos starre ich ihr hinterher.

Und als ich endlich wieder auf meine Hand hinunterblicke, wird mir klar, dass sie längst weg ist. Ich habe keine Ahnung, wie sie heißt, und ich stehe immer noch hier …

… und halte ihr Höschen in der Hand.

2

Willa

»Wer war er?« Summer hat Mühe, ihr Lachen zu unterdrücken.

»Keinen blassen Schimmer.« Ich denke daran, wie mein schwarzes Höschen auf den Boden gefallen ist und sich die Demütigung zusehends in hysterische Belustigung verwandelt hat. So etwas passiert echt nur mir.

Meine beste Freundin schnappt nach Luft und beugt sich auf der Verandaschaukel nach vorn. »Und du hast es ihm nicht abgenommen?«

Ich grinse und trinke einen Schluck Bier. »Nein. Er sah so … ich weiß nicht, irgendwie perplex aus. Nicht angewidert, aber auch nicht so, als ob es ihm auf perverse Art gefällt. Es war irgendwie bezaubernd. Ich fühle mich, als hätte ich einen Hauselfen befreit oder so.«

»Hatte er etwa Ähnlichkeit mit Dobby?«

Ich stöhne und hebe die Brauen. »Wenn Dobby heiß wäre.«

»Willa, das ist widerlich«, japst sie. »Bitte sag mir, dass dein Höschen gewaschen war.«

»Natürlich. Das ist mein Notfallhöschen. Du weißt ja, dass ich nicht gern Unterwäsche trage. Aber ab und zu verspüre ich doch das Bedürfnis, weißt du?«

Summer sieht mich streng an. »Ich habe dieses Bedürfnis jeden Tag.«

»Das Bedürfnis nach was Unbequemem? Nein, danke. Das Leben ist zu kurz. BHs und Höschen sind völlig überbewertet. Außerdem kann ich jetzt nachts wach im Bett liegen und mich fragen, was er damit wohl anstellt.«

Summer lacht nur. »Er hat es wahrscheinlich weggeworfen, so wie es jeder vernünftige Mensch tun würde.« Sie ist so glücklich, seit sie das Stadtleben und ihre Familie mit all den Spannungen hinter sich gelassen hat. Sie hat einen Bullenreiter kennengelernt und ist mit ihm in den Sonnenuntergang geritten, und jetzt ist sie hier. Meine sommersprossige beste Freundin. Mit einem strahlenden Lächeln kuschelt sie sich auf die breite Schaukel auf der Veranda dieser wunderschönen Ranch mit grandiosem Blick auf die Rocky Mountains.

Nie war sie schöner.

Ich ärgere sie gern damit, dass sie jetzt mitten im verdammten Nirgendwo wohnt, aber ehrlich gesagt ist die Gegend rings um Chestnut Springs atemberaubend. Die Prärie ist beinahe absurd flach, und im Hintergrund erheben sich dunkle, zerklüftete Berge, die fast wirken wie eine Flutwelle, die direkt auf den Betrachter zurollt.

In der Stadt sehe ich auch Berge, aber nicht auf diese Weise. Nicht so, als müsse man nur die Hand ausstrecken, um sie zu berühren.

»Was hast du denn jetzt in den nächsten Monaten vor?«

Ich seufze. Ich habe keine Ahnung. Aber ich will auch nicht, dass Summer sich Sorgen um mich macht. Das tut sie immer – sie macht sich Sorgen und versucht, alles für mich zu regeln, während ich mich lieber einfach treiben lassen möchte.

»Vielleicht kann ich eine Weile bei dir und Rhett wohnen?«, sage ich beiläufig und sehe mich um. »Das Haus ist so schön, und jetzt ist es ja endlich fertig. Du hättest doch nichts dagegen, oder?«

Sie schürzt die Lippen, als würde sie ernsthaft darüber nachdenken. Gottverdammt, diese Frau hat ein Herz aus Gold.

»Sum, das war ein Scherz. Das würde ich euch niemals antun.« Ich stoße einen tiefen Seufzer aus und lasse den Blick über die Prärie schweifen. »Ich weiß es noch nicht. Als Ford mir sagte, er würde die Bar während der Renovierungsarbeiten schließen, war ich im ersten Moment begeistert. Ich dachte, ich würde den Sommer damit verbringen, von einem Reitturnier zum nächsten zu reisen und meine gesamten Ersparnisse zu verprassen. Einfach einen Sommer lang nicht darüber nachdenken, was ich mit meinem Leben anfangen will, nur eine Fünfundzwanzigjährige sein, die außer dem Geld von ihrer Familie nichts hat.«

Summer will mich zum Schweigen bringen. Sie mag es nicht, wenn ich zu hart mit mir ins Gericht gehe, weil ich die Bar meines supererfolgreichen Bruders manage. Oder weil ich mit meinen supererfolgreichen Eltern in den Urlaub fahre, um mal rauszukommen. Und weil ich ohne Ziel durchs Leben stolpere, als Einzige in meiner Familie, die aus lauter Strebern besteht.

Ich tu so, als würde ich ihren Protest nicht bemerken. »Aber natürlich musste mein Pferd all meine Pläne torpedieren und sich genau zu Beginn der Turniersaison verletzen. Und jetzt verbringe ich den Sommer damit, Tux nach seiner Operation mit Karotten zu füttern und ihn zwanghaft zu bürsten.«

Meine beste Freundin schaut mich stumm an. Ich würde so gern ihre Gedanken lesen. Ich weiß genau, dass hinter ihrer Stirn gerade eine Menge vor sich geht.

»Ich komme schon klar. First-World-Problems. Ich besuche dich einfach oft, du kannst mich in deinem Fitnessstudio fertigmachen, und ab und zu schleppe ich mal einen Hockeyspieler oder Bullenreiter ab. Win-win-win.«

»Na ja …« Mit dem Zeigefinger tippt sie sich gegen die Oberlippe. »Was, wenn …«

»Oh nein. Mach es auf keinen Fall zu deiner Aufgabe, mein Leben zu regeln. Du leidest unter dem Helfersyndrom, weißt du das eigentlich?«

»Willa, jetzt sei mal still und hör mir zu.«

Ich lehne mich mit dem Hintern ans Verandageländer, sehe sie an und greife nach meiner Bierflasche, die nass ist vor Kondenswasser. Das Bier ist nicht mehr wirklich kalt. Obwohl wir erst Juni haben, ist es schon sehr heiß. Es war ein Fehler, eine Jeans anzuziehen.

Ich trinke einen großen Schluck, lockere die Schultern und wappne mich für ihre Standpauke.

»Was wäre, wenn es eine Möglichkeit gäbe, dass du den Sommer über hier draußen wohnst, aber nicht bei Rhett und mir?«

Das kommt unerwartet.

»Ich will nicht in deinem Garten zelten. Ich bin nicht dafür gemacht, im Freien zu schlafen. Keine Ahnung, wie sich mein weiteres Leben gestaltet, aber ich verspreche dir, dass darin keine Luftmatratzen und Schlafsäcke vorkommen.«

Sie verdreht die Augen. »Rhetts älterer Bruder braucht in den Schulferien Hilfe, jemanden, der seinen Sohn betreut. Die Frau, die sich bisher um ihn gekümmert hat, schafft es nicht mehr. Er ist fünf.«

Ich starre meine Freundin an, die Bierflasche baumelt vergessen in meiner Hand. »Du willst, dass ich mich um ein Kind kümmere?«

»Ja. Du bist lustig. Und voller Tatendrang. Und du wirst mit einer Bar voller betrunkener Typen fertig, da kommst du mit einem kleinen Jungen ganz bestimmt gut klar. Du sagst doch immer, du magst Kinder.«

Ich denke kurz darüber nach. Mein erster Impuls ist es, Nein zu sagen, aber ehrlich gesagt graut es mir vor diesen Monaten ohne Arbeit, ohne Turniere und ohne meine beste Freundin. Und ja, ich habe Kinder immer gemocht … vielleicht weil ich mich manchmal immer noch selbst wie eins fühle.

»Und wo würde ich wohnen?«

Ihre Augen weiten sich ein wenig, und sie schluckt. »Bei seinem Bruder Cade. Er leitet die Ranch. Morgens ist er früh unterwegs, und wenn irgendwas schiefläuft, wird es abends oft spät. Aber er hat inzwischen eine gute Crew, die ihn sehr entlastet. Sein Vater hilft ihm auch gern und betreut Luke, nur schafft er eben keinen Zwölf-Stunden-Tag mehr. Aber ich bin sicher, dass er oft für dich einspringen würde.«

»Du siehst irgendwie nervös aus. Ist das der Arschloch-Bruder oder der lustige, heiße Superhelden-Bruder?« Ich habe fast ein schlechtes Gewissen, weil ich Summer so selten besuche. Wir treffen uns oft einfach in der Stadt, und ich spare mir die zwanzig Minuten Fahrt zur Wishing Well Ranch. Ich hätte längst mal die Mitglieder ihrer neuen zukünftigen Familie kennenlernen sollen, habe es aber bisher versäumt.

»Der Arschloch-Bruder.«

»Natürlich.« Ich trinke einen Schluck Bier.

»Aber du wirst ihn nicht oft zu Gesicht bekommen!«, versichert sie mir eilig. »Er will ausdrücklich niemanden, der, äh … ihm in die Quere kommt. Außerdem sind Rhett und ich gleich nebenan. Das wird bestimmt toll.«

Wenn sie es so formuliert, klingt es wirklich cool. Besser jedenfalls als die Aussicht, die schönsten Monate des Jahres allein in der Stadt zu verbringen.

»Können wir dann Brunch mit Alkohol machen?« Als wir noch beide in der Stadt lebten, haben wir immer mit Alkohol gebruncht, und ich will das wiederhaben.

Ihre Mundwinkel zucken. »Ja.«

Ich kippe den Rest Bier runter und weiß bereits, wie meine Antwort lauten wird. Ich habe mich mein ganzes Leben lang treiben lassen. Chancen tauchen auf, ich ergreife sie. Das hier fühlt sich sehr vertraut an.

Und wer bin ich, dass ich dazu Nein sage?

»Na dann, was soll ich sagen? Ich bin dabei.«

Wir fahren über das Gelände der Ranch und halten vor einem malerischen roten Haus mit weißen Zierleisten. Niedrige Hecken säumen den Hof, und hinter einem weißen Tor führt ein Weg zur Haustür.

Ich bin sofort entzückt.

»Hier dürfte ich dann wohnen?«, frage ich, als wir aus dem Geländewagen steigen, und kann meinen Blick nicht von dem perfekt gepflegten Haus losreißen.

»Ja.« Summer bekommt gar nicht mit, wie hingerissen ich bin. »Seine Arbeitszeiten sind alles andere als regelmäßig, weshalb es so am besten wäre. Bisher haben sein Vater und Mrs Hill bei der Betreuung viel geholfen, aber für die beiden ist es inzwischen einfach zu viel, morgens um halb fünf aufzustehen und hier rüberzukommen, und Cade bittet sie auch nicht gern darum. Aber wenn du hier wohnst, kannst du einfach weiterschlafen. Es geht ja nur darum, dass Luke nicht allein zu Hause ist.« Summer schlendert zur Haustür, und ich trotte hinterher und frage mich, worauf ich mich da eigentlich eingelassen habe.

Ich weiß einen Scheißdreck darüber, wie man sich um Kinder kümmert.

Oder über Erziehung.

Oder Viehzucht.

Ich werde langsamer, der Abstand zwischen uns vergrößert sich, aber Summer bemerkt es nicht. Sie geht in ihren Flipflops und der abgeschnittenen Jeans die Verandastufen hinauf und betätigt energisch den Türklopfer.

»Hey, Summer …«, fange ich an und strecke eine Hand aus, als könnte ich sie noch aufhalten. Ich finde, wir sollten die Angelegenheit erst mal gründlicher besprechen. Ein paar Details klären.

Vielleicht hat mich meine Impulsivität ausnahmsweise mal überrumpelt. Es kommt mir vor, als hätte sie es eilig. Als könne sie es nicht abwarten, die Sache unter Dach und Fach zu bringen. Ich hingegen habe Fragen.

So viele Fragen.

Aber dann schwingt die Tür auf, und alle Fragen lösen sich in Luft auf. Mit offenem Mund stehe ich mitten auf dem Weg und starre den Mann aus dem Café an.

Den Mann, den ich mit meinem Höschen in der Hand habe stehen lassen.

Und was für ein Mann das ist. Dunkles Haar und noch dunklere Augen unter einer gefurchten Stirn, breite Schultern, Bartstoppeln um die geschwungenen Lippen … und ein finsterer Blick.

Er sieht mich an, und die Knöchel der Hand, die er um den Türrahmen geschlossen hat, werden weiß.

»Cade!« Summer scheint nicht zu bemerken, mit welch einem Todesblick er mich mustert. »Das ist Willa, meine beste Freundin. Dein neues Kindermädchen.«

»Nein«, entgegnet er nur knapp.

»Was meinst du mit Nein?«

»Damit meine ich, nur über meine Leiche.« Seine Stimme trieft vor Verachtung.

Sie neigt verwirrt den Kopf, und ich beeile mich, zu ihr aufzuschließen. Wenn er glaubt, dass ich ihm erlaube, so mit meiner besten Freundin zu reden, hat er sich geschnitten. Wir halten zusammen, seit wir Teenager waren. Summer hat für ein Leben schon mehr als genug Scheiße von Männern hinnehmen müssen, also soll dieser hier mal schön aufpassen.

»Cade, mach dich nicht lächerlich. Wir suchen jetzt schon seit Ewig–«

Er fällt ihr ins Wort. »Du machst dich lächer–«

Vor Wut bebend trete ich auf die Veranda. Außer mir hat niemand in meiner Familie rotes Haar, und ich habe keine Ahnung, ob zwischen meiner Haarfarbe und meinem hitzigen Temperament ein Zusammenhang besteht, aber ich bin für meinen furchtbaren Zorn berüchtigt.

Ich habe schon Kneipenschlägereien mit einem Baseballschläger beendet.

Und vielleicht wird man sich bald eine neue Geschichte erzählen, nämlich die, wie ich einem Rancher einen Tritt in die Eier verpasst habe.

Ich fuchtle mit der Hand vor seinem Gesicht herum, um ihn zum Schweigen zu bringen. »Überleg dir gut, was du als Nächstes sagst. Es ist mir egal, ob sie bald deine Schwägerin ist, niemand spricht in diesem Ton mit ihr!«

Er richtet die dunklen Augen auf mich, erst sieht er mir ins Gesicht, dann mustert er mich mit ausgesprochen abschätzigem Blick von Kopf bis Fuß. Schließlich kehren seine Augen zu meinem Gesicht zurück. Sie sind vollkommen ausdruckslos.

Als hätte er mich nach ausführlicher Begutachtung für völlig unzureichend befunden.

»Mir ist egal, ob du ihre beste Freundin bist oder nicht. Du riechst nach Bier, und ich habe dein Höschen in meiner Hosentasche. Du kümmerst dich nicht um meinen Sohn.«

Schöne Steilvorlage. Ich kneife die Augen zusammen, und meine Mundwinkel zucken. »Hebst du dir das Höschen etwa für später auf?« Ich zwinkere ihm zu und sehe, wie sich auf seinen perfekten Wangenknochen feuerrote Flecken bilden.

Summer stürzt auf mich zu, ihre Schokoladenaugen sind groß wie Untertassen. »Cade ist der Höschen-Typ?«

»Ich bin nicht der Höschen-Typ«, protestiert er, aber Summer und ich beachten ihn gar nicht.

»Ja. Und du hast gesagt, dass jeder vernünftige Mensch es weggeworfen hätte. Also wissen wir, was das bedeutet.«

Wir grinsen uns an wie zwei Verrückte. Und dann kichert Summer los, kann sich nicht bremsen, und kurz darauf steht sie vornübergebeugt da, die Hände auf den Knien, und bekommt kaum Luft vor Lachen.

»Verdammt noch mal.« Frustriert fährt sich der brummige Typ mit einer breiten Hand durchs Haar. »Ich bin nicht der Höschen-Typ.«

Mich schüttelt es ebenfalls vor Lachen, meine Augen tränen. »Was ist das bitte für ein unglaublicher Zufall?«

»So unglaublich ist das gar nicht. Es ist eine kleine Stadt«, sagt Cade, nicht annähernd so amüsiert wie wir.

Summer heult fast vor Lachen, richtet sich mühsam auf und wischt sich über die Augen. »Mach dir keine Sorgen, Cade. Das Höschen ist gewaschen.«

Seine Nasenflügel weiten sich, er schließt die Augen und atmet tief durch, wie um sich zu beruhigen.

»Der Höschen-Typ.« Kopfschüttelnd grinse ich ihn an. Kindermädchen hin oder her … Ich werde für den Rest meines Lebens mit diesem Mann zu tun haben, denn Summer wird seinen Bruder heiraten, also sollte ich mich ein bisschen darum bemühen, mit ihm auszukommen.

»Er ist kein Höschen-Typ! Er trägt Boxershorts!«, erklingt eine Kinderstimme aus dem Flur, und ein bezaubernder dunkelhaariger, blauäugiger kleiner Junge kommt auf die Veranda gehüpft. »Aber diese ganz engen«, stellt er klar, ohne zu wissen, dass das nichts besser macht.

»Tja«, sage ich zu ihm, als er sich unter den Arm seines Vaters schiebt. Große Augen betrachten mich voller Interesse. »Ist auch besser so, dann scheuert er sich nicht wund.«

»Wieso denn wund scheuern?«, fragt er neugierig.

Sein Vater hebt eine breite, gebräunte Hand und reibt sich die Stirn. »Luke.«

»Na, wenn man diese kleinen Wunden hat, weil irgendwas die Haut aufreibt«, erkläre ich.

Niemand, der bei meinen Eltern aufgewachsen ist, ist bei solchen Themen zimperlich. In meiner Familie nimmt man kein Blatt vor den Mund.

»Oh ja.« Er nickt altklug. »Ich hasse es, wenn das passiert.«

»Luke, geh in dein Zimmer.« Cades breite Gestalt hat sich seinem Sohn zugewandt, und ich kann nicht anders, als ihn bewundernd zu mustern. Die Stärke, die er ausstrahlt. Die Sehnen seiner Unterarme. Seinen Adamsapfel. Wie sanft seine Augen werden, wenn er seinen Sohn ansieht.

Vor allem Letzteres.

»Warum?« Dieser Junge lässt sich nicht im Geringsten von seinem Vater einschüchtern – die saphirblauen Augen weiten sich fast dramatisch, und er schiebt die Unterlippe ein wenig vor. »Ich will mit Summer und ihrer Freundin spielen gehen.«

Er ist hinreißend.

»Nein«, wehrt sein Vater ab, genau in dem Moment, als ich »Na klar« sage.

Cades Kopf ruckt zu mir herum, die Augenbrauen ziehen sich so streng zusammen, als hätte ich ihn persönlich beleidigt.

»Cade.« Summer stemmt die Hände in die Hüften. »Lass die beiden einfach ein bisschen Zeit miteinander verbringen. Vielleicht erlebst du ja eine angenehme Überraschung, und es läuft super.«

Ich sehe zwischen den beiden hin und her. Summer, klein und niedlich, und Cade, riesengroß und knurrig.

»Bitte, Dad, ja?«

Beim Klang von Lukes flehender Stimme wirkt er nicht mehr ganz so knurrig. Eher … resigniert. Oder müde? Er mustert mich. »Wie alt bist du?«

Ich richte mich auf, fest entschlossen, mich von seinem durchdringenden Blick nicht einschüchtern zu lassen. »Fünfundzwanzig.«

Sein Adamsapfel wippt. »Bist du vorbestraft?«

»Nicht wegen etwas Schlimmem«, antworte ich ehrlich. Ich wurde einmal mit Gras erwischt, vor der Legalisierung. Ich hatte eben Spaß als Teenager, soll er mich doch verachten.

»Mein Gott.« Er fährt sich wieder durchs kurz geschnittene Haar und schüttelt den Kopf.

»Bist du vorbestraft?« Ich verschränke die Arme vor der Brust und ziehe die Brauen hoch. Wenn das derjenige der Brüder ist, von dem Summer mir schon so einiges erzählt hat, ist er selbst definitiv kein Engel. Und wenn ich den Job bekomme, lebe ich mit ihm in einem Haus.

Er starrt mich an. Finster. Es fühlt sich an wie eine Ewigkeit. Summer mustert uns, und aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Luke zu seinem Vater hochblickt und an seinem Hemdsaum zupft. »Kann ich jetzt spielen gehen?«

»Na schön.« Cade wendet beim Sprechen den Blick nicht von mir ab. »Aber Summer hat das Sagen.«

Vor Freude quietschend hüpft der kleine Junge von der Veranda. Ich aber rühre mich nicht und erwidere den finsteren Blick seines Vaters.

3

Cade

Luke ist unterwegs, und das bedeutet, ich habe ein bisschen Freizeit. Ein klein wenig Zeit für mich selbst. Zum Entspannen.

Ich sage immer, dass ich das brauche, aber jetzt, wo ich es habe, bin ich nicht ganz sicher, dass es mir gefällt.

Mein ganzes Leben lang habe ich mich immer um andere gekümmert und weiß jetzt nichts mit mir anzufangen. Ich schalte den Fernseher ein, finde aber nichts, was mir gefällt. Ich gehe zum Bücherregal im Wohnzimmer, bestückt mit einigen Klassikern, die noch von meinen Eltern stammen, und einigen Büchern, die ich selbst gekauft habe, weil sie mir interessant erschienen – aber ich habe mir nie die Zeit genommen, sie zu lesen. Ich ziehe eines heraus und lasse mich auf der Couch nieder. Und spüre etwas in meiner Gesäßtasche.

Willa.

Ich kenne nicht einmal ihren Nachnamen. Ich weiß praktisch nichts über sie. Nur dass sie nicht gut genug ist, um sich um Luke zu kümmern.

Für den Job stelle ich mir eine Art uninteressante, verantwortungsbewusste, asexuelle Nonne vor, die nichts lieber tut, als für einen wilden kleinen Jungen zu sorgen. Ich bin nicht so wahnhaft zu glauben, dass es so jemanden wirklich gäbe, aber trotzdem kommt niemand infrage, der anders ist. Und Willa schon gar nicht.

Lukes Mutter hat uns übel mitgespielt. Und das hängt uns immer noch nach – hängt mir immer noch nach.

Mein Vertrauen ist auf einem Tiefpunkt angelangt. Ich habe Mrs Hill vertraut, weil sie sich damals gut um meine Brüder und mich gekümmert hat. Das Gleiche gilt für meinen Vater. Auch Summer vertraue ich – wer es schafft, meinen verrückten jüngeren Bruder zu bändigen, kommt auch mit einem widerspenstigen Fünfjährigen zurecht.

Aber diese Willa … Ich kenne sie nicht. Ich traue ihr nicht. Über sie weiß ich nur, dass sie meinen Schwanz zum Zucken bringt, zu viel redet und ein Ersatzhöschen in der Handtasche hat.

Ich ziehe ebendieses aus meiner Tasche. Besonders frivol sieht es nicht aus … schwarzer, seidiger Nylon-Stoff, eher weit geschnitten. Aber was verstehe ich schon von weiblicher Unterwäsche, verdammt?

Ich komme mir vor wie ein Perversling, während ich hier auf der Couch sitze und das Höschen der Frau betrachte, die sich gerade um mein Kind kümmert.

Ich sollte es ihr zurückgeben.

Ich möchte es nicht weiter mit mir herumtragen.

Aber ich möchte ihr nicht in die Augen sehen müssen, wenn ich es ihr überreiche.

Ich bin achtunddreißig Jahre alt und benehme mich wegen dieses Slips wie ein nervöser Teenager.

Verärgert über mich selbst, stürme ich in die Küche und lege das Höschen ganz hinten in die Krimskrams-Schublade, in der alles landet, was keinen richtigen Platz hat. Ich bin stolz auf mein aufgeräumtes Haus, aber diese Schublade ist mein heimlicher Schandfleck.

Irgendwie passend, dass Willas Unterwäsche dort landet.

Ich nehme meinen Schlüsselbund vom Tresen und rausche zur Vordertür hinaus. Weil ich mir ziemlich sicher bin, dass mein Vater genervt ist von meiner Unentschlossenheit in Bezug auf ein neues Kindermädchen, fahre ich nicht zu ihm, sondern beschließe, stattdessen meinem jüngeren Bruder einen Besuch abzustatten.

Er ist für viele der grauen Haare verantwortlich, die das dunkle Haar an meinen Schläfen durchziehen. Da ist es ja wohl das Mindeste, dass er mir ein Bier gibt und mir mehr über diese Willa erzählt. Am liebsten würde ich sie ja einfach zum Teufel jagen, aber leider bin ich recht sicher: Wenn ich so weitermache, werden mein Vater und Summer sagen, dass die Sache mit dem Kindermädchen mein Problem ist, weil ich so launisch und wählerisch bin, und dass ich bleiben kann, wo der Pfeffer wächst.

Und ich hätte es verdient.

Wenige Minuten später erreiche ich das nagelneue Haus von Rhett und Summer. Neben dem Oldtimer-Truck meines Bruders parkt ein roter Jeep Wrangler, aber Summers Wagen ist nirgends zu sehen. Es juckt mich in den Fingern, sie anzurufen und zu fragen, wo sie ist und was sie macht.

Ja, ich bin in höchster Alarmbereitschaft, wenn jemand mit meinem Kind zusammen ist, den ich nicht näher kenne. Aber das ist nicht weiter erstaunlich – ich hatte schon immer das Gefühl, auf alle aufpassen zu müssen.

Seit dem Tod meiner Mutter – damals war ich acht Jahre alt – trage ich das Gewicht der Welt auf meinen Schultern. Keine Ahnung, ob mir irgendwer diese Last auferlegt hat oder ich sie mir einfach selbst aufbürde.

So oder so, sie ist allgegenwärtig. Und unendlich schwer.

Ich stapfe die Treppe zum Haus hinauf und hämmere an die Tür, statt zu klingeln, weil das viel befriedigender ist. Nach wenigen Augenblicken höre ich Schritte und kann die Gestalt meines Bruders durch die Milchglasscheibe sehen. Lächelnd öffnet er mir die Tür.

Es ist ein wissendes Lächeln, als wüsste er etwas, das ich nicht weiß.

»Wo ist Summer?«, komme ich gleich zur Sache.

»Ich freue mich auch, dich zu sehen, Blödmann. Meine Frau ist in der Stadt. Sie musste noch mal ins Fitnessstudio.«

Ich schnaube. »Sie ist noch nicht deine Frau.«

Er lacht nur. »Details. Sie hat Ja gesagt, damit ist es für mich praktisch schon Tatsache. Und es klingt einfach so gut, weißt du?«

Mit gerümpfter Nase starre ich meinen kleinen Bruder an. Nie hätte ich gedacht, ihn mal so verliebt zu sehen.

»Ist Luke bei ihr?«

»Oh, nein. Er ist mit Willa unterwegs. Summer hat gesagt, ich soll dich daran erinnern, dass sie das Sagen hat – deine Worte –, und sie hat beschlossen, dass Willa bei Luke bleibt. Sie muss sich um ihr Studio kümmern und kann gerade nicht deine persönliche Assistentin spielen.«

Mit zusammengepressten Lippen blicke ich auf das weite Land hinaus. Das klingt sehr nach Summer. Natürlich hat sie in meinen Anweisungen ein Schlupfloch gefunden.

Rhett hebt die Hände und versucht, seine Belustigung zu verbergen. »Ihre Worte, nicht meine.«

Ich stütze die Hände in die Hüften und seufze, bevor ich den Blick wieder auf Rhett richte. »Erzähl mir was über diese Willa. Und wo genau ist sie jetzt?«

»Komm, setzen wir uns. Du siehst aus, als könntest du ein Bier gebrauchen. Oder zehn.«

Kopfschüttelnd folge ich ihm ins Haus. »Ich brauche keine zehn Bier.«

Leise in sich hineinlachend schlendert Rhett zur Küche und dort zu den Glastüren, die auf die weitläufige hintere Terrasse hinausführen. »Doch, die brauchst du. Du siehst aus, als wolltest du jemanden umbringen. Das ist nicht gut für deinen Blutdruck. Du wirst auch nicht jünger.«

»Ich bin immer noch jung genug, um dir den Hintern zu versohlen«, murmle ich und folge ihm auf die sonnige Terrasse.

Rhett wirft mir eine Dose Bier zu und deutet auf einen Stuhl. Von dort aus blickt man auf einen Garten, in dem ein einsamer Baum steht, eine riesige Weide mit langen, herabhängenden Ästen, so als seien sie ein Vorhang.

Ich öffne mein Bier und setze die kalte Dose an die Lippen. Rhett lässt sich in dem Adirondack-Stuhl neben mir nieder. Summer hat die Terrassenmöbel knallrot gestrichen, so fröhlich wie sie selbst.

Die Farbe erinnert mich an Willas Haar.

Wie erbärmlich. Ich schiebe den Gedanken weg. Und dann höre ich Luke.

»Ich kann das nicht.« In seiner Stimme schwingt ein Hauch Verzweiflung mit.

»Doch, du schaffst das«, höre ich die leicht heisere Stimme der umwerfenden Rothaarigen sagen und bin drauf und dran, aufzuspringen und zur Rettung zu eilen.

»Mann«, sagt Rhett, »bleib sitzen. Es geht ihm gut. Sei kein nerviger Helikopter-Vater.«

Ich unterdrücke meinen Impuls, trinke einen großen Schluck und lausche darauf, was unter dem Baum vor sich geht.

»Du wirst nicht weiter klettern, als du kannst. Dafür bist du zu klug. Vertrau deinem Körper.«

»Und wenn ich falle?« Lukes Stimme ist dünn.

»Tja, dann tun wir uns wohl beide weh, immerhin stehe ich direkt unter dir, und du würdest auf mich drauffallen. Aber du fällst nicht. Vertrau mir einfach, okay?«

»Okay«, sagt er mit neuer Entschlossenheit.

Rhett grinst mich an. »Willa Grant ist ein guter Mensch, Cade. Wenn sie anbietet, sich den Sommer über um unseren Jungen zu kümmern, müsstest du ein Idiot sein, um das abzulehnen. Sie ist unglaublich loyal und hat ein großes Herz.«

Mich beschleicht die vage Ahnung, dass es da eine Geschichte gibt, die ich nicht kenne. Aber ich weiß, dass mein Bruder mir keinen Unsinn erzählen würde, wenn es um Lukes Wohl geht.

Wieder höre ich Willas Stimme. »Stell deinen rechten Fuß auf diesen Ast hier.« Pause. »Gut gemacht. Jetzt die linke Hand hierher. Dann kannst du dich auf den Ast dort setzen und runterspringen.«

Ich sehe ihre Sandalen und die enge Jeans hinter den Zweigen aufblitzen. Und einen Augenblick später landen viel kleinere Füße neben ihr, gefolgt von kleinen Händen, die sich im Gras abstützen, um den Aufprall zu dämpfen.

»Ich habe es geschafft!« Luke springt auf. Er hat keine Ahnung, dass ich hier bin.

»Natürlich hast du es geschafft. Du hast diesem Baum den Mittelfinger gezeigt.«

Rhett neben mir schnaubt vor Lachen, und ich sehe ihn böse an.

»Ach, komm schon! Glaubst du etwa, er hört nicht, wie du manchmal redest?«

»Ich habe Jahre damit verbracht, dem Jungen gute Manieren beizubringen.«

Er lacht und zuckt mit den Schultern. »Na, dann hast du auf jeden Fall ein gutes Fundament gelegt, und ein Sommer mit einem lustigen Kindermädchen wird nichts ruinieren.«

Ich grunze nur und trinke noch einen Schluck.

Mag schon sein.

»Wie hoch kannst du klettern, Willa?«

Ich erwarte, dass sie erst gar nicht auf die Frage eingeht. Oder sagt, dass Erwachsene nicht auf Bäume klettern. Aber sie wischt sich die Hände an ihrem runden Jeans-Hintern ab und sagt: »Ich weiß nicht. Schauen wir mal.«

Die Hand mit meiner Bierdose erstarrt mitten in der Luft wie eingefroren, während ich zusehe, wie eine erwachsene Frau den dicken Baumstamm hinaufklettert. »Ist sie verrückt?«, murmle ich, ehe ich einen weiteren Schluck trinke.

Rhett schnaubt. »Ein bisschen. Aber auf eine gute Art.«

Luke wippt aufgeregt auf den Fersen auf und ab, während er ihr zusieht. »Kletter nicht zu hoch! Was ist, wenn du nicht mehr runterkommst?«

»Dann rettest du mich«, ruft Willa aus einer Höhe herunter, die ich ihr niemals zugetraut hätte.

»Ich bin zu klein. Aber mein Vater würde dich retten!«

Ihr heiseres Lachen dringt bis zu uns hinüber. Es ist immer noch so entwaffnend wie heute Morgen. »Da bin ich mir nicht so sicher. Vielleicht ist er froh, wenn ich hier oben sitze und nicht mehr runterkomme, Luke.«

Ich presse die Lippen zusammen. Sie hat nicht unrecht. Mein Leben wäre wesentlich unkomplizierter, wenn sie nicht aufgetaucht wäre.

Und mein Schwanz wäre auch in einem anderen Zustand.

»Oh nein. Er hilft immer allen«, sagt mein Sohn. Ich spüre, wie sich mein Puls beschleunigt. Manchmal frage ich mich, wie er mich wohl sehen mag, und dieser Satz trifft mich mitten ins Herz.

»Hört sich an, als hättest du einen ziemlich tollen Vater«, erwidert Willa, die inzwischen ein wenig atemlos klingt. »Du hast ganz schön Glück!«

»Ja …« Lukes Stimme klingt traurig. »Aber ich habe keine Mutter mehr. Sie ist weggegangen und kommt uns nie besuchen.«

Mein Bruder holt tief Luft und sieht mich an. »Verdammt … Kinder sprechen einfach aus, was ihnen gerade in den Sinn kommt, was?«

Ich schlucke schwer und nicke. Ich habe hart daran gearbeitet, dass Luke nicht erkennt, welche Entscheidungen seine Mutter getroffen hat … was für ein Mensch sie ist. Ich will nicht, dass er das Gefühl hat, ein unerwünschtes Kind zu sein.

Willa klettert nach unten, legt die Hände aneinander und hockt sich vor meinem Sohn auf den Boden. Sie blickt ihm in die Augen, lächelt ihn an und streichelt ihm über die Oberarme. »Da verpasst sie aber sehr viel, denn du bist das coolste Kind, dem ich je begegnet bin.«

Sie klingt nicht ernst und verfällt auch nicht in so eine alberne Babysprache, sondern spricht ganz normal mit ihm.

»Verdammte Scheiße«, fluche ich. Sie hat sich gerade quasi selbst eingestellt.

4

Willa

Ich schlucke schwer, als Luke seine kleinen Finger in meine Hand schiebt. Es macht mich fassungslos, dass jemand – und zwar seine eigene Mutter – nicht bei ihm sein möchte.

Das Universum hat mich mit wahren Löweneltern gesegnet. Solche, die barfuß über Glasscherben laufen würden, um zu mir zu gelangen. So eine Mutter möchte ich selbst eines Tages sein. Kämpferisch. Furchtlos.

Ich hole tief Luft und mache mir klar, dass ich nicht die ganze Geschichte kenne. Dass es vielleicht einen guten Grund dafür gibt, dass seine Mutter nicht hier ist. Aber seine Stimme ist so süß, seine Hand so warm und weich, und ich könnte die ganze Zeit lachen, seit er verkündet hat, dass sein Vater Boxershorts trägt und keine Höschen.

Ich bin eigentlich kein Kindermensch, jedenfalls nicht so, wie man das üblicherweise meint … Beim Anblick von Kindern bekomme ich jedenfalls nicht sofort Herzchenaugen. Und ich habe auch nicht sehr viel Erfahrung mit Kindern. Normalerweise rede ich mit ihnen einfach so, als seien sie kleine Erwachsene. Aber nachdem ich jahrelang hinter einem Bartresen gestanden habe, kann ich Menschen ganz gut einschätzen. Und egal, wie alt er ist, Luke ist ein cooler Typ.

Ich drücke seine Hand, er erwidert den Druck, dann ziehe ich den Vorhang aus Zweigen beiseite … und entdecke Rhett und Cade, die auf zwei der roten Stühle sitzen und zu uns herübersehen.

Die Ähnlichkeiten in ihrer Körpersprache sind unübersehbar. Aber während Rhett lächelt, blickt Cade so finster drein wie immer.

Muskulöse Arme, breite Brust und gerunzelte Stirn. Schmutzige Stiefel. Kraftvolle Oberschenkel.

Als wäre er mit finsterem Blick einem Cowboy-Porno entsprungen.

»Dad!«, ruft Luke und stürmt auf die Terrasse. »Hast du mich gesehen? Hast du Willa gesehen? Sie ist so hoch geklettert. Ich will es auch schaffen, so hoch zu klettern. Onkel Rhett, wie hoch kannst du klettern?«

»Stell diese Frage doch nicht ausgerechnet dem Draufgänger der Familie«, murmelt Cade, aber er sieht dabei nicht seinen Sohn an, sondern mich.

Rhett steht auf. »Ich weiß es nicht, Kleiner. Muss ich ausprobieren.«

Luke hüpft auf und ab. »Wirklich?«

»Na los, kleiner Mann.« Rhett stellt seine Dose ab und stapft barfuß auf den Baum zu, und Luke saust hinter ihm her. »Los geht’s! Lassen wir den Höschen-Räuber mal in Ruhe mit Willa plaudern.«

»Mein Gott, haben sie dir das auch schon erzählt?«, brummt Cade verstimmt, und Rhett lacht dröhnend auf.

Cade sieht mir entgegen, und ich beiße mir auf die Unterlippe, um nicht zu grinsen. Es wirkt, als könne er die Augen nicht von meinem Mund lösen.

Ich beiße so fest zu, dass es fast wehtut, und weiche seinem durchdringenden Blick aus. Lasse mich auf den Stuhl neben ihm fallen. »Was ich von dir halten soll, weiß ich nicht«, stelle ich fest, obwohl ich fast sicher bin, dass es diesem Mann scheißegal ist, was ich von ihm halte. »Aber dein Kind ist großartig.«

Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie er die Stirn runzelt, und unwillkürlich zuckt mein Mundwinkel.

»Danke«, brummt er, spürbar irritiert, aber auch etwas entwaffnet von meinem Kompliment für sein Kind. Man muss kein Raketenwissenschaftler sein, um zu begreifen, dass für Cade das Allerwichtigste auf der Welt sein Sohn ist. Dass Luke mich mag, scheint mir auf jeden Fall Pluspunkte zu verschaffen.

Ich beobachte Rhett und Luke, um nicht über Cade Eatons mürrische Miene lachen zu müssen – oder zu riskieren, dass ich ihn viel zu lange anstarre. Denn man müsste schon tot sein, um ihn nicht gern anzusehen.

Er hat eine echt einschüchternde Ausstrahlung. Wie ein gemeiner, aber echt heißer Lehrer.

»Ich habe den Sommer über nichts zu tun«, sage ich beiläufig und bemerke, wie die Adern an seiner Hand hervortreten, als er die Bierdose fester umklammert. »Mein Pferd erholt sich gerade von einer Verletzung und braucht ein paar Monate Pause, ehe wir wieder an Turnieren teilnehmen können. Meine beste Freundin hat sich in einen großspurigen Cowboy verliebt und ist weggezogen. Mein Bruder wurde fast über Nacht berühmt und ist ein totaler Workaholic. Und meine Eltern sind im Ruhestand und seitdem ständig auf Reisen.«

Ich riskiere einen raschen Blick auf den finsteren Mann neben mir. Selbst im Sitzen wirkt er groß. Gerade hebt er eine dunkle Braue, ansonsten verzieht er keine Miene.

Die kurze Pause dehnt sich aus zu peinlichem Schweigen. Und ich hasse peinliches Schweigen.

Ich drehe die Handfläche nach oben, als wollte ich ihm etwas zeigen, und sage: »Ich bin also frei.«

Er sieht mich nur stumm an.

»Wenn du ein Kindermädchen brauchst, meine ich. Das kann ich übernehmen.«

Als er mich weiterhin nur schweigend anschaut, verdrehe ich die Augen, ich kann nicht anders. »Großer Gott. Hast du Schmerzen, wenn du lächelst? Oder etwas Nettes sagst? Was ist mit dem Ma’am-Typen aus dem Café passiert?«

»Würdest du gut auf ihn aufpassen?« Seine Stimme ist rau, und ich spüre seinen Blick auf mir wie einen Laserstrahl. Wäre er nicht so ein mürrisches Arschloch, würde mich seine Fürsorglichkeit seinem Sohn gegenüber total anmachen.

Ich nicke. »Auf jeden Fall.«

Sein Blick, voller Fragen und ohne jede Wärme, schweift prüfend über mein Gesicht. »Wirst du ihm Stricken beibringen?«

Ich rümpfe die Nase. »Ist das … ist das eine Einstellungsbedingung? Könnte ich die Aufgabe outsourcen? Ich bin, äh … im Stricken nicht besonders gut.«

Ich schwöre, ich sehe ein Zucken an seiner Wange.

»Was würdest du denn mit ihm unternehmen?«

Ich schnaufe und lehne mich zurück. »Da gibt es unendlich viele Möglichkeiten. Mir ist nie langweilig. Kann er schon reiten? Ich könnte ihm Reitstunden geben. Ihm meine Gitarre zeigen. Mag er Musik? Ich liebe Musik. Wir können uns mit anderen Kindern zum Spielen treffen. Kochen? Oh, ich backe für mein Leben gern. Wie wäre es mit einem Garten? Ich wette, man könnte hier ein paar tolle Gemüsesorten anbauen.«

Ich ernte nur ein knappes Nicken. »Du hältst mich regelmäßig per SMS auf dem Laufenden. Ich gehe früh am Morgen aus dem Haus, bin aber gern früh genug zurück, um den Abend mit ihm zu verbringen. Ich werde mein Bestes geben, damit du an den Wochenenden meist frei hast – du bist jung und willst wahrscheinlich ein gewisses Sozialleben pflegen.«

Ich zucke lachend mit den Schultern. Ich habe mit achtzehn Jahren angefangen, hinter einem Bartresen zu arbeiten, und jetzt, nach sieben Jahren, ist mir die Lust am Ausgehen und Feiern ziemlich vergangen.

Ein Brunch mit meiner besten Freundin und um acht Uhr abends mit einem schmutzigen Buch im Bett zu sein ist mir tausendmal lieber.

»Ist mir nicht besonders wichtig, nein.«

Cade schaut zu der großen Weide hinüber, wo Gelächter ertönt. »Okay.«

Ich setze mich aufrecht hin. »Okay?«

Er nickt entschlossen.

»Heißt okay so viel wie: Willa, ich wüsste es sehr zu schätzen, wenn du diesen Sommer mit uns verbringen würdest?«

Er rollt mit den Augen, als würde ich ihn absichtlich ärgern. Und vielleicht stimmt das auch. Ich mag es, wie die Muskeln in seinem Kiefer hervortreten. Wie sein Adamsapfel unter der gebräunten Haut zuckt.

Ich mag sogar den leichten Silberschimmer, der sich durch sein dunkles Haar zieht.

Ja, ich stand schon immer auf ältere Männer.

Cade sieht mich an, das Gesicht ausdruckslos und streng, und sagt mit rauer Stimme: »Ich wüsste deine Hilfe diesen Sommer wirklich zu schätzen, Willa. Aber …«

Ich hebe eine Hand. »Kein Aber. Das war sehr höflich. Ausgezeichnet. Ich komme morgen wieder und kann dann direkt anfangen. So wie ich es verstanden habe, brauchst du jemanden ab sofort, richtig?« Ich stehe auf, denn auf keinen Fall darf ich jetzt zu lange bleiben und ihm Zeit lassen, einen ganzen Katalog an Forderungen zu stellen.

Ich weiß jetzt schon, dass er diese Art Mann ist. Streng. Mit sehr genauen Vorstellungen. Er weiß, was er will, und fordert es ein.

»Ja«, brummt er und mustert mich skeptisch.

Munter recke ich beide Daumen in die Höhe. Bisher weiß ich wirklich nicht so recht, was ich von ihm halten soll. Aber vielleicht ist das auch nicht so wichtig, die meiste Zeit werde ich sowieso mit seinem Sohn verbringen. »Dann sehen wir uns morgen. Ich bitte Summer um deine Nummer und halte dich dann regelmäßig auf dem Laufenden, wo wir gerade sind und was wir machen.« Ich wende mich zum Gehen und überschlage in Gedanken, was ich bis morgen alles zu erledigen habe. Für manche Menschen wäre es stressig, ihr Leben auf einen Schlag umzukrempeln. Sie würden Listen und Pläne brauchen.

Ich nicht. Ich habe schon immer eher nach dem Zufallsprinzip gelebt. Wo auch immer das Leben mich hintreibt, ich fließe mit dem Strom. So ist alles viel spannender, finde ich. Jobs, Männer, bei mir ist alles stets im Fluss und nichts von Dauer.

Mein Vater sagt, ich sei unruhig. Meine Mutter sagt, ich hätte einfach noch nicht das Richtige für mich gefunden. Und ich glaube, sie hat recht. Außerdem ist der Druck, so erfolgreich zu sein wie alle anderen in meiner Familie, geradezu lähmend.

Ich bin lieber unentschlossen, als zu scheitern.

Ich bin fast durch die Tür, da höre ich, wie Cade meinen Namen sagt. »Du musst bei der Arbeit angemessene Unterkleidung tragen. Du kannst nicht in Gegenwart eines Kindes Höschen aus deiner Handtasche fallen lassen.«

Wie angewurzelt bleibe ich stehen, und mir fällt die Kinnlade herunter. So eine Frechheit.

Wenn ich diesen Job nicht wirklich wollte, würde ich ihn jetzt als überhebliches, anmaßendes Arschloch beschimpfen.

Unterkleidung. Was meint er, in welchem Jahrhundert wir uns befinden? Und warum sollte ein aus der Tasche fallendes Höschen ein Kind traumatisieren?

Im Prinzip mag er für die nächsten paar Monate mein Arbeitgeber sein, aber ich tu ihm einen Gefallen. Ich brauche das Geld nicht, ich brauche nur eine Beschäftigung für den Sommer.

Also entscheide ich mich dafür, etwas zu tun, was ihn noch mehr verärgern wird.

Ich stehe einfach darüber.

Na ja, jedenfalls mehr oder weniger.

Ich setze mein allersüßestes Lächeln auf, drehe mich halb um und sehe ihn über die Schulter hinweg an. »Ich stehe Ihnen morgen für eine Inspektion zur Verfügung, Chef.« Damit zwinkere ich ihm zu und schlendere davon.

Ganz deutlich spüre ich seinen Blick in meinem Rücken und nehme an, dass er sich gerade fragt, ob ich wohl in diesem Moment Unterkleidung trage.

5

Cade

Summer: Sie wird das großartig machen. Du wirst sie lieben.

Cade: Nein, werde ich nicht. Ich werde sie ertragen.

Summer: Blablabla! Sei einfach nett.

Cade: Ich bin immer nett.

Summer: Nein. Du bist ein Arschloch.

Cade: Keine Ahnung, warum, wenn ich Leute wie dich in der Familie habe, die so nette Sachen zu mir sagen.

Summer: Keine Sorge, es ist quasi Teil deines Charmes.

Cade: Ich bin ein charmantes Arschloch?

Summer: Ganz genau!

Ich wünschte, ich könnte so tun, als würde ich nicht auf der Veranda stehen und auf sie warten. Aber genau so ist es.

Sie geht mir auf die Nerven, klar. Aber mein Kind scheint sie zu mögen, und außerdem bin ich im Grunde meines Wesens ein Gentleman.

Ich ziehe das Handy aus der Hosentasche und schaue nach der Uhrzeit. Der Countdown läuft. Sie kommt mir wie jemand vor, der sich oft verspätet. Zerstreut. Unorganisiert.

Vielleicht will ich aber auch nur, dass sie zu spät kommt, um einen Grund zu haben, weshalb ich sie nicht mag. Wenn sie schon beim ersten Mal zu spät kommt, kann ich allen beweisen, dass ich recht hatte und sie nicht verantwortungsbewusst genug ist, sich um Luke zu kümmern.

Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wer dafür verantwortungsbewusst genug wäre. Ich vertraue niemandem so leicht.

Vor allem wenn es um Frauen geht.

Sie hat noch sechs Minuten Zeit.