Powerless - Elsie Silver - E-Book

Powerless E-Book

Elsie Silver

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Beschreibung

Zwei beste Freunde. Zwei gebrochene Herzen. Eine zweite Chance

Die Sommer, die Sloane und Jasper als Jugendliche auf der Wishing Well Ranch verbracht haben, gehören zu den schönsten ihres Lebens. Doch mittlerweile sind sie beide erwachsen, Sloane ist verlobt und Jasper ein erfolgreicher Eishockeystar. Aber als Sloane an ihrem Hochzeitstag erfährt, dass ihr Verlobter sie betrogen hat, ist es ausgerechnet Jasper, der sie rettet. Gemeinsam fliehen sie, und mit jedem Tag, der vergeht, fällt es den beiden schwerer, die Gefühle zwischen ihnen zu ignorieren ...

»Herzerwärmend und emotional - einfach wunderbar!« ALL ABOUT ROMANCE

Band 3 der CHESTNUT SPRINGS-Reihe von TIKTOK-Sensation Elsie Silver

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Seitenzahl: 515

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Leser:innenhinweis

Anmerkung der Autorin

Widmung

Motto

Prolog

1

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Epilog

Danksagung

Die Autorin

Die Bücher von Elsie Silver bei LYX

Impressum

ELSIE SILVER

Powerless

Roman

Ins Deutsche übertragen von Katia Liebig

Zu diesem Buch

Endlich ist es so weit: Sloane Winthrop wird heiraten. Leider nicht den Mann, in den sie verliebt ist, seit sie ihn im zarten Alter von zehn Jahren das erste Mal gesehen hat. Doch Jasper Gervais hat ihr nie das Gefühl gegeben, dass er mehr in ihr sieht als eine gute Freundin. Daher hat sie beschlossen, ihr Leben in die Hand zu nehmen und nicht länger auf ihn zu warten. Aber als sie am Tag ihrer Hochzeit erfährt, dass ihr Verlobter sie betrogen hat, ist es ausgerechnet Jasper, der ihr zur Flucht verhilft. Jasper, der Junge mit den traurigen Augen, der seinen Schmerz nur ihr gezeigt und mit dem sie viele Nächte auf dem Dach der Wishing Well Ranch verbracht hat, wo sie zusammen geschwiegen oder sich Dinge erzählt haben, die niemand sonst weiß. Jetzt ist er ein erfolgreicher Eishockeystar, doch genauso verschlossen wie damals und noch immer sieht sie den Schmerz in seinen Augen. Aber da scheint auch etwas anderes zu sein: Erleichterung, dass Sloane nicht geheiratet hat. Auf einem Trip durch Kanada brechen sich all die unterdrückten Gefühle Bahn, und mit jedem Tag, der vergeht, fällt es den beiden schwerer, die Anziehungskraft zwischen ihnen zu ignorieren …

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.

Deshalb findet ihr hier eine Anmerkung der Autorin und hier eine Contentwarnung.

Achtung: Diese enthalten Spoiler für das gesamte Buch!

Wir wünschen uns für euch alle

das bestmögliche Leseerlebnis.

Euer LYX-Verlag

Anmerkung der Autorin

Dieses Buch thematisiert Dinge wie kindliches Trauma, den Tod von Familienangehörigen und Angstzustände. Ich hoffe, ich habe diese Themen mit der Sorgfalt behandelt, die sie verdienen.

Für alle, die bisher immer ein bisschen zu angepasst waren.

Gewöhnen wir uns daran, andere zu enttäuschen, um uns nicht ständig selbst zu enttäuschen.

Im Grunde haben wir nur sehr begrenzt die Kontrolle über das, was in unserem Leben passiert. Der Rest ist reine Glückssache.

Kandi Steiner

Prolog

Sloane

Damals …

Meine Autotür ist schon offen, noch ehe der Bentley meiner Eltern überhaupt zum Stehen gekommen ist, und meine Schritte knirschen auf dem Kies der Einfahrt, bevor Mom und Dad ausgestiegen sind. Mit einem lauten Jubelschrei falle ich meiner Cousine Violet um den Hals. Unsere Umarmung ist so heftig, dass wir uns gegenseitig fast umwerfen.

Sie riecht nach frischem Gras, nach Pferden und einem Sommer voller Freiheit.

»Du hast mir so gefehlt!«, rufe ich.

Violet löst sich von mir und grinst mich an. »Du mir auch.«

Ich bemerke, wie meine Mutter uns beobachtet, glücklich und traurig zugleich. Ich sehe meiner Mom sehr ähnlich, und Violet ihrer. Nur dass Violets Mutter, die Schwester meiner Mom, gestorben ist. Ich glaube, Mom kommt gerne mit mir hierher, weil sie sich ihrer Schwester hier draußen auf der Ranch immer nahe fühlt.

Außerdem ist es so für meine Eltern einfacher, nach Europa zu fliegen und dort all die Orte zu bereisen, die sie so lieben. Und mein Vater meinte mal etwas in der Richtung, dass es gut für mich sei, »zu sehen, wie die andere Hälfte lebt«. Ich bin mir nicht sicher, was er damit ausdrücken wollte, aber ich habe mitbekommen, wie meine Mutter bei seinen Worten die Lippen zusammengepresst hat.

Ich jedenfalls beschwere mich ganz sicher nicht, denn einen ganzen Monat mit den Eatons auf der Wishing Well Ranch verbringen zu können bedeutet jede Menge Zeit und Spaß mit meinen Cousins und meiner Cousine. Es gibt kaum Vorschriften, niemand sagt, wann wir abends zu Hause sein müssen, und ich genieße jedes Jahr vier Wochen voller Freiheiten.

»Robert, Cordelia.« Onkel Harvey schüttelt Dad die Hand und nimmt dann Mom in die Arme. Als er sie wieder loslässt, blickt sie etwas zu hastig blinzelnd über die Wiesen und bis zu den schroffen Bergen im Hintergrund. »Schön, euch zu sehen.«

Die drei Erwachsenen beginnen, sich über irgendwelche langweiligen Themen zu unterhalten, doch ich höre ihnen schon gar nicht mehr zu, denn gerade kommen meine Cousins aus dem großen Farmhaus. Cade, Beau und Rhett springen wie ein Rudel junger Wölfe die wenigen Stufen hinunter und kommen scherzend und sich schubsend zu uns hinüber.

Ihnen folgt noch ein Junge, den ich nicht kenne, der jedoch sofort meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Er ist schlaksig, hat lange Arme und Beine, karamellfarbenes Haar und die blauesten Augen, die ich je gesehen habe.

Die traurigsten Augen, die ich je gesehen habe.

Als der Junge den Blick auf mich richtet, liegt darin jedoch nichts als reine Neugier. Trotzdem schaue ich schnell weg und spüre, wie ich rot werde.

Meine Mom tritt neben mich und streichelt mir über den Kopf. »Sloane, vergiss nicht, dich regelmäßig einzucremen. Du siehst jetzt schon aus, als wäre dir zu heiß. Zu Hause verbringst du so viel Zeit im Tanzstudio, deine Haut ist die Sonne gar nicht gewöhnt.«

Ihr Getue lässt mich nur noch mehr erröten. Ich bin fast elf, und sie behandelt mich hier vor allen wie ein Baby.

Genervt mit den Augen rollend sage ich nur: »Ich weiß«, greife nach Violets Hand und stürme mit ihr davon.

Während alle anderen draußen stehen und reden, laufen wir ins Haus und hinauf in das Zimmer, in dem ich die nächsten vier Wochen schlafen werde und wo wir unsere Ruhe haben.

Violet lässt sich rücklings auf das Bett fallen. »Ich will alles wissen.«

Kichernd streiche ich mir die Haare hinter die Ohren und trete wie magisch angezogen ans Fenster, von dem aus ich die Einfahrt überblicken kann. »Worüber?«

»Schule? Das Leben in der Stadt? Was du diesen Sommer unternehmen willst? Einfach alles. Ich bin so froh, endlich ein Mädchen hier zu haben. Hier stinkt es total nach Jungs, die ganze Zeit.«

Unten sehe ich, wie der geheimnisvolle Junge meinen Eltern die Hand schüttelt. Ich sehe die Abneigung in der Miene meines Vaters, das Mitgefühl in der meiner Mutter.

»Wer ist der andere Junge?«, frage ich, ohne den Blick von ihm abzuwenden.

»Oh.« Violets Stimme wird ein wenig leiser. »Das ist Jasper. Er gehört jetzt zu uns.«

Ich drehe mich zu ihr um, die Augenbrauen hochgezogen, die Hände in die Hüften gestemmt, und spiele die Coole, als wäre ich gar nicht so interessiert, was mir allerdings nicht wirklich gelingt. »Wie meinst du das?«

Sie richtet sich auf, verschränkt die Beine und zuckt mit den Schultern. »Er brauchte eine Familie, also haben wir ihn aufgenommen. Ich weiß nicht alles, aber es gab wohl einen Unfall. Beau hat ihn letzten Herbst angeschleppt. Ich betrachte ihn als einen weiteren stinkenden Bruder. Du kannst ihn als neuen Cousin ansehen, wenn du willst.«

Mein Kopf neigt sich zur Seite, während mein Herz mit meinem Verstand kämpft.

Mein Herz will wieder aus dem Fenster gucken, weil Jasper so süß ist, und wenn ich ihn ansehe, dann macht es so seltsame Hüpfer.

Mein Verstand jedoch weiß, dass es albern ist, denn wenn er ein Freund von Beau ist, muss er mindestens fünfzehn sein.

Aber ich kann nicht anders.

Ich schaue wieder aus dem Fenster.

In diesem Moment weiß ich noch nicht, dass ich auch die nächsten Jahre immer wieder gegen den Drang ankämpfen werde, Jasper Gervais anzusehen.

1

Jasper

Heute …

Sloane Winthrops Verlobter ist ein arroganter Wichser.

Ich kenne die Sorte. Wenn du es bis in die NHL geschafft hast, hast du Erfahrung mit solchen Typen.

Und der hier ist ein Paradebeispiel.

Als würde nicht schon der Name Sterling Woodcock genügen, prahlt er jetzt auch noch mit einem Jagdabenteuer, für das er und sein Vater Tausende von Dollar hingelegt haben, um in Gefangenschaft gezüchtete Löwen abzuschießen, als würden ihnen dadurch die Schwänze wachsen.

Der Typ trieft vor Reichtum, von der Rolex bis zu den manikürten Fingernägeln, und wahrscheinlich macht es absolut Sinn, dass Sloane einen Mann wie ihn heiraten wird. Schließlich gehören die Winthrops mit ihrem Fast-Monopol in der Telekommunikation zu den mächtigsten Familien des Landes.

Während er rumprahlt, sehe ich Sloane an, die mir am Tisch gegenübersitzt. Der Blick ihrer himmelblauen Augen ist gesenkt, und sie spielt mit der Serviette auf ihrem Schoß. Sie sieht aus, als wäre sie am liebsten woanders, Hauptsache, nicht hier in diesem schummrigen Steakhouse voller Deko.

Und mir geht es genauso.

Ich kann mir weitaus Besseres vorstellen, als meinen freien Abend damit zu verbringen, ihrem zukünftigen Ehemann mit dem Minipimmel dabei zuzuhören, wie er vor Familie und Freunden, die ich noch nie getroffen habe, mit einer so peinlichen – und traurigen – Geschichte herumprahlt.

Doch ich bin wegen Sloane hier – was ich mir auch immer wieder sage.

Denn sie so bedrückt zu sehen, nur wenige Tage vor ihrer eigenen Hochzeit … Sie sieht aus, als bräuchte sie jemanden, der sie wirklich kennt. Die anderen der Eaton-Clique haben es an diesem Abend nicht geschafft, in die Stadt zu kommen, aber ich habe ihr versprochen, da zu sein.

Und wenn ich Sloane ein Versprechen gebe, dann halte ich es, egal wie schmerzhaft es auch sein mag.

Ich hatte damit gerechnet, sie lächeln zu sehen. Strahlend. Ich hatte mich darauf eingestellt, mich für sie zu freuen – aber das tue ich nicht.

»Gehst du auch zur Jagd, Jasper?«, fragt Sterling überheblich.

Der Kragen meines karierten Hemds fühlt sich an, als wolle er mich erwürgen, obwohl ich die oberen Knöpfe schon offen gelassen habe. Ich räuspere mich und strecke die Schultern nach hinten. »Ja.«

Sterling greift nach seinem Tumbler aus Kristallglas und lehnt sich zurück, um mich mit einem blasierten Lächeln auf dem perfekt rasierten Gesicht zu mustern. »Großwild? So ein Trip würde dir sicher auch gefallen.«

»Ich weiß nicht, ob …«, setzt Sloane an, doch ihr Verlobter lässt sie nicht zu Wort kommen.

»Wir wissen ja alle, was in deinem letzten Vertrag steht. Nicht schlecht für einen Torhüter beim Eishockey. Vorausgesetzt, dass du mit deinem Geld vernünftig umgegangen bist, solltest du dir so was leisten können.«

Wie gesagt: Wichser.

Ich beiße mir auf die Zunge, um nicht zu sagen, dass ich völlig unvernünftig mit meinem Geld umgegangen bin und keinen Dollar mehr besitze, doch so miserabel meine Erziehung auch gewesen sein mag, so weiß ich doch, dass Geld kein angemessenes Thema für ein höfliches Tischgespräch ist.

»Ach, weißt du, ich jage nur, was ich auch essen kann, und ich hab keine Ahnung, wie man einen Löwen kocht.«

Ein paar Leute am Tisch lachen, auch Sloane. Doch mir entgeht nicht, wie Sterlings Augen sich für eine Sekunde verengen und seine Kiefermuskeln hervortreten, weil er die Zähne aufeinanderbeißt.

Sloane reagiert sofort und tätschelt ihm den Arm wie einem Hund, der beruhigt werden muss. Ich kann ihre schlanken Finger beinahe auf meinem eigenen Arm spüren und ertappe mich dabei, wie ich mir wünsche, sie würde mich stattdessen berühren. »Ich habe damals in Chestnut Springs auch mit meinen Cousins gejagt«, sagt sie zu ihm.

Ihre Worte katapultieren mich zurück in die Vergangenheit, und ich erinnere mich an die jüngere Sloane, die den ganzen Sommer mit den Jungs mitgehalten hat. Sloane mit Dreck unter den Fingernägeln, aufgeschlagenen Knien und von der Sonne gebleichten, zerzausten Haaren, die ihr über den Rücken fielen.

»Es geht mehr um das Kribbeln, verstehst du? Die Macht.« Sterling ignoriert Sloanes Bemerkung komplett.

Er starrt mich an, als wäre ich sein Gegner, nur dass wir gerade gar kein Eishockey spielen. Denn wenn, dann würde ich ihm jetzt einen schnellen Blocker Shot ins Gesicht dreschen.

»Hast du nicht gehört, was Sloane gerade gesagt hat?« Ich bemühe mich, cool zu bleiben, aber ich hasse es, wie er sie schon den ganzen Abend behandelt. Keine Ahnung, wie sie hier gelandet ist. Sie ist meine beste Freundin. Sie ist eloquent und klug und witzig – sieht er das nicht? Sieht er sie überhaupt?

Sterling winkt ab und lacht. »Oh doch. Sie erzählt ständig von der Wishing Well Ranch.« Er sieht sie mit einem spöttischen Lächeln an. »Gott sei Dank hast du diese Tomboy-Phase damals hinter dir gelassen, Babe. Sonst hättest du wohl keine Karriere als Ballerina gemacht.«

Die Tatsache, dass er Sloane sehr wohl gehört, aber offenbar bewusst ignoriert hat, macht seine herablassende Wichserantwort nur noch schlimmer.

»Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie du mit einem Gewehr in der Hand aussiehst, Sloane!«, ruft einer der Typen weiter unten an dem langen Tisch. Seine Nase leuchtet dunkelrot von eindeutig zu viel Scotch.

»Tatsächlich war ich sogar ziemlich gut. Ich glaube, ich habe nur ein einziges Mal etwas Lebendiges getroffen.« Sie lacht kurz auf und schüttelt den Kopf, sodass die hellblonden Strähnen vor ihrem Gesicht hin und her schwingen, bevor sie sie hinter die Ohren streicht und leicht errötend den Blick senkt. »Und dann habe ich geheult wie ein Schlosshund.«

Wie in Trance verfolge ich, wie sie die Lippen nach innen zieht, und stelle mir sofort Dinge vor, die ich mir nicht vorstellen sollte.

»Ich erinnere mich noch an den Tag«, sage ich und sehe sie über den Tisch hinweg an. »Du hast nicht mal das Fleisch beim Abendessen runterbekommen. Wir haben versucht, dich zu trösten, vergeblich.« Ich neige den Kopf, während meine Gedanken in die Vergangenheit zurückschweifen.

»Und genau das hier«, Sterling zeigt auf Sloane, ohne sie überhaupt anzusehen, »ist der Grund, warum Frauen nicht jagen sollten. Es regt sie zu sehr auf.«

Sterlings unterbelichtete Verbindungskumpel lachen über seine lahme Bemerkung, was ihn nur dazu anstachelt, weiterzumachen. Er erhebt sein Glas und sieht hinunter auf den Tisch. »Trinken wir darauf, dass Frauen in die Küche gehören!«

Ich höre Gelächter und Leute »Prost!« und »Hört, hört!« rufen.

Sloane tupft sich mit einem steifen Lächeln die Lippen mit der Serviette ab und starrt vor sich auf den leeren Tisch. Sterling verlegt sich wieder aufs Wettbrüsten mit den anderen Gästen und ignoriert die Frau an seiner Seite.

Er ignoriert den Teil von ihr, den sie mit ihm teilen wollte. Und wie sehr er sie gedemütigt hat.

Meine Geduld an diesem Abend nähert sich ihrem Ende. Das Bedürfnis, in den Hintergrund zu treten, ist überwältigend.

Sloanes Blick trifft meinen, und sie schenkt mir ein perfekt trainiertes Lächeln. Ich weiß, dass es nicht echt ist, denn ich kenne ihr echtes Lächeln.

Und das hier ist es nicht.

Es ist das gleiche Lächeln wie das, als ich ihr damals sagte, dass ich nicht mit ihr zum Abschlussball gehen könnte. Ein vierundzwanzigjähriger NHL-Profi war kein angemessenes Date für eine Schülerin – für keinen von uns beiden. Und ich war der Mistkerl, der es ihr sagen musste.

Ich erwidere ihr Lächeln und spüre, wie Frust in mir aufsteigt, weil sie kurz davorsteht, sich an einen Mann zu binden, der sie wie ein Accessoire behandelt und ihr nicht mal zuhört – oder erkennt, wie viele Facetten sie hat. Denn sie ist bei Weitem nicht bloß die polierte Prinzessin, zu der ihre Familie sie gemacht hat.

Unsere Blicke halten einander fest. Sie strafft die Schultern, und mein Blick fällt auf ihr Schlüsselbein. Plötzlich sehe ich mich selbst mit der Zunge darübergleiten. Und sie sich lustvoll winden.

Schnell schaue ich ihr wieder ins Gesicht. Beinahe wie ertappt. Als könnte sie womöglich hören, was in meinem Kopf vorgeht. Denn wir wissen beide, dass ich sie nicht so ansehen darf. Sie ist so was wie meine Cousine. Und schlimmer noch: Sie gehört ganz offiziell einem anderen.

Sterling bemerkt unsere Blicke und richtet seine Aufmerksamkeit wieder auf mich. Ich spüre, wie sich die Härchen auf meinen Armen aufstellen. »Sloane sagt, dass ihr beide schon sehr lange befreundet seid. Verzeih meine Verwirrung, aber ein raubeiniger Eishockeyspieler scheint mir nicht gerade der passende Freund für eine Primaballerina zu sein. Außerdem habe ich nicht viel von dir mitbekommen, seit sie und ich zusammen sind. Was hat dich abgehalten?« Er legt besitzergreifend einen Arm um Sloanes Schulter, und ich gebe mir alle Mühe, die Geste zu ignorieren.

»Ehrlich gesagt habe ich von dir auch nicht sonderlich viel zu hören bekommen.« Ich sage es mit so viel Humor in der Stimme, dass jeder, der den Blick zwischen Sterling und mir nicht sieht, auch den Stich in meinen Worten überhören wird. Dann lehne ich mich zurück und verschränke die Arme vor der Brust. »Tatsächlich bin ich nicht zu raubeinig, um meiner Freundin Polysporin-Salbe und Schmerztabletten vorbeizubringen, wenn ihre Füße von den Spitzenschuhen so wehtun, dass sie kaum laufen kann.«

»Das habe ich dir erzählt.« Sloanes Stimme klingt beschwichtigend. »Er hat mir beim Umzug in meine neue Wohnung geholfen. Wir treffen uns hin und wieder auf einen Kaffee und so.«

»Einfach ausgedrückt: Sie weiß, dass ich da bin, wenn sie Hilfe braucht«, erkläre ich, ohne nachzudenken.

Sloane sieht mich an und fragt sich vermutlich, warum ich mich gerade wie ein Oberarsch aufführe. Wenn ich ehrlich bin, frage ich mich das auch.

»Nun, nur gut, dass du von jetzt an mich dafür hast.« Sterling spricht zu Sloane, starrt aber mich an. Dann legt er plötzlich eine Hand auf ihre Hände, die nun auf dem Tisch immer noch nervös mit der Serviette spielen. Doch seine Berührung ist weder beruhigend noch ermutigend. Es sieht eher so aus, als wolle er sie ermahnen, damit aufzuhören.

Glühender Zorn schießt durch meine Adern. Ich muss hier weg, bevor ich noch etwas tue, das ich später bereuen werde.

»Nun, ich denke, ich mache mich mal auf den Weg«, sage ich unvermittelt und schiebe meinen Stuhl zurück. Ich brauche dringend frische Luft. Die dunklen Wände mit der Samttapete erdrücken mich.

»Du solltest dich ordentlich ausschlafen, Gervais. Wirst deine Energie für die Grizzlies brauchen. Nach der letzten Saison ist das Eis unter dir wohl eher dünn geworden.«

Ich ziehe die Ärmel meines Hemds runter und ignoriere seine Bemerkung. »Danke für die Einladung, Woodcock. Das Essen war köstlich.«

»Sloane hat dich eingeladen«, lautet seine gereizte Antwort, mit der er klarstellt, dass er mich nicht ausstehen und auf meine Anwesenheit gut verzichten kann.

Mit leerem Blick starre ich auf ihn hinunter und ziehe einen Mundwinkel minimal nach oben. Als könnte ich einfach nicht glauben, was für ein gigantischer Wichser er ist. Jetzt bemerke ich auch die Blicke der anderen, sie spüren die Anspannung zwischen uns. »Nun, dafür sind Freunde da.«

»Moment, aber du bist doch ihr Cousin, oder?« Der Scotch von Sterlings besoffenem Freund schwappt über den Rand des Glases und auf seine Hand, als er auf mich zeigt.

Keine Ahnung, warum Sloane und ich immer darauf bestanden haben, dass wir Freunde sind, nicht Cousin und Cousine. Wenn jemand behaupten würde, dass Beau oder Rhett oder Cade nicht meine Brüder seien, würde ich ihn für verrückt erklären. Die drei sind meine Brüder. Punkt.

Aber Sloane? Sie ist meine Freundin.

»Tatsächlich ist er ein Freund, nicht mein Cousin.« Mit mehr Schwung als nötig wirft Sloane ihre Serviette auf die weiße Tischdecke.

Die Leute, die sich hier wegen ihrer Hochzeit versammelt haben, starren sie an.

Ihre Hochzeit, die dieses Wochenende stattfindet.

Bei dem Gedanken dreht sich mir fast der Magen um.

»Kommst du morgen zum Junggesellenabschied, Gervais?«, fragt der Besoffene. Er hickst und grinst dümmlich und erinnert mich dabei an die betrunkene Maus auf der verunglückten Geburtstagsparty des verrückten Hutmachers. »Wär nicht schlecht, erzählen zu können, dass ich mit dem Hockey-Superstar Jasper Gervais gefeiert hab.«

Was für eine Überraschung, dass ein Typ wie er mich nur dabeihaben will, um anschließend damit anzugeben.

»Ich kann nicht. Hab ein Spiel.« Mein Lächeln ist angespannt, aber meine Erleichterung gigantisch, als ich mich jetzt vom Stuhl hochstemme.

»Ich bringe dich noch raus«, sagt Sloane mit hoher Stimme, ohne den strengen Blick zu sehen, den Sterling ihr zuwirft. Oder vielleicht tut sie auch nur so, als hätte sie ihn nicht gesehen.

Jedenfalls bedeute ich ihr mit einer Geste, voranzugehen, und schweigend schlängeln wir uns zwischen den Tischen hindurch nach draußen.

Ich lege ihr die Hand unten auf den Rücken, um sie zu führen, doch sie versteift sich, und ich reiße die Hand zurück, als ihre weiche, nackte Haut meine Fingerspitzen verbrennt. Mit gesenktem Blick schiebe ich sie in die Tasche, wo sie hingehört.

Denn sie gehört ganz sicher nicht auf die nackte Haut einer Frau, die bald einen anderen Mann heiraten wird.

Auch wenn sie nur eine Freundin ist.

Erst als wir fast an der Tür angekommen sind, schaue ich wieder auf. Sloanes schlanker Körper schwingt sanft hin und her, während sie durch den Raum schreitet. Jede kleinste Bewegung ist voller Anmut, die jahrelangem Training entspringt. Jahrelanger Übung.

Sie lächelt dem Oberkellner zu und geht jetzt schneller, als könne sie die Freiheit schon durch die Tür sehen und es nicht erwarten, sie zu erreichen. Ihre Schultern sacken nach vorne, und ihr gesamter Körper fällt fast erleichtert in sich zusammen, als sie sich mit beiden Händen gegen das dunkle Holz der Tür stemmt.

Ich betrachte sie einen Moment, bevor ich hinter sie trete und die Hitze ihres Körpers durch meinen fluten spüre. Dann strecke ich über ihren zierlichen Körper hinweg den Arm aus, drücke die Tür auf und entlasse uns beide in den kühlen Novemberabend.

Sofort vergrabe ich beide Hände wieder in den Hosentaschen, um nicht in Versuchung zu geraten, Sloane bei den Schultern zu packen, sie zu schütteln und zu fragen, wie zum Teufel sie nur auf die Idee kommen konnte, einen Typen zu heiraten, der sie so behandelt, wie Sterling Woodcock es tut. Denn es geht mich nichts an.

Sie wendet mir ihren nackten Rücken zu und blickt schwer atmend auf die mehrspurige Straße, ein verschwommenes Blinken von roten und weißen Lichtern hinter ihrer Silhouette.

»Alles okay?«

Sie nickt heftig, bevor sie sich zu mir umdreht, nun wieder mit diesem aufgesetzten Stepford-Frauen-Lächeln auf ihrem anmutigen Gesicht.

»Du siehst nicht gut aus.« Meine Finger krallen sich um den Schlüsselbund in meiner Tasche und klimpern wütend damit rum.

»Na super. Danke, Jas.«

»Ich meine, du siehst wunderschön aus«, sage ich hastig und verziehe das Gesicht, als ich sehe, wie ihre Augen sich weiten. »Du siehst immer wunderschön aus. Aber jetzt wirkst du nicht gerade … glücklich.«

Sie blinzelt langsam, und ihre Mundwinkel sacken nach unten. »So besser? Schön und unglücklich?«

Gott. Was bin ich nur für ein Idiot. Ich fahre mir mit der Hand durch die Haare. »Bist du glücklich? Macht er dich glücklich?«

Schockiert und mit offenem Mund sieht sie mich an, und ich weiß, dass ich hier gerade eine Grenze überschreite. Aber irgendwer muss sie das fragen, und ich bezweifle, dass es bislang jemand getan hat.

Ich muss es von ihr selbst hören.

Ihre bleichen Wangen röten sich. Mit schmalen Augen, das Kinn entschlossen nach vorn geschoben, tritt sie auf mich zu. »Das fragst du mich jetzt?«

Ich seufze und fahre mit den Zähnen über meine Unterlippe, den Blick wie gebannt auf ihre babyblauen Augen gerichtet, so groß und wütend. »Ja. Hat dich schon jemand anders das gefragt?«

Sie senkt den Blick, legt die Hände an die Wangen und fährt sich dann durch ihr schulterlanges blondes Haar. »Niemand hat mich das gefragt.«

Die Ränder meines Türschlüssels bohren sich in meine Handfläche. »Wie hast du Sterling kennengelernt?«

»Durch meinen Dad.« Ihr Blick ist fest in den dunklen Himmel gerichtet. Er ist sternenlos, nicht so wie auf der Ranch, wo du jeden kleinsten Lichtpunkt sehen kannst. Im Vergleich zu Chestnut Springs kommt mir die Stadt regelrecht verdreckt vor. Spontan beschließe ich, heute Abend noch zu meinem Haus auf dem Land rauszufahren, statt eine weitere Nacht dieselbe Luft wie Sterling Woodcock zu atmen.

»Und woher kennt er ihn?«

Sie schaut mich an. »Sterlings Vater ist ein neuer Geschäftspartner von ihm. Seit Dad wieder in der Stadt ist, konzentriert er sich darauf, neue Kontakte zu knüpfen.«

»Und wie lange kennst du den Typen schon?«

Für eine Sekunde erscheint ihre Zunge zwischen ihren Lippen. »Seit Juni.«

»Fünf Monate?« Meine Brauen springen nach oben, und ich weiche automatisch zurück. Wenn sie vollkommen vernarrt ineinander wären, hätte ich das vielleicht noch verstanden, aber so …

»Wage es nicht, auch nur ein Wort dazu zu sagen, Jasper!« Ihre Augen funkeln, und sie tritt wieder näher. Im Vergleich zu mir mag sie winzig sein, doch sie ist nicht im Mindesten eingeschüchtert. Im Moment ist sie stinkwütend. Wütend auf mich. Allerdings bin ich mir sicher, dass sie mir einfach nur genug vertraut, um ihrem Ärger in meiner Anwesenheit freien Lauf zu lassen. Und das ist okay für mich. Ich freue mich, dieser Mensch für sie zu sein.

Ihre Stimme zittert, als sie sagt: »Du hast keine Ahnung, unter welchem Druck ich stehe.«

Ohne nachzudenken, ziehe ich sie an mich und lege die Arme um ihre schmalen Schultern. Sie ist völlig angespannt und total gereizt. Ich kann förmlich spüren, wie sie vor Wut bebt. »Ich sage doch gar nichts, Sunny.«

Aber offenbar ist gerade nicht der richtige Moment für alte Spitznamen.

»Nenn mich nicht so.« Ihre Stimme bricht. Sie drückt die Stirn gegen meine Brust, so, wie sie es immer tut, und ich streiche mit der Hand über ihr Haar und lege sie an ihren Hinterkopf.

So, wie ich es immer tue.

Ich frage mich, was Sterling wohl sagen würde, wenn er uns so sähe. Und ein boshafter Teil von mir wünscht sich fast, dass er rauskommt.

»Ich wollte einfach nur wissen, wie das alles so schnell laufen konnte. Schließlich sehe ich ihn heute zum ersten Mal.« Meine Stimme ist leise, heiser, beinahe übertönt vom Rauschen des Verkehrs hinter uns.

»Nun, es ist ja nicht so, dass ich neben dem Ballett viel Freizeit hätte. Oder dass du dich in letzter Zeit mal gemeldet hättest.«

Schuldgefühle nagen an mir und schnüren mir den Hals zu. Unser Team hat eine schlechte Saison hinter sich, und ich hatte mir vorgenommen, härter zu trainieren, als ich es je zuvor außerhalb der Saison getan habe. »Ich habe trainiert und den Sommer über draußen in Chestnut Springs gewohnt.« Das ist nicht gelogen. Die Verlobte meines Bruders hat dort ein großartiges Fitnessstudio eröffnet, und ich hatte keinen Grund, den Sommer in der Stadt zu verbringen. »Und danach war ich im Trainingscamp und ziemlich beschäftigt.«

Auch das entspricht der Wahrheit.

Die Lüge lautet, dass ich zu beschäftigt war, um Zeit für Sloane zu finden. Ich hätte Zeit für sie finden können. Habe ich aber nicht. Weil ich wusste, dass ihr Vater wieder in der Stadt war, dem ich, wenn irgend möglich, aus dem Weg gehe. Und als ich von Sloanes Verlobung erfahren habe, hat mich das so heftig getroffen, wie ich es nie für möglich gehalten hätte.

»Ich hätte es dir sagen und dich nicht so damit überfallen sollen«, murmelt sie, und ich schiebe die Erinnerung beiseite, wie Violet auf der Ranch mit Sloanes Verlobung herausplatzte. Wie ich augenblicklich innerlich erstarrte. Wie mir das Herz wie ein Klumpen Blei nach unten rutschte.

Ich streiche ihr mit der Hand über das Haar und drücke noch einmal ihre Schultern, wobei ich nach wie vor die warme, nackte Haut ihres Rückens meide. »Ich hätte dich fragen sollen. Ich hatte einfach … viel zu tun. Ich habe nicht damit gerechnet, dass dein Leben sich so … so schnell ändern würde.« Auch das stimmt.

Sie entspannt sich. Ihre weichen Brüste drücken gegen meine Rippen, und ihre Finger graben sich in meinen Rücken. Jedoch nur für einen Moment, dann löst sie sich aus meinen Armen. Unsere Umarmung hat lange genug gedauert, um mehr zu sein als freundschaftlich. Es war hart an der Grenze.

Und trotzdem will ich sie wieder an mich ziehen.

»Nun, das hat es.« Sloane starrt zu Boden und streicht über den Ärmel ihres blassgrünen Kleids, seidig und glänzend wie die Nacht. »Mein Dad und ich waren uns einig, dass es das Beste ist, die Hochzeit noch im Herbst zu feiern, statt sie weiter hinauszuzögern.«

Ich spüre, wie ich bei dieser Bemerkung die Zähne zusammenbeiße, denn allein die Erwähnung von Robert Winthrop macht mich schon wütend. Und die Tatsache, dass er an Sloanes Entscheidung, zu heiraten, beteiligt war, lässt alle Alarmglocken in meinem Kopf schrillen.

»Warum?« Ich runzle die Stirn. Ich sollte es besser wissen. Ich sollte jetzt gehen. Ich sollte sie glücklich sein lassen.

Ich sollte nicht so wütend sein. Und wenn sie wirklich glücklich wäre, dann wäre ich es auch nicht.

Oder vielleicht doch.

Sie winkt ab und blickt über die Schulter zurück zum Restaurant, wobei sie ihren eleganten Hals zeigt. »Aus mehreren Gründen«, antwortet sie mit einem resignierten Schulterzucken. Als wüsste sie, dass ihre Zeit mit mir sich dem Ende nähert. Ich habe nicht das Gefühl, dass Sterling der Typ ist, der eine Freundschaft zwischen mir und seiner Frau akzeptieren würde.

»Welche Gründe? Dass du es nicht erwarten kannst, Mrs Woodcock zu werden? Kann ich mir nicht vorstellen, niemand will diesen Namen. Oder macht dein Vater dir Druck?«

Bei der Erwähnung ihres Vaters weiten sich Sloanes blaue Augen, denn sie betrachtet ihren Vater nicht als Schlange. Hat sie nie. Sie ist zu sehr damit beschäftigt, die perfekte Tochter zu sein – und nun eine Verlobte. Eine, die gut aussieht und nicht jagen geht. »Und was wäre, wenn? Ich bin achtundzwanzig. Meine besten Jahre als Tänzerin nähern sich dem Ende. Es wird Zeit, dass ich eine Entscheidung treffe und mir überlege, wie es weitergehen soll. Er sorgt sich nur um mich.«

Ich lache kurz auf und schüttle den Kopf. »Wo ist das wilde Mädchen, das ich kenne? Das Mädchen, das im Regen getanzt hat und nachts aufs Dach geklettert ist, damit ich nicht allein war, wenn es mir schlecht ging?«

Sie haben dieses Mädchen in eine Spielfigur verwandelt. Und ich hasse es, um ihretwillen. Wir haben uns nie gestritten, doch plötzlich überwältigt mich der Drang, für sie zu streiten, auch wenn ich es eigentlich besser wissen sollte.

»Dein Dad ist ein Arschloch. Er sorgt sich allein um sich selbst. Seine Firma. Sein Image. Nicht darum, ob du glücklich bist. Du hast etwas Besseres verdient.«

Ich könnte es besser machen. Das ist es, was ich eigentlich sagen möchte. Das ist es, was mir heute Abend hier klar geworden ist.

Dass ich Dinge denke, die ich nicht denken sollte.

Dinge möchte, die ich nicht haben kann.

Ich bin zu spät.

Sloane weicht zurück, als hätte ich sie geschlagen, und presst die Lippen zusammen. »Nein, Jasper. Dein Dad ist ein Arschloch. Meiner liebt mich. Du weißt nur nicht, wie das ist.«

Und damit wirbelt sie herum und reißt die Restauranttür mit einer Gewalt auf, die ich von ihr nicht kenne.

Doch mir ist lieber, sie ist wütend als apathisch, denn das bedeutet, dass das wilde Mädchen noch immer irgendwo in ihr steckt.

Sie hat mir Worte entgegengeschleudert, die mich bewusst verletzen sollten. Doch der Schmerz, den ich spüre, gilt allein ihr. Denn mein Erzeuger ist wirklich ein Arschloch. Aber der Mann, der mich aufgenommen und großgezogen hat? Harvey Eaton? Er ist der Beste der Besten. Er hat mir gezeigt, was Liebe ist, und seitdem weiß ich, was das ist.

Zudem erinnere ich mich sehr gut daran, wie Sloane einen Mann ansieht, den sie wirklich will. Und sie sieht ihren Verlobten nicht so an, wie sie mich früher angesehen hat.

Was mich mehr freut, als es das tun sollte.

2

Sloane

Sloane: Bist du da?

Jasper: Wo sollte ich sonst sein?

Sloane: Ich dachte, du bist vielleicht sauer auf mich. Bitte hass mich nicht.

Jasper: Ich könnte dich niemals hassen, Sunny.

Mir ist schlecht.

Der Tag, von dem ich mein ganzes Leben lang geträumt habe, ist endlich da, aber er ist nicht annähernd so, wie ich ihn mir immer vorgestellt habe.

Es schneit. Und ich hatte immer im Frühling heiraten wollen.

Die Zeremonie findet in einer prunkvollen Kirche mitten in der Stadt statt. Und ich hatte immer von einer schlichten Trauung auf dem Land geträumt.

Es wird ein Riesenspektakel mit Hunderten von Gästen. Und alles, was ich wollte, war eine kleine Feier im engsten Kreis.

Und das Schlimmste: Der Mann, der am Altar auf mich wartet, ist nicht der, den ich vor mir sehe, wenn ich die Augen schließe. Er ist nicht der Mann, von dem ich fast mein ganzes Leben lang geträumt habe.

Ich habe resigniert, meinen Traum aufgegeben. Und mich für jemanden entschieden, den ich nicht liebe, den ich nicht einmal mag. Und das macht mich krank.

Nein, dieser Tag ist nicht annähernd so, wie ich ihn mir vorgestellt habe.

Meine Cousine Violet zupft an den Haarnadeln auf meinem Kopf herum, während ich vor dem Schminktisch sitze, die Hände im Schoß verkrampft, sodass sie den riesigen Diamanten an meinem Finger verbergen. Wenn ich sie so fest zusammendrücke, dass es schmerzt, kann ich mich daran hindern zu weinen.

Oder etwas Dummes zu tun, wie davonzulaufen.

»Ich kann sie nicht finden. So, wie das alles hochgesteckt ist, kann ich überhaupt nichts sehen.«

»Aber ich spüre, wie es ziept. Sie ist zu fest, es tut weh.«

Violet seufzt und sieht mich im Spiegel an. »Bist du sicher, dass es die Haare sind, Sloane?«

Ich hebe das Kinn und sehe, wie sich mein Hals streckt. »Ja.« Ich zwinge meine Stimme, überzeugter zu klingen, als ich mich fühle, und leere meinen Kopf, so wie ich es bei den Auftritten tue. Wenn ich springe und mich drehe und die Lichter hell sind und das Publikum dunkel, bin ich in meinem Element.

Mit einem tiefen Seufzer und besorgtem Blick widmet Violet sich wieder der Suche nach der einen zu fest sitzenden Haarnadel, von der sie glaubt, dass es sie gar nicht gibt. Schließlich hat sie gerade indirekt zum Ausdruck gebracht, dass es vielleicht gar nicht um meine Frisur, sondern um mein Leben geht.

Ich kann zwischen den Zeilen lesen.

Sie hat nicht viel zu Sterling gesagt. Niemand hat das – außer Jasper.

Jasper.

Ich kann nicht mal seinen Namen denken, ohne von einer Welle der Übelkeit erfasst zu werden. Die Schuldgefühle wegen der Worte, die ich ihm neulich Abend an den Kopf geworfen habe, zerfressen mich regelrecht. Lassen mich nachts nicht schlafen. Und das Wissen darum, dass meine ohnehin gar nicht bestehende Chance, mit ihm zusammen zu sein, mit dieser Hochzeit endgültig vergeben ist, zerreißt mir das Herz.

Jasper Gervais und ich sind Freunde. Gute Freunde. Das hat er mehr als einmal klargemacht. Und ich bin nicht masochistisch genug, um mich auf einen Hattrick einzulassen.

Alle anderen denken mit Sicherheit, dass ich über ihn hinweg bin, aber nur, weil ich meine Gefühle mittlerweile so wahnsinnig gut verbergen kann. Seit ich ihn zum ersten Mal gesehen habe, beherrscht er jeden kleinsten Winkel meiner Seele, während er in mir immer nur eine kleine Schwester gesehen hat.

Ich spüre etwas Feuchtes in meinen Händen und verziehe das Gesicht. Als ich sie öffne und hinunterschaue, lache ich leicht hysterisch auf. In einer meiner Handflächen sammelt sich Blut in einem perfekten, glänzenden Tropfen.

Die Wunde stammt von dem spitzen Stein meines Verlobungsrings. Und sie verhöhnt mich, als wüsste das Universum bereits, dass diese Ehe mich wird bluten lassen, in einer Weise, von der niemand auch nur die geringste Ahnung hat.

Sterling würde niemals die Hand gegen mich erheben, aber alles an ihm – an seinem Leben – saugt mir das Blut aus den Adern.

»Oh nein! Sloane! Gleich ist dein Kleid voller Flecken!« Violet lässt von meinen Haaren ab und rennt in ihrem raschelnden schwarzen Satinkleid ins angrenzende Badezimmer.

Schwarz. Wieder muss ich lachen. Ich hätte mir niemals schwarze Kleider für meine Hochzeit gewünscht, sondern hätte lieber etwas Leichtes, Verspieltes gehabt. In einer fröhlichen Farbe.

Aber das hier ist auch nicht wirklich meine Hochzeit, und wirklich fröhlich ist sie auch nicht. Schwarz passt also vielleicht ganz gut.

Mir fehlte die Energie, mich gegen die Dinge zu wehren, die ich nicht wollte. Und jetzt, wo ich das Blut in meiner Handfläche sehe, wird mir klar, dass ich die ganze Hochzeit nicht wollte.

»Hier.« Violet drückt einen Stapel Toilettenpapier auf meine prophetische Wunde und sieht mich fast schon panisch an. »Alles in Ordnung?«

Ich atme ruhig aus. »Ja. Ist ja nicht so, als hätte ich einen Arm oder ein Bein verloren.«

Plötzlich muss ich an Tiere denken, die sich selbst ein Bein abbeißen, um sich aus einer Falle zu befreien.

Violet runzelt die Stirn. »Hör zu. Versteh mich nicht falsch, aber ich muss es dir wenigstens einmal sagen, sonst werde ich es mir niemals verzeihen.«

Meine Mundwinkel biegen sich ein wenig nach oben, als ich ihren ernsten Ton höre. »Okay. Ich höre.«

Mit einer dramatischen Geste strafft sie die Schultern und sieht mich eindringlich an. Ich meine es ernst: eindringlich. Fast schon will ich ihrem Blick ausweichen, doch ich tue es nicht.

»Wenn du das hier nicht willst.« Sie weist mit einer Hand um uns herum. »Wenn du einen Ausweg brauchst. Oder ein Fluchtauto. Stehe ich zur Verfügung. Ich werde kein Wort sagen. Ich werde dich nicht davon abhalten. Also, wenn das hier nicht das Richtige für dich ist, wenn du weg von hier musst, dann …« Sie schaut kurz zur Seite und wählt ihre nächsten Worte mit Bedacht. »Dann blinzle zweimal oder so. Okay?«

Ich blinzle nicht, aber eine Träne löst sich und rinnt über meine Wange.

»Scheiße«, haucht meine Cousine. »Jetzt hab ich dich zum Heulen gebracht. Entschuldige. Ich musste es einfach sagen.«

»Ich liebe dich, Violet. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es dir schon mal gesagt habe, aber du und deine Familie … Die Wochen, die ich jeden Sommer bei euch auf der Ranch verbringen durfte … Das waren mit die schönsten Tage meines Lebens.«

Ihre Augen glänzen feucht, und sie blinzelt hastig und nimmt meine Hände. »Aber heute ist es noch schöner, oder?«

Ihre Augen, blau wie meine, mustern mich, so ernst. Doch alles, was ich zustande bringe, ist ein trauriges Lächeln. Heute sollte der glücklichste Tag meines Lebens sein, aber das ist er nicht, und ich möchte sie nicht anlügen.

Mein Mund öffnet sich, bevor ich überhaupt weiß, was ich sagen soll, doch da leuchtet mein Handy auf dem Schminktisch auf, und ein lautes Pling ertönt. Vom Klingeln erlöst.

Erleichtert greife ich nach dem Telefon. Es ist eine Nachricht von einer unterdrückten Nummer. Als ich sie öffne, steht dort nur: Ich denke, du solltest das hier sehen.

Darunter ist ein Video. Mit einem Preview-Bild, das mir überraschend bekannt vorkommt.

Ich drücke auf Play.

»Was zur Hölle ist das?« Violet stützt eine Hand auf mein Knie und lehnt sich nach vorne, um besser sehen zu können.

Auf dem Display erscheint ein etwas wackelig aufgenommenes Video. Laute Musik dröhnt im Hintergrund. Und was sich dort direkt vor der Kamera abspielt, sollte mir Sorgen machen, denn was mir überraschend bekannt vorkommt, ist mein Verlobter in dem Poloshirt, das er am Abend seines Junggesellenabschieds anhatte.

»Violet, könntest du bitte Sterling herholen?«

Ich sollte am Boden zerstört sein. Aber während ich der nackten Frau dabei zusehe, wie sie auf Sterlings kleinem Freund herumhüpft, habe ich nur einen Gedanken: dass ich mir nun wohl kein Bein werde abbeißen müssen.

3

Jasper

Jasper: Vi, hast du was von Harvey gehört? Ich habe ihn und Beau noch gar nicht gesehen.

Violet: Nein. Aber hier ist der Teufel los.

Jasper: Was ist passiert?

Violet: Sterling Woodcock ist ein Wichser, das ist passiert.

Jasper: Was hat er getan?

»Wer hat Krawatten überhaupt erfunden?«, faucht Cade neben mir. »Die Dinger sind echt der letzte Mist.« Er ist der Älteste und Mürrischste der Eaton-Jungs und einer meiner größten Unterstützer.

»Und sie stehen dir überhaupt nicht.« Rhett schüttelt lachend den Kopf. Er liebt es, seinen großen Bruder zu ärgern.

Doch es ist der Mittlere der drei, Beau, der mir am nächsten steht – und nach dem ich mich umschaue. Dass er noch nicht da ist, macht mich unruhig.

Er hat Heimaturlaub beantragt, um zur Hochzeit kommen zu können, und sollte eigentlich ein paar Wochen frei haben, bevor er wieder zurückmuss, aber bisher sind weder er noch unser Dad Harvey aufgetaucht.

»Leck mich, Fabio«, gibt Cade knapp zurück, während er an seiner Krawatte rumzerrt. Dass er sich über Rhetts lange Haare lustig macht, ist nichts Neues. Ich verfolge diese Wortwechsel seit Jahren.

»Wo sind die Mädels?«, frage ich, um die beiden von ihrer Kabbelei abzulenken. Harfentöne erklingen. Die Gäste haben sich bereits vor dem imposanten Kirchengebäude eingefunden. Hier draußen ist es grau und kalt und deprimierend. Am liebsten würde ich auf der Stelle abhauen.

»Wenn Willa erfährt, dass du sie ›Mädel‹ genannt hast, kastriert sie dich«, knurrt Cade, reißt sich die Krawatte vom Hals und stopft sie in die Tasche seines Jacketts.

»Sie wird eher dich kastrieren, wenn sie sieht, dass du die Krawatte nicht umhast, die sie ausgesucht hat.« Rhett lacht amüsiert vor sich hin.

»Sie wird’s mir verzeihen, wenn ich sie nachher damit festbinde.« Cades Blick wandert exakt in dem Augenblick zum Eingangsportal der Kirche – sein Radar ist so sensibel –, als Willa die Tür aufdrückt, die Hand schützend auf die kleine Wölbung ihres Bauches gelegt. Ihr Blick sucht Cade in der Menschenmenge. Als sie ihn sieht, lächelt sie zärtlich, doch ihr Lächeln erstirbt sofort wieder.

Hinter ihr taucht Summer auf, ihre beste Freundin und Rhetts Verlobte, und die beiden kommen zu uns herüber. Sie sehen besorgt aus.

»Na, das nenn ich mal ’ne Pinkelpause«, bemerkt Rhett, als sie nah genug sind, um ihn zu hören.

Summer lehnt sich an ihn, während Willa uns nur ansieht.

»Was ist los?«, frage ich und blicke zwischen den beiden Frauen hin und her. Ich spüre, dass etwas passiert ist und sie es uns nicht sagen wollen.

»Willa hat an der Tür gelauscht«, sagt Summer. »Das ist los.«

»Ach, hör auf, Summer. Wenn du jemanden durch die geschlossene Tür brüllen hören kannst, fällt das ja wohl kaum unter Lauschen.«

»Na ja, ich glaube, das kann man immer noch Lauschen nennen«, sagt Cade und zieht Willa an sich.

Ich habe nur ein Wort im Kopf. »Moment. Wer hat gebrüllt?«

Summer presst die Lippen zusammen. Ihre dunklen Augen sind voller Sorge. »Wie es scheint, hat das Brautpaar eine kleine Meinungsverschiedenheit. Und der Bräutigam keine Lautstärkeregelung.«

»Der Typ ist ein schmieriger kleiner Scheißkerl«, wirft Willa ein. »Das sehe ich auf den ersten Blick.«

Bevor jemand noch etwas sagen kann, bin ich schon durch das schwere Kirchenportal, blicke mich um und entscheide mich für einen Korridor, von dem mehrere Türen abgehen. Mit langen Schritten laufe ich weiter, bis ich die laute Stimme höre.

Violet steht vor der Tür und gibt eine vorzügliche Imitation eines Rehs im Scheinwerferlicht, während ihr Gatte Cole, ein Berg von einem Mann, hinter ihr steht und aussieht, als wäre er kurz davor, jemanden umzubringen. Aber so sieht er immer aus.

»Du wirst dich selbst noch mehr blamieren als mich«, dringt Sterlings vorwurfsvolle Stimme von der anderen Seite der Tür in meine Ohren.

Ich sehe Violet und Cole an. Seine Lippen sind schmal, und er neigt den Kopf, als wolle er sagen: Du oder ich?

Nur zu gern würde ich ihn auf Sterling loslassen. Noch lieber aber tue ich es selbst.

»Soll das ein Witz sein?« Sloane klingt, als könne sie es nicht glauben. »Du vögelst mit einer Stripperin, nur wenige Nächte vor unserer Hochzeit, und jetzt bin ich es, die sich blamiert?«

Inzwischen sind einige Gäste in die Kirche gekommen, blicken zu uns herüber und hören vermutlich ebenfalls zu, also öffne ich die Tür. Sloane braucht Hilfe. Und sie muss wissen, dass alle mitkriegen, was hier drinnen vor sich geht.

Jedenfalls rede ich mir ein, dass ich nur deshalb unangekündigt in den Raum platze. Es hat rein gar nichts damit zu tun, dass Sterling mich rotsehen lässt.

»Das war mein Junggesellenabschied! Mein letztes Hoch die Tassen!« Er steht mit dem Rücken zu mir, die Arme weit ausgestreckt. Sloane sitzt auf einem zierlichen antiken Stuhl und wirkt winzig, während er vor ihr aufragt und sie anbrüllt.

Mein Beschützerinstinkt schaltet den Turbo ein.

»Halt die Klappe und sieh zu, dass du rauskommst!«, brülle ich und knalle die Tür hinter mir zu. »Alle da draußen können dich hören.«

Sterling wirbelt zu mir herum, die Augen zu schmalen Schlitzen verengt. »Verschwinde, Gervais. Ich brauche keine dummen Ratschläge von einem Typen, der zwar Muskeln, aber kein Hirn hat. Das hier ist eine Sache zwischen mir und meiner Frau.«

Ich verschränke die Arme vor der Brust und bleibe, wo ich bin. Meine Bemühungen, Sterling Woodcock gegenüber höflich zu bleiben, sind hiermit offiziell beendet. »Sie ist nicht deine Frau. Und ich werde sicher nicht verschwinden.«

Er ist kleiner als ich, und wir sind gewichtsmäßig nur in etwa gleich, weil er ein wenig dicklich um die Mitte herum ist. Vermutlich, weil er den ganzen Tag am Schreibtisch sitzt und abends zu viel trinkt.

»Wie bitte?« Mit wütendem Gesicht kommt er ein paar Schritte auf mich zu. Seine dicken, glatt rasierten Wangen sind rot, was einen interessanten Kontrast zum Schwarz-Weiß seines Smokings bildet.

»Ich sagte, ich verschwinde nicht. Aber du musst jetzt gehen.«

Sloane hinter ihm starrt mich mit großen Augen an. Ich hatte damit gerechnet, sie weinen zu sehen, doch in ihrem perfekt geschminkten Gesicht ist weit und breit keine Spur von einer Träne.

Sterling stürmt auf mich zu, die Arme vorgereckt, als wolle er mich schubsen. Wie ein kleiner Junge, der einen Trotzanfall hat. Doch ich presse den Handballen gegen seine feuchte Stirn und halte ihn auf Armeslänge von mir weg. Ein paar lahme Schläge treffen meinen Arm, doch er ist zu soft, um zu wissen, was er tut. Zu klein. Zu schwach.

»Brüll diese Frau noch ein einziges Mal an, und ich mache dich fertig, Woodcock.«

»Fick dich! Versuch’s doch, wenn du dich traust!«

Bevor er endgültig die Fassung verliert, packe ich ihn an seiner kleinen Seidenfliege und führe ihn zur Tür, wobei ich mir – nicht zum ersten Mal – wünsche, ihm noch einen netten kleinen Schlag mit meinem Blocker verpassen zu können. Doch dieses Bedürfnis habe ich vor langer Zeit gezähmt, und ein so unbedeutender Wichser wie Sterling Woodcock wird ganz sicher nicht derjenige sein, der mich wieder dazu verleitet.

Mit der linken Hand öffne ich die Tür, schiebe den Kerl in den Korridor und warte noch einen Moment, um zuzusehen, wie er nach hinten stolpert, der Schwerkraft nachgibt und auf dem dunkelroten Teppich landet. Er sieht aus wie ein jämmerlicher Haufen, und ich präge mir diesen Anblick ein, denn er ist einfach zu gut, um ihn zu vergessen.

Dann gehe ich zurück ins Zimmer, schließe die Tür und drehe den Schlüssel um.

Innerhalb weniger Sekunden höre ich lautes Klopfen und Fluchen und irgendwelche leeren Drohungen, die ich ignoriere, denn meine Aufmerksamkeit gilt allein Sloane, die die Ellbogen auf die Knie gestemmt und das Gesicht in den Händen vergraben hat. Ihre Schultern beben.

Mit entschlossenen Schritten gehe ich zu ihr, bereit, sie zu trösten, als ich sie schluchzen höre.

Jedenfalls denke ich, dass es ein Schluchzen ist, doch in Wirklichkeit lacht sie.

Sloane lacht und lacht, und ich stehe einfach nur da und starre auf ihren Körper, der in dem engen Satinkleid eingeschnürt ist. Auf ihr Haar, das zu einer schmerzhaft aussehenden Frisur hochgesteckt ist. Auf die schmalen, mit Steinchen besetzten Riemen ihrer Sandalen, die in ihre geschundenen Füße schneiden.

Unbehaglich von Kopf bis Fuß.

Und jetzt wird mir auch ein wenig unbehaglich zumute, denn ich habe gerade, an ihrem Hochzeitstag, ihren Verlobten vor die Tür gesetzt, und sie kann einfach nicht aufhören zu lachen.

»Ist alles … in Ordnung?«, frage ich wie ein Idiot, der mit hängenden Armen dasteht und die Hände immer wieder ballt und öffnet.

»Es war nie besser«, keucht sie und lacht noch heftiger. »Du hast ihn rausgeworfen wie einen Sack Müll!« Ihr Oberkörper klappt nach vorn, sodass sie mit dem Kopf zwischen den Knien hängt, und sie ringt nach Atem. Ihre rosa lackierten Nägel kratzen über den Teppich, bevor sie sich schließlich wieder aufrichtet.

»Er hat dich betrogen«, knurre ich.

»Ja. Es gibt sogar ein Video. Irgendjemand hat es mir anonym zugeschickt. In letzter Sekunde.« Anmutig wischt sie sich die Tränen aus den Augenwinkeln.

»Warum lachst du?«

Wieder fängt sie an zu kichern und zuckt mit den Schultern, bevor sie mich ansieht. Ihr Blick ist fest, doch ich sehe die Traurigkeit in ihren Augen. Diesen Blick kenne ich aus dem Spiegel. »Was sollte ich sonst tun?«

»Du wirst diesen Typen auf keinen Fall heiraten.« Ich wische mir mit der Hand über den Mund und blicke mich in dem Raum mit all den Stuckverzierungen und imposanten Kronleuchtern um. Ich bin immer noch außer mir. Noch einmal sage ich den einzigen Satz, der wie in Dauerschleife durch meinen Kopf kreist. »Du wirst diesen Typen auf keinen Fall heiraten. Nur über meine Leiche.«

Ich kann an ihrem schlanken Hals sehen, wie sie schluckt. »Was ich letztens zu dir gesagt habe, tut mir leid.« Ihre Stimme ist jetzt leiser, sie wirkt nicht mehr so hysterisch, sondern eher traurig. »Vor dem Restaurant.«

Ich winke ab. »Schon okay.«

»Nein.« Sie schüttelt den Kopf und blickt hinunter auf ihre Füße. »Ist es nicht. Ich wollte dir wehtun. Aber du warst immer für mich da und hast das nicht verdient. Ich weiß, dass du dir nur Sorgen um mich gemacht hast. Du warst …« Sie hebt den Blick und sieht mich an. In ihren Augenwinkeln zuckt es. »Du warst mir ein guter Freund.«

Ich beiße die Zähne zusammen und hasse ihren hilflosen Blick. Hasse das, was ihr hier passiert.

Hasse dieses Wort.

Freund.

Wir sind schon so verdammt lange Freunde …

… Erschrocken zucke ich zusammen, als hinter mir ein kleiner blonder Kopf am Fenster erscheint.

»Alles okay mit dir?«

Ich wende mich um. Es ist Beaus Cousine, dasselbe Mädchen, das mich heute Morgen aus dem Fenster heraus angestarrt hat. Ihre Augen sind weit geöffnet, und die Besorgnis in ihrem Gesicht tut mir im Herzen weh. Sie erinnert mich ein wenig an Jenny. Nein, mit mir ist nichts okay, aber das sage ich ihr nicht. »Ja, alles gut.«

Ich drehe mich wieder um und blicke über die Ranch. Ich liebe es, in der stillen, schwarzen Nacht hier oben auf dem Dach zu sitzen. Es ist so friedlich. Nur ich und meine Dämonen.

»Willst du ein bisschen Gesellschaft?«

Ich seufze und senke den Kopf. Ich will keine Gesellschaft. Aber auch das sage ich ihr nicht.

Sie klettert schon zu mir heraus, bevor ich überhaupt antworten kann, daher sage ich: »Sicher.«

Auf dem Dach ist es immer noch dunkel, aber es ist nicht mehr still. Ein Mädchen, das ich kaum kenne, redet über ihr Leben, und ich höre ihr zu. Sie redet so viel, dass nicht mal meine Dämonen mit ihr mithalten können.

In dieser Nacht und jeder weiteren Sommernacht sitzt sie mit mir auf dem Dach. Ich lade sie nicht ein, mir Gesellschaft zu leisten. Sie ist einfach da.

Und mit ihr dort zu sitzen ist so friedlich …

Ich räuspere mich, um den Kloß in meinem Hals loszuwerden. »Wenn ich dir jetzt ein guter Freund sein wollte, was sollte ich tun?«

Sloane seufzt, und die Erleichterung ist ihr anzusehen. Als hätte ich ihr gerade die eine Frage gestellt, auf die sie verzweifelt gewartet hat.

»Jas, bring mich hier weg. Raus auf die Ranch.«

Ich sehe sie kurz an, die Hände in den Taschen vergraben, und denke, dass ich in diesem Moment alles für sie tun würde.

Schließlich nicke ich und reiche ihr die Hand. »Dann los, Sunny.«

4

Sloane

Jasper: Gibt es am anderen Ende des Korridors einen Ausgang?

Cade: Es gibt einen Notausgang.

Rhett: Scheeeeiiiiße. Entführst du unsere Cousine etwa von ihrer eigenen verfluchten Hochzeit?

Jasper: Ja. Lenkt die Leute ab und gebt Bescheid, wenn wir rauskommen können.

Rhett: Darf ich Feueralarm auslösen?

Cade: Mir fällt schon was ein.

Rhett: Ich wollte immer schon mal Feueralarm auslösen.

Cade: Hast du auch. Ich musste wochenlang nach der Schule auf dich warten, weil du nachsitzen musstest.

Jasper: Leute?

Cade: Willa hat einen Plan. Der vielleicht noch schlimmer ist. Aber wenn ich »los« sage – dann rennt. Ihr müsst euch beeilen.

Sunny. Ich frage mich, ob er weiß, was dieser Name mit mir macht. Dass mein Magen jedes Mal nervös zuckt. Falls er es weiß, dann zeigt er es nicht. Denn im Augenblick erkenne ich den Mann vor mir kaum wieder. Seit fast zwanzig Jahren ist Jasper nun schon in meinem Leben, und er hat noch nie so gefährlich ausgesehen.

Nicht mal auf dem Eis.

Er führt mich zur Tür, bleibt aber abrupt stehen, als dahinter Stimmen erklingen. Sterling. Meine Eltern.

Gott. Wie viele Leute haben wohl mitgekriegt, was hier drinnen passiert ist?

Mit einem tiefen Knurren holt Jasper sein Handy aus der Tasche seines Jacketts. Seine Finger fliegen über das Display.

»Was machst du?«, frage ich, während ich hinter ihm stehe, denn weiter habe ich mich noch nicht getraut.

Ich will hier raus, aber ich will dabei nicht allen in die Augen sehen müssen. Sie werden versuchen, mich zum Bleiben zu überreden, und ich will einfach nur dorthin zurück, wo ich mich als kleines Mädchen immer am sichersten gefühlt habe. Ich sehne mich nach diesem Ort und dem einfachen Leben dort. Es ist ein tiefes Ziehen in meiner Brust, das ich nicht ignorieren kann.

»Ich schreibe meinen Brüdern.«

»Warum?« Ich beuge mich zur Seite und schaue an ihm vorbei aufs Display. Lese die Nachrichten, die zwischen ihm und meinen Cousins hin und her gehen.

»Damit sie uns helfen«, erwidert er knapp und dreht sich zu mir um. Seine schönen Gesichtszüge wirken fast stählern. »Du solltest die Schuhe ausziehen.«

Ich hebe das Kleid an und schaue an mir herunter. »Die Schuhe?«

»Ja. Mit denen kannst du nicht rennen.«

Ich möchte Jasper sagen, dass ich ganz wunderbar in diesen Schuhen rennen kann. Ich liebe gute High Heels und leide gern den ganzen Tag in ihnen. Aber diese hier hat meine zukünftige Schwiegermutter ausgesucht, und sie passen überhaupt nicht zu mir.

Der Gedanke, sie auszuziehen, ist einfach zu verlockend.

Mit einem knappen Nicken greife ich in den Rock und ziehe ihn noch ein Stück nach oben, um mich vorbeugen zu können. Doch bevor ich dazu komme, hockt Jasper schon vor mir. Mit geschickten Fingern öffnet er die zierlichen Silberschnallen, während ich mit offenem Mund dastehe und den Mann betrachte, der vor mir auf die Knie geht, um mir die Schuhe auszuziehen, und mir mit seinen schwieligen Händen ehrfürchtig um die Knöchel streicht, während er meine Füße befreit.

Ohne aufzublicken, reicht er mir den ersten Schuh und tippt auf den zweiten. Und nicht zum ersten Mal stehe ich mit klopfendem Herzen da und starre Jasper Gervais an, während er tut, was er tut, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt.

»Hier.« Er blickt hoch. Der zweite Schuh baumelt an seinem ausgestreckten Finger.

Es ist schwer, ihn nicht zu bewundern, wie er dort kniet, doch es ist sein Daumen, bei dessen Anblick ich leise nach Luft schnappe. Sein Daumen, der in meine Fußsohle drückt, als könnte er nicht anders, als mich zu massieren.

»Tut das weh?« Sein Adamsapfel hüpft, als er schluckt, ein Knie noch immer am Boden, das andere aufgestellt, sodass seine Anzughose sich über den Muskeln seiner Oberschenkel spannt.

Welcher Mann hält mitten in der Flucht inne, um einem die schmerzenden Füße zu massieren?

Ein verdammt guter.

Ich sollte nicht hier stehen und ihn anschmachten, erst recht nicht an dem Tag, an dem ich eigentlich einen anderen Mann hätte heiraten sollen. Doch Jasper Gervais anzuschmachten ist mir mittlerweile zur Gewohnheit geworden.

»Nein, alles gut«, sage ich hastig, ziehe den Fuß zurück und setze ihn auf den Teppich. Jetzt, mit nackten Füßen, fühle ich mich deutlich mehr geerdet.

Ich gehe um Jasper herum, der sich wieder erhebt, und drücke ein Ohr gegen die Tür. Doch außer einem leisen Flüstern und dem tiefen Bariton meines Vaters ist kaum etwas zu hören.

»Bis du bereit, Sloane?«

»Wozu?«, flüstere ich und lehne mich gegen die Tür, als könnte ich so ein paar Worte von draußen verstehen.

»Zu rennen.«

Ich wirble zu ihm herum. »Machen wir jetzt Ernst? Du wirst mir wirklich helfen, von meiner eigenen Hochzeit abzuhauen?«

Jasper lächelt, und sein Blick wird weicher. Kleine Fältchen zeigen sich in seinen Augenwinkeln. Er war schon immer mein sanfter Riese. Groß, gelassen und gut bis ins Mark. »Dafür sind Freunde schließlich da.«

Freunde.

Dieses Wort verfolgt mich seit Jahren. Als Kind hatte ich immer das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, wenn er mich so nannte, aber als Erwachsene? Als Frau? Zusehen zu müssen, wie andere Frauen bei diversen Events an seinem Arm herumstolzieren, während er mich als »gute Freundin« bezeichnet?

Es bringt mich um.

Und ich bin zu feige, um etwas dagegen zu tun. Das Timing ist jedes Mal irgendwie falsch. Und ich halte mich bedeckt, seit er mich damals beim Abschlussball abgewiesen hat. Danach habe ich es noch mal auf eher scherzhafte Art versucht.

Wenn wir zusammenwohnen würden, bräuchte ich dir nicht immer solche Umstände zu machen.

Es war eine beiläufige Bemerkung, die mir viel zu leicht über die Lippen gekommen war, während er mir dabei geholfen hat, in meiner neuen Wohnung einen Fernseher an die Wand zu hängen. Er hat nur ein tiefes Lachen von sich gegeben und dann den Flatscreen mit etwa so viel Kraftaufwand auf seine Halterung gesetzt, als würde er einen Moskito wegschlagen, der um seinen Kopf herumsurrt.

Dazu wird es wohl kaum kommen.

Diese Worte hat er vor einem Jahr zu mir gesagt, und ich habe verstanden. Jasper als Freund zu haben ist immer noch besser, als ihn ganz zu vertreiben. Und genau das würde passieren, wenn ich ihn mit meinen Gefühlen für ihn konfrontierte. Also belasse ich es dabei. Auch wenn ich vollkommen von diesem Mann besessen bin, habe ich doch immer noch einen gewissen Selbsterhaltungstrieb. Und ich bilde mir ein, auch so etwas wie Würde zu besitzen. Wobei ich mir in letzter Zeit da nicht mehr so sicher bin.

Mir wird bewusst, dass ich Jasper schon viel zu lange anstarre, und ich frage: »Was genau hast du vor?«

Er weist mit dem Daumen in die entgegengesetzte Richtung des Kirchenportals. »Da hinten ist ein Notausgang. Cade und Willa organisieren ein Ablenkungsmanöver. Und dann …« Er zuckt mit den Schultern und sieht dabei so verdammt jungenhaft aus. »Gib alles.«

»Gib alles?«

Jasper lacht leise, was mich auf eine Weise beruhigt, die ich mit Worten gar nicht ausdrücken kann.

Er nickt und wirkt dabei so sicher. Entschlossen. Es tut so gut zu wissen, dass er immer für mich da ist, wenn ich ihn brauche, dass er eine Situation, die außer Kontrolle geraten ist, wieder unter Kontrolle bringen kann. »Ja. Ich meine damit ›Gib Gas‹.«

Ich neige den Kopf zur Seite. »Ist das ein Hockey-Spruch?«

»Könnte sein.«

»Okay. Dann also – gib Gas«, sage ich mit einem zaghaften Lachen.

Doch jetzt wird Jaspers Gesicht ernst. »Bist du dir wirklich ganz sicher, Sunny?«

Sunny. Diesmal kann ich nicht verhindern, dass ich zusammenzucke. Und ich glaube, er hat es bemerkt, denn er sieht mich leicht verwirrt an. Doch alles, wozu ich fähig bin, ist ein Nicken. Ein entschlossenes Nicken.

Sein Handy meldet sich. Wir wechseln einen kurzen Blick, und dann greift Jasper auch schon nach meiner Hand, verschränkt die Finger mit meinen und dreht vorsichtig den Türknauf.

Plötzlich höre ich einen schrillen Schrei. »Ah! Mein Baby!«

Als wir in den Korridor blicken, stehen alle mit dem Rücken zu uns. Willa hockt auf dem Boden und fasst sich theatralisch an den Bauch, während Cade neben ihr steht, die Arme vor der Brust verschränkt, und schroff fragt, ob alles in Ordnung sei.

Eine Sekunde lang bin ich verwirrt. Denn ich kenne Cade, er ist mehr als nur überbehütend. Und die Mutter seines Kindes so schmerzerfüllt vor sich auf dem Boden zu sehen würde ihn schier in den Wahnsinn treiben.

Willa hebt kurz das Kinn in unsere Richtung und zwinkert uns zu, bevor sie erneut anfängt, laut zu wimmern. »Bitte! Ich brauche einen Arzt!«

Ich muss mir die Hand auf den Mund pressen, um nicht laut loszulachen. Jasper schüttelt nur den Kopf, drückt beruhigend meine Hand und zieht mich Richtung Notausgang.

Auf nackten Füßen renne ich mit möglichst großen Schritten über den Teppich und versuche dabei krampfhaft, das Lachen zu unterdrücken.

Es ist so befreiend. So erleichternd. Und bevor wir die Tür erreichen, öffne ich die Hand, in der ich die glitzernden Pumps gehalten habe.

Wie Cinderella lasse ich sie fallen und trete hinaus in den grauen Novembernachmittag, Hand in Hand mit Jasper an meiner Seite.