59,99 €
Heilpflanzenkunde für Kinder Therapeuten, Pflegekräfte und Eltern erfahren alles Wissenswerte rund um die moderne Phytotherapie und ihren wirksamen Einsatz. Mit milden pflanzlichen Reizen Selbstheilungskräfte gezielt anregen! Über 80 klar strukturierte Pflanzensteckbriefe bewährter Heilpflanzen für Kinder und ein Überblick über die wichtigsten Giftpflanzen vermitteln Ihnen umfangreiches Heilpflanzenwissen. Dies ist die Basis, um Kinder fachgerecht mit Heilpflanzen zu behandeln. Die indikationsbezogenen Therapiekonzepte sind aus der langjährigen Praxiserfahrung der Autorinnen hervorgegangen. Dosierungsangaben, Präparateempfehlungen sowie spezifische Anwendungen sind ausführlich beschrieben und in der Praxis leicht umzusetzen. Liebevoll gestaltete Zusatzinformationen, wie Rezepte zum Selbermachen, wertvolle Praxistipps und interessante Pflanzenporträts runden das geballte Heilpflanzenwissen ab und bieten die Möglichkeit, Kinder und Eltern in die Therapie aktiv miteinzubeziehen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 903
Veröffentlichungsjahr: 2012
Ursel Bühring Helga Ell-Beiser Michaela Girsch
Heilpflanzen in der Kinderheilkunde
Das Praxis-Lehrbuch 2., unveränderte Auflage 212 Abbildungen
Der Strauß der Bücher über Heilpflanzen ist bunt und groß. Das Thema Kinderheilkunde findet sich darin allerdings bisher nur in kleinen Seitentrieben. Dabei besteht gerade für Kinder eine enorme Nachfrage nach seriösen ergänzenden oder alternativen Behandlungen aus der Naturheilkunde. Insofern ist es sehr zu begrüßen, dass die drei Autorinnen, ihres Zeichens Dozentinnen an der Freiburger Heilpflanzenschule, ihre Erfahrung und ihr profundes Wissen zu einem umfassenden, praxisnahen und sehr gut recherchierten Werk über die Anwendung von Heilpflanzen in der Kinderheilkunde zusammengetragen haben.
Das Buch ist sehr übersichtlich aufgebaut und zum Nachschlagen wie auch zum Querlesen bestens geeignet. Die Praxisnähe wird durch Fallbeispiele und viele praktische Kniffe und Tipps aus der eigenen Erfahrung, die für die erfolgreiche Anwendung der Heilpflanzen häufig ganz entscheidend sind, vermittelt. Sehr wichtig gerade für die Kinderheilkunde ist, dass auch auf die gesundheitlichen Risiken bei einigen Heilpflanzen und auf die Grenzen der Selbstmedikation klar hingewiesen wird.
Die Zeiten von Glaubenskämpfen zwischen Schulund Komplementärmedizin sind allgemein vorbei. Wissenschaftliche Untersuchungen haben inzwischen für zahlreiche Beschwerden und Erkrankungen die Wirksamkeit von pflanzlichen Zubereitungen eindeutig erbracht. In diesem Strom steht dieses Buch. Es ist ein modernes Buch, das den Spagat zwischen Kopf und Herz, wissenschaftlicher Medizin und Erfahrungsheilkunde fein beherrscht und durchzogen ist von der Liebe zu den Pflanzen. Ich wünsche ihm eine breite Leserschaft.
Freiburg, im Oktober 2007
Dr. Roman HuberLeiter des Uni-Zentrums Naturheilkunde Freiburg
Jedes Kind entdeckt die Welt auf seine Art und in seinem Tempo. Die Erforschung der Elemente mit allen Sinnen sowie Erfolge und Rückschläge gehören dazu. Das Wahrnehmen der natürlichen Umgebung–das Klettern auf Bäumen, Wühlen im Sand, das Basteln von Blumenkränzen und Kochen von Grassuppen gehört zum „Ankommen” auf der Welt, ebenso wie Nasswerden, Frieren und Schwitzen.
Auch das Krankwerden gehört dazu: Fieberträume, Schmerzen, Müdigkeit und „Krankheitsgefühle” tragen dazu bei, den eigenen Körper wahrzunehmen. Die mit Krankheiten verbundene Frustration und das Leiden als Empfindung auf der seelischen Ebene sind wichtige Elemente in der Entwicklung von Kindern. Das Wissen über diese Aspekte ist grundlegend für den Umgang mit Krankheiten im Kindesalter.
In der Praxis erleben wir immer wieder, dass Kinder sowohl seelisch als auch körperlich gestärkt aus einer Krankheit hervorgehen und in ihrer Entwicklung einen großen Sprung nach vorne machen.
Für Familien ist diese Zeit jedoch oft sehr belastend. Auf der anderen Seite sind Krankheitszeiten oft auch Zeiten großer Nähe zwischen Eltern und Kind. Kinder erfahren im Idealfall Zuwendung und das Gefühl von Behütetsein, und viele Erwachsene erinnern sich gerne an die Zeit zurück, in der sie als krankes Kind verwöhnt wurden. Krankheit gehört also unmittelbar zum Leben dazu, mit all seinen Aspekten.
Wir bedauern, dass es Kindern immer schwerer gemacht wird, Erkrankungen eigenständig zu durchleben und beobachten, dass selbst bei banalen Infekten häufig früh in das Krankheitsgeschehen eingegriffen wird und der kindliche Organismus nicht erlernen darf, Krankheiten aus eigener Kraft zu überwinden. Die Folge davon ist, und das sehen wir in der Naturheilpraxis, dass Kinder oft schon gar nicht mehr in der Lage sind, auf banale Erkrankungen immunologisch angemessen zu reagieren. Ausdruck findet dies in den immer wiederkehrenden Erkrankungen, speziell den Atemwegs- und Hauterkrankungen, sowie der großen Gruppe der Allergien. Das Durchleben von „normalen” Krankheiten ist von zentraler Bedeutung für eine intakte Abwehr, und Krankheiten sind kein Zeichen für ein geschwächtes Immunsystem. Die Praxiserfahrung zeigt, dass viele schwer kranke Menschen in der Kindheit „nie krank” waren.
Heute ist es so, dass der Glaube an die unfehlbare Kraft von Antibiotika nachgelassen hat und man sich wieder auf mögliche Alternativen besinnt. Schulmedizin und Naturheilkunde müssen keinesfalls unvereinbare Gegensätze sein, sie können sich im besten Falle wunderbar ergänzen! Wie in bestimmten Fällen Antibiotika oder eine Operation das Mittel der Wahl darstellen, so sind es in anderen Fällen Heilpflanzen, Wickel oder andere naturheilkundliche Therapien–alles natürlich zum richtigen Zeitpunkt.
Pflanzliche Arzneimittel sind in der Regel gut bis sehr gut verträglich und deshalb geradezu prädestiniert für die Anwendung im Kindesalter. Der warme, duftende Tee, der lindernde Umschlag oder das wohltuende Bad–all dies sind positive Sinnesreize, welche die Heilung unterstützen.
Wir möchten Therapeuten und Eltern ermutigen, Kinder in ihrem natürlichen Heilungsprozess zu unterstützen. Das bedeutet, aufmerksam zu sein und sich Zeit zu nehmen. Das bedeutet aber auch, die Verantwortung für die Gesundheit wieder in die eigenen Hände zu nehmen und, damit verbunden, von der Natur und ihren vielfältigen Heilweisen zu lernen. Das Interesse daran ist groß, wie wir durch die rege Nachfrage nach unseren Ausbildungen erfahren, und schlussendlich hat uns das bewogen, dieses Buch zu schreiben.
Wir danken darum den vielen Teilnehmern unserer Ausbildungen, die durch ihr großes Interesse und fachlichen Austausch viele Anregungen für dieses Buch geliefert haben. Danken möchten wir dem Verlag und vor allem unserer Lektorin Silvia Mensing, die sich voller Vertrauen in ein solches Projekt begeben und uns mit viel Feingefühl unterstützt hat, sowie Christian Zehenter, der unsere Texte fachkundig bearbeitet hat und der Giftnotrufzentrale Freiburg, die den Giftpflanzen-Beitrag Korrektur gelesen hat. Danke auch an Bernadette Bächle und Andreas Kühne, die Lust hatten, mit ihren kompetenten Beiträgen am Buch mitzuarbeiten. Danken möchten wir schließlich unseren Männern, Rudi Beiser und Andreas Kirchgäßner, unseren Töchtern Lena, Samira und Laura und dem schon erwachsenen Sohn Christian, die ihre Mütter oft nur noch am Bildschirm sitzen sahen.
Kostbar war für uns drei, wie gut unsere Zusammenarbeit war, und dass es trotz der vielen Arbeit so richtig Spaß gemacht hat–können sich Autorinnen gegenseitig danken?
Freiburg, im Oktober 2007
Ursel Bühring Helga Ell-Beiser Michaela Girsch
Liebe Leserinnen und Leser,
damit Sie mit diesem Buch möglichst effektiv arbeiten können und auch genüssliches Schmökern nicht zu kurz kommt, wollen wir Ihnen Aufbau und Struktur erläutern.
Das Buch ist in drei Teile und den Anhang gegliedert.
Im ▶Teil 1
stellen wir die
Grundlagen der Therapie
vor, Umgang und Zusammenarbeit mit dem Kind, Anamnese und Gesprächsführung,
die
Praxis-Grundlagen,
in denen wir Regeln für die Behandlung von Kindern mit Heilpflanzen und Dosierungsfragen erläutern,
und ausführlich und praxisnah stellen wir Ihnen die
Heilpflanzenanwendungen in der Kinderheilkunde
vor: Wie werden Tees, Salben, Sirupe, Wickel etc. zubereitet bzw. angewendet?
Zudem gibt es einen Einstieg in die wichtigen
Wirkstoffgruppen
zum besseren Verständnis der Arzneiwirkung.
Um es noch praxisnäher zu machen, führen wir Sie ein ins
Sammeln, Trocknen
und
Aufbewahren.
Der ▶Teil 2 enthält die wichtigsten bewährten Kinder-Heilpflanzen, 81 Pflanzensteckbriefe (mit Bild), in denen Sie auf einen Blick die wichtigsten „facts” erkennen können: Inhaltsstoffe, Wirkung, Indikationen, Darreichungsformen und Tagesdosis, inklusive (soweit vorhanden) Dosierungsempfehlungen für Kinder, Nebenwirkungen und Gegenanzeigen, aktuelle Präparate und den Text der Kommission E. Die von der Kommission E mit einer positiven Monografie versehenen Arzneidrogen sind in den Pflanzensteckbriefen durch ein (M) hinter dem Namen gekennzeichnet.
Der 3. Teil ist das größte Kapitel, in dem es um Therapie und Anwendung bei den einzelnen Indikationen geht: Verdauungs- und psychosomatische Beschwerden, Lymphatische Diathese, Atemwegsund Hauterkrankungen, Erkrankungen des Urogenitaltraktes, Menstruationsbeschwerden, Schmerzbehandlung, Kopf-, Zahn- und Wachstumsschmerzen. Ein spezielles Kapitel beschäftigt sich mit Allergien, Diabetes und Rheumatischen Erkrankungen im Kindesalter (HP Andreas Kühne) und ein weiteres mit dem Kind im Krankenhaus und unterstützenden Behandlungsmöglichkeiten in der Onkologie (Bernadette Bächle).
Wir gehen in diesen Kapiteln auf Ursachen, Symptome und Grenzen der (Selbst-)Behandlung ein, geben Hinweise auf konstitutionelle Aspekte, Tipps für Eltern sowie für bewährte Anwendungen wie Wickel oder Bäder. Außerdem stellen wir einzelne Fallgeschichten vor. Bewährte Rezepturen finden Sie im Text eingestreut, sodass Sie mit diesem Fundus ausgestattet Ihr Wissen verantwortungsbewusst in die therapeutische Praxis umsetzen können. Die Heilpflanzen in den Indikationskapiteln sind nicht alphabetisch, sondern nach Bedeutung geordnet.
In den Text integriert sind 20 spezifische Kinder-Pflanzenporträts (bebildert). Damit wollen wir Sie ein bisschen unterstützen, Kindern Heilpflanzen näher zu bringen, denn jede Therapie ist nur so gut, wie sie auch angenommen wird! Das gemeinsame Herstellen eines Löwenzahngelees oder das Blütenkandieren auf dem nächsten Kindergeburtstag ermöglicht ganz neue Formen der Begegnung mit Heilpflanzen.
Im Anhang finden Sie die Haus- und die Reiseapotheke vorgestellt, ein kurzes Statement zu Impfungen und die wichtigsten Giftpflanzen.
Natürlich stellen wir uns auch als Autorinnen vor und haben für Sie einen ausführlichen Adressteil mit Bezugsquellen, Ausbildungsmöglichkeiten und Internetadressen zusammengestellt. Das Literatur-, Pflanzen- und Sachverzeichnis komplettieren das Buch–auf dass Sie mit Freude darin blättern, Ihren Wissensdurst stillen und vor allem fachgerecht und kompetent die kleinen Patienten betreuen können.
Aus Gründen der Lesbarkeit haben wir uns für die männliche Form der Ansprache entschieden, wohlwissend, dass in diesem Fachbereich die Therapeutinnen absolut in der Überzahl sind!
Wir wünschen Ihnen viele Anregungen beim Lesen!
Geleitwort
Vorwort
Zur Arbeit mit dem Buch
Teil 1 Grundlagen der Therapie
1 Einführung
Helga Ell-Beiser
1.1 Eltern–oft Teil von Ursache und Lösung
1.2 Praxisbesuche angstfrei und reibungslos gestalten
2 Anamnese und Untersuchung
Helga Ell-Beiser
2.1 Wichtige Anamnesefragen
2.2 Körperliche Untersuchung
2.3 Gesprächsführung
2.3.1 Säuglinge
2.3.2 Kleinkinder
2.3.3 Ältere Kinder und Jugendliche
3 Praxis-Grundlagen
Michaela Girsch
3.1 Grundsätzliches zur Behandlung von Kindern
3.1.1 Der Krankheitsbegriff in der Kinderheilkunde
3.1.2 „Durchtherapierung”
3.1.3 Selbstbehandlung–Eltern als Therapeuten
3.1.4 Therapie
3.1.5 Kinderdosierungen
3.1.6 Unbedenklichkeit von Heilpflanzen
3.1.7 Dosierung von Heilpflanzen und Phytopharmaka in der Kinderheilkunde
4 Heilpflanzenanwendungen in der Kinderheilkunde
Michaela Girsch
4.1 Tee
4.1.1 Teezubereitung
4.1.2 Im Handel erhältliche Teedrogen…
4.1.3 Das Teerezept
4.1.4 Bezeichnungen der Pflanzenteile
4.1.5 Zur richtigen Einnahme von Tees
4.2 Frischpflanzenpresssäfte
4.3 Alkoholische Auszüge
4.3.1 Mazeration
4.3.2 Digestion
4.3.3 Perkolation
4.3.4 Ansatzverhältnis
4.3.5 Alkohol in der Kinderheilkunde
4.4 Sirup
4.4.1 Kamillensirup
4.4.2 Erdkammersirup
4.4.3 Meerrettichsirup
4.4.4 Zwiebelsirup 1
4.4.5 Zwiebelsirup 2
4.4.6 Rettich-Honig
4.5 Tabletten
4.6 Zäpfchen
4.7 Wickel
4.7.1 Wadenwickel
4.7.2 Kalter Halswickel
4.7.3 Warmer Halswickel
4.7.4 Pulswickel
4.7.5 Bienenwachs-Wickel
4.7.6 Quarkwickel
4.7.7 Zwiebel-Brustwickel
4.7.8 Zwiebel-Ohrwickel
4.8 Auflagen und Kompressen
4.8.1 Kamillen-Bauchwickel
4.8.2 Eukalyptusöl-Blasenkompresse
4.8.3 Kümmelöl-Kompresse
4.8.4 Zwiebelsocken
4.8.5 Meerrettich-Auflage
4.8.6 Eichenrindentee-Auflage
4.8.7 Schachtelhalm-Umschlag
4.8.8 Leinsamen-Auflage
4.9 Bäder
4.9.1 Vollbad
4.9.2 Sitzbad
4.9.3 Fußbad
4.10 Waschungen
4.10.1 Fiebersenkende Waschung
4.10.2 Pfefferminzwaschung
4.10.3 Walnuss-Stiefmütterchen-Waschung
4.11 Gurgeln und Mundspülungen
4.11.1 Blutwurz-Spülung
4.12 Inhalationen
4.12.1 Inhalation mit Kamillenextrakt
4.12.2 Inhalation mit ätherischen Ölen
4.13 Einlauf
4.13.1 Grundrezept: Einlauf
4.13.2 Knoblaucheinlauf
4.14 Salben
4.14.1 Grundrezept für alle Salben
4.14.2 Majoransalbe
4.14.3 Engelwurz-Salbe
4.15 Cremes
4.15.1 Hautcreme
4.16 Gele
4.17 Lotionen und Schüttelmixturen
4.18 Auszugsöle
4.18.1 Johanniskrautöl
4.18.2 Bauchöl gegen Blähungen
4.18.3 Rotes Sanddornöl
4.19 Aromaöle
4.19.1 Basisöle
4.19.2 Ätherische Öle
4.19.3 Kümmelöl
4.19.4 Rotes Lavendelöl
4.19.5 Sportliches Minz-Rotöl
4.20 Kräuterkissen
4.20.1 Schlafkissen
4.20.2 Dillkissen für Kinder
4.20.3 Kamillenkissen
5 Wirkstoffe
Michaela Girsch
5.1 Ätherische Öle
5.2 Alkaloide
5.3 Bitterstoffe
5.4 Gerbstoffe
5.5 Glykoside
5.5.1 Anthozyanglykoside
5.5.2 Anthranoidglykoside
5.5.3 Arbutin
5.5.4 Cumaringlykoside
5.5.5 Digitalisglykoside
5.5.6 Flavonoidglykoside
5.5.7 Salicin
5.5.8 Saponine
5.5.9 Senfölglykoside
5.5.10 Pflanzenschleime
6 Sammeln, Trocknen, Aufbewahren
Helga Ell-Beiser
6.1 Regeln für das Sammeln
6.2 Wo wird gesammelt?
6.3 Wann wird gesammelt?
6.4 Erntewetter
6.5 Trocknen der Pflanzen
6.5.1 Trocknungszeiten
6.5.2 Methoden der Trocknung
6.6 Aufbewahrung
Teil 2 Bewährte Heilpflanzen für Kinder
Ursel Bühring
Pflanzenporträts
Ursel Bühring
Heidelbeere
Fenchel
Kamille
Engelwurz
Melisse
Lavendel
Bärlauch
Holunder
Spitzwegerich
Thymian
Efeu
Zwiebel
Beinwell
Ringelblume
Hamamelis
Stiefmütterchen
Gänseblümchen
Löwenzahn
Kürbis
Pfefferminze
Teil 3 Heilen nach Indikationen
7 Darmerkrankungen
Helga Ell-Beiser
7.1 Durchfall (Diarrhöe)
7.1.1 Pathologie
7.1.2 Ganzheitliche Therapie
7.1.3 Behandlung mit Heilpflanzen
7.2 Verstopfung (Obstipation)
7.2.1 Pathologie
7.2.2 Ganzheitliche Therapien
7.2.3 Behandlung mit Heilpflanzen
7.3 Blähungen (Flatulenz, Meteorismus), Dreimonatskoliken
7.3.1 Pathologie
7.3.2 Ganzheitliche Therapien
7.3.3 Behandlung mit Heilpflanzen
7.4 Bauchschmerzen, Nabelkoliken
7.4.1 Pathologie
7.4.2 Ganzheitliche Therapien
7.4.3 Behandlung mit Heilpflanzen
7.5 Madenwürmer (Enterobiasis, Oxyuriasis)
7.5.1 Pathologie
7.5.2 Ganzheitliche Therapien
7.5.3 Behandlung mit Heilpflanzen
7.6 Dysbiose (Fehlbesiedelung des Darms)
7.6.1 Pathologie
7.6.2 Ganzheitliche Therapien
7.6.3 Behandlung mit Heilpflanzen
7.7 Darmmykosen (Candida albicans)
7.7.1 Pathologie
7.7.2 Ganzheitliche Therapien
7.7.3 Behandlung mit Heilpflanzen
7.8 Physiologischer Neugeborenen-Ikterus (Icterus neonatorum)
7.8.1 Pathologie
7.8.2 Ganzheitliche Therapien
7.8.3 Behandlung mit Heilpflanzen
8 Magenbeschwerden
Michaela Girsch
8.1 Magenbeschwerden im Alltag
8.1.1 Pathologie
8.1.2 Ganzheitliche Therapien
8.1.3 Behandlung mit Heilpflanzen
8.2 Pylorusstenose
8.2.1 Pathologie
8.2.2 Ganzheitliche Therapien
8.2.3 Behandlung mit Heilpflanzen
8.3 Reisekrankheit (Kinetose)
8.3.1 Pathologie
8.3.2 Ganzheitliche Therapie
8.3.3 Behandlung mit Heilpflanzen
8.4 Appetitlosigkeit (Anorexie)
8.4.1 Pathologie
8.4.2 Ganzheitliche Therapien
8.4.3 Behandlung mit Heilpflanzen
8.5 Magersucht (Anorexia nervosa)
8.5.1 Pathologie
8.5.2 Ganzheitliche Therapien
8.5.3 Behandlung mit Heilpflanzen
9 Psychosomatische Störungen
Helga Ell-Beiser
9.1 Angststörungen
9.1.1 Pathologie
9.1.2 Ganzheitliche Therapien
9.1.3 Behandlung mit Heilpflanzen
9.2 Depressionen
9.2.1 Pathologie
9.2.2 Ganzheitliche Therapien
9.2.3 Behandlung mit Heilpflanzen
9.3 Schlafstörungen
9.3.1 Pathologie
9.3.2 Ganzheitliche Therapien
9.3.3 Behandlung mit Heilpflanzen
9.4 Unruhezustände, Nervosität, Stress
9.4.1 Pathologie
9.4.2 Ganzheitliche Therapien
9.4.3 Behandlung mit Heilpflanzen
9.5 Aufmerksamkeits-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
9.5.1 Pathologie
9.5.2 Ganzheitliche Therapien
9.5.3 Behandlung mit Heilpflanzen
10 Lymphatische Diathese-„ständig krank”
Helga Ell-Beiser
10.1 Lymphatische Diathese alias Skrofulose
10.1.1 Ganzheitliche Therapien
10.1.2 Behandlung mit Heilpflanzen
11 Atemwegserkrankungen
Helga Ell-Beiser
11.1 Erkältung, Grippaler Infekt
11.1.1 Pathologie
11.1.2 Ganzheitliche Therapien
11.1.3 Behandlung mit Heilpflanzen
11.2 Fieber
11.2.1 Pathologie
11.2.2 Ganzheitliche Therapien
11.2.3 Behandlung mit Heilpflanzen
11.3 Schnupfen (Rhinitis)
11.3.1 Pathologie
11.3.2 Ganzheitliche Therapien
11.3.3 Behandlung mit Heilpflanzen
11.4 Nasennebenhöhlenentzündung (Sinusitis)
11.4.1 Pathologie
11.4.2 Ganzheitliche Therapien
11.4.3 Behandlung mit Heilpflanzen
11.5 Angina tonsillaris (Tonsillitis, Mandelentzündung)
11.5.1 Pathologie
11.5.2 Ganzheitliche Therapien
11.5.3 Behandlung mit Heilpflanzen
11.6 Pfeiffersches Drüsenfieber (Mononukleose, Mononucleosis infectiosa)
11.6.1 Pathologie
11.6.2 Ganzheitliche Therapien
11.6.3 Behandlung mit Heilpflanzen
11.7 Scharlach
11.7.1 Pathologie
11.7.2 Ganzheitliche Therapien
11.8 Infektanfälligkeit
11.8.1 Pathologie
11.8.2 Ganzheitliche Therapien
11.8.3 Behandlung mit Heilpflanzen
11.9 Husten
11.9.1 Pathologie
11.9.2 Ganzheitliche Therapien
11.9.3 Behandlung mit Heilpflanzen
11.10 Bronchitis
11.10.1 Akute Bronchitis
11.10.2 Chronische Bronchitis
11.10.3 Ganzheitliche Therapien
11.10.4 Behandlung mit Heilpflanzen
11.11 Keuchhusten (Pertussis)
11.11.1 Pathologie
11.11.2 Ganzheitliche Therapien
11.11.3 Behandlung mit Heilpflanzen
11.12 Asthma bronchiale
11.12.1 Pathologie
11.12.2 Ganzheitliche Therapien
11.12.3 Behandlung mit Heilpflanzen
11.13 Pseudokrupp
11.13.1 Pathologie
11.13.2 Ganzheitliche Therapien
11.13.3 Behandlung mit Heilpflanzen
11.14 Mumps (Parotitis epidemica)
11.14.1 Pathologie
11.14.2 Ganzheitliche Therapien
11.15 Akute Mittelohrentzündung (Otitis media acuta)
11.15.1 Pathologie
11.15.2 Ganzheitliche Therapien
11.15.3 Behandlung mit Heilpflanzen
11.16 Augenbindehautentzündung (Konjunktivitis)
11.16.1 Pathologie
11.16.2 Ganzheitliche Therapien
11.16.3 Behandlung mit Heilpflanzen
11.17 Herpes labialis (Lippen-Herpes)
11.17.1 Pathologie
11.17.2 Ganzheitliche Therapie
11.17.3 Behandlung mit Heilpflanzen
11.18 Exkurs: Synthetische und Pflanzliche Antibiotika
11.18.1 Anwendung und Folgen Synthetischer Antibiotika
11.18.2 Pflanzliche Antibiotika: Kaum Nebenwirkungen–keine Resistenzen
12 Hauterkrankungen
Michaela Girsch
12.1 Stumpfe Verletzungen
12.1.1 Pathologie
12.1.2 Ganzheitliche Therapien
12.1.3 Behandlung mit Heilpflanzen
12.2 Offene Wunden
12.2.1 Pathologie
12.2.2 Ganzheitliche Therapien
12.2.3 Behandlung mit Heilpflanzen
12.3 Windeldermatitis
12.3.1 Pathologie
12.3.2 Ganzheitliche Therapien
12.3.3 Behandlung mit Heilpflanzen
12.4 Windelsoor
12.4.1 Pathologie
12.4.2 Ganzheitliche Therapien
12.4.3 Behandlung mit Heilpflanzen
12.5 Mundsoor
12.5.1 Pathologie
12.5.2 Ganzheitliche Therapien
12.5.3 Behandlung mit Heilpflanzen
12.6 Verbrennungen, Verbrühungen
12.6.1 Pathologie
12.6.2 Erste-Hilfe-Maßnahmen
12.6.3 Behandlung mit Heilpflanzen
12.7 Insektenstiche
12.7.1 Pathologie
12.7.2 Ganzheitliche Therapien
12.7.3 Behandlung mit Heilpflanzen
12.8 Warzen
12.8.1 Pathologie
12.8.2 Ganzheitliche Therapien
12.8.3 Behandlung mit Heilpflanzen
12.9 Akne
12.9.1 Pathologie
12.9.2 Ganzheitliche Therapien
12.9.3 Behandlung mit Heilpflanzen
12.10 Kopfläuse (Pedikulose)
12.10.1 Pathologie
12.10.2 Ganzheitliche Therapien
12.10.3 Behandlung mit Heilpflanzen
12.11 Akute und chronische Ekzeme, unspezifische Hautkrankheiten
12.11.1 Pathologie
12.11.2 Ganzheitliche Therapien
12.11.3 Behandlung mit Heilpflanzen
12.12 Milchschorf
12.12.1 Pathologie
12.12.2 Ganzheitliche Therapien
12.12.3 Behandlung mit Heilpflanzen
12.13 Neurodermitis
12.13.1 Pathologie
12.13.2 Ganzheitliche Therapien
12.13.3 Behandlung mit Heilpflanzen
12.14 Kinderkrankheiten mit Hauterscheinungen
12.14.1 Windpocken (Varizella zoster)
12.14.2 Röteln
12.14.3 Masern
13 Erkrankungen des Urogenitaltraktes
Michaela Girsch
13.1 Harnwegsinfekte
13.1.1 Pathologie
13.1.2 Ganzheitliche Therapien
13.1.3 Behandlung mit Heilpflanzen
13.2 Reizblase
13.2.1 Pathologie
13.2.2 Ganzheitliche Therapien
13.2.3 Behandlung mit Heilpflanzen
13.3 Bettnässen
13.3.1 Pathologie
13.3.2 Ganzheitliche Therapien
13.3.3 Behandlung mit Heilpflanzen
14 Menstruationsbeschwerden – vom Mädchen zur Frau
Helga Ell-Beiser
14.1 Prämenstruelles Syndrom (PMS)
14.1.1 Pathologie
14.1.2 Ganzheitliche Therapien
14.1.3 Behandlung mit Heilpflanzen
14.2 Schmerzhafte Regelblutung (Dysmenorrhöe)
14.2.1 Pathologie
14.2.2 Ganzheitliche Therapien
14.2.3 Behandlung mit Heilpflanzen
15 Schmerzbehandlung
Michaela Girsch
15.1 Kopfschmerzen und Migräne
15.1.1 Spannungskopfschmerzen
15.1.2 Migräne
15.1.3 Sonstige Kopfschmerzen
15.1.4 Ganzheitliche Therapien
15.1.5 Behandlung mit Heilpflanzen
15.2 Zahnungsbeschwerden
15.2.1 Pathologie
15.2.2 Ganzheitliche Therapien
15.2.3 Behandlung mit Heilpflanzen
15.3 Wachstumsschmerzen
15.3.1 Pathologie
15.3.2 Ganzheitliche Therapien
15.3.3 Behandlung mit Heilpflanzen
16 Allergie und Autoimmunerkrankungen
Andreas Kühne
16.1 Allergische Erkrankungen
16.1.1 Exkurs: Einblicke in die Immunologie
16.1.2 Pathologie
16.1.3 Ganzheitliche Therapien
16.1.4 Behandlung mit Heilpflanzen
16.2 Juvenile Arthritis („Rheuma”)
16.2.1 Pathologie
16.2.2 Ganzheitliche Therapie
16.2.3 Behandlung mit Heilpflanzen
16.3 Diabetes mellitus
16.3.1 Pathologie
16.3.2 Ganzheitliche Therapien
16.3.3 Behandlung mit Heilpflanzen
17 Linderung, Begleitung und Pflege
Bernadette Bächle
17.1 Pädiatrische Onkologie
17.1.1 Pathologie
17.1.2 Ganzheitliche Therapien
17.1.3 Behandlung mit Heilpflanzen
17.2 Anwendung von Heilpflanzen in der Kinderkrankenpflege
17.2.1 Ganzheitliche Therapien
17.2.2 Behandlung mit Heilpflanzen
Teil 4 Anhang
18 Was gehört in die Hausapotheke?
Michaela Girsch
19 Reiseapotheke für unterwegs
Michaela Girsch
20 Impfungen
Helga Ell-Beiser
21 Achtung, giftig: Giftpflanzen
Ursel Bühring
21.1 Information statt Angst
21.2 Erste Hilfe bei Vergiftungen
21.3 Giftpflanzen von A–Z
21.4 Vergiftungsberatungsstellen in Deutschland, Österreich und der Schweiz
Über die Autorinnen
Weiterführende Adressen
Abbildungsnachweis
Literatur
Pflanzenverzeichnis
Sachverzeichnis
Heilpflanzen und Kinder sind eine durch und durch gelungene Verbindung, brauchen Kinder doch nur sanfte Reize, um die Selbstheilungskräfte anzuregen. In der naturheilkundlichen Praxis sind Heilpflanzen zur Behandlung verschiedener Alltagserkrankungen wie Erkältungen oder Verdauungsbeschwerden nicht wegzudenken. Die Zubereitungen sind einfach erlernbar, die Nebenwirkungen äußerst gering und die Wirkung überzeugend. Was erwartet man mehr von Heilmitteln? Ein gesundes Umfeld, eine liebevolle familiäre Atmosphäre und die Möglichkeit, krank sein zu dürfen, sind dabei die Pfeiler einer gesunden Kindesentwicklung und erfolgreichen Behandlung.
In den ersten sieben Lebensjahren kommt es bei den meisten Kindern sehr häufig zu Erkältungsund Infektionskrankheiten. Es handelt sich hierbei um ein ganz normales, sogar notwendiges Phänomen, da der Organismus dabei lernt, sich mit Krankheiten auseinanderzusetzen. Nur so kann er eigene Abwehrkräfte ausbilden. Dieser Prozess ist für die Eltern eine sehr anstrengende Zeit, mit vielen schlaflosen Nächten, Anspannung und familiärer Belastung. Erschöpft und verunsichert verabreichen viele ihrem Kind synthetische Medikamente, damit es schläft bzw. sie selbst wieder Schlaf finden. Ein weiterer Grund liegt in dem Wunsch der Eltern, dass die Kinder nicht leiden müssen und die „schlimmen” Symptome rasch gemildert oder ganz beseitigt werden. Interessanterweise erleben Kinder dieses „Leiden” anders als die Eltern. Wer sich an seine eigene Kindheit zurückerinnert, hat im Nachhinein oft positive Erinnerungen: Die Zeit des Krankseins war begleitet von einer liebevollen, aufmerksamen Mutter, evtl. sogar durch den sonst abwesenden Vater, man wurde verwöhnt und durfte vielleicht sogar im Bett der Eltern schlafen.
Beziehen Sie die Familie soweit irgend möglich in alle Therapieschritte mit ein. Die Aufgabe besteht neben den therapeutischen Anwendungen darin, die Eltern mit ihrem kranken Kind zu begleiten und zu ermutigen, damit sie die Krankheit zulassen können. Angst ist der schlechteste Ratgeber, gerade bei kranken Kindern. Gleichsam soll die heilkundige Betreuung sicherstellen, dass aus einer anfänglich banalen Erkrankung keine Komplikationen entstehen.
Kinder sollen lernen, ihrem eigenen Körper zu trauen. Gerade der kindliche Organismus verfügt über ein hohes Potenzial an Selbstheilungskräften. Oft genügen bereits milde phytotherapeutische Reize, um Selbstheilungskräfte und körpereigene Abwehr wieder zur vollen Entfaltung zu bringen und eine Heilung herbeizuführen. Zum anderen ermöglichen Heilpflanzen eine Fülle kinderfreundlicher Anwendungen. Dazu gehört die eigene liebevolle Zubereitung des Arzneimittels, z. B. als Tee oder Sirup, oder die Behandlung durch Einreibung, Inhalation, Wickel oder Bäder. In diesen Fällen können die Eltern selbst Hand anlegen, das haben die Kinder sehr gerne. Sie erhalten Zuwendung und erleben ihre Eltern als aktiv, was einen großen Unterschied zur normalerweise vorherrschenden passiven Haltung bei Krankheiten ausmacht. Dies animiert die Kinder nicht zuletzt, am Bewältigen ihrer Beschwerden selbst aktiv mitzuwirken. Sie gewinnen dadurch an Vertrauen und erleben, dass ihr Körper mit einer Krankheit fertig werden kann!
Wenn sich während einer Behandlung zeigt, dass familiäre Strukturen zum Kranksein des Kindes beitragen, sollte behutsam mit den Eltern besprochen werden, wo die Ursache liegen könnte und inwieweit sie verändert werden kann. Eine Lösung wird immer in das Familiengefüge eingreifen, da das Kind darin eingebunden ist. Deshalb vorsichtig und in kleinen Schritten vorgehen! Ohne Veränderung eines ursächlichen familiären Problems versprechen weitere Behandlungsmaßnahmen (z.B. Ernährungsumstellung) wenig Erfolg und können sich sogar belastend auswirken.
Wenn das elterliche Verhalten eine Krankheit oder Störung ausgelöst hat (s.a. Kap. Psychosomatische Störungen, ▶S.180), sollte man an erster Stelle eine psychotherapeutische Behandlung (z.B. Familientherapie) in Betracht ziehen und an zweiter Stelle mit naturheilkundlichen Maßnahmen unterstützend behandeln. Jede Thematisierung und Änderung der familiären Situation setzt selbstverständlich die Bereitschaft der Eltern voraus.
Bei vielen Kindern löst schon die Ankündigung: „Wir gehen zum Arzt/Heilpraktiker!” Unbehagen oder gar Panik aus. Besorgnis und Ängste der Eltern, viel Wirbel um den Praxisbesuch und häufige Gespräche von Erwachsenen über „schreckliche” Krankheiten signalisieren Kindern, dass ihnen etwas Unangenehmes bevorsteht. Manche Eltern übertragen auch ihre eigene Angst vor Krankheit und Therapie auf ihr Kind. Damit der Besuch beim Therapeuten nicht zu einem unangenehmen Erlebnis für das Kind, die Eltern und den Behandler wird, sollte von allen Seiten versucht werden, Ängste abzubauen, ehrlich zum Kind zu sein und es richtig auf den Praxisbesuch vorzubereiten.
Die meisten Kinder kennen Behandlungssituationen bereits gut aus den „U-Untersuchungen” beim Kinderarzt. Gestalten Sie den Praxisbesuch für Eltern und Kind möglichst angstfrei und reibungslos:
Der kleine Patient darf sein liebstes Schmusetier mit in die Praxis nehmen und beim Untersuchen bei sich behalten.
Eine kindgerechte, vertrauenstiftende Umgebung (s.Kap. Körperliche Untersuchung,
▶
S.7
) und genügend Zeit für das Erstgespräch erleichtern die gemeinsame Arbeit–auch für die Zukunft!
Zum Untersuchen können Sie das Kind den Platz aussuchen lassen, den es am liebsten mag – meist auf dem Schoß oder im Arm der Mutter. Die Mutter kann sich dazu auf die Untersuchungsliege setzen.
Zeigen Sie der Mutter bei Bedarf, wie sie das Kind richtig hält–dies erleichtert unangenehme Untersuchungen.
Lassen Sie das Kind die Fragen möglichst selbst beantworten. So kann sich ein Gespräch entwickeln, das Vertrauen schafft und Ängste abbaut (s. Kap. Gesprächsführung,
▶
S.8
).
Wenn es dazu alt genug ist, sollte sich das Kind ohne Hilfe der Eltern entkleiden. Hierdurch erfahren Sie bereits viel über die Geschicklichkeit und den Entwicklungsstand des Kindes.
Wenn möglich immer nur den Körperteil freimachen, der gerade untersucht werden soll.
Zur positiven Erinnerung können Sie dem Kind zum Abschied ein kleines Spielzeug schenken.
Einige Tipps für
Eltern
bzw.
Begleitpersonen
erleichtern den Praxisbesuch bereits im Vorfeld:
Abb. 1.1 Kind bei der Untersuchung.
- Wenn möglich Termin vereinbaren, um Wartezeiten zu verkürzen.
Auffälligkeiten zuvor zu Hause aufschreiben, damit sie in der Aufregung nicht vergessen werden.
Zwanglosigkeit: Keine aufwendigen Vorbereitungen vor dem Praxisbesuch wie zusätzliches Waschen oder Umziehen.
Keine Versprechen wie: „Der tut Dir gar nichts!” oder „Es piekst nur ein bisschen!”.
Erklärungen, was das Kind erwartet, z. B.: „Der Therapeut wird Dir helfen, Dich anfassen, untersuchen, mit dem Stethoskop abhören, in den Mund schauen und Deine Ohren ausleuchten.” Dies kann zu Hause mit dem Kind und der Puppe/Teddy geübt werden – fast alle Kinder spielen leidenschaftlich gern „Doktor”.
Keine Versprechungen und Belohnungen für den Praxisbesuch oder gar für gutes Verhalten.
Hinweis
Kinder sollte man nie gegen ihren Willen zu etwas zwingen, außer es besteht eine akute vitale Gefährdung, die ein Handeln zwingend notwendig macht!
Um ein Kind erfolgreich behandeln zu können, müssen verschiedene Gegebenheiten erfragt, erkannt und überprüft werden. Da es nicht alleine in die Praxis kommt, unterscheidet sich die Anamnese deutlich von der eines Erwachsenen (s. Kap. Gesprächsführung, ▶S.8). Je jünger das Kind, desto wahrscheinlicher ist der Ansprechpartner eine Drittperson. Bei der Befunderhebung stehen Kind und Begleitperson gleichermaßen im Mittelpunkt. Auch sehr kleine Patienten können schon viel über ihre Befindlichkeiten ausdrücken. Wenn auch noch nicht verbal exakt, dann doch durch die Art des Ausdrucks, der Haltung, Mimik und Gestik. Die Angaben der Eltern können sehr realistisch sein oder sich hingegen von eigenen Wünschen, Gefühlen und Vorstellungen ableiten. Deshalb sollten in der Regel (abhängig vom Alter und vom jeweiligen Fall) alle Beteiligten in die Anamnese einbezogen werden. Eine wichtige Information gibt dabei, wie die einzelnen Familienmitglieder aufeinander reagieren, wenn die subjektive Sichtweise erzählt wird.
Kind:
Name, Vorname, Kosename (v.a. bei kleinen Kindern wichtig), Wohnadresse, Geburtsdatum und -ort, Nationalität
Eltern:
Name, Vorname, Wohnadresse, Geburtsdatum, Beruf, Familienstand (verheiratet, getrennt, allein erziehend), sonstige Betreuungspersonen, Telefonnummer
Geschwister:
Alter
Religion
(manche Religionen engen die Behandlungsmöglichkeiten ein)
Zeitliche Entwicklung
der Beschwerden: Wann haben sie begonnen, sind sie plötzlich oder langsam entstanden, treten sie ständig auf oder in Schüben?
Lokalisation, Art und Stärke
der Beschwerden: Bauchschmerzen etwa können scharf begrenzt oder im ganzen Bauch auftreten, dumpfen oder reißenden Charakter haben, gerade spürbar oder vernichtend sein.
Auslösende, verstärkende oder lindernde Faktoren
der Beschwerden: Wird das Bauchweh durch bestimmte Lebensmittel ausgelöst, lindert eine Wärmflasche die Beschwerden?
Begleiterscheinungen
der Beschwerden: Besteht gleichzeitig Übelkeit oder Erbrechen?
Bisherige Diagnosen
für die aktuellen Beschwerden (gibt es Befundberichte und Laborergebnisse anderer Therapeuten?)
Therapien der Beschwerden
(wurde bereits etwas unternommen, wenn ja, mit welchem Ergebnis?)
Werden
regelmäßig
Medikamente eingenommen? Fragen Sie dabei auch ausdrücklich nach
naturheilkundlichen Medikamenten
sowie
Nahrungsergänzüngsmitteln.
Diese werden oft nicht als „Medikamente” gewertet.
Wurde schon einmal oder sogar gehäuft mit
Antibiotika, Antipyretika
oder
Kortikoiden
behandelt?
Traten
Nebenwirkungen
(z.B. allergische Schübe) in Zusammenhang mit einer Medikamenteneinnahme auf?
Der
Mutterpass
stellt die erste Informationsquelle über die kindliche Entwicklung dar. Bitten Sie die Mutter, ihn beim ersten Besuch mitzubringen.
Wie war das subjektive Befinden während der Schwangerschaft?
Sind soziale, familiäre, berufliche, persönliche oder partnerschaftliche Veränderungen aufgetreten?
Gab es Erkrankungen, Komplikationen oder Unfälle?
Welche
Form
(Hausgeburt, ambulante Geburt, Klinikgeburt) wurde gewählt?
Wie war der
Ablauf
der Entbindung–gab es Komplikationen?
Wurde die Geburt eingeleitet
(Wehenmittel)?
War es eine spontane Geburt oder ein
Kaiserschnitt?
Kam das Kind
termingerecht
oder wurde der errechnete Termin unter- oder überschritten?
Wie waren die ersten Minuten nach der Geburt?
Wurde das Kind nach der Geburt von der Mutter
getrennt
(Intensivstation, Inkubator etc.)?
War der
Partner
anwesend, wie ging es ihm?
Wurde das Kind
gestillt,
wenn ja, wie lange? Gab es dabei Probleme? (z. B. Trinkschwierigkeiten des Säuglings, Brustentzündungen der Mutter, zu viel / zu wenig Milch etc.)
Hilfreich kann es sein, sich die
Ernährung der letzten Woche
genau erzählen zu lassen (Art, Anzahl und Menge von Nahrungsmitteln).
Welche Nahrungsmittel lehnt das Kind ab, welche isst es nur mit Widerwillen und was ist das Lieblingsessen?
Reaktionen
auf bestimmte Nahrungsmittel, wenn ja, in welcher Weise?
Was und wie viel trinkt das Kind am Tag?
Gibt es bekannte oder vermutete Allergien und / oder Unverträglichkeiten beim Kind und in dessen Familie? Durch das häufige Vorkommen von Allergien muss dieser Punkt gesondert angesprochen werden. Allergien werden nach einer bestimmten Zeit häufig ignoriert oder „vergessen”.
Wann lernte das Kind zu fixieren, lächeln, greifen, sitzen, kriechen, stehen, laufen und sprechen?
Wann war es „sauber”?
Wie verlief das Zahnen?
Gab es einen Verlust von Fähigkeiten?
Verhält sich das Kind altersentsprechend, oder weicht es von der Norm ab (dies ist primär meistens nicht pathologisch, aber kontrollbedürftig)?
Körperlich: Größe, Gewicht, Proportionen, Schuhgröße.
Das
Kinder-Untersuchungsheft
liefert oft wichtige Hinweise auf die Entwicklung.
Zeitpunkt, Dauer und Therapie
Infekthäufigkeit und -dauer
Darmbeschwerden und Stuhlgang
Kinderkrankheiten (mit genauem Datum, Verlauf und eventuellen Komplikationen)
psychische Störungen oder Auffälligkeiten
Schläft das Kind ruhig durch, wacht es immer wieder auf, „geistert” es nachts durch die Wohnung?
Wann geht es ins Bett, und wie?
Schläft es gut ein?
Wie wacht das Kind am Morgen auf, ist es ein Morgenmuffel?
Knirscht es mit den Zähnen?
Reagiert es auf den Mond?
Spiel-/Sportverletzungen
Haushaltsunfälle (z.B. Schnittverletzungen mit Narben)
Verkehrsunfälle Es geht dabei um evtl. versteckte Störfelder oder Schäden, die in der normalen Diagnostik nicht erkannt werden. Es kann auch Angst und Unsicherheit zurückbleiben. Zu berücksichtigen sind auch die
Unfälle von Angehörigen.
Gab es Operationen (z. B. Appendizitis, Mandeln, Polypen, Phimose etc.)?
Trennungen
von einem Elternteil, z.B. auch kurzzeitige Trennungen wie Krankenhausaufenthalte
Sonstige Änderungen im
Familiengefüge
, z.B. Geburt eines Geschwisterkindes, Aufnahme eines Pflege- oder Adoptivkindes, neuer Partner eines Elternteils, Zuzug oder Wegfall einer wichtigen Bezugsperson
Wohnungswechsel
Tod
von Angehörigen, Freunden oder Haustieren
Einschneidende Änderungen im Leben von
Bezugspersonen
Hinweis
Kinder erleben eine Veränderung im Leben anders als Erwachsene. Es kann sein, dass sie auf scheinbar banale Veränderungen mit Schuldgefühlen, Ängsten oder anderen Störungen reagieren, weil sie diese auf sich beziehen. Daher sollte gezielt nachgefragt werden.
Evtl. Impfbuch mitbringen lassen.
In welchem Alter wurde das Kind zum ersten Mal geimpft?
Welche Impfungen wurden in welchem Abstand durchgeführt (Impfbuch)?
Gab es Reaktionen? Hat sich das Kind nach Impfungen verändert?
Wer sind die wichtigsten Bezugspersonen?
Von wem wird das Kind betreut?
Welchen Kindergarten bzw. Schule (Klasse) besucht es?
Hat das Kind Freunde bzw. sozialen Kontakt zu Gleichaltrigen?
Gibt es Rückmeldungen über soziale Kompetenzen aus Kindergarten, Schule oder Verein?
Wie sind die Wohnverhältnisse?
Welche Lieblingsbeschäftigungen bzw. Hobbys hat das Kind?
Gibt es Erbkrankheiten in der Familie oder Verwandtschaft?
familiär gehäufte Erkrankungen, z.B. Diabetes mellitus, Allergien, Stoffwechselstörungen, Organschwächen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen?
Auffallende Häufungen von psychischen Erkrankungen / Problemen?
Bettnässen?
Hyperaktivität?
Hinweis
Handelt es sich um einen Notfall, werden anamnestisch nur die Personaldaten, die aktuellen Beschwerden, die bisherige Medikation und evtl. frühere Erkrankungen aufgenommen. Die restlichen Daten werden ggf. später erhoben.
Die körperliche Untersuchung sollte grundsätzlich bei jedem Erstkontakt erfolgen. Sie sollte immer beinhalten:
Inspektion (z. B. äußerliche Auffälligkeiten, Untersuchung von Mund, Rachen, Ohren)
Palpation (z.B. Abtasten im Bereich Lymphknoten, Ober- und Unterbauch)
Perkussion (z.B. Beklopfen von Lunge, Leber, Darm)
Auskultation (z. B. Abhören des Herzens)
Funktionsprüfung (z. B. Reflexe)
Natürlich kommt es auf den ursprünglichen Grund des Besuches an, sodass dieser Punkt auch entfallen kann (z. B. bei Zeckenbiss oder Bagatellverletzungen).
Voraussetzungen für eine optimale klinische Untersuchung sind:
Vertrauen und Aufklärung im Vorfeld (s. Kap. Praxisbesuche angstfrei und reibungslos gestalten,
▶
S.3
)
warme, helle und kindgerechte Räumlichkeiten
freundliche Atmosphäre ohne Hektik oder Unterbrechungen
warme Hände und Geräte
bequeme, gepflegte Kleidung statt weißen Kittel
unangenehme Untersuchungen zum Schluss
Um das Vertrauen des Kindes zu gewinnen, sollte die Befragung auf einem kindlichen Niveau und in entspannter Atmosphäre stattfinden. Stellen Sie möglichst offene, einfache Fragen und vermeiden Sie medizinische Fachbegriffe. Wann immer es Ihnen möglich ist, binden Sie das Kind in das Gespräch mit ein und sprechen es von Beginn an mit seinem Namen an.
Im Rahmen der Anamnese sollten sowohl die Eltern als auch das Kind befragt werden (s. Kap. Wichtige Anamnesefragen, ▶S.5), je nach Entwicklungsphase getrennt, gemeinsam oder beides. Je älter das Kind ist, desto mehr Raum wird das Gespräch mit ihm einnehmen.
Um das Problem und die Dringlichkeit der Beschwerden zu erfassen, werden gezielte Fragen an die Eltern des Säuglings gestellt. Je kleiner das Kind, desto wichtiger sind Fragen nach scheinbar „banalen” Dingen (s. Kap. Wichtige Anamnesefragen, ▶S.5):
Wird der Säugling gestillt? Wenn ja, wie oft am Tag?
Wann wurde er zuletzt gestillt?
Wird schon zugefüttert?
Wie ist sein Appetit?
Wann war der letzte Stuhlgang?
Wie sieht der Stuhl aus? Haben sich Farbe und Konsistenz in den letzten Tagen verändert?
Sind die Windeln regelmäßig feucht?
Hat sich das Verhalten des Säuglings in den letzten Tagen verändert?
Wie sind die Schlafgewohnheiten?
Reagiert der Säugling auf Ansprache?
Treten Symptome auf, die auf Erkrankungen des Säuglings hinweisen, z. B. Erbrechen, Durchfall, Verstopfung, Schmerzen, Hautveränderungen?
Bereits beim Eintritt in die Praxis beginnt die Anamnese. Hier kann man sofort erkennen, ob es sich um ein aufgeschlossenes und gesprächiges Kind handelt, welches sofort Kontakt aufnimmt, oder eher ein schüchternes, welches sich hinter der Mutter versteckt. Interessant ist auch, wie sich das Kind beim Gespräch mit den Eltern verhält.
Die ersten Eindrücke können Sie bei Bedarf im weiteren Gespräch mit den Eltern vertiefen. Für die Gestaltung des Anamnesegesprächs ist es vorteilhaft, Beschäftigungsmöglichkeiten für die kleinen Patienten bereitzuhalten. Je nach Alter kommen Spielsachen, Bücher oder Mal-Utensilien in Betracht.
Spätestens nach dem Gespräch mit den Eltern sollte der kleine Patient zu Wort kommen. Kinder wollen dabei altersgerecht angesprochen und wahrgenommen werden. Ein guter Kontakt lässt sich herstellen, indem Sie das Gespräch nicht sofort mit der Krankheit oder den Beschwerden beginnen, sondern z. B. nach dem Namen des mitgebrachten Kuscheltieres fragen, das hübsche Kleid oder die schöne Haarspange erwähnen. Klären Sie das Kind über den weiteren Ablauf der Anamnese und Untersuchung auf und schildern sie ihm, wie wichtig dies ist, damit die passende Medizin für seine Beschwerden gefunden werden kann.
Folgende Fragen kann das Kleinkind meist schon selbst beantworten:
Wie geht es Dir?
Weißt du, warum deine Eltern mit Dir hierher gekommen sind?
Tut es Dir irgendwo weh?
Wie schlimm sind deine Beschwerden–sehr stark, ein bisschen oder fast gar nicht?
Kannst Du mir zeigen, wo es Dir genau weh tut?
Bei Kommunikationsproblemen kann es hilfreich sein, das Problem bzw. die Schmerzen malen zu lassen. Hierbei wird die Symptomatik klarer, oder es kommen evtl. weitere Probleme ans Tageslicht. Dem kleinen Patienten bereitet das Malen meist auch große Freude, welche wiederum die Compliance erhöht. Ganz nebenbei erfahren Sie dabei auch noch etwas über die feinmotorischen Fähigkeiten.
Soweit wie möglich sollten beim Erzählen des Kindes Zwischenfragen unterbleiben. Im Anschluss kann man seine notierten Fragen stellen und gegebenenfalls die Problematik weiter vertiefen. Sehr aufschlussreich, aber auch verwirrend kann es sein, wenn sich das Kind und die Eltern in der Darstellung der Beschwerden deutlich widersprechen. Es ist eine große Kunst, die wichtigen Botschaften zwischen den Zeilen zu lesen–Übung macht dabei den Meister. Es kann aber auch sein, dass die Kinder versuchen, durch die (chronische) Erkrankung Aufmerksamkeit zu erlangen. in diesen Fällen muss der Frage nachgegangen werden, in welchem Kontext die Krankheit und deren Bewältigung steht. Nicht immer kann dies in Gegenwart des Kindes geklärt werden, da gewisse Informationen, z. B. über partnerschaftliche Probleme, nicht für seine Ohren bestimmt sind. Vereinbaren Sie gegebenenfalls einen weiteren (Telefon-)Termin, um die Problematik zu klären.
Als Gesprächspartner rücken ältere Kinder bzw. Jugendliche je nach Temperament stärker in den Mittelpunkt. Bei schüchternen Kindern ist häufig noch die verbale Unterstützung der Eltern notwendig, während die lebhafteren schon sehr viel über die vorhandene Problematik erzählen (s. Kap. Wichtige Anamnesefragen, ▶S.5). Lassen Sie die Anamnese jedoch immer durch die Eltern vervollständigen und bestätigen, wenn möglich mit Einverständnis des jugendlichen Patienten.
Beim ersten Kontakt sollten Sie behutsam und in kleinen Schritten vorgehen:
Lassen Sie jugendliche Patienten möglichst frei berichten. Stellen sie dazu Fragen, die zum Erzählen ermutigen, z. B.: „Wie haben die Beschwerden angefangen? Wie ging es dann weiter?”
Hinterfragen Sie Generalisierungen wie z.B.: „Immer habe ich Kopfschmerzen.” Eine präzisierende Zwischenfrage könnte sein: „Wirklich immer, das heißt 24 Stunden am Tag?”
Um den Verlauf der Schmerzen während der weiteren Behandlung besser beurteilen zu können, ist es hilfreich, den Schmerz in einer Skala von 1–6 (ähnlich dem Benotungssystem der Schule–6: sehr stark, 1: sehr schwach) bewerten zu lassen.
Unterbrechen Sie den Patienten nur mit gutem Grund und entsprechender Erklärung, z. B.: „Um mir ein besseres Bild machen zu können…” oder „Habe ich Dich richtig verstanden, dass…?”.
Vermeiden Sie Suggestivfragen wie: „Wegen der Schmerzen kannst Du bestimmt auch nicht einschlafen, oder?”
Stellen Sie keine Fragen, die dem Kind das Gefühl geben, sich rechtfertigen zu müssen. Dies sind oft Sätze, die mit wieso, weshalb oder warum beginnen, z.B. statt: „Warum hat Du solche Angst?” besser: „Wie kommt es, dass Du solche Angst hast?”
Bei sensiblen Themen, wie Pubertät und Sexualität, sollten Sie mit „Fingerspitzengefühl” und in kleinen Schritten vorgehen. Es kommt vor, dass sich hinter dem Anlass der Konsultation–z. B. Hautproblemen, rezidivierenden Bauch- oder Kopfschmerzen–ganz andere Schwierigkeiten verbergen, wie z. B. Ängste und Probleme im Zusammenhang mit körperlicher Entwicklung, „Verliebtsein”, Sexualität oder schulische Überforderung. Hier ist es sehr wichtig, das Kind bzw. den Jugendlichen mit seinen primären Beschwerden ernst zu nehmen, gleichzeitig aber auch andere Aspekte davon anzusprechen. Versuchen Sie eine Brücke zu bauen mit Formulierungen wie: „Jugendliche in Deinem Alter haben oft Angst, dass…, wie geht es Dir damit?” Durch diese Art der Fragen zeigen Sie Gesprächsbereitschaft zu anderen Themen und gewinnen dadurch das Vertrauen Ihres jungen Patienten.
Unabhängig von den üblichen Wegen der Krankheitsentstehung gilt es in der Kinderheilkunde, sich den Krankheitsbegriff etwas genauer anzuschauen. Krankheiten sind nicht immer schicksalhaft, sondern werden häufig durch die Menschen in ihrer Umgebung ausgelöst.
Folgende Sätze fallen in unserer Praxis sehr häufig: „Mein Kind mag keinen Salat,… kann kein Fleisch essen,… verträgt keine Zwiebeln,… will keine Milch trinken, … zieht keine Wolle an, … schläft nur, wenn das Licht im Zimmer eingeschaltet ist, … kommt jetzt bald in die Pubertät” etc. Oft werden diese Verhaltensweisen oder Befindlichkeiten als therapiebedürftige Probleme gesehen und zur Problemlösung Arzneimittel herangezogen.
Hinweis
Arzneimittel sind nicht dazu da, Erziehungsmängel und Fehlverhalten zu kompensieren. Sie sollen ausschließlich im Krankheitsfall helfen, die Gesundheit wiederherzustellen und sie zu erhalten.
Hier tritt ein Phänomen zutage, das von großer praktischer Bedeutung ist: das Einbeziehen des Umfelds in die Behandlung. Gerade bei den „psychosomatischen Beschwerden” (s.Kap. Psychosomatische Störungen, ▶S.180) wird deutlich, dass oft das Umfeld das eigentliche Problem darstellt. Ist das der Fall, kann man lindern und unterstützen, wird aber, je nach Eignung und Ausbildung, nicht umhinkommen, auch durch einfühlsame Gespräche die eigentlichen Problemfelder zu bearbeiten. Oft kommen Therapeuten dabei an ihre Grenzen.
Mit einem lachenden und einem weinenden Auge sehen wir auf die „Durchtherapierung” der Kinder. So gut es ist, Entwicklungsstörungen oder Verhaltensauffälligkeiten frühzeitig zu entdecken und mit gezielter Förderung zu beheben, so entsteht im Gegenzug oft der Eindruck, es gäbe kaum noch „normale” Kinder. Stellt sich die Frage, was Normalität im Zusammenhang mit kindlicher Entwicklung eigentlich ist. Sicher gibt es Orientierungsparameter für körperliche und soziale Entwicklung. Und dennoch drängt sich der Eindruck auf, dass viele Kinder, die an diesen gemessen nicht der Norm entsprechen, vom bestehenden Therapieangebot (z.B. Ergotherapie, Logopädie, Heilpädagogik, Psychotherapie) nicht erfasst werden.
Eltern kommen in die Praxis, weil ihr Kind Angstzustände hat, nachts schreiend aufwacht, Lügengeschichten erfindet oder nach freiem Intervall wieder ins Bett macht. Dafür gibt es bekanntermaßen eine Vielzahl von Ursachen, die es selbstverständlich herauszufinden gilt. Es gibt aber darüber hinaus in der Entwicklung von Kindern immer wieder Zeiten, in denen diese „außer sich geraten” und sich wieder fangen müssen, und hier muss man all seine Erfahrung und Menschenkenntnis einsetzen und oft auch einfach nur Geduld haben. So ist beispielsweise ein neunjähriges Mädchen mit plötzlich auftretenden Angstzuständen (z. B. Angst vor dem Alleinsein, Angst vor Krankheit oder Tod) aus Sicht einer anthroposophischen Ärztin oder einer Waldorfpädagogin im „Rubikon angelangt” (Den Rubikon zu überschreiten war im römischen Bürgerkrieg 49 v. Chr. eine direkte Kriegserklärung gegen Rom.). Diese Zeit geht mit großer Verunsicherung einher, mit dem bewussten Ins-Verhältnis-Setzen der Außenwelt zur eigenen Innenwelt, mit dem Abschiednehmen von der Unbeschwertheit der Kindheit. Je nach Temperament kann sich dies in sehr heftigen, geradezu hysterischen Ausbrüchen, Ängsten oder durch einen inneren Rückzug äußern. Ein Mädchen mit diesen Symptomen würde von einem schulmedizinisch arbeitenden Kinderarzt unter Umständen zu einem Psychiater überwiesen. An Waldorfschulen dagegen wird in der dritten Klasse zu diesem Thema eigens ein Elterabend veranstaltet.
Dies soll deutlich machen, dass Kinder sich nicht nur in der körperlichen, sondern auch in der geistig-seelischen Entwicklung befinden und dass dies bei der Behandlung von kranken Kindern berücksichtigt werden muss. Therapeuten, Eltern und Erzieher sollten sich der Verantwortung bewusst sein, die Kinder in dieser Entwicklung zu begleiten, zu unterstützen und zu schützen.
Ein offenes, feinfühliges, aufmerksames und liebevolles Auftreten vonseiten des Therapeuten ist dementsprechend die Grundlage für die Behandlung kranker Kinder.
Immer wieder fragen Eltern, wie weit sie bei der Selbstbehandlung ihrer Kinder gehen dürfen, bzw. wie man als Laie erkennen kann, wann Erkrankungen in fachkundige Behandlung gehören.
Tipps
Wichtige Voraussetzung für die Selbstbehandlung ist, dass die Eltern sich dies auch zutrauen. Wenn eine Unsicherheit besteht, sollte professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden. Vor der Selbstbehandlung muss versucht werden, die Ursache der Erkrankung herauszufinden.
Hat sich das Kind angesteckt?Sind Geschwisterkinder ebenfalls erkrankt?Gehen zurzeit Erkrankungen um, im Kindergarten oder in der Schule?Wie ist der Krankheitsverlauf bei bereits erkrankten Kindern?Wie geht es den anderen betroffenen Kindern?Die Beantwortung dieser Fragen kann bereits wichtige Hinweise für den Verlauf der eingetretenen Krankheit geben.
Grundsätzlich sollten nur leichtere Erkrankungen, sogenannte Alltagsbeschwerden, selbst behandelt werden. Ein gutes Beispiel dafür sind die „banalen Infekte” (s. Kap. Erkältung, ▶S.214), hier verfügt die Pflanzenheilkunde über eine Vielzahl bewährter Hausmittel.
Laien ohne therapeutische Ausbildung sollten nur Kinder behandeln, die sie gut kennen (also am besten die eigenen), denn nur dann kann man den Zustand des kranken Kindes und möglicherweise eintretende Veränderungen angemessen beurteilen. Verschlechtert sich der Zustand, oder tritt innerhalb von mehreren Tagen keine Besserung ein, sollte ein Therapeut konsultiert werden, damit „ernsthafte” Krankheiten nicht unerkannt bleiben.
Eine fachkundige Therapie beinhaltet die gründliche Befunderhebung durch einen ausgebildeten Therapeuten (s. Kap. Untersuchung, ▶S.5). Aus dem Befund ergibt sich die Therapie!
Akute Erkrankungen werden während der Dauer der Beschwerden behandelt. Diese umfasst in der Regel einen Zeitraum von 1–2 Wochen. Hier kommen schnell und zuverlässig wirkende Tees, Arzneien oder äußere Anwendungen zum Einsatz, die sich an der akuten Symptomatik orientieren. Beispielsweise wird man bei einer spastischen Bronchitis einen krampflösenden und auswurffördernden Tee, Hustensaft oder -tropfen und einen Brustwickel verordnen.
Chronische Erkrankungen (z.B. Neurodermitis) werden über einen längeren Zeitraum therapiert. Erfahrungsgemäß umfasst dieser etwa 3–6 Monate. Die Behandlung erfolgt abgestimmt auf die individuellen Beschwerden.
Handelt es sich um eine Substitutionstherapie, wird also ein bestimmter Stoff, z. B. Kieselsäure, ergänzt, wird man ein Arzneimittel, eine Mischung oder eine einzelne Pflanze, z. B. Schachtelhalm, verordnen.
Handelt es sich um die Stärkung eines Schwachpunktes im Sinne einer Konstitutionsbehandlung (s.Kap. Lymphatische Diathese, ▶S.201), wird diese über einen Zeitraum von 3–6 Monaten mit entsprechenden Pflanzen oder deren Zubereitungen durchgeführt.
Gemäß der Definition ist Konstitution, lateinisch „constitutio corporis” (Verfassung, Zustand des Körpers), die Summe aller ererbten und erworbenen Eigenschaften des Körpers inklusive anlagebedingter Schwachstellen. Ob überhaupt, wann und inwieweit diese Schwachstellen des Organismus zu Beschwerden oder Erkrankungen führen, hängt im hohem Maße auch mit der Lebensführung zusammen. Sind also die Schwachstellen bekannt, kann man möglicherweise eine weitere Belastung vermeiden und so eine sinnvolle Vorbeugung gegen Krankheiten erreichen.
Dem Wiener Gynäkologen Bernhard Aschner (1883–1960) ist es zu verdanken, dass alte Erkenntnisse der Gelehrten Hippokrates und Galen in unserem Jahrhundert wiederentdeckt wurden.
Er ergänzte die traditionelle Konstitutionslehre durch weitere Kriterien–vor allem Haar-, Hautund Augenfarbe–und schuf damit die sogenannte Humoral- oder Konstitutionsmedizin. Sie basiert auf den drei Grundkonstitutionen: lymphatische, hämatogene und dyskratische (gemischte) Konstitution. Da für jeden dieser Konstitutionstypen bestimmte gesundheitliche Schwachstellen und Risiken charakteristisch sind, hat man ihnen spezifische Krankheitsdispositionen zugeordnet.
Unter einer Konstitutionstherapie versteht man die Behandlung mit physikalischen oder biologischen Konstitutionsmitteln, die eine Stärkung der Konstitution bewirken sollen, um die Anfälligkeit (Disposition) für bestimmte Erkrankungen beim Patienten zu verringern. Die Konstitutionstherapie ist meist eine therapeutische oder prophylaktische Langzeitbehandlung, die der Stärkung des Organismus dient und die anlagebedingten Schwachstellen ausgleicht. Weiterhin dient sie der Linderung konstitutionstypischer Symptome.
Ursprünglich wurde der Begriff der Konstitutionstherapie vor allem in der Homöopathie verwendet. Dort werden als Konstitutionsmittel homöopathische Mittel eingesetzt.
Auch Heilpflanzen können ganzheitlich im Sinne eines Konstitutionsmittels oder einer Konstitutionstherapie eingesetzt werden. Am Beispiel der Lymphatischen Konstitution wird dies im Buch beschrieben (s. Kap. Lymphatische Diathese, ▶S.201).
Abb. 3.1 Laura ist krank.
Für die Konstitutionsbehandlung gibt es verschiedene Behandlungsmodelle:
Heilpflanzen gleicher Wirkrichtung werden nacheinander verabreicht. Im Rhythmus von etwa vier Wochen wird jeweils eine neue Pflanze eingesetzt, um den therapeutischen Reiz aufrechtzuerhalten. Hierfür wird die normale Dosierung verwendet.
Heilpflanzen werden in einer geringeren Dosierung als üblich eingenommen, z.B. statt 3×tägl. 20 Tropfen einer Tinktur nur 1×tägl. 5 Tropfen, dies jedoch über einen längeren Zeitraum.
Durch eine aufmerksame Beobachtung des Patienten und seiner individuellen Reaktion wird das Vorgehen bestimmt.
Liegt eine chronische Erkrankung (z.B. Neurodermitis) vor, werden im Rahmen einer Langzeittherapie und entsprechend eines erarbeiteten Therapiekonzeptes nacheinander verschiedene Aspekte der Erkrankung in die Therapie miteinbezogen. Bei einer Abwehrschwäche wird man z. B. erst eine Darmsanierung über 4–6 Wochen durchführen, dann immunstärkende Pflanzen geben oder eine Konstitutionstherapie durchführen. Hier sind die Grenzen zur Konstitutionstherapie fließend.
Die in klinischen Studien bei Erwachsenen geprüften Arzneimittel werden seit langem in geringerer Dosierung auch bei Kindern eingesetzt. Aber Kinder so zu behandeln, als seien sie „kleine Erwachsene”, entspricht nicht dem Kenntnisstand der Medizin.
Entsprechend der altersgemäßen Ausreifung der Organsysteme und Entwicklung des Stoffwechsels wird deutlich, dass es sich bei Kindern nicht um eine „homogene” Gruppe handelt. Je jünger ein Kind ist, desto mehr weichen seine Reaktionen auf das angewendete Arzneimittel von denen eines Erwachsenen ab. Vor allem Früh- und Neugeborene zeigen gravierende Unterschiede im Vergleich zu Erwachsenen. Ihre Organsysteme sind noch nicht richtig ausgereift, und ihr Körper verarbeitet Arzneistoffe vollkommen anders. Ein Säugling verfügt z. B. über einen viel höheren
Wasser- aber einen viel geringeren Fettanteil, sodass wasserlösliche Substanzen, wie bestimmte Antibiotika, höher dosiert werden müssen.
Eine Dosis, die für einen Säugling geeignet ist, kann also für ein älteres Kind deutlich zu hoch sein. Umgekehrt kann die Erwachsenen-Dosis für ein Kleinkind zu niedrig sein. Hinzu kommt, dass bestimmte Erkrankungen nur im Kindesalter auftreten oder einen anderen Verlauf nehmen als bei Erwachsenen.
Bis zu 80% der Kinder in deutschen Kliniken nehmen Medikamente ein, die eigentlich nicht für sie zugelassen sind. Bei Neugeborenen sind es sogar 90%. Auch in Kinderarztpraxen sind solche „Off-Label-Use-Verschreibungen” an der Tagesordnung.
Das Problem existiert nicht nur in Deutschland – in den USA, Frankreich, den Niederlanden oder Großbritannien sieht es nicht viel besser aus.
Hinweis
Nach Experten-Einschätzung sind von den 45 000 auf dem deutschen Markt befindlichen Arzneimitteln nur etwa 20% auch auf ihre Eignung bei Kindern geprüft. Für den Rest gibt es kaum verlässliche Daten zu Dosierung, Nebenwirkungen und Gegenanzeigen.
Die Hersteller von Arzneimitteln haben bislang wenig Interesse an der klinischen Prüfung eines Medikaments für Kinder. Aus deren Sicht ist dies ein unprofitables Geschäft, weil sie das Medikament erst an gesunden Kindern testen müssen und die Kosten oft weit über den Umsatzerwartungen liegen.
Der Verband der Forschenden Arzneimittelhersteller (VFA) macht unter anderem die strengen Schutzvorschriften für die fehlenden Kinderstudien verantwortlich. Eltern müssen sich mit dem Test einverstanden erklären–ein Punkt an dem die meisten zögern. Außerdem muss jedes Kind einen Nutzen davon haben, was bei gesunden Kindern schwierig ist. Während Eltern erwarten, dass ihre Kinder nach modernen Standards behandelt werden, ist die Bereitschaft, sie an einer klinischen Studie teilnehmen zu lassen, eher gering. Diese Problematik ist zurzeit nicht befriedigend zu lösen. Einige Experten verweisen aus diesem Grund auf eine angelsächsische Grundregel, wonach Kinder durch Studien nicht mehr belastet werden dürfen als durch Vorsorgeuntersuchungen bei einem Kinder- und Jugendarzt.
Nach Jahren zäher Verhandlungen reagierte im Dezember 2006 endlich die EU.
Hinweis
Am 26. Januar 2007 ist die neue Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Kinderarzneimittel in Kraft getreten. Sie hat gravierende Auswirkungen auf die Entwicklung und Zulassung von Arzneimitteln. Ziel ist es, die Entwicklung von Kinderarzneimitteln zu fördern, ohne jedoch die Zulassung neuer Arzneimittel für Erwachsene zu verzögern. Dies soll erreicht werden, indem–mit Ausnahme von Generika, Arzneimitteln mit mindestens 10-jähriger allgemeiner medizinischer Verwendung in der EU („Well Established Use”), Homöopathika und traditionellen pflanzlichen Arzneimitteln–ab dem 26. Juli 2008 für jedes neu zuzulassende Arzneimittel ein pädiatrisches Prüfkonzept vorgelegt werden muss, in dem das geplante Entwicklungsprogramm für eine Anwendung beschrieben wird.
Wirkungsnachweise und Unbedenklichkeitsnachweise bei pflanzlichen Präparaten (Phytotherapeutika) oder Teedrogen sind schwer zu erstellen. Im Gegensatz zu chemischen Arzneimitteln mit meist höchstens 1–2 Reinsubstanzen enthält jede Pflanze ein Wirkstoffgemisch. Zusätzlich variiert die Zusammensetzung der Stoffe in den verschiedenen Teilen einer Pflanze, und es ergeben sich unter Umständen entsprechend unterschiedliche Einsatzgebiete. So spült z. B. das Brennnesselkraut die Nieren durch, während die Brennnesselwurzel auf den Hormonstoffwechsel der Prostata wirkt. Außerdem fallen diese Wirkstoffgemische je nach Standort, Erntezeitpunkt, Trocknungsweise und Lagerung der Pflanze sehr unterschiedlich aus. Nicht unterschätzen darf man auch die Bedeutung der Zubereitungsart, bei der je nach Art unterschiedliche Wirkstoffe extrahiert werden.
Um solche Fragen zu klären, wurde 1978 eine Gruppe von Fachleuten eingesetzt, die Kommission E. Die Aufgabe dieser Kommission war es, Phytotherapeutika danach zu beurteilen, ob sie nach dem neuen Arzneimittelgesetz zugelassen werden dürfen oder nicht. Die Experten erarbeiteten für mehr als 300 Heilpflanzen und verschiedene Zubereitungsarten sogenannte Monografien („Steckbriefe”), in denen nach dem damaligen Wissensstand alles über die Zusammensetzung, die Wirkung und mögliche Nebenwirkung beschrieben ist. Diese Monografien bilden bis heute die Grundlage für die Herstellung und Erstattungsfähigkeit pflanzlicher Arzneimittel. Die letzten davon wurden 1995 erstellt, es werden jedoch ständig Nachbesserungen vorgenommen.
Seit 1992 erstellt die EU eigene Monografien, so genannte ESCOP-Monografien (European Scientific Cooperative on Phytotherapy), die internationale Gültigkeit besitzen und das Ziel verfolgen, den wissenschaftlichen Status der Phytotherapie weiterzuentwickeln. Parallel dazu erstellt die WHO seit 1998 WHO-Monografien im Rahmen des WHO-Programms „Traditionelle Medizin”.
Die Bonner Kooperation Phytopharmaka wurde 1982 von vier Verbänden gegründet, namentlich dem Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH), dem Bundesverband der Pharm. Industrie (BPI), dem Verband der Reformwaren-Hersteller (VRH) und der Gesellschaft für Phytotherapie e. V. (GPhy). Die Gesellschaft veröffentlichte 1993 erstmals die „Empfehlungen zu Kinderdosierungen von monografierten Arzneidrogen und ihren Zubereitungen”. Seit dem Jahr 2002 ist bereits die dritte aktualisierte Auflage erhältlich. In Zusammenarbeit mit den vier renommierten Wissenschaftlern Prof. Dr. med. W. Dorsch, Prof. Dr. Dr. med. D. Loew, Prof. Dr. rer. nat. H. Schilcher, Dr. E. Meyer-Buchtela und dem BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) wurde anhand von wissenschaftlichen Berechnungen und der Befragung von etwa 100 Kinderärzten ein Handbuch für den Einsatz von Phytopharmaka in der Kinderheilkunde mit Dosierungsempfehlungen für rund 75 Arzneidrogen in tabellarischer Form erstellt.
Im Bestreben, richtige Kinderdosierungen zu ermitteln, macht die Kooperation Phytopharmaka weiterhin regelmäßig Umfragen bei niedergelassenen Kinderärzten in Deutschland, um deren Beobachtungen und Erfahrungen zu ermitteln.
Mit dem Werk liegt außerdem erstmals ein verbindlicher Leitfaden für den Einsatz von Heilpflanzen als Teedroge oder Arzneimittel vor.
Hinweis
Die Dosierungsangaben der Kooperation Phytopharmaka finden Sie, sofern für die entsprechende Pflanze vorhanden, im Kapitel „Bewährte Heilpflanzen für Kinder”.
Dosierungsangaben in der Kinderheilkunde berücksichtigen als Bezugswerte Körpergewicht, Körperoberfläche und/oder Lebensalter. Im Säuglings- und Kleinkindalter richtet sich die Dosierung meist nach dem Körpergewicht, bei älteren Kindern nach der Körperoberfläche bzw. nach dem Alter.
Für Fertigarzneimittel müssen nach der EU-Arzneimittel-Richtlinie sowie laut 5. AMG-Novelle zu §11 gezielte Beobachtungsstudien zu den Dosierungen für die einzelnen Altersstufen vorliegen. Liegen diese nicht vor, dann muss das betreffende Arzneimittel sinngemäß den Vermerk „Für die Anwendung bei Kindern unter 12 Jahren liegen keine Beobachtungsstudien vor, das Arzneimittel soll deshalb von Kindern unter 12 Jahren nicht eingenommen werden” tragen. Die geforderten Beobachtungsstudien dienen vor allem der Feststellung der Unbedenklichkeit des Arzneimittels.
Als grobe Faustregel bezüglich Fertigarzneimittel ohne spezielle Kinderdosierung kann gelten:
0–6 Jahre: ⅓ der Erwachsenendosis
6–14 Jahre: ½ der Erwachsenendosis
ab 14 Jahren: volle Erwachsenendosis
Laut Schilcher (2006) stimmen diese Angaben mit den theoretisch ermittelten Dosierungen in vielen Fällen überein.
Einige Pflanzen sind für Säuglinge nicht geeignet. Ansonsten gilt für die Teezubereitung folgende Faustregel:
Säuglinge: ⅛ der Erwachsenendosis
Kleinkinder: ¼ der Erwachsenendosis
6–9 Jahre: ½ Erwachsenendosis
10–12 Jahre: ⅔ der Erwachsenendosis
Hinweis
Die Dosierungsangaben der Teerezepturen in den Indikationskapiteln entsprechen der Erwachsenendosierung und müssen dem Alter des Kindes entsprechend angepasst werden.
Für die Ermittlung der richtigen Dosis empfehlen wir, immer auch die eigene Erfahrung und Intuition miteinzubeziehen. So hilfreich es ist, eine Orientierungshilfe für die Dosierung von Heilpflanzen zu haben, so geht doch nichts über Erfahrung und Beobachtungsgabe:
Was für ein Kind sitzt da vor mir? Wirkt es sehr sensibel oder eher träge?
Ist es phlegmatisch oder eher nervös? Je nach Konstitutionstyp wird man sich mit der Dosierung anpassen, das heißt, bei sensiblen Kindern eher im unteren, bei reaktionsarmen Kindern eher im oberen Dosierungsbereich verordnen.
Temperament, seelische und gesundheitliche Situation sollten bei der Arznei- oder Dosisfindung mindestens so schwer wiegen wie Größe und Gewicht des Kindes.
Tees (Species) sind Drogenmischungen oder -zubereitungen zur Herstellung von wässrigen Auszügen–und die bevorzugte Arzneipflanzenzubereitung in der Kinderheilkunde, die gleichzeitig am längsten angewendet wird. Unter „Droge” versteht die Pharmazie getrocknete Arzneipflanzen oder deren Teile. In den meisten Fällen werden nur solche Zutaten verwendet, die einen bestimmten Wirkstoffgehalt aufweisen. Die heute verwendeten Drogen stammen meist von kultivierten Pflanzen aus unterschiedlichen Anbaugebieten. Entsprechend ist der Wirkstoffgehalt starken Schwankungen unterworfen und abhängig von Kriterien wie Klima, Standort und Erntezeitpunkt.
Trocknen führt zu Wasserentzug und damit zur Unterbindung chemischer Abbauprozesse. Die Ansiedlung von Bakterien und Pilzen wird verhindert und die Haltbarkeit dadurch verlängert. Beim Trocknen, wie auch beim Sammeln und Aufbewahren, sollte große Sorgfalt walten, um die bestmögliche Qualität der Droge zu erreichen (s. Kap. Sammeln, Trocknen, Aufbewahren, ▶S.48), denn durch Trocknung, Zerkleinerung und Lagerung findet meist eine Wertminderung der Frischpflanzen statt.
Wässrige Auszüge eignen sich in der Regel sehr gut zur Extraktion von Wirkstoffen aus Heilpflanzen, da die meisten Wirkstoffe im Zellinneren bereits in Wasser gelöst sind. Es gibt allerdings eine Reihe von Ausnahmen.
Hinweis
Wasserlöslichkeit pflanzlicher Wirkstoffe
Gut wasserlöslich: Alkaloide, Glykoside, Bitterstoffe, Gerbstoffe, Zucker, Schleimstoffe, Pektine.Schwer löslich: ätherische Öle. Sie können deutlich besser mit Ethanol extrahiert werden.Sehr schwer löslich: Balsame, Harze, Fette, Öle und Wachse. Diese Stoffe sind vor allem fettlöslich.Je nach Wirkstoffen gibt es also von Pflanze zu Pflanze unterschiedliche Zubereitungsarten, die sich besser oder schlechter eignen, die Wirkstoffe optimal auszuziehen. Für die meisten Drogen ist die Teezubereitung jedoch eine günstige und einfache Extraktionsform.
Die drei Hauptformen der Teezubereitung sind der Aufguss (Infus), die Abkochung (Dekokt) und der Kaltauszug (Mazerat).
Wer weiß, wie Tee zubereitet wird, weiß auch, was ein Aufguss ist. Es handelt sich wohl um die einfachste und häufigste Methode, die zarten Teile (Blüten, Blätter, Samen) einer Heilpflanze zuzubereiten: Man nimmt in der Regel einen Teelöffel Droge auf eine Tasse (entspricht 150ml), übergießt sie mit kochendem (100°C) oder heißem (80°C: 100°C heißes Wasser 5 Minuten stehen lassen) Wasser und lässt alles zugedeckt etwa 5–10 Minuten ziehen. Schließlich wird der Aufguss durch ein Teesieb gegossen und kann getrunken werden.
Die verwendete Drogenmenge variiert je nach Pflanze, ebenso die Auszugsdauer und Wassertemperatur. Beispielsweise benötigen Ätherisch-Öl-Drogen nur heißes Wasser und eine kurze Auszugszeit (3–5 Minuten), da die ätherischen Öle sehr flüchtig sind. Hier ist es besonders wichtig, den Tee während der Auszugszeit abzudecken, damit sie nicht entweichen. Wichtig: Danach immer die Kondenstropfen mit dem wertvollen Öl in den Tee abschütteln!
Flavonoiddrogen müssen in der Regel länger ziehen, z. B. die Goldrute 20–30 Minuten.
Abb. 4.1 Erst mal eine Tasse Tee …
Ist die zu verwendende Droge hart und holzig (Hölzer, Rinden, Wurzeln), dann ist die Abkochung dem Aufguss vorzuziehen, damit sich die Inhaltsstoffe auch wirklich im Wasser lösen können: Man setzt die erforderliche Menge Droge mit einer Tasse kaltem Wasser auf und lässt es zusammen aufkochen. Je nach Pflanze und Inhaltsstoffen sollte diese entweder direkt abgegossen werden, eine Weile ziehen oder eine Weile köcheln. Der Deckel bleibt dabei auf dem Topf liegen.
Kaltauszüge werden aus Heilpflanzen bereitet, die durch ihre Inhaltsstoffe gegenüber hohen Temperaturen besonders wärmeanfällig sind. Dies sind vorwiegend schleimhaltige Drogen (z.B. Malve). Bei einigen anderen Drogen wird der Kaltauszug bevorzugt, wenn unerwünschte Begleitstoffe ferngehalten werden sollen (z. B. Gerbstoffe in Bärentraubenblättern).
Die erforderliche Drogenmenge wird dabei mit der nötigen Menge kaltem Wasser übergossen und mehrere Stunden bedeckt bei Raumtemperatur stehen gelassen. Anschließend gießt man den Tee durch ein Sieb und trinkt ihn kalt oder leicht angewärmt. Gelegentliches Umrühren erhöht die extrahierte Wirkstoffmenge.
Nachteil dieser Art der Teezubereitung ist eine mögliche Keimbelastung, besonders bei mikrobiell nicht einwandfreier Teedroge. Um dies zu vermeiden, sollte immer nur 1 Tasse Tee angesetzt werden, die dann unmittelbar nach der Mazeration getrunken wird. Eine kurze Erhitzung des Kaltauszuges wäre eine weitere Möglichkeit der Keimreduktion, ist jedoch mit einer Kettenverkürzung der Polysaccharide und somit mit einer Wirkungsverminderung verbunden.
Kräuter verlieren immer an Wirksamkeit, wenn sie zerkleinert aufbewahrt werden. Im Kräuter-Großhandel unterscheidet man sogar die Schnitt-Technik. Optimal ist es, getrocknete Pflanzen unzerkleinert aufzubewahren und für den Gebrauch zu zerkleinern (s. Kap. Sammeln, Trocknen, Aufbewahren, ▶S.48). Teebeutel sind nur dann zu empfehlen, wenn sie einzeln und aromadicht verpackt sind.
Tassenfertige Instant-Tees eignen sich nur bedingt für die Anwendung in der Kinderheilkunde. Manche davon enthalten lediglich 5% Droge, dafür aber 95% Zucker, die besseren 50% Droge und Zuckeraustauschstoffe.
Im Gegensatz zu reinen Genusstees werden an Medizinaltees erhöhte Anforderungen gestellt. Die bereits erwähnte Unterscheidung bei der Art der Teezubereitung ist dafür wichtig. Ein nicht zu unterschätzendes therapeutisches Ziel lautet, dass der Arzneitee überhaupt getrunken wird. Dies mag als Binsenweisheit erscheinen, ist aber offensichtlich nicht allen Teeverordnern klar. Immer wieder klagen Patienten, dass sie Kräutertees als übel schmeckend kennengelernt haben. Man kann sich unschwer vorstellen, dass es gerade in der Kinderheilkunde besonders wichtig ist, dass Tees gut schmecken.
Als Grundregel für Medizinaltees gilt daher: Sie sollten
wirken,
gut schmecken
und schön aussehen.
Es gibt jedoch noch mehr zu beachten: Sollten Sie in der Praxis mit Tees arbeiten, ist das korrekte Rezeptieren von Bedeutung. Die Teemischung wird im Fachbegriff „Species” genannt. In der Verordnung spiegeln sich die Erfahrung und das Können der Therapeuten wider. Teerezepte können die unterschiedlichsten therapeutischen Aspekte beinhalten: So kann man beispielsweise akut wirksame mit konstitutionsstärkenden Pflanzen (s. Kap. Praxis-Grundlagen, ▶S.12) kombinieren und damit auf die ganz individuellen Beschwerden der Kinder eingehen.
Vor der Zusammenstellung eines Tees sollte man sich die gewünschte Heilwirkung überlegen. Steht diese fest, geht es an die Auswahl der Kräuter. Insgesamt sollte ein Medizinaltee nicht mehr als vier bis sieben Bestandteile haben. Je weniger, desto überschaubarer ist die Wirkung!
Hinweis
Bestandteile eines Teerezepts sind
Das Grund- oder Basismittel (Remedium cardinale). Hier sollten nicht mehr als zwei oder drei Pflanzen ausgesucht werden. Sie geben die Wirkrichtung an und sollten mengenmäßig am stärksten vertreten sein. Nach den Basismitteln richtet sich auch die Teezubereitung. Mengenmäßig sollten die Basismittel 50–70% der Teemischung ausmachen.Das Adjuvans, welches die Wirkung des Grundmittels nach einer bestimmten Richtung hin verstärkt oder ergänzt. Als Adjuvans werden normalerweise ein bis zwei Pflanzen ausgewählt.Eine den Geschmack oder die Verträglichkeit verbessernde Pflanze, das Korrigens. Es unterstützt die Wirkrichtung der Hauptmittel (ist also gleichzeitig auch Adjuvans). Zur Geschmacksverbesserung werden vor allem Ätherisch-Öl-Drogen wie Pfefferminze oder Melisse verwendet.Schönungsdrogen, die den Tee optisch verschönern sollen. Dafür eignen sich Blüten (z.B. Ringelblumen, Rose). Auch hier wird auf eine Auswahl im Sinne der Gesamtwirkrichtung geachtet.Evtl. ein Konstituens. Als solches werden Drogen bezeichnet, die eine gewisse Fülle des Tees hervorbringen und damit eine homogene Teemischung gewährleisten. Von Bedeutung ist dies, wenn unterschiedliche Pflanzenteile gemischt werden, z.B. Blüten mit Wurzeln und Samen. Hier finden wir die schweren Drogenteile am Boden des Behältnisses und die leichten obenauf liegend. Zur besseren Vermischung werden Kraut-, Blatt- und auch Blütendrogen verwendet, gerne auch etwas haarige Blattdrogen (z.B. Huflattich, Melisse). Auch hier wird entsprechend der Hauptwirkrichtung ausgewählt.Da Tees üblicherweise in der Apotheke gemischt werden, braucht es genaue Angaben für den Apotheker. Grundsätzlich wird jedem Rezept die einleitende Formel „Rp.” Vorangestellt, die Abkürzung für „Recipe!” (Nimm!).
Hier werden genau und unmissverständlich die Teezubereitung und die Dosierung formuliert, z. B. „1 TL mit einer Tasse kochendem Wasser übergießen, 7 Minuten bedeckt ziehen lassen, 2–3 Tassen tägl. zwischen den Mahlzeiten trinken.”
Es folgen der Name des Patienten, für den das Rezept ausgestellt wird sowie die Unterschrift des Therapeuten.