Heimkehr nach Somerset - J. C. Philipp - E-Book
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Heimkehr nach Somerset E-Book

J. C. Philipp

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Beschreibung

Verbotene Liebe, große Gefahr und eine folgenschwere Entscheidung
Ein historischer Roman mit viel Gefühl für Fans von Ellin Carsta

Wales, 1823: Die junge Janet kehrt nach 2 Jahren in London zu ihrem Familien-Landsitz zurück. Dort trifft sie auf Michael, Sohn eines walisischen Stahlwerksbesitzers, und auf ihre Jugendliebe Paul, den Stallmeister, mit dem sie heimlich eine Affäre beginnt. Doch plötzlich verschwindet Paul spurlos und ihr Vater bewegt sie dazu, aus wirtschaftlichen Gründen eine Ehe mit Michael einzugehen. Janet lässt Michael schließlich vor dem Altar stehen und zieht sich zurück nach Somerset auf das romantische Anwesen Chestnut Hill, wo sie ein einsames Leben führt. Drei Jahre später verliebt sie sich in einen geheimnisvollen Fremden und muss mit ihm nach London flüchten. Dort erleben die beiden eine berauschende Zeit in Adelskreisen, doch die Vergangenheit lässt Janet nicht los und das Schicksal stellt sie vor eine schwere Wahl ...

Dies ist eine Neuauflage des bereits 2019 erschienenen Titels Rückkehr nach Chestnut Hill.

Erste Leserstimmen
„Dieser starke historische Roman hat mich sehr bewegt und beeindruckt.“
„Liebe, Sehnsüchte und Familienzerwürfnisse in einer aufwühlenden Zeit – es hat sich absolut gelohnt, tief in die Lektüre abzutauchen!“
„Ein Liebesroman voller schwerwiegender Schicksale und großer Gefühle.“
„Die Autorin liefert fantastische Beschreibungen und eine mutige Protagonistin, die man gerne begleitet.“

Über die Autorin

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Seitenzahl: 594

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Über dieses E-Book

Wales, 1823: Die junge Janet kehrt nach 2 Jahren in London zu ihrem Familien-Landsitz zurück. Dort trifft sie auf Michael, Sohn eines walisischen Stahlwerksbesitzers, und auf ihre Jugendliebe Paul, den Stallmeister, mit dem sie heimlich eine Affäre beginnt. Doch plötzlich verschwindet Paul spurlos und ihr Vater bewegt sie dazu, aus wirtschaftlichen Gründen eine Ehe mit Michael einzugehen. Janet lässt Michael schließlich vor dem Altar stehen und zieht sich zurück nach Somerset auf das romantische Anwesen Chestnut Hill, wo sie ein einsames Leben führt. Drei Jahre später verliebt sie sich in einen geheimnisvollen Fremden und muss mit ihm nach London flüchten. Dort erleben die beiden eine berauschende Zeit in Adelskreisen, doch die Vergangenheit lässt Janet nicht los und das Schicksal stellt sie vor eine schwere Wahl …

Dies ist eine Neuauflage des bereits 2019 erschienenen Titels Rückkehr nach Chestnut Hill.

Impressum

Überarbeitete Neuausgabe Januar 2021

Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-96817-440-2 Taschenbuch-ISBN: 978-3-96817-500-3

Copyright © 2019, dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Dies ist eine digitale Neuausgabe des bereits 2019 beim dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH, erschienenen Titels Rückkehr nach Chestnut Hill (ISBN: 978-3-96087-587-1).

Copyright © 1998, Der Neue Verlag GmbH Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 1998 bei Der Neue Verlag GmbH erschienenen Titels Chestnut Hill – Das Haus auf dem Kastanienhügel. (ISBN: 978-3-93237-317-6).

Covergestaltung: Miss Ly Design unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © 1000 Words, © squarelogo periodimages.com: © Maria Chronis, VJ Dunraven Productions, PeriodImages.com Lektorat: Daniela Höhne

E-Book-Version 09.01.2024, 10:33:46.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Heimkehr nach Somerset

Für Carmen,meine Seelenschwester

Vorwort

Seit Jahren fahre ich regelmäßig nach England und Wales. Ich bin in dieses Land verliebt, seit ich das erste Mal als Kind dort war. Je älter ich werde, umso mehr habe ich das Gefühl, ich komme nach Hause, wenn ich britischen Boden betrete. Die Insel hat etwas, das dem Kontinent fehlt. Hier lebt für mich eine Romantik, die anderswo nur noch schwer zu finden ist. Bewahrer dieser Romantik sind die Menschen und das Land selbst, das mit seinen grünen Hügeln, dem Regen und Nebel und den herrlichen Sonnentagen so voller Gegensätze ist. Die alten Herrenhäuser und Schlösser haben mich schon immer besonders begeistert.

Vor einigen Jahren fuhr ich dann im Sommer ein Tal entlang, als ich auf einem Hügel auf der anderen Seite ein großes Haus in der Abendsonne liegen sah. Ich war so begeistert von dem Anblick, dass ich sofort hinüberfuhr. Das Haus war im Besitz des National Trust. Es war noch eine Stunde zur Besichtigung geöffnet, und es waren fast keine anderen Besucher da. Ich wollte noch an diesem Tag weiter nach Bristol fahren, und so beschloss ich, das Haus sofort anzusehen. Ich werde nie vergessen, wie ich die Einfahrt hochfuhr und das letzte Stück vom Parkplatz aus zu Fuß ging. Der Kiesweg war von riesigen alten Kastanien gesäumt, die dem Haus Schatten spendeten. Es war ein sehr romantisches Haus und innen wundervoll eingerichtet. Ich ging allein durch die verschiedenen Räume, und werde nie den Moment vergessen, als ich das Bild über dem Kamin im Salon zum ersten Mal sah.

Es zeigte ein junges Paar mit vier Kindern vor dem Haus im Garten. Die blonde Frau in ihrem hellen Kleid war sehr schön. Sie hatte derart smaragdgrüne Augen, dass ich glaubte, der Maler habe sich in der Farbe vergriffen. Der Mann neben ihr besaß eine faszinierende Ausstrahlung, die mich sofort dazu bewog, mir vorzustellen, wie er einst vielleicht eine Armee oder ein Schiff kommandiert hat. Ich betrachtete das Bild eine ganze Weile. Mir fiel auf, dass die Frau außer einem Medaillon an einer langen goldenen Kette keinen anderen Schmuck trug.

Als schließlich ein Mann in den Raum kam und das Licht ausschaltete, fragte ich ihn, wer die Familie auf diesem Bild sei, und er erzählte, dass es die Vorfahren der früheren Eigentümer waren, die das Haus zwischen etwa 1820 und 1870 bewohnt hatten. Von da an ließ mich die Geschichte nicht mehr los. Ich fuhr noch im Herbst desselben Jahres erneut nach England und begann, mich mit der Geschichte des Hauses und seiner Bewohner zu befassen. Es gab eine gute Familienchronik, und ich fand bald heraus, wer das Paar auf dem Bild war, und dass das Haus einst der jungen Frau gehörte.

Doch nur zu wissen, wer sie waren, stellte mich nicht zufrieden, und ich forschte weiter. Meine Suche auf den Spuren der Familie führte mich nach Wales, und mit jedem Tag, den ich mich länger damit befasste, wurde die Geschichte immer lebendiger.

Herzlichst, Ihre J. C. Philipp

Kapitel 1

An einem Sommerabend des Jahres 1823 fuhr eine geschlossene Kutsche auf das Herrenhaus von Gwernen Court im Süden von Wales zu. Schon von Weitem konnte man vom Haus her die Musik hören, die von einer leichten Sommerbrise von den Bergen herübergetragen wurde. Der Wagen rollte über die von Büschen gesäumte Kieseinfahrt hinunter, vor der bereits mehrere Kutschen standen. Das große, zweistöckige Herrenhaus wirkte in der Abenddämmerung einladend und warm. Zahlreiche im Park aufgestellte Fackeln tauchten es in ein sanftes Licht. Die Kutsche hielt vor dem Eingang, und zwei Diener in Livree eilten herbei, um dem späten Besucher den Schlag zu öffnen. Aus dem Wagen stieg eine junge Dame in Begleitung einer Zofe. Sie betraten gemeinsam die mit Holz getäfelte Halle, wo ein weiterer Diener auf sie zukam.

»Guten Abend, Madame! Willkommen in Gwernen Court«, begrüßte er die elegant gekleidete Frau und verneigte sich leicht.

»Guten Abend, Albert«, erwiderte diese und drehte sich zu ihm um.

»Miss … Miss Janet?«, stammelte er und konnte sein Erstaunen nicht verbergen. »Was für eine Überraschung! Ich hätte Sie fast nicht erkannt. Als Sie uns vor zwei Jahren verließen, waren Sie noch so … so …«

»… ein kleiner walisischer Drache? Das meinte jedenfalls meine Tante«, lachte Janet Roberts leise.

Albert musste sich ein Lächeln verkneifen, das erkannte sie deutlich.

Janet überprüfte in einem Spiegel in der Halle noch einmal den Sitz ihrer Frisur und ihres Kleides. Sie hatten die letzte Nacht gottlob in einer nahen Kutschenstation verbringen können. Die kurze Fahrt von Abergavenny bis nach Gwernen Court war sehr angenehm gewesen, und alles war perfekt. Sie nickte ihrer Zofe zu und diese verließ die Eingangshalle.

»Es ist schön, dass Sie wieder da sind, Miss Janet. Ich denke, alle anderen werden ebenso überrascht sein wie ich, wenn ich das sagen darf«, bemerkte Albert.

»Das hoffe ich.« Janet schenkte ihm ein warmes Lächeln.

Er geleitete sie zu der großen Doppeltür, die zum Ballsaal am anderen Ende der Halle führte, und öffnete diese für sie.

Bevor sie den Raum betrat, atmete Janet noch einmal tief durch. Trotz allem, was sie in den letzten beiden Jahren gelernt hatte, fühlte sie sich immer noch unsicher. Wäre es eine Gesellschaft in London gewesen, wo sie inzwischen über viele gute Freunde verfügte, wäre es ihr nicht so schwergefallen. Doch jetzt, hier zu Hause, mit all den Leuten, die sie so lange nicht gesehen hatte, war es etwas anderes.

Vor nunmehr fast zwei Jahren hatte ihr Vater sie, mehr oder weniger gegen ihren Willen, nach London geschickt. In der Hauptstadt hatte Tante Caroline sie in die Gesellschaft eingeführt. Mit fast neunzehn Jahren war es Zeit dafür gewesen und Janet hatte im Nachhinein bereut, nicht schon früher gegangen zu sein. Lady Caroline Hammond war die Cousine ihrer Mutter und besaß viele einflussreiche Freunde. Nach anfänglichem Zögern und noch immer leichtem Widerstand hatte Janet mit Freude alles gelernt, was aus jungen Mädchen junge Ladys machte. Ein Hauslehrer hatte sie täglich in Französisch, Konversation, Tanz, Musik und Literatur unterrichtet und auch Janets Interesse für die Naturwissenschaften gefördert. Sie hatte gelernt, sich in jeder Situation anmutig und elegant zu bewegen, und ihre Garderobe war auf dem Stand der neuesten Mode. Janet wusste genau, welche Kleidung mit welcher Frisur und welchem Schmuck ihre natürliche Schönheit und ihre schlanke Figur am besten zur Geltung brachte. Für den heutigen Abend hatte sie ein malvenfarbenes Kleid aus leichter Seide gewählt, das mit champagnerfarbener Spitze besetzt war. Dazu lange Abendhandschuhe von der gleichen Farbe. Ihre langen, blonden Haare waren kunstvoll aufgesteckt und mit winzigen seidenen Blüten geschmückt. Kleine Löckchen umschmeichelten an den Seiten ihr ovales Gesicht mit der hohen Stirn und den großen smaragdgrünen Augen.

Janet biss sich auf die Lippen und blickte einen Moment auf ihre zitternden Finger. Du hast keinen Grund, um nervös zu sein, bestärkte sie sich selbst in Gedanken, atmete tief durch und betrat den Saal.

Die Musik spielte und es wurde gerade ein Galopp getanzt. Sie ließ ihren Blick durch den Raum schweifen, der von zwei Kronleuchtern sowie zahlreichen kleinen Leuchtern an den Wänden erhellt wurde. Die Seite, von der sie eintrat, war mit hellen Tapeten überzogen. Hier hingen die Portraits der Familie. Über dem Kamin an der Schmalseite hing das Bild ihrer Mutter. Die andere Längsseite des Saals bildete eine lange Front mit Fenstertüren zum Park, die an diesem warmen Abend teilweise geöffnet waren. Die Gäste gingen dort ein und aus. Janet blickte sich suchend nach ihrem Vater um. Während des alljährlichen Sommerballs hatte er für gewöhnlich einen Stammplatz, von dem er alles überblickte.

Der Galopp ging zu Ende, und als die Tänzer auseinandergingen, schritt Janet durch den Saal auf ihren Vater zu, der bei dem kleinen Orchester stand. Sie spürte, wie man ihr hinterherblickte und hörte einige der Gäste miteinander flüstern. Ihr Vater kehrte ihr den Rücken zu. Neben ihm erblickte Janet ihre ältere Schwester Dorothy in einem zartgrünen Kleid. Diese sah sie als Erste.

»Janet!«, rief sie ungläubig. »Vater, sieh doch, Janet ist gekommen!«

Jonathan Roberts drehte sich überrascht um und schaute sie an, als wäre sie nicht real.

»Guten Abend, Papa«, sagte Janet sanft. Ihr fiel auf, dass seine ehemals dunklen Haare deutlich ergraut waren. Auch die Falten in seinem markanten Gesicht waren, seit seinem letzten Besuch in London vor einem halben Jahr, noch tiefer geworden. Einzig sein etwas rundlicher Bauch wirkte unverändert.

Als sie ihn ansprach, schien er wie aus einem Traum zu erwachen.

»Mein Kind.« Er umarmte sie herzlich, und sie küssten sich auf die Wangen. »Ich dachte für einen Moment, du wärst ein Geist«, gestand er sichtlich bewegt und hielt ihre Hände fest.

»Ein Geist, Papa?«

»Ja, der Geist deiner Mutter. Du wirst ihr immer ähnlicher. Aber nun lass dich mal richtig ansehen, damit ich auch wirklich glauben kann, dass die Lady hier vor mir meine kleine Sioned ist.«

Sioned war der walisische Name für Janet. Ihr Vater nannte sie zu Hause oft so. Sie drehte sich einmal langsam um sich selbst und strahlte ihren Vater dabei an. Ihr Verhältnis war nicht immer das Beste gewesen. Janet hatte zwar die Schönheit ihrer Mutter geerbt, aber auch den festen, gelegentlich sturen Willen ihres Vaters. Hinzu kam, dass dieser versucht hatte, ihr, als seiner zweiten Tochter, alles beizubringen, was ein Sohn wissen musste. So war sie, im Gegensatz zu ihrer Schwester, nach dem frühen Tod ihrer Mutter eher wie ein Junge aufgewachsen. Ein Nebeneffekt davon war gewesen, dass sie immer sagte, was sie dachte, was vor zwei Jahren zu Spannungen mit ihrem Vater geführt und die Damen der Umgebung entsetzt hatte. Tante Caroline hatte alle Mühe gehabt, die Entwicklung ihrer Nichte in die rechte Bahn zu leiten.

Nachdem ihr Vater sie ausgiebig bewundert hatte, begrüßte Janet ihre Schwester. Dorothy war zwei Jahre älter und jetzt fast dreiundzwanzig. Sie war ganz die Tochter ihres Vaters. Auch sie war sehr hübsch, mit hellbraunen Haaren und braunen Augen, doch heute konnte sie mit der Eleganz ihrer jüngeren Schwester nicht mithalten. Janet genoss Dorothys neidvollen Blick. Lange genug hatte sie im Schatten der Älteren gestanden. Damit war jetzt endgültig Schluss. Neben Dorothy stand ein sehr gut gekleideter, dunkelhaariger junger Mann, der Janet interessiert, aber sehr zurückhaltend aus seinen grauen Augen musterte.

»Oh, Janet, darf ich dir Daniel Harrington vorstellen, den Sohn von Lord Edward Harrington?« Aus Dorothys Stimme klang der Stolz auf ihren Begleiter heraus und sie hob das Kinn.

Daniel Harrington küsste Janet die Hand. »Dorothy hat mir bisher verschwiegen, dass sie eine so bezaubernde Schwester hat.«

»Und mir hat sie verschwiegen, dass sie einen so charmanten Verehrer hat«, erwiderte Janet das Kompliment.

»Darf ich Sie für den nächsten Walzer entführen, Miss Janet?«

Dorothys Blick zeigte deutlich, dass ihr das gar nicht gefiel.

»Mit Vergnügen«, entgegnete Janet und knickste.

Daniel geleitete sie auf die Tanzfläche.

Er war nett und ein guter Tänzer, aber sehr reserviert. Während sie sich drehten, erkannte Janet viele bekannte Gesichter, und kaum war der Walzer vorbei, musste Daniel sie für einen anderen Herrn freigeben. Als sich Janet etwas später am Büfett mit den dort arrangierten Köstlichkeiten und einem Glas Wein stärkte, kam ein fremder Mann auf sie zu. Er trug einen sehr auffallenden Abendanzug aus orangefarbener Seide.

»Mylady, Sie sind die Königin des Abends«, sagte er schmeichelnd.

»Verzeihen Sie«, erwiderte Janet kühl und zog die Augenbrauen zusammen, »aber ich glaube, wir wurden uns noch nicht vorgestellt.« Wie konnte er es wagen, sie einfach so anzusprechen! Wie ein Straßenmädchen.

»Ich hoffe, Sie gestatten, dass ich mich selbst vorstelle, Miss Roberts. Westing, Michael Westing.« Er verneigte sich übertrieben tief.

»Sehr erfreut!« Janet reichte ihm die Hand zum Kuss. »Sind Sie mit Sir Alexander Westing verwandt?« Bei seinem Äußeren war davon auszugehen, dass er es war, und in diesem Fall sah sie lieber über seine Unverschämtheit hinweg.

»Er ist mein Vater.« Michael Westing nickte.

Sir Alexander Westing war einer der reichsten Männer von Wales. Ihm gehörte eines der größten Eisenwerke bei Merthyr Tydfil im Süden. Die Familie war, wie viele andere Engländer, vor gut fünf Jahren hierhergekommen, hatte Geld investiert, und in kurzer Zeit ein beträchtliches Vermögen mit der Eisenverhüttung gemacht. Jetzt gehörte sie zu den Ironmasters.

»Ist Ihr Vater auch hier?«, fragte Janet interessiert.

»Nein. Nur mein Bruder. Er steht dort hinten rechts.« Michael Westing deutete mit einer Geste auf einen jungen Mann, der in einem eher unauffälligen silbergrauen Anzug schüchtern in der Ecke stand. Janet blickte verwundert auf den Mann, der ihr gegenüberstand, und auf den, den sie in der Ecke sah. Die beiden glichen sich, bis auf die Farbe ihrer Abendgarderobe, wie ein Ei dem anderen. Sie waren offensichtlich Zwillingsbrüder.

»Tanzt Ihr Bruder nicht?« Janet versuchte, das Alter der Brüder zu schätzen. Sie mussten etwa Mitte bis Ende zwanzig sein.

»Charles? Oh nein! Er ist eher ein Bücherwurm.« Michael Westing lachte abfällig.

»Sie haben sicherlich kaum Zeit für festliche Anlässe wie heute Abend?« Janet hoffte, er würde zustimmen, aber er grinste nur.

»Ich arbeite derzeit nicht für meinen Vater. Mich zieht es mehr zu den schönen Dingen des Lebens.« In seiner Stimme schwang Arroganz mit.

Aha, dachte sie, also Frauen, Pferde, Glücksspiel, Brandy. Das passte zu ihm. Wahrscheinlich hielt er sich für den unwiderstehlichsten Junggesellen der Grafschaft. Er hatte rotblondes Haar, was sie eigentlich überhaupt nicht mochte. Trotzdem war er recht attraktiv, groß und schlank. Aber irgendwie fand Janet ihn einfach unsympathisch. Sie mochte keine Menschen, denen man nicht durch die Augen ins Herz sehen konnte, und Westings eisblaue Augen waren so kalt wie ihre Farbe. Seine schmalen Lippen verstärkten den kühlen Eindruck. Leider forderte er sie zum Tanzen auf, und als Tochter des Hausherrn war es ihre Pflicht, seine Aufforderung anzunehmen.

Während sie tanzten, umschmeichelte er sie unentwegt und fragte sie über den Londoner Klatsch aus. Janet bemühte sich, charmant zu sein, doch sie war froh, als der Tanz mit ihm endlich beendet war. Sie verbrachte den Rest des Abends mit Nachbarn und Bekannten und vermied es geschickt, Westing noch einmal zu begegnen. Sie hatte bei diesem Menschen kein gutes Gefühl. Auch seinen Zwillingsbruder sah sie an diesem Abend nicht wieder.

Am nächsten Morgen stand Janet als Erste auf. Obgleich der Ball erst weit nach Mitternacht zu Ende gegangen war, konnte sie nicht mehr schlafen, nachdem der Gesang der Vögel vor ihrem Fenster sie geweckt hatte. Sie saß noch eine Weile in ihrem Zimmer und hing ihren Gedanken nach, während sie die kleine Schatulle durchsah, in der sie ihre Erinnerungsstücke aufbewahrte. Als sie Geräusche im Gang hörte, zog sie rasch ihr Reitkleid an, nahm nur einen kleinen Imbiss in der Küche und verließ bereits gegen acht Uhr das Haus. Sie wollte den Abschied der Übernachtungsgäste vermeiden.

Gwernen Court war ein walisisches Manor House aus dem sechzehnten Jahrhundert, das am Fuße eines großen, teilweise bewaldeten Hügels am Rand der Black Mountains lag. Heute und im klaren Morgenlicht wirkte es nicht mehr so warm und einladend wie am Vorabend. Es war aus großen, grauen Granitquadern erbaut, und Janet hielt es für einen kalten, eckigen Kasten, der im Winter unmöglich zu heizen war. Auf der Gartenseite waren zwei große Erker angebaut, die sich links und rechts an den Seitenflügeln des Hauses über zwei Etagen zogen. Sie gaben dem Haus ein wehrhaftes Aussehen, fast wie eine Burg. Keine Bäume umgaben es, und in den feuchtkalten walisischen Wintern konnte der Wind ungehindert um die Mauern pfeifen. Dann war Gwernen Court am ungemütlichsten.

Aber hier war sie geboren und aufgewachsen und Janet genoss es, wieder zu Hause zu sein. Es war ihre Heimat und voller glücklicher Erinnerungen. Sie würde dieses Zuhause aber irgendwann verlieren. Gwernen Court war für Dorothy, oder besser gesagt ihren Ehemann, bestimmt, falls sie heiratete. Wenn nicht, würde Cousin Henry als nächster männlicher Verwandter alles erben. Janets Mutter hatte jedoch vor ihrem Tod verfügt, dass auch ihre jüngere Tochter später gut versorgt war. Sie würde das Haus ihrer Mutter in der Grafschaft Somerset in der Nähe von Bath bekommen. Janet sehnte schon lange ihren einundzwanzigsten Geburtstag im nächsten Frühjahr herbei, denn dann war sie mündig, und ihr Vater würde ihr die Schenkungsurkunde überreichen. Chestnut Hill würde ihr gehören, so wie es ihre Mutter gewollt hatte, bevor sie starb. Noch vor dem Winter würde sie wieder dorthin fahren.

Das laute Wiehern eines Pferdes riss Janet aus ihren Gedanken. Die in einiger Entfernung vom Haus liegenden Ställe waren sowieso ihr Ziel, und sie beschleunigte ihre Schritte. In dem von drei Seiten mit niedrigen Wirtschaftsgebäuden umbauten Hof stand ein älterer Mann und versuchte, einen braunen Hengst zu bändigen, der immer wieder stieg und um sich schlug. Er war kaum zu halten. Aus einem der Ställe kam ein junger Mann gelaufen.

»Vater, nicht! Lass mich General auf die Weide bringen!«, rief er in walisischer Sprache. Er nahm dem alten Mann den Führstrick aus der Hand und beruhigte das Tier erstaunlich schnell mit leisem Zureden.

Janet musterte ihn interessiert. Er trug ein helles Hemd, eine braune Lederweste und einfache Hosen in derselben Farbe. Sein hellbraunes Haar war zerzaust, und er ließ keinen Blick von dem Hengst. Er war noch sehr jung, kaum älter als sie selbst. Vater hatte er den alten Mann genannt. Demnach musste er einer der beiden Söhne des Stallmeisters Sam Darford sein. Aber welcher der Jungs es war, konnte sie nicht genau erkennen.

Sie betrat den Hof und ging direkt hinüber zur Box ihres Pferdes Midnight. Der schwarze Wallach streckte den Kopf aus der Tür und sie kraulte sanft die weiche Nase.

»Na, mein Alter. Kennst du mich noch?«, fragte sie leise.

Als hätte es verstanden, schnaubte das Pferd. Aber Janet wusste, es hieß bei ihm nur: Wo bleibt mein Stück trockenes Brot zur Begrüßung?

»Darf ich fragen, wer Sie sind?«, ertönte unvermutet eine strenge Stimme hinter ihr.

Janet erschrak und wandte sich um. Der junge Mann hatte den Hengst auf die Weide geführt und war, von ihr unbemerkt, zurückgekommen. Nun stand er direkt hinter ihr. Wie anders waren seine Augen als die von Michael Westing gestern Abend, schoss es ihr sofort durch den Kopf. Sie waren von einem warmen, dunklen Braun mit bernsteinfarbenen Sprenkeln darin und sie hatte das Gefühl, direkt in sein Herz zu schauen, auch wenn diese Augen sie gerade herausfordernd anblitzten. Janet bekam unter seinem Blick regelrecht ein schlechtes Gewissen.

»Da Sie neu hier sind und ich lange fort war, will ich Ihnen diese Frage verzeihen. Ich bin Janet Roberts. Und wer sind Sie?« Er kam ihr inzwischen seltsam vertraut vor.

»Miss Janet. Ich bitte um Entschuldigung. Ich bin Paul Darford. Erkennen Sie mich nicht?« Er senkte den Kopf zum Gruß.

»Paul!« Janet war völlig überrascht und fiel ihm mit einem Mal einfach um den Hals. »Wie schön, dich wiederzusehen!«

Er wagte es nicht, ihre Umarmung zu erwidern und als sie ihn losließ, räusperte er sich verlegen.

Auch Janet wurde bewusst, dass sie vielleicht etwas zu impulsiv reagiert hatte. Sie waren jetzt erwachsen und es war nicht schicklich, ihn einfach so zu umarmen.

Sie sah ihn einen Moment lang schweigend an.

Er hatte sich so sehr verändert, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Sie waren zusammen aufgewachsen. Gemeinsam mit ihm und den anderen Kindern hatte sie im Park Verstecken gespielt, im Teich Frösche gefangen, waren auf Bäume geklettert und hatten fast einmal die Scheune abgebrannt. Paul war zwei Jahre älter und damals immer ein bisschen anders gewesen als die anderen Kinder, ruhiger und irgendwie eigenbrötlerisch. In ihren Kinder- und Jugendtagen waren sie beste Freunde gewesen, und Janet hatte ihn schrecklich vermisst, als er Gwernen Court vor vier Jahren verlassen hatte.

»Ich … ich dachte, Sie wären in London«, brachte sie schließlich stammelnd hervor und siezte ihn.

»Das war ich auch, Miss Janet. Aber manche Dinge im Leben kommen nun einmal anders, als man es sich gewünscht hat«, erklärte er.

»Das klingt traurig, Paul. Verraten Sie mir den Grund?« Janet kraulte Midnights Nase, als das Pferd sie anstupste.

»Vielleicht«, antwortete er ausweichend. »Soll ich Midnight für Sie satteln?« Es war offensichtlich, dass er nicht darüber reden wollte.

»Das wäre sehr nett«, entgegnete Janet auf walisisch. »Ich werde in der Zwischenzeit Ihren Vater begrüßen und mir die anderen Pferde ansehen.«

Paul beeilte sich mit dem Satteln und brachte das Pferd zu ihr an den Aufsteigestein im Hof.

»Es ist schön, dass Sie wieder da sind. Und es ist schön, dass sie unsere Muttersprache nicht vergessen haben.«

Janet lächelte ihn an und schimpfte beim Aufsteigen auf walisisch: »An diese verdammten Damensättel werde ich mich nie gewöhnen!«

Pauls Vater, der hinzukam, lachte: »Sie könnten ja wieder einen Herrensattel nehmen, so wie früher, Miss Janet.«

»Nein, nein, Sam. Die Zeiten sind vorbei. Wenn mich damit jemand sähe. Gott bewahre! Oder wie meine Tante sagt: Wer schön sein will, muss leiden.«

»Soll ich nicht lieber mitreiten?«, fragte Paul.

»Nein, nicht nötig! Miss Janet ist die beste Reiterin, die ich kenne. Du hättest sie vor drei Jahren sehen sollen. Im Herrensitz nahm sie die Mauer und den Graben unten bei Parkers Mühle. Nachdem du weg warst, hat sie mehr Zeit hier im Stall verbracht als im Haus«, erklärte Pauls Vater lachend.

Janet nickte ihm dankend für das Kompliment zu und trieb das Pferd an. »Ich reite in die Berge!«, rief sie noch und ritt vom Hof.

Als sie Midnight auf den altbekannten Weg lenkte, wurde ihr bewusst, wie sehr sie Wales vermisst hatte. Gegen die Enge Londons kam ihr die walisische Landschaft wie eine Befreiung vor. Sie verließ das von einer Mauer umgebene Gelände von Gwernen Court durch das hintere Tor und ritt über einen engen, steinigen Pfad zwischen Hecken entlang und durch den Wald bis an die Grenze des Common. Dort, wo der Wald vom Farngürtel abgelöst wurde, endeten die Mauern und vor ihr lag die weite, grasbewachsene Freifläche. Dieses Land auf den Hügeln durfte von jeher von allen genutzt werden. Hier konnte jeder seine Schafe weiden lassen oder Gras für sein Vieh schneiden. Janets Vater hatte das Common auf den Hügeln rund um Gwernen Court bereits vor einigen Jahren gekauft, um es vor dem Zugriff der Besitzer der umliegenden Anwesen zu retten, da auch diese Bereiche immer mehr in Privateigentum übergingen. Im Gegensatz zu seinen Nachbarn gestattete Jonathan Roberts allerdings nach wie vor allen die freie Nutzung. Er selbst kam nur gelegentlich zur Jagd auf Fasane, Hasen und Rebhühner herauf. Der Boden zwischen dem Gras war dünn, und überall kam der felsige Untergrund hervor und nur wenige Strecken eigneten sich für einen kurzen Galopp. Auf dem Hügel, auf einer kleinen Ebene, hielt Janet das Pferd an. Sie nahm ihren Reithut ab und atmete tief durch. Der Wind blies sanft, ließ das Gras rascheln und streichelte ihre Haare. Die Luft duftete herrlich würzig nach Heide und Moor und es war so still, dass man trotz der Entfernung die Vögel unten im Wald zwitschern hörte. Sie musste sich ein paar Freudentränen aus dem Gesicht wischen. Der Anblick der vertrauten Landschaft vor ihr war überwältigend.

Von der Kuppe des Hügels ging der Blick weit über das Tal auf die Berge. Der Wind trieb die tiefhängenden Wolken von Westen über die kantige Spitze des Pen-y-Fans, des höchsten Berges drüben in den Brecon Beacons, der wie ein Backenzahn in den Himmel ragte. Auf der windabgewandten Seite krochen sie wie dicke Suppe über den Topfrand hinunter ins Tal, bis sie sich in der Morgensonne auflösten. Die Wiesen im Tal waren durch Mauern, Hecken und dunkle Baumreihen in unzählige Parzellen unterteilt, die in der klaren Luft in allen Grüntönen, vom zarten Lind bis zum tiefen Smaragd, leuchteten. Die Rinder und Schafe auf einigen dieser Parzellen wirkten aus der Ferne wie Sahnespritzer auf einer dunklen Tischdecke. Zwischen all dem Grün wand sich unten der Fluss als silbriges Band dahin, der parallel dazu in einiger Entfernung vom Brecknock-und-Abergavenny-Kanal begleitet wurde. Der Kanal verband nun schon seit einundzwanzig Jahren Brecon mit Newport unten an der Küste. Er galt als technisches Wunderwerk und war mittlerweile so eingewachsen, dass er sich harmonisch in die Landschaft fügte. Man hatte, um die Anzahl der Schleusen gering zu halten, den Kanal stellenweise über Viadukte, über den Fluss und über Wege geführt. Auf dieser schmalen Wasserstraße wurde mit den getreidelten Booten die Kohle für die Eisenwerke im Süden angeliefert und die fertigen Metallprodukte abtransportiert. Ein Stück weiter im Südosten befand sich die Verladestelle von Gilwern, wo Kohle ausgeladen und mit von Ponys gezogenen Loren über die weitverzweigten Gleisanlagen bis zu den Schmelzhütten gebracht wurde. Dort war immer etwas los, und Janet nahm sich vor, bald einen Ausritt zum Kanal zu unternehmen.

Sie blieb eine ganze Weile oben auf dem Hügel und ritt auf der anderen Seite über die versteckten Pfade, die nur Einheimische kannten, zurück zum Haus. Zu ihrem Bedauern war Paul nicht bei den Stallungen, als sie zurückkam, und sie brachte Midnight selbst auf die Weide. Alle Handgriffe waren ihr noch vertraut, und sie merkte, dass sie auch dies in London vermisst hatte. Sie seufzte, als sie das Pferd auf der Weide freiließ und es fröhlich buckelnd und wiehernd zu seinen Artgenossen galoppierte.

Jonathan Roberts warf seiner Tochter einen mürrischen Blick zu, als sie noch in ihrer Reitkleidung zum Lunch erschien. Ihr Vater saß allein an der langen Tafel im Speisezimmer und fütterte seine beiden Hunde mit den Speiseresten. Die Tiere begrüßten Janet stürmisch, und sie kraulte sie, bevor sie sich zu ihrem Vater setzte.

»Nach dem gestrigen Abend hatte ich gehofft, dass Tante Caroline dir auch deine morgendlichen Angewohnheiten ausgetrieben hätte«, seufzte er mit einem Stirnrunzeln. »Ich habe erwartet, dass du die Gäste verabschieden würdest, vor allem, da sich Dorothy heute nicht wohlfühlt.«

Das war also der Grund, warum sie nicht zum Essen gekommen war.

»Tante Caroline ist Gott sei Dank der Ansicht, dass Bewegung gut für den Körper und für die Gesundheit ist, Vater! Zudem kannte ich kaum jemanden von den Gästen, die hier im Hause übernachtet haben.«

»Das ist kein Grund. Ich glaube, ich muss einmal ein ernstes Wort mit deiner Tante reden.«

»Oh, Papa!« Janet lächelte ihn mit einem Blick an, dem er schon früher nicht hatte widerstehen können.

Er ergriff ihre Hand. »Schön, dass du wieder hier bist, mein Kind.«

»Ich bin auch sehr glücklich.« Sie schmunzelte in sich hinein. Tante Caroline hatte ihr alles beigebracht, was eine Lady ausmachte, doch für Janet waren es nur oberflächliche Veränderungen. In ihrem Inneren brannte noch immer das wilde rebellische Feuer, der Drang, alles zu tun, was sie und wann sie es wollte. Sie hasste Zwänge und förmliche Abende wie der gestrige kosteten sie viel Überwindung.

Als Janet nach dem Essen Dorothy in ihrem Zimmer besuchte, war dort das Licht noch schummerig, da die Vorhänge zugezogen waren.

»Wie geht es dir, Schwester?« Janet setzte sich an ihr Bett.

»Furchtbar!« Dorothy stöhnte und griff sich theatralisch an die Schläfe.

»Zu viel Champagner und Portwein nehme ich an?«, flüsterte Janet rücksichtsvoll.

Dorothy nickte stumm.

Janet und sie hatten sich in den letzten Jahren nicht besonders gut verstanden, aber irgendetwas schien Dorothy verändert zu haben.

»Er ist sehr nett«, sagte Janet schmunzelnd.

»Wer?«

»Dein Daniel.«

»Ja, das ist er.« Dorothys Augen strahlten plötzlich, als sie von ihm sprach. »Ich hoffe, dass er um meine Hand anhält.«

»Liebst du ihn?«

»Ich glaube schon.«

»Dann schlaf jetzt weiter und träum von ihm.«

Janet ging hinaus. Sie dachte plötzlich an Paul und wusste selbst nicht warum.

***

Michael Westing saß mit seinem Bruder Charles am Frühstückstisch auf Far View, dem Landsitz der Familie.

In dem riesigen, recht dunklen Speisesaal wirkte der Tisch irgendwie verloren und die Stimmen hallten in dem Raum wider.

»Wie hat dir der Ball gestern gefallen?«, fragte Charles beiläufig zwischen zwei Bissen.

»Ich fand es recht amüsant, jedenfalls für das Ende der Welt hier. Aber zumindest habe ich gestern Abend eine erquickliche, neue Bekanntschaft gemacht.«

»Du meinst die blonde Dame, mit der du getanzt hast?«

»Allerdings. Miss Janet Roberts, die jüngere Tochter des Gastgebers. Sie kam, soweit ich weiß, auch gestern erst überraschend aus London zurück. Wenigstens ein Lichtblick unter all diesen Landeiern.« Michael schob sich die Gabel in den Mund.

»Unter diesen gibt es einige sehr hübsche Frauen.«

»Hübsch ja, aber ihnen fehlt die Kultiviertheit. Mit so einer Frau kann man sich in der Londoner Gesellschaft nicht sehen lassen.«

»Wales ist nun mal nicht London. Was erwartest du?«

»Ja, ich weiß. Aber ich wäre ja auch nicht hier, wenn Vater es nicht ausdrücklich angeordnet hätte. Wo ist er übrigens?«

Charles zuckte nur mit den Schultern.

»Ich …« Michael wollte noch etwas sagen, als die Tür zum Speiseraum aufflog und Sir Alexander mit schnellem Schritt den Raum betrat.

Er kam direkt auf Michael zu. Sein Gesichtsausdruck war finster und er hielt ein Papier in der Hand. Er schlug dieses mit der flachen Hand auf den Tisch.

»Kannst du mir sagen, was das hier ist?«, brüllte er Michael an.

»Ich habe nicht die leiseste Ahnung, Vater.« Michael tupfte sich mit der Serviette den Mund ab und legte diese langsam neben seinen Teller.

»Das hier … ist ein Schuldschein!« Sir Alexander schnaubte vor Wut. »Ein Schuldschein über zweitausend Pfund.«

»Oh.« Michael schluckte.

»Sonst hast du nichts dazu zu sagen?« Sir Alexander hielt seinem Sohn das Papier direkt unter die Nase.

»Ich … ich hatte Pech im Spiel«, stammelte er.

»Das ist offensichtlich. Du wusstest wieder einmal nicht, wo die Grenze ist, Michael!«

Der Gescholtene senkte den Kopf. Er hatte wie so oft im Club beim Spiel nicht aufhören können, und dass er damit einen Fehler gemacht hatte, war ihm bewusst. Es waren zudem nicht die einzigen Schulden, die er momentan hatte.

»Ich weiß, Vater, und es tut mir leid.«

»Mit einem es tut mir leid kommst du mir dieses Mal nicht davon. Du wirst in den nächsten Monaten nicht nach London zurückkehren, und ich erwarte, dass du endlich etwas tust, statt nur mein Geld zu verprassen!«

»Aber, Vater …«

»Nein. Diesmal nicht, Michael! Du arbeitest mit in den Ironworks oder du suchst dir endlich eine Frau und sorgst für einen Erben, wie es deine Pflicht als ältester Sohn ist.«

»Ich soll heiraten?« Michaels Augen weiteten sich entsetzt.

»Du verlobst dich innerhalb von einem Jahr. Oder ich zahle nie wieder einen Schuldschein von dir.«

»Das ist Erpressung!«

»Ich würde es eher Erziehung nennen. Etwas, das bei dir bisher wohl leider versagt hat. Und jetzt geh mir aus den Augen!«

Michael hatte das Gefühl, als würde sich eine Schlinge um seinen Hals ziehen. Er stand langsam auf und verließ das Haus. Im Stall herrschte er den Burschen unfreundlich an, ihm ein Pferd zu satteln. Während er ritt, überlegte er, wie er jetzt vorgehen sollte. Er war bei seinem Vater in Ungnade gefallen und wenn dieser noch von den anderen Schulden erfuhr, wer wusste, was dann fällig wäre. Womöglich würde er Michael verstoßen und enterben und alles würde an Charles fallen. Der nur zehn Minuten jüngere Bruder war sowieso der Liebling seines Vaters. Dabei war Charles doch so ein Langweiler! Er hatte auf dem Ball nicht einmal getanzt und auch kaum etwas getrunken. Statt sich zu amüsieren, arbeitete er Tag für Tag in den Ironworks. So ein Leben will ich nicht führen, schoss es Michael durch den Kopf.

Dann blieb wohl nur die andere Alternative. Er würde sich eine Frau suchen müssen und da er nicht nach London fahren durfte, musste sie von hier stammen. Er dachte nach. Es gab genau zwei Frauen in der ganzen Gegend die ihn überhaupt interessierten. Eine davon war blond, doch er würde es zuerst bei der Brünetten versuchen, der er vor einigen Tagen in Brecon vorgestellt worden war.

Kapitel 2

Janets Rückkehr nach Gwernen Court hatte sich rasch überall herumgesprochen und die nächsten vier Wochen waren angefüllt mit Besuchen. Die Bekannten aus der Nachbarschaft wollten wissen, was Janet von London und von den gesellschaftlichen Ereignissen zu berichten hatte. So war sie ständig bei einer anderen Familie zum Tee eingeladen oder empfing gemeinsam mit Dorothy Besucher. Waren keine Gäste anwesend, widmete sie sich mit dem Butler, Albert, und der Hausdame der Haushaltsführung, und Dorothy war froh, von dieser Aufgabe befreit zu sein. Nach dem Ball waren, neben der Planung der wöchentlichen Einkäufe, viele andere Arbeiten zu erledigen. Die Vorräte im Weinkeller mussten aufgefüllt werden und die ganze Tischwäsche war zu waschen. Die Kamine wurden gereinigt, die Gästezimmer geputzt und die Möbel wieder mit Tüchern abgedeckt. Zudem waren einige Schreibarbeiten zu erledigen, damit auch auf Chestnut Hill alles seine Ordnung hatte. Ihr Vater hatte Janet, auf ihren eigenen Wunsch hin, schon im letzten Jahr die Kontrolle über das Gut überlassen. Der Verwalter auf Chestnut Hill arbeitete sehr zuverlässig, trotzdem fuhr sie selbst so oft es ging nach Somerset, um nach dem Rechten zu sehen.

Von London aus war sie in den vergangenen sechs Monaten nur zweimal für eine Woche dort gewesen, und es war dringend erforderlich, dass sie wieder hinfuhr.

Wenn es möglich war, verbrachte Janet außerdem fast jeden Tag einige Stunden zu Pferde. Manchmal begleitete Dorothy sie, doch meist war sie allein. Ihr Vater ritt, zu Janets Bedauern, kaum noch. Sie kündigte jeweils bereits am Abend an, dass sie am nächsten Tag ausreiten würde, und jedes Mal war es Paul, der Midnight für sie sattelte. Er sah ihr immer direkt in die Augen, wenn er das Pferd brachte. Sein Blick war fast etwas zu intensiv, was sie aber nicht als unangenehm oder gar unverschämt empfand.

Als sie eines Nachmittags von einem Ausritt zurückkam, war niemand im Hof zu sehen. Nur aus der Box einer der Zuchtstuten hörte sie Geräusche und ging hinüber. Paul bemerkte sie zuerst nicht, und Janet beobachtete ihn einen Moment. Sein athletischer Oberkörper war unbekleidet, denn er half gerade einem Fohlen auf die Welt.

Sie räusperte sich und fragte dann leise: »Kann ich helfen?«

Paul bemerkte, wie sie ihn ansah und blickte verlegen zu Boden.

»Ja. Ein Eimer heißes Wasser und ein paar Tücher wären gut und etwas frisches Stroh, um das Fohlen abzureiben, vorausgesetzt, es schafft das hier«, sagte er leise.

Janet verschwand wortlos und kehrte kurz darauf mit dem Gewünschten zurück. Sie hatte sich eine Schürze umgebunden. Paul hatte es inzwischen geschafft, die falsch liegenden Vorderbeine des Fohlens in die richtige Position zu bringen, und nun plumpste nach wenigen Minuten eine kleine Stute ins Leben.

»Waschen Sie sich erst mal«, sagte Janet, »ich reibe das Fohlen ab.«

Während er sein Hemd wieder überstreifte, beobachtete er, wie sie, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, vorsichtig das kleine Wesen mit Stroh abrieb, es aufhob und der erschöpften Stute vor die Nase legte. Die Mutter beschnupperte es liebevoll, stupste es an und leckte es ab.

Sie beobachteten gemeinsam das Fohlen, das bereits nach einer Weile versuchte, mit seinen staksigen Beinen aufzustehen und schließlich, mit etwas Hilfe von Paul, bei der Mutter die erste Milch trank.

»Sie ist wunderschön!« Janet liebte Pferde – und Fohlen erst recht.

»Ja, das ist sie.« Paul wandte seinen Blick schüchtern zu Janet und legte seine Hand auf ihre, die auf der Kante der Stalltür lag.

Janet erwiderte seinen Blick für einen kurzen Moment. Sie fühlte, wie ihr Puls sich beschleunigte und ihr ein wohliger Schauer über den Körper lief. Überrascht von ihrer eigenen Reaktion zog sie hastig ihre Hand weg und drehte sich um.

»Ich muss gehen«, sagte sie und lief eilig aus dem Stall, bis sie hinter der nächsten Ecke außer Sichtweite war. Dort lehnte sie sich an die Wand, weil ihre Knie drohten, unter ihr nachzugeben. Ihr war schwindelig und sie konnte kaum atmen. Ihre Hand fuhr wie von selbst hinauf zu ihrer Brust und sie fühlte voller freudiger Verzweiflung ihren rasenden Herzschlag. Es dauerte, bis sie sich etwas beruhigt hatte.

Langsam ging sie ins Haus und in ihr Zimmer, wo sie sich auf ihr Bett warf. Pauls Blick ging ihr nicht aus dem Kopf und ihre ruhelosen Empfindungen noch viel weniger. Ihre Wangen glühten noch immer und sie war völlig durcheinander.

Natürlich hatten einige Männer ihr in London den Hof gemacht, aber keiner hatte je ihr Herz erobert. Meine Güte, sie konnte sich doch jetzt nicht in den Stallburschen verlieben! Auch wenn sie zusammen aufgewachsen waren und er ihr so vertraut war. Es durfte einfach nicht sein!

In den nächsten Tagen mied Janet die Stallungen, aber die Neugierde darauf das Fohlen wiederzusehen, war schließlich stärker. Zudem hatte sie beschlossen, Paul, wenn er ihr noch einmal zu nahekommen würde, deutlich und bestimmt zurückzuweisen. So schlich sie eines Morgens hinüber zu den Ställen und betrachtete das Fohlen eine Weile. Dann sattelte sie Midnight selbst und ritt unbemerkt, wie sie glaubte, davon. Sie ahnte nicht, dass Paul sie beobachtet hatte.

Janet trabte auf dem schmalen Weg am Ufer des River Usk entlang. Der Fluss war meist recht flach, mit großen Steinen im Flussbett, und im Sommer, wenn das Wasser tief stand, konnte man mit dem Pferd an einigen Stellen leicht auf die andere Seite gelangen. Drei Meilen weiter östlich lag Parkers Mühle. Dort war der Fluss durch ein Wehr aufgestaut, und es gab eine flache Holzbrücke, die im Winter oft überflutet wurde. Die Mühle war jetzt im Sommer besonders schön, da sich immer ein kühles Plätzchen fand. Es gab eine Stelle auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses, wo die Äste der Bäume weit und tief über das Wasser hingen und man herrlich am Ufer sitzen konnte. Es war noch ein gutes Stück bis dahin und auf einer großen Wiese ließ Janet Midnight galoppieren. Als sie ihn wieder zügelte, merkte sie, dass Paul dicht hinter ihr war.

»Vater hatte recht. Sie sind wirklich eine gute Reiterin«, sagte er, als er sie erreichte.

»Und ich brauche keinen Aufpasser!«, fauchte sie gereizt.

»So war es eigentlich nicht gemeint.« Er lächelte herausfordernd.

»Wenn Sie nicht auf mich aufpassen, was wollen Sie dann, Paul?«

»Mit Ihnen reden, Miss Janet. Warum waren Sie in den letzten Tagen nicht mehr im Stall?«

»Das geht Sie nichts an«, entgegnete sie barsch. »Lauf, Midnight!«, rief sie und galoppierte auf eine Hecke am anderen Ende der Wiese zu.

Sie ließ dem Pferd den Hals frei, aber im Damensattel konnte sie einfach nicht so schnell reiten. Paul, der gleich hinter ihr losgeritten war, kam immer näher. Ein Teil von ihr wünschte sich sehnlichst, dass er sie einholte, aber ihr Geist schreckte vor den Konsequenzen zurück. Und so trieb Janet ihr Pferd zum Sprung über die Hecke an – als plötzlich ein Fasan aufflog. Das sonst so nervenstarke Pferd erschrak. Es scheute, verweigerte den Sprung – und Janet flog in hohem Bogen über die Sträucher. Auf der anderen Seite plumpste sie unsanft auf den weichen Grasboden und rollte sich ab. Es war nicht das erste Mal, dass sie vom Pferd fiel. Sie war noch leicht benommen und damit beschäftigt, ihr Reitkleid zu ordnen, da war Paul auch schon bei ihr.

»Sind Sie verletzt?« Er war vom Pferd gesprungen und über die Hecke geklettert, denn das Tier hätte den Sprung nicht geschafft. Seine Stimme klang gepresst und seine Hände wollten nach ihr greifen, verharrten dann jedoch kurz vor ihrer Haut.

»Nein, zum Teufel. Lassen Sie mich in Ruhe!«, rief sie ungehalten.

Janet wollte sich erheben, doch sie hatte sich den Fuß verdreht. Beim Aufstehen strauchelte sie, aber Paul fing sie auf, bevor sie wieder hinfallen konnte. Im ersten Augenblick war sie in seinen Armen wie erstarrt. Ihre Blicke suchten und fanden einander, während die Zeit stillzustehen schien und Janet konnte sehen, wie sich die Muskeln in seinem Kiefer anspannten. Er schien mit sich um die Entscheidung auf eine Frage zu ringen, die nur er selbst beantworten konnte.

Ihr Atem ging heftig und kurz.

Paul schien es zu spüren. Mit einer Hand hielt er sie, mit der anderen schob er zärtlich eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht – und entschied für sie beide, ehe dieser süße Moment vergehen konnte. Er küsste sie heftig und fordernd auf den Mund.

Janet versuchte ihn zunächst, verdutzt wie sie war, wegzudrücken, und Paul trat sofort einen Schritt zurück. Sie sahen sich erneut voller Glut in den Augen an, und Janet wusste, dass es nun an ihr lag. Ja, sie wollte, dass er sie küsste, hier und jetzt. Mit einem wohligen Seufzen ließ sie sich in seine Arme fallen und spürte auch seine Erleichterung über ihre Wahl.

Nach einer Weile setzten sie sich auf die Wiese.

»Sioned! Bezaubernde Sioned! Du bist so schön, wenn du wütend bist.« Paul sprach zärtlich ihren walisischen Namen und küsste ihre Wangen. »Gott vergib mir! Aber ich kann nicht anders. Ich bin hoffnungslos in dich verliebt«, gestand er ihr mit zitternden Händen.

Ihr schossen die Tränen in die Augen, als sie ihn ansah. »Aber es darf nicht sein. Es ist unmöglich.« Janet schluchzte leise, da ihr schmerzlich bewusst wurde, dass es nahezu unmöglich war, mit Paul zusammen zu sein.

»Wir werden einen Weg finden. Sag nur, dass du mich auch magst. Sag es.«

»Ja, Paul, das tue ich. Aber …«

»Kein aber!« Pauls Stimme klang so bestimmt, dass Janets Angst sich etwas legte.

Er nahm sie in die Arme, und sie lehnte sich schwer an seine Schulter. Plötzlich war ihr klar, was sie sich seit Langem gewünscht hatte; genau dieses Gefühl, das sie jetzt empfand, die Wärme, Nähe und Geborgenheit in den Armen eines Mannes. Doch sie hatte nie damit gerechnet, dass es Pauls Arme sein würden.

»Lass uns zurückreiten«, sagte er, nachdem er sie erneut geküsst hatte, »es wird spät.«

Sie standen auf. Erst jetzt spürte Janet erneut den stechenden Schmerz in ihrem rechten Knöchel. Sie sog die Luft durch die zusammengebissenen Zähne ein.

»Du bist doch verletzt.« Paul sah sie besorgt an.

»Es ist nichts, nur mein Knöchel.«

»Lass mich mal sehen.« Paul kniete sich vor ihr nieder, schob ihr Reitkleid nach oben und griff nach ihrem Fuß.

»Nein. Lass das.« Janet wollte ob dieser intimen Geste zurückweichen, doch der Knöchel schmerzte heftig, als sie auftrat.

»Jetzt setz dich und lass mich nachsehen. Ich verstehe etwas davon. Glaub mir.« Pauls Worte waren sanft und beruhigend. »Komm hier herüber auf den Stein.«

Janet nickte und er half ihr, sich zu setzen.

Langsam und vorsichtig zog er ihr den Reitstiefel aus. Dann tastete er über ihrem Strumpf den Knöchel ab und bewegte ihn.

Janet musste schlucken. Nie zuvor hatte ein Mann ihren Knöchel berührt. Seine Finger durch den dünnen Stoff zu spüren, war auf geradezu unanständige Weise aufregend, und ein Kribbeln lief ihr ganzes Bein hinauf. Sie biss sich auf die Unterlippe und ihre Finger krallten sich in den Stoff ihres Kleides, als sie fühlte, wie eine ungekannte, wohlige Wärme ihren ganzen Körper durchströmte. Sie wünschte sich, Paul möge sie augenblicklich wieder in seine Arme schließen und sie erneut so leidenschaftlich küssen wie zuvor.

»Tut das weh?«, fragte er immer wieder bei den verschiedenen Bewegungen, offenbar ohne ihren Zustand wahrzunehmen.

Janet brachte kein Wort hervor, aber sie nickte, wenn der Schmerz zu heftig wurde.

Schließlich zog Paul ihr vorsichtig ihren Stiefel wieder an.

»Gebrochen ist nichts«, erklärte er sachlich. »Nur eine Verstauchung. Es wird anschwellen, aber das geht bald wieder in Ordnung.«

»Woher willst du das wissen, du bist doch kein Arzt.«

»Nein, leider nicht«, sagte er bitter mit traurigen Augen. »Wirst du reiten können?«

»Natürlich. Wenn du mir in den Sattel hilfst.«

Paul half ihr aufzusteigen und sie ritten langsam zurück bis direkt vor das Haus. Dort hob er sie vom Pferd und sie blickten sich noch einmal lange in die Augen, bevor er sie auf seine starken Arme nahm und hineintrug. Albert, der Butler, machte den Weg frei in den Salon, wo Dorothy über einer Stickerei saß.

»Was ist denn passiert?« Sie warf ihre Handarbeit in den Korb und sprang erschrocken von ihrem Stuhl auf.

»Miss Janet ist vom Pferd gestürzt«, erwiderte Paul und setzte Janet auf einem Lehnstuhl ab. »Ihr Knöchel ist verstaucht.«

»Das musste ja irgendwann so kommen, Schwesterlein«, bemerkte Dorothy spöttisch und verzog den Mund.

»Danke für dein Mitgefühl«, entgegnete Janet spitz.

Paul holte rasch einen kleinen Hocker, der am Spieltisch stand, und legte ein Kissen darauf.

»Legen Sie den Fuß hoch, Miss Janet, machen Sie kalte Umschläge mit Essigwasser und bandagieren Sie den Knöchel. Dann sollte es bald wieder in Ordnung sein.«

»Sollten wir nicht lieber den Arzt holen?«, fragte Dorothy besorgt.

»Ich denke, das wird nicht nötig sein.« Janet vertraute Pauls Urteil. Sie wäre fast errötet, als sie an die intensive Untersuchung auf der Wiese dachte. Albert ging eilig aus dem Raum, um kaltes Wasser, Essig und Tücher für einen Umschlag zu holen.

Paul wollte Janet den Stiefel wieder ausziehen, doch Janet schüttelte unmerklich den Kopf und sah ihn beschwörend an. Er musste jetzt gehen, obgleich sie wünschte, er könnte bei ihr bleiben und selbst das Bandagieren ihres Fußes übernehmen.

Paul verstand ihren Blick.

»Ich gehe dann die Pferde versorgen. Gute Besserung für den Fuß, Miss Janet.« Sein Lächeln verriet, dass es ihm schwerfiel zu gehen.

»Danke, Paul. Auf Wiedersehen.« Janet musste sich bemühen, das Zittern ihrer Stimme zu verbergen.

Als er den Raum verlassen hatte, seufzte sie leise.

»Gefällt er dir?«, fragte Dorothy und musterte ihre Schwester argwöhnisch.

»Er ist nett und anständig.«

»Ja, und unser Stallbursche.« Dorothy lachte verächtlich.

Damit war das Thema vorerst beendet.

Der verstauchte Knöchel fesselte Janet für einige Tage ans Haus. Einmal am Tag jedoch hinkte sie, mit Hilfe eines Gehstocks, hinüber zum Stall, unter dem Vorwand, nach dem Fohlen zu sehen. Paul wartete dort jedes Mal auf sie. Sie küssten sich versteckt hinter den Pferden und wären einmal fast von Pauls Vater erwischt worden.

Eines Nachmittags, als Janet mit Dorothy auf der Terrasse in der Sonne saß und sie in einem Buch über seltene Pflanzen Englands las, meldete Albert einen Besucher.

»Michael Westing möchte Ihnen seine Aufwartung machen, Miss Janet.«

»Wer?« Sie hoffte, dass sie sich verhört hatte.

»Der Sohn von Sir Alexander Westing.« Er überreichte ihr eine mit geschwungenen Lettern bedruckte Karte.

Janet betrachte die Karte und erinnerte sich widerwillig an ihn. Sie würde lieber weiter ihr Buch studieren, als diesen unangenehmen Menschen zu empfangen. Die Gastfreundschaft und die Tatsache, dass er der Sohn eines der reichsten Männer von Wales war, geboten es jedoch, ihn zu begrüßen.

Sie tauschte einen kurzen Blick mit Dorothy und diese nickte nur. »Bitten Sie ihn zu uns, Albert. Und dann bringen Sie uns einen Tee.«

Albert ging, um Westing auf die Terrasse zu geleiten.

Dorothy lächelte von ihrer Handarbeit zu Janet herüber. »Mir scheint, du hast mehrere Verehrer«, sagte sie betont spöttisch.

»Wie meinst du das?«

»Das weißt du genau, Schwesterherz. Glaubst du, deine Besuche im Stall und der Glanz in deinen Augen danach fallen mir nicht auf?«

Janet straffte ihre Haltung und versuchte so, das leichte Entsetzen zu verbergen, das sie überkam. In ihrem Kopf rasten die Gedanken durcheinander. War es so auffällig, dass sie Paul liebte, oder war es nur die Intuition unter Schwestern und Frauen, die es Dorothy ahnen ließ? Was auch immer es war, sie nahm sich vor, noch vorsichtiger zu sein.

In diesem Moment trat Michael Westing mit zwei kleinen Sträußen weißer Rosen in der Hand auf die Terrasse und verbeugte sich tief. Seine Geste war genauso übertrieben wie seine auffällige Kleidung, die für einen Nachmittagsbesuch völlig überzogen war.

»Meine Damen, es freut mich sehr, Sie wiederzusehen.«

»Die Freude ist ganz unsererseits«, erwiderte Dorothy mit einem strahlenden Lächeln, als er galant ihre Hand küsste und ihr einen Strauß überreichte.

»Ich hoffe, Sie freuen sich ebenfalls, mich wiederzusehen, Miss Janet?« Westing zwinkerte ihr zu, als er sie begrüßte.

»Was verschafft uns die Ehre Ihres Besuches?« Janet nahm die anderen Blumen entgegen, ohne ihnen große Beachtung zu schenken. Seine Worte waren charmant, doch seine eisblauen Augen blieben kalt dabei. Es war keine Tiefe darin, die angedeutet hätte, dass das, was er sagte, von Herzen kam.

»Sie, meine Liebe. Nur Sie. Ich wollte Sie eigentlich fragen, ob Sie mir wohl gestatten, in den nächsten Tagen einmal mit Ihnen auszureiten. Aber wie ich höre, sind Sie leider verletzt.«

Gott sei Dank!, dachte Janet. Ausreiten wollte sie nun wirklich nicht mit diesem Schönling. Sie fand, er sah in dem apfelgrünen Anzug, den er heute trug, wie ein Papagei aus.

»Ja, leider«, entgegnete sie jedoch lächelnd.

Tante Caroline hatte sie gelehrt, in jeder Situation ihren Charme einzusetzen, auch wenn ihr nicht danach zumute war. Sie würde ihn heute mit Höflichkeitsfloskeln einlullen, doch seine Gesellschaft würde ihr wohl nie Vergnügen bereiten, schoss es ihr durch den Kopf und sie musste fast schmunzeln.

»Darf ich Ihnen dann hier etwas Gesellschaft leisten?« Westing holte sich, ohne auf eine Antwort zu warten, einen der Gartenstühle, setzte sich ihr gegenüber und schlug die Beine übereinander.

»Wenn ich mir nur sicher wäre, wer jetzt vor mir sitzt. Michael oder Charles Westing.« Janet legte mit einem gespielten Lächeln den Kopf schief.

»Wir mögen uns äußerlich ähneln, Miss Roberts, aber ich kann Ihnen versichern, dass wir grundverschieden sind. Wenn Sie Charles besser kennenlernen, werden Sie rasch merken, dass wir leichter zu unterscheiden sind, als es zunächst scheint.«

»Das hoffe ich«, antwortete sie freundlich, dachte sich aber, dass zwei Exemplare von Michaels Art, mit dem gleichen unsympathischen Charakter, wohl unerträglich wären.

»Möchten Sie einen Tee?«, fragte Dorothy und unterbrach das Gespräch, als Albert das Tablett mit eben diesem und frische Scones mit Marmelade brachte.

Westing bejahte, und Janet trieb mit ihm oberflächliche Konversation, wie sie es von Tante Caroline gelernt hatte, während sie tranken. Er war offensichtlich begeistert und lobte sie als geistreiche Gesprächspartnerin. Sie tat interessiert an seinen langweiligen Geschichten über den Landsitz der Westings, seinem Gewinn beim letzten Pferderennen und dem neuesten Klatsch aus Bristol, den er berichtete. Er blieb fast zwei Stunden und rang ihr die Zusage für einen Ausritt ab, sobald sie wieder gesund sei.

Von diesem Tag an schickte er ihr fast täglich kleine Aufmerksamkeiten. Zu Janets Erstaunen besorgte er ihr sogar ein Botanikbuch über neuentdeckte tropische Pflanzen mit wunderschönen Illustrationen aus London.

Janets Fuß besserte sich in den nächsten Tagen zusehends und sie ritt wieder aus. Dabei ließ sie sich ganz offiziell von Paul begleiten.

Bei einem ihrer Ausritte an einem wolkenverhangenen Morgen im August schlug er den Weg auf die andere Seite der Berge ein. Als sie von der Höhe auf das nächste Tal sehen konnten, hielt er an.

»Wo sind wir?«, fragte Janet verwirrt, als sie unten das kleine Dorf sah.

»Das weißt du nicht?«

»Nein. Ich glaube, hier bin ich noch nie gewesen.«

»Das ist Black Valley. Alles, was du siehst, gehört deinem Vater. Das Dorf und das Kohleberwerk auf der anderen Seite.«

»Dann war ich wahrscheinlich schon einmal hier, mit Vater und Dorothy, aber das ist viele Jahre her. Ich war damals noch ein Kind.«

»Ich denke, dass du es dir jetzt einmal ansehen solltest«, sagte er ungewohnt ernst.

Paul ließ das Pferd traben, und Janet folgte ihm ins Tal hinunter. Am Hang auf der anderen Seite lag, in einiger Entfernung vom Dorf, das Kohlebergwerk. Paul ritt in die kleine Ansiedlung mit halbverfallenen Häusern, die sich an einer schmutzigen Straße entlangzogen, auf der nur ein paar Hühner herumkratzten. Über allem hing der Geruch von Torffeuer. Die Häuser waren in schlechtem Zustand, schmuddelig und grau, und verbreiteten eine traurige Atmosphäre. Es waren nur wenige Menschen zu sehen, vor allem Alte und kleine Kinder fielen Janet auf. Ein ungutes Gefühl überkam sie, als sie bemerkte, wie alle sie beobachteten und sie schaute zu Paul. Doch der sagte kein Wort, bis sie das Dorf durchritten hatten.

»Nun, was sagst du?«

»Ein düsteres Dorf. Irgendwie unheimlich. Ich habe gespürt, dass mich alle angestarrt haben.« Janet fühlte sich mehr als unbehaglich.

»Sie haben noch nie die Tochter des Landlords gesehen und auch niemanden sonst von euch feinen Leuten. Wenn mal jemand kommt, ist es meist nur der Verwalter oder der Pachteintreiber.«

»Warum habe ich kaum Erwachsene gesehen? Wo sind denn alle? Das Dorf wirkt ja fast wie ausgestorben.«

»Sie sind bei der Arbeit, Sioned.«

»Alle? Sind denn die älteren Kinder nicht in der Schule?«

»Es gibt hier keine Schule. Sie arbeiten alle. Du wirst es gleich sehen.«

Sie ritten noch ein Stück bergan, bis ein großes, aus grauen Steinen gemauertes Gebäude zu sehen war. Nebenan war eine einfache Überdachung errichtet. Darunter befand sich ein auf eine Holzkonstruktion montiertes eisernes Rad, über das eine dicke Kette an beiden Seiten in die Tiefe lief. Auf Janet wirkte es wie ein überdimensionaler Brunnen.

»Was ist das?«, fragte sie Paul.

»Das ist der Schacht des Bergwerks, in dem die Männer unter Tage arbeiteten.«

Sie ritten noch etwas näher heran.

»Siehst du den großen Fördereimer?«

Janet nickte.

»Auf der einen Seite wird der Kohleneimer geleert, mit Wasser gefüllt und wieder hinunter gelassen. Das Gewicht des schweren Wassereimers bringt den auf der anderen Seite der Kette hängenden, aber leichteren Kohleneimer nach oben. Dieser wird geleert und mit Wasser gefüllt. So geht es immer weiter - ein Eimer hinauf und einer hinunter«, erklärte Paul.

Oben waren vor allem Frauen und Kinder mit dem Ausladen der Kohle beschäftigt. Die Kohle wurde erst weiter zerkleinert und schließlich in die Loren geschaufelt, die von Ponys über eine Gleisanlage davonzogen wurden.

Auch hier wurde Janet von allen angestarrt. Nicht nur die Kleider und Hände der Frauen, sondern auch ihre Gesichter waren von der Kohle geschwärzt, was ihre Augen noch weißer leuchten ließ. Einige spuckten auf den Boden, als sie vorbeiritt. Die Abneigung war mehr als deutlich zu spüren und Janets Magen krampfte sich zusammen, während ihre Zunge trocken am Gaumen klebte. Das Bergwerk gehörte ihrem Vater und sie fühlte sich plötzlich mitschuldig für die schlechten Zustände, die sie grade gesehen hatte. Sie hätte sich an Black Valley erinnern müssen, doch sie hatte es verdrängt und sich nicht darum gekümmert.

Paul ritt nur einen Bogen um die Grube und schließlich am Dorf vorbei zurück Richtung Gwernen Court. Er hatte wieder nichts gesagt, aber das war auch nicht notwendig. Janet hatte in London bereits viel Armut gesehen, wo außerhalb der feinen Viertel ein riesiger Moloch herrschte. Schon dort hatte sie Tante Caroline unterstützt, die immer versuchte zu helfen, wo es ging. Janet musste auch an Chestnut Hill denken. Dort wäre so etwas undenkbar gewesen, denn ihre Mutter hatte schon vor mehr als dreißig Jahren auf ihrem Besitz eine kleine Schule eingerichtet, ihren Pächtern Kredite gewährt und sich regelmäßig um die Gesundheit ihrer Angestellten gekümmert. Chestnut Hill hatte dadurch lange weniger Gewinn eingebracht, als man es von einem Besitz seiner Größe erwarten konnte, aber langfristig hatte es sich gelohnt und die Pächter dankten es mit langjähriger Treue. Janet war froh, dass nach dem Tod ihrer Mutter ein Verwalter alles übernommen hatte, der weiterhin dafür sorgte, dass es so blieb. Hier in Black Valley musste auch etwas geschehen und sie würde dafür Sorge tragen.

»Warum hast du mir das nicht schon viel eher gezeigt?«, fragte Janet, nachdem sie eine Weile schweigend nebeneinanderher geritten waren.

»Ich wollte dich nicht damit belasten und ich habe mich geschämt, dir zu zeigen, wo ich herkomme«, gestand er sichtlich bewegt. »Aber das hier ist meine Welt, es war mein Zuhause.« Paul blickte sie ernst an, während sie im Schritt aus dem Dorf ritten.

»Du stammst aus diesem Dorf?« Janet stockte der Atem. Ihr war nicht klar gewesen, wie groß die Unterschiede ihrer Herkunft waren. Paul war ja fast immer auf Gwernen Court gewesen, als sie Kinder waren und für sie hatte er damals quasi zur Familie gehört.

»Ich bin hier geboren und habe hier gelebt, bis Vater bei euch Stallbursche wurde. Später habe ich auch einige Jahre drüben im Bergwerk gearbeitet, bis meine Patin mich vor vier Jahren nach London geholt hat. Hast du dich nie gewundert, warum ich damals kaum noch bei euch auf dem Gut war?«

»Doch das habe ich. Aber warum hast du mir das nie erzählt?«, fragte Janet bestürzt.

»Du hast mich nie danach gefragt, und es schien mir damals, als würde es dich nicht interessieren. Aber du hast dich in London sehr verändert, du machst dir jetzt Gedanken um andere Menschen. Ich habe trotzdem lange überlegt, ob ich dich hierherbringen soll.«

»O Gott, Paul. Hätte ich das nur geahnt! Würde meine Mutter noch leben, sähe das Dorf niemals so aus. Es ist unwürdig und beschämend und ich kann nicht verstehen, wie Vater so etwas zulassen kann.«

»Ich glaube, deinem Vater kann man nur den Vorwurf machen, dass er selbst nicht mehr herkommt. Er ist alt geworden, Janet, und er überlässt alles seit sechs Monaten dem neuen Verwalter, Mr Archer. Der kontrolliert mittlerweile das ganze Tal und bedroht die Leute.«

»Ich werde Vater ausführlich berichten, und ich werde alles tun, damit sich die Zustände bessern, das kannst du mir glauben. Die Häuser müssen hergerichtet werden, und es müssen ein Laden und eine Schule her!«, entgegnete Janet entschlossen.

»Versprichst du es mir?«

»Ja, das tue ich.« Sie ergriff Pauls Hand und drückte sie fest als Zeichen ihres Versprechens.

Sie ritten weiter bis an den kleinen Friedhof des Dorfes, wo Paul sein Pferd anhielt.

»Entschuldige mich einen Moment.«

Er stieg ab, ging zwischen die Gräber und Janet sah, wie er sich vor einem davon bekreuzigte, niederkniete und betete. Sie stieg ebenfalls ab und ging zu ihm. Linor Painter stand auf dem schlichten Holzkreuz. Janet sah Paul fragend an, und er verstand ihren Blick.

»Meine älteste Schwester. Sie war mit einem der Bergmänner verheiratet. In dem harten Winter vor vier Jahren ist sie an hohem Fieber gestorben. Das halbe Dorf war damals krank, und kein Arzt hat uns geholfen, nur, weil wir zu arm waren.«

Janet legte mitfühlend ihre Hand auf seinen Arm. Es tat weh, ihn leiden zu sehen und sie hätte ihn am liebsten in die Arme geschlossen.

»Weißt du, was ich wirklich möchte?«, fuhr Paul mit einem Mal hitzig fort. »Ich meine, was ich wirklich aus meinem Leben machen möchte?« Er stand auf, fasste Janet bei den Schultern und sah sie eindringlich an. »Ich möchte Arzt werden, ein Arzt für meine Leute.« Er atmete tief durch.

»Was hält dich dann noch hier? Du kannst nach London gehen und dort eine Ausbildung machen.«