Heliosphere 2265 - Band 16: Freund oder Feind? (Science Fiction) - Andreas Suchanek - E-Book

Heliosphere 2265 - Band 16: Freund oder Feind? (Science Fiction) E-Book

Andreas Suchanek

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Beschreibung

Captain Jayden Cross musste in den letzten Monaten gleich mehrere Verluste verkraften. Sein Bruder und sein Vater sind gestorben, seine Mutter verachtet ihn, Lieutenant Commander Kristen Belflair ist durch viele Jahrzehnte von ihm getrennt. Als eine weitere Offenbarung einen Teil seines Lebens zur Lüge macht, scheint Jayden am Ende. Doch was bedeutet die Offenbarung? Ist der letzte Zeitreisende Freund oder Feind? Unterdessen macht sich Admiral Santana Pendergast auf der NOVA-Station daran, einen Plan auszuführen, der ihr die Freiheit zurückgeben soll. Und Imperator Björn Sjöberg erfährt endlich die Wahrheit über einen Teil der dunklen Machenschaften von Doktor Richard Meridian. Dies ist der sechzehnte Roman aus der Serie "Heliosphere 2265" Am 01. November 2265 übernimmt Captain Jayden Cross das Kommando über die Hyperion. Ausgerüstet mit einem neuartigen Antrieb und dem Besten an Offensiv- und Defensivtechnik, wird die Hyperion an den Brennpunkten der Solaren Union eingesetzt. Heliosphere 2265 erscheint seit November 2012 monatlich als E-Book sowie alle 2 Monate als Taschenbuch. Hinter der Serie stehen Autor Andreas Suchanek (Sternenfaust, Maddrax, Professor Zamorra), Arndt Drechsler (Cover) und Anja Dyck (Innenillustrationen).

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Heliosphere 2265

Band 16

„Freund oder Feind?“

von Andreas Suchanek

Was bisher geschah

Ende des Jahres 2266 hat Imperator Björn Sjöberg seine Macht als Diktator gefestigt und die Solare Union in ein Schreckensregime verwandelt, das Solare Imperium.

Auf der NOVA-Station konnten sich die Rebellen gegen jeden Angriff erfolgreich zur Wehr setzen. Das Verfassungsreferendum erzielte eine überwältigende Mehrheit; die Solare Republik gilt zum 1.1.2267 als gegründet. Nach zähem Ringen wurde der Termin für die Wahl zum neuen Staatsoberhaupt auf den 8. Mai 2267 festgelegt. Ein kurzer, aber umso härter geführter Wahlkampf steht bevor.

Nach ihrer Gefangenschaft bei den Zukunftsrebellen ist Admiral Santana Pendergast wohlbehalten auf die NOVA-Station zurückgekehrt - so hat es zumindest den Anschein. In Wahrheit wurde ihr Körper mit Überwachungstechnologie ausgestattet; sie ist eine Geisel des Ketaria-Bundes, einer Gruppe von Auftragsmördern, deren wahre Agenda im Dunkeln liegt, und wird ständig überwacht. Begeht sie nur einen Fehler, werden Unschuldige sterben. Doch die kampferprobte Admiralin gibt nicht so schnell auf. Sie hat längst einen Plan gefasst und macht sich dazu bereit, diesen in die Tat umzusetzen.

Die HYPERION ist in der Zukunft, im Jahr 2317, auf dem Weg zum Dunklen Wanderer, wo einst das erste Fraktal von den sechs Zeitreisenden gefunden wurde. Die Crew hofft, dort mehr über die Pläne von Richard Meridian zu erfahren. Mit der Hilfe der Verräterin Sarah McCall fand die Crew eine Raumstation der Assenter, die den, nach dem Kampf gegen die HYDRA, schwerbeschädigten Interlink-Kreuzer wieder instand setzte. Seitdem besitzt das Raumschiff eine fortschrittlichere Technologie sowie einen neuen Passagier: die künstliche Intelligenz CARA. Nachdem die Crew der Albtraumstrahlung aus einem Experiment des Imperiums, das furchtbar außer Kontrolle geraten war, entkommen ist, wird der Flug zum Dunklen Wanderer fortgesetzt. Immerhin führte das Ereignis zu einer Aussprache zwischen Sarah McCall und Ortungsoffizier Tess Kensington, was die beiden einstigen Freundinnen einander wieder näher brachte. Leider verletzte Lieutenant Commander Lukas Akoskin, ein ehemaliges Mitglied des Ketaria-Bundes, unter dem Einfluss der Albtraumstrahlung den Navigator Peter Task schwer, der nun auf der Krankenstation behandelt wird. Trotzdem scheint das Schlimmste überwunden.

Doch als Captain Jayden Cross schon glaubt, dass sich nun alles zum Besseren wendet, geschieht das Unfassbare. Commander Ishida und Giulia Lorencia enthüllen mit CARAs Hilfe die Identität des geheimnisvollen Kindes, auf das Ione Kartess im Tachyonentunnel hinwies; das Kind, das einst starb, aber doch noch immer lebt. Eine Wahrheit, die die Offiziere schwer erschüttert.

Noch bevor Ishida dem Captain die Nachricht überbringen kann, kommt ihr Doktor Janis Tauser zuvor. Er sucht Jayden auf und enthüllt: „Ich war einst Jacob Rosenbaum. Ich bin der sechste Zeitreisende.“ ...

Prolog

Captain Jayden Cross saß am Schreibtisch in seinem Bereitschaftsraum und gähnte. Die Smart-Wall des Raumes, der direkt neben der Kommandobrücke und damit im Zentrum des Interlink-Kreuzers lag, war auf Außenansicht geschaltet. Der Anblick der vorbeiziehenden Sterne beruhigte ihn stets aufs Neue. Außerdem konnte er so immer sofort erkennen, wenn die Interlink-Blase zusammenbrach und der Raumer wieder Teil des normalen Einsteinraums wurde.

Jayden gähnte. Dieses Mal war es knapp gewesen, verdammt knapp. Die Albtraum-Waffe des Imperiums hatte jeden auf dem Schiff durch die Hölle geschickt und es war nur Michael Larik zu verdanken, dass sie es überstanden hatten. Der Marsianer hatte Cross bereits den Bericht seines Ausflugs auf die CENTER I übermittelt und auf ein paar Besonderheiten darin hingewiesen, die auch die Ereignisse auf Kepler-22b in ein anderes Licht rückten. Jayden griff nach dem Pad, ließ es dann aber doch liegen und schob es davon.

Heute nicht mehr,beschloss er.Ishida ist bestimmt schon mit Lorencia auf dem Erholungsdeck und probiert sich durch die neuen Cocktails.

Die Arbeit endete nie. Und obwohl sein Pflichtbewusstsein ihm sagte, dass er problemlos noch eine oder zwei Stunden in den Verwaltungskram investieren könnte, war er doch ausgelaugt und müde. Die Bilder seiner Familie, die mit Skalpell und Hammer über ihn herfiel, würde er so bald nicht vergessen.

Was die anderen wohl durchleben mussten?

Er schüttelte den Kopf. Genug davon. Er hatte der übrigen Besatzung deutlich gemacht, dass sie heute entspannen sollten und genau das plante auch er zu tun. Morgen war noch ausreichend Zeit dafür, Berichte zu analysieren, Konferenzen einzuberufen und die Vorgehensweise beim Erreichen des Dunklen Wanderers durchzusprechen. Zudem wollte er nur ungern austesten, ob seine I.O. ihn tatsächlich an den Haaren aus dem Bereitschaftsraum schleifen würde, wenn er mehr als dreißig Minuten zu spät kam. Er schmunzelte, ergriff nun doch das Pad und überflog das Übergabeprotokoll. Alles, was er noch tun musste, war dieses mit seinem Daumenabdruck abzuzeichnen, dann war Jake Anderson für die nächsten Stunden amtierender Kommandant und er konnte irgendeinen Cocktail mit exotisch klingendem Namen hinunterstürzen.

Schnell scrollte er durch den Text, überflog ihn nur. Als der Türsummer erklang, schaute er auf den projizierten Mini-Bildschirm auf dem Tisch-Interface. Es war Janis.

Jayden aktivierte die Entriegelung mit einem Stimmbefehl. „Herein.“

Das Schott glitt in die Wand und der Freund trat ein.

Jayden blickte kurz von dem Bericht auf. „Hey, dich hätte ich heute gar nicht mehr erwartet. Was immer es ist, du musst dich beeilen. Wenn ich zu spät auf dem Erholungsdeck auftauche, wird meine I.O. ziemlich üble Seiten aufziehen.“ Er grinste und wandte sich wieder dem Pad zu.

Das letzte Drittel des Textes war erreicht. Schnell überflog er die abschließenden Zeilen. Erst nach einigen Sekunden wurde ihm die Stille bewusst. Jayden schaute auf. „Grundgütiger, du siehst ja aus, als hättest du ein Gespenst gesehen. Setz dich, was ist los?“ Er warf das Pad zurück auf den Tisch.

Janis blieb genau dort stehen, wo er war, bewegte sich nicht. Er stand zwischen dem Schott und dem Schreibtisch und wirkte, als würde er im nächsten Moment zusammenbrechen. Sein Gesicht war bleich, er schluckte und hielt den Blick auf den Boden gerichtet.

So hatte Jayden den Freund noch nie gesehen. Mit einem Mal bekam er Angst. Da lag eine Spannung in der Luft, wie er sie das letzte Mal beim Kampf gegen den Eriin-Bund gespürt hatte. Jeden Moment würde der Torpedo einschlagen. Dann kamen das Feuer, die Schreie, das Chaos.

Er bekam eine Gänsehaut.

Jetzt blickte Janis auf, schaute ihn durchdringend an. Das machte alles nur noch schlimmer. In dem Blick des Freundes lag so viel ... ja, was? Tausend Gedanken schossen Jayden durch den Kopf. War jemand gestorben? Hatte der seltsame Helix-Foliant irgendetwas Katastrophales enthüllt? Instinktiv fuhr er sich durchs Haar, wie er es oft tat, wenn die Anspannung zu groß wurde. Er suchte nach Worten, wollte eine der zahlreichen Fragen stellen, die ihm einfielen, schwieg aber schließlich.

Als die Spannung kaum noch auszuhalten war, sagte Janis: „Ich war einst Jacob Rosenbaum. Ich bin der sechste Zeitreisende.“

*

Interlink-Kreuzer HYPERION, Auf dem Weg zum Dunklen Wanderer, Bereitschaftsraum des Captains, 26. Februar 2317, 19:13 Uhr

Die Worte hallten in Jaydens Ohren wider wie ein Donnerhall mit tausendfachem Echo. Trotzdem konnte er den Sinn dahinter nicht begreifen. Was hatte Janis gerade gesagt? Der Gedanke, den er zu fassen versuchte, verwandelte sich in geschmolzenes Plastoplex und entglitt. Er schluckte. „Was?“

Ein Räuspern. „Ich war einst Jacob Rosenbaum“, wiederholte Janis mit brüchiger Stimme. Als hätte er den Satz auswendig gelernt. „Ich bin der sechste Zeitreisende.“

Jayden starrte den Freund aus Jugendtagen einfach nur an, unfähig, etwas darauf zu erwidern. Die gesamte Umgebung, der Bereitschaftsraum, das Schiff, die Realität selbst, wirkte plötzlich wie eingefroren. Was ging hier nur vor? War er über dem Bericht eingeschlafen und in einem Albtraum gefangen? „Wovon redest du da? Das ist doch Unsinn! Ich kenne dich seit Jahren. Geht es dir nicht gut?“

Janis schluckte. Er biss die Zähne so fest zusammen, dass seine Wangenknochen hervortraten. „Das Kind von dem Ione Kartess sprach, das vor langer Zeit gestorben ist, war Janis Tauser. Er starb, als er noch sehr jung war. Seitdem bewohne ich diesen Körper. Aber ... es ist kompliziert.“

Und mit einem Mal, als hätte ein gnadenloser Gott beschlossen, dass es genug war, rastete die Realität wieder ein und Jayden begriff. Alles, was Ishida ihm über die Andeutung der ermordeten Präsidentin erzählt hatte und die Worte, die Janis ... Jacob ...dieser Kerlgerade ausgesprochen hatte, ergaben einen Sinn. Die Puzzleteile schossen an ihren Platz und ein grauenhaftes Bild nahm Gestalt an.

Sarah McCall hatte in der Omega-Datei die Wahrheit um die Zeitreisenden enthüllt. Einer von ihnen war Jacob Rosenbaum gewesen, dessen Schicksal jedoch nie aufgeklärt worden war. Er hatte seine Mitstreiter nach etlichen Manipulationen der Geschichte verlassen, war untergetaucht.

Jayden stand auf. Seine Hände zitterten, der Rest des Körpers schloss sich an; er konnte nichts dagegen tun. Und ihm war kalt, verdammt kalt. Doch das alles war bedeutungslos. „Du ...“ Er musste sich räuspern, sein Hals war trocken. „Du bist Jacob Rosenbaum?“

„Ich war es einst. Du musst ...“

„Ich ‚muss’?“, sagte Jayden. „Ich ...“ Er versuchte durchzuatmen und die Ruhe zu bewahren, doch es war ein Ding der Unmöglichkeit. Stattdessen griff er nach dem Pad und schleuderte es in einem Reflex gegen die Smart-Wall. Risse bildeten sich, überzogen die vorbeiziehenden Sterne und verwandelten den Anblick in ein brüchiges, instabiles, zerstörtes Bild. „Du wagst es ...“ Es kostete ihn seine gesamte Kraft, dem Fremden vor ihm nicht an die Kehle zu gehen. Vermutlich wäre das auch keine gute Idee gewesen, besaß der unter Umständen doch ebenfalls bionische Aufwertungen wie Akoskin und McCall.

Für ihn selbst völlig unerwartet spürte Jayden ein Lachen in sich aufsteigen. Er war entsetzt und wütend und verwirrt, doch es kam einfach. Eigentlich eher ein Kichern. Diese ganze verdammte Crew bestand aus einer einzigen großen Lüge. McCall, Kensington, Akoskin. Eine Verräterin, eine Rächerin und ein Assassine. Janis – nein, Jacob, korrigierte er sich – war anscheinend nur ein weiterer Schauspieler in einer ganzen Reihe. Jayden hatte sich mit den doppelten Identitäten der anderen abgefunden und geglaubt, dass die Zeit der Lügen und Halbwahrheiten vorbei war. Ein Trugschluss.

Und ausgerechnet Janis!

Ihm hatte er vertraut, ihn kannte er seit Jahrzehnten. Er war es gewesen, der Jayden damals das Leben gerettet hatte, einfach indem er da war.

„Geh.“

Janis starrte ihn an. „Was?“

Er wusste, dass er eigentlich die Sicherheit hätte herbeirufen müssen. Alpha 365 musste informiert werden. Wer konnte schon sagen, was noch einer dieser Psychopathen an Bord anstellen würde! Hatte auch er einen Jahrhundertplan? Gab es eine zweite Omega-Datei? Gab es weitere Enthüllungen, die verdammt noch mal erneut alles infrage stellten, was sie bisher geleistet hatten?

Als Jayden sprach, erschrak er vor seiner eigenen Stimme. „Dreh dich um, verlass meinen Bereitschaftsraum und geh in dein Quartier. Wenn ich noch einen Laut von dir höre, werde ich einen Pulser nehmen und schießen.“

Die Worte kamen einfach so. Sie drückten aus, was er fühlte. Er wusste natürlich, dass er seine Drohung nicht in die Tat umsetzen durfte. Wer immer dieser Mann auch war, er stand unbewaffnet vor ihm. Doch die Regeln waren Jayden gerade völlig gleichgültig. Überhaupt hatte von einer Sekunde zur nächsten alles seine Bedeutung verloren, war aus der Realität etwas erschreckend Dunkles und Graues geworden.

Janis wirkte erschüttert. Ganz langsam wandte er sich um und ging.

Das sich schließende Schott, das pneumatische Zischen, die Stille - all das hallte überlaut in Jaydens Ohren wieder. Mit einem Satz war er beim Bücherregal und fegte die Wälzer zu Boden. Als es leer war, schleuderte er das Gestell durch den gesamten Raum. Er schrie. Seine Fäuste krachten gegen die Wand, wieder und wieder, bis die Haut an den Fingerknöcheln aufriss und Blutflecken an der Wand zurück blieben. Es war ihm egal.

Jeder, der ihm je etwas bedeutet hatte, hatte ihn verraten oder verlassen.

Jasper, sein Bruder, gestorben auf der Erde.

Ein Schlag.

Sein Dad, ein Opfer des Erios-Virus.

Ein Schlag.

Seine Mum, eine arrogante kalte Frau, die ihn hasste.

Ein Schlag.

Sjöberg, in Wahrheit ein eiskalter Mörder und Tyrann.

Ein Schlag.

Janis, einer der verdammten Zeitreisenden.

Ein Schlag.

Der Schmerz tat gut, klärte seinen Verstand. Zitternd lehnte er sich mit der Stirn gegen die Wandplatten. Die Tränen kamen einfach so, er konnte es nicht verhindern. Sie waren heiß, geboren aus Wut, Hass und Trauer.

Schließlich drehte er sich um und rutschte an der Wand entlang zu Boden. Jeder Gedanke zerfaserte, da war nur noch Leere.

So fand ihn Noriko Ishida.

*

Als das Schott in der Wand verschwand und den Weg auf die Kommandobrücke freigab, sah sich Commander Noriko Ishida Auge in Auge mit Janis Tauser. „Sie!“

Der Psychologe wirkte mitgenommen. „Ja, ich. Dann hat CARA es also geschafft und das Bild künstlich altern lassen. Sie wissen Bescheid. Ich war gerade bei Jayden.“ Er deutete auf den Eingang zum Bereitschaftsraum des Captains, der direkt an die Kommandobrücke anschloss. „Er weiß Bescheid.“

Ishida ballte die Fäuste. Ihr Blick wanderte über die Kommandobrücke, wo Commander Jake Anderson neugierig zu ihnen herüberschielte. Sie nickte ihm lächelnd zu, griff Tauser am Oberarm und zog ihn auf die andere Seite des Schotts. Als es wieder eingerastet war, sah sie sich kurz um. Niemand war zu sehen.

Noriko packte ihn am Kragen. „Ich weiß nicht, was für ein krankes Spiel Sie hier spielen, aber der Oni soll mich holen, bevor ich eine zweite Sarah McCall zulasse.“ Er setzte zum Sprechen an, doch sie unterbrach ihn. „Nein, Sie hören mir jetzt ganz genau zu! Ich gehe gleich zum Captain. Sie wiederum bewegen sich auf dem direkten Weg in Ihr Quartier. Mittlerweile wurden Ihre Kommandoprivilegien aufgehoben. Giulia spricht in diesem Moment mit Doktor Petrova. Wenn es nach mir geht, erfährt der Rest der Besatzung erst einmal nichts. Sollten Sie aber auch nur eine falsche Bewegung ausführen, ändere ich meine Meinung, versprochen.“

Janis nickte. „Ich gehe in mein Quartier.“

Sie ließ ihn los, worauf er sich umdrehte und davonging. Schweigend, niedergeschlagen, mit hängenden Schultern. Zugegeben, das hatte sie nicht erwartet. Aber Anika Magnus hatte sie im Körper von McCall auch alle getäuscht, bis sie schließlich nach der Schlacht bei NOVA das Schiff umgelenkt hatte und auf einem der Sternenraumer geflohen war.

In diesem Augenblick überfiel sie ein siedendheißer Schrecken.

Der Captain!

Hastig entriegelte sie das Brückenschott erneut und ging mit forschem Schritt zum Bereitschaftsraum des Captains. Auf eine Berührung des Signalicons kam keine Reaktion. Noriko gab mit fliegenden Fingern den Notfallcode des Stellvertreters über das Touch-Feld ein. Nach einer gefühlten Ewigkeit fuhr das Schott in die Wand - und gab den Blick auf ein Trümmerfeld frei.

Sie betrat den Raum, starrte entsetzt auf die Szene, während hinter ihr das Kabinenschott wieder einrastete. Mit offenem Mund und einem Schaudern sah sie sich um. Ihr suchender Blick fiel auf Cross, der in einer Ecke an der Wand kauerte.

Verdammt.„Captain!“ Sie versuchte, sich zwischen den überall am Boden verstreuten Büchern einen Weg zu bahnen. Das Flackern der beschädigten Smart-Wall verlieh der Szene etwas Gespenstisches. Immerhin waren die Leuchtstreifen in Decke und Teilen der Wand unbeschädigt.

Sie ging neben Cross in die Knie. „Ist alles in Ordnung? Brauchen wir die Schiffssicherheit? Hat Tauser Sie angegriffen?“ Mit geübtem Blick überprüfte sie seine körperliche Unversehrtheit. Außer mehreren Wunden auf den Handrücken, wirkte er unverletzt. Das konnte natürlich täuschen.

Er starrte weiter ins Nichts.

„Jayden, hören Sie mich?“ Sie berührte ihn vorsichtig am Arm. „Soll ich Doktor Petrova rufen?“

Sein Blick war leer. So unendlich leer.

„Kein Angriff“, flüsterte er. „Nur die Wahrheit.“ Sein Blick glitt wieder ab.

„Bitte tun Sie mir das nicht an.“ Sie sank an seiner Seite zu Boden. Den Rücken an die Wand gelehnt, atmete sie tief durch. Erst jetzt bemerkte sie das Blut. Es klebte an der Wand und jetzt auch an ihrer Uniform. „Ich brauche Sie! Ohne Sie schaffe ich es nicht, die Ordnung aufrecht zu erhalten. Keiner von uns darf straucheln oder fallen, nicht jetzt, wo wir dem Ziel so nahe sind. Wir müssen kämpfen.“

„Wofür?“, sagte Cross mit brüchiger Stimme. „Damit Sjöberg sich etwas Neues ausdenkt, noch mehr Freunde und Familienmitglieder sterben, wir irgendeinem Rätsel hinterherjagen und doch wieder nur von einem der Zeitreisenden zum Narren gehalten werden?“

Noriko wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte.

*

Alzir-System, NOVA-Station, 01. März 2267, 09:13 Uhr

Admiral Santana Pendergast bedachte die neuen Orchideenkreuzungen mit einem durchdringenden Blick und wandte sich dann dem Versuchsaufbau zu. „Erklären Sie es mir, Doktor.“

Die Luft war feucht, wodurch sich ein dünner Schweißfilm auf ihrer Haut gebildet hatte. Das hydroponische Labor war kein Ort, den sie oft oder gerne aufsuchte. Trotzdem war sie hier, beugte sich über die Orchideen und schnupperte.

„Ich kann Ihnen verkünden, Admiral, dass wir ausgezeichnete Fortschritte machen“, sagte Doktor Ivette Poira mit vor stolz geschwellter Brust und lenkte Santanas Aufmerksamkeit damit fort von den Orchideen, hin zu ihrer neuen Arbeit.

Die dicke Hornbrille verlieh der Frau einen etwas antiquierten Anstrich, was von der grauen Kleidung noch betont wurde. Das rotblonde Haar hing ihr strähnig über die Schultern. Sie deutete nach vorne. „Die neuen Weizenähren sind deutlich resistenter gegenüber kosmischer Strahlung und werden auf den weniger gut geschützten Bereichen der Habitate trotzdem prächtig gedeihen.“

Santana sah auf. Sie war sich nicht sicher, wann die neuen Ähren wirklich in den produktiven Einsatz gingen, doch damit wäre ein weiterer Schritt zur unabhängigen Nahrungsmittelversorgung des Alzir-Systems getan. „Ich werde Ihren Bericht an Admiral Jansen weiterleiten“, sagte sie. „Ich denke, dass in den nächsten Tagen ein Expertengremium alles überprüft und dann steht dem Ganzen nichts mehr im Wege.“

Poiras Gesicht verwandelte sich in ein einziges großes Lächeln. „Danke, Admiral.“

Santana tat die Frau fast schon leid. Sie glaubte natürlich, dass der hohe Besuch wegen ihres Projektes erfolgt war.

Du versuchst doch nicht etwa, Zeit zu schinden, oder?, erklang die Stimme von Calvin Hugh in ihrem Ohr. Der Ketaria-Assassine beobachtete sie immer genau. Ein Kinderspiel, war ihr gesamter Körper doch von den Auftragsmördern mit Überwachungstechnik ausgestattet worden. Was sie sah, hörte, roch, schmeckte oder fühlte wurde an den Dreckskerl übertragen. Sie war seine Puppe. Tat sie nicht, was er verlangte, mussten Unschuldige darunter leiden: Der Bund hatte einen Killer auf der Station eingeschleust, der in diesem Fall seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen sollte.

„Danke, Doktor“, sagte sie und wandte sich ab. Sie musste raus aus diesem Labor, um ihrem Mann im Ohr antworten zu können.

„Nein, ich versuche keine Zeit zu schinden“, sagte sie halblaut, nachdem das Laborschott hinter ihr zugegangen war. „Die Überprüfung des Labors stand auf der Liste, die mir Isa hat zukommen lassen. Solltest du das etwa nicht gesehen haben?“

Ich warne dich, Santana, keinen falschen Hochmut jetzt! Zieh diesen überflüssigen Termin durch und dann sitzt du wieder in jeder Besprechung, triffst Entscheidungen und tust, was du auch vorher getan hast. Sei eine brave Admiralin, ja?

Seine Stimme stachelte ihre Wut erneut an. Wie sie ihn verabscheute, diesen kleinen miesen ...

Der Bruder von Lieutenant Commander Akoskin hatte anfangs einen anderen Plan verfolgt, sie umgarnt und ihr geholfen, von der radioaktiven Hölle, in die sich der Planeten CAS III nach dem Angriff durch die Zukunftsrebellen verwandelt hatte, zu entkommen. Als sie ihm jedoch vom Tod der Besatzung der HYPERION berichtet hatte, hatte er seinen Plan geändert. Sie hatte erkennen müssen, dass er zu den Ketaria-Assassinen gehörte, die irgendeinen Plan auf NOVA-Station verfolgten. Santana selbst war ins Zentrum davon gerückt und zu einer lebenden Spionagedrohne geworden.

„Das werde ich“, presste sie hervor.

Brav.

Schweigen.

Es war ein widerliches Gefühl. In jeder Sekunde musste sie davon ausgehen, dass er alles sah. Wann war sie alleine, wann nicht? Sie verdrängte den Gedanken.

Ihr Weg führte sie durch die belebten Gänge der NOVA-Station. Nach der Zerstörung bei der Schlacht um Pearl Anfang des Jahres 2266 war die Instandsetzung und Erweiterung der Raumstation glücklicherweise unter neuen architektonischen Gesichtspunkten geschehen. Große Teile der Wände waren transparent, wodurch andere Gänge sichtbar wurden, in den Randbereichen sogar das All. Dies verlieh der Station ein geradezu luftiges, weitläufiges Flair. Von der alten Enge war nichts mehr geblieben. Ein findiger Innendesigner hatte zudem die Farbe Weiß als Standardfarbe festgelegt.