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Ein liebenswerter Tagträumer. Heiter und unverdrossen pflegt Herr Faustini auch im Winter seine ausgedehnten Miniaturreisen, wie er seine kurzen Spaziergänge nennt. Doch als der nahe See zufriert und das Tal im Eisnebel erstarrt, ist damit Schluss. Herr Faustini bleibt zu Hause. Was aber nicht bedeutet, dass es mit den Abenteuern ein Ende hat. Auch ein Haus ist für ihn ein ganzer Kosmos, muss man sich doch gut mit der Heizung stellen und den Kater bei Laune halten. Doch Herr Faustini wäre nicht Herr Faustini, wenn nicht ständig etwas los wäre, nicht nur in seinem Kopf. Denn Uschi, seine ehemalige Klassenkameradin, steht eines Tages vor der Tür und macht ihm einen Antrag, aber Herr Faustini möchte lieber alleine bleiben. Als das Eis im Frühling zu tauen beginnt, verlässt er wieder das Haus, nicht ohne Folgen …
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Seitenzahl: 144
Wolfgang Hermann
Herr Faustinibleibt zu Hause
Roman
LangenMüller
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www.langen-mueller-verlag.de
© für die Originalausgabe und das eBook:
2016 LangenMüller in der
F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München.
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel
Umschlagmotiv: getty images
Satz und eBook-Produktion:
Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
www.Buch-Werkstatt.de
ISBN 978-3-7844-8257-6
1
Nach einem langen, milden Herbst war der November nass und unfreundlich gewesen, der Nordwest hatte böige Schauer vom Atlantik in das kleine Land am Alpennordrand getragen. Schließlich drehte der Wind auf Nordost. Rasch sank das Barometer, bis jeder Grashalm mit Raureif überzogen war. Das russische Hoch blieb stationär über ganz Zentraleuropa und bewegte sich nicht von der Stelle. Das Rheintal verschwand unter einer undurchdringlichen Nebeldecke.
Als das Telefon klingelte, glaubte Herr Faustini zunächst an die Übertragung eines Radiohörspiels. Denn im Hörspiel klingelte noch dann und wann altmodisch das Telefon. Er ging zum Radio, aber das Radio war ausgeschaltet. Das Telefon klingelte weiter. Herr Faustini nahm den Hörer ab und fragte erstaunt Hallo?
Eine Frauenstimme fragte, ob sie störe. Nein, meinte Herr Faustini, sie störe nicht, oder doch nicht mehr als zu jeder anderen Stunde.
Also störe sie, meinte die Frauenstimme.
Nein, meinte Herr Faustini, es tue ihm leid, wenn er diesen Eindruck vermittelt habe, er habe sich zweifellos ungeschickt ausgedrückt. Aber sehen Sie, sagte er, das Telefon läutet so selten, ich habe schon des Öfteren daran gedacht, es abzumelden.
Zum Glück habe er es nicht abgemeldet, meinte die Frauenstimme.
Herr Faustini horchte auf. War das nicht eine Freundlichkeit gewesen, die die Unbekannte da in sein Ohr gesagt hatte? Und waren Freundlichkeiten an trübdunklen Dezembertagen nicht Mangelware und ein Lichtstrahl in der Dunkelheit? Ja, so pathetisch war Herrn Faustini zumute. Gefühle sind eben nicht modern, gehen nach keiner Mode. Ihm war pathetisch zumute, so war es, der Anruf einer unbekannten Person hatte genügt.
Ob er ihre Stimme nicht erkenne, fragte die Unbekannte. Sie wären zusammen in die Schule gegangen. Ob er sich nicht mehr an sie, Uschi, erinnere. Im Physikunterricht hätten sie nebeneinander gesessen und wenig aufgepasst. Einfach weil es zu viel Lustiges gab. Überhaupt sei die Schule seinetwegen, meinte die Unbekannte, oft ein Fest gewesen.
Ein Fest?, fragte Herr Faustini.
Ja, er wäre derjenige gewesen, der den oft grauen Schulalltag erträglich gemacht habe, so die Unbekannte.
Herr Faustini musste tief schlucken. Ein solches Kompliment hatte er schon lange nicht mehr bekommen. Eigentlich überhaupt noch nie.
Er wundere sich bestimmt, dass sie ihn nach – ja nach wie vielen Jahren eigentlich? – anrufe. Denn allein dass sie im Physikunterreicht nebeneinander saßen, das genüge wohl kaum für einen Anruf nach so vielen Jahren.
Herr Faustini ging, während er der Stimme am Telefon lauschte, die Gesichter seiner ehemaligen Schulkameradinnen durch. Angelika, Andrea, Christiane, Marion. Er stockte. Seine Erinnerung war lückenhaft. Einige wenige Gesichter waren ihm klar in Erinnerung geblieben, andere blieben schemenhaft. Er wusste nicht einmal mehr ihre Namen. Die Schemen und Gesichter, die er vor sich sah, waren aus feinem Stoff gewoben. Sie waren zart und schön. Doch sie waren unberührbar. Denn dieser Stoff war aus Vergangenheit geflochten. Und wo sie einst waren, da war nun ein lückenhaftes Erinnerungsbild. Er versuchte den Namen Uschi mit einem seiner Erinnerungsbilder zur Deckung zu bringen, doch das Bild wich immer wieder ab. Der Name Uschi gehörte bald zu diesem, bald zu jenem Gesicht. Natürlich sagte er das nicht, sondern redete mit der Unbekannten am anderen Ende der Leitung so, als wäre sie ihm so vertraut, wie er ihr es war. Wie war es möglich, dass sie sich an jeden Seite an Seite im Physiksaal getanen Atemzug erinnerte, während er das Kapitel Physik so rasch wie möglich vergessen hatte. Kaum jemanden hatte er je so wenig gemocht wie den Physiklehrer mit dem Klobrillenbart, dem es ein Vergnügen gewesen war, unbedarfte und nicht für die Physik geborene Schüler mit hinterhältigen Drohgebärden zu erschrecken und um ihre Zukunft fürchten zu lassen. Für wie viele Schüler war der Klobrillen-Physiker das scheinbar unüberwindbare Hindernis zwischen ihnen und ihrer Zukunft gewesen? Der Sog, den Herr Faustini aus der Vergangenheit spürte, überschritt nun deutlich den bloßen Bildcharakter. Er konnte den Klobrillenbart nicht vor sich sehen, ohne ein Unwohlsein in der Magengrube zu verspüren. Das verwunderte ihn. Das Zuhausebleiben war also nicht ungefährlich.
Herrn Faustinis Weltvergangenheitsordnung war durch einen Telefonanruf ins Rutschen gekommen.
Uschi, Herrn Faustinis ehemalige Schulkameradin mit den wechselnden Gesichtern, hatte ihn aufgeweckt, ob sie es wusste oder nicht.
Sie lud Herrn Faustini zum Tee in ihr Haus in Dornbirn ein. Was sollte Herr Faustini anderes tun, als die Einladung annehmen?
Draußen in der Winterkälte würde das Bild vom Klobrillenbart wenigstens einfrieren.
2
Vom Dornbirner Bahnhof bis zu Uschis Haus im Rohrbach waren es zu Fuß nicht mehr als fünfzehn Minuten. Doch als Herr Faustini zuletzt durch den Rohrbach und seine Forachstraße, seine Siedlung Am Eisweiher, seinen Torfweg und seinen Foreneggweg gegangen war, war das alles noch Wiesengebiet gewesen. Da und dort hatte schon ein Neubau zwischen den Bauernwiesen und ihren alten Höfen gestanden, mit einer kniehohen, schütteren Hecke rund um den kleinen Garten, um den Maulwürfen den Einblick ins Wohnzimmer zu erschweren. Nun stand da eine Mehrfamilienwohnkiste neben der anderen, mit leer gähnenden Balkonen, auf denen die Blumenkisten in Sicherheit gebracht worden waren. Hinter einem Fenster blinkte der Stern von Bethlehem im Rhythmus eines automatischen Unterbrechers. Vor den Haustüren standen Plastikbobs und Schlitten, da und dort wurden Kinder in Schianzügen von ihren Müttern ins Auto verfrachtet.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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