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Paulina, die Tochter des britischen Gesandten am Hof des Herzogtums Altauss, hat die Zuneigung und das Vertrauen von Prinzessin Margarita, der Tochter des Großherzogs von Altauss, gewonnen. Prinzessin Margarita soll, den Gepflogenheiten der Zeit gemäß, mit einem russischen Großfürsten verheiratet werden. Sie bittet Paulina, sie als ihre Kammerzofe an den Hof von St. Petersburg zu begleiten. Dort begegnet Paulina ihrer ersten großen Liebe in der Gestalt von Prinz Maximus, Margaritas Bruder, der ihre Gefühle leidenschaftlich erwidert. Doch der Zar hat beschlossen, Prinz Maximus mit seiner Nichte zu verheiraten, und das Wort des Zaren ist Gesetz. Paulina und Maximus drohen an der Ausweglosigkeit ihrer Situation zu zerbrechen...
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Seitenzahl: 207
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Paulina befand sich in ihrer Kutsche auf dem Weg in den Palast, verwundert darüber, daß Prinzessin Margarita nach ihr geschickt hatte.
Sie waren innige, vertraute Freundinnen und verbrachten viele Stunden miteinander, und da sie sich erst gestern gesehen hatten, erschien es ihr sehr befremdlich, daß die Prinzessin sie so dringend bitten ließ, sie schon heute wieder aufzusuchen.
Paulina schätzte sich glücklich, als sie bei ihrer ersten Begegnung feststellte, daß die Tochter des Großherzogs Louis in demselben Alter war wie sie selbst, nachdem ihr Vater, Sir Christopher Handley, als Gesandter in das kleine Herzogtum Altauss berufen worden war.
Ihr Vater war zutiefst enttäuscht und niedergeschlagen gewesen, nach Altauss entsandt zu sein, daß Paulina befürchtet hatte, sich allein und ohne Freunde in einem öden und langweiligen und nach strengen Sitten reglementierten Land wiederzufinden.
Doch vom ersten Augenblick an, als sie ihren Fuß in dieses Land setzte, war sie überwältigt von seiner Schönheit und beeindruckt von seinen gewaltigen Höhenzügen. Es grenzte auf der einen Seite an Preußen und auf der anderen an Sachsen und Österreich.
Aber was noch weitaus mehr zählte, die Bewohner des Landes waren liebenswert, von freundlichem Wesen und ihrem Herrscher, dem Großherzog, treu ergeben und freundlich zugetan.
Das war etwas, was weder Paulina und noch viel weniger ihr Vater erwartet hatten.
»Wir werden ans Ende der Welt verschlagen«, hatte er gegrollt, »und nichts weiter zu tun haben, als vor einem steifnackigen und widerwärtigen Abkömmling eines niederen Königshauses zu dienern und zu knicksen, der sich für gottähnlich hält und von dem Volk verabscheut wird, über das er herrscht.«
Paulina, die ihren Vater über alles liebte, empfand Mitleid mit ihm, angesichts der heiklen Lage, in die er sie beide gebracht hatte.
Tatsache aber war, wie sie sich selbst hatte eingestehen müssen, daß ihr gutaussehender Vater so unwiderstehlich auf Frauen wirkte, daß er, wo immer er sich aufhielt, Gelegenheit fand für seine affaires de coeur, was stets Anlaß für Klatsch und Skandalgeschichten bot und vom Auswärtigen Amt in England mit Mißbilligung beobachtet wurde.
Sir Christopher, der vordem Gesandter in Rom gewesen war, hatte die Hoffnung gehegt, zum Botschafter in Paris ernannt zu werden.
Unseligerweise war eine wunderschöne und verführerische italienische Contessa seiner Unwiderstehlichkeit erlegen, und es kam zu einem ehebrecherischen Verhältnis. Ihr Ehemann forderte Sir Christopher nicht nur zum Duell, sondern entfachte einen solchen Wirbel in diplomatischen Kreisen, daß es geboten schien, Sir Christopher auf einen weniger bedeutenden Posten in einem unbekannteren Teil Europas zu versetzen.
Es war ein besonders bitteres Los für Sir Christopher, nach so vielen stürmischen und leidenschaftlichen Liebesaffären, daß er kurz vor Erreichen des Höhepunkts seiner Karriere für etwas bestraft werden sollte, was er selbst nur für ein kleineres Vergehen hielt.
Dieses Schicksal traf ihren Vater so hart, daß Paulina kaum vermochte ihn zu trösten. Nichts von all dem, so ging es ihr immer wieder durch den Kopf, wäre geschehen, wenn ihre Mutter noch am Leben wäre.
Paulina kannte niemanden, der so glücklich war und sich in so großer Liebe zugetan war, wie ihre Eltern es gewesen waren, und als ihre Mutter von einem tückischen Fieber innerhalb weniger, Tage dahingerafft worden war, hatte sie befürchtet, daß ihr Vater sich nicht mehr von diesem schweren Schicksalsschlag erholen würde.
Anfangs glich ihr Vater nur noch einem Schatten seiner selbst, und später, wenn andere Männer vielleicht Trost und Vergessen im Alkohol gesucht hätten, ergab Sir Christopher sich den Verlockungen dieser liebenswerten Dame, die ihm in seiner Hoffnungslosigkeit nachgestellt hatte, um ihn vergessen zu machen in der Süße ihrer Umarmungen und Küsse.
Paulina, aufgewachsen in einer weltoffenen und toleranten Atmosphäre, wie sie für die Tochter eines Diplomaten nahezu unvermeidlich war, verstand und begriff dennoch, daß keine Frau den Platz ihrer Mutter würde einnehmen können, die ihr Vater aufrichtig und innig geliebt hatte.
Aber die Versetzung in das Großherzogtum Altauss kam für Sir Christopher einer Verbannung ins Exil gleich, und er war so niedergeschlagen, als sei er nach Sibirien entsandt worden. Paulina jedoch empfand die Versetzung ihres Vaters nicht als Bestrafung, nachdem sich der Großherzog Louis als ein Mann von höchster Intelligenz und feinsinnigem Humor herausstellte; auch die Edelleute, mit denen er sich umgab, waren nicht nur dem Sport ergeben, gute Reiter und vortreffliche Schützen, sondern nicht minder kultiviert als er selbst.
Während Sir Christopher rasch eine beträchtliche Zahl neuer Freunde gewann, schenkte Prinzessin Margarita Paulina eine innige und tiefe Zuneigung und Freundschaft, wie es ihr bisher noch in keinem Land, in dem sie gelebt hatten, widerfahren war.
Die Prinzessin war eine auffallende, dunkelhaarige Schönheit mit leidenschaftlich funkelnden Augen und als Erbe ihrer polnischen Mutter von anmutigem Liebreiz. Ihr Talent wie ihre Künste als Reiterin waren ihr unzweifelhaft von ihrer ungarischen Großmutter mitgegeben worden. Paulina bewunderte die Prinzessin aufrichtig und rückhaltlos.
Auch in den Adern von Paulinas Mutter hatte ungarisches Blut pulsiert: ein Erbe das sie mit der Prinzessin verband, und Paulina ebenfalls zu einer Reiterin werden ließ, die sowohl allen Männern größte Bewunderung abnötigte, wie es ihr den Neid vieler Frauen eintrug.
Paulina beherrschte mehrere Sprachen fließend, da sie schon seit frühester Kindheit ihren Vater auf dessen Reisen begleitete. Prinzessin Margarita zeichnete eine ähnliche Sprachbegabung aus, und sie unterhielten sich miteinander auf Französisch, Italienisch, Deutsch oder Russisch und fanden es höchst amüsant, wenn andere Anwesende nichts oder kaum etwas von dem verstanden, worüber sie gerade sprachen.
Und in der Tat sagte die Prinzessin häufig wenig Schmeichelhaftes über Menschen aus ihrer Umgebung, nur um Paulina zum Lachen zu bringen, so daß Paulina sie später häufig warnte.
»Ihr müßt mehr Vorsicht walten lassen. Ihr wißt so gut wie ich, daß ich, wenn Eure Staatsmänner bemerken, daß ich über sie lache, zu Hause in ebenso große Ungnade falle, wie mein armer Vater zur Zeit.«
»Ich kann nicht glauben, daß dein Vater mit irgendjemandem in Zwietracht lebt«, gab die Prinzessin zurück. »Er ist so liebenswert und charmant, daß ihm, ganz gleich welchen Vergehens er sich schuldig gemacht hat, ganz ohne Zweifel augenblicklich vergeben würde.«
Das mag schon sein, dachte Paulina zweifelnd, wenn auch das Auswärtige Amt weit weniger streng über eine Frau urteilte als über einen Mann von hohem Ansehen, über dessen Verhalten in Europa Klage geführt wurde.
Schon nach fünf Monaten ihres Aufenthalts in Altauss glaubte Paulina hoffen zu dürfen, daß die Berichte über ihren Vater, die auf verschlungenen Pfaden Whitehall erreichten, so vorteilhaft sein würden, daß alle vorhergehenden schon bald in den Archiven untertauchen und in Vergessenheit geraten würden.
Und in dieser Zeit schon verspürte Paulina selbst kein Verlangen mehr, Altauss zu verlassen.
Sie genoß die Gesellschaft zahlreicher junger Männer bei Geselligkeit und Tanz, die Ausflüge in die Ausläufer der Berge, und sie war sich sicher, daß es ihr und der Prinzessin erlaubt sein würde, sobald die Witterung wärmer würde, in einem der zahllosen zauberhaften Seen des Landes zu schwimmen, obwohl das als kühn und verwegen galt.
Ich liebe es, hier zu leben, sagte Paulina zu sich selbst, während die Pferde in leichtem Galopp auf dem holprigen Boden dem Schloß zustrebten.
Der Palast glich einem Märchenschloß, hoch über einem Tal aufragend, das übersät war mit rosa und weiß blühenden Obstbäumen und der üppigen Blütenpracht der Alpenblumen, die in verschwenderischer Fülle um diese Jahreszeit blühten.
Tiefes Blau spiegelte sich in Paulinas Augen wider, als sie in den Himmel über dem Schloß aufblickte.
Die Ähnlichkeit mit ihrem Vater war unverkennbar. Ihr Haar hatte die sanfte goldgelbe Farbe überreifen Korns, ihre zarte Haut schimmerte durchsichtig, und ihre Augen, die das schmale, herzförmige Gesicht ganz auszufüllen schienen, waren von langen dunklen, an den Spitzen goldgetupften Wimpern, bedeckt.
Manchmal geschah es, daß die Bewunderer ihrer Schönheit in ihr noch ein liebliches Kind erblickten, und Paulina war klug, genug, um diesen Eindruck lange bestehen zu lassen.
Wenn sie ihrem Unwillen darüber aber Ausdruck verlieh, erschienen zwei kleine energische Falten in ihren Mundwinkeln, was ihr jedoch gut zu Gesicht stand.
»Du setzt ein unartiges Gesicht auf!« hatte die Prinzessin sie einmal getadelt.
»Ich hoffe nicht«, antwortete Paulina, »und es ist nicht sehr freundlich von Euch, so etwas zu sagen.«
»Ich meine es doch nicht böse«, besänftigte die Prinzessin, »ich finde, du siehst dann aus, als ob du immer zu Streichen, aufgelegt wärst. Es ist reizend.«
Paulina mußte lachen und erinnerte sich, daß die Italiener in Rom, die sie mit überschwenglichen Komplimenten bedacht hatten, oft genau dasselbe gesagt hatten.
»Ich denke, du bist ein Engel, vor dem ich niederknien und vor Hingabe vergehen sollte«, hatte einer der jungen Männer geschwärmt. »Aber wenn du mich auslachst und verhöhnst, glaube ich, daß du ein kleiner Dämon bist, ausgesandt von der Hölle, um mich zu peinigen und zu quälen!«
Paulina hatte ihn daraufhin dann doch ausgelacht, doch sie gedachte der Worte ihres Kindermädchens, nämlich, daß zwei Seelen in der Brust jedes Menschen wohnten.
»Ein Engel sitzt auf deiner rechten Schulter«, hatte sie erklärt, als Paulina alt genug war, um den Sinn dieser Worte zu begreifen, »und ein kleiner Teufel sitzt auf deiner linken. Und beide flüstern auf dich ein, und es ist an dir, wem von beiden du dein Ohr leihst.«
Paulina hatte oft in sich hinein gelauscht, was der Engel und was der kleine Teufel ihr einflüsterten, und sie konnte sich des Verdachts nicht erwehren, daß alles, womit der kleine Teufel lockte, sehr viel aufregender war.
Mittlerweile passierte die Kutsche das große reich verzierte Tor zum Palast. Die Wachtposten standen neben ihren rot-weißgestreiften Schilderhäuschen und präsentierten das Gewehr.
Paulina beugte sich vor, winkte und lächelte den Posten zu, denn sie kannte die beiden jungen Soldaten, die auf Wache standen. Wie adrett sie doch aussehen in ihren rot-weißen Uniformen, ging es ihr durch den Kopf.
Sie wurde am Portal des Schlosses von einem Diener erwartet, der sie durch die eindrucksvolle Halle geleitete, die mit Statuen berühmter Vorfahren des Großherzogs und mit Porträts von deren steif und streng wirkenden Gattinnen geschmückt war. Über eine mit einem roten Teppich belegte Treppe und einen weitläufigen Korridor gelangte Paulina zu den Gemächern der Prinzessin.
Paulina war schon so häufig in dem Palast gewesen daß sie ihren Weg sehr gut allein gefunden hätte.
Aber sie wußte, daß sie auf Unverständnis bei der Dienerschaft stieß, hätte sie auf deren Dienste verzichtet.
So folgte sie also dem Diener, einem beleibten Mann mittleren Alters, dem seine weiße Perücke die Schweißperlen, auf die Stirn trieb. Sie mußte ihre Schritte weitaus stärker mäßigen, als sie es getan hätte, wenn sie allein gegangen wäre.
Schließlich erreichten sie die Gemächer der Prinzessin Margarita im Westflügel des Palastes. Der Diener klopfte an die Tür, die künstlerisch auf pfauenblauem Grund mit Wildblumen der Umgebung bemalt war.
Eine Zofe der Prinzessin öffnete und begrüßte Paulina mit einem Knicks.
»Endlich, gnädiges Fräulein«, sagte sie. »Ihre Königliche Hoheit hat immer wieder verwundert gefragt, wie es möglich ist, daß Ihr so lange braucht, um hierherzukommen.«
»Lange?« fragte Paulina. »Ich bin sofort aufgebrochen, nachdem die Nachricht Ihrer Königlichen Hoheit mich erreichte, und die Pferde gaben ihr Bestes!«
»Wir werden alle in große Bedrängnis geraten«, hauchte die Zofe atemlos.
Sie öffnete die Tür und meldete: »Fräulein Paulina Handley, Königliche Hoheit!«
Mit einem Ausruf der Freude und Erleichterung sprang die Prinzessin von ihrem Sessel auf. Dabei fielen die Arbeiten, mit denen sie sich beschäftigt hatte, von ihrem Schoß zu Boden.
»Paulina! Gott sei Dank, daß du gekommen bist!« rief sie auf Englisch aus. »Ich begann schon zu fürchten, du hättest mich verlassen.«
»Euch verlassen?« rief Paulina ihrerseits überrascht aus. »Warum sollte ich?«
»Ich mußte dich einfach sehen. Ich habe so viel mit dir zu besprechen, und du mußt mir helfen«, erwiderte sie aufgeregt.
Die Zofe verließ den Raum und schloß die Tür hinter sich und sie waren allein. Die Prinzessin nahm Paulina bei der Hand und führte sie zum Sofa hinüber.
Was, glaubst du, ist geschehen?«, fragte sie.
»Ich vermag es mir nicht vorzustellen.«
Der Prinzessin entrang sich ein Seufzer.
»Ich soll verheiratet werden!«
Alles andere hätte Paulina erwartet, nur das nicht, und sie blickte ihre Freundin bestürzt an.
»Aber... mit wem?«
In Gedanken ging Paulina alle jungen Männer durch, die sie auf den festlichen Bällen im Schloß kennengelernt hatte, aber sie fand nicht einen darunter, der ihr als geeigneter Gatte für Prinzessin Margarita erschienen wäre; sie kamen allenfalls als amüsante Tanzpartner in Frage.
Die Prinzessin antwortete nicht sogleich, dann nahm sie Paulinas Hand fest in die ihre und fragte: »Willst du mir bei allem, was dir heilig ist, versprechen, für mich zu tun, worum ich dich bitte?«
Paulina lächelte.
»Ich kann Euch nichts versprechen, bevor ich nicht weiß, worum Ihr mich bittet.«
»Es ist ganz einfach«, antwortete die Prinzessin. »Ich möchte, daß du mich nach Rußland begleitest.«
»Nach Rußland?« wiederholte Paulina. »Aber warum... was ist... denn geschehen? Soll das bedeuten, daß Ihr... einen Russen heiraten sollt?«
Die Prinzessin nickte.
»Papa hat es mir gestern Abend gesagt. Oh, Paulina, es ist so aufregend und so beängstigend zugleich, daß ich Papa so weit zurücklassen und allein in einem fremden Land leben soll.«
Paulina umschlang die Hände der Prinzessin mit den ihren: »Erzählt mir von Anfang an«, bat sie. »Ich kann sonst nicht wissen, was sich zugetragen hat.«
»Du kannst nicht verwirrter sein, als ich es jetzt bin.« Die Prinzessin hielt inne, seufzte tief und fuhr fort: »Gestern Abend, nachdem du mich verlassen hattest, sandte Papa nach mir. Sogleich, nachdem ich den Raum betreten hatte, bemerkte ich, daß er wegen irgendetwas höchst entzückt war, aber ich wußte nicht, weshalb. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was... es hätte sein können.«
Paulina schwieg. Sie war ganz von der Schönheit der Prinzessin gefangen, obwohl ihre lieblichen Augen von Sorge getrübt waren und kein Lächeln ihre vollen Lippen umspielte.
»Und dann«, fuhr sie fort, »erzählte mir Papa, was geschehen war.«
»Und was war das?«
»Du wirst dich erinnern, daß ich dir einmal erzählt habe, daß mein Bruder Maximus einige Jahre in Rußland gelebt hat?«
»Ja, das habt Ihr mir erzählt«, antwortete Paulina, »und auch, daß er eine Einladung des Zaren an ihn angenommen hat, am Hofe zu leben und in der Kaiserlichen Russischen Armee zu dienen.«
Paulina hatte die Geschichte mehrere Male gehört, aber da sie dem Prinzen Maximus nie begegnet war, hatte sie kein wirkliches Interesse daran gezeigt.
»Der Zar ist sehr zufrieden mit Maximus«, begann die Prinzessin wieder mit leiser Stimme, »so zufrieden, daß er ihn sogar zum Generalmajor beförderte, nachdem Maximus sich in dem Krieg im Kaukasus ausgezeichnet und großen Ruhm erworben hat.«
»Dann muß Euer Vater höchst entzückt sein«, rief Paulina aus. Sie wußte, wie groß der Stolz war, den der Großherzog auf seinen einzigen Sohn empfand, und daß er sich im Kampfe ausgezeichnet hatte, war eine große Ehre für das ganze Herzogtum.
»O ja, Papa ist sehr erfreut«, stimmte die Prinzessin zu, »daß er mit dem St. Georg-Orden ausgezeichnet worden ist für seine Verdienste im Kampf. Aber in demselben Brief, in dem mein Bruder dies schrieb, teilte er uns mit, der Zar habe den Wunsch geäußert, ich solle seinen Cousin heiraten, den Großfürsten Vladirwitsch.«
Paulinas Augen weiteten sich.
Sie hatte nur verschwommene Vorstellungen und Kenntnisse über Hierarchie und Rangfolge am russischen Hof, aber da Paulina gewissermaßen im Diplomatischen Dienst aufgewachsen war, wußte sie immerhin so viel, daß die Stellung eines Großfürsten eine sehr bedeutende war, und das Prestige, welches ein Cousin des Zaren genoß, verstand sich von selbst.
Jedoch, das fühlte Paulina, eine glückliche Ehe mit einem geliebten Mann war weitaus wichtiger als ein Titel, und sei er noch so bedeutend.
»Seid Ihr dem Großfürsten schon einmal begegnet?« fragte sie.
»Ja, einmal«, antwortete die Prinzessin, »aber das Unglück, Paulina, ist, ich kann mich nicht einmal an ihn erinnern. Als Mama und Papa ihren 25. Hochzeitstag feierten, hat er uns einen kurzen Besuch abgestattet. Aber damals waren im Schloß so viele wichtige Persönlichkeiten aus ganz Europa, die alle Mama und Papa an ihrem Festtag die Ehre gaben.«
Zum ersten Mal lächelte die Prinzessin, als sie fortfuhr: »Den Kaiser von Österreich begleitete ein sehr attraktiver Flügeladjutant, und ich habe mich viel mit ihm unterhalten und so oft mit ihm getanzt, wie es gerade noch ziemlich war. Von den anderen Gästen habe ich kaum Notiz genommen.«
»Aber der Großfürst muß sich genau an Euch erinnert haben!«
»Das sagte auch mein Bruder Maximus, aber nicht nur, daß der Großfürst mich zu ehelichen wünscht, auch der Zar hat seine Zustimmung erteilt.«
»Oh, Liebste, ich kann nur hoffen, daß Ihr sehr, sehr glücklich werdet!« rief Paulina aus.
»Aber Rußland liegt so weit entfernt«, klagte die Prinzessin, »und ich bin nur dann bereit dort hinzugehen, wenn du mich begleitest.«
»Aber wie kann ich das? Würde sie das nicht sehr befremden ...«, warf Paulina ein.
»Du wirst mich als meine Kammerzofe begleiten«, unterbrach die Prinzessin. »Ich werde ganz sicher nicht diese langweilige, alte Baronin Schwaez mit mir nehmen. Wahrscheinlich würde sie ohnehin ablehnen. Sie hat eine große Familie und führt beständig Klage, daß sie nicht bei ihr sein kann.«
»Ich glaube nicht..., daß Papa... seine Einwilligung geben wird«, gab Paulina zu bedenken.
»Wenn ich Sir Christopher sage, wie sehr ich deiner bedarf, und ihm verspreche, dich nicht für allzu lange Zeit von ihm fernzuhalten, bin ich sicher, daß er Verständnis haben wird«, sagte die Prinzessin. »Oh, bitte, bitte, Paulina, du darfst mich jetzt nicht im Stich lassen, jetzt, da ich dich so dringend brauche.«
Paulina war zutiefst bewegt von der Zuneigung, die ihr von der Prinzessin entgegengebracht wurde. Niemand wußte besser als sie, wie empfindsam die Prinzessin auf viele Dinge reagierte und wie schwer es sie treffen mußte, allein in einem fremden Land leben zu müssen, noch dazu in Rußland. »
Die Berichte über Rußland, obwohl höchst interessant, waren dennoch nicht weniger erschreckend, ganz zu schweigen von den Gerüchten, die über Zar Nikolaus verbreitet wurden.
Paulina konnte sich nichts Schrecklicheres vorstellen, als mit einem Russen vermählt zu sein und unter dem Edikt eines Herrschers zu leben, dem selbst die großzügigsten diplomatischen Kreise bescheinigten, exzentrisch und tyrannisch zu sein.
Aber da sie Margarita von Herzen zugetan war und sie glücklich sehen wollte, wußte Paulina, daß sie unter keinen Umständen derlei Gerüchte an Margaritas Ohr kommen lassen würde.
Sie war auch klug und weitblickend genug, um zu verstehen daß sich der Prinzessin mit der Heirat eine gesellschaftliche Stellung eröffnen würde, die weitaus bedeutender war, als der Großherzog Louis je zu hoffen und zu ersehnen gewagt haben konnte?
Ganz gleich, welcher Art die Gefühle der Prinzessin sein mochten, sie würde mit dem Großfürsten verheiratet werden, und deshalb mußte sie ihre Lage akzeptieren, gleichgültig, ob sich ihre eigenen Träume erfüllten oder nicht.
Von der Richtigkeit der Sache überzeugt, sagte Paulina: »Ich denke, Euch widerfährt ein großes Glück, und ich bin sicher, daß Ihr mit dem Großfürsten ungewöhnlich glücklich sein werdet.«
»In Rußland?« fragte die Prinzessin ungläubig.
»Warum nicht?« entgegnete Paulina. »Und nachdem es heute so leicht und bequem ist, mit der Bahn zu reisen, kann ich mir vorstellen, daß Euer Gatte Euch London, Paris und den bezaubernden Süden Frankreichs zeigen wird.«
»Papa erzählte einmal, daß die Russen Frankreich besonders wegen der fröhlichen Lebensart seiner Bewohner lieben, aber er erwähnte daß sie von ihren Frauen begleitet würden«, antwortete die Prinzessin.
Darauf wußte Paulina keine Antwort, und sie warf schnell ein: »Der Zar und seine Familie besitzen unermeßliche Reichtümer, und du wirst ein Leben in Macht und Überfluß führen können.«
»Mir wird große Bedeutung bei Hofe zukommen«, sagte die Prinzessin mehr zu sich selbst.
»Aber natürlich«, pflichtete Paulina bei, »und Papa erzählt, die russischen Aristokraten können die prächtigsten Juwelen ihr eigen nennen. Mit denen werdet Ihr Euch schmücken für die glanzvollen Feste und Bälle, die im Winterpalais gegeben werden.«
Besorgnis verdüsterte das schöne Gesicht der Prinzessin. Doch dann sagte sie schnell: »Ich werde das Anerbieten ausschlagen, es sei denn, du wirst mich begleiten.«
»Natürlich muß ich erst mit Papa sprechen, bevor ich Euch das zusagen kann«, antwortete Paulina.
»Auch ich werde meinen Vater bitten, gleichfalls mit Sir Christopher zu reden«, gab die Prinzessin zurück. »Man kann ja nie wissen, wenn der Zar Gefallen an dir findet, schlägt er vielleicht dem englischen König vor, Sir Christopher als Britischen Gesandten nach St. Petersburg zu berufen.«
Paulina mußte lächeln, als sie zur Prinzessin sagte: »Ich sehe schon alle Eure Freunde am Russischen Hof, denen Ihr den Weg in glänzende Stellungen geebnet habt.«
»Warum nicht?« entgegnete die Prinzessin. »Wenn ich die Möglichkeit dazu habe, dann werde ich alles tun, was ich möchte, und... und ich wünsche mir dich, liebste Paulina, mehr als alles Gold auf der Welt.«
Paulina entging es bei den Worten der Prinzessin nicht, daß diese anfing, sich mit dem Gedanken anzufreunden, ihre Heimat zu verlassen und in Rußland zu leben. Ihre Gespräche kreisten bald darum, wie sie ihre Kenntnisse über dieses fremde Land erweitern könnten, das keine von ihnen bisher kennengelernt hatte.
Als es an der Zeit war für Paulina, die Prinzessin zu verlassen und zu ihrem Vater zurückzukehren, bat diese sie nochmals flehentlich: »Versprich es mir, bitte versprich mir, daß du mit mir gehen wirst. Auch wenn mein Bruder Maximus in St. Petersburg lebt, so ist das doch nicht dasselbe, als wenn ich dich dort bei mir hätte. Niemand, schon gar nicht ein Mann, vermag zu verstehen, wie sehr ich mich ängstige, einen fremden Mann zu heiraten.«
Paulina dachte daran, wie ihr zumute sein würde, befände sie sich in einer ähnlichen Situation.
Aber ihr war auch bewußt, daß königliche Hochzeiten immer arrangiert wurden, und es zweifellos für Prinzessin Margarita unmöglich sein würde, diese vom Zaren beschlossene Heirat zu verweigern.
Als sie jetzt in der Kutsche nach Hause zurückfuhr, ging ihr der Gedanke durch den Kopf, wie glücklich sie sich doch angesichts solcher Probleme schätzen durfte, nur dem gemeinen Stand anzugehören und nicht dem Adel: Ihre Eltern hatten geheiratet, weil sie sich liebten, und eine überaus glückliche Ehe geführt.
Wenn ich einmal einen Mann heirate, dann ebenfalls nur aus Liebe; Reichtum und Stand werden für mich keine Bedeutung haben, sagte sie zu sich selbst.
Da Paulina in diplomatischen Kreisen aufgewachsen war, kannte sie die gesellschaftlichen Regeln zu gut, um nicht zu wissen, daß die Freiheit einer solchen Wahl nur diejenigen genießen konnten, die keine gesellschaftlichen Rücksichten zu nehmen brauchten; sie galten nicht für Mitglieder adeliger Kreise.
Es war daher beinahe ein Glücksfall, daß der Großfürst Vladirwitsch erst fünfunddreißig Jahre alt war, es hätte ebenso gut sein können, daß die Prinzessin von einem sehr viel älteren Mann zur Braut auserwählt worden wäre, der noch verzweifelt nach einem Erben trachtete, bevor sein Leben sich dem Ende zuneigte.
»Ehen zu stiften ist eine teuflische Machenschaft«, dachte Paulina im stillen.
Ihr erschien es als Mißachtung aller menschlichen Gefühle, daß adliges Blut nur zu gleichem finden durfte, und ein Edelmann immer eine Dame von hoher Geburt ehelichen mußte.
»Vielleicht will es das Schicksal so, und ich verliebe mich in einen armen Kutscher«, sie lächelte bei dem Gedanken, »oder in einen gemeinen Soldaten, der mir materiell nichts weiter bieten kann als seine schmucke Uniform.«
Diese Überlegungen kamen ihr, als sie die Wachen vor dem Regierungsgebäude sah, die das Gewehr präsentierten, als ihre Kutsche das Tor passierte, vor dem die Flagge ihres Landes im Wind flatterte.
Sie sprang aus der Kutsche und eilte ins Haus.
»Wo ist Seine Exzellenz«, fragte sie die Diener in der Halle.
»Im Arbeitszimmer, gnädiges Fräulein«, wurde ihr beschieden.
Sie lief den Flur entlang und stürzte zu ihrem Vater hinein, in der Hoffnung, ihn allein anzutreffen, und sie hatte Glück. Sir Christopher saß bequem in einem tiefen Lederarmsessel, eine Zeitung lag ausgebreitet auf seinen Knien, obwohl er den Kopf an die Lehne zurückgelegt und die Augen geschlossen hielt.
»Papa, bitte wach auf, Papa!« rief Paulina, während sie auf ihn zueilte.
»Hallo, meine Liebe«, antwortete Sir Christopher mit verschlafener Stimme. »Ich muß ein wenig eingenickt sein.« Paulina nahm ihr Hütchen vom Kopf, warf es in einen Sessel und kniete neben ihrem Vater nieder, ihre weiten Röcke um sich ausgebreitet.
»Hör mir zu Papa!«
Sir Christophers Blick ruhte auf ihrem Gesicht, während sie zu ihm sprach. Ein stechender Schmerz durchfuhr sein Herz, als er feststellte, wie ähnlich seine Tochter doch ihrer Mutter war.
Allein schon der Gedanke an seine Frau, die er so sehr geliebt hatte, ließ den alten Kummer über ihren Verlust wieder aufbrechen, und er legte Paulina die Hand auf die Schulter, als wolle er sie immer an sich binden und nie von seiner Seite lassen.
»Ich komme soeben aus dem Schloß, Papa«, berichtete sie atemlos, »und was glaubst du, ist geschehen?«
Sir Christopher lächelte: »Der Großfürst Vladirwitsch hat beschlossen zu heiraten?«,
»Oh, du weißt es also schon!« rief Paulina aus.
»Der Ministerpräsident berichtete mir davon, als ich ihn Nachmittag nach einer Konferenz verließ. Eine große Ehre. Nicht nur für den Großherzog, sondern auch für das ganze Herzogtum.«
»Und du glaubst, Margarita wird glücklich sein?« fragte sie.
Ihr Vater zuckte mit den Schultern.
»Wir können es nur hoffen. Es gibt keinen Anlaß zu glauben, daß Vladirwitsch seinem Cousin, dem Zaren, ähnlich ist, zumindest wollen wir das um deiner Freundin willen hoffen.«
Paulina seufzte.
»Die Prinzessin sagt, sie wird nur nach Rußland gehen, wenn ich sie begleite!«
Sir Christopher richtete sich steif auf und erstarrte.
»Was sagst du da?«