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Der Mechaniker Siegmund, genannt Sigi, hat auf seiner ersten Flugreise nach London Schwierigkeiten mit der fremden Sprache. Flugerfahrungen vermittelt ein fremder Fluggast. Auf seiner zweiten Reise nach China soll eine neue Fabrik entstehen. Das lösen die Chinesen eleganter. Sein Chef bändelt im Hotel mit der Sängerin am Piano an. Es entsteht der kleine Max. Sigi wird Personenschützer. Auf seinem ersten Auftrag begleitet er den Firmeninhaber eines bekannten Luftansaug-Unternehmens um die Welt. Sein Auftraggeber Kuno Zauser und Sigi versuchen Krokodillederstiefel für Evelyn zu kaufen. Auf ihrer nächsten Reise nach Ägypten gelingt dieses Vorhaben, trotz erheblichem Einsatzes von Geld und Logistik, auch nicht. Der nächste Flug geht im Auftrag des Auswärtigen Amtes nach Neuseeland. Sigi beschützt einen Bakteriologen. Mit Brigitte, seiner Braut, erkundet er den Archipel. Mehrer Wochen voller Abenteuer vergehen bei den Antipoden. Sigis letzte Reise geht nach Akaska. Es ist die verspätete Hochzeitsreise des Ehepaares Siegmund. Sie besuchen die riesigen Braunbären der Aleuten. Nach Rückkehr in Germany beobachten sie das noble Verhalten eines Edelmannes gegenüber einem armen, fremdländischen Mann.
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Seitenzahl: 380
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Erste Reise des Sigismund Siegmund nach London
Siegmunds zweite Reise nach China
Erste Notiz
Dritte Reise, Sigi fliegt um die Welt
Sigis vierte Reise nach Ägypten
Zweite Notiz
Sigismunds fünfte Reise nach Neuseeland
Dritte Notiz
Sechste Reise des Ehepaares Siegmund nach Alaska
Autor
Er bückte sich ein wenig, als er durch den Türrahmen ging. Fast zwei Meter war er groß, sehr schlank, ausgesprochen dürr. Direktor Naumann starrte auf seine Schuhe, Schnürschuhe, blitz-blank, tiefschwarzer Lack. Die Bändchen fielen exakt in gleicher Länge in Form wohl gerundeter Schleifen auf das Oberleder. Schwarzer Anzug mit dezentem Nadelstreifen, blütenweißes Hemd, ein zarter Geruch eines bekannten Rasierwassers umwehte den Bewerber. Das war also der Mann, den Naumann unbedingt für die Werkstatt haben wollte. Jetzt ging es nur darum, ihn zu günstigen Bedingungen zu bekommen. Der Boss stand auf und reichte dem Besucher seine Hand:
"Willkommen bei Hemdenschmitt GmbH und Co. KG", auf das Co legte er Wert, denn schließlich steckte hier sein Geld.
"Ich heiße Friedrich Naumann, setzen Sie sich doch!"
"Guten Tag, mein Name ist, Sigismund Siegmund. Sie können, wie alle Anderen, mich gern Sigi nennen!"
"Ja, ja, ich weiß, Sie sind doch angemeldet! Setzen Sie sich! Frau Schneider hat mir noch einmal ihre Unterlagen hereingereicht."
Der Herr Direktor quetschte seine Leibesfülle hinter den Schreibtisch, griff sich eine Zigarre aus einem Kästchen, langte noch einmal hinein und legte die zweite in der Nähe des Besuchers auf die Tischkante.
"Für Sie, mein Lieber, damit wir in Ruhe plaudern können!"
"Danke, ich bin Nichtraucher".
Seine blauen Augen leuchteten auf, denn vor drei Jahren hatte er sich mit großer Quälerei das Rauchen abgewöhnt.
"Ich darf doch?"
Sigismund nickte zustimmend. Der Chef paffte los und stieß Rauchkringel in die Luft. Gleichzeitig begann er in den Unterlagen des Bewerbers zu blättern. 1950 in Suhl, Thüringen geboren, dann mittlere Reife, Lehre als Feinmechaniker in einem VEB, bis 1969 im Lehrbetrieb, 1982 Flucht in die BRD, danach Anstellung bei der Firma Pfaff .
"Ich muss schon sagen, Sie haben sehr gute Zeugnisse. Donnerwetter! Respekt! Nur hier fehlt mir sehr viel Zeit, es sind die Jahre 1969 bis 1982. Was war denn damals? Haben Sie nicht gearbeitet?" Sigismund wurde blass. Das hatte er sich gedacht. Er überlegte, kniff seinen schmalen Mund noch enger, schnüffelte voller Unruhe mit seiner großen Nase und hustete in die Stille hinein.
"Herr Direktor, damals lebte ich im Osten. In Thüringen, DDR. Ich sage es Ihnen einfach, wie es war. Ich habe gesessen. In Bautzen. Zehn Jahre haben sie mir verpasst, Republikflucht, Verwahrlosung, Defätismus. Wegen guter Führung bekam ich 24 Monate erlassen. Habe als Monteur im Elektro- und Mechanikerbereich gearbeitet. Müsste eigentlich ein Stückchen Papier bei meinen Unterlagen liegen, machte meine Gesellenprüfung, damals in Bautzen."
Naumann starrte die ganze Zeit auf Sigismunds Schuhe. Immer wieder dachte er, wie macht es der Kerl nur, dass die Bändchen so liegen? Inzwischen hatte er endlich die Deutsche-Demokratische-Republikanische-Bescheinigung gefunden.
"Das liest sich ja gut, mein Lieber. Ausgezeichnete Noten! Sogar ein schriftliches Lob und ein kleiner Orden! Na bitte, war wohl von Herrn Honnecker? Ha, ha, sollte ein Scherz sein!"
Sigismund lächelte gequält, fuhr sich mit den Fingern seiner rechten Hand durch schütteres, braunes Haar und antwortete:
"Nach dieser Zeit bin ich in den Westen gekommen. Abgeschoben, Gott sei Dank! Hatte hier immer Arbeit gehabt und habe sehr gutes Geld, vor allem bei der Firma Pfaff, verdient."
"Das können Sie auch bei uns. Daran soll es nicht scheitern. Wir machen einen Arbeitsvertrag. Die Probezeit beträgt ein halbes Jahr. Das reicht, dann wissen wir, was Sie können und wer Sie sind. Sie starten am ersten April 1984. Schlagen Sie ein."
Der Boss reichte dem Techniker seine Rechte, dieser griff zu und drückte kräftig die fremde, etwas wabbelige Hand. Das Geschäft war perfekt. Friedrich Naumann war mit sich zufrieden. Plötzlich, wie ein Blitz, fiel ihm der unbarmherzige Konkurrenzkampf in der Textilbranche ein. Er musste sich von dem Bewerber eine Zusicherung geben lassen.
"Auf ein Wort, Herr Siegmund, ich bitte Sie um strengste Vertraulichkeit, noch ist alles Zukunftsmusik. Unsere Auftragslage ist hervorragend und wir überlegen, die Fertigungskapazitäten zu erhöhen, das geht nur über einen Erweiterungsbau. Andererseits ist Ihnen sicherlich der Verdrängungswettbewerb bei uns Textilern bekannt. Die Ersten beginnen schon damit, die Fertigung auszulagern, Hongkong, Singapur, China, Bangladesh, der ganze Osten will für uns arbeiten. Also, im Vertrauen, unser Vorstand, die Herren Schmitt und Schneider sind drüben, in Ostasien. Sollten wir dort geschäftlich einsteigen, brauchen wir echte Kerle, Pioniere, die für die Firma durch das Feuer gehen! Wie sieht es mit Ihnen aus, würden Sie mitmachen?"
"Wenn das Geld stimmt, bin ich immer dabei! Passt ganz gut, bin noch ledig, frei wie ein Vogel!"
"Toll, wir zählen auf Sie!"
Sigismund erhob sich, dankte und verabschiedete sich. Als er durch die Empfangshalle ging, meldete er sich bei der hinter einer Balustrade sitzenden Dame:
"Ich geh noch in die Fertigung zu Bernhard Bauer!"
"Ist in Ordnung, Sie wissen ja Bescheid".
Sigismund stieß das schwere, Feuer hemmende Stahltor zur Fertigung auf. Lärm, zuckender, ratternder Nadelstichkrach von 120 Arbeitsplätzen schlug ihm entgegen. Staub tanzte in Sonnenstrahlen, er holte tief Luft, bevor er in diese Arbeitswelt eintauchte.
Dann wandte er sich nach links, durchschritt den Quergang, vorbei am getrennten Zuschneidebereich bis hin zur östlichen Lauffläche und marschierte auf dieser bis zur Werkstatt nach Süden, dort bis zum Büro des Fertigungsleiters. Unterwegs, er kannte die von Nord nach Süd stehende Halle, da er als Pfaff-Mechaniker hier oft arbeitete, hörte er weibliche Stimmen:
"Sigi ist wieder da!"
In sich hinein lächelnd öffnete er die einfache Bürotür zu Bernhard. Sie kannten sich, sie duzten sich. BB, die Betriebsbezeichnung des Fertigungsleiters von Bernhard Bauer, hatte der Verwaltungschef, ein fanatischer Kürzelschreiber, erfunden. Nach der Begrüßung bot Bauer dem Besucher seinen einzigen Stuhl an, ein altes, schäbiges, abgesessenes Möbel, das als "armer Sünderstuhl" in der Halle bekannt war.
"Berichte, was gibt es Neues?" eröffnete BB das Gespräch.
"Mein Lieber, zum ersten April fange ich bei euch an! Der Herr Naumann hat mich als Leiter der Technik eingestellt. Das angebotene Gehalt stimmt, ist immerhin knapp 30% mehr bei Pfaff und da habe ich gleich eingeschlagen. Außerdem scheint mir die Firma für die Zukunft gut gerüstet zu sein! Was sagst du dazu?"
Bernhard strahlte über das ganze Gesicht.
"Toll! Herzlichen Glückwunsch! Wird auch Zeit, dass etwas in der Technik sich rührt, sind total überlastet, die Jungs, haben keine Organisation in ihrer Bude, aber das wirst du hinkriegen. Auf gute Zusammenarbeit!"
Bernhard reichte Sigismund die Hand, sie sahen sich in die Augen und grinsten.
"Da werden sich unsere Burschen wundern", setzte Bernhard das Gespräch fort, "die Sechs machen so ungefähr alles, was sie wollen, vor allem Murks. In der Frühschicht ist einer von den Dreien fast immer krank und in der Spätschicht sieht es nicht besser aus. Manchmal weiß ich nicht, wie ich durchkommen soll!"
"Lass mal gut sein, das kriegen wir schon hin! Wünsch dir noch einen guten Tag!"
"Ja, mach es gut!"
Sigismund schaute noch in der Technik vorbei, die beiden Anwesenden guckten verdutzt, als er ihnen erklärte, dass er hier als ihr Chef anfangen würde. Kaum war er verschwunden, steckten sie die Köpfe zusammen und berieten die neue Lage.
Der erste April kam und der Leiter der Technik stand pünktlich um sechs Uhr zum Beginn der Frühschicht vor dem Eingangstor von Hemdenschmitt. In den folgenden Monaten wurde Sigi streng überwacht. Arbeitskollegen, besonders der Betriebsratsvorsitzende, aber auch Abteilungsleiter und die Geschäftsleitung bildeten sich ihre Meinung von dem neuen Mann. Immer kam dieser äußerst korrekt gekleidet und pünktlich zur Arbeit. Alles an ihm war exakt, gerade, sauber, rein, adrett, klar und die Schuhbändchen lagen immer in genau gleichen Schleifen auf der Fußbekleidung. Er sprach beherrscht, vermied Flüche und redete in kurzen, verständlichen Sätzen. Sigi war ein Tüftler, der stundenlang Maschinenfehler suchen konnte und diese anschließend mit sehr viel Geduld reparierte. Seine Mitarbeiter führte er geschickt, aber auch streng durch die Arbeitszeit und schon nach wenigen Wochen gingen die Krankmeldungen zurück, ab Juli waren sogar alle Herren gesund und arbeiteten voller Eifer. Sigismund hatte seine Leute derart eingeteilt, dass die in jeder Schicht jeweils ein Techniker für ein Förderband und den daran angeschlossenen Arbeitsplätze zuständig war. Also Band A der Techniker A, Band B und Band C jeweils ein anderer von den Burschen. So entstand gesunder Wettbewerb unter den Mechanikern. Hatte B seinen Laden in Ordnung, konnte er lässig die Schicht absitzen, während sein Kollege von Maschine zu Maschine raste. Eine weitere Neuerung war das 10-Prozent-Prinzip. Der gesamte Maschinenpark wurde entsprechend erweitert. Zu den sechs Knopflochmaschinen kam eine weitere hinzu und die 114 Nähmaschinen vermehrten sich sogar auf 130 Einheiten. So konnten die notwendigen größeren Reparatur- oder Wartungsarbeiten in Ruhe in der Werkstatt durchgeführt werden und die Kriecherei und das Fluchen am direkten Bandarbeitsplatz gehörten der Vergangenheit an. Traten bei den Förderbändern Probleme auf, so musste selbstverständlich vor Ort der Fehler behoben werden. Dies waren immer schlechte Bedingungen, da dann 40 Arbeitsplätze ausfielen. Die organisatorischen Verbesserungen wurden von der Geschäftsleitung, aber auch von Bernhard Bauer und den anderen Führungskräften, besonders von den Bandleiterinnen, sehr gelobt.
Der technische Leiter arbeitete in der Frühschicht und darüber hinaus bis weit in die frühen Abendstunden hinein. Um seine Leute zu kontrollieren, begann er in seiner sechsten Arbeitswoche damit, überraschend um zwölf Uhr aufzutauchen, blieb aber dann bis zum Schichtende um 10 am späten Abend. Seine Abteilung war bald vorbildhaft für das ganze Unternehmen.
Am zweiten Freitag im September ließ Direktor Naumann durch seine Vorzimmerdame, Frau Schneider, beim Leiter der Produktion, Herrn Bauer anrufen und darum bitten, zu einer kurzen Besprechung um elf in sein Büro zu kommen. Er solle Herrn Siegmund mitbringen. Schon eine halbe Stunde vor dem Termin ging der Produktionsleiter in die Technik. Sigi und er rätselten herum, was der Boss von ihnen wolle. Sie überlegten, ob sie genügend gut gekleidet wären, kamen aber zu der Ansicht, dass Arbeit nicht schändet und sie ohne weiteres im Blaumann und Bauer im weißen Kittel in das Allerheiligste gehen konnten. Sigi allerdings band seine Schuhbändchen neu. Fünf Minuten vor der Zeit standen sie bei Frau Schneider im Büro.
"Sehr schön, die Herren, der Alte wartet schon. Bringe auch gleich Kaffee."
Dann tippte sie auf ihre Gegensprechanlage und meldete die Beiden an. Verzerrt quakte Naumann aus dem Lautsprecher:
"Herein mit ihnen!"
Frau Schneider huschte aus ihrem Sessel, sprang zur gepolsterten Tür des Chefzimmers, riss diese auf und meldete:
"Herr Bauer und Herr Siegmund!"
Direktor Naumann kam ihnen entgegen, gab jedem die Hand und bat darum, Platz zu nehmen. Wieder schaute er auf die exakten Kringel von Sigis Schuhbändchen. Er begann:
"Meine Herren, die Sommersaison geht zu Ende und ich möchte Ihnen mein Lob für ihre ausgezeichnete Leistung aussprechen! Weiter so! In ungewöhnlich vielen Überstunden haben Sie, Herr Siegmund, hervorragend organisatorische Maßnahmen eingeführt und Sie, Herr Bauer, ihren Stellvertreter, Herrn Meyerlein, ausgezeichnet in die Spätschicht eingearbeitet. Gratulation! Als kleine Anerkennung dachte ich, Sie fahren nach London! Was sagen Sie dazu? Sie können doch Englisch?"
Sigi antwortete gleich mit "Selbstverständlich", Bauer aber blieb stumm.
"Dann ist ja alles klar. Frau Schneider besorgt die Reservierungen, die Flugtickets, Hotels und Spesen in englischen Pfundnoten. Nehmen Sie sicherheitshalber ihr Scheckheft mit!", hier grinste der Herr Direktor etwas und fuhr fort: "In der ersten Oktoberwoche wird im Alexandra Palast eine kleine Messe für Stoffe, Ausrüstung und Verarbeitung stattfinden. Ich fand den Hinweis im Blatt unserer Industrie- und Handelskammer. Sie sollten diese Gelegenheit nutzen, sich über die neuesten Entwicklungen auf diesem Gebiet zu informieren. Frau Schneider besorgt Ihnen die Eintrittskarten für den dritten und vierten Oktober von der IHK in Osnabrück. Sie können am zweiten Oktober von Bremen fliegen und kommen am fünften des Monats zurück. Was halten Sie davon?"
Bauer dachte, typisch Boss, Belohnung mit Arbeit verbinden! Doch ehe er etwas sagen konnte, platzte Sigi schon heraus:
"Prima, das machen wir gern! Danke!"
Naumann strahlte, Bernhard dankte ebenfalls und murmelte etwas "von dem Vertrauen, dass der Herr Direktor in sie setze".
Frau Schneider wusste schon, dass sie reisen würden, denn aus Neugier hatte sie ihre Gegensprechanlage nicht ausgeschaltet. Als beide Herren zurück waren, der Produktionsleiter saß schon wieder an seinem Schreibtisch und Sigi auf dem Armensünderstuhl, fragte Bernhard:
"Kannst Du wirklich gut Englisch? Ich kann kein Wort!"
Sigi antwortete lässig:
"Na klar, mach Dir mal keine Sorgen, hab ein paar Semester Volkshochschule hinter mir!"
Der Tag der Reise war schneller da, als die beiden Mitarbeiter von Hemdenschmitt dachten. Sie mussten am frühen Morgen los. Die Lufthansamaschine startete um 7.30 und bis zur alten Hansestadt im Norden benötigten sie mehr als eine Autostunde. Die Fluggesellschaft bestand darauf, dass sich die Passagiere eine halbe Stunde vor dem Start am Abflugschalter einzufinden hatten. Also um vier Uhr, mitten in der Nacht, aus dem Bett, Berni schauerte es. Duschen, frühstücken, gute Ratschläge anhören, Frau beruhigen und schon eine Viertelstunde vor fünf hupte Bernhard Bauer vor der Tür vom Sigi. Trotz einzelner frühherbstlicher Nebelschwaden kamen sie zügig durch und schon kurz vor sechs parkte Bernhard den Wagen auf der großen, grünen Wiese in der Nähe des Airports.
Sigi und er suchten ihr Reisegepäck zusammen und schlenderten zum Haupteingang des Flughafengebäudes. Ein etwas seltsames Pärchen, denn schon ihre Größe, aber auch ihre Figuren, waren recht ungewöhnlich. Bernhard, nur 170 cm groß, dazu schon etwas beleibt, mit schütterem Haar, daneben Sigi, der lange, dürre Lulatsch mit fast 2 Metern. Dem Herrn Produktionsleiter war alles etwas peinlich, obwohl weit und breit kein Mensch zu sehen war. Sein Kollege trug einen alten, fleckigen Rucksack, auch seine Reisetasche war nicht neu. Zusätzlich schleppte Sigismund eine Doppel-Acht-Filmkamara von Bauer mit, die er schon beim Anmarsch auf das Terminal einsetzte. Die Morgendämmerung hatte erst begonnen, sodass der Techniker im Halbdunkel das aus sich leuchtende Gebäude aufnahm, Bernhard aber sicher war, dass dies wohl nichts werden würde. Er beschloss, sich auf der Reise vom Techniker fern zu halten, so zu tun, als ob sie nicht zusammen gehörten.
Heute Morgen war es empfindlich kühl, nur fünf Grad waren vorher gesagt, auch blies ein kräftiger Wind, "in Böen bis Stärke neun" hatte das Autoradio gemeldet. Vielleicht wird nicht geflogen, dachte Bernhard, als er die Halle betrat. Sein Kumpel stolperte die breiten Stufen hoch, denn er guckte nur noch durch den Sucher seines schnurrenden Apparates. Nach einigen Minuten, in denen sie versuchten, sich zurecht zu finden, sahen sie den Schalter der Luftlinie. Er war noch nicht geöffnet. Unschlüssig blieben beide in der Nähe stehen, denn sie waren neu, ahnungslos, wie die ganze Sache ablaufen würde. Bernhard nahm sich vor, sicher aufzutreten, kein Mensch sollte merken, dass dies sein erster Flug war. Er wollte sich doch nicht blamieren. Zu Sigismund gewandt fragte er:
"Bist du denn schon mal geflogen?"
"Na klar, Segelflugzeug, damals im Thüringer Wald! War ein guter Pilot, wollte mit einem Kameraden in den Westen abhauen, einfach so, du weißt doch, über den Wolken..., ging aber nicht, die Schweine von der NVA hatten alle Startplätze gesperrt!"
"Da hast du ja deine Erfahrungen gemacht!"
Nach wenigen Minuten tauchten zwei bildschöne Damen in gut sitzenden, blauen Kostümen auf, schlossen Türen und Klappen mit Schlüsseln auf, schalteten das Licht an und das Telefon ein.
"Wollen Sie nach London einchecken?", riss die kleinere Maid Bernhard aus seinen Beobachtungen.
"Ja, ja, ich denke schon. Hier geht es doch nach England, direkt nach London? Ich bin doch richtig?"
"Na klar, junger Mann. Sie sind wohl noch nicht so oft mit uns geflogen? Macht nichts, wir passen auf!"
Sie strahlte Berni an. Er wurde rot, richtig rot, bis über beide Ohren. Er dachte, halt die Klappe, sonst machst du dich noch lächerlicher. In diesem Augenblick drängte sich Sigismund neben ihm an den Schalter.
"Ich will auch mit! Wir gehören doch zusammen! Muss doch auch nach London!"
"Ganz ruhig bleiben! Jeder kommt hier dran, immer nach der Reihe!", die Kleine wurde richtig amtlich.
"Ihr Ticket und ihren Pass bitte!", herrschte sie Bernhard an, "Sie kommen gleich dran", schnurrte sie ihn Richtung Sigi. Ihre Kollegin grinste, sie konnte ihr Lachen kaum unterdrücken. Bernhard kramte seine Unterlagen aus seiner Jacketttasche und reichte ihr die Papiere.
"Oh, der Pass ist noch ganz neu, ist wohl ihr erster Flug? Gleich so weit weg! Richtig unternehmerisch, ich muss schon sagen weltmännisch!", dabei kniff sie ihrer Kollegin ein Auge zu. Berni fühlte sich etwas verarscht, doch blieb er ruhig und auch die Röte zog aus seinem Gesicht.
"Wir wollen zusammen sitzen!", krähte Sigi dazwischen, doch die Maid blieb cool, "wir haben freie Sitzwahl an Bord, da müssen Sie schon selbst sehen!", zu Bernhard gewandt erklärte sie:
"Also, dies hier ist das Gate 7 B, ihr Warteraum", dabei hielt die Kleinere einen Streifen Papier vor seine Nase, tippte mit ihrem Kugelschreiber auf eine eingekreiste Stelle und "sie müssen um halb sieben dort sein. Den Raum finden Sie diesen Gang rechts entlang bis zu seinem Ende, dann links um die Ecke, danach gerade aus. Das ist ihre Bordkarte, nicht verlieren, sonst bleiben Sie hier in Bremen. Ihr Gepäck bekommen Sie in London, dort müssen Sie das entsprechende Laufband suchen! Ich wünsche Ihnen einen guten Flug und alles Gute!"
Die Luftbodenabfertigungsdamen tuschelten miteinander, nette Paxe, diese beiden Grünhörner, und die Große meinte "Hast du die Schuhbändchen von dem Langen gesehen? Gleiche Schleifen auf schwarzem Lackleder, vornehm!" Bernhard Bauer aber, war etwas durcheinander ging zurück in den Gang, wartete auf Sigi. Der kam bald und beide wandten sich zum linken Flur, liefen los. immer weiter, alle Luftlinien der Welt schienen hier ihre Schalter zu haben. Sie erreichten das Ende des Gebäudes, ihren Warteraum 7 B allerdings nicht. Sie waren auf der falschen Seite. Also umgedreht, zurück, andere Richtung, Sigi filmte schon wieder, hielt den Filmapparat an die Fensterscheibe an der rechten Seite. Vorbei an den Lufthansatanten, die winkten, hatten Zeit, keine Paxe in Sicht. Beide Herren liefen nun schneller, rechts vom Eingang den langen Gang entlang, dann links um die Ecke, geradeaus, ah, da waren sie, endlich! Gate 7 B. Hinter einer Theke zwei Damen, in Blau, sie grinsten, als sie den Kurzen und den Langen sahen.
"Langsam, langsam", begann die Linke sie anzusprechen, "wir haben genügend Zeit! Ihre Bordkarten bitte!"
Bernhard zog als Erster seine Karte, dann Sigismund, die Blaue sagte okay und rein mit Ihnen und sie waren drin, im Gate, im Warteraum zum großen Glück! Auf in Reihen aneinander gekoppelten, schwarzen Plastiksesselchen warteten schon einige Fluggäste. Rechts neben dem Eingang stand ein fahrbares Gestell, behangen mit Beuteln in Taschenform, darüber der Hinweis:
Lufthansafrühstück - Bitte bedienen Sie sich!
Jeder der Beiden schnappte sich ein Täschchen, fast gleichzeitig schauten sie hinein, eine Orange, ein Getränk in Plastik, ein belegtes Minibrötchen eingewickelt in Kunstofffolie, das war die ganze Herrlichkeit. Dann fand Sigi noch ein Probiertäfelchen Milka-Schokolade, das er auf der Stelle vernaschte.
Bald wurde es unruhiger, viele der Wartenden versammelten sich vor einer Tür, über der pausenlos LONDON in den Raum blinkte.
"Der Flug LH 51 nach London ist nun zum Einsteigen bereit. Heute ist freie Sitzwahl. Bitte drängeln Sie nicht!"
Die Mitarbeiter der Firma Hemdenschmitt klebten in ihren Sesseln. Abwarten war ihre Devise, denn sie wussten nicht, was hinter der Tür auf sie wartete. Sie waren die Letzten, die sich bei einer der blauen Damen vorbei drängten. Diese riss von ihren Bordkarten zwei Drittel des Papiers ab und zählte dabei die Reisenden.
Die Neulinge hatten wenig Bordgepäck, Berni eine ältere Aktentasche seines Vaters, Sigi die stark abgeschabte Einkaufstasche aus der DDR. Zusätzlich die Frühstücksbeutel der Fluggesellschaft. Draußen vor der Tür stand ein großer langer Autobus, ein Ungetüm, mit einem beweglichen Teil in der Mitte. Sehr viele Fahrgäste standen in dem Vehikel, obwohl die meisten Sitzplätze frei waren. Die Männer von der Firma Hemdenschmitt setzten sich auf die letzte Bank. Einige Reihen vor ihnen kicherten drei super aufgemachte Dämchen, Models, meinte Sigismund, er musste es ja wissen. Sie trugen Mäntel in den Farben Rosa, Blau und Türkis. Neben ihnen standen zwei Herren im schlichten grauen Flanell, entsprechend abgestimmten Krawatten, sehr edel, vornehm, obwohl die Damen eher an Papageien denken ließen.
Bald fuhren sie beim Flugzeug vor. Vor den Fahrzeugtüren entstand Gedränge, alle schoben und drückten hinaus, eilten zu zwei fahrbaren Treppen, über die in den Flieger eingestiegen wurde. Die Ersten fanden die besten Plätze, wo aber saß man am Schönsten, am Sichersten? Die Hemdenschmittmänner standen unschlüssig an der vorderen Treppe, irgendwie waren sie irritiert. Sie kletterten zuletzt nach oben, der lange Sigismund voran, tief bückte er sich und knickte den Oberkörper ab. Dahinter, klein, erhobenen Hauptes, der Produktionsleiter. Der Herr Techniker lief noch immer im rechten Winkel zwischen den Sitzplätzen nach hinten. Fluchte innerlich vor sich hin, so eng und so verflucht niedrig hatte er sich die Überdruckkabine nicht vorgestellt. Rechts und Links waren alle Plätze belegt, nur ganz hinten am Schwanz, wo die Bordtoilette stank, winkte ein Herr und deutete neben sich, dieser Sitz war noch frei. Sigi krabbelte weiter in der Röhre, angekommen murmelte er etwas von "am Fenster sitzen, wegen Filmen," schlängelte sich auf die vom winkenden Herrn gegenüber liegende Seite auf den freien Fensterplatz. Sein Kollege setzte sich neben den Fremden, nachdem er seine Aktentasche und den Frühstücksbeutel in die offene Gepäckablage gelegt hatte. Der Essenbeutel platzte auf, die Orange fiel dem Vordermann auf den Kopf, von da auf den Boden der Maschine und kollerte irgendwo hin, weit nach vorn. Alle drehten sich um, starrten ihn an, auch die aufgedonnerte in Rosa. Sofort kam eine Stewardess in Blau und knurrte:
"Sie Greenhorn, können Sie nicht aufpassen? Ihr Frühstück können Sie doch in den Händen halten und die alte Tasche gehört unter den Sitz des Vordermannes! Die rutscht doch hin und her, dort können Sie besser einen Fuß darauf stellen!"
Wieder war er rot geworden. Sein Sitznachbar redete auf ihn beruhigend ein:
"Nun setzen Sie sich erst einmal hin! So sind die hier mal, alles halb so schlimm. Jeder muss mal mit der Fliegerei anfangen. Hier, wollen Sie auch einen Schluck?"
Berni starrte entgeistert auf das Bommi-Portionsfläschchen in der Hand seines Nachbarn. Es schüttelte ihn.
"Nee, danke, ist noch zu früh."
"Ich schluck auch nur zur Beruhigung das Zeug. Flugangst, wissen Sie!"
Dann setzte er das Fläschchen an den Hals und gluckerte in sich hinein.
"Prost!", entfloh es dem Herrn Produktionsleiter Bauer.
"Ja, ja, danke, wissen Sie, ich fliege viel, aber trotzdem immer Schiss! Vor kurzem musste ich nach Lissabon, bin damals mit den Spaniern geflogen! Mann, die hatten einen tollen Rotwein! Bei der alten, klapprigen Mühle fiel über Frankreich das linke Triebwerk aus! Ich sag Ihnen, die haben nachgeschenkt, die Mädels, wir konnten gar nicht so schnell schlucken, wie die mit der nächsten Sendung neben uns standen! Wir waren alle stockbesoffen, alle im Flieger, als wir ankamen, mein Lieber, ist eine ältere Dame auf allen Vieren in die Zollabfertigung gekrochen!"
Bernhard staunte nur.
Inzwischen rollte die Maschine zum Start. Vorn, mitten im Gang, führte eine der Flugbegleiterinnen die einzelnen Sicherheitshinweise vor. Anschnallriemen, die Schwimmweste, den Fallschirm, die Sauerstoffmaske, die Leitlinien, den Notausgang und wo die Rettungsboote verstaut waren. Doch Bernhards Nebenmann sagte nur "Hampelmannschau!". Er musste wirklich schon viel geflogen sein! "Gleich geht es los! Sicherheitsgurt festziehen, Brettchen ist oben! Rückenlehne steht richtig!", der Vielflieger überprüfte seinen Nachbarn und sich. Eine der Stewardessen eilte in schnellem Schritt von der Mitte der Maschine nach hinten, schaute jedem auf den Bauch und setzte sich in den freien Sitz neben Sigi, bevor sie einen Stapel Zeitungen auf ihren Schoß gepackt hatte. Der Techniker bekam nicht mit, dass so eine schöne Maid nun neben ihm saß. Er filmte durch das kleine Fensterchen die vorbei ziehende Rollbahn, schnupperte dann aber doch mit seiner Nase den dezenten Parfümduft seiner Nachbarin, drehte sich kurz zu ihr und sagte: "Ach, so!"
"Wir starten!", hörten sie in diesem Augenblick. Die Düsentriebwerke heulten laut auf, es stank nach Kerosin, die Kiste begann zu zittern und zu wackeln und schoss dann los, immer schneller, immer schneller rannte sie über das Betonband, bekam etwas Luft unter die Schwingen, hob die Nase in die Höhe und begann zu steigen, 20, 50, 100 höher und höher, 500 bald 1000 Meter über dem Flugfeld. Hoch geklettert im steifen Nordweststurm. Die Böen schüttelten und rüttelten das Flugzeug, drückten ihm immer wieder die Nase nach unten, hoben den Rumpf wieder an und Absatz um Absatz schienen Piloten, die Crew und die Paxe den schnell ziehenden Wolken näher zu kommen.
Boin, boin, Glockentöne, das war es, sie waren oben, jetzt, im Jahr 1986, durfte noch geraucht werden. Zigaretten an und tüchtig durchgezogen, das tat gut!
"Ich heiße Martin, Fritsch ist mein Familienname, bin Radaringenieur", stellte sich der Nachbar von Berni vor. "Fast immer bin ich draußen, im Ausland. Repariere Anlagen auf Schiffen. Die Geräte fallen oft aus. Dann heißt es: 'Martin, los, ab nach Honolulu!"
"Super! Das ist ein tolles Leben", gab Bernhard Bauer seinen Kommentar dazu, "ich bin immer nur in meiner Halle. in der Fertigung, bin Textilingeneur", hier haute Berni etwas auf den Putz, mit seinem Technikerstatus, "komme nie raus. Heute das erste Mal, mit dem Flieger nach England, London, mein Kollege und ich wollen eine Messe besuchen, britische Stoffe, Maschinen und Verbrauchsmaterial, mal sehen, was die Jungs dort bieten. Wir, bei Hemdenschmitt, stellen Oberhemden, Blusen und Schlafanzüge her. Haben sicher schon unser Logo gesehen? Ist in jedem Kragen drin!"
Hier erhob sich der Fertigungsleiter etwas in seinem Sitz und schaute dem Martin in das Hemd hinein:
"Habe ich es mir doch gedacht, am Anfang und Ende des eingenähten Zeichens ein aufrecht stehendes Krokodil und dazwischen, klein und diskret, hemdenschmitt!"
"So, so, hab ich noch nicht mitgekriegt, das Zeug kauft meine Frau! Vor dieser Luftkutscherei habe ich wirklich schreckliche Angst. Bin fast jede Woche unterwegs. bevor ich in diese Kisten steige, zittere und schwitze ich, als stünde mein letzte Stündlein bevor. Ich fliege viel lieber von Hamburg."
"Wieso denn das?"
Inzwischen bedienten die Lufthansamädchen die Reisenden mit Getränken. Beide nahmen eine Cola, winzig kleine Blechdöschen, zwei Schluck und der Saft war zu Ende. Bald sammelte eine der immer lächelnden Maiden das Leergut in einen gelben Abfallsack.
Dann begann der Radarmensch geheimnisvoll zu tun, holte noch einmal seinen Tröster aus der Tasche. Er nahm einen kräftigen Schluck und begann, den Neuling nervös zu machen.
"Nun ja, der Flughafen von Bremen ist doch in einer sehr hohen Gefahrenklasse eingestuft. Die Start- und Landebahn ist sehr kurz, eigentlich zu kurz! Deshalb können hier nur 727 und 737 eingesetzt werden. Sie haben doch vorhin selbst mitbekommen, wie steil der Käptn die Maschine hochgezogen hat! Jetzt überlegen Sie mal, was passiert beim Landen? Ich will Ihnen keine Angst machen, aber ich bin schon sicherlich mehr als zwanzig Mal hier runter gekommen. Nur zur Information, Landeanflug, der Flieger kommt so um die 500 bis 1000 Meter über Grund rein. Von dieser Höhe stürzt er nach unten, so auf 100 Meter über Wasser, Landebahn voraus, Aufsetzen der Räder, Umkehrschub hinein, bremsen und bremsen, bis zum Ende der Piste, und dann im spitzen Winkel links herum, ganz schnell! Der Vogel darf nicht kippen, denn er hat noch 70, 80 Sachen drauf, um die Ecke herum, ausrollen bis zum Stellplatz, fertig. Sehen Sie, deswegen habe ich Angst! Nach Möglichkeit setze ich mich immer in die letzteReihe, trotz der Stinkerei von den Toiletten, statistisch die sichersten Plätze mit den höchsten Überlebenschancen! Diesmal komm ich über Hamburg zurück!"
Bernhard war blass geworden. Nachdenklich hockte er in seinem Flugsessel. Drüben, in der anderen Sitzreihe, schrie Sigi plötzlich: "Ich hab ihn!", warf dabei beide Arme in die Luft, seine Kamera baumelte am Riemen auf seiner Brust. Er drehte sich zu seiner Nachbarin und strahlte sie an:
"Hab grad ein großes Flugzeug drauf bekommen, toll, toll, toll! Ganz nah zog es vorbei!"
"Reg dich nicht auf, Kleiner, das war saugefährlich!", die Blaue war ohne großes Interesse. Der Techniker drehte sich enttäuscht zum Fenster zurück.
Langsam schien die Maschine zu sinken, da quäkte es wieder aus dem Lautsprecher:
"Hier spricht ihr Copilot. Wir beginnen nun mit dem Landeanflug zum Airport Heathrow, London.
Bitte schließen Sie ihre Sicherheitsgurte, klappen Sie das Tischchen hoch und stellen ihren Sitzlehne senkrecht, löschen sie ihre Zigarette. Wir landen in wenigen Minuten!"
Das Flugzeug setzte butterweich auf, rollte zügig an den Andockpunkt des Abfertigungsgebäudes, eine weibliche Stimme meldete sich:
"Wir sind in London gelandet. Es ist jetzt 8 Uhr 45. Bleiben Sie bitte angeschnallt sitzen, bis die Anschnallzeichen erloschen sind! Wir danken, dass Sie mit Lufthansa geflogen sind und wünschen Ihnen erlebnisreiche Tage in der britischen Metropole!"
Die Hinweiszeichen waren noch nicht erloschen, doch die Ersten, ganz Eiligen standen schon im langen Gang. Drei Reihen voraus erhoben sich die Modemädels, Mann oh Mann, whhhooouu, die Eine, die Rosane, also nein, das gab es doch nicht, diese Bluse, zart, duftig. dünn wie ein Gespinst, durchsichtig, darunter kein BH, schöne, steife Titten, pphhhffff, alle Kerle glotzten, alle Männer stöhnten, doch sie lächelte nur. Berni meinte:
"Ist das hier immer so?"
"Nee, nur heute, weil sie hier sind!", kam die Antwort vom Radarmenschen.
Sie drängelten aus der Maschine, sagten Auf Wiedersehen und Danke zu den Flugbegleitern. Ingenieur Fritsche schlug den Gang zum TRANSIT ein, die Hemdenschmittler liefen Richtung Gepäckausgabe, eigentlich den anderen Fluggästen hinterher, denn sie wussten nicht, was baggage bedeutete. Bald verloren sie den Anschluss an die Menge, denn Sigi filmte und filmte, blieb stehen, lief hin und her, und der Produktionsmensch musste ihn in einem fort mahnen, nun endlich mit der Filmerei Schluss zu machen und zu kommen.
"Machst du einen Film für die Stasi? Du wirst gar nicht fertig, was soll das nur?", Berni meckerte ihn an.
"Komme schon, alle Filme sind voll!", kam die Antwort.
Endlich gelangten sie zu einer Halle, riesig breite Treppen führten in ein tiefer liegendes Geschoß. Einreise und Zollabfertigung des britischen Empire! Hier standen kleine hölzerne Kabinen, davor Menschenschlangen, sie sahen die hübschen Models mit ihren Herren wieder und stellten sich hinter diese Gruppe an.
Es dauerte eine längere Zeit, bevor sie vor einem uniformierten Beamten in seinem Holzhäuschen standen. Ihre Pässe wurden sorgfältig geprüft, beim Techniker Siegmund hob der Kontrolleur kurz den Kopf und schaute den Herrn vor seiner Bude scharf an. Der Produktionsleiter dachte, bestimmt wegen Eberswalde, dem Geburtsort von Sigi. Auch telefonierte der Uniformierte kurz, wobei er den Pass des Deutschen in der Hand hielt. Endlich winkte er beide durch und sie liefen zu der Menschenansammlung am Förderband zwölf. Es war richtig, denn auf einem Schild stand: FROM BREMEN. Der Rucksack vom Techniker kam zuerst, Berni schaute weg, dann trudelte sein Trolly ein, der war neu, das erste Mal im Gebrauch. Sie verließen diese Halle, der kleinere Bernhard mit Aktentasche und seinem Rollkoffer, der große Sigismund mit Rucksack und abgeschabter Reisetasche. Als sie an den zahlreichen Geschäften im Vorraum vorbei kamen, blieb der Techniker plötzlich stehen:
"Moment mal, hier ist ein Fotoladen. Muss ein paar Filme kaufen!", weg war er, doch seine große Tasche ließ er auf die Füße von Berni fallen. Der guckte verdutzt, doch bald kam der Lange wieder heraus, brummelte:
"Alles viel zu teuer! Hab nur drei Stück gekauft!"
"Was hast du denn ausgegeben?"
"Zwölf Pfund, das sind 36 D-Mark! Ein Wahnsinn!"
"So etwas solltest du nicht am Flughafen kaufen, jetzt komm, wir müssen zur Ausstellung!"
Sie schlenderten durch ein großes Tor, standen dann unschlüssig in warmer Sonne auf britischem Boden und wussten nicht weiter. Sigi hatte einen kleinen Polygott, einen Führer von London mit, in dem sie den Alexandra-Palast fanden, aber sie verstanden den Weg dahin nicht. Vom Fliegen noch halb benommen, die vielen Striche der Untergrundbahn, Autobuslinien und die fremden Straßennamen in den Buchplänen verwirrten sie nur. Nach ihrer Meinung lag dieser Palast unweit der City und so beschlossen sie, ein Taxi zu nehmen, denn bis zum Ziel konnte es nicht so weit sein. Sie sprachen den Taxifahrer, der als Erster in einer recht langen Schlange von schwarzen Limousinen stand, an und näselten ihr Ziel heraus. Der Mann verstand sie offensichtlich nicht und erst, als Sigi ihm in seinem Reiseführer den Palast zeigte, ging ein Leuchten über das Gesicht des Mannes "Yes, yes Sir!"
Der Techniker lächelte seinen Kollegen an, drückte hoheitsvoll dem Fahrer seinen Rucksack und die schäbige Tasche in die Hand. Berni rückte nur sein Köfferchen heraus, die Aktentasche behielt er bei sich. Der Fahrer verstaute das Gepäck neben sich im Fahrerraum, und nachdem die Herren im Fond Platz genommen hatten, brauste das Auto los.
Sie fuhren und fuhren, mehr als eine Stunde. Der Verkehr war nicht sehr dicht, auch schien der Fahrer weiträumig die Ballungsräume der riesigen Stadt zu vermeiden. Wie im Reiseführer beschrieben, lag der Palast auf einer Anhöhe im Norden von London. Der Taxifahrer übergab ihnen ihr Gepäck und als Bernhard ihm eine 20-Pfund-Note in die Hand gab, schüttelte der Mann den Kopf und wollte mehr, noch einmal legte der Fahrgast fünf Pfund dazu, doch der Herr forderte weitere 4,75. Er zog den Produktionsleiter an der Jacke nach vorn zum Fahrersitz und zeigte auf das Tachometer. Was sollte Berni machen. Er rückte den Betrag heraus, wohl wissend, dass er nun pleite war. Frau Schneider hatte den Herren nur die Spesen für drei Tage in englischer Währung besorgt und das war eben nicht mehr. Er tröstete sich damit, dass Sigi ihm die Hälfte des Betrages noch geben müsse, denn schließlich ging auf dieser Reise alles durch zwei!
Sie traten in eine große Halle, eigentlich in eine überdachte Leere. Die gesuchte Ausstellung schien sich im letztem Drittel des Bauwerkes zu verstecken. Vorn, gleich hinter dem Eingang, war eine große Garderobe und die Männer und Frauen hinter ihren Tresen nahmen ihnen ihr Gepäck ab. Sie drohten Sigi schelmisch mit dem Zeigefinger, als dieser versuchte, seinen Rucksack durch zu schmuggeln. Beide staunten über die Inneneinrichtung des Gebäudes. Da gab es einige gusseiserne Zentralheizungsradiatoren, mehrere mit Gas betriebene Kamine, riesige Kachelöfen und die Beleuchtungseinrichtung war mit hoher Wahrscheinlichkeit immer wieder neu installiert worden, ohne dass alte Systeme abgebaut wurden. Ringhalterungen für Fackeln, sie stammten sicher noch von der Eröffnung im Jahr 1873, Gaskandelaber, verstaubt und verrottet, große elektrische Deckenleuchten und ab und zu schon einige ungeschützte Neonröhren. Später erfuhren sie, dass dieses Palais schon zwei Wochen nach der Ausstellungseröffnung abbrannte. Sigismund meinte, unsere V1 haben wohl nicht bis hierhin gereicht! Berni erschrak und bat den lieben Sigi, doch derartige Gedanken für sich zu behalten.
Die Messe war klein und überschaubar. In knapp drei Stunden hatten sie alles gesehen, mit den Ausstellern aus England und vom Kontinent gesprochen, wobei sie die meiste Zeit bei den deutschen Firmen verbrachten, denn die Engländer sprachen fast alle nur englisch, na ja, bis auf einen, der stolz erzählte, er habe als Kriegsgefangener in Munich eine deutsche Freundin gehabt. Die ausgestellten Stoffe begeisterten, es waren erstklassige englische Wollwaren, sie aber suchten Seide und Baumwolle. Es gab einige Maschinen, von den Firmen Singer und Pfaff, zum Nähen oder Stanzen, Zuschneidegeräte und Materialien, Millionen von Knöpfen, Litzen und Bändern. Das war es auch schon. Sie sammelten einige Prospekte, Berni sprach einige Sätze des Berichtes für Herrn Direktor Naumann auf sein Diktiergerät und bald standen sie wieder an der Garderobe. Da war was los! Die Herren und Damen dieser Abteilung waren besoffen! Mit glasigen Augen torkelten sie zwischen ihrer Theke und den Kleiderständern hin und her. Dem Produktionsleiter boten sie einen roten Kosmetikkoffer an und er hatte große Mühe, den Herrn Garderobier von seinem Irrtum zu überzeugen. Sehr verwundert verließen sie die Halle und setzten sich erst einmal auf eine Bank, die schon viele Jahre keine Farbe mehr gesehen hatte.
Das Wetter war schön, die herbstliche Sonne wärmte und sie beschlossen, ein wenig auszuruhen und dabei zu überlegen, wie es weitergehen solle.
"Mit einem Taxi können wir nicht mehr fahren", begann Sigi mit seinen Überlegungen, "das Geld haben wir nicht mehr, also Bus oder Bahn."
"Ich bekomm noch jede Menge Moos von dir", zeterte Berni, doch sein Kumpel tröstete ihn mit "ich weiß, später im Hotel, jetzt müssen wir erst hier weg sein."
Sie blätterten ihren Polygott durch, fanden aber keine Buslinie. Sigi entschied:
"Also mit der U-Bahn. Müssen wir doch auch schaffen. Die Londoner sind doch ganz verrückt mit dieser Einrichtung! Bei Luftalarm im Krieg sind sie alle in die Tunnel gekrochen, war ein guter Schutz, hatten weniger Tote als in Berlin. Eine Station muss doch auch hier in der Nähe sein."
Bernhard sah das Schild mit dem bergabwärts zeigenden Pfeil zuerst: "Untergroound" las er stotternd vor, zeigte mit einem Finger auf die gegenüberliegende Straßenseite:
"Na bitte, da geht es hin!"
Eifrig suchten sie im Reiseführer die Seite mit dem U-Bahnplan. Nach einigen Anstrengungen fanden sie die Station Wood Green, der Piccadilly Line und da alles so nah und kurz auf dem Plan erschien, beschlossen sie, bis zum Leicester Square durchzufahren. Sie meinten, dass ihr Hotel Grafton in der Nähe liegen müsse. Sie schnappten sich ihre Sachen und liefen dem Schild folgend den Hügel hinab.
"Da ist dieses Zeichen wieder, roter Ring mit blauem Balken und Station Wood Green! Der Herr gibt es den Seinen im Schlaf!", Berni triumphierte förmlich.
"Scheint alles idiotensicher zu sein, sie schreiben im Führer, auch für Analphabeten!"
"Dann hol mal die Fahrscheine, die Tickets! Du kannst ja englisch, ich nicht!", Berni grinste leicht.
Der Lange stellte Rucksack und Tasche ab, "pass auf" war seine Aufforderung und er lief in den Underground, fand den Ticket-Automat, kam aber nicht zurecht, da er seine Zielstation vergessen hatte. Als er sich suchend umsah, entdeckte er im Halbdunkel den Fahrkartenschalter. Irgendein Wesen bewegte sich in der kleinen Kabine, dann sah er eine schwarze Verkäuferin hinter dem Schalter stehen.
"Twoorr Tickets", da er unsicher mit der englischen Zahlenreihe war, nuschelte er stark bei der Aussprache des Zahlwortes. Die Schwarze sagte irgend etwas, so ähnlich wie "go", doch er verstand sie nicht. Bei sich dachte er, dass diese Ausländer nie richtig englisch können! Er wiederholte sein Twoorr mehrmals, die Verkäuferin schüttelte immer wieder ihre spärlichen Haare, zuckte mit den Schultern und lächelte ihn unsicher an. Bis sie plötzlich vier Fahrscheine durch das vergitterte Fensterchen schob und Sigismund eine ganze Hand voller Münzen, den Rest seines letzten FünfPfund-Scheines, zurück erhielt. Seinem Gefährten erzählte er, dass die Frau, sie war dunkelhäutig, kaum englisch verstand und er, obwohl er deutlich zwei Tickets verlangt hatte, eben vier Stück bekommen habe. Er meinte, jeweils zwei davon waren für das Umsteigen. Sein Begleiter verkniff sich einen Kommentar.
Sie fuhren in dem rumpelnden, quietschenden Zug durch lange, tunnelartige Röhren, kamen irgendwo noch einmal über die Erde, dann wieder durch die Dunkelheit bis zum Leicester Square. Dort rollten sie auf Treppen nach oben zurück in das Tageslicht. Sie waren von der Sauberkeit, der Schnelligkeit und Bequemlichkeit dieser Beförderung sehr angetan.
Beide bummelten mit ihrem Gepäck über den Trafalgar Square. Sigi filmte schon wieder mit Rucksack auf dem Rücken und Tasche zwischen den Beinen. Sein Kumpel verdrehte die Augen und trat ungeduldig auf der Stelle. Sie beschlossen Geld zu sparen und zu ihrem Hotel Grafton zu Fuß zu gehen. So weit konnte es nicht sein, denn Tottenham Court Road lag gleich um die Ecke, nur übersahen sie, dass dies eine U-Bahn Station war. Sie liefen 300 Meter, 500, dann 1.000, die Füße begannen zu Schmerzen, der Lange trampelte schwer, der Kleine watschelte wie eine Ente. Da, vorn, rechter Hand ein beleuchtetes Schild: GRAFTON, Gott sei Dank, sie waren da, traten in das Foyer, legten ihre Reservierungen vor und das Fräulein an der Rezeption sagte nur: "Sie sind hier falsch, ihr Hotel, das Grafton West, ist ein Stück weiter! Immer der Nase nach, so zwei bis zweieinhalb Kilometer!", dabei schmunzelte sie. Auf die Frage von Berni, wo sie so gut Deutsch gelernt habe, sagte sie, dass sie Deutsche sei und hier nur ein Volontariat wegen der Sprache abarbeite.
Die beiden Reisenden liefen weiter, sie schleppten sich dahin, immer nach Westen, die tief stehende Sonne blendete sie. Sie kamen nach knapp zwei Kilometern an. Diese Entfernung hatten sie in einer dreiviertel Stunde überwunden, trafen kaputt und geschunden in dieser Herberge ein, bezogen ihre Einzelzimmer und sanken auf ihre Betten.
Nach kurzer Zeit klingelte das Telefon beim Produktionsleiter, der Techniker war am Apparat, er liege schon in der Badewanne und das sei ganz herrlich nach dem langen Marsch und ob er sich nicht auch etwas erholen wolle? Berni antwortete, er werde auch in die Wanne kriechen und sich später wieder melden. Das später war dann nach einer Stunde, er erzählte Sigi, das mit der Baderei sei ein guter Tipp, er sei nun wieder fit und habe einen Bärenhunger. Sie verabredeten sich zum Abendessen. Bernhard Bauer löste an der Rezeption einen Dreihundert-DM-Scheck ein. Sie gingen auf Empfehlung des Hotelmitarbeiters in ein Restaurant auf der anderen Straßenseite. Berni bestellte Steak und Salat, zweimal, er zeigte es mit den Fingern, es klappte. Sigi allerdings musste ein Bier zum trockenen Mahl haben.
Als sie in das Hotel zurückkamen, war die Nacht angebrochen und sie legten sich sofort zur Ruhe, denn sie waren rechtschaffen müde. Der Stress des Tages war nicht abgebaut und die Anstrengung des langen Weges saß noch in ihren Muskeln. Beim Frühstück sahen sie sich wieder. Sie staunten über das reichhaltige Angebot des Breakfast. Was gab es da alles! Eier, vier Minuten weich gekocht oder mehr als sieben Minuten, hart, fast zum Schädel einschlagen, Rühreier, Evi-Benedict, Eier mit Schinken, mit Speck, mit Würstchen, Soleier, riesige Pfannekuchen mit Marmelade, Ahornsirup oder Natur. Säfte, vier oder fünf Sorten, Sekt, Champagner! Zehn verschiedene Sorten Tee, mit deren Bezeichnungen sie nichts anfangen konnten. Wegen Kaffee konnte das Servicepersonal gefragt werden. Geröstetes und ungeröstetes Brot war getrennt aufgeschichtet, auch Weißbrot, süßes Gebäck, Milchbrötchen, Hörnchen, irgendwelche geschichtete Gebilde mit gezuckertem Inhalt, Butter, Marmelade, Honig, es gab lauwarmen, geräucherten Fisch, Haferbrei, Cornflakes mit Milch und Zucker oder mit Obstkompott, Kirschen, Brombeeren, Himbeeren und Blaubeeren. Nicht zu vergessen saure oder süßsaure Gurken, Peperoni, grüne und schwarze Oliven und einen großen Korb mit Obst, Mandarinen, Apfelsinen, Bananen, Äpfeln und Birnen. Zwischen den ganzen Herrlichkeiten standen kleine Schälchen mit Nüssen, Mandeln, Pilzen, zwei, drei verschieden Sorten Pfeffer, Salz war zweimal da, Meerssalz und mit Jod angereichert. Die Fülle war nicht zu überschauen! Sigi murmelte:
"So sieht es beim Sieger aus!", dann rülpste er recht laut, denn sie hatten sich voll gefressen. Berni versuchte den Arbeitstag zu beginnen, indem er zaghaft daran erinnerte, dass sie wieder in das komische Palais müssten, denn sie seien nicht zum Vergnügen hier. Sein Kollege war da anderer Meinung:
"Was sollen wir dort noch? Haben doch alles gesehen, alles erledigt. Also, ich schlage vor, wir sehen uns London an, die Reise ist doch auch eine Belohnung!"
"Wenn du meinst! Wie kommen wir in die Stadt, in die City?"
"Kein Problem", der Techniker war für das Praktische, "ich hab gestern Abend noch so einen roten Doppeldeckerbus gesehen, die fahren hier auch! Müssen nur bis zur Haltestelle laufen, die erkennt man an einem roten Kreis, steht im Polygott, der muss es ja wissen!"
Sie erhoben sich mühsam, verließen das Frühstücksbüffet und liefen zur nächsten Haltestelle der roten Doppeldecker, stiegen in den ersten Bus ein und landeten im Depot, wo einige Vehikel gewaschen und gesäubert wurden. Sie waren falsch! Also verließen sie den Roten, schlenderten möglichst unauffällig zum Ausfahrttor und kletterten in das Obergeschoß eines sauberen Kraftfahrzeuges, mit der Aufschrift: PICCADIllY. Bald fuhr dieser Personen-Nahverkehr-Omnibus durch engbebaute, breite Straßen, vorbei an Reihenhäusern, deren jede Wohnscheibe einen eigenen Schornstein besaß. Vorbei an Parkanlagen und einmal tauchte sogar der Fluss auf, der Sigi die Bemerkung: "Sieh da, die Themse" entlockte. In der City angekommen, benötigten sie einige Minuten zur Orientierung. Berni schaute den Langen an:
"Wo ist deine Camera?"
"Hab alle Filme voll, hab kein Geld mehr, hab das Ding im Hotel gelassen", kam seine Antwort. Doch der Kleine hatte gute Laune:
"Macht nichts, ich kann mit meiner Rollei knipsen, sie ist bereit! Gebe dir dann die Bilder ab" dabei schlug er mit der flachen Hand auf die braune Bereitschaftstasche, in der sein Apparat steckte. "Aber", so nahm er das Wort wieder auf: "Lieber Sigi, du siehst etwas unordentlich aus, das rechte Schuhbändchen gefällt mit nicht, hängt wie ein krankes Würmchen auf dem schwarzen Leder und dazu sieht man die weiße, langbeinige Unterhose, anscheinend hast du deinen Socken nicht richtig an! Oh Sigi, du lässt aber nach, so läuft kein Gentleman durch London!"
Sigi hatte nur eine Antwort: "Blödmann!", bückte sich aber doch, um das Hosenbein zu ordnen und das beanstandete Schuhbändchen neu zu binden.
Sie bummelten fast zwei Stunden durch den historischen Kern der Stadt, über den Trafalgar Square, Horse Guards, Westminsterabtei, Nadel der Kleopatra, Buckingham Palast, die Königin war nicht da, doch Berni hatten es vor allem die Bärenmützen-Wachsoldaten angetan. Er fotografierte wie ein Weltmeister, die Wachablösung, dann Teile des Palastes, Tor und Zaun und noch Einiges, sodass nun Sigi ungeduldig zum Weiterlaufen drängte. Sie kamen bis auf die Westminsterbrücke, dort wandte sich der Kleine zurück und fotografierte das Gebäude. Am Beginn des Bauwerkes stand ein großes Schild, in englisch, französisch, spanisch und deutsch: THEMSEFAHRT - Vom Parlament bis zum Tower - Jede Stunde.
Sigi war gleich auf diesen Ausflug heiß, doch der Kleine zahlte, denn nur er hatte noch Geld und als er am Ticketcorner zwei Finger hob, bekam er korrekt die beiden Bordkarten. Es war eine kleine Schaluppe, vielleicht für 25 bis 30 Fahrgäste, die am Ufer lag. Hinter dem Steuer stand ein ungefähr 40 Jahre alter Mann, Kapitän, Steuermann und Entertainer. Ein humorvoller Typ, der bei der Fahrt auf der Themse ohne Pause Geschichtchen aus den Jahrhunderten der englischen Hauptstadt von sich gab. Von Königen, Herzögen, Premierministern, ebenso von Jack the Ripper oder Sherlock Holmes erzählte er spleenige Geschichten. Die Fahrgäste brachen bei jeder Pointe in brüllendes Gelächter aus, nur die beiden Deutschen blieben stumm. Berni stupste Sigi in die Seite:
"Wir müssen mitlachen! Die Anderen merken sonst, dass wir kein Englisch verstehen!"