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30 Jahre sind nach dem Atomunfall in Tschernobyl vergangen. Eine neue Generation, die von dem damaligen Desaster nur wenig Information besitzt, lebt inzwischen mit uns. Noch immer sterben Menschen an den Folgen dieses Unglücks. In vielen tausend Jahren werden alle Lebewesen der Erde von unserer Kernenergie noch bedroht werden.
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Seitenzahl: 62
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Vorwort
Mai 1986, Donnerstag
Mai 1986, Freitag
Mai 1986, Samstag
Mai 1986, Sonntag
Mai 1986, Montag
Mai 1986, Dienstag
Mai 1986, Mittwoch
Mai 1986, Donnerstag
Mai 1986, Freitag
Mai 1986, Samstag
Mai 1986, Sonntag, es ist Muttertag
Mai 1986, Montag
Mai 1986, Dienstag
Mai 1986, Mittwoch
Mai 1986, Donnerstag
Mai 1986, Freitag
Mai 1986, Samstag
Mai 1986, Sonntag
Mai 1986, Montag
Drei Jahre nach Tschernobyl
Vier Jahre nach Tschernobyl
Fünf Jahre nach Tschernobyl
Im achten Jahr nach Tschernobyl
Im Jahr 10 nach dem Tschernobyl-GAU
Fukushima
30 Jahre nach dem GAU in der Ukraine
Register
Literaturhinweise zu Tschernobyl
Autorenvita
Vor fast 25 Jahre nach dem Unglück von Tschernobyl erinnern vorliegende Aufzeichnungen an die grauenvolle Angst dieser Tage und an unsere menschliche Ohnmacht in Verbindung mit unglaublicher politischer Ignoranz. Sicherlich sind diese täglichen Notizen, spontan aufgeschrieben in der Zeit des Unheils, aus individueller Sicht entstanden, doch vermitteln sie die ungeheure Belastung der Menschheit, die durch atomare Technik verursacht wird.
Diese Veröffentlichung will nicht nur erinnern, sondern auch mahnen und aufrütteln. Inzwischen wächst eine neue Generation heran, 1986 und später Geborene, die von Tschernobyl nichts wissen. Vielleicht gelingt es, auf die Risiken der nuklearen Bedrohung aufmerksam zu machen und letztlich auch darauf hinzuweisen, dass unser atomarer Abfall noch viele tausend Jahre unsere Nachkommen gefährden wird.
Joachim BerkeLingen, im Jahr 2010
Es ist ein schöner Tag, die Natur explodiert, Spring Time; in diesem Jahr später als üblich, vor fünfzehn, zwanzig Tagen sollte der Frühling gekommen sein. Der Winter war lang und streng. Eiszeitliche Landschaft glitzerte unter kalt-blauem Himmel. Wochenlang standen die Wiesen und Felder unter Wasser. Wind wehte stetig aus Ost, nur selten aus West.
Die letzte Kremlmeldung lautet:
Die Anlage in Tschernobyl ist abgeschaltet.
Über die rote Leitung hatten Gorby und Ronny vorher Kontakt. Moskau via Washington, weiter nach Hawaii, dort fand Gorby dann den Ronny.
Blödsinnige Aussage es ist abgeschaltet, da gab es nichts mehr abzuschalten, da war schon alles in der Luft - einfach explodiert! Strahlende Teilchen elementarer Bauteile schossen durch die Atmosphäre, Brandruß und Asche rieselten auf die gequälte Erde. In Deutschland, genauer gesagt in der Bundesrepublik, strahlte es ebenso wie in anderen, rings um die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken liegenden Ländern. Auf Norderney siebzehnmal soviel wie üblich, in Lingen, im Emsland, achtundvierzigmal mehr und in Regensburg überstieg der Wert das Hundertfache. Die Informationen fließen langsam, spärlich und ungenau. Da wird von REM und Becquerel gesprochen, von Curie und Röntgen, alles ist unverständlich, was aus dem Radio, aus dem Fernseher oder aus der Zeitung kommt.
Die Spitzen der Politik sind auf dem Weg nach Tokio, Weltwirtschaftsgipfel, nur der Mann der CSU, Herr Zimmermann, bleibt daheim, er ist eben der Verantwortliche für das Innere. Sein stereotypes keine Gefahr klingt nicht überzeugend. Hier ist nicht nur er überfordert. In uns kriecht Angst hoch. Welcher Teil der Apokalypse trifft jetzt zu?
Gorbatschow der Gezeichnete - steht sein Feuermal für die Rettung der Menschheit oder ist dieses Zeichen das Mal eines Vollstreckers?
GAU, das ist Größter Atomarer Unfall, was ist Super-GAU? Warum dieses Wortgebilde? Warum? Größer als Größter geht doch nicht! Weiter kriecht die Angst. Im Radio meldet der Sprecher immer wieder: Keine Gefahr.
Tag der Arbeit, 1. Mai, Sonne, saftige Landschaft, Blüten; die Birken tragen einen Hauch Grün. Gruppen von Menschen, auch einzelne, zu Fuß, mit dem Fahrrad, viele mit dem Auto, ziehen durch den Frühling. Gute Stimmung erreicht die Jugend von 14 bis 20 Jahre mit viel Alkohol, die Zeit der Wandervögel ist längst vorbei. Im Gebiet um Tschernobyl werden die letzten Menschen abtransportiert. Im Freien, nahe dem Kraftwerk, verwesen strahlende Tote. Opfer des leichtsinnigen Größenwahns menschlicher Technik.
Der Wetterbericht kündet Wind aus Ost und steigende Temperaturen. In Polen bekommen die Babys Jod statt Milch.
Heute arbeiten nur wenige Menschen, denn viele haben zwischen dem Feiertag und dem Wochenende frei. Brückentag!
Nördlich von Stockholm, in Schweden, im Atomkraftwerk Forsmark, hatte man es zuerst gemessen. Damals, am 28. April 1986, am frühen Morgen um sieben Uhr. Dort vermuteten sie ein Problem im eigenen Werk, doch draußen, im Freien, strahlte es mehr als im Reaktorgebäude. Daraufhin wurden in Schweden, Dänemark und Norwegen die stationären Messstellen, die zur Überwachung der Radioaktivität an vielen Orten stehen, abgelesen. Es war üblich, nur einmal pro Woche die anfallenden Daten zu prüfen. Alle Werte lagen über Normal, viele von ihnen waren mehrfach überhöht.
Schweigen im Kreml.
Vier radioaktive Einheiten pro Sekunde wurden in Forsmark bei normalem Betrieb gemessen, damals, am 28. April, tickerten die Zähler mehr als hundert Einheiten in die Stille der frühen Stunde.
Die Gefahr kam von Süd-Ost. Schwedische Physiker und Meteorologen vermuteten die Strahlungsquelle im Großraum von Kiew.
1.250 Kilometer entfernt.
Minister Zimmermann tönt:
Keine Gefahr, Kiew liegt zweitausend Kilometer entfernt!
Schon am Freitag, am 26. April, begann das Desaster. Tschernobyl, ein neuer Name in den Medien, ein Ort, rund 100 Kilometer nördlich von Kiew in der Ukraine. Dort arbeitet ein Atomkraftwerkkomplex, vier Meiler liefern das begehrte Plutonium und auch Strom.
Ihre Technik:
Druckröhren-Reaktor-RBMK-1.000, Leistung Megawatt 1.000 Sieben Meter hoch, 11.800 mm Durchmesser Graphitblock
Graphit ist reiner Kohlenstoff, dessen Siedepunkt bei 3.850 Grad Celsius liegt. Er wird als Moderator in Kernreaktoren wegen seines hohen Bremsvermögens für schnelle Neutronen eingesetzt. Die Graphitblöcke des Typs Tschernobyl werden von 1.693 Arbeitskanälen durchzogen, in denen in Druckröhren die Uran-Brennelemente eingelassen sind.
Bis heute hat der Kreml nur folgende Meldung verbreitet: Ein Unglück, es kam zu einer Katastrophe, zwei Tote, 197 Verletzte, ein gewisses Entweichen radioaktiver Substanzen. Ein Störfall?
Die Russen bitten die Bundesrepublik und die Vereinigten Staaten von Nordamerika um Hilfe. Ein Experte oder ein Witzbold empfiehlt hunderttausende von Tonnen Wasser aus der Luft abzuwerfen.
Vorgestern, am Mittwoch, endlich, begann in Bonn eine Strahlenschutzkommission zu tagen. Am Abend, um sieben, wedelte Zimmermann mit seiner rechten Hand in den Nachrichten über eine Karte von Deutschland, er hat alles im Griff.
Es ist sehr heiß, der Wind weht in kräftigen, kurzen Böen aus Ost, manchmal auch aus Süd.
Es ist der erste Samstag im Monat, der so genannte Verkaufsoffene. Die Geschäfte haben länger geöffnet.
Bonn: Sofortmaßnahmen wegen strahlenbelasteter Milch, sinkende Werte in der Luft, keine akute Gefahr. Das Bundesministerium für Gesundheit verfügt Importbeschränkungen für Produkte aus der Sowjetunion, Polen, Rumänien, Ungarn, Bulgarien und der Tschechoslowakei.
Die Angst wächst. Ein Grüner sagt: Überall ist Tschernobyl.
Bonn, 2. Mai (dpa/AP)
Das Auswärtige Amt hat am Freitagabend vor Reisen nach Rumänien gewarnt, weil dort wegen des Anstiegs der Radioaktivität Alarmzustand ausgelöst worden ist. Die Bevölkerung sei gleichzeitig von den Medien vor dem Genuss von Brunnenwasser, Frischgemüse und Milch gewarnt und aufgefordert worden, vorläufig in den Häusern zu bleiben. Weitere Anweisungen von Radio und Fernsehen sind abzuwarten.
Inzwischen werden an den Grenzübergängen von Ost nach West in der Bundesrepublik alle Fahrzeuge auf Strahlenbelastung geprüft. Verseuchte Fahrzeuge aus westlichen Ländern werden entsorgt. Die aus dem Osten kommen, mit bekannten Zulassungskennzeichen der Länder des Warschauer Paktes, werden zurückgewiesen. Strahlend rollen sie heimwärts in den real existierenden Sozialismus. Einfach so, Empfänger verweigert die Annahme. Flimmernd spritzen Männer in Wohnzimmern auf Bildschirmen in Deutschland Wasser über, unter und an Autos. Die Saubermacher tragen Gasmasken und Schutzanzüge. Sie gleichen den Ärzten der Pestepemidien auf mittelalterlichen Darstellungen. Apokalyptische Bilder, die Reiter Pest, Krieg, Hungersnot und Tod.